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Zweites Buch
Mittelalter
Vom achten bis fünfzehnten Jahrhundert

 

 

Ezn ist al der dinge dehein,
Der ie diu sunne beschein.
Sô rehte saelik sô daz wip,
Diu ir leben unde ir lîp
An die mâze verlât.

(Von allen Dingen auf dieser Welt,
Die je der Sonne Licht erhellt.
Ist keines so selig wie das Weib,
Das stets ihr Leben und ihren Leib
Und ihre Sitten dem Maß ergibt.)

Gottfried von Straßburg

 

 

Erstes Kapitel
Karlingische Zeit

siehe Bildunterschrift

Karl der Große
Mittelalterliche Zeichnung

Karl der Große ist eine jener weltgeschichtlichen Gestalten, die mit den riesenhaften gotischen Domen unserer Städte zu vergleichen sind. Dem Beschauer, der mit kritisch prüfenden Blicken an diese Hervorbringungen menschlicher Tatkraft in einem ihrer gewaltigsten Aufschwünge ganz nahe herantritt, muß manche Einzelheit auffallen, die den mächtigen Gesamteindruck beeinträchtigt. Dies und das mag ihm wohl geradezu unschön und fratzenhaft erscheinen. Zwischen die himmelan springenden Strebepfeiler hineingeklebte Buden mit ihrem gemeinen Trödel beleidigen das Auge, bizarre Skulpturen, die menschliche Gestalt zur tierischen verzerrend, verwirren die Phantasie, und das heisere Gekrächze der an Zinnen und Türmen nistenden Dohlen, Sperber und Käuzlein macht sich dem Ohre widerwärtig. Alle diese Störnisse aber verschwinden, wenn du, der Stadt den Rücken kehrend, von einem Hügel vor den Toren aus den Blick nach dem Dome zurückwendest. Da erscheint der Koloß dir in seiner ganzen Mächtigkeit, über das Häusermeer hoch emporragend, wie ein Riese aus dem Gewühl von Zwergen, ein in steinerne Wirklichkeit übersetzter großer Gedanke.

Auch die Geschichte darf nicht kammerdienerhaft an einer welthistorischen Persönlichkeit herumspähen, wenn sie deren Gesamtwirkung nicht verlieren will. Sie muß ihren Gegenstand im ganzen und großen fassen, und tut sie das, so wird sie in dem gewaltigen Karlinger einen Grundpfeiler des gesellschaftlichen Bauwerks erkennen oder anerkennen, das nach der Sintflut der Völkerwanderung an die Stelle des antiken getreten ist.

Eine zwar patriotisch gesinnte, aber mit den Tatsachen mitunter so willkürlich wie ein Kind mit Bleisoldaten spielende Geschichtschreibung hat den Vorwurf gegen Karl erhoben, er habe bei Begründung einer neuen Periode der Kultur viel zu sehr die christlich-romanischen und viel zu wenig die einheimisch-germanischen Kulturelemente berücksichtigt. Nichts kann verkehrter und ungerechter sein als dieser Vorwurf. Karl, ein wesentlich germanischer, ein deutscher Mann, hat die altnationalen Überlieferungen keineswegs unberücksichtigt gelassen; er hat sie im Gegenteil, wie jedermann weiß, pietätvoll aus dem durch die Völkerwanderung gehäuften Schutt nach Möglichkeit wieder hervorgesucht. Aber daß ihm diese noch dazu von der Kultursaat des Christentums von allen Seiten her bereits überwachsenen Trümmer als ausreichendes Material eines neuen Staatsbaues hätten dienen können, das kann doch nur die Phantasterei behaupten. Auch wenn er nicht ein Christ aus Überzeugung gewesen, mußte er als Staatsmann der christlich-romanischen Bildung, wie er sie eben vorfand, sich bedienen. Er konnte gar nicht anders. Ein Herrscher, der eine Weltmonarchie begründen wollte, mußte sich mit Rom verbinden; denn bereits war die Idee einer universalen Obmacht von dem antiken Cäsarendiadem auf die Tiara des römischen Bischofs übergegangen und hatte auf Betreiben des Bonifazius schon die erste deutsche Synode im Jahre 743 die deutsche Kirche der Herrschaft des Papstes unterworfen. Das Christentum war also bereits eine organisierte Macht. Der Staat mußte zusehen, wie er sich mit ihr abfinden könnte, denn er konnte sie nicht übersehen, und noch viel weniger konnte er sie vernichten. Der Weg, den Karl bei Verwirklichung seiner Staatsidee einschlug, war demnach ein vorgezeichneter. Daß er in seiner Verfolgung vor keinem Mittel der List und Gewalt zurückscheute, daß ihm nicht davor bangte, Ströme mitleidslos vergossenen Blutes zu durchwaten, um zum Ziele zu gelangen, mag der Weichherzige, der in Karl nur den »Sachsenschlächter« sieht, beklagen; aber feststeht traurig wahr, daß der Vorschritt der Menschheit stets durch Ströme von Blut und Tränen gegangen ist. Mirabeaus bekanntes Wort, Revolutionen würden nicht mit Lavendelwasser gemacht, findet auch auf die karlingische seine Anwendung, die übrigens weit mehr eine aufbauende als eine zerstörende gewesen ist. Karl war der Vollender der allerdings schon durch die Alarich, Theodorich, Albuin und Chlodwig begonnenen Umbildung der altgermanischen Adelsrepubliken zum christlich-germanischen Königtum, zur Erbmonarchie. Schon hierzu war die Durchsetzung des neuen Glaubens in germanischen Landen unumgänglich notwendig, weil nur Christen die jüdisch-christliche Königsidee begreifen und achten konnten. Karls Streben ging aber weiter. Er wollte nicht nur ein germanischer König, er wollte ein Weltmonarch sein. Die im Papste verkörperte Einheit der abendländischen Christenheit sollte auch staatlich verwirklicht werden. Dies ist der Sinn jener Szene, als Karl zur Weihnacht des Jahres 800 in Rom von dem ihm zu Dank verpflichteten Papste die römische Kaiserkrone sich reichen ließ. Was auch immer für Unheil dieses Wiederaufleben des römischen Kaisertums und dessen Übertragung an die Deutschen über unser Vaterland gebracht hat, es war für einen Monarchen, der Europa beherrschte und dessen Namen Asien mit Ehrfurcht nannte, gewiß ein naheliegender, persönlich lockender und politisch fruchtbarer Gedanke, in den Purpur römischer Cäsarenmajestät sich zu hüllen.

siehe Bildunterschrift

Heilige (etwa 770 – 850)
Sacramentar in Heidelberg

Das mit dem Geiste des neuen Glaubens getränkte, durch Karl den Großen neu organisierte Germanentum wurde der Träger einer neuen Kultur. Daß diese eine vorwiegend kirchliche und auf kirchliche Ziele gerichtete sein mußte, lag in ihrer Natur, obzwar nie und nimmer vergessen werden darf, daß die germanische Klerisei und Möncherei, also die Vertreter der intellektuellen und vielfach auch der materiellen Bildung, von Rom her mit den christlichen Dogmen zugleich auch die literarischen Überlieferungen des klassischen Altertums überkommen hatten, und mit jenen auch diese als Kultursaaten in den frisch geordneten deutschen Urwaldsboden streuten. Wenn wir aber hier wieder, wie schon früher, betont haben, das Christentum sei erst durch die Germanen eine weltgeschichtliche Kulturmacht geworden, so genügt ein flüchtiger Blick auf die römisch-christliche Gesellschaft der ersten Jahrhunderte, um darzutun, daß jene Behauptung nicht etwa auf bloßem Nationalstolz, sondern vielmehr auf allbekannten Tatsachen beruhe.

In der sozialen Fäulnis, die die lange Agonie des römischen Reiches begleitete, hatte das Christentum unmöglich eine sittliche Lebensmacht werden können. In diesem Sumpfe konnte Reines und Ideales nicht gedeihen. Die römische Gesellschaft – ich spreche von der Regel, nicht von den Ausnahmen – nahm das Christentum als ein politisches Motiv hin, ließ es sich als ein polizeiliches Institut gefallen oder betrieb es als eine Modesache, oder würdigte es gar zu einem Hilfsmittel der Ausschweifung herab.

Ein gewiß unverwerflicher Zeuge, der Kirchenvater Hieronymus, läßt hierüber gar keinen Zweifel. Er erzählt als Augenzeuge; denn er hatte in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts in einer Stellung in Rom gelebt, die ihm den Zutritt in die modischen Gesellschaftskreise sicherte. Sooft er in seinem späteren Briefwechsel auf jene Zeit zurückkommt, gehen aus seiner Feder Sittengemälde hervor, die bald unser Lachen, bald unseren Abscheu erregen.

Er führt uns die vornehme Frömmlerin vor, wie sie buhlerisch geschminkt auf dem Lotterbette liegt, ein prachtvoll gebundenes Exemplar der Heiligen Schrift in der Hand, von schmarotzenden Priestern und Mönchen umgeben, die wetteifern, der Dame des Hauses die geistliche und weltliche Skandalchronik der Stadt zuzutragen. Oder er läßt uns mit ansehen, wie die vornehme Christin ihre Sänfte besteigt, um nach der Basilika Petri getragen zu werden, einen Schwarm von Eunuchen vorauf, eine Schar von Haus- und Leibsklaven hinterdrein, mit pomphafter Ostentation Almosen verteilend und begegnende Bekannte oder Unbekannte zu einer Agape, einem Liebesmahl, einladend. Wenn uns als Seitenstück zu diesem Typus einer Christin Hieronymus die charakteristische Figur eines modischen Diakon jener Zeit malt, wie er geschniegelt und gebügelt, das seidene Gewand von Wohlgerüchen duftend, die Haare kunstvoll gekräuselt, die Finger von Ringen strotzend, die Füße in zierlichen Saffianschuhen, in eleganter Equipage zur Visite bei seinen »geistlichen Freundinnen« vorfährt, so verstehen wir unschwer die Winke, die der Kirchenvater über die Zuchtlosigkeit im christlichen Rom fallen läßt, über die Ausschweifungen, die unter dem Deckmantel der »geistlichen Verwandtschaft« oder »Geschwisterschaft« zwischen Matronen und Jünglingen, Klerikern und Jungfrauen, Mönchen und Nonnen im Schwange gingen. Hieronymus Epistolae S. Hieronymi, 22, 123, 125, 147. (D. Verf.) gibt aber in betreff der sittlichen Versumpfung des christlichen Rom nicht etwa nur Winke, sondern er spricht drastisch deutlich genug und zeigt uns, wie durchaus unvermögend das Christentum war, dieses Rom aus seinem tiefen Sittenverfall aufzurichten. Alle Stände waren gleichmäßig davon verpestet. Wie bei solchen Zuständen immer, war das Institut der Ehe zu einem Spott geworden. Unser Kirchenvater erzählt, er habe ein Brautpaar aus dem Volke gesehen, das sich zusammentat, nachdem der Bräutigam bereits 20 Frauen, die Braut aber 22 Männer begraben hatte. Das Publikum war daher außerordentlich gespannt, mit wessen Sieg diese Ehe enden würde, und als der Mann gesiegt, d. h. als er mit einem Palmzweig in der Hand vor dem Sarge seiner vielmännigen Gattin einherschritt, wurde er von der Menge wie ein Triumphator bejubelt.

Zur nämlichen Zeit, wo solches geschah, wurde in den Theatern Roms die »Majuma« aufgeführt, eine theatralische Zote, deren Glanzpunkt war, daß eine Schar von nackten Lustdirnen vor den Augen der Zuschauer badete und dabei in laszivsten Gebärden und Gruppierungen sich zeigte.

Und doch wurde die weströmische Zuchtlosigkeit des 4. und 5. Jahrhunderts von der oströmischen des 6. noch überboten, in einer Weise, die der schamlosesten Verworfenheit für alle Zeiten den Namen der byzantinischen gesichert hat. Da, in Byzanz, erlebte es die Welt, daß der sehr »christliche« Kaiser Justinian eine Buhlerin der berüchtigsten Sorte aus dem tiefsten Schmutze des Komödiantentums und der Prostitution zu sich auf den Thron erhob, jene Theodora, die nur mit einem schmalen Gürtel bekleidet, auf der Bühne abscheuliche Pantomimen agiert und in unersättlicher Wollustgier die Natur der Kargheit beschuldigt hatte. Kargheit beschuldigt hatte – Procopii Historia arcana, Cap. 9-10. b) (D. Verf.) – Prokopios von Caesarea, der hier als Quelle angeführt wird, soll, wie neuere Forscher behaupten, so Dr. Karl Dieterich (Hofleben in Byzanz) in bezug auf Theodora nicht ohne gehässige Tendenz geschrieben haben. (D. Hrsg.)

Angesichts solcher Ausschreitungen des »Fleisches« muß uns, auf dem Standpunkte von damals, die Reaktion, die der christliche »Geist« in seiner Erscheinungsform als Möncherei dagegen versuchte, vollkommen berechtigt erscheinen. Es begreift sich, daß Menschen edleren Gehaltes, Männer wie Frauen, aus der wüsten Orgie einer bis ins Mark angefaulten Gesellschaft in die Wildnis sich sehnten und flüchteten, um da ihrem Gott in einsamer Beschaulichkeit zu leben. Der ruhige Beurteiler wird sich durch die allerdings schon sehr frühzeitige Ausartung des Mönchtums nicht bestimmen lassen, zu leugnen, daß die ursprüngliche Idee dessen eine reine und heldische gewesen. Sie war auch eine zwingende. Denn vorausgesetzt, daß das apostolische Christentum überhaupt eine Möglichkeit, so konnte es in der römischen Gesellschaft, wie sie einmal war, nur als Möncherei existieren. In dieser Form entsagte das Christentum einer Welt, die zu überwinden es nicht vermochte. Aber die Welt gibt ihre Ansprüche an den Menschen nicht so leicht auf, und so sehen wir denn das Mönchtum bald als ein sehr wirksames soziales Motiv in das Leben des Mittelalters eingreifen.

Nachdem im Orient vorzugsweise durch Basilius, im Okzident durch Benedikt von Nursia und seine kluge und fromme Schwester Scholastika das urchristliche Einsiedlerwesen die festen Formen und Regeln klösterlichen Lebens gewonnen hatte, wurde die Möncherei aus einer bloß passiven zu aktiven, namentlich diesseits der Alpen, wo eine rauhere Natur Mönche und Nonnen zu ganz anderen Anstrengungen nötigte, als es im Süden der Fall war. Bei uns in Deutschland, wie überhaupt im Norden sind zur karlingischen Zeit und noch lange nachher die Mönche, was auch immer ihre Schwächen sein mochten, die Bringer, Pfleger und Verbreiter materieller und geistiger Kultur gewesen. Die Klöster waren recht eigentlich Burgen der Zivilisation; denn wie ihre Insassen Wälder klärten, Flüsse dämmten, Getreidefelder zurüsteten, Obstbäume pflanzten, die Rebe an sonnigen Halden emporklimmen ließen, Gartengewächse einführten und daneben allerlei Handwerksgeschicklichkeit übten und lehrten, so bewahrten und pflegten sie, wenn auch in mönchisch-beschränktem Geiste, die literarischen Denkmäler der vielhundertjährigen Kulturarbeit des Altertums. Der deutsche Bauer tut fürwahr ganz recht, wenn er noch heute die Emmeran, Gallus, Fridolin, Pirmin, Kolumban und andere als Halbgötter verehrt; aber auch der deutsche Gelehrte, dem Möncherei und Christentum nur noch kulturgeschichtliche Bedeutung haben, sollte sich dankbar erinnern, daß die Götterbilder Homers und Vergils sowie die Gedankenwelt des Aristoteles und die Redekunst Ciceros aus der eingestürzten antiken Welt in die sich aufbauende moderne in Kuttenärmeln herübergetragen wurden.

Mit der Möncherei kam natürlich auch die Nonnerei nach Deutschland. Der große Bekehrer Bonifaz, eine Art von antizipiertem Jesuiten, indem er mit unbeugsamen Fanatismus die ganze Schlauheit eines abgefeimten Diplomaten verband und seinem Zwecke, Deutschland dem Römischen Stuhl zu unterwerfen alles nutzbar zu machen wußte, – Bonifaz verstand es vortrefflich, der Frauen sich zu bedienen, und da er in Deutschland noch nicht das passende weibliche Material vorfand, ließ er eine Anzahl geistlicher Freundinnen aus England herüberkommen, wo freilich, falls dem angelsächsischen Kirchenhistoriker Beda zu trauen ist, die Nonnerei schon im 7. Jahrhundert auf bedenkliche Abwege geraten sein mußte. Beda erzählt nämlich, daß die Nonnen seines Landes ihre Meisterschaft in der Webekunst hauptsächlich dann benutzt hätten, ihre Liebhaber mit prächtigen Kleidern zu beschenken. Die angelsächsischen Mitarbeiterinnen Winfrids in seinem Missionsgeschäft waren jedoch anderen Schlages und haben ein rühmliches Andenken hinterlassen. So die gelehrte Lioba, Äbtissin des Nonnenklosters Bischofsheim an der Tauber; ferner Thekla, Äbtissin des Nonnenklosters Kitzingen, und Walpurgis, Vorsteherin des Klosters Heidenheim. Bischofsheim insbesondere wurde und blieb lange eine Pflanzschule weiblicher Bildung. Vom 8. Jahrhundert an wurde die Zahl der deutschen Jungfrauen und Frauen, die sich als Förderinnen der Kirche, als Gründerinnen von Klöstern, als Nonnen und Reklusen hervortaten, in deutschen Landen immer größer und größer. Die Legenden wissen uns eine Menge von weiblichen Ganz- oder Halbheiligen vorzuführen. Die Nonnenkutte war auch außerhalb der Klöster ein begehrtes und geehrtes Gewand. Es gab eine nicht geringe Anzahl von Frauen, die es trugen und als »Gottesmägde«, »Verschleierte«, »Gottgeweihte« ehelos in ihren Familien lebten, zeitweilig oder für immer. Kloster- und Weltleben spielte überhaupt in dieser Zeit und noch lange nachher mannigfaltig ineinander, und obgleich eine Nonne, die ihr Gelübde brach, um in den Ehestand zu treten, exkommuniziert wurde, kam doch dieser Fall, besonders in den höheren Gesellschaftssphären, häufig genug vor, und man scheint sich vor der Zeit der Gregore und Innozenze aus dem Kirchenbann überhaupt nicht eben viel gemacht zu haben. Als Regel, die freilich viele Ausnahmen zählte, galt, daß kein Mädchen vor erreichtem 25. Lebensjahre, also nicht vor Eintritt des Altjungferntums, das bindende Klostergelübde ablegen sollte. Die Kapitularien Karls des Großen bezeugen übrigens, daß die Nonnen dem großen Organisator und Gesetzgeber nicht wenig zu schaffen machten. Es ist darin von Nonnen die Rede, die ein vagierendes Leben führten, statt ihrem himmlischen Bräutigam treu zu bleiben, sehr weltliche Liebschaften pflegten, sogar um Geld, und deren Folgen mittels Verbrechen beseitigten, gegen die mit strengen Strafen verfahren werden mußte. Es wird darin auch verboten, Nonnenklöster in gar zu bequemer Nachbarschaft von Mönchklöstern anzulegen, und es wird der Verkehr von Mönchen und Nonnen untereinander, sowie von Laien und Religiösen beiderlei Geschlechts so sehr bis ins Einzelne hinein geregelt, daß augenscheinlich triftigste Gründe für eine derartige Maßregelung der häufig strauchelnden oder wohl ganz fallenden Frömmigkeit vorhanden sein mußten.

Die armen Nonnen!

Viele mochten ihr Gelübde unvorbedacht, in einem Anfall von Schwärmerei abgelegt haben, viele auch gezwungen, manche noch als Kinder, und nun waren sie in die düstere Zelle gebannt, während draußen Leben und Liebe riefen und lockten. Aber von Liebe, abgesehen von der himmlischen, sollten sie nicht einmal singen. Mit der ernsthaftesten Miene von der Welt verbot Kaiser Karl mittels Kapitulare vom Jahre 789 den Nonnen, Liebeslieder abzuschreiben und einander mitzuteilen, »winileodos scribere vel mittere«. Oder dürfen wir vielleicht annehmen, daß der Kaiser, bekanntlich selber sehr verliebter Natur, stillvergnügt vor sich hingelächelt habe, als ihm dieses Edikt zur Unterzeichnung vorgelegt wurde? Was wir bestimmt wissen, ist, daß das in Rede stehende Verbot das Schicksal so vieler anderer Verbote hatte. Die Winilieder verstummten in den Nonnenklöstern ebensowenig wie in den Männerklöstern. Wir kommen weiterhin darauf zurück.

Die hohe Wertung des jungfräulichen Standes in der christlichen Kirche und damit auch die Verbreitung der Nonnerei hing aufs genaueste mit dem Marienkult zusammen, der seit dem 5. Jahrhundert ein immer bedeutsameres Moment im Christentum geworden war. Das »Ewigweibliche« hatte nicht gerastet, bis es auch in dem neuen Glauben seine mythologische Anerkennung gefunden. Man könnte die Vergottung der Mutter Jesu als eine Einräumung begrüßen, zu der der schneidende Spiritualismus des Juden-Christentums der Natur gegenüber sich herbeiließ, wäre nur diese Einräumung nicht wieder dadurch illusorisch gemacht – wenigstens im Sinne der Dogmatiker –, daß die Figur der Maria sofort wieder in die Region der Unnatur hinübergerückt wurde, indem man sie, deren Anspruch auf Göttlichkeit doch gerade auf ihrer Mutterschaft beruhte, mit aller Gewalt wieder zur Jungfrau, zur ewigen Jungfrau machte. Dieser Afterwitz, wie noch so mancher andere, ging aus dem Kreise jener griechisch-alexandrinischen Tüftler hervor, denen es ja gelungen ist, die an sich so einfachen und menschlich-schönen Vorgänge der evangelischen Sagengeschichte zu einer Philosophie der Unvernunft zu verflüchtigen. Einer dieser Tüftler zwar, der Kirchenvater Epiphanius, scheint im 4. Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung noch eine lebhafte Erinnerung an den menschlich-schönen Olymp der Hellenen bewahrt zu haben, wenigstens in lichten Augenblicken. Denn da sah und beschrieb er in seinem »gegen die Ketzer« gerichteten »Panarion« in der Maria die christliche Venus, das Ideal weiblicher Schönheit.

Es dürfte für die Leserin und wohl auch für den Leser nicht unangenehm sein, das weibliche Schönheitsideal, wie es sich der Phantasie eines Kirchenvaters darstellte, näher anzusehen:

»Die schönste der Frauen«, sagt Epiphanius, »war Maria. Durchaus wohlgestaltet und weder zu kurz noch zu lang. Ihr Leib war weiß, schöngefärbt und fehllos, ihr Haar lang, weich und goldfarben. Unter einer wohlgebildeten Stirne und schmalen, braunen Brauen leuchtete ihre mäßig großen Augen hervor, mit einem Lichte wie das des Saphirs. Das Weiße aber darin war milchfarben und glänzend wie Glas. Die gerade und regelrecht gestaltete Nase, sowie der Mund mit den schön geschnittenen und rosenfarbenen Lippen waren lieblich anzusehen. Ihre reinen und schöngereihten Zähne verglichen sich an Weiße dem Schnee. Jedes ihrer Wänglein war wie eine Lilie, auf welcher ein Rosenblatt liegt. Ihr schöngerundetes Kinn trug ein Grübchen, die Kehle war weiß und blank, der Hals schlank und von rechter Länge. Ihre weißen Hände zeigten lange und schmale Finger mit reinen und wohlgeformten Nägeln. Schön war ihr Gang, anmutig ihr Mienenspiel, züchtig all ihr Gebahren. Summa: Gottes Sohn ausgenommen, besaß niemand einen so schönen und reinen Leib wie die Jungfrau Maria« ...

Merkwürdig ist an diesem, meines Wissens in solcher Ausführlichkeit ältesten Marienbildes der Umstand, daß es, obgleich von einem Palästinenser entworfen, durchaus den Typus germanischer Frauenschönheit trägt: goldblondes Haar, blaue Augen, Lilienweiß und Rosenrot der Wangen. Die künstlerische Tradition der Madonnenbildnerei in Worten und Farben hat bekanntlich diesen Schönheitstypus im ganzen bis auf unsere Tage herab festgehalten.

Die Vorstellung von der Mutter Jesu mußte jedoch noch die widerwärtige Prozedur des sogenannten nestorianischen Streites durchmachen, bevor sie zu dogmatischer Festigkeit gelangte. Es handelte sich dabei um den Streitpunkt, ob, wie Nestorius wollte, Maria als »Christusgebärerin« oder, wie seine Gegner verlangten, als »Gottesgebärerin« schlechthin zu verehren wäre. Die nestorianische Ansicht unterlag der gegnerischen im Jahre 431 auf dem Konzilium zu Ephesus, und unlange darauf weihte der römische Bischof Sixtus III. der »Jungfrau« Maria, der »Gottesgebärerin«, deren Kultus bis dahin im Abendlande nur ein unbestimmter und schüchterner gewesen war, zu Rom die neuerbaute Basilika des Liberius auf dem esquilinischen Hügel, wohl der erste Tempel, der ausdrücklich der Gottesmutter gewidmet wurde. Ferd. Gregorovius, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, herausgegeben von Dr. Fritz Schillmann, Dresden, 2 Bände o. J. 1. Band S. 63 f. (D. Hrsg.)

Hiermit war die neue Göttin feierlich als Chorführerin der gesamten Schar der Heiligen inthronisiert. Ihr Dienst verbreitete sich von Rom aus über den Westen und Norden Europas und das »Ave Maria!« wurde in der ganzen Christenheit ein häufigstes und heiligstes Schiboleth, eine wahre Zauberformel, von deren alles bewältigender Kraft zahllose Legenden zu singen und zu sagen wissen. Denn Maria ist der Lieblingsgegenstand der christlichen Poesie und Kunst geworden: alles menschlich Schöne und menschlich Rührende in dem neuen Glauben knüpfte sich an diese Frauengestalt. Mit welcher Innigkeit aber die Mutter Jesu bei uns in Deutschland schon im 9. Jahrhundert verehrt wurde, zeigt uns eines der bedeutendsten Werke, die die christliche Dichtung hervorgebracht hat. Ich meine jene in altsächsischer Sprache gedichtete Evangelienharmonie, die der Sage nach auf Anregung Ludwigs des Frommen durch einen sächsischen Bauer geschaffen wurde, der aber ein Bauer gewesen sein müßte, wie es nachmals keinen mehr gegeben. Dieses Gedicht, dem der Herausgeber Schmeller den Titel »Heliand Heliand. Aus dem Altsächsischen von Paul Herrmann (Reclam), Abschn. 4 S. 28 ff. (D. Hrsg.)«, Heiland, gab, ist ohne Frage das großartigste poetische Denkmal unserer ältesten Literatur. Es erzählt die Geschichte Jesu nach den Angaben der Evangelien, aber es erzählt sie so, daß die Erzählung durchweg den Stempel eines deutschen Originalwerkes erhält. Ganz im Gegensatze zu der Unfreiheit, womit sonst die älteste geistliche Dichtung in Deutschland römische Vorbilder nachahmte, hielt der ungenannte sächsische Sänger an den Überlieferungen und der Tonart des alteinheimischen Heldengesanges fest und durchtränkte seinen biblischen Stoff so glücklich mit nationalen Anschauungen, daß er mit echtepischer Naivität durchweg den Eindruck hervorbringt, als hätte die Geschichte Jesu auf deutschem Boden gespielt. Maria nennt er wiederholt »der Weiber schönstes« und überall, wo er auf sie zu sprechen kommt, klingt der volle Ton altgermanischer Frauenverehrung an. So z. B. in der Stelle, wo der Maria ihre hohe Bestimmung verkündigt wird.

Als ein sehr charakteristischer Zug des deutschen Mariendienstes ist das »Minnetrinken« zu Ehren der jungfräulichen Gottesmutter hervorzuheben. Es war uralter germanischer Brauch gewesen, beim festlichen Mahle den Göttern oder vielmehr diesem oder jenem bestimmten Gotte, dieser oder jener bestimmten Göttin ein Trankopfer zu spenden, indem man zu deren Gedächtnis einen Becher leerte. Man hieß diese Zeremonie Minnetrinken, weil ja das Wort Minne ursprünglich Gedenken bedeutete.

Wie unzählige andere religiöse Bräuche nahmen unsere Altvorderen auch diesen mit ins Christentum herüber, und wie ihre Ahnen Wuotans oder Frouwas Minne getrunken, so tranken sie nun Christi oder Mariens Minne. Maria nahm in der Anschauung der bekehrten Deutschen überhaupt die Stelle ein, die die Frouwa oder Holda innegehabt hatte, und man kann kühnlich behaupten, daß die der mütterlichen Jungfrau zugeteilte Rolle einer Vermittlerin zwischen der Gottheit und der Menschheit unter allen Völkern von dem deutschen im tiefsten und innigsten Sinne gefaßt worden sei. »Das Ewigweibliche zieht uns hinan« – dieses Wort, womit das größte Dichterwerk der germanischen Welt schließt, war im Mittelalter eine religiöse Wirklichkeit.

Die Kirche mußte, indem sie sich der Gewissen bemächtigen wollte, vor allem darauf ausgehen, auf die Familienverhältnisse Einfluß zu gewinnen. Sie unternahm daher eine Umbildung der germanischen Ehe im christlichen Sinne, indem sie Polygamie und Kebsenwesen bekämpfte und die Unauflösbarkeit des ehelichen Bandes als Regel feststellte. Als Ausnahme von der Regel ließ sie gelten den Ehebruch, lebensgefährliche Nachstellung, die der Mann der Frau oder die Frau dem Manne bereitete, Verbannung des einen Ehegenossen, Unvermögen des Mannes, Unfruchtbarkeit oder Kränklichkeit der Frau, endlich gegenseitiges Einverständnis zu heiligen Zwecken, d. i. Trennung der Gatten behufs des Eintritts eines von ihnen oder beider ins Kloster.

Indessen kann nicht verschwiegen werden, daß weder die kirchlichen Ehegesetze noch die theoretische Hochschätzung mönchischer und nonnenhafter Keuschheit, noch auch der aufkommende Mariendienst mächtig genug waren, das karlingische Zeitalter vor grober Sittenlosigkeit zu bewahren. Die geschlechtliche Verwilderung der merowingischen Zeit griff augenscheinlich genug in die karlingische herüber, und Kaiser Karl selber gab hierin seinem Hause und seinem Reiche ein nichts weniger als erbauliches Beispiel. Karls des Großen Minnezauber aus Enenkels Weltbuch, mitgeteilt in v. d. Hagens Gesamtabenteuer II. 619 ff. (D. Verf.)

In wie hohem Grade der große Herrscher dem Liebesgenuß ergeben gewesen, hat die Sage in ihrer Weise für die Nachwelt veranschaulicht, indem sie den Kaiser als unter dem Bann eines höllischen Minnezaubers stehend darstellte. Daß überhaupt an Karls Hof ein sehr freier Ton, eine sehr laxe Auffassung des Verhältnisses der beiden Geschlechter herrschte, ist unzweifelhaft. Zwar drücken sich die Zeitgenossen Karls und seines Nachfolgers, die die Biographen dieses Monarchen waren, ein Einhard, ein Thegan und andere, sehr vorsichtig aus, wie es von Höflingen nicht anders zu erwarten ist, aber was sie sagen oder andeuten, ist hinreichend, das geäußerte Urteil zu begründen. Einhard, der Schüler Alkuins, neben seinem Mitschüler Angilbert eine der Hauptstützen der von Karl begründeten kirchlich-lateinischen, am Hof und in den Klosterschulen gepflegten Bildung, meldet über die ehelichen und väterlichen Beziehungen des Kaisers folgendes: Seine erste Gemahlin (Berterad? Desiderata? Sibylla?), die Tochter des Langobardenkönigs Desiderius, verstieß er schon nach einem Jahre und vermählte sich mit der Hildegard, einer Schwäbin aus erlauchtem Geschlechte, die ihm drei (eigentlich vier) Söhne und drei Töchter, Hruotrud, Bertha und Gisla, gebar. Von seiner dritten Gemahlin Fastrada hatte er zwei weitere Töchter, Theoderada und Hildtrud, und eine Kebse gebar ihm die Ruodhaid. Seine vierte Gemahlin, Liutgard, war kinderlos. Nach ihrem Tode hatte er noch drei Kebsweiber, die Gerswinda, die ihm eine Tochter, Adaltrud, gebar, die Regina und die Adalinde. Die Erziehung seiner Kinder richtete er so ein, daß Söhne wie Töchter zuerst in den Wissenschaften unterwiesen wurden. Dann mußten die Söhne, sobald es nur ihr Alter erlaubte, nach der Sitte der Franken reiten, sich in den Waffen und auf der Jagd üben, die Töchter aber sich mit Wollenarbeiten abgeben und mit Spinnrocken und Spindel beschäftigen, damit sie sich nicht an den Müßiggang gewöhnten, und ließ er sie anleiten zu guter Zucht. Leider hat diese Anleitung nicht die gehofften Früchte getragen, denn Karls Töchter schlugen keineswegs ihrer Großmutter von väterlicher Seite nach, jener Bertha, deren hausmütterliche Tugenden die Sage feierte, indem sie ihr den Ehrennamen der Spinnerin gab. Da Karls Töchter, fährt Einhard fort, ungemein schön waren und von ihm aufs zärtlichste geliebt wurden, so ist es sehr zu verwundern, daß er keine von ihnen einem seiner Mannen oder einem Fremden zum Weibe geben wollte; aber er sagte, er könne ohne ihre Gesellschaft nicht leben, und behielt sie alle bis zu seinem Tode bei sich zu Hause. Darob mußte er, sonst so glücklich, die Tücke des Schicksals erfahren; er ging jedoch so über die Sache hinweg, als wäre nie der geringste Verdacht ob eines Fehltritts gegen sie entstanden oder ein Gerücht darüber laut geworden. Einhard, Leben Karls des Großen, Kap. 18, 19 (Reclam), Leipzig. (D. Verf.) Daß Einhard hiermit auf verliebte Abenteuer der Prinzessinnen hindeutet, wird sofort klar, wenn wir die wohlbezeugte Tatsache beachten, daß Karls Töchter uneheliche Kinder hatten. So die Hruotrud von dem Grafen Rorich einen Sohn, so die Bertha von dem gelehrten Angilbert zwei Söhne. Angilbert zwei Söhne – der Jüngere von ihnen, der Chronist Nithart, bezeugt im 4. Buch 5. Kap. seiner Chronik (Vier Bücher Geschichten, übers, von L. Müller, Leipzig 1911) selber seine Abkunft. (D. Verf.) Es ist möglich, daß diese Liebschaften nachträglich die Weihe eines rechtmäßigen Verhältnisses erhielten, wie ja auch in der allbekannten Sage von der Liebschaft Einhards und Karls Tochter Imma diese mißliche Sache so zurechtgelegt erscheint. Schade nur, daß jene romantische Geschichte von den nächtlichen Zusammenkünften der beiden Liebenden, von dem bedrohlichen Schneefall, von der sinnreichen Beseitigung dieser Gefahr und von der schließlichen Verzeihung des kaiserlichen Vaters vor der Kritik nicht bestehen kann. Einhards Frau hieß nämlich allerdings Imma, aber sie konnte keine Tochter des Kaisers sein, aus dem einfachen Grunde, weil Karl gar keine Tochter dieses Namens hatte.

Im übrigen setzten die Prinzessinnen ihren leichtfertigen Lebenswandel nach dem Tode des nachsichtigen Vaters fort, zum nicht geringen Ärger ihres Bruders Ludwig. Der ungenannte Zeitgenosse, der neben Thegan das Leben des frommen Kaisers geschrieben hat, erzählt, daß den von Natur so milden Sinn Ludwigs das ärgerliche Treiben seiner Schwestern schwer betrübte und erzürnte, und daß er, um wenigstens den Anstand zu wahren, einige Männer, die sich durch »greuliche Unzucht« besonders hervortaten, aus der Umgebung der Prinzessinnen gewaltsam entfernen ließ. Nithart, S. 25 f. (D. Verf.)

Wenn es am Hofe so herging und höchstgestellte Frauen ein solches Beispiel gaben, so konnte nicht ausbleiben, daß es auch in niedrigeren Kreisen mit weiblicher Zucht und Sitte im allgemeinen übel bestellt war. Das »Weiberhaus«, Geneztunk, genecium, verdorben aus dem griechischen γυναικεῖον, ist wohl schon zur karlingischen Zeit berüchtigt gewesen als ein Sitz der Ausschweifung, und von ihm übertrug sich der Name auf die Stätten der Prostitution im Mittelalter, die ja auch »Frauenhäuser« hießen.

An und für sich war zur karlingischen Zeit das Weiberhaus, auch Schrein, screona, genannt, der von den übrigen Gebäulichkeiten eines Gutes abgesonderte Raum, allwo die hörigen Mägde unter der Aufsicht einer Schaffnerin ihren Arbeiten oblagen. Die Sorge für die Bekleidung, auch der Männer, war nämlich damals und noch weit ins Mittelalter hinein, ausschließlich Sache der Frauen. In den Weiberhäusern wurden demnach die hierfür erforderlichen Linnen- und Wollenarbeiten vorgenommen, hier waren die Frauen mit Klopfen, Hecheln, Spinnen und Weben von Hanf, Flachs und Wolle, mit dem Zuschneiden und Nähen der Kleider für die Befriedigung eines höchst wichtigen Zweiges der menschlichen Bedürfnisse tätig, wobei schon nicht allein das Notwendige ins Auge gefaßt wurde, sondern auch das Zierliche. Denn wir erfahren aus Kaisers Karl Verordnungen über die Genecien, daß in ihnen auch die Kunst des Stickens im Schwange ging, und daß die Frauen verstanden, in die Kleiderzeuge und Teppiche mit Nadel und Weberschiff »Figuren« hineinzuzeichnen. Aber daneben mögen manchen Gutsherren die Geneztunke zugleich als Harems gedient und auch andere Männer zur Verübung von Ungebühr angelockt haben. Auf dieses deuten wenigstens die in den älteren und jüngeren mittelalterlichen Rechtsbüchern dagegen getroffenen Vorkehrungen. Das alemannische Recht büßte die Schwächung einer Magd, die Kleider zu verfertigen imstande war, mit sechs Schillingen, und der Sachsenspiegel bestimmte naiv: Wer eine gewöhnliche Magd »ohne ihren Dank (d. i. wider ihren Willen) beliegt«, soll sechs Schillinge Strafgeld bezahlen.

Da wir gerade von hörigen Frauen sprechen und einen heikelsten Punkt in ihrem Dasein berührt haben, so dürfte hier ein passender Ort sein, auch des vielberufenen sogenannten »Rechtes der ersten Nacht, des jus primae noctis Das grundlegende Werk über die Geschichte des »Jus primae noctis« ist das gleichnamige von Dr. Karl Schmidt, Freiburg i. B. 1881. Mit dem Aufgebot einer unerhörten Belesenheit kommt Schmidt zu dem Ergebnis, daß ein Recht der ersten Nacht nie bestanden hat. Diese Ansicht, mögen für sie noch so viele Scheingründe vorliegen, ist aber längst und gründlich widerlegt. Nicht zuletzt von Scherr. Mit vollem Recht sagt er auf die Ansicht Bluntschlis hin, die dann auch Schmidt zu der seinen macht, daß solche Bestimmungen nur ein »scherzhafter Ausdruck« seien: »Es ist doch wahrhaftig eine ganz neue Entdeckung, daß die alten Rechtssatzungen nur so zum Spaß niedergeschrieben worden wären, gleichsam zu dem Zwecke, einem späteren Juristen Gelegenheit zu geben, zu sagen: ›Das ist der Humor davon‹!« – (D. Hrsg.)«, zu gedenken.

Wie schon im ersten Buch erwähnt worden, hing die Verheiratung der Hörigen und Leibeigenen von der Einwilligung des Gutsherrn beziehungsweise seines Verwalters ab. Für diese Einwilligung, wodurch die zu schließende Ehe unter den Schutz der Herrschaft kam, wurde von dem Bräutigam eine Abgabe entrichtet, das Heiratsgeld oder der Ehezins, das Maritagium, in den verschiedenen deutschen Landen unter verschiedenen Namen bekannt als Bettmund, Bedemund, Hemdschilling, Frauengeld, Jungfernzins, Stechgroschen, Vogthemd, Nadelgeld, Bumede, Schürzenzins, Bunzengroschen. Daß dieses Herrenrecht der Unschuld leibeigener oder höriger Mädchen vielfach gefährlich werden mußte, lag in der Natur des ganzen Verhältnisses zwischen Herren und rechtlosen Mägden. Aber es ist uns außerdem, wenigstens aus drei Ländern Europas, glaubwürdig bezeugt, aus Frankreich, Rußland und Schottland, daß der Mißbrauch förmlich zu einem Recht versteinert war: der Herr hatte das Recht der ersten Nacht bei der leibeigenen Braut.

Was Deutschland angeht, so finden sich auf deutschem Boden nur wenig Spuren eines solchen tiefunsittlichen Rechtes oder besser Unrechtes, aber doch immerhin deutliche Spuren, förmliche Rechtsurkunden, die, wenn auch in ihrer jetzigen Form erst in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts aufgezeichnet, entschieden auf ein höheres Alter zurückweisen und deren bezügliche Bestimmungen man nicht willkürlich beseitigen oder gar für »scherzhafte Ausdrücke« ausgeben kann. Merkwürdigerweise stammen die fraglichen Urkunden beide aus der Landschaft Zürich und ist die eine unter dem Namen der »Offnung von Maur am Greifensee« vom Jahre 1543 schon seit längerer, die andere, die »Offnung der Hausgenossen zu Hirslanden und Stadelhofen« vom Jahre 1538, erst seit kürzerer Zeit bekannt. Also »sprechend die hoflüt, weller hie zu der helgen ee kumbt, der sol einen meyger (Gutsverwalter) laden und ouch sin frowen, da sol der meyger lien dem brütgam ein haffen, da er wol mag ein schaff in geseyden, ouch sol der meyger bringen ein fuder holtz an das hochtzit, ouch sol ein meyger und sin frow bringen ein viertenteyl eines schwynsbachen, und so die hochtzit oergat, so sol der brütgam den meyger by sim wib lassen ligen die ersten nacht, oder er sol sy lösen mit 5 Schilling, 4 Pfennig Grimm, Weistümer I. 43. Brugom – Zeitschrift für Schweizer Recht IV, I. 76. (D. Verf.)«. Dann: »Ouch hand die Burger die Rechtung, wer der ist, der uf den Güttern, die in den Kelnhof gehörend, die ersten nacht bi sinem Wibe ligen wil, die er nüwlich zu der Ee genommen hat, der sol der obengenannten Burger Vogt dieselben ersten Nacht bi demselben sinem Wibe lassen ligen, wil er aber das nüt thun, so sol er dem Vogt geben vier Schilling und dryg Züricher Pfenning, weder ser wil, die Wal hat der Brugom (Bräutigam).«

Es ist auffallend, daß die Örtlichkeit, wo diese Dokumente in Geltung waren, noch nie mit dem Umstand in Beziehung gesetzt wurde, daß in den beiden Ländern, in Frankreich und Schottland, wo das Recht der ersten Nacht glaubhaft nachweisbar, der Grundstamm der Bevölkerung keltisch war. Hatten doch auch im Zürichgau vor der germanischen Invasion Kelten gesessen, und so ist vielleicht im Hinblick darauf, daß gerade nur hier und sonst nirgends in Deutschland das in Ende stehende Recht urkundlich festgestellt sich vorfindet, die Vermutung statthaft, daß dieses ursprünglich ein keltisches gewesen. Freilich steht wieder die leidige Tatsache, daß auch anderwärts in Deutschland der Ehezins der Hörigen existierte, dem Versuch entgegen, das Germanentum von diesem Unrecht reinzubrennen, und so bleibt nur die Annahme übrig, das vorschreitende Gefühl der Menschlichkeit habe es den Hörigen schon frühzeitig ermöglichen wollen, der fraglichen Schmach zu entgehen, und zwar durch Leistung einer nicht zu hoch gegriffenen Steuer. Daß aber diese Steuer den Sinn eines Loskaufs der leibeigenen Bräute von dem Herrenrecht der ersten Nacht hatte, darüber gestatten die angezogenen Rechtsurkunden gar keinen Zweifel. Es steht uns Nachgeborenen übrigens kaum zu, über diese mittelalterliche Barbarei uns zu ereifern. Denn der Schürzenzins ist zwar aus unseren Gesetzbüchern verschwunden, aber der Usus oder Abusus ist geblieben: nur heißen die Nutznießer und deren Opfer jetzt nicht mehr Herren und Hörige, sondern Reiche und Arme ...

Wenden wir uns von dieser Episode zur kaiserlichen Pfalz des großen Karl zurück, so beschäftigt uns zunächst die Aufgabe, von der äußeren Erscheinung der Menschen, die dort aus- und eingingen, namentlich aber der Damen, ein möglichst anschauliches Bild zu entwerfen.

Karl, wenn auch wie alle wahrhaft großen Männer für seine Person in Tracht und Lebensweise der Einfachheit zugetan, wußte dennoch bei jeder feierlichen Gelegenheit einen Pomp zu entfalten, wie es dem Herrn des Abendlandes zukam. Freilich wies dieser Hofprunk, wie das auch die kaiserlichen Pfalzen zu Ingelheim, Nimwegen und Aachen taten, die aus in Italien zusammengerafften Beutestücken antiker Kunst mehr nur aufgeblockt als aufgebaut waren, noch immer ein barbarisches Gemisch von Reichtum und gespreizter Ungefügheit auf, gerade wie die lateinischen Hexameter des Poeten, der in den karlingischen Palästen die Töne Vergils nachzustammeln unternahm und hier unser Gewährsmann ist. Der schon genannte Angilbert nämlich, den man einen karlingischen Hofrat oder Hofprofessor heißen könnte, hat seinen kaiserlichen Gönner und Schwiegervater mittels eines biographischen Lobgedichtes verherrlicht, das jedoch nur bruchstückweise auf uns gekommen ist. Eines dieser Bruchstücke malt den Auszug des Kaisers und seiner Familie zu einer festlichen Jagd mit Farben, die deutlich erkennen lassen, was für Anforderungen man damals an Damen stellte, die für schön, elegant und modisch gelten wollten. Es ist in seiner Art ein vollständiges Bild des vornehmen Lebens jener Zeit.

Inmitten zahlreichen Gefolges Dr. Herm. Brosien, Karl der Große, Leipzig 1885, S. 144 f. Gustav Freytag, Bilder a. d. Vergangenheit 1. Band Ausgabe Hirzel-Klemm S. 342. Max Bauer, Frauenspiegel, München 1917, I. Band S. 105 f. (D. Hrsg.) tritt die Königin Liutgard, des erhabenen Karl anmutvolle Gemahlin, aus dem hohen Gemache vor, blendenden Nackens, der mit der Farbe der Rosen wetteifert. Purpurne Binden umwinden ihr die schneeigen Schläfen, von Steinschmuck schimmert der Hals, in doppelten Purpur ist das Linnenkleid getaucht, goldene Schnüre halten den Mantel fest, und auf dem Haupte funkelt die Krone von Gold und Edelgestein. Sie besteigt das prächtig geschirrte Pferd, und eine Schar edler Jünglinge und Jungfrauen bereitet sich, ihr zu folgen. Hinter ihr reitet Prinz Karl mit seinem Bruder Pipin, und durch die geöffneten Tore strömt der glänzende Jagdzug hinaus. Hörnerschall und Hundegebell erfüllen die Lüfte. In stolzer Ruhe reitet Hruotrud an der Spitze der Damen. Auf ihrem blonden Haar liegt die purpurne Binde, schimmernd von Edelsteinen, und darüber der goldene Kronenreif. Eine strahlende Spange hält den Mantel vor der Brust zusammen. Weiterhin glänzt Berta aus der Reihe der Frauen und Mädchen hervor. Männlichen Geistes, gleicht sie an Antlitz, Blick, Stimme und Haltung dem erlauchten Vater. Ein goldener Reif umzirkt ihre Stirn, durch die blonden glänzenden Haare sind goldene Schnüre geschlungen, des Halses Schnee birgt sich unter köstlichem Marderpelz, das Kleid funkelt von Topasen und anderen Edelsteinen in goldener Fassung. Dann kommt Gisla, die blendend weiße Schöne. Purpurfäden durchziehen das zarte Gewebe ihres Schleiers, der auf den rosig angehauchten Hals und Nacken niederfällt. Wie Silber schimmert ihre Hand, wie Gold ihre Stirn, ihre Augen besiegen an Feuer die Sonne, und sicher lenkt sie das flüchtige Roß ... Hurtig reitet Ruodhaid einher, auf blühendem Haupte die gemmengeschmückte Krone. Fuß, Nacken und Haar erstrahlen von vielfarbigen Steinen, um die Schultern fliegt der seidene, schmelzverzierte Mantel, vor dem Busen mit goldener Nadel geheftet. Dann Theoderade, die zierlichen Füße in von Steinschmuck schimmernde Schuhe gesteckt. Der gute Angilbert vergleicht diese Schuhe dem sophokleischen Kothurn, und wenn das nicht eine übelgewählte Redefigur ist, müssen sie recht dicke Sohlen gehabt haben. Ihre Stirn leuchtet, ihr Haar beschämt an Glanz das Gold, wie Sterne blitzen ihre Augen, eine Kette von echten Smaragden trägt sie um den blendenden Hals, mit dunklem Rauchwerk ist ihr schimmernder Mantel verbrämt, und auf schneeweißem Roß sprengt sie feurig dahin, umrauscht von glänzendem Frauengefolge.

Man sieht, an Schmuck fehlte es den karlingischen Damen nicht. Sie brachten es auch, übrigens im Wetteifer mit den Männern, glücklich dahin, daß schon im Jahre 808 der übermäßige Kleiderluxus von Staats wegen beschränkt werden mußte. Allerdings ging die bezügliche Verordnung nur auf Einschränkung des übermäßigen Aufwandes, der mit dem Pelzwerk, Ausfütterung und Verbrämung von Röcken und Mänteln bei beiden Geschlechtern, getrieben wurde; nichtsdestoweniger haben wir in ihr den Keim von allen den »Kleiderordnungen« zu erkennen, womit sich zum großen Mißbehagen modischer Herren und Damen die mittelalterlichen Obrigkeiten soviel zu schaffen machten, und zwar, wie bekannt, stets mit sehr problematischem oder wenigstens nur augenblicklichem Erfolge. Denn wenn sogar auf dem Felde der Politik, wie jedermann weiß, die »Diplomaten im Unterrock« die gefährlichsten und unwiderstehlichsten sind, wie wäre ihnen vollends auf dem Gebiete der Mode nachhaltig zu widerstehen? Selbstverständlich hatte sich auf diesem Felde auch vor alters, wie noch heute, das Unschöne, oft geradezu Tolle und unbegreiflich Abgeschmackte des größten und dauerndsten Beifalls zu erfreuen. Denn die Gemeinde der Unvernunft war, ist und wird immer sein die zahlreichste auf Erden. Die Geschichte der deutschen Frauentracht wird uns zu dieser traurigen Wahrheit noch manche Illustration liefern.

Als Angilbert, in den Strahlen höfischer Gunst und der Liebe einer Prinzessin sich sonnend, seiner Begeisterung über die karlingische Herrlichkeit in aufgebauschten Versen Luft machte, als er die feurigen Augen dieser Kronenträgerinnen, worunter sein eigenes Liebchen, das Goldblond ihrer Haare, ihren rosigen Teint, ihre zierlichen Hände und Füße, ihr sicheres und anmutiges Gebaren beschrieb, da hat er gewiß nicht daran gedacht, daß der karlingischen Dynastie ein so baldiges und trübseliges Ende beschieden sein könnte. Hundertundelf Jahre nach jenem, wo der große Karl im Sankt Peter das Danaergeschenk der römischen Kaiserkrone empfangen hatte, erlosch die deutsche Linie seines Stammes mit Ludwig dem Kind, und es war dieser Ausgang der Karlinger nicht etwa ein rascher, glänzender, tragischer, sondern vielmehr nur ein ruhmloses Hinsterben nach langem Siechtum, das bekanntlich schon mit Karls Nachfolger, dem frömmelnden und unfähigen Ludwig, begonnen hatte.

Es ist nicht unsere Sache, die Phasen dieser Krankheitsgeschichte zu verfolgen; aber als Gegenbild der vorhin gegebenen Szene aus dem Hofleben unter Karl dem Großen wollen wir eine weitere aus dem Leben seines Urenkels, Karls des Dicken, hervorheben, die allerdings der urkundlichen Beglaubigung entbehrt, jedoch in alten Überlieferungen der Hauptsache nach übereinstimmend erzählt wird. Es ist das Gottesurteil gemeint, dem Richardis, die zweite Gemahlin Karls des Dicken, sich unterwerfen mußte. Es war eben kein Wunder, daß ihr Tropf von Gemahl dieser Dame nicht gefiel; allein sie hatte überhaupt kein Gefallen an den Männern und scheint eine jener asketischen Frauen gewesen zu sein, wie wir sie im Mittelalter nicht selten aus zuchtlosesten Umgebungen auftauchen sehen. Karl der Dicke, dessen Befähigung und Tatkraft zu seinem Wollen, das Reich Karls des Großen wiederherzustellen, im lächerlichsten Mißverhältnisse stand, wurde von seinem Kanzler Liutward, Bischof von Vercelli, beherrscht. Eine Partei bei Hofe zettelte gegen den ehrgeizigen Priester eine Ränkelei an, indem sie Karls Gemahlin eines ehebrecherischen Umgangs mit dem Bischof beschuldigte. Karl war schwach genug, dieser ärgerlichen Anklage den Lauf zu lassen; allein die Ankläger hatten sich in dem Charakter der Richardis verrechnet. Denn sie bot der Beschuldigung Trotz mit der Behauptung, daß sie nie von einem Manne, nicht einmal, ungeachtet zwölfjähriger Ehe, von ihrem kaiserlichen Gemahl berührt worden und noch Jungfrau wäre. Ein Gottesurteil sollte darüber entscheiden. Eine älteste Tradition setzt diesen außerordentlichen Vorgang in das Jahr 887 und läßt die angeschuldigte Kaiserin ihre Unschuld durch die Wasserprobe erweisen. Der bekannte Chronist Twinger von Königshofen dagegen, der zu Ende des 14. Jahrhunderts schrieb, sagt: »Das (ihre Unschuld) bewerte sü domitte, daß sü ein gewihset Hemede ane det und damit in ein Für gieng und bliep unversert von dem Füre.« Twinger mochte sich dabei auf die Kaiserchronik stützen, ein aus dem 12. Jahrhundert stammendes und im 13. überarbeitetes Reimwerk, demzufolge Richardis das Gottesurteil der Feuerprobe siegreich bestand, und zwar mit einem wachsgetränkten Hemd angetan. Die betreffende Stelle der Kaiserchronik lautet neuhochdeutsch:
»Sie schlüpfte in ein Hemde,
Das dazu gemachet war.
An allen vier Enden,
Zu Füßen und zu Händen
Das Hemde sie entzünden;
In einer kleinen Stunden
Das Hemde ganz von ihr brann,
Das Wachs auf das Pflaster rann;
Die Frau des Schadens so genas –
Sie sprachen Deo gratias.«
Das ist nun freilich starke – Poesie. Eine Stunde, und wenn auch nur eine »kleine« Stunde lang zu brennen, ohne zu verbrennen, so etwas konnte man doch nur einer Zeit vorgaukeln, deren Mirakelsucht den dicksten Blödsinn mit Heißhunger verschlang. (D. Verf.)
Sehr begreiflich wollte die so streng Geprüfte von ihrem Gemahl nichts mehr wissen. Sie begab sich in das von ihr gestiftete Kloster Andlau im Straßburger Sprengel, wo sie 896 im Geruche der Heiligkeit starb.

Die Berufung auf ein Gottesurteil Gottesurteile. Herausgegeben von Dr. jur. Heinrich Glitsch, Voigtländers Quellenbücher Band 44. Leipzig, ein überaus interessantes Werkchen über diesen seltsamen und wissenswerten Stoff. (D. Hrsg.) blieb das ganze Mittelalter hindurch ein letztes Mittel angeklagter Frauen, sich zu reinigen. Die Ordalien umfaßten, neben dem schon früheren Ortes berührten gerichtlichen Zweikampf, verschiedene Proben, bei denen wir einen Augenblick verweilen wollen, da wir später bei Vorführung des Hexenprozesses darauf zurückzudeuten haben. Vorwiegende Proben waren die durch Feuer oder durch Wasser. Bei Anwendung des Feuerurteils mußte der oder die Beweisende die bloße Hand ins Feuer halten und, wenn er oder sie schuldlos sein sollte, diese unversehrt wieder hervorziehen; oder er oder sie mußten im bloßen Hemd durch einen entflammten Holzstoß gehen oder mit bloßen Füßen über sieben oder neun glühend gemachten Pflugscharen wegschreiten oder ein geglühtes Eisen mit bloßen Händen eine bestimmte Strecke weit tragen. Bei Anwendung des Wasserurteils mußte aus einem zum Sieden gebrachten Kessel ein Ring oder Stein mit bloßer Hand herausgeholt werden, »Kesselfang«, oder der oder die Angeschuldigte wurde nackt ins kalte Wasser geworfen. Blieb er oder sie oben schwimmen, so war der Beweis der Schuld geleistet, während das Untersinken die Unschuld bezeugte, was ohne Zweifel auf dem heidnischen und mit ins Christentum herübergekommenen Glauben beruhte, das heilige reine Wasserelement nehme keinen Verbrecher in sich auf. Dieser Art des Gottesurteils wurden im 16. und 17. Jahrhundert zumeist die sogenannten Hexen unterworfen und erhielt deshalb diese den Namen »Hexenbad« oder »Hexenprobe«. Wie es scheint, haben sich aber die deutschen Frauen im Mittelalter in Fällen, wo eine peinliche Anklage auf ihnen lastete, doch nicht immer auf die Gnade Gottes, sondern lieber auf die eigene Kraft und Gewandtheit verlassen. Denn es ist uns eine wunderliche Art von gerichtlichem Zweikampf bezeugt, den angeschuldigte Frauen mit ihren Anklägern zur Erhärtung ihrer Unschuld ausfochten, namentlich in Franken. Hier durfte die beschuldigte Frau den Beschuldiger zum Zweikampf mit ihr nötigen. Die Waffen waren Stöcke, und um das Verhältnis der Kräfte der beiden Geschlechter einigermaßen auszugleichen, wurde der Mann in eine Grube gestellt, von der aus er sich gegen die Angriffe der Frau verteidigen mußte, ohne seinen Platz verlassen zu dürfen. Wer von den Kämpfenden zuerst seine Waffe verlor, galt für besiegt. Anderwärts mußte der Mann, wollte er Sieger sein, die Frau köpflings zu sich in die Grube hineinstürzen. Gelang es hingegen der Frau, den Mann aus der Grube herauszuziehen, so war ihr Unschuldstriumph entschieden. Vulpius, Kuriositäten 1. Band S. 395. (D. Verf.)

Wir dürfen uns jedoch nicht einbilden, daß im Mittelalter hinsichtlich der Gottesurteile alle Leute köhlergläubig gewesen seien. Die Vernünftigeren wußten schon damals so gut wie heute, daß man die bloße Hand nicht ungestraft an ein glühendes Eisen halten oder in einen siedenden Kessel tauchen könne, und man müßte blind sein, wollte man nicht sehen, daß demzufolge mit den Ordalien mancher Spott und Ulk getrieben wurde. Aufgeklärte deutsche Dichter des 13. und 14. Jahrhunderts – denn schon damals gab es welche – spotteten ganz offen über die Menschen, die wähnten, natürliche Ursachen müßten nichtnatürliche Wirkungen haben. Ein Gedicht aus jener Zeit macht uns klar genug, wie es mit den Ordalien nicht selten gehalten werden mochte. Eine eifersüchtige Frau beteuert ihrem Mann ihre Liebe und fordert als untrügliche Gegenversicherung die Feuerprobe von ihm. Da er sich dazu bereit erklärt, das heiße Eisen Hagen, Gesamtabenteuer II. 373 ff. (D. Verf.) zu tragen, wird es geglüht und auf zwei Steine gelegt. Der Mann hat aber zuvor einen Span in seinem Ärmel verborgen, den er unvermerkt in seine Hand geleiten läßt, als er hinzutritt, das glühende Eisen aufhebt und unter Beteuerung seiner Treue sechs Schritte weit trägt. Dann schiebt er den Span wieder heimlich in seinen Ärmel zurück und zeigt seine unversehrte Hand. Die Frau ist zufriedengestellt, aber der Mann fordert sofort von ihr dieselbe Beweisleistung. Sie meint nun zwar, er sei ja wohl ohnehin überzeugt, daß er ihr lieber als Leib und Leben sei. Er jedoch besteht auf der Probe und macht das Eisen wieder glühend. Nun bittet sie, er möchte Nachsicht mit der weiblichen Schwäche haben und ihr den einen Mann, mit dem sie außer ihm zu tun gehabt, verzeihen. Das sagt er zu, besteht aber doch auf der Feuerprobe. Darauf bittet sie noch um zwei Männer, und als auch diese zugestanden werden, verspricht sie dem Gatten drei Pfund heimlich von ihr verwahrten Geldes, falls er noch weitere drei Männer zulasse. Er gewährt auch dieses, bedroht sie aber mit dem Tode, so sie noch weitere Ausflüchte suche. Sie muß also zu der Probe schreiten und nimmt das heiße Eisen zur Hand, verbrennt sich aber so jämmerlich, daß sie es schreiend fallen läßt.

Klüger stellte sich an und glücklicher bestand die Feuerprobe Isolde, die blonde Heldin Gottfrieds von Straßburg, der um 1210 sein herrliches Gedicht vom Tristan Tristan und Isolde, aus dem Mittelhochdeutschen übersetzt von Karl Pannier. 2 Bände, Reclam, Leipzig, Verse 15554 ff. S. 131, S. 134 f. 15660 ff. (D. Hrsg.) schrieb.

Gottfried, der, wie ich anderwärts gesagt, unter den mittelalterlichen Dichtern wie eine Vorerscheinung Goethes dasteht, hat auf manche Eigentümlichkeit seiner Zeit mit heiterer Ironie herabgesehen, und er hat deshalb auch, scheint mir, recht eigentlich es darauf angelegt, die Ordalien lächerlich zu machen. Isolde war mit Tristan, dem liebenswürdigsten Helden mittelalterlicher Dichtung, der aber, unglücklicherweise der Neffe ihres Gemahls Marke, ins Gerede gekommen, und zwar bekanntlich nicht ohne Grund. Sie wird angeklagt, dem alten Marke die Treue gebrochen zu haben, und auf den Rat seiner Prälaten und Barone veranstaltet der König, daß sie sich dem Gottesgericht der Feuerprobe unterziehen soll. Sie tut es, Gott und Menschen gleichermaßen täuschend. Mittels einer von ihr veranstalteten, höchst ergötzlichen Posse kann sie mit gutem Gewissen eidlich geloben daß außer Marke nur noch – und natürlich in allen Ehren – ein armer Pilgersmann, in dessen Habit aber Tristan steckt, in ihren Armen und an ihrer Seite gelegen habe. Auf diesen Eid hin »griff sie in Gottes Namen das glühende Eisen an und trug es, daß sie's nicht verbrann«. Gottfried ist aber damit noch nicht zufrieden. Denn indem er erzählt, die schöne und kluge Isolde habe unmittelbar vor der Feuerprobe reiche Vergabungen an Gold und Silber, Schmuck und Gewändern »um Gottes Huld« gemacht, d. h. der Geistlichkeit zufließen lassen, deutet er verständlich genug an, wie die Kirche, unter deren Leitung ja die Ordalien standen, unter Umständen, d. h. gehörig darum angegangen, es so oder so zu veranstalten wußten, daß Eisen oder Wasser nicht heißer gemacht wurden, als sich mit der menschlichen Haut verträgt.


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