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Im folgenden nimmt J. Scherr einen Teil seiner Beschuldigungen gegen die Mucker zurück. Er schreibt von dem Buche eines Verteidigers der Angeschuldigten: »Keineswegs hat Herr v. Kanitz mich von der völligen Schuldlosigkeit des Konventikelchefs Ebel überzeugt, wohl aber davon, daß die Muckerei in der Volksphantasie weit größere Dimensionen angenommen hatte, als sie wirklich besaß, und daß Familienränke und bürokratischer Parteigeist die Sache möglichst vergiftet haben. (D. Hrsg.)
Am Ende des Jahrhunderts vom Rokoko, der Aufklärung und der Revolution sprach der Abbé Grégoire im französischen Konvent das berühmte Wahrheitswort: »Die Geschichte der Könige ist die Leidensgeschichte der Völker.« Man hätte vom Anfang bis zum Schlusse dieses vielgestaltigen und vielbewegten Zeitraums sagen können: Die Geschichte der Fürsten ist die Leidensgeschichte der Fürstinnen. Auch für Deutschland war das eine traurige Wahrheit, und wer könnte die Tränen zählen, die den Augen fürstlicher Frauen entflossen, seitdem auch bei uns das Amt einer Mätresse in dem Schematismus des nach dem Muster der Monarchie Ludwigs XIV. vollendeten fürstlichen Absolutismus ein förmlich sanktioniertes Hof- und Staatsamt geworden war. Wie demoralisierend auf die ganze Gesellschaft das schamlose, ja geradezu brutale Mätressensystem wirkte und wirken mußte, ist mehrfach berührt worden. Es bedarf auch keiner weiteren Auseinandersetzung, um klarzumachen, welche herabdrückenden und herabwürdigenden Einflüsse die Metzenwirtschaft auf die fürstliche Frauenwelt üben mußte. Es war nicht allein eine Beschimpfung, nicht nur ein Schmerz, nicht nur eine Verhöhnung, sondern auch ein Sporn zum Bösen, wenn edle und liebenswürdige deutsche Fürstinnen einheimische oder fremde, vornehme oder geringe Buhldirnen, oft von der gemeinsten Sorte, sich vorgezogen sehen mußten. Manche von ihnen, wenn auch nicht gerade edle und liebenswürdige, sind der Macht des verderblichen Beispiels erlegen; andere aber sind über den Schmutz des Jahrhunderts hinweggeschritten, ohne sich auch nur die Fußsohlen zu beflecken.
Denn wie unser eigenes, so ist auch das vorige Jahrhundert, und zwar in noch höherem Maße, an fürstlichen Frauen sehr reich gewesen, die durch persönliche Vorzüge, durch Geist, Charakter oder Schicksale eine vorragende Stellung einnahmen. Viele davon haben durch ihre häuslichen Tugenden wesentlich dazu beigetragen, den im Zeitalter des Rokoko so tief zerrütteten deutschen Familiengeist aufs neue zu beleben und zu kräftigen, an die Stelle einer hohlen und frivolen Galanterie wieder wahre Achtung vor weiblicher Würde zu setzen und auch in die vornehmen Kreise Schamgefühl und Anstand zurückzuführen, jene, wenn auch häufig nur den äußeren Schein wahrende Ehrfurcht vor dem sittlichen Grundgesetz, ohne die weder die einzelnen Menschen noch die Staaten bestehen und dauern können. Andere haben weltgeschichtliche Rollen durchgeführt, sei es mit Glanz und Erfolg, sei es als Opfer von Mißgeschicken voll tragischer Weihe. Von wieder anderen sind, ohne daß sie aus der weiblichen Sphäre herausgetreten, die bedeutendsten und heilsamsten Anregungen für die politische Entwicklung wie für die Kulturbewegung unseres Landes ausgegangen. Vergegenwärtigen wir uns daher im folgenden einige der fürstlichen Frauengestalten, die in einer der angegebenen Richtungen sich hervorgetan haben. Auf eine vollständige Galerie ist es dabei natürlich nicht abgesehen; es handelt sich nur darum, auch diese Seite der Geschichte der deutschen Frauenwelt in Kürze zu beleuchten.
Wie um das »philosophische Jahrhundert« in Deutschland einzuführen, erscheint auf dessen Schwelle die zweite Gemahlin des ersten Königs von Preußen, Sophie Charlotte, eine Prinzessin von Braunschweig-Lüneburg, im Herbst 1684 in Herrenhausen an den etwas verwachsenen Kurfürsten von Brandenburg verheiratet, der 1701 seinen Kurhut mit der Königskrone vertauschte. Sophie Charlotte würde an der Seite dieses Gemahls, der das Wesen königlicher Majestät in einem umständlichen, steifen und kostspieligen Prunk und Pomp suchte – zu dessen Inventarstücken selbstverständlich auch eine Staatsmätresse gehörte –, ein ziemlich unerquickliches Dasein geführt haben, falls ihr lebhafter und reichgebildeter Geist ihr nicht die Mittel geboten hätte, die Langeweile eines Hoflebens zu bannen, in dem die plumpen, ja rohen Überlieferungen mittelalterlicher Courtoisie und die französisch-leichtfertige Mode der Zeit zu einem mitunter ganz absonderlichen Mischmasch sich verbanden. Verherrlichte doch Hoffeste, wobei noch ganz im Stile der Ritterzeit gehaltene, stundenlange Fackeltänze stattfanden, der Herr von Besser mit seinen »amoureusen« Reimen, die den Schönen und Unschönen des Hofes keine Zweideutigkeiten, aber sehr eindeutige Zoten ins Gesicht sagten, über die auch die Kurfürstin und nachmalige Königin Sophie Charlotte sich nicht entsetzte, sondern nur lächelte. Sie war als Braut eine Schönheit, und der »Mercure galant« von 1784 rühmte ihren schlanken Wuchs, ihren reinen Teint, ihren schönen Busen, ihre großen sanften blauen Augen, das Inkarnat ihrer Lippen und die Fülle ihrer schwarzen Haare. Nachdem ihr eheliches Verhältnis erkaltet war, schlug sie ihren Hof in Lützelburg (Charlottenburg) bei Berlin auf, wo sie, fern von dem lästigen Prunk, in dem ihr Gemahl sich gefiel, zwanglose Feste feierte. Ein häufiger Teilnehmer an diesen war der große Leibnitz. Er stand bei Sophie Charlotte hoch in Gnaden. Auf seinen Antrieb setzte sie die Gründung der Berliner Akademie der Wissenschaften bei ihrem Gemahle durch. Die Bildung der Königin ragte über die Fläche der Prinzessinnenbildung von damals weit hinweg. Sie redete vollkommen geläufig die französische, englische und italische Sprache und war auch der lateinischen nicht unkundig. Daneben kannte, liebte und übte sie die Musik. Ihr Wissensdrang war so rastlos, daß Leibnitz sich einst veranlaßt sah, ihr zu sagen: »Es ist gar nicht möglich, Sie zufrieden zu stellen. Sie wollen das Warum des Warum wissen.« Sophie Charlotte verdiente den Ehrentitel der »philosophischen Königin«, der freilich ihrem orthodox-gläubigen Sohne Friedrich Wilhelm I. so wenig gefiel, daß er äußerte: »Meine Frau Mutter war eine kluge Frau, aber eine böse Christin.« Sie starb 1705 mit wahrhaft philosophischer Ruhe und Fassung. Ihr Enkel, Friedrich der Große, erzählt, die Sterbende habe zu einer ihrer Damen gesagt: »Beklagen Sie mich nicht; denn ich gehe jetzt, meine Neugier zu befriedigen über die Urgründe der Dinge, die mir Leibnitz nie hat erklären können, über den Raum, das Unendliche, das Sein und das Nichts, und dem König meinem Gemahl bereite ich das Schauspiel eines Leichenbegängnisses, das ihm eine neue Gelegenheit gibt, seine Pracht darzutun.« Der königliche Autor, den ich soeben angezogen, war, wie jedermann weiß, zwar in seiner Jugend ein großer Liebhaber der Frauen, in späteren Jahren aber nicht eben ihr großer Verehrer. Der berühmte Monarch hatte freilich gar zu mächtige Feindinnen, die ihm von zwei Kaiserthronen herab, sowie aus dem Boudoir hervor, wo die Pompadour den fünfzehnten Ludwig gängelte, sehr viel zu schaffen machten. In Wahrheit, er hatte vollauf Gelegenheit, bitter zu erfahren, was der »Unterrock in der Weltgeschichte« zu bedeuten hatte, und er hatte auch sattsamen Stoff, über »Cotillon I.«, »Cotillon II.« und »Cotillon III.« gepfefferte Sarkasmen ausgehen zu lassen. Im Grunde jedoch mußte er seinen Feindinnen dankbar sein, denn diese verschafften ihm ja Gelegenheit, die Welt mit dem Ruhme seines Namens zu erfüllen. Er war auch keineswegs immer der Zyniker, der in seinen berühmten Marginalresolutionen jeden Anlaß gern ergriff, über die Weiber geringschätzig sich auszulassen. Wie er strenge darauf hielt, daß seiner ungeliebten, getrennt von ihm lebenden Gemahlin jede ihrem Rang und ihren sehr stillen Tugenden gebührende Rücksicht widerfahre, so hat er auch die Bedeutung vorragender Frauencharaktere wohl zu würdigen und anzuerkennen verstanden. In einem an D'Alembert gerichteten Briefe tat er die Äußerung, er »verehre die Kaiserinnen Maria Theresia und Katharina II., die Kurfürstin Antonia von Sachsen und die Landgräfin Karoline von Hessen-Darmstadt als die vorzüglichsten fürstlichen Frauen seiner Zeit«, was freilich mit der erwähnten Kotillonsarkastik nicht sehr stimmt.
Die letzte der vier erwähnten Frauen, die »große Landgräfin«, wie Goethe sie genannt, und von der Wieland gesagt hat, sie müßte, wenn er einen Augenblick König der Schicksale wäre, die Königin von Europa sein, wurde 1741 an den nachmaligen Landgrafen Ludwig IX. vermählt und starb 1774. Ihr Gemahl war jener wunderliche Soldatendriller, der seine gewöhnliche Residenz Pirmasens zu einem ungeheuren Soldatenkäfig machte und die fürstliche Soldatenspielerei zu einer seither nicht wieder erreichten Karikatur steigerte. Da tat es denn doppelt not, daß die Landgräfin verständigen Sinnes in das Regiment von Land und Leuten eingriff. Daneben erfüllte sie ihre Pflichten als Gattin, Hausfrau und Mutter – eine ihrer Töchter war Luise, die Frau Karl Augusts von Sachsen-Weimar – in musterhafter Weise. Sie widmete auch der geistigen Bewegung ihrer Zeit eine rege, fördernde, unter anderem durch Veranstaltung der ersten Ausgabe von Klopstocks Oden bewährte Teilnahme.
Das Berliner Hofleben zur Zeit des großen Königs, der ja in Potsdam und Sanssouci seinen Junggesellenhaushalt führte, hatte wenig oder nichts Anmutendes. Die Frauen galten da nichts. Gegen ihre Reize verhielt sich Friedrich gleichgültig, gegen ihre Schwächen verfuhr er mit Härte. Berüchtigt ist die kalte, aber ausdauernd erbarmungslose Grausamkeit, womit er den Gardeoffizier Trenck verfolgte, weil ihm des Königs Schwester, die Prinzessin Amalie, ihre Liebe geschenkt hatte und standhaft bewahrte Des Freiherrn Friedrichs von der Trenck merkwürdige Lebensgeschichte. Neu herausgegeben von Gustav Gugitz, München und Leipzig 1912, 2 Bände. Die bei Reclam erschienene Leidensgeschichte ist stark und ungeschickt gekürzt. (D. Hrsg.). Die arme Prinzessin ist durch das, was der Bruder an ihr und ihrem Geliebten verbrochen, so verbittert und versauert worden, daß sie in ihren Altejungfertagen am Hofe nur unter dem Namen der »fée malfaisante« bekannt war. Ihr Bruder Heinrich hatte sie so getauft. Den hellen Gegensatz zur boshaften Fee bildete die Gemahlin dieses Prinzen, Wilhelmine von Hessen-Kassel, der Liebling des Hofes, als »la belle fée«, als »die Unvergleichliche«, als »la divina« gefeiert. Großes Aufsehen erregte die leidenschaftliche Liebe von Friedrichs ältestem Bruder, Prinz August Wilhelm, für die schöne und tugendhafte Sophie Marie von Pannewitz, die ja, wie wir sahen, als Zwölfjährige schon dem Vater des Prinzen, dem gestrengen Soldatenkönig, sehr gefallen und schlagend ihre Sittsamkeit bewiesen hatte. Sie erwiderte die Neigung des Prinzen, aber sie rettete sich vor ihm und vor ihr selbst, indem sie einem ungeliebten Mann ihre Hand gab und die Schranken einer strengen Pflichterfüllung als Gattin und Mutter zwischen sich und den Bruder Friedrichs stellte. Dieses edle Vorbild ahmte später die Tochter ihres Schwagers, Fräulein Julie von Voß, nicht nach. Eine Schönheit, wie Tizian sie zu malen liebte, schlank und voll zugleich, von feinen Zügen und schönen Formen, die Marmorblässe des Gesichtes eingerahmt und gehoben durch eine Fülle von rotgoldenem Blondhaar, flößte sie dem Sohne des Prinzen August Wilhelm, dem Könige Friedrich Wilhelm II., die heftigste Begierde ein. Um diese zu befriedigen, entschloß sich der König zur Bigamie, gegen die das knechtschaffene Konsistorium natürlich nichts einzuwenden hatte oder wagte. Der Hofbonze Zöllner gab in Charlottenburg den König mit Julie von Voß zusammen. Sie hat übrigens ihr kurzes schmachvolles Glück – falls es überhaupt eins war – mit dem Tode im ersten Wochenbett gebüßt. Darauf hat sich Friedrich Wilhelm II. – alles bei Lebzeiten seiner rechtmäßigen Gemahlin – durch denselben Hofbonzen Zöllner die junge Gräfin Sophie von Dönhoff antrauen lassen. Man sieht, es gab Mormonen lange vor Joe Smith und Brigham Young.
Wie Friedrich dem Einzigen seine Freundin, die »große Landgräfin«, Achtung einflößte, so auch seine Feindin, die ihn nie anders als den »bösen Mann« nannte, die »große Kaiserin« Maria Theresia. Diese Frau war wie eigens dazu geboren, den Absolutismus in höchster Potenz zu repräsentieren, aber gemildert durch weibliche Schönheit, Gutmütigkeit und Huld. Nur sehr wenige von allen Männern und Frauen, die jemals Kronen trugen, haben vermöge ihrer Persönlichkeit einen so mächtigen Zauber besessen und geübt wie die Tochter und Nachfolgerin des letzten Habsburgers. In der Blüte ihres Lebens von vollendeter Wohlgestalt, schön von Antlitz, feurigen Auges, vereinigte ihre Erscheinung die Majestät der Herrscherin mit jedem Liebreiz des Weibes, am bedeutungsvollsten in einer schicksalsschweren Stunde ihres Lebens, an jenem Herbsttage des Jahres 1741 zu Preßburg, wo der Anblick ihrer zugleich gebietenden und flehenden Gestalt den kriegerischen Adel Ungarns zur höchsten Begeisterung entflammte. Es war an Maria Theresia alles gesund. Leib und Seele. Das macht sie in einem Jahrhundert allgemeiner Zersetzung zu einer doppelt wohltuenden Erscheinung. Nichts Kränkliches, Halbes, Flitterhaftes, Unfertiges an ihr, alles aus einem Guß. Eine schöne Sinnlichkeit, aber souverän beherrscht durch feste Grundsätze und gelenkt von der sittlichen Grazie. Ein Eifer für sittsame Lebensführung, der zwar, wie wir sahen, nicht selten fehlgriff, aber keine Forderung stellte, die die Kaiserin für ihre Person nicht selber zu erfüllen bereit war. Voll unendlicher Zärtlichkeit für ihren Gemahl, den nicht eben felsentreuen Lothringer Franz, kannte ihre Liebe den Neid der Eifersucht nicht oder wußte ihn wenigstens zu besiegen. Als sie, vom Sterbebett des geliebten Kaisers kommend, ihre Nebenbuhlerin, die Fürstin Marie Wilhelmine von Auersperg, von den Höflingen verlassen und gemieden in einer Zimmerecke weinen sah, drückte sie ihr die Hand und sagte ihr das großmütige Wort: »Meine liebe Fürstin, wir haben wahrlich viel verloren!« Als Regentin war sie Despotin, jedoch dem aufgeklärten und aufklärenden Despotismus mit Entschiedenheit zugetan. Obgleich für ihre Person fromm bis zur Bigotterie, sah sie doch den Fanatikern scharf auf die Finger und duldete keine inquisitorischen Übergriffe. Sie zuerst hat Österreich mit Energie aus der hispanischen Versumpfung herauszureißen versucht, in die es nach ihrem und ihres Nachfolgers Joseph Tod wieder zurückgefallen ist. Der Absolutismus, wie sie ihn übte, hatte etwas Idyllisch-Patriarchalisches. Die Kaiserin sah ihre Wiener, ihre Völker überhaupt als ihre Familie an und setzte sich zu ihnen auf ganz mütterlich-herzlichen Fuß. Wenn auch seine Autorität noch so eifersüchtig wahrend, hatte dieser Patriarchalismus doch viel naturwüchsig Gemütliches, soviel, daß es uns fast märchenhaft vorkommt. So, wenn wir z. B. hören, wie die Kaiserin, als 1768 am Abend vom Jahrestag ihrer Hochzeitsfeier aus Florenz die Nachricht eintraf, daß ihrem Sohne, dem Großherzog Leopold, der erste Prinz geboren worden, in ihrer großmütterlichen Freude im Nachtkleide durch die Korridore des Palastes ins Burgtheater eilte und da, weit über die Brüstung der Loge vorgebeugt, dem Publikum im Parterre die frohe Familienbotschaft auf gut Wienerisch verkündigte: »Der Poldl hat an Buabn, und grad zum Bindband auf mein Hochzeitstag – der ist galant!« Am edelsten erscheint die Durchdringung der Herrschermacht mit schöner Menschlichkeit, die die Kaiserin charakterisierte, in dem freundschaftlichen Verhältnis, das Maria Theresia zu dem Fürsten Emanuel Silva Tarouca unterhielt, einem eingeösterreicherten Portugiesen, den sie als einen »ministre particulier«, als ein »zweites ungetrübtes Gewissen« neben sich stellte, und der dieser Rolle mit Freimut und Takt nachkam.
Die große Kaiserin war so glücklich, das Unglück ihrer Tochter Marie Antoinette nicht mehr zu erleben. Es hat wenige Frauenleben gegeben, die solche Gegensätze von Glanz und Elend aufzeigen wie das der Frau Ludwigs XVI., auf deren schönes, wenn auch keineswegs schuldloses Haupt sich die ganze Schale des Zorns und der Rache ausgoß, die die Frevel des Despotismus bis zum Überfließen gefüllt hatten. Was für ein Abstand zwischen dem Tage, wo der alte Marschall von Brissac zu der Neuvermählten sagte, die vom Balkon der Tuilerien auf die ihr zujauchzende Menge niederblickte: »Sehen Sie, Madame, das sind hunderttausend Verliebte!«, und jenem 14. Oktober 1793, wo gegen die vor dem Revolutionstribunal stehende, schon durch das Martyrium der Gefangenschaft im Temple gegangene Königin die wahnsinnige, in der Schmutzseele eines Hébert gereifte Anklage eines unzüchtigen Verkehrs mit ihrem unmündigen Sohn erhoben wurde. Nie war Marie Antoinette unglücklicher, aber auch nie größer als in dem Augenblick, wo sie nach einer Pause des Entsetzens auf diese Abscheulichkeit die Erwiderung gab: »Wenn ich nicht darauf geantwortet habe, so geschah es, weil die Natur sich sträubt, auf eine solche einer Mutter gemachte Anschuldigung etwas zu sagen. Ich appelliere darüber an alle anwesenden Mütter.« Die Grundlage von Marie Antoinettes Mißgeschick war die Gleichgültigkeit, die sie in den ersten Jahren ihrer Ehe von seiten ihres Gemahls zu erfahren hatte. Man hat guten Grund, zu glauben, daß diese Gleichgültigkeit von einem später gehobenen organischen Fehler Ludwigs XVI. herrührte. Als sich dann ein zärtliches Verhältnis zwischen den Ehegatten herstellte, hatte der Ruf der Königin schon unwiderbringlichen Schaden gelitten. Jung, schön, nach Zerstreuung und Vergnügen dürstend, hatte sich Marie Antoinette Unbesonnenheiten zuschulden kommen lassen, die ihr Jugendfeuer allerdings begreiflich und verzeihlich machte, die aber einem giftigen Hofklatsch nur allzu reichliche Nahrung boten. Wenn sie als Schäferin maskiert zur Zeit der Dämmerung durch die Boskette von Trianon schwärmte, so bedachte sie nicht, wie geneigt man sein könnte, einer so schönen Schäferin auch den Hang zu Schäferstunden zuzuschreiben. Wenn sie in der Aufregung des Tanzes zu ihrem hübschen Tänzer Dillon sagte: »Fühlen Sie einmal, wie mein Herz pocht!«, so war ihr daneben stehender Gemahl doch wohl zu der herben Zurechtweisung berechtigt: »Madame, Herr Dillon glaubt Ihnen auf Ihr Wort!« Die Beziehungen der Königin zu dem Herzog von Coigny und zu ihrem Schwager, dem galanten Grafen von Artois, gaben den boshaftesten Vermutungen Raum, und ihre Neigung für den schwedischen Grafen Fersen legte sich viel zu unbefangen dar, um höfischen Späheraugen entgehen zu können Ein sehr mißlicher Umstand ist die Tatsache, daß der besagte Graf Fersen, wie auch der Oberst Dillon und wie der Herzog von Coigny, auf Betreiben der Königin mit Geldgeschenken und Gnadengehalten wahrhaft verschwenderisch überschüttet wurde. Der schreckliche »Livre rouge« – schrecklich, weil dieses Geheimregister der Hofausgaben dartat, daß unter Ludwig XV. und unter Ludwig XVI. Hunderte von Millionen an mehr oder weniger jämmerliche Kreaturen weggeworfen wurden, während das französische Volk in grenzenlosem Elend darbte – ja, das »rote Buch«, so genannt, weil es in rotem Marokkin gebunden war, berechtigte, als es im März 1790 von seiten des Finanzministers Necker nach heftigem Widerstreben einer von der Nationalversammlung bestellten Kommission zur Prüfung übergeben werden mußte, den genialen Camille Desmoulins vollkommen, in der 21. Nummer seines Journals »Révolutions de France et de Brabant« auszurufen: »Enfin, nous tenons le Livre rouge! Le comité des pensions a rompu les sept sceaux dont il était fermé. La voilà accomplie, cette menace terrible du prophète! La voilà accomplie avant le jugement dernier: Revelabo pudenda tua; je dévoilerai tes turpitudes; tu ne trouveras pas même une feuille de figuier pour couvrir ta nudité à la face de l'univers; on verra toute ta lèpre, et, sur tes épaules, ces lettres Galériennes, que tu as si bien méritées!« Von dieser furchtbaren, an das Ancien Régime gerichteten Apostrophe konnte Marie Antoinette recht wohl einen Teil auf sich beziehen; denn es kann gar keinem Zweifel unterstellt werden, daß sie zugunsten ihrer Vergnügungssucht, wie zugunsten der Unersättlichkeit ihrer Günstlinge und Günstlinginnen, ihre Hände bis zu den Ellbogen in die Staatskasse gesteckt hat. War es doch, um nur einen Posten anzuführen, ihr Werk, daß die unselige Familie Polignac allein lebenslängliche Gnadengehalte im Betrag von mehr als 700 000 Livres jährlich bezog. Marie Antoinette als eine Heilige, als einen reinen Engel darzustellen, ist eine Absurdität, die zu begehen nur jene Bande von Falschmünzer-Historikern sich beikommen lassen kann, die aus eigener, angestammter Niedertracht oder auf »höheren« Befehl das Geschäft, die französische Revolution zu verleumden, betrieben und betreiben. (D. Verf.).
Aber welche Fehler die Königin in ihrer Jugend als Frau und später als Politikerin begangen hatte, sie standen in keinem gerechten Verhältnis zu der sie erwartenden Strafe, und jeder Fühlende und Denkende wird zugeben, daß der Tag ihrer Hinrichtung, der 16. Oktober 1793, einer von jenen Tagen gewesen sei, die das Buch der Weltgeschichte beflecken.
Drei Jahre nach dem tragischen Ausgang der Tochter der Cäsaren endigte am 9. November 1796 ein Schlagfluß das Leben einer anderen deutschen Prinzessin, die aus dem Dunkel eines kleinen deutschen Hofes zu dem blendenden Glanze des russischen Zarenthrones emporgestiegen war, des Leichnams ihres Gemahls als Stufe sich bedienend.
Ob und inwieweit Katharina von dem Mordplan gegen den armen verdrehten Peter III. unterrichtet gewesen, wird wohl nie ganz festzustellen sein. Aber lächerlich ist es, zu glauben, die Verschworenen wären überhaupt nur so von ungefähr dazu gekommen, den Zaren zu ermorden. Peter III. mußte nicht nur abgesetzt werden, sondern sterben, wenn seine Frau herrschen sollte. Katharina war zu gescheit, um das nicht zu wissen, obzwar die Orlows und deren Spießgesellen ihr nicht mit dürren Worten gesagt haben werden, sie würden jetzt hingehen, den Kaiser zu strangulieren. Eine Mitverschworene, die Fürstin Daschkow, hat in ihren Memoiren behauptet, Alexei Orlow habe unmittelbar nach der Ermordung des Kaisers für diese Missetat die Kaiserin in den demütigsten Ausdrücken um Verzeihung gebeten. Das ist möglich, beweist aber in letzter Linie gar nichts. Außerdem wird die Glaubwürdigkeit der Daschkow durch mehrere Umstände sehr stark beeinträchtigt. So z. B. durch ihre Versicherung, sie hätte lange nichts davon gewußt, daß Gregor Orlow ein begünstigter Liebhaber Katharinas war.
Eine der außerordentlichsten Erscheinungen der Geschichte, diese Sophie Auguste Friederike von Anhalt-Zerbst, die als Katharina II. solange die Geschicke Europas bestimmen und lenken half, im Guten wie im Schlimmen weit über das weibliche Maß hinausragte, mit Voltaire und Diderot briefwechselte, als leidenschaftliche Venuspriesterin bis zu ihrem Tode eines amtlich bestallten »Günstlings« nicht entbehren konnte, aus der Eremitage hervor, wo sie messalinische Orgien feierte, Befehle ergehen ließ, die zwei Erdteile in Staunen, Besorgnis und Schrecken versetzten, Komödien für die russische Bühne dichtete, während sie durch ihre Potemkin, Suwarow und Repnin Völker zertreten ließ und, das Werk Peters I. fortsetzend, für die Machtstellung Rußlands Unberechenbares getan hat. Die Natur scheint die seltsamste Mischung von vielseitigster Genialität, verzehrender Sinnlichkeit, wohlwollenden Instinkten, eisiger Herzenshärte und beispielloser Verstellungskunst beabsichtigt zu haben, als sie die »Semiramis des Nordens« schuf. Nicht weniger wunderbar als ihre Persönlichkeit erscheint ihr Glück, wenn man bedenkt, daß sie in sozusagen ganz bettelhaftem Aufzuge nach Petersburg gekommen war. »Als ich nach Rußland kam,« erzählt sie, »bestand meine ganze Wäsche aus einem Dutzend Hemden.« Seit dem Erscheinen von Katharinas Memoiren, die leider den Fehler haben, beim Jahre 1759, also vor dem Aufgange des Sterns ihrer Verfasserin, plötzlich abzubrechen, ist der Reiz des Romantischen um die Figur der Zarin bedeutend geschwunden. Denn die Bekenntnisse Katharinas zeigen, daß da, wo wir wunderbare Schickungen anzunehmen geneigt waren, nur die schlaueste, konsequenteste Berechnung tätig gewesen. Eine Frau, die schon als junges Mädchen zu sich gesagt hatte: »Glück und Unglück liegen in der Seele und dem Herzen eines jeden; wenn du Unglück empfindest, setze dich darüber hinweg und richte dich so ein, daß dein Glück von keiner Begebenheit abhängt«, mußte es weit bringen in der Welt, besonders wenn diese Frau das Genie, die Heuchelei und den Mut Katharinas II. besaß. Die fünfzehnjährige Heuchlerin war kaum nach Rußland gekommen, als sie sich ihre Situation zurechtzumachen trachtete. Es galt zunächst, die Verhältnisse kennenzulernen, weshalb sie sich in der Kunst des Horchens und Aushorchens übte: »Ich hatte mich während meiner Krankheit gewöhnt, die Augen geschlossen zu halten; man dachte, ich schliefe, und dann sprachen die Gräfin Romanzow und die anderen Damen unter sich, was sie auf dem Herzen hatten, wodurch ich viele Dinge erfuhr.« Der ihr zum Gemahl bestimmte Großfürst Peter war ihr gleichgültig, und das ließ sich bei seiner Sinnesart und seinem Gebaren leicht begreifen. Er spielte als Bräutigam lieber mit Puppen als mit seiner Braut; aber: »die Krone von Rußland war mir nicht gleichgültig«. Diese Krone wurde der Pol, um den all ihr Dichten und Trachten sich drehte, einzig und allein sich drehte, dann das unersättliche Temperament, das später die Frau so vielfach zerstreute, war in dem kaum mannbar gewordenen Mädchen noch nicht erwacht. In der ebenso heikeln wie drückenden und widerwärtigen Stellung zwischen der in fast ununterbrochenem Wollust- oder Branntweinrausch dem Grabe zutaumelnden Zarin Elisabeth, dem kindischen Trunkenbold von Bräutigam und den verschiedenen Parteien des Hofes wurde Katharina, wie sie bekannt hat, nur durch den Ehrgeiz aufrechterhalten. »Ich fühlte im Grunde meines Herzens ein geheimes Etwas, das mich nie einen Augenblick zweifeln ließ, daß ich früher oder später souveräne Kaiserin von Rußland werden würde, Kaiserin aus eigener Machtvollkommenheit.« Sie träumte aber nicht etwa nur von dieser Zukunftsrolle, sie bereitete sich vielmehr allen Ernstes darauf vor. »Ich bemühte mich, die Zuneigung aller zu gewinnen; Große und Kleine, niemand wurde von mir vernachlässigt; ich machte mir eine Regel daraus, zu denken, daß ich aller bedürfte, und demnach alles zu tun, um mir Wohlwollen zu erwerben, was mir auch gelang.« Um sich populär zu machen, hielt sie streng die russischen Fasten, unterzog sich pünktlich der lästigen Zeremonien des griechischen Ritus und las daneben zu ihrer Privaterbauung Brantômes zotentriefendes Buch von den »Dames galantes«. Der arme Peter, dieser Querkopf von einem kleinen deutschen Prinzen, der sich in dem ungeheuer weiten Rußland durchaus nicht zurechtfinden konnte, war nicht dazu gemacht, der Mann einer Frau zu sein, die sich in der angedeuteten Weise theoretisch und praktisch auf die Rolle einer nordischen Semiramis vorbereitete. Nachdem dessenungeachtet die Vermählung stattgefunden, mußte Katharina bei Tage mit ihrem Gemahl »Soldätles« spielen und bei Nacht – –. Lassen wir das die Zarin selbst erzählen: »Madame Kruse verschaffte dem Großfürsten Spielzeug, Puppen und andere Kindereien, die er bis zur Narrheit liebte. Während des Tages verbarg man sie in und unter meinem Bett; der Großfürst legte sich zuerst nach dem Abendessen nieder, und wenn wir beide zu Bett waren, schloß Madame Kruse die Türe, und der Großfürst spielte bis 1 oder 2 Uhr morgens. Wohl oder übel mußte ich an diesen herrlichen Vergnügungen teilnehmen. Oft lachte ich darüber, aber häufig war es mir unangenehm und zuwider.« Sehr begreiflicherweise. Denn die junge schöne Frau sagte in bezug auf diese absonderlichen ehelichen Freuden später sehr naiv oder aber sehr witzig: »Il me semble, que j'étais bonne pour autre chose.« Nachmals behelligte der von der Mätressensucht des Jahrhunderts ebenfalls ergriffene Großfürst Peter seine Frau in anderer Manier. Wenn er nämlich nachts betrunken das eheliche Lager bestieg, weckte er seine schlafende Gemahlin mit Faustschlägen, um ihr die Reize seiner Mätresse im Detail zu schildern. Wenigstens erzählt dies Katharina.
Inzwischen war der Zarin Elisabeth in einem ihrer wenigen nüchternen Momente eingefallen, daß für die Sicherstellung der Thronfolge zu sorgen wäre, und da der Großfürst unfähig schien, dies zu bewerkstelligen, so wurde auf der Zarin Befehl durch die Obergouvernante der Großfürstin, Frau Tschoglokoff, ein anderer dazu angeleitet, das Nötige vorzukehren. Die Memoiren Katharinas lassen es unklar, wer dieser andere gewesen sei, ob Sergius Soltikoff, Zachar Tschernitscheff oder Leo Narischkin. In Gegenwart des letzteren äußerte der Großfürst gegen seine Freunde: »Der Himmel weiß, woher meine Frau schwanger geworden ist; ich bin durchaus nicht gewiß, daß dies Kind mir gehört«. Narischkin machte der Großfürstin eilends Mitteilung, und Katharina wußte es mittels einer kühnen List dahin zu bringen, daß ihr Gemahl es nicht mehr wagte, so bedenkliche Zweifel zu äußern. Aber als er den Zarenthron bestiegen hatte, befand er sich in offenem Krieg mit seiner Frau. Auf wessen Seite der Sieg sein würde, konnte nicht zweifelhaft erscheinen. Es war einer der verhängnisvollsten Tage des Jahrhunderts, jener Julitag von 1762, als Katharina von Petersburg gen Petershof rückte, um ihren ratlosen und verratenen Gemahl zu entthronen, an der Spitze der zu ihr übergetretenen Garden in Uniform auf
einem weißgrauen Tigerhengst reitend, das Band des Andreasordens umgehängt, auf den fliegenden Haaren einen Soldatenhut mit einem Eichenzweig. Weiter brauchen wir ihre Laufbahn nicht zu verfolgen. Sie gehört der Weltgeschichte an. Das richtigste, wenn auch ungalant genug lautende Urteil über sie dürfte das von Lord Byron gesprochene sein und bleiben.
Im Don Juan:
...
In Catherines reign, whom glory still adores,
As greatest of all sovereigns and whores. (D. Verf.)
Zur selben Zeit, wo an der Newa eine deutsche Prinzessin durch alle Schlangengänge der Verstellungskünste hindurch dem Throne Peters des Großen zustrebte, hat an der Ilm eine andere deutsche Fürstentochter, Amalia von Braunschweig, schon als Achtzehnjährige die Witwe des Herzogs Ernst August von Sachsen-Weimar geworden, durch Berufung Wielands zum Erzieher ihres älteren Sohnes Karl August den Grund zum »Weimarer Musenhof« gelegt und hierdurch, wie überhaupt durch ihr Walten voll Freisinn und Humanität, sich ein Andenken gestiftet, das für und für zu den gesegnetsten in unserem Lande gehören wird. Wieviel sie für die deutsche Kultur getan, indem sie ihrem trefflichen Sohn und Nachfolger die Wege wies und ebnete, auf denen vorschreitend er das kleine Weimar zur geistigen Hauptstadt Deutschlands machte, wie sie die Besten ihrer Zeit zu sich heranzog, ihr Geist, ihre Lebenskunst, endlich ihr herrliches Selbstbekenntnis »Meine Gedanken Die Originalhandschrift befindet sich auf der Weimarer Staatsbibliothek. Sie ist wiederholt gedruckt, so in Rugos »Erinnerungen Weimars« und in Schlönbachs »Zwölf Frauenbilder aus der Goethe-Schiller-Epoche«. (D. Verf.)« – das alles steht fest in der Erinnerung jedes Gebildeten. Als sie am 10. April 1807 gestorben, schrieb ihr Freund Wieland in seinem tiefen Seelenschmerz an Böttiger: »Sie war in ihrer Art so gut die Einzige als Friedrich II. in der seinigen« – und schloß Goethe seine Gedenkrede auf die Vollendete mit den schönen Worten: »Das ist der Vorzug edler Naturen, daß ihr Hinscheiden in höhere Regionen segnend wirkt, wie ihr Verweilen auf der Erde, daß sie uns von dorther gleich Sternen entgegenleuchten, als Richtpunkte, wohin wir unsern Lauf bei einer nur zu oft durch Stürme unterbrochenen Fahrt zu richten haben; daß diejenigen, zu denen wir uns als Wohlwollenden und Hilfreichen im Leben hinwendeten, nun die sehnsuchtsvollen Blicke nach sich ziehen als Vollendete, Selige.«
Auf Karl Augusts edle Gattin Luise, die Tochter der großen Landgräfin, paßt genau, was Schiller seinen Posa von der Königin Elisabeth sagen läßt: »Gleich ferne von Verwegenheit und Furcht, mit festem Heldenschritte wandelt sie die schmale Mittelbahn des Schicklichen.« Nachdem sie sich erst an dem Hofe von Weimar, wo bei ihrer Ankunft die Kraftgenialität sauste und brauste, zurechtgefunden, nahm sie die würdigste Stellung ein, ihr mitunter stark vortretendes Standesgefühl durch eine unermüdlich werktätige Herzensmilde zügelnd, geräuschlos alles Gute und Schöne fördernd, schlichtend, versöhnend und begütigend überall eingreifend, wo es nottat. Im Verhältnisse zu ihrem Gemahl hat sie namentlich später, in betreff seiner Beziehungen zu der schönen Schauspielerin Karoline Jagemann, eine Resignation, ja eine neidlos-hilfreiche Liebe bewährt, zu der nur edelste Weiblichkeit sich zu erheben vermag. Es war ihr Leben lang etwas Jungfräuliches in ihr. Jene maßvolle Würdigkeit bezeichnete ihr Wesen, die Goethe im Tasso der Prinzessin anschuf, die er ja nach dem Bilde der Herzogin geformt hat. Und wie treu hing sie an allen, die sie achtete und liebte! So hat sie, obgleich der französischen Revolution gram, Knebels oft sehr rücksichtslos sich äußernde Schwärmerei dafür freundlich geduldet; so mischte sie bei Schillers Hingang ihre Tränen mit denen seiner Witwe. Frau von Staël urteilte nach ihrem Besuche in Weimar über die Herzogin: »Sie ist das wahre Muster einer von der Natur zum höchsten Range bestimmten Frau. Ohne Anmaßung wie ohne Schwachheit, erweckt sie in gleichem Grade Vertrauen und Ehrfurcht. Der Heldensinn der ritterlichen Zeiten wohnt in ihrer Seele, ohne sie der Sanftmut ihres Geschlechtes zu berauben. Ich erinnere gelegentlich daran, daß Frau von Staël in ihrem berühmten Buch De l'Allemagne über die Frauen unseres Landes den Ausspruch tat: »Die deutschen Frauen haben einen Reiz, der ihnen eigentümlich ist, einen süßen Ton ihrer Stimme, blonde Haare, einen blendenden Teint. Sie sind bescheiden, ihre Gefühle sind wahr, ihr Benehmen ist einfach. Ihre sorgfältige Erziehung und die ihnen natürliche Reinheit der Seele bewirken den Zauber, den sie ausüben.« (D. Verf.)« In Wahrheit, es war mehr, viel mehr als eine höfliche Phrase, wenn die begeisterte Tochter Neckers der Frau Karl Augusts Heroismus zuschrieb. Die Herzogin bewährte solchen in der jammervollen Zeit nach der Schlacht bei Jena. Da ist sie, während alle Schrecken französischer Plünderung auf der Stadt Weimar lagen, dem zürnenden Sieger mit ruhiger Würde entgegengetreten und hat dem Brutalen Achtung abgezwungen. Eine schwere, vielleicht die schwerste Stunde im Leben der trefflichen Frau, als sie, während ihr Gemahl noch bei der geschlagenen preußischen Armee stand und alle übrigen Glieder der herzoglichen Familie aus Weimar geflohen waren, am 16. Oktober 1806 den vom Schlachtfeld von Jena kommenden Napoleon oben an der Schloßtreppe empfing. »Qui êtes-vous, Madame?« fuhr er sie an. »Je vous plains, j'écreserai votre mari.« Welche Selbstüberwindung mußte es der Herzogin kosten, nach dieser verletzenden und entmutigenden ersten Begegnung den Versuch zu machen, den Gewaltigen milder zu stimmen gegen das Weimarer Land und dessen Fürsten. Sie tat es in einer Audienz am folgenden Tage und tat es mit Erfolg. Bei dieser Gelegenheit sagte Napoleon in seiner theatralischen Manier zu ihr: »Glauben Sie mir, Madame, es gibt eine Vorsehung, die alles leitet; ich bin nur ihr Werkzeug.« Und nach der Zusammenkunft mit der Herzogin äußerte der Eroberer gegen sein Gefolge: »Das ist eine Frau, der unsere zweihundert Kanonen keine Furcht einzuflößen vermochten.« Acht Tage später sagte er dem Weimarischen Unterhändler Müller: »Ihre Herzogin hat sich sehr standhaft bewiesen; sie hat meine ganze Achtung gewonnen.« Aber weder Karl August noch Luise glaubten an das »Werkzeug der Vorsehung«. Es gereicht dem Herzog von Weimar und seiner Gemahlin zu hoher Ehre, daß sie sich nie und nimmer zu jener Unterwürfigkeit gegen Napoleon herbeiließen, durch die sich so viele deutsche Fürsten und Fürstinnen so sehr erniedrigt haben. Und sie beschränkten sich nicht darauf, für ihre Person einen edlen Stolz zu wahren, sondern sie bemühten sich auch, in einer Zeit, wo der Untergang Deutschlands besiegelt schien, jenen vaterländischen Geist mit zu pflegen und zu stärken, der den großen Aufschwung von 1813 herbeiführte. Ein damaliger Vertrauter des herzoglichen Paares, der nachmalige preußische General Fr. K. Ferd. v. Müffling, erzählt: »Der geheime Plan des Herzogs K. A. v. Weimar ging dahin, so wie seine Residenz bisher der Zentralpunkt Deutschlands für Kunst und Wissenschaft war, sie nun auch zum Zentralpunkt der deutschen Freiheit zu machen, soweit die Verhältnisse es gestatteten. Ich war in dieser Beziehung neben seiner würdigen, so hoch verständigen Gemahlin der einzige Vertraute des Herzogs, und dieser Zustand ist geblieben, bis im Jahre 1813 der Krieg wieder ausbrach. Von Weimar aus wurden die Schwachen ermutigt, wurde der Haß gegen den Tyrannen genährt und manches ohne Aufsehn vorbereitet, was 1813 sich als echtdeutsches Element zeigte.«
Die Zeit der Befreiungskriege hat überhaupt manches unverwelkliche Blatt in den Ehrenkranz des deutschen Frauentums gewunden. Ohne die lebhafteste Beteiligung der Frauen und Jungfrauen an der großen Sache wäre eine Begeisterung, wie sie damals die Herzen der Männer und Jünglinge schwellte, kaum denkbar gewesen. Die Berlinerinnen gingen mit dem Beispiel einer aufopfernden Mühwaltung für die zum Kampfe Ziehenden und deren Opfer voran. Niebuhr schrieb unterm 21. Dezember 1813 aus Berlin: »Das Betragen der Frauen ist ehrwürdig. Hunderte entsagen nicht nur jedem Vergnügen, sondern selbst der genaueren Sorge für ihren Hausstand, um in den Lazaretten zu verwalten, zu kochen, zu pflegen, Wäsche zu flicken, Geld und Bedürfnisse herbeizuschaffen, die Mietlinge zu kontrollieren und zur Pflicht anzuspornen. Manche sind schon der Raub des Nervenfiebers geworden.« Nach ihrem Vorgang entwickelten die deutschen Frauen überall einen tief eingreifenden und höchst wohltätigen Eifer. Mütter schickten ihre Söhne, Schwestern ihre Brüder, Bräute ihre Verlobten in den heiligen Krieg. Reiche Damen opferten dem vaterländischen Bedürfnisse ihr Silberzeug und ihren Schmuck, arme Mädchen ihre Sparpfennige. Viele, sehr viele holten sich als liebreiche Pflegerinnen der Verwundeten in der Lazarettluft den Tod. Sittsame Mädchen wurden von dem erhebenden Zeitstrom über die Bedenklichkeiten ihres Geschlechts so weit hinausgerissen, daß sie mitten im Schlachtgrausen den Kämpfern Schießbedarf oder Erfrischungen zutrugen und auch selber zur Büchse und zum Säbel griffen, um gegen den Feind des Vaterlandes zu fechten. So Johanna Stegen, Johanna Lüring, Lotte Krüger, Dorothea Sawosch, Karoline Petersen und jene, wie ihre Mitstreiterinnen, von Rückert schön gefeierte Prohaska, die in der Lützowschen Freischar so wacker mitkämpfte und deren Geschlecht erst kund wurde, nachdem sie in dem siegreichen Gefechte bei der Görde am 16. September 1813 tödlich verwundet worden.
Ein Mitkämpfer bei der Görde, F. Heydrich, erzählt: »Unter den Schwerverwundeten waren Lützow und das Heldenmädchen Prohaska. Als die letztere, noch unentdeckt wegen ihres Geschlechts, nach beendigtem Gefecht auf dem Schlachtfeld verbunden werden sollte, indem eine Kugel ihr den Oberschenkel zerschmettert hatte, wollte sie dieses nicht zugeben, sondern verlangte erst den Feldwebel ihrer Abteilung zu sprechen, und als dieser herbeikam, ergab es sich, daß allen verborgen, unter dem Waffenrock ein Frauenzimmer mit Namen Prohaska den Sieg mit hatte erringen helfen, was allgemeines Erstaunen und Bewunderung wegen ihres Heldenmutes und ihrer Ausdauer in Ertragung der Beschwerden des Krieges erregte.« Die Verwundete starb drei Tage später in Danneberg. Sie wurde in Begleitung der Jungfrauen und der ganzen Bürgerschaft des Städtchens beerdigt, und es wurde ihr in der Kirche ein Denkmal gesetzt.
Da hier gerade von Heldinnen die Rede ist, so sei auch noch der »siebzehnjährigen, schönen, guten«, von Goethe besungenen Johanna Sebus gedacht. Sie ist zwar nicht in einer Schlacht gefallen, aber doch einen heldischen Tod gestorben, indem sie beim Eisgang des Rheins am 31. Januar 1809 erst ihre Mutter aus den Fluten rettete und dann bei dem hochherzigen Versuche, auch eine Nachbarin und deren Kinder zu bergen, in den Wogen unterging.
Ja, die große Zeit fand auch die deutschen Frauen groß.
Zwar ungern, aber zur Steuer der geschichtlichen Wahrheit und zur Warnung muß ich doch anmerken, daß freilich auch sehr unrühmliche Ausnahmen vorkamen. Der nachmalige preußische General Ludwig von Reiche war, wie er in seinen Memoiren erzählt, im November 1813 mit dem Generalstab des Bülowschen Korps in Nörten einquartiert, einem Gut der gräflich Hardenbergschen Familie unweit Göttingen. Der Hausherr war Hof- und Jägermeister am Jéromeschen Hof in Kassel gewesen – an jenem Hof, an dessen Ausschweifungen leider nur allzu manche deutsche Dame sich beteiligt hatte. »Die jüngeren Töchter des Hauses äußerten sich bei der Abendtafel mit der eingetretenen Veränderung der Dinge wenig zufrieden, indem sie meinten, daß Kassel fortan ein sehr langweiliger Ort sein würde; man hätte sich dort gar zu sehr amüsiert.« Ein sehr bedenkliches Zeugnis legte auch Gneisenau ab, indem er am 2. Mai 1818 von Glatz aus an seine Frau schrieb: »Arme deutsche Nation, die nur durch ihre Fürsten untergeht! Ihr schlesischen Frauen bekommt dann eure alten Freunde (die Franzosen) wieder zu sehen; denn ableugnen könnt ihr es nicht, daß ihr, mit nur sehr wenigen Ausnahmen, eine große Vorliebe für diese Fremdlinge habt und darum eure weibliche Würde aufopfertet.« Unmittelbar nach den Befreiungskriegen entblödete sich eine deutsche Fürstin, Pauline von Lippe-Detmold nicht, gegen Helmina von Checy zu äußern: »Die Zukunft wird beweisen, daß der große Mann (Napoleon) recht hatte, und daß ihm die Menschen unrecht getan. Die Deutschheit ist ein Unding. Der letzte Krieg war eine Gewalttätigkeit, die durch nichts zu rechtfertigen ist.«
Aber wie dürfte von der Zeit der Unterjochung Deutschlands durch Napoleon und von der Abschüttelung des französischen Jochs die Rede sein, ohne daß jener hochherzigen königlichen Frau gedacht würde, auf die während der Schmachperiode Tausende als nach einem tröstlichen Stern blickten, und die, viel zu frühe schon, am 19. Juli 1810 hingegangen, in der Brust von Tausenden, die 1813 in den Kampf zogen, als eine verklärte Heilige begeisternd lebte? Luise von Mecklenburg, im Dezember 1793 an den Kronprinzen von Preußen, nachmaligen König Friedrich Wilhelm III. vermählt, nimmt in der deutschen Sittengeschichte schon darum eine unvergängliche Ehrenstelle ein, weil das musterhafte Beispiel, das sie als Gattin, Hausfrau und Mutter gab, außerordentlich reinigend und erfrischend auf die verdorbene, ja verpestete und verpestende sittliche Atmosphäre gewirkt hat, die zu Ausgang des vorigen Jahrhunderts am preußischen Hof und in der preußischen Hauptstadt herrschte und von da weithin wirkte. Es ist wahrlich nichts Kleines gewesen, nach und bei der furchtbaren Zerrüttung des Familienlebens in den vornehmen Kreisen wieder einmal ein Königspaar im reinen und schönen Stil der deutschen Familienhaftigkeit zusammen leben zu sehen. Man darf kühn behaupten, daß ohne die moralische Reinigung, der die Berliner Gesellschaft nach dem Vorbild dieses königlichen Haushaltes sich unterzog, die Erhebung Preußens im Jahre 1813 unmöglich gewesen wäre. Vieles, wohl sehr vieles würde auch später anders und besser gekommen sein als es kam, wenn Friedrich Wilhelm III. seinen guten Genius Luise nicht allzufrüh verloren hätte. Denn der sanfte Einfluß dieser hochbegabten und liebenswürdigen Frau war unwiderstehlich, und sie wollte nur das Gute und Rechte. Ihre Schönheit, ihre Anmut, ihre zartsinnige Güte gewannen ihr alle Herzen. Männer, die auch sonst nur zum Tadeln, selten und widerwillig zum Anerkennen bereit waren, haben ihr mit Begeisterung gehuldigt Der Verfasser der »Vertrauten Briefe über die inneren Verhältnisse am Preuß. Hofe« sagt (I, 101): »Die Gemahlin Friedrich Wilhelms III. hatte von der Natur alles erhalten, was an ihrem Geschlechte liebenswürdig genannt werden kann. Die schönste Königin und eine noch schönere Seele. Sie war ganz Weib im eigentlichsten Verstande. Es war nicht der geringste Anspruch auf Teilnahme an der Herrschaft ihres Mannes in ihrem Charakter zu finden, nur Hingebung in den Willen desselben, eine Anhänglichkeit an seine Person, durch Liebe genährt und erhalten, das reine Bild der Unschuld und hoher weiblicher Sittlichkeit: das waren die Hauptzüge in dem Charakter Luises, die bestimmt zu sein schien, den König glücklich zu machen und der Nation das Muster einer Ehefrau zu geben, wie sie sein sollte.« Der Ritter von Lang, wie der eben angezogene Autor ein schärfster Urteiler über Menschen und Dinge, äußert in seinen Memoiren (II, 44) über die Königin: »Das war nun freilich eine Frau, die wie ein ganz überirdisches Wesen vor einem schwebte, in einer englischen Gestalt und von honigsüßer Beredsamkeit, mit der sie allen die Strahlen ihrer Holdseligkeit zuwarf, so daß jeder, wie in einen zauberischen Traum versetzt, von diesem lebendigen, regsamen Feenbilde entzückt war.« Vgl. Gertrude Aretz, Königin Luise. Paul Aretz Verlag, Dresden. (D. Verf.). Selbst der Übermütigste der Sterblichen, der Sieger Napoleon, mußte ihr, die er als seine Feindin kannte und haßte, Achtung und Bewunderung zollen, sobald er sie gesehen und gesprochen. Nach der ersten Zusammenkunft mit der Königin zu Tilsit sagte Napoleon zu Talleyrand: »Ich wußte, daß ich eine schöne Königin sehen würde; aber ich habe die schönste Königin und zugleich die interessanteste Frau gefunden.« Vielseitig gebildet und voll Teilnahme für das Schöne und Ewige, hat die Königin Schiller und Jean Paul geliebt, Goethe geehrt. Noch bevor die große Katastrophe von 1806 die Verrottung und Unhaltbarkeit der bisherigen Staats- und Gesellschaftsmaximen nachgewiesen, legte Luise bei jeder Gelegenheit eine aufgehellte, gerechte und humane Sinnesweise an den Tag, mitunter zu nicht geringer Beschämung junkerlicher Ausschließlichkeit und Borniertheit. Es sind hierüber mehrere wohlbezeugte Anekdoten im Umlauf. Eine sehr bezeichnende erzählt der Bischof Eylert aus dem Munde eines Ohrenzeugen so: Bei einer großen Cour in Magdeburg wurde der Königin die ihr noch ganz unbekannte, bürgerlich geborene Gemahlin des damaligen Majors v. N. vorgestellt. Die Königin fragte unbefangen die früher noch nie gesehene junge Frau: »Was sind Sie für eine Geborene?« Ängstlich und verlegen in dieser ihr bis dahin ganz unbekannten Sphäre, zum erstenmal vor einer Königin stehend, antwortete kaum hörbar die beklommene junge Frau mit zitternder Stimme: »Ach, Ihro Majestät – ich bin gar keine – Geborene.« Ein spöttisches, höhnendes Lächeln zuckte auf den Gesichtern der meisten anderen Damen. Dies würde die Königin, als nicht bemerkt, mit Stillschweigen haben hingehen lassen; da sie aber hören mußte, daß eine nicht fern stehende Dame vornehmer Abkunft leise zu ihrer Nachbarin sagte: »Also eine Mißgeburt!«, da fühlte die Königin ihr reinmenschliches, sittliches Gefühl verletzt. Angeregt hob sie, wie sie zu tun pflegte, ihr schönes, lockiges, mit einem Diadem geschmücktes Haupt und in hoher, hervorragender Gestalt heiter umherschauend dastehend, sprach sie, allen im großen Audienzsaale hörbar: »Ei, Frau Majorin, Sie haben mir naiv-satirisch geantwortet. Ich gestehe, mit dem herkömmlichen Ausdruck ›von Geburt sein‹, wenn damit ein angeborener Vorzug bezeichnet werden soll, habe ich nie einen vernünftigen, sittlichen Begriff verbinden können, denn in der Geburt sind sich alle Menschen ohne Ausnahme gleich. Allerdings ist es von hohem Werte, ermunternd und erhebend, von guter Familie zu sein und von Vorfahren und Eltern abzustammen, die sich durch Tugend und Verdienste auszeichneten, und wer wollte das nicht ehren und bewahren? Alles dies findet man, Gottlob! in allen Ständen und aus den untersten selbst sind oft die größten Wohltäter des menschlichen Geschlechtes hervorgegangen. Äußere glückliche Lagen und Vorzüge kann man erben, aber innere persönliche Würdigkeit, worauf am Ende doch alles ankommt, muß jeder für sich durch Selbstbeherrschung erwerben. Ich danke Ihnen, Frau Majorin, daß Sie mir Gelegenheit gegeben haben, diese, wie ich glaube, fürs Leben nicht unwichtigen Gedanken unbefangen auszusprechen, und wünsche Ihnen in Ihrer Ehe viel Glück, dessen Quelle doch immer nur allein im Herzen liegt.«
Mit einer Würde, wie sie nur aus einem reinen und hochgesinnten Gemüte zu schöpfen ist, ging sie durch die Schule des Unglücks. Auf der jammervollen Flucht vom Schlachtfelde von Jena durch Berlin nach Königsberg hörte ihre Umgebung sie jenes tiefsinnige und trostvolle Goethesche Wort sprechen, daß nur der Unglückliche die himmlischen Mächte kenne. In jener schweren Zeit schrieb sie eine Reihe von gedankenvollen, herrlichen Briefen, worunter der allbekannte an ihren Vater, indem sie es aussprach, daß Preußen auf den Lorbeern Friedrichs des Großen eingeschlafen gewesen, nicht mit der neuen Zeit fortgeschritten und deshalb von ihr überflügelt worden sei; aber auch, daß sie, obzwar für ihr Leben nichts mehr hoffend, an der Zukunft des Vaterlandes nicht verzweifle, weil sie fest an eine »sittliche Weltordnung« glaube. Sie sollte die ruhmreiche Bewährung ihres Glaubens nicht mehr erleben, aber ihr Andenken wird nie erlöschen, und ihre Ruhestätte im Schloßgarten zu Charlottenburg ist ein geweihter Ort.