Maximilian Schmidt
Die Künischen Freibauern
Maximilian Schmidt

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XIX.

Der Statthalter von Böhmen hatte in der That vom Kaiser Befehl erhalten, alle diejenigen, welche an der Empörung teilgenommen, gefangen zu setzen. Tilly hatte mehreren derselben, die er in Prag wußte, den Rat gegeben, die Stadt zu verlassen und auf ihre Sicherheit bedacht zu seinHistorisch., aber sie verließen sich auf des Kaisers Gnade und folgten diesem Rate nicht. Sie wurden in der Nacht vom zehnten Februar gleichfalls gefangen und in verschiedene Gefängnisse, die vom Adel in den weißen Turm geworfen. Die Anzahl der Gefangenen belief sich auf achtundvierzig Personen, unter welchen auch Humprecht von Hracin und dessen Onkel, Joachim von Schlick, waren, welch letzteren der Kurfürst von Sachsen ausgeliefert hatte.

Diejenigen, welche sich aus dem Lande geflüchtet, wurden vom Statthalter nach Prag zurückgerufen und ward ihnen eine Frist von sechs Wochen gegeben, innerhalb welcher Zeit sie sich zu stellen hatten. Zu diesen letzteren gehörten Matthäus Graf von Thurn, Graf Albuin Schlick, Wolf von Perglas, Johann von Bubna u. a. Zu gleicher Zeit bekamen die Professoren am Karolinum, die Pfarrer und Schulmeister, welche der Lehre Calvins, oder 258 den böhmischen Brüdern zugethan waren, Befehl, innerhalb drei Tagen das Königreich zu verlassen.

Alle Adeligen, welche sich nicht ganz sicher wußten, wurden von Schrecken erfaßt. Einhundertfünfundachtzig adelige und viele bürgerliche Familien wanderten aus. Die Zurückgebliebenen sahen mit Bangen dem Richterspruch Ferdinands entgegen.

Frau von Hracin lag vor Schrecken über die unerwartete Gefangennahme ihres von seinen Wunden noch nicht hergestellten Sohnes krank darnieder. Humprecht hatte dank seines Geldes, mit dem er den Führer der Patrouille für sich gewann, die Erlaubnis erhalten, daß ihn sein Kammerdiener begleiten durfte und er hatte somit eine verhältnismäßig gute Fahrt nach Prag gehabt. Dort wurde auch er im weißen Turme interniert, erhielt ein Zimmer für sich allein und die Erlaubnis, von seinem Diener gepflegt zu werden. Das erste war, daß er Libussa von seiner Gefangenschaft und Anwesenheit in Prag benachrichtigen ließ.

Libussa hatte mit Sehnsucht auf Nachricht gewartet, ob und wohin sich der Geliebte geflüchtet, denn daß der leichtsinnige Reitknecht, der ihre Warnung überbringen sollte, zu spät nach Hrádeck gekommen, das ahnte sie nicht. So war sie denn von neuem Jammer und neuer Sorge um Humprecht erfüllt. Sie wußte keinen andern Ausweg, als den Generalfeldmarschall Tilly aufzusuchen, der sich schon zweimal so gnädig gegen sie gezeigt und ihn zu bitten, ihr zu raten und zu helfen und ihr die Erlaubnis zu erwirken, den Gefangenen in Begleitung ihrer Mutter besuchen zu dürfen.

Der Feldmarschall bedauerte sehr, daß hier seine 259 Warnung zu spät gekommen und bei vielen anderen Herren unbeachtet geblieben sei. Er bewirkte aber bei dem Fürsten Karl von Liechtenstein, daß Libussas Wunsch erfüllt und ihr die Erlaubnis erteilt wurde, den Bräutigam jede Woche einmal auf eine Viertelstunde besuchen zu dürfen.

Libussa hatte in dieser Audienz beim Feldmarschall demselben auch von der Gnade Kaiser Ferdinands erzählt, die ihr damals in Seewiesen zu teil geworden und des Rings erwähnt, den ihr die Kaiserin mit der Versicherung gegeben, sie und ihren Bräutigam unter ihren besonderen Schutz zu nehmen, wenn sie dessen bedürfen sollten. Sie fragte den alten Herrn um Rat, ob sie von dieser Gnade jetzt Gebrauch machen und die Freilassung Humprechts erbitten solle.

Tilly hörte auf ihre Worte mit großem Interesse, aber er fand es nicht an der Zeit, schon vor Beendigung der Untersuchung die kaiserlichen Majestäten an ihr Versprechen zu erinnern. Er war noch immer des Glaubens, daß der Kaiser ohnedem eine allgemeine Amnestie erlassen werde, versprach jedoch dem Mädchen, es rechtzeitig zu verständigen, wenn der Fall gegeben sei, daß es persönlich nach Wien gehen sollte.

Es war ein schmerzliches Wiedersehen der beiden Liebenden, als Libussa zum erstenmale im Kerker erschien. Humprecht war sehr entmutigt. Er klagte darüber, daß es ihm nicht vergönnt gewesen sei, auf dem Schlachtfelde den Ehrentod zu sterben. Libussa aber tröstete ihn und bat ihn, dem Himmel zu vertrauen. Daß sein Freund Wolf den Häschern bis jetzt entgangen, hatte er schon erfahren.

Die Viertelstunde war bald vorüber. Als Libussa schied, war Humprecht gefaßter. Die Blumen, welche sie 260 ihm zurückließ, sprachen ihm so viel Liebendes und Tröstendes, daß er neuer Hoffnung Raum gab in seinem Herzen. Er fürchtete ja eine Wiederholung der Greuel, wie sie unter Kaiser Rudolf von dem Jesuiten Apuentius, von Martiniz und Slavata in Szene gesetzt worden, und vielen Herren vom böhmischen Adel den Untergang brachten. Und eben diese beiden, Martiniz und Slavata, hatten im Verein mit Pater Lamormain auch jetzt wieder das große Wort im Rate des Kaisers zu führen.

Wolf von Perglas dagegen dankte dem Himmel, so rechtzeitig entkommen zu sein. Hätte er nicht einen Abscheu vor Mansfelds Gebahren gehabt, er wäre wahrhaftig versucht gewesen, noch einmal für Böhmen das Schwert zu ergreifen, denn abermals brach die Kriegsfurie im westlichen Teile Böhmens aus, indem der vertriebene König Friedrich V. Mansfeld zu seinem Feldmarschall ernannte und den Waffenstillstand aufhob.

Aber auch diesesmal hatten die Böhmen kein Glück. Wieder wurde ihnen Stadt um Stadt entrissen, bald war das ganze Königreich in der Gewalt des Kaisers. Ferdinand benützte seinen Sieg zur Ausrottung aller nichtkatholischen Lehren samt ihren Lehrern, ebenso zum Sturze der alten Landesordnung. Sein Streben ging nach Alleinherrschaft, Spanien schwebte ihm als Vorbild vor.

Das Gericht über die gefangenen Rebellen wurde vom königlichen Hochgericht in Prag unter dem Vorsitze des Fürsten Karl von Liechtenstein abgehalten und die Empörer wurden zum Tode verurteilt.

Der Kaiser hatte sich zur Unterzeichnung dieses Bluturteils schwer entschlossen. Er war sehr geneigt, Gnade für Recht ergehen zu lassen, aber Martiniz und Slavata, 261 jene Herren, welchen die Aufständischen den Weg durchs Fenster gewiesen, konnten ihren Feinden diese That nicht vergeben, da sie jetzt in der Lage waren, Rache zu üben. Sie und Pater Lamormain wußten den Kaiser zu bestimmen, das Urteil rechtskräftig zu machen. Zum Vollzuge wurde der 21. Juni 1621 festgesetzt.

Noch war es größtes Geheimnis, was der Kaiser beschlossen. Nur Tilly, welcher jetzt wieder in Prag weilte, hatte Einsicht in die Akten bekommen und daraus ersehen, daß auch Humprecht von Hracin unter den Verurteilten sei.

Sofort begab sich der Feldmarschall nach der Wohnung Libussas.

»Kind,« sagte er, »nun ist die Zeit gekommen, die dich nach Wien ruft, um beim Kaiser um Gnade für deinen Bräutigam zu bitten. Aber sorge, daß diesmal nicht gesäumt wird.«

»So ist Gefahr für sein Leben?« fragte Libussa erbleichend und mit stockendem Atem.

»So ist es,« lautete die trostlose Antwort.

Libussa sank in die Knie und fing bitterlich zu weinen an.

Der Feldmarschall legte ihr die Hand aufs Haupt und sprach:

»Sei stark, Mädchen. Weine dir die Augen nicht rot. Ein schönes Auge hat schon manchen Blitzstrahl vom Haupte eines Schuldigen abgewendet. Geh erst zur Kaiserin und dann zum Kaiser. Hier gebe ich dir ein Schreiben mit, das deines Freundes Tapferkeit dem Kaiser rühmen soll und in welchem auch ich um Gnade für ihn bitte.«

Libussa rang in Verzweiflung die Hände. Wie sollte sie in so kurzer Zeit nach Wien kommen, das an dreißig Meilen entfernt war.

262 Aber auch hier schuf der alte Herr Rat. Er bot ihr einen von seinen eigenen Wagen und das nötige Geld an.

»Säume keine Stunde!« schärfte er ihr ein: »Relais werden genommen. Dein Bruder soll zum Schutze dich begleiten. Binnen einer Stunde schicke ich dir den Wagen. Weine nicht mehr. Mut mein Kind! Der Himmel wird dich schützen!«

Mit diesen tröstenden Worten verließ sie der Feldmarschall.

Die fieberhafte Eile, mit der die Abreise betrieben werden mußte, drängte den Schmerz zurück. Bald standen die Geschwister zur Fahrt nach der Kaiserstadt bereit. Der Wagen ließ nicht warten. Unter Thränen segneten die Eltern ihre Kinder und nahmen Abschied von ihnen. Bald war der Wagen den Augen der Nachgrüßenden entschwunden.

Der Weg führte durch einen wunderbar schönen Strich Landes. Trotz der noch überall sichtbaren Verheerung des Krieges hatte das Kleid des Sommers die geschlagenen Wunden verwischt. Die ausgebrannten Häuser in den Dörfern waren durch die üppigen, in frischem Grün prangenden Obstbäume einigermaßen verdeckt und auf den Feldern und Wiesen sproßte in üppiger Fülle die Saat. In den tannengrünen Wäldern sangen und zwitscherten die munteren Vögel, ein wolkenloser Himmel spannte sich über das Land, die Natur sah so fröhlich, so hoffnungsfroh aus, aber die Menschen, welche ihre ausgebrannten Hütten ausbesserten oder gesenkten Hauptes fürbaß schritten, hatten kein frohes Aussehen. Keiner lebte wohl im Böhmerlande, der nicht irgend einen Verlust zu beklagen hatte, keiner mochte mit neuen Hoffnungen der Zukunft vertrauen. Es lag wie ein Alp auf allen Gemütern.

263 Libussa aber blickte mit gottvertrauender Hoffnung hinaus in die herrliche Landschaft, jede Blume in der saftigen Wiese schien ihr Trost zuzulächeln, die Liebe zu Humprecht stärkte ihr Herz und ihren Mut.

Rasch ging die Fahrt von statten. Tillys Kutscher war reichlich mit Geld versehen, und dieses Zaubermittel machte alles rasch möglich, so daß sie Tag und Nacht ohne Aufenthalt weiterreisen konnten und schon am Abend des zweiten Tages in Wien anlangten. Am nächsten Morgen begab sich Libussa mit ihrem Bruder sofort in die Hofburg und ließ sich bei der Kaiserin zur Audienz melden.

Die diensthabenden Beamten wollten das Mädchen mit leeren Ausflüchten abweisen, aber Libussa wußte sich den Weg zu bahnen. Ihrer Schönheit konnte man nicht widerstehen, man that nach ihrem Wunsche.

Es währte nicht lange, so wurde sie vor die Kaiserin gerufen. Libussa warf sich vor der hohen Frau auf die Kniee und bat um gnädiges Gehör.

Maria Anna hieß das Mädchen sich erheben und blickte mit Wohlgefallen auf dasselbe.

»Ich erinnere mich deiner wohl, Libussa,« sagte sie. »Es war ein schöner Tag, den ich inmitten jener Freibauern verlebte. Seit jener Zeit hab' ich von Böhmen nur Leid erfahren. Wie sehr ich trotz aller traurigen Vorkommnisse noch jenes Tages gedenke, mag dir beweisen, daß ich mich noch ganz genau erinnere, wie du mir anvertrautest, daß du dein Herz an einen Mann verschenktest, den du nicht mehr zu finden vermochtest. Irre ich nicht, so heißt er Josef. Ist es so? Und hast du ihn wiedergefunden?«

»Ja, Majestät, ich habe ihn wiedergefunden. Doch 264 Josef Marcon war nur ein angenommener Name. In Wahrheit heißt er Humprecht von Hracin, Herr auf Hrádeck. Majestät, für ihn bitte ich um Gnade.«

»Einer der Empörer?« fragte die Kaiserin.

»Sein Leben ist in Gefahr,« rief Libussa und sich abermals auf die Kniee werfend, flehte sie mit hoch erhobenen Händen: »Um Gotteswillen, Majestät, helft mir beim Kaiser, daß er ihn begnadigt. Ihr habt einst gnädigst versprochen, Euch unser anzunehmen. Auf Euch allein hoffe ich in dieser schrecklichen Not.«

Die Kaiserin war höchlichst überrascht über das Gehörte.

»Der Herr von Hrádeck und eines Spielmanns Kind?« sprach sie verwundert. »Und er hat dir Treue gehalten? Das war schön und gut. Aber sein Verhalten gegen uns war nicht gut. Er ist unser Feind und wird wohl gleich seinen Mitschuldigen der gerechten Strafe anheimfallen müssen. Gern will ich zwar mit meinem Gemahl Rücksprache nehmen, aber ich fürchte, er wird in politischen Dingen nicht auf mich hören.«

»O Majestät – wenn mich der Kaiser selbst empfangen würde – ich habe auch ein Schreiben des Feldmarschalls Tilly, der gleichfalls für Humprecht bittet und ihn der Gnade Seiner Majestät empfiehlt.«

»Tilly?« fragte die Kaiserin. »Da hast du einen vielvermögenden Fürsprecher. Gieb mir das Schreiben, ich werde es dem Kaiser übergeben. Warte im Vorzimmer und sei versichert, was ich vermag, das soll geschehen.«

Sie entfernte sich dann.

Libussa trat in das Vorzimmer, wo sie sich auf einen Stuhl niederließ und in furchtbarer Aufregung das Ergebnis des Besuches der Kaiserin bei ihrem Gemahl abwartete.

265 Nach einer halben Stunde, die ihr wie eine Ewigkeit erschien, kam ein Lakai und beschied sie zum Kaiser. Wenige Augenblicke später stand Libussa dem Monarchen gegenüber. Er kam ihr mit ungemein freundlichem Lächeln entgegen.

»Libussa!« rief er. »Bist du's denn?«

»Majestät,« versetzte das Mädchen, den Kaiser mit den großen, dunklen Augen anblickend. Er war in den drei Jahren, seit sie ihn zum erstenmale gesehen, sichtlich gealtert, sein Haar war bereits reichlich mit Grau untermischt und zwischen seinen Augenbrauen zeigten sich tiefeingreifende, einer Vogelklaue ähnliche Falten.

»Dein Erscheinen, Libussa, es ist mir wie ein wärmender Sonnenstrahl in düsterer Winterszeit. Ich habe oft deiner gedacht. Es giebt Gegenden, wie Menschen, die uns auf den ersten Blick gefangen nehmen und deren wir fortan mit warmen Herzen gedenken. Ich sah in dir stets die schöne Sängerin. Aber was muß ich hören, du möchtest die Lyra mit der Freiherrnkrone tauschen? Würdig, ja, würdig wärst du, eine noch höhere zu tragen, aber daß gerade dieser Hracin es sein muß, der –«

»Majestät, Gnade für ihn!« rief Libussa, sich auf die Knie niederlassend und die Hände zu ihm erhebend.

Der Kaiser erfaßte ihre Hand und indem er sie aufhob, drückte er ihr einen Kuß auf die Stirne.

»Steh auf Libussa,« sprach er gütig. »Die Erinnerung an eine schöne Stunde ist die beste Fürbitterin. Du verlangst zwar viel, denn ich lade den Schein der Parteilichkeit auf mich, wenn ich nicht gleiches Recht für alle anwende. Indessen, die Gnade ist ja ein Vorrecht des Herrschers.«

266 »Majestät, ich darf also hoffen? Mein Verlobter wird nicht sterben?«

Libussa sprach dies mit leuchtenden Augen.

»Du liebst ihn also recht sehr, diesen Humprecht Hracin?«

»O gewiß – über alles! Nicht weil er ein Edelmann ist, o nein. Ich liebte ihn, als er sich gab als niederer Jägersmann. Als er verwundet zu mir kam, da hab ich ihn gepflegt, viele Wochen lang, und habe gekämpft mit dem Tod, der ihn mir entreißen wollte. Ich habe meinem Humprecht das Leben erhalten, aber nicht dazu, daß man es ihm wieder nimmt. Da müßte er ja meiner Sorgfalt fluchen. Ich habe ihn für mich gerettet, nicht für den Henker. O Majestät, schenkt mir sein Leben!«

Der Kaiser lächelte. Er schien mit Wohlgefallen den klangvoll gesprochenen Worten des Mädchens zu lauschen.

»Und ist er denn deiner wert?«

»Er – meiner? Der schöne, gute, tapfere Mann! Haben Eure Majestät nicht gelesen, was der Herr Feldmarschall Tilly geschrieben?«

»Den Tilly hast du in seinen alten Tagen auch noch mit deinen schönen Augen gefangen?« lachte der Kaiser.

»O, Majestät scherzen. Meine Augen, ich habe sie nur noch zum weinen, wenn Humprecht verloren ist.«

»Erhalte sie dir, liebes Mädchen. Du sollst dich nicht umsonst an mich gewendet haben,« sprach der Kaiser. Er drückte auf eine Glocke. Der Thürsteher erschien. Der Kaiser befahl, daß der Geheimschreiber sofort bei ihm zu erscheinen habe.

Libussa glaubte zu träumen. So hatte sie also den Geliebten gerettet! Jetzt konnte sie nicht länger mehr an 267 sich halten. Ein Strom von Thränen entstürzte ihren Augen, indem sie dem Kaiser die Hände küßte.

Der Kaiser lehnte der Weinenden Haupt an seine Brust und indem er ihr sanft mit der Hand über das Haar strich, sagte er tröstend:

»Beruhige dich, Kind. Komme wieder an der Seite deines Gemahls zu mir. Das Leben ist ihm geschenkt. Mehr zu thun, vermag ich nicht. Aber ich werde ihm Gelegenheit geben, sich mir ebenso treu zu zeigen, wie er der mir feindlichen Sache gedient. Und du sollst mir dann deine schöne Lieder vorsingen, die mich so heiter stimmen.«

Der Geheimschreiber erschien. Der Kaiser befahl ihm, ohne Verzug ein Dekret zu fertigen, nach welchem der Freiherr Humprecht von Hracin die Freiheit erhalte. Doch sei die Konfiskation seines Gutes aufrecht zu erhalten.

»Zweimal ausfertigen und mir sofort zur Unterschrift vorlegen,« befahl der Kaiser. »Mit dem einen Dekret soll ein Extrakourier unverzüglich nach Prag reiten und dasselbe dem Statthalter übergeben; das zweite wird durch andere Hand besorgt.«

Der Geheimschreiber entfernte sich.

In diesem Augenblicke wurde der Beichtvater des Kaisers, Pater Lamormain, gemeldet.

»Er sei willkommen!« sagte der Kaiser. Dann wendete er sich zu Libussa.

»Leb wohl, mein Kind!« sprach er. »Der Herr segne dein Werk! Im Vorzimmer der Kaiserin wird dir das Dekret ausgehändigt werden. Übermorgen früh 5 Uhr muß der Statthalter das Begnadigungsdekret in Händen haben. Reise mit Gott!«

268 Libussa küßte nochmals innig des Kaisers Hand, indem sie sagte: »Der Himmel lohne es Eurer Majestät!«

Pater Lamormain war eingetreten. Er warf dem sich entfernenden Mädchen einen vielsagenden, vorwurfsvollen Blick zu. – Libussa streifte diesen Blick nur flüchtig. Sie gedachte seiner Warnung in Seewiesen und eiligen Fußes verließ sie das Kabinett.

Im Vorzimmer der Kaiserin traf sie wieder mit Stanislaus zusammen, der dort auf ihre Rückkehr gewartet hatte. Die Ankunft Libussas wurde der Kaiserin sofort gemeldet. Es währte nicht lange, kam der Geheimschreiber und übergab ihr im Auftrage seiner Majestät das Dekret.

Libussa drückte es voll Jubel an ihre Lippen.

Gleich darauf ward sie nochmals zur Kaiserin gerufen.

269 »Nun, Libussa, ist es recht geworden?« fragte diese, da sie die Dankesthränen in den Augen des Mädchens sah.

»O hohe Frau – wüßte ich Worte – wäre mein Dank nicht unaussprechlich. – –«

»So kehre getröstet heim und gedenke deiner Kaiserin auch in den Tagen des Glücks, in welchen du diese Kette tragen sollst!«

Mit diesen Worten nahm sie eine Perlenkette ab und schlang sie um Libussas Hals.

»O Majestät, diese himmlische Gnade,« rief das Mädchen.

»Es ist nur eine irdische, mein Kind,« entgegnete die Kaiserin lächelnd. »Halte dir dein Herz rein, wie bisher, und der Himmel wird mit dir sein. Leb wohl!«

Sie reichte Libussa die Hand zum Kusse dar. Das Mädchen war so überwältigt von der Gnade der Majestäten, daß es nicht mehr zu sprechen vermochte. Unter heißen Dankesthränen verließ sie die Kaiserin.

Eine halbe Stunde später waren die Geschwister auf der Heimreise begriffen. Übermorgen früh fünf Uhr mußten sie in Prag sein. Der Kutscher hielt dies kaum für möglich. Doch er hatte Tillys strikten Befehl, die Reise nach Möglichkeit zu beschleunigen. Da gab es keine Widerrede und in rasender Eile ging es dahin. Libussa war geistig dem Fuhrwerk weit voran, sie dachte in fieberhafter Erregung nur an das Ziel, an Prag, an Humprecht. 270


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