Maximilian Schmidt
Die Künischen Freibauern
Maximilian Schmidt

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XIV.

Die Nachricht von der Niederlage der Böhmen am weißen Berge hatte sich wie ein Lauffeuer in der Stadt Prag verbreitet. Es war ein Sonntag. Die Prediger sprachen in den Frühgottesdiensten über das merkwürdig auf diesen Tag treffende Evangelium: »Gebet Gott, was Gottes, und dem Kaiser, was des Kaisers ist.« Selbstverständlich rechnete zu dem letzteren keiner der Anwesenden das Böhmerland. Daß es schon in den nächsten Stunden ein anderer besitzen würde, glaubte niemand, am wenigsten König Friedrich selbst, der keine Ahnung davon zu haben schien, daß sein Heer gegen den Feind im Feuer stand, als er mit dem englischen Gesandten, der Königin und einer Menge anderer hoher Damen frohgemut bei Tische saß. Nach dem Essen beschloß er, zu Pferde zu steigen, um sein Heer zu besichtigen. Da stürmten schon die Flüchtigen heran und von dem Fürsten von Anhalt und anderen hörte er nun zu seinem Schrecken von der Hoffnungslosigkeit seiner Lage. Bestürzt ritt er zum Strachower Thore und bestieg den Wall. Da sah er sein Heer in Auflösung und seine Soldaten auf allen Seiten flüchten. Er befahl, die Thore zu öffnen, um die Fliehenden in die Stadt zu lassen, dann ritt er eiligst zum Schlosse zurück, ohne an eine Verteidigung der Stadt zu denken.

205 Ein großer Teil der Prager Bevölkerung hatte sich innerhalb des Thores längs des Weges aufgestellt, der vom weißen Berge herführt. Hatten ja viele Familien Angehörige, Väter, Brüder, Verlobte beim Heere, um deren Schicksal sie in Angst und Bestürzung waren. Es gab die herzzerreißendsten Szenen, wenn dem einen oder dem andern von den Flüchtlingen Nachricht wurde, daß der Teure auf dem Schlachtfelde geblieben sei.

Auch Libussa, deren Wohnung nahe dem Strachower Thore gelegen war, hatte sich mit Mutter und Bruder aufgemacht, um in tödlicher Angst nach dem Schicksale Humprechts zu forschen. Sie wußte, daß er erst an diesem Morgen mit seinen mährischen Fähnlein zur Verstärkung der Anhaltschen Armee nach dem weißen Berge abgerückt war. Es war sein heißester Wunsch gewesen, sich wieder einmal mit dem Feinde messen zu können. Erst gestern hatte er ihr das noch gesagt.

Antonins Bruder war bald nach Ankunft der Spielleute in Prag gestorben und hatte diesen seinen hübschen Garten und Hausbesitz, dazu auch Barvermögen vermacht. Humprecht hatte nur selten Zeit gehabt, während seines Aufenthaltes in Prag sein Bräutchen, wie er Libussa nannte, zu besuchen. Dann aber bereitete es ihm jedesmal hohen Genuß, wenn ihn Libussa durch ihren schönen Gesang zu erfreuen suchte. Sie hatte, seit sie in Prag lebte, ihre farbengrellen Gewänder abgelegt und trug nun bürgerliche Kleidung. Auch ihr Antlitz war nicht mehr so rosig und blühend, wie ehedem, im Gegenteile zeigte es eine leichte Blässe, gegen welche aber ihre dunklen, feurigen Augen jetzt noch mehr gehoben wurden und ihm einen eigentümlichen Reiz verliehen.

206 Der Verkehr mit Humprecht überschritt nicht die Grenze mädchenhafter Sittsamkeit, doch hatte er ihr fest versprochen, sie als seine Hausfrau heimzuführen, sobald der Krieg zu Ende und er wieder sein eigener Herr sei, gleichviel, ob er das Majorat dadurch verliere oder nicht. Libussa dachte Tag und Nacht an nichts anderes, als an das Glück, sein eigen zu sein auf immer. Und nun sollte plötzlich all dieses Glück, in das sie sich seit Monaten hineingelebt, entschwinden! Sie zitterte für das Leben ihres Geliebten, denn von Flüchtlingen hatte sie vernommen, daß die beiden mährischen Regimenter allein noch im hitzigsten Kampfe mit den Bayern seien; ein anderer berichtete, dieselben seien vollständig aufgerieben und ihre Offiziere lägen tot auf dem Schlachtfelde.

Heiße Thränen floßen aus den Augen des Mädchens, es war einer Ohnmacht nahe, aber es wich nicht vom Platze. Das Zureden der Mutter, nach Hause zu gehen und dort Kunde abzuwarten, wies Libussa mit Entschiedenheit zurück, denn sie hoffte hier am ehesten die Wahrheit zu erfahren. Da kam ein Reiter durchs Thor, ohne Helm, totenbleich im Gesicht, die Rüstung mit Blut überströmt. Stanislaus erkannte in dem Reiter sofort Humprecht von Hracin.

»Sieh, sieh, Schwester,« rief er, »er ist's!«

Auch Libussa hatte den Geliebten auf den ersten Blick erkannt.

»Humprecht!« rief sie, halb erfreut, halb voll Entsetzen.

Humprecht hatte sich durch das Pferd vorwärts bringen lassen, er selbst war seiner Sinne nicht mehr mächtig gewesen. Erst jetzt, als sein Name gellend durch die Luft tönte, schien er zu erwachen, die Stimme zu erkennen, die ihn 207 gerufen, er machte einen schwachen Versuch, das Roß nach jener Seite zu lenken und mit dem Rufe »Libussa« glitt er ohnmächtig vom Pferde.

Aber schon waren Stanislaus und einige andere Männer bereit, ihn in ihren Armen aufzufangen, so daß er den Boden nicht berührte. Das Pferd aber lief den andern nach, weiter in die Stadt hinein.

Libussa eilte herbei und nahm sein Haupt zwischen ihre Hände.

»Mein Gott, er stirbt!« schrie sie voll Schrecken auf.

Aber Humprecht erholte sich wieder.

»Bringt mich in eure Wohnung,« bat er mit matter Stimme, »laßt mich dort sterben.«

Sie trugen ihn in die nicht allzuferne Behausung Antonins. Libussa folgte weinend nach. Ein unter der Menge anwesender Wundarzt schloß sich freiwillig dem traurigen Zuge an. Nach wenigen Minuten lag Humprecht in dem traulichen Gemache seines geliebten Mädchens, wohlgebettet und umgeben von liebender Sorgfalt. Nachdem der Wundarzt seines Amtes gewaltet und die Wunden nach Möglichkeit verbunden hatte, verfiel Humprecht infolge des großen Blutverlustes bald in einen tiefen Schlaf. Aber die Liebe wachte an seiner Seite und heiße Segenswünsche stiegen für ihn zum Himmel auf. –

König Friedrich hatte vergebens durch einen Abgeordneten einen Waffenstillstand von vierundzwanzig Stunden von Herzog Maximilian von Bayern erbeten. Er faßte daher den Entschluß, Prag zu verlassen. Er ließ die böhmische Königskrone und alle Kleinodien in Eile verpacken und begab sich mit seiner Familie und seinem ganzen Hofstaat in die Altstadt, um die Moldau zwischen sich und 208 den Siegern zu haben. Er bezog das Haus des Primas der Altstadt Prag; die Krone nebst den Kleinodien wurden im Altstädter Rathause deponiert. Die böhmischen Feldherren berieten die ganze Nacht hindurch, ob sie am nächsten Tage den Widerstand fortsetzen oder auf auswärtige Hilfe rechnen sollten. Sie hatten kein Vertrauen mehr in Mansfelds Truppen. Der König schickte wiederholt an Herzog Maximilian ein Schreiben mit der Bitte um Waffenstillstand, aber es erfolgte keine Antwort. Nun wuchs die Gefahr für die Person des Königs und man entschloß sich zur Flucht aus Prag.

Der traurige Zug setzte sich durch das Stadtthor Horcka brana nach Osten zu in Bewegung. Viele vornehme Adelige, der Kanzler, Fürst Christian von Anhalt, die beiden Thurn, Hohenlohe, Bubna, die drei Herzoge von Weimar, der englische Gesandte u. a. begleiteten den langen, von zweihundert Reitern geschützten Wagenzug. Der König übernachtete in Nimburg, sieben Meilen von Prag, und setzte andern Tags seine Reise über Glatz nach Breslau fort. –

Um eine Plünderung zu verhüten, schickten die Bewohner der Prager Kleinstadt, welche größtenteils dem Kaiser zugethan waren, Abgeordnete an die Sieger mit der Bitte, die Stadt zu besetzen und derselben ihren Schutz angedeihen zu lassen. Am 9. November mittags hielt Herzog Maximilian seinen Einzug in Prag und auf dem Hradschin. An seiner Seite schritt Pater Dominikus mit dem Stangenkreuze. Wilhelm von Lobkowitz und Abgeordnete von ganz Prag kamen ihnen entgegen und baten unter Thränen um Schonung der Stadt vor Plünderung und um Vergebung ihrer Empörung, um die Erhaltung 209 ihrer Freiheit und Religion. Maximilian antwortete ihnen, die Plünderung zu verhindern stehe in seiner Macht und er werde sie verhüten, inbetreff der übrigen Punkte aber hätte er weder Befehle noch Gewalt. Er riet ihnen, sich dem Kaiser bedingungslos zu unterwerfen. Sie befolgten diesen Rat und schwuren dem Kaiser nicht nur Gehorsam und Treue, sondern lieferten dem Herzog auch ihre Waffen aus.

Am dritten Tage hernach erschienen alle böhmischen Herren und Ritter, die sich in Prag befanden, vor dem Herzog und schwuren, nur Kaiser Ferdinand als ihren Kaiser anzuerkennen. Sie baten den Herzog um Fürsprache beim Kaiser. Der Herzog versprach ihnen dieselbe und versicherte sie gleichfalls seiner Vergebung. Dann übergab er, nachdem Fürst Karl von Liechtenstein vom Kaiser zum Statthalter von Böhmen ernannt worden war, das Kommando über die Besatzung von Prag, welche aus 6000 Mann Fußtruppen und 1500 Reitern bestand, dem General Tilly und kehrte nach Bayern zurück, wo er in seiner Hauptstadt München im Triumphe empfangen wurde.Zum Gedächtnisse dieses Sieges wurde die Mariensäule am Schrannenplatz, dem jetzigen Marienplatz, errichtet. 210


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