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Wer sind die Suffragettes?

Es sind Freiheitskämpfer; der Name »Suffragettes« war anfänglich ein Spottname, wie etwa der der »Geusen« für jene niederländischen Edelleute, die ihr Vaterland von spanischer Zwingherrschaft befreien wollten. – Die Welt kennt Suffragettes seit 1905. Vorher kannte sie nur Suffragists. Was bedeuten der eine wie der andere Name?

Ich lasse hier das Wort dem gelehrten Dr. Georg Aenotheus Koch: »suffragium (sub und frango) ein abgebrochenes Stückchen, Scherbe, auf denen die Alten in Volksversammlungen ihre Stimme abgaben, Stimmtafel, daher Stimme, Votum der Bürger in den Komitien oder der Richter bei Verurteilung oder Lossprechung.«

Das Wort bezeichnet im Englischen (und Französischen) heute das politische Stimmrecht. »Suffragists« sind die friedlichen Stimmrechtler, Männer und Frauen, die das politische Frauenstimmrecht in Petitionen, Reden, Vereinen und Versammlungen fordern. »Suffragettes« sind die kämpfenden Stimmrechtler, vorwiegend Frauen, jedoch auch eine Anzahl Männer, die, weil ihr Zweck durch jene friedlichen, verfassungsmäßigen Mittel nicht erreicht ward, zur Gewalt griffen, oder richtiger durch ihre unbeugsame Rechtsforderung die Gewalten des Bestehenden gegen sich herausforderten.

Sub und frango heißt buchstäblich: ich zerbreche. Suffragists und Suffragettes wären also im Grunde Zerbrecher. In Suffrag ette erhält das Wort durch die Endsilbe, die eine Verkleinerung bedeutet, etwas Spöttisch-Verächtliches. Das war auch beabsichtigt. Der Erfinder des Namens, der wahrscheinlich an die Etymologie des Wortes gar nicht dachte, packte die Sache instinktiv am richtigen Ende: die Suffragettes mit ihrem bischen Gewalt waren ihm spaßhaft, lächerlich, im Großen konnten sie ja doch nichts vernichten; ja, wenn sie die Gewalt der Männergewerkschaften hinter sich hätten, die Fäuste der Arbeitslosen, die Wucht des bewaffneten Aufstandes, wie er in Ulster gährt, dann würde man sie ernst nehmen, aber so? Es sind ja nur Frauen, und die können ja von der Gewalt nichts erhoffen. So entstand der Name »Suffragettes« Er wird zuerst Anfang 1906 in der Daily Mail (London) gebraucht..

 

Warum denn aber überhaupt Gewalt brauchen? Läßt sich das Frauenstimmrecht in Großbritannien denn nicht gütlich durchsetzen?

Nein, das ist nicht möglich. Seit 1866 und länger wirkt die englische Frauenstimmrechtsbewegung mit friedlichen, weiblichen Mitteln (constitutional, ladylike methods). Sie kam dadurch zu einem völligen Stillstand, auf den toten Punkt.

Den toten Punkt überwanden, seit 1903 im kleinen, seit 1905 im großen, die Suffragettes durch gewaltsame, »unweibliche« Methoden. – Das machte sie mit einem Schlage weltberühmt, denn es war »eine Sensation«, und die Presse braucht Sensationen.

 

Wer sind denn nun diese »wilden Weiber«, diese »rabiaten Weiber«, diese »hysterischen Weiber«, diese »heulenden Derwische«?

Es ist nicht der britische Landesverein für Frauenstimmrecht. (Vorsitzende Mrs. Fawcett, Dr. jur.) Diese National Union of Woman Suffrage Societies, die älteste von allen Frauenstimmrechtsorganisationen Englands, lehnt jede Gewalt ab.

Es ist in gewissem Maße die National Women's Freedom League (Vorsitzende Mrs. Despard, Schwester des Burengenerals French), die in bestimmten Augenblicken zur Gewalt gegriffen hat.

Es ist vor allem die National Women's Social and Political Union, der Soziale und Politische Landesfrauenverband, W. S. P. U., der den Widerstand der Regierung mit Gewalt zu brechen sucht, und der als erster diesen Weg beschritt. Er ist der eigentliche Träger dieses Kampfes, und die W. S. P. U. die eigentliche »schlagende Verbindung«.

Die W. S. P. U. wurde Oktober 1903 von Mrs. Pankhurst in Manchester gegründet und 1906 nach London, der Landeshauptstadt, dem Sitz des Parlaments, übertragen. Dort fand sie die Unterstützung von Mr. und Mrs. Pethick Lawrence, die seit Oktober 1907 der W. S. P. U. die Herausgabe einer Zeitschrift »Votes for Women« (der Frau das Wahlrecht) ermöglichten.

Der Vorstand der W. S. P. U. besteht aus Mrs. Emmeline Pankhurst, Vorsitzende, Mrs. Emmeline Pethick Lawrence, Schatzmeisterin, Miss Christabel Pankhurst und Mrs. Mabel Tuke, Schriftführerinnen.

Zwei der Führer, die beiden »Emmeline«, sind augenblicklich (Juni 1912) im Gefängnis. Nicht zum erstenmal. Christabel Pankhurst ist unter Anklage, der Arm der Gerechtigkeit vermag sie aber nicht zu erreichen: sie ist spurlos verschwunden, seit Wochen, seit Monaten. Wer versteckt sie? Wer bewahrt ihr Geheimnis? Frauen, Frauen.

Wer ist nun Mrs. Pankhurst?

Eine Frau der gebildeten englischen Bürgerkreise, die Witwe eines angesehenen Anwalts aus Manchester. Ihr Mädchenname ist Emmeline Goulden, sie wurde 1858 geboren, in politischen Interessen wuchs sie auf, las ihrem Vater die Zeitung vor und besuchte schon in ihrer Jugend mit ihrer Mutter eine Frauenstimmrechtsversammlung. In Paris, das sie als junge Pensionärin kennen lernte, begeisterte sie sich für die Republik und entdeckte mit Stolz, daß der 14. Juli, ihr Geburtstag, der Tag des Bastillensturms sei. Mit 17 Jahren half sie ihrer Mutter bei der Erziehung von 8 jüngeren Geschwistern, und mit 21 Jahren (1879) heiratete sie Dr. jur. Richard Marsden Pankhurst aus Manchester. Er war beträchtlich älter als sie und ein langjähriger Frauenstimmrechtler. Er hatte 1868 die Frauen verteidigt, die es versucht, auf Grund des soeben erlassenen Gesetzes politisch zu stimmen; er hatte 1870 an dem ersten Gesetzentwurf für Frauenstimmrecht mitgearbeitet; er tat das gleiche bei dem Gesetzentwurf für eheliche Gütertrennung (1870 und 1883). 1889 war bereits die ganze Familie, Vater, Mutter und die beiden kleinen Mädchen, Christabel und Sylvia, bei der Stimmrechtsarbeit. Die Pankhursts machten alle Stadien durch: sie suchten Freiheit und Gerechtigkeit für die Frau bei den Suffragists, bei den Liberalen und endlich 1894 bei der Independent Labour Party, den englischen Sozialisten, wo Männer und Frauen die gleichen Rechte hatten. In demselben Jahre (die Familie lebte jetzt in Manchester) wurde Mrs. Pankhurst städtischer Armenpfleger, später arbeitete sie als Standesbeamter, Registrar of Births and Deaths, d. h. sie hatte die amtlichen Formalitäten bei Meldung von Geburt und Tod zu erfüllen, dann wurde sie Mitglied der städtischen Schulkommission. In öffentlichen Ehrenämtern erwarb Mrs. Pankhurst eine gründliche und leidvolle Kenntnis des »Blumendaseins« der Frauen ihres Landes. Sie sah die Realitäten des Lebens, die hinter den Phrasen und Kulissen liegen. Mitleid ergriff sie und Grausen. Sie sagte sich: hier kann nur das Gesetz Hilfe bringen, aber das Gesetz, das von der Frau mitbestimmt wird. Aus diesem Jammer hilft uns nur das Frauenstimmrecht. – Im Jahre 1898 aber hatte sie ihren treuen und verständnisvollen Gefährten, Dr. Pankhurst, verloren. Der tiefe Gram und der Anblick schwerer sozialer Not lasteten auf der Mutter, und das Ende der neunziger Jahre brachte auch den Stillstand der friedlichen Frauenstimmrechtsbewegung.

Da kam frischer Wind in die Segel. Christabel Pankhurst nahm die Sache mit Jugendkraft und jugendlichem Feuer auf und belebte bald ihrer Mutter Mut. Da die Pankhursts als Mitglieder der Independent Labour Party mit Arbeiterführern, z. B. Mr. Keir Hardie, und Arbeiterkreisen in Verbindung standen, nahm Christabel Pankhurst an der Stimmrechtsarbeit unter den Textilarbeiterinnen Manchesters teil. Dann machte sie es zu ihrer besonderen Aufgabe, in Männergewerkschaften über Frauenstimmrecht zu sprechen. Sie war damals (1901) 21 Jahre alt, studierte Jura und ist heute LL. D. (Dr. jur.). Der Anwaltsberuf ist ihr als Frau aber verschlossen. Ihre großen Fähigkeiten: Logik, Klarheit, Dialektik, Sachkenntnis hat sie bei allen großen Gerichtsverhandlungen der W. S. P. U. und als Verfasser der politischen Leitartikel in Votes for Women bewiesen. Die Mitglieder des Verbandes hängen mit unverbrüchlicher Liebe an ihr (»fanatical loyalty« nennen es die Gegner), und die Massen sind durch ihre strahlende Jugend, ihre heitere Schlagfertigkeit ganz bezaubert. – Sie hat zwei jüngere Schwestern, Sylvia und Adela, Sylvia ist Künstlerin. Ihr Bruder, Harry Pankhurst, starb jung (1910), nachdem er Mutter und Schwestern nach Kräften in ihrem Kampf unterstützt. So stellt sich die Familie Pankhurst einmütig in den Dienst der Sache. Auch Mrs. Pankhursts Schwester, Mrs. Clarke, hat das Ihre getan: sie erlag 1910 den Folgen ihrer Gefangenschaft in Holloway.

Die Wege der W. S. P. U. wurden geebnet durch Mr. und Mrs. Pethick Lawrence. Sie brachten den nervus rerum, das Geld. Die Familie Pankhurst besaß eine nur bescheidene materielle Unabhängigkeit, das Ehepaar Pethick Lawrence hingegen reiche Mittel. – Mrs. Lawrence, heute die Schatzmeisterin der W. S. P. U., kam, gewonnen durch den neuen Geist, der diese Frauenstimmrechtlerinnen erfüllte, den Geist der großen Führer und Märtyrer, den Geist unbeugsamen Entschlusses und völliger Selbstverleugnung. Sie war aus einer Familie, die in Cornwallis wurzelt und hat den dunklen, beweglichen Typus jener Landschaft, während ihr Mann den blonden, geradlinig festen Typus darstellt. Beide sind von ausdauernd zähem Willen.

Vielfältig ausgebildet, wurde Emmeline Pethick schon in ihrer Jugend von dem Leid der Welt, besonders dem Leid der Frau, ergriffen: Hetty Sorrell und Gretchen im Faust ergriffen sie als tragische Gestalten, und sie beschloß, ihr Leben in den Dienst der Armen und Ärmsten zu stellen, d. h. im Ostende Londons zu arbeiten. Zu einer Zeit, in der das reiche Mädchen sonst »sein Leben genießt«, wurde sie in der West London Mission »Schwester Emmeline«, sammelte reiche soziale Erfahrung im Tag- und Nachtleben der großen Stadt, sah die Tiefen des Arbeiterdaseins, lebte jahrelang unter Londoner Handwerkern und nahm sich besonders der jungen Arbeiterinnen an. Auch sie hat gelernt, was mit dem Schlagwort: »die Frau gehört ins Haus« verhüllt und nicht gelöst wird, auch sie hat gelernt, und es ist in ihre Seele gebrannt, daß die Prostitution in fast alle Frauenberufe hineingreift, auch sie weiß, daß die Ritterlichkeit an der Tür des Salons aufhört, und daß 9/10 aller Frauen außerhalb des Salons leben. Im Jahre 1901 heiratete sie Mr. Frederick Lawrence, von dem noch gesprochen wird.

Mrs. Tuke, die zweite Schriftführerin der W. S. P. U., ist eine zarte, feine, glückliche, verwöhnte junge Frau, Künstlerin (Musik und Malerei), den Sorgen des Lebens entrückt. Wie den beiden »Emmeline« war auch ihr das Leben freundlich, sie hat nach landläufigem Begriff »nichts zu wünschen«. Aber sie ist unzufrieden, sie wünscht noch. Was? Das Leid der Welt zu lindern, indem sie es auf ihre zarten Schultern nimmt. Seltsame Frauen, denen es nicht genügt, die eignen Füße behaglich am eignen Herd zu wärmen.

Ich sagte schon, daß Mr. Pethick Lawrence aus Cornwallis gebürtig. Als Mann kann er nicht Mitglied der W. S. P. U. sein, als Mann hat er an den Demonstrationen des Verbandes nie Teil genommen, »denn ich bin Wähler und habe verfassungsmäßige Mittel, meiner Unzufriedenheit Ausdruck zu geben«. Mr. Lawrence ist daher auch kein Vorstandsmitglied der W. S. P. U., wohl aber der Gründer und Herausgeber (Founder and Editor) des Stimmrechtsblatts: Votes for Women. Drei seiner Vorfahren waren Oberbürgermeister (Lord Mayor) von London. Er selbst, 1871 geboren, erhielt seine Erziehung in Eton, dem großen Knabeninternat, und auf der Universität Cambridge. Hauptsächlich mit Mathematik und Naturwissenschaften beschäftigt, war er ein glänzender, oftmals preisgekrönter Schüler und Student. Er wandte sich dann den Rechts- und Staatswissenschaften zu, gewann auch dafür Preise und Stipendien, reiste im Ausland (Australien, Vereinigte Staaten, China, Japan), ging dann in London in soziale Arbeit (Mansfield House, ein Settlement in Canning Town), wurde 1899 Advokat (häufig als Armenanwalt), 1900 wurde ihm eine parlamentarische Kandidatur angeboten, die er aber ablehnte, weil er die südafrikanische Frage anders beurteilte, und 1901 verheiratete er sich mit Emmeline Pethick. Auf verschiedenen Wegen waren beide zu dem gleichen Punkt gelangt: den Mühseligen und Beladenen muß geholfen werden. So gehörten zu ihren Hochzeitsgästen denn ihre Schützlinge und Freunde aus Mansfield House, aus dem Espéranceclub der Arbeiterinnen und aus dem Arbeitshaus von St. Marylebone 50 alte Frauen. Kurze Zeit nach der Heirat nahm Mr. Lawrence den Doppelnamen Pethick Lawrence an. Beide taten nun ihre soziale Arbeit zusammen. Mr. Pethick Lawrence wurde Hauptaktionär des »Echo«, eines freisinnigen Londoner Blattes, das er nach vier Jahren als nicht rentabel aufgab. Nachdem er mehrfach Parlamentskandidaturen abgelehnt, besuchten er und Mrs. Pethick Lawrence Südafrika, dort hörten sie 1905 von Annie Kenneys und Christabel Pankhursts Vorgehen in Manchester, der ersten Tat der ersten Suffragettes. 1906 bei ihrer Heimkehr nahmen sie die erste Gelegenheit wahr, Mrs. Pankhurst zu sehen, zu hören und zu sprechen. Damit war die Zukunft der W. S. P. U. entschieden.

Um dem Kampf der Frauen große Formen, eine breite Basis, einen stets bereiten Berater zu geben, hat Mr. Pethick Lawrence auf eine eigene Laufbahn verzichtet, hat er sich hundert Wege und tausend Möglichkeiten verschlossen. Er ist wohl der erste Mann, der das tat. Aber, wie er in dem Prozeß (Mai 1912) im Central Criminal Court sagte: »Ich sah, daß die Arbeit der W. S. P. U. dadurch erleichtert würde, daß ein Mann zur Hand wäre«, und, fügen wir hinzu, ein Mann des Gesetzes, ein reicher und kenntnisreicher Mann, mit vielen Verbindungen, sozialem Einfluß und unbeugsamer Energie.

Nun, dann ist diese W. S. P. U. ein Verein von Bourgeois, denen es zu gut geht, und die nichts Besseres zu erfinden wissen, als sich und anderen bange zu machen?

O nein, in der W. S. P. U. sind sehr viele, denen es gar nicht gut geht. Jede Art von erwerbenden Frauen, jede Art Berufsfrau.

Auch Arbeiterinnen? Jawohl; ging die W. S. P. U. doch aus Christabel Pankhursts Textilarbeiterinnenkampagne hervor, waren die Begründerinnen, am 10. Oktober 1903, doch fast ausschließlich Arbeiterinnen, ihre ersten Anhänger die Textilarbeiterinnen von York- und Lancashire, war am 13. Oktober 1905 die erste Suffragette doch eine Textilarbeiterin, Annie Kenney. Sie hatte Mrs. Pankhurst zum ersten Male im Juni 1905 gehört, lernte dann Christabel Pankhurst kennen und wurde eng mit ihr befreundet. Annie Kenney gehörte einer Arbeiterfamilie in Oldham an, hatte ihre Mutter die Doppellast der Hausfrauen-, Mutter- und außerhäuslichen Berufspflichten schleppen sehen, war selbst mit 10 Jahren auf Halbtagschicht in die Baumwollspinnerei geschickt, die übrige Zeit gehörte – der Schul- und Hausarbeit. Mit 13 Jahren war die Schule zu Ende; sie arbeitete nun von 6 Uhr morgens bis 6 Uhr abends in der Fabrik, und Hausarbeit gab es dann hinterher. Solche Frauen kann man nur schwer von dem »Blumendasein des Weibes« überzeugen. Und Annie Kenneys große blaue Augen blickten immer angstvoller und tiefer in die Not der Arbeiterfrau. Daß Spinnereien auch gefährliche Orte sind, wußte sie bereits: eine Maschine hatte ihr, als sie noch Kind, einen Finger verstümmelt.

Gab es aus diesem beengend dumpfen einförmigen Bannkreis kein Entrinnen? O ja, die Fortbildungsschule, abends, wenn man Fabrik- und Hausarbeit erledigt. So konnte Annie Kenney denn mit Recht sagen: »Ich bin unter Arbeitern groß geworden, ich sah das harte Leben der Frauen und Kinder, sah den Unterschied, der bei Arbeit, Lohn, Behandlung und allgemeiner Stellung zwischen Männern und Frauen gemacht ward ... Ich sah, wenn der Mann nach Hause kam, war sein Tagewerk getan, er bekam seinen Tee und ging dann seiner Wege, in den Klub, zum Kricket oder Fußball. Und ich fragte mich, warum das so wäre? Warum war die Mutter der Familienpackesel und nicht des Vaters gleichgestellter Genosse?«

Die Suffragettes gaben Antwort auf die Frage dieser großen blauen Augen. Annie Kenney brachte der W. S. P. U. ein großes Organisations- und Werbetalent.

Ach, dann ist diese W. S. P. U. aber wenig interessant – nur Proletarier –?

O nein, wir haben auch Aristokraten unter den Suffragettes. Sehen Sie nur die Listen der Geber durch und dann – Lady Constance Lytton, die Schwester des Lord Lytton, Pairs von England, ist eine ebenso unzweifelhafte Aristokratin wie echte Suffragette. Sie wurde ein erstes Mal bei einer Demonstration (1909) arretiert, zu Gefängnis verurteilt, aber »auf Grund von Herzschwäche« freigelassen, als die Abscheulichkeit der Zwangsernährung an den anderen Suffragettes verübt ward. Da sie mit Recht annahm, daß diese Schonung weit mehr ihrem Rang als ihrem Herzen galt, ließ sie sich das nächste Mal wieder arretieren; als Arbeiterin gekleidet, gab sie den Namen Jane Wharton, und Jane Wharton wurde der Zwangsernährung unterworfen, die hatte keine Herzschwäche. – Solche Aristokraten sind freilich unbequem und ein Ärgernis. Sie wollen menschenwürdiges Leben für alle. Die Privilegien der eigenen Kaste genügen ihnen nicht. Widerwärtige Egoisten.

Nun, Don Quixotes gibt es in allen Ständen. Es scheint der W. S. P. U. doch an gesundem Menschenverstand und geistigem Gleichgewicht zu fehlen.

Wirklich? Da wollen wir uns einmal Mrs. Drummond ansehen. Ob die nicht in hellem gesunden Menschenverstand den Weg zur W. S. P. U. fand? Sie kam nach Christabel Pankhursts und Annie Kenneys Gefangensetzung. Sie war eine »Insulanerin«, auf der Insel Arran Schottland) geboren und in allen Leibesübungen geschult, Wandern, Schwimmen, Reiten, jede Art Spiel und Sport. Als Mädchen (sie hieß damals Flora Gibson) bereitete sie sich für die Postkarriere vor, was, da ihre Mutter Witwe und die Gibsons in bescheidenen Verhältnissen waren, große Opfer bedeutete. Sie hatte die nötigen Prüfungen als Posthalterin (Post Mistreß) bestanden, da schrieb der Postminister für Posthalter beider Geschlechter die gleiche Körperhöhe, von 5 Fuß 2 Zoll, vor. Flora Gibson war nur 5 Fuß 1 Zoll, und der mühsam erworbene Anspruch ging ihr verloren. Sie machte die Nutzanwendung dieser Erfahrung. Mrs. Drummond (sie heiratete einen Tapeziergehilfen und half durch Maschinenschreiben »mit verdienen«) hat in den ersten schmalen Zeiten der W. S. P. U. ihre frische Kraft in den Dienst vor allem der Organisation gestellt, sie war bald »General Drummond« und hat zu Pferde die Riesenumzüge der W. S. P. U. geleitet.

Die W. S. P. U. wird unterstützt von den Schriftstellerinnen des Landes, die eine Writers' League for Woman Suffrage gebildet haben, von den Schauspielerinnen, die eine Actresses Franchise League gründeten, von den Akademikerinnen, z. B. Dr. Garrett Anderson, einer der ersten englischen Ärztinnen, von Dr. Ethel Smyth, der bekannten Komponistin, von Malerinnen und Bildhauerinnen, von Direktorinnen und Lehrerinnen, von Krankenpflegerinnen und kaufmännischen Angestellten, von Dienstmädchen und Arbeiterinnen. Die Kirche tritt sehr kräftig für sie ein, die Frauen der englischen Kolonien und der angelsächsischen Schwesterländer bringen ihre Sympathie und Unterstützung, gleichfalls Parlamentarier, Soziologen, Ärzte, Juristen, Professoren, Gewerbetreibende, Handwerker, Arbeiter, Chauffeure, Kutscher, ja die Polizei, die sie arretieren muß. Die Suffragettebewegung ist eine tiefe Volksbewegung und die Suffragettes der höchste Adel unsrer Zeit. Die sittliche Aristokratie der Menschheit gewann von jeher ihren Adelsbrief im Kampfe gegen Unrecht und Ungerechtigkeit, in Kerkern, auf Scheiterhaufen und Schaffotten, am Kreuz. Auch das England des 20. Jahrhunderts beweist wieder dieses alte, uralte, wohl ewige Gesetz. Zum erstenmal in der Geschichte aber wird der Kampf für Frauen und fast allein von Frauen gekämpft.

Er bringt eine ganz neue Zeit: die Zeit, die »Menschen« kennen wird, gleichviel ob sie Mann oder Weib Der Sitz der W. S. P. U. ist London. W. C. Strand. 4 Clement's Inn. – Ein Frauenstimmrechtsladen (Bücher, Abzeichen, Briefpapier, Hutnadeln, kunstgewerbliche Artikel, z. T. in den Farben – weiss, grün, lila – ) befindet sich 156 Strand. – Die Mitglieder zahlen keinen festen Jahresbeitrag, sondern 1 Shilling Eintrittsgeld und fühlen sich nun zu dauernden und großen Geld-, Zeit- und Kraftopfern verpflichtet..


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