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Man ist sich heute in England ganz klar darüber, daß die Frauenstimmrechtsbewegung, so wie die Suffragettes sie treiben – eine religiöse Bewegung ist; ihr Ziel ist eine reinere bessere Welt, Gerechtigkeit für die Enterbten; ihre Mittel Selbstaufopferung, selbstlose Hingabe an das Ziel, warme Liebe für die Mühseligen und Beladenen, Nächstenliebe und zwar praktische. Aus tiefster Seele der Edelsten, der in Wasser und Feuer getauften Idealisten, kommt dieser Strom selbstloser Güte, und ein Teil der Geistlichen, ein Teil der Christen wenigstens erkennt im Geist der Suffragettes den Geist des Herrn.
In einer Legende wird Christus gefragt: Warst du nicht schon auf Erden in Frauengestalt? Ja, antwortete er, aber die Wege sind noch zu steinig für die Füße der Frau. – Die Wege sind seitdem etwas leichter geworden, und die Füße der Frau stärker. Nun ist die Zeit gekommen, daß sie sich selbst erlöst: »who will be free themselves must strike the blow.« Und die Geschichte öffnet ihnen in England ihre Tore.
Am Vorabend jeder Deputation, jedes großen Ereignisses der W. S. P. U. haben eine Anzahl Geistliche zu den Suffragettes, die Gesundheit und Leben aufs Spiel setzen gingen, gesprochen, ihnen das Abendmahl gegeben. In den Kirchen ist für sie gebetet worden. Der »Christian Commonwealth« ist feurig für sie eingetreten; die Church League for Women's Suffrage, die Church Socialists u. a. m. haben für sie und gegen die Zwangsernährung manifestiert; Geistliche, die die Methoden nicht billigten, haben wenigstens die Reinheit der Absicht die Stärke der Überzeugung anerkannt. Votes for Women, 29. 3. 1912: Reverend R. J. Campbell im City Temple; 17. 3. 1912. Die englischen Sekten streichen das Wort »obey« (gehorchen) heute aus der Trauformel, Die Hochkirche hat noch eine Mehrheit dagegen. junge Geistliche empfinden das Schweigen in dieser Sache als eine Schmach der Kirche und sprechen, »um ihr ihre Ehre zu retten«. So Reverend F. M. Green, Vikar von St. Markus, Tollington Park, London, am 22. 4. 1912: Votes for Women, 3. 5. 1912.
Ich stehe hier, weil ich der Kirche ihre Ehre retten will. Bitter und demütigend ist mirs gewesen, daß man so allgemein die Kirche für ein Hindernis auf dem Wege des Fortschritts hält. In den Annalen Ihrer Bewegung ist für meinen Namen kein Platz, ich hege aber die Zuversicht, daß in Ihren Herzen und in denen derer, die nach Ihnen kommen werden, die Erinnerung wach bleiben wird, daß in der Zeit der Not, als Freunde noch Wert hatten, ein Teil der Geistlichkeit, dessen unbekannter Vertreter ich bin, bereit war, ja froh und stolz, Ihre Sache zu der seinen zu machen.
Ich stehe auch hier, weil mir die Sache Christi am Herzen liegt, weil Ihr Kampf mir der größte, der alles überragende Kampf der Zeit erscheint. »Ein rein politischer«, sagen meine Freunde. »Ein absolut religiöser«, antworte ich. Bedenkt, was der Sieg dieser Sache bedeutet, welch ein Schlag gegen den schändlichen Grundsatz: Gewalt ist Recht, diese teuflische Lehre, der die Frauenstimmrechtsgegner das Leben verlängern möchten. Gewalt ist niemals Recht, Gewalt ist oft schändlichstes Unrecht. Vor Ihren Augen aber steht das Ideal der Gerechtigkeit auf allen Gebieten des Lebens.
Wie wird Ihr Sieg die Frau von allen künstlichen Beschränkungen freimachen. Der große kategorische Imperativ der Philosophie lautet: Ich soll, also kann ich. Ich kann, also soll ich, ist eine nicht weniger logische Folgerung. Gottes Gebot für die Frau, ihren Gaben entsprechend, lautet meist: Du sollst. Des Mannes Gebot für die Frau aber ist meist eine Beschränkung: Du sollst nicht. Schon sind viele Schranken gefallen. Die volle Befreiung der Frau, ein herrlich Ding für sie selbst, ist aber noch herrlicher für den Mann. Denn wir führen keinen Krieg der Geschlechter gegeneinander. Es ist eine gemeinsame Sache, die wir verfechten. Glaubt mir, Ihr Frauen, in den dunklen Zeiten, die endgültig hinter uns liegen, war Eures doch das bessere Teil. Euer war das Leid, unser aber die Sünde und Schmach. Ich bedaure den Sklaven, in meinen Stunden tiefer Einsicht aber noch viel mehr den Herrn.
Ich habe hier nicht von den Resultaten zu sprechen, die sich mit Sicherheit aus diesem politischen Frauenstimmrecht ergeben werden ... Wenn man mir aber sagt, daß ich als Geistlicher mich von politischen Fragen fern halten muß, so antworte ich bescheiden, aber fest: Das hat mich Christus nicht gelehrt.
Ich bin hierher gekommen, um gleiches Recht für die gefangenen Frauen zu fordern. Zu anstößig geht man mit ihnen um. Ich bin gewiß nicht der Ansicht, daß Eigentum straflos zerstört werden darf. Gewiß nicht. Ich sage aber: wenn Frauen von hoher Sittlichkeit aus politischen Gründen Eigentum beschädigen, sie dann als gemeine Verbrecher behandeln, ist unmenschlich, ungerecht, barbarisch, eine Schmach aller Männlichkeit. Ich fühle dies als einen Makel auf meinem Geschlecht.
Ich komme zu dem letzten Antrieb, der mich hergeführt, der ernsteste von allen: ich habe Furcht. Ich weiß, man wird sagen: ich reize Sie auf. Das ist falsch. Es gibt genug andere, die das besorgen. Ein Ministerpräsident, der falsches Spiel treibt, ein Finanzminister, der es nicht anders macht, ein anderer ehrlicherer, wenn auch nicht gerade einsichtigerer Minister (an Einsicht sind alle nicht groß), der Ihnen sagt, daß nur Sachbeschädigungen großen Stils der Regierung als Beweis nationaler Forderungen gelten. Sie werden aufgereizt durch ehrenwerte Volksvertreter, die sich zu Ihren Forderungen bekennen, sie aber im kritischen Augenblick fallen lassen, aufgereizt durch einen großen Arzt (Sir Almroth Wright), der, in Gottes Wage gewogen, sicher als ein sehr kleiner Mensch befunden wird. Er hat in einem einzigen Brief der »Times« mehr Schmutz und Unwahrheit berichtet, als ich dies große Blatt bereit geglaubt, in seiner ganzen Existenz zu veröffentlichen. Aufgereizt werden Sie endlich durch achtungswerte Bürger, die wohl zugeben, Ihre Forderung sei gerecht, aber keinen Finger rühren, sie zu verwirklichen.
Ich stehe nicht hier, Sie aufzureizen, ich stehe hier, um zu beschwören. – Nicht durch Worte. Die Zeit der Worte ist vorbei. Sie fordern Taten. Ich gebe sie. Es sind bescheidene Taten, und doch das Beste, was ich geben kann. Ich stehe hier und verspreche in Zukunft, wie ich es bisher getan, Ihre Sache über alle andern zu stellen. So sehr mir die britische Reichseinheit am Herzen liegt und die Sache der kirchlichen Erziehung und das Bestehen einer Staatskirche als Träger nationalen religiösen Lebens, stelle ich dennoch Ihre Sache über alle anderen. Und diese Art Beweis verstehen Sie, dem sind Sie zugänglich. Sie haben keine ungesunde Freude an Schaufenstereinschlagen; Sie sehnen sich nicht nach dem Leben in Gefängnismauern, nicht nach den Qualen der Strafzelle, der namenlosen Marter künstlicher Ernährung. Lasse jeder Mann, der ein Freund der Ordnung ist – wie ich es bin – und der Ihre Sache für gerecht hält, seine Überzeugung praktisch betätigen, und ich stehe dafür, der Hammer der Suffragettes verschwindet auf immer.
Wird Ihnen aber solcher Beweis nicht gegeben, nicht so zahlreich, daß er die Regierung zur Beachtung zwingt, verhärtet die Regierung ihr Herz, läßt sie sich die zerbrochenen Fensterscheiben nicht zur Lehre dienen, soll mit einem Wort, das Reich der Unterdrückung und des falschen Spiels weiter dauern, was wird dann geschehen? Es ist die Furcht vor dem, was dann geschieht, die mich heute hierher treibt, eine Furcht, die mich verfolgt, wenn ich mein Tagewerk erledige, eine Furcht, die alle persönliche Angst vertreibt und die Zaghaften kühn macht. Ich will es klar aussprechen. Diese Furcht entspringt aus keinem Wissen, unmittelbaren oder mittelbaren, um die Absichten Ihres Verbandes, mir fehlt solch Wissen, ich sitze nicht in Ihrem Rat. Es kommt mir aber aus der Kenntnis dessen, was Sie bereits getan und was Sie bereits gelitten.
Ich setze meine einzige Hoffnung in die gesunde Einsicht des Verbandes, den zügelnden Einfluß seiner Leiter. Ich richte aber meine feierliche Warnung an die Regierung: sie rennt auf die Klippen zu (deshalb muß auch der geringste Passagier sie warnen) und hat ein gänzlich falsches Urteil über die Sachlage. Ich weiß, Herr Mac Kenna rühmt sich, daß er die Bewegung unterdrücken wird. Ich glaube nicht, daß er es kann, jedenfalls nicht, so wie er glaubt. Der Staat hat nur ein Mittel gegen Unruhen, die durch Ungerechtigkeit entstehen: er muß die Ungerechtigkeit aufheben. Jedes andere Mittel, fürchte ich – und die Geschichte gibt mir recht – kann das Übel nur verschlimmern. Wendet die Regierung das Heilmittel an, so wird alles gut. Hält sie aber an ihrer törichten und unsittlichen Brutalität fest, beraubt sie Sie Ihrer Führer für Monate, für Jahre (Rufe: Nein, nein!), wird Ihre Überzeugung im Feuer der Trübsal gestählt, Ihre Zuversicht zu Bitterkeit, Ihre Hoffnung zu Verzweiflung, dann muß, vor Menschen wie vor Gott, die Regierung das verantworten. Ich wenigstens habe meine Pflicht getan und meine Seele befreit. –