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Inesse quin etiam sanctum aliquid feminis et providum putant Germaniae populi: nec aut consilia earum aspernantur aut responsa negligunt.
(Germaniens Völkerschaften glauben, daß etwas Heiliges und Prophetisches den Frauen innewohne. Darum mißachtet man nicht deren Ratschläge und überhört nicht ihre Weissagungen.)
Tacitus, Germania 8.
Die Anfänge aller Völkergeschichten bergen sich in Finsternis und Schweigen. Unsere Mutter Erde selbst zwar hat angefangen, ihre Millionen und wieder Millionen Jahre zurückreichende Urgeschichte zu erzählen; aber die Urgeschichte der Menschheit ist vergangen wie der Schatten eines Schattens. Mit bewunderungswürdiger Geduld und Kombinationsgabe hat die Wissenschaft der Geologie aus dem Trümmerschutt der Erderevolutionen die versteinerten Hieroglyphen herausgesucht und zu dem Alphabet zusammengesetzt, in dem die vorsintflutliche Geschichte des pflanzlichen und tierischen Lebens unseres Planeten geschrieben ist. Ein Rückblick in vordenkliche Vergangenheit ist uns demzufolge da aufgetan. Wir schauen den gigantischen Kampf der schaffenden und zerstörenden Kräfte, dessen Endergebnis die Bildung der Menschenheimat war. Freilich, diese ungeheuren Katastrophen in ihrer ganzen Furchtbarkeit sich vorzustellen, vor solchem Wagnis muß selbst die kühnste Phantasie schwindelnd zurückbeben. Aber sie kann es doch unternehmen, ein mehr oder weniger deutliches Bild von jener Urwelt zu entwerfen, wo durch das Geschling einer riesenhaften Pflanzenwelt die Riesenleiber der Behemothe sich wanden und Leviathane die Ozeane durchfurchten, und sie hält auch den schreckensvollen Anblick aus, wie die rotglühenden Basaltmassen aus dem Gewoge emporstiegen und mittels einer abermaligen Schöpfungskrise die Erde endlich eine feste Gestalt gewann.
Auf die Frage nach dem Ursprung und der Scheidung der Menschenrassen dagegen hat die Wissenschaft bislang keine befriedigende Antwort zu finden gewußt, und nur die dichtende Einbildungskraft hat sie zu geben versucht oder vielmehr mannigfachste, alle die bunten religiösen Mythen vom Ursprunge des Menschengeschlechtes. Aus Analogien gezogene Schlußfolgerungen sind alles, was die Forschung hier zu bieten vermag. Als Neuseeland zuerst von Europäern betreten wurde, fanden sie dort einen Kannibalismus vor, der in jenen Inselgebieten noch heute keineswegs ganz aufgehört hat. Und doch mußten schon zahllose Generationen jener Wilden gekommen und gegangen sein, bevor sie sich aus tierischem Vegetieren auch nur zu dem Zustande heraufgebildet hatten, in dem Cook und seine Gefährten sie trafen. Sie besaßen doch schon eine ziemlich entwickelte Sprache, eine gewisse soziale Ordnung und das Bedürfnis der Erinnerung an ihre Vorfahren. Wo aber dieses als ein notwendiges Zubehör der eigenen Existenz von den Menschen einmal gefühlt und gepflegt wird, da hebt die Überlieferung, die Amme alles Wissens von Geschehenem, ihre Tätigkeit an, und damit schreitet ein überhaupt bildungsfähiges Volk aus dem bloßen Naturdasein allmählich auf das Gebiet des Geistes und der Geschichte vor.
Wie unendlich langsam im Anfange dieses Vorschreiten der Menschheit sein mußte, ist jedem einleuchtend, der beobachtet, was für Schwierigkeiten die Kraft der Trägheit und die Macht der Gewöhnung den Forderungen der Vernunft und Humanität nicht allein in den urteilslosen Massen, sondern in allen Gesellschaftskreisen auch heutzutage noch entgegenstellen. Es müßte sehr anziehend sein, im einzelnen zu wissen, wie vieler Jahrhunderte es bedurfte, bis die Ahnen der jetzigen Kulturvölker Europas auch nur die ersten Elemente der Zivilisation, ja sogar nur die ersten Vorbedingungen eines über das Tierische emporgehobenen Daseins sich zu eigen gemacht. Die aufgeworfene Frage, wie vieler Jahrhunderte es bedurfte, bis die Ahnen der jetzigen Kulturvölker Europas sich die allerersten Elemente der Zivilisation zu eigen gemacht, ist heute noch nicht in allen Teilen beantwortet, aber jedenfalls ihrer Lösung ungleich näher gebracht, als vor fast 70 Jahren, da Scherr an seinem Werk gearbeitet hat. Es ist natürlich unmöglich, hier auch nur andeutungsweise die Urgeschichte der europäischen Kultur abzuhandeln. Wer sich eingehender damit befassen will, dem sei das schöne Werk von Dr. Heinr. Schmitz, »Urgeschichte der Kultur«, Leipzig, empfohlen, aber noch mehr die Arbeit von Ludwig Stein »Die Anfänge der menschlichen Kultur«, die als 96. Bändchen in Teubners Sammlung »Aus Natur und Geisteswelt« 1906 in Leipzig erschienen ist. (D. Hrsg.) Alle geistige Kultur hat schon einen gewissen Grad von materieller zur unumgänglichen Voraussetzung, und höhere Bildung kann bekanntlich überhaupt erst dann beginnen, wenn der Mensch aus einem Jäger, Fischer oder Hirten zum Ackerbauer geworden ist. Schweifende Nomaden sind und bleiben Horden. Erst seßhafte Stämme bilden eine Gesellschaft mit festen, der Entwicklung fähigen Satzungen. Die ersten von der Pflugschar gezogenen Furchen sind überall zugleich die Grundlinien staatlicher Ordnung gewesen, und sinnvoll hat darum der hellenische Götterdienst in der Ährengöttin Demeter auch die große Kulturbringerin verehrt.
Unsere vaterländische Altertumsforschung, von der vergleichenden Sprachwissenschaft getreulich unterstützt, hat es sich angelegen sein lassen, das Alter der ackerbauenden Kultur unseres Volkes wenigstens annähernd zu bestimmen. Es liegt jedoch in der Natur der Sache, daß bei solchen Versuchen der Aufhellung urzeitlichen Dunkels scharfsinnige Vermutungen gar häufig die Stelle allseitig gesicherter Tatsachen vertreten müssen. Als feststehend gilt, wie jedermann weiß, daß der germanische Stamm – dessen Auszweigungen die Deutschen, Dänen, Schweden, Norweger und, freilich in Vermischung mit keltischen und normannisch-französischen Elementen, die Engländer sind –, aus derselben Völkerwurzel erwachsen sei, aus der auch die Stämme der Inder, der Iranier, der Hellenen, der Italiker, der Kelten und der Slawen hervorgegangen. Diese große Gesamtfamilie der Indogermanen oder Arier war zu Anfang wahrscheinlich auf der mittelasiatischen Hochebene des Hindukusch oder Paropamisos gesessen, aus dessen Schneeregionen der Indus gen Süden, der Oxus gen Norden herabsteigt. Die Ansicht von der indogermanischen Abstammung der Europäer, vornehmlich der Germanen, von der noch Scherr wie fast alle Wissenschaftler seiner Zeit bis knapp zur Gegenwart durchdrungen waren, hat nun einen argen Stoß erlitten. Die überwiegende Mehrzahl der Forscher, der Prähistoriker, der Kulturgeschichtler wie der Sprachforscher neigt heute dahin, die ältesten Sitze der Germanen an der See, und zwar an der Ostsee, zu suchen. Die Zeit liegt noch nicht lange zurück, wo man – ich folge Georg Steinhausen – mit erstaunlicher Sicherheit die Einwanderung der Indogermanen und die Verdrängung eines europäischen Urvolkes durch sie als feststehende Tatsache hinstellte. »Demgegenüber muß doch betont werden, daß in allen diesen Fragen, insbesondere aber in der das indogermanische Urvolk betreffenden nur eine gesunde Skepsis am Platze ist.« Das Forschungsmaterial wird niemals genügen, über die Urzeit einwandfreie Anschauungen zu sichern, und das Ergebnis aller bisherigen Forschungen ist nichts weiter als eine vielleicht ganz sinnreiche, aber nirgends verankerte Konstruktion. Die Erschütterung des Indogermanendogmas ist aber keineswegs das Werk jüngerer Gelehrter. Ludwig Lindenschmitt, eine Leuchte der deutschen Altertumskunde, hat schon vor der »indogermanischen Hypothese, diesem Ausgangspunkt so vieler Täuschungen« gewarnt. Weitere, in Einzelheiten gehende Ausführungen, alle geeignet, die arischen Rassenverfechter ad absurdum zu führen, bei Georg Steinhausen »Germanische Kultur in der Urzeit«, Leipzig 1905 S. 3 ff. (D. Hrsg.) Aus der arischen Urheimat (Airijana vaìdsha) geschah die große Auswanderung, die die indogermanische Familie trennte. Das Resultat dieses Auszuges war, daß das Sanskritvolk in der Halbinsel des Ganges, das Zendvolk in Iran, die Hellenen und Italiker im südlichen, die Kelten im westlichen, die Germanen im nördlichen und mittleren, die Slawen im östlichen Europa sich festsetzten. Von welchen ungeheuren Umwälzungen diese Völkerströmungen begleitet sein mußten, bis sie endlich zur Ruhe gekommen, kann nur geahnt werden. Dagegen ist sicher, daß das Band indogermanischer Völkerverwandtschaft nicht ganz zerrissen wurde; denn es blieb die Wurzelgemeinschaft der Sprachen, es blieb die Gemeinsamkeit der religiösen Grundanschauung. Das sanskritische dêva, Gott, kehrt in den indogermanischen Idiomen und ihren Töchtersprachen wieder: im Zend daêva, im Griechischen δεός, im Lateinischen deus (davon französisch dieu, italienisch dio, spanisch und portugiesisch dios), im Gothischen tius, im Skandinavisch-Eddischen tivar (Mehrzahl), im Althochdeutschen Zio (auf einen bestimmten Gott beschränkt), im Litauisch Slawischen diewas. Das Wort stammt von der Wurzel div, leuchten. Auf den Lichtbegriff läßt sich daher alles indogermanische Gottesbewußtsein zurückführen. Es blieb auch die dunkle Erinnerung an gemeinsame Überlieferungen urzeitlichen Heldentums. Am deutlichsten lebt diese Erinnerung in der Verwandtschaft unserer uralten Sage von Hildebrand und Hadubrand mit der altpersischen Sage von Rustem und Sohrab, sowie in den hellen Anklängen unserer Siegfriedsage an die altindische Karnasage. Wann aber und unter welchen Umständen die Trennung der Germanen von den indogermanischen Brüdern und ihre Einwanderung nach Europa stattgefunden, wird wohl für immer ungewiß bleiben. Vorausgesetzt indessen, die zweifelhafte Annahme, daß die ackerbauende Kultur der indischen und iranischen Arier nicht vor dem 12. Jahrhundert v. Chr. ihren Anfang genommen, besitze irgendwie den Wert einer geschichtlichen Tatsache, so würden wir dadurch einen Anhaltspunkt gewinnen, um wenigstens einigermaßen die Zeit jener Trennung bestimmen zu können. Denn das Deutsche stimmt in der Bezeichnung mancher Gegenstände der Viehzucht fast bis zum Wortlaute mit dem Sanskrit zusammen, wogegen die Gleichheit oder Ähnlichkeit der beiderseitigen Wortformen für ackerbauliche Dinge schon undeutlicher wird und bald ganz verschwindet. Hieraus dürfte folgen, daß die Germanen auf der Grenzscheide zwischen nomadischem und ackerbauendem Leben von ihren arischen Stammgenossen in Asien sich getrennt haben müssen, also im 12. oder 11. vorchristlichen Jahrhundert. Mit ihrem Vorrücken nach Westen erlosch dann in ihnen die Erinnerung an den gemeinsamen Stammnamen der Arier, der übrigens, wie mir scheint, den Indogermanen in ihren ursprünglichen Sitzen noch gar nicht eigen gewesen war, sondern vielmehr erst nach der Festsetzung indogermanischer Völkerschaften in Indien und Iran aufgekommen sein mag. Das Sanskritwort arja bedeutet nämlich der Ehrwürdige, der Herr, Meister, Gebieter, das Zendwort airija die Herren. Es ist demnach anzunehmen, daß die indogermanischen Stämme, die erobernd nach Indien und Iran einwanderten, erst nach ihrer dortigen Niederlassung sich Arier genannt haben, im Gegensatz zu den unterworfenen und geknechteten Ureinwohnern.
Werdende Völker hat man oft und passend mit Kindern verglichen, weil bei diesen wie bei jenen alle geistige Tätigkeit durch die Phantasie bestimmt und beherrscht wird. Erst mit der vorschreitenden Kultur tritt an die Stelle der Mythen- und Sagenbildnerei, in der sich der intellektuelle Trieb der Völker in ihrem Kindesalter betätigt, die geschichtliche Überlieferung, die, solange sie nur mündlich von Geschlecht zu Geschlecht fortgepflanzt wird, wiederum gern eine mythen- und sagenhafte Färbung annimmt. Der Gebrauch der Schrift gibt dann die Möglichkeit chronikartiger Aufzeichnung von Geschehenem und Geschehendem, und an dem so Festgehaltenen mag die spätere Kritik ihren Scharfsinn üben, das Tatsächliche oder wenigstens Mögliche von den mythischen Zutaten scheidend. Die Urkunden heidnisch-germanischen Lebens und Webens, wie sie in deutscher Sprache uns leider nur spärlich und fragmentarisch, in altnordischer dagegen reichlich überliefert worden sind, bezeugen uns ein dichterisches Schaffen der Germanen, dessen Anfänge vielleicht über ihre Ansiedelung in Europa hinaufreichen. Mitunter ist uns, als wehte aus den alten Götter- und Heldenliedern Urheimatlich-Asisches uns an. Auf die verwandten Anklänge in der deutschen und der indisch-iranischen Heldensage ist bereits flüchtig hingedeutet worden und ebenso auf die gemeinsame Grundvorstellung von Göttlichem. Allerdings haben sich auch die Germanen, wie das noch manches andere Volk von eigentümlicher Entwicklung tat, für ein mit dem Boden ihres Landes von Urbeginn an verwachsenes Urvolk, für Autochthonen, Erdentsprossene, gehalten. Allein ich finde, daß gerade in der religiös-dogmatischen Fixierung dieser Vorstellung von Autochthonie in dem nordischen Mythus vom Urriesen Ymir eine Erinnerung an die alpenhafte indogermanische Urheimat am Hindukusch nachklingen könnte. Freilich, sowie wir aus den ahnungsreichen Nebelregionen phantastischer Mythen auf den festen Grund geschichtlicher Zusammenhänge vorschreiten möchten, gähnt uns eine Kluft entgegen, über die eben nur die Einbildungskraft eine Brücke zu schlagen vermag. Der Faden historischer Tradition, der die europäischen Indogermanen mit den asiatischen verknüpfen sollte, ist gerissen. Die Germanen wußten nicht, ob, wann und wie sie aus Asien gekommen. Noch mehr, bevor sie infolge des feindlichen Gegensatzes, den die germanische Welt zur griechisch-römischen bildete, in die Weltgeschichte eingeführt wurden, hatten sie überhaupt keine Geschichte, oder sie ist uns wenigstens nur im Gewande der Sage überliefert worden. Da an diesem Gewande nicht nur die ganze heidnische Zeit, die von der Ansiedelung unserer Altvorderen in Europa bis zu ihrer Berührung mit den Römern verfloß, sondern auch noch manche christliche Jahrhunderte gewoben haben, so ist die Möglichkeit, den geschichtlichen Kern aus der dichterischen Hülle zu lösen, unwiederbringlich verloren. Wir wissen nur, daß der griechisch-römischen Welt die germanische als ein Unbekanntes, Drohendes, Geheimnisvolles gegenüberstand.
Das Geheimnisvolle hat aber von jeher die Menschen angezogen. So kann es nicht wundernehmen, daß die germanische Ferne schon frühzeitig die Neugier oder Abenteuerlust von einzelnen Angehörigen der antiken, d. h. der griechisch römischen Gesellschaft herausforderte. Es war wohl weniger Neugier und Abenteuerlust, die nach dem geheimen Lande der Hyperboreer lockte, als Gewinnsucht. Die Fahrten nach dem Norden galten dem gelben Meeresgold, dem Bernstein, und dem kostbaren Zinn. (D. Hrsg.) Solche Reisende setzten dann im heimischen Süden die Kunde von dem, was sie bei den »Hyperboräern« und im »Wunderland Thule« gesehen oder auch nicht gesehen, in Umlauf, und es ist nicht unglaublich, daß in den Städten von Hellas und Italien Sagen von germanischer Natur und Art umgingen, die nicht weniger wunderbar lauten mochten wie das, was Swift seinen Gulliver von den Zuständen in Liliput, Brobdingnag und Laputa erzählen läßt.
Mit solchen Fabulierern darf, soweit eine Entscheidung möglich, jener Pytheas aus Massilia nicht zusammengeworfen werden, der etwa zur Zeit Alexanders des Großen, also im 4. Jahrhundert v. Chr., von seiner phokäischen Vaterstadt, dem jetzigen Marseille, aus zwei Fahrten zur Umsegelung des Festlandes von Europa unternahm.
Von diesem wißbegierigen Griechen stammen aller Wahrscheinlichkeit nach die ältesten Berichte über den germanischen Norden, und es ist daher zu beklagen, daß von seinem Reisebuch nur ganz dürftige Bruchstücke auf uns gekommen sind.
Pytheas muß weit in den hohen Norden vorgedrungen sein. »Dort« – sagt er – »ist weder Land noch Meer noch Luft, sondern von alledem ein Gemisch, das einer Qualle (Seelunge) ähnelt. Wie ein Band umgibt dies das All, und weder zu Fuß noch zu Schiff ist da weiter vorzuschreiten.« Das klingt freilich märchenhaft genug; aber denkt man sich einen Seefahrer, der, von den sonnigen Staden der Provence gekommen, in einen norwegischen Fjord oder zwischen die dänischen Inseln sich versetzt sieht, bleigraue und bleischwere Nebelwände ringsher, vom verhangenen Himmel ein kärglich-bleiches Wintersonnenlicht dämmernd, und das chaotische Düster von Land und Meer mehr nur zeigend als erhellend, so wird man nicht leugnen wollen, daß in jenen Worten nur ein wirklicher und wahrhafter Reiseeindruck wiedergegeben ist.
Der ältere Plinius hat uns in seiner Naturgeschichte eine Stelle aus Pytheas
überliefert, die von hohem Belang ist, insofern sie zuerst den eigentlichen Volks- und Stammnamen der Deutschen nennt. Es ist da von einem nordischgermanischen Volke die Rede, das an einer bernsteinreichen Bucht des Ozeans wohne. Unter diesem kann demnach nur die Ostsee verstanden sein. Das Volk führe den Namen der Guttonen und verhandle den in jedem Frühjahr vom Meer an die Küste geworfenen Bernstein an seine nächsten Nachbarn, die Teutonen. Dies ist, wie bekannt, der eigentliche Stammname unserer Ahnen, zurückzuführen auf ihren mythischen Stammvater Tuisto
Tuisto, nach Tacitus, Germania 2 »der erdentsprossene Gott und dessen Sohn Mannus.« Tuisko, Mannus und dessen drei Söhne sind die Stammväter der Ingavonen, Istävonen und Herminonen (Simrock, Mythologie S. 17). Mannus ist das Wurzelwort für Mensch. Noch um das Jahr 1300 schrieb der Sänger Frauenlob:
»Mennor der erste was genannt,
Dem diutische rede Got tet bekant.«
(Wilser, Germania, S. 2.) Die Ableitung des Namens Germanen von Ger ist längst als Sprachspielerei erkannt und verworfen worden. Ebenso ist die Herkunft von Gainn durchaus unsicher, überhaupt sind die Abstammungsuntersuchungen völlig unabgeschlossen. (D. Hrsg.) oder Teut (Deut), welcher Name seinerseits unverkennbar deutlich mit dem Ausdruck des Gottesbegriffes in den indogermanischen Sprachen zusammenstimmt. Den Namen Germanen haben die Deutschen von den Römern überkommen, vielleicht durch Vermittlung der Gallier. In diesem Falle wäre er von dem keltischen gairm oder garm abzuleiten, das Ruf bedeutet, und hiernach wären unsere Ahnen bei ihrem feindlichen Zusammenstoßen mit den gallischen Kelten von diesen die Lautrufenden, d. h. die mit Geschrei in die Schlacht Gehenden genannt worden. Eine mehr gang und gäbe Ableitung des Namens ist die von dem altdeutschen Ger (Speer), und demnach bedeuteten Germanen oder richtiger Germannen Speermänner, d. i. Krieger. Merkwürdig ist, daß erst zur Zeit Kaiser Ottos I. in Deutschland selbst für die im Reichsverband stehenden deutschen Volksstämme der Nationalname Deutsche (Teutonici, Teutones) aufkam. Urkundlich wenigstens läßt er sich auf deutschem Boden früher nicht nachweisen, und während jenseits der Alpen die Bezeichnungen »Deutschland«, »deutsches Reich«, »deutscher König«, »deutsches Volk« schon lange gebräuchlich waren, trat bei uns selbst erst von der Mitte des 11. Jahrhunderts an der germanische Volksname allmählich an die Stelle der einzelnen Stämmenamen.
Ob dieser Name hundert und einige Jahre vor Christi in Rom schon bekannt oder beachtet war, steht dahin. Genug, im 640. Jahre nach Erbauung der weltbeherrschenden Stadt schlug sein Schall, verbunden mit dem des Namens der Kimbrer, drohend an die Wände des Kapitols.
Der »kimbrisch-teutonische Schrecken«, der die Römer ängstigte, war der Schatten, den eine noch fernabliegende weltgeschichtliche Katastrophe, die Zertrümmerung des römischen Weltreiches durch die Germanen, weit vor sich herwarf. Denn das Auftreten der Kimbrer und Teutonen, die aus unbekannten Gründen mit Weib und Kind, Herden und Habe ihre nördliche Heimat verlassen hatten, an den Grenzen Italiens, darf füglich als das Vorspiel der späteren großen Völkerwanderung bezeichnet werden, die auf den Trümmern der antiken Welt die mittelalterliche begründen sollte.
Dieses Auftreten ist zugleich das der Germanen auf der Weltgeschichtsbühne, und mit den germanischen Männern treten auch die germanischen Frauen in den Umkreis geschichtlicher Helle.
Holdes freilich und Anmutiges ist es nicht, wohl aber Gewaltiges und Furchtbares, was uns die Geschichtschreiber und Anekdotensammler der Alten von der ersten Erscheinung unserer Ahnmütter zu erzählen wissen. Die Übertreibungen, zu denen das vergrößernde Entsetzen sie dabei verleitet haben mag, wer könnte sie von dem Reintatsächlichen genau sondern?
In den Kämpfen der Römer mit den Kimbrern und Teutonen trat eine jugendfrische Naturkraft einer schon der Verderbnis und Entnervung zuneigenden Kultur gegenüber, und es lag nahe, nach abgewandter Gefahr die Wildheit und Barbarei der Besiegten hohlspiegelartig zu verzerren. Allein wir haben keine andere Wahl, denn die Berichte zu nehmen, wie sie uns geboten werden.
Als auf den Feldern von Aix i. J. 102 v. Chr. der ungestüme Ansturm der Teutonen dem Feldherrngenie des Gajus Marius und der römischen Taktik erlegen war und die Römer den fliehenden Feind bis zum Lager verfolgten, da »kamen ihnen die teutonischen Weiber mit Schwertern und Beilen entgegen und trieben unter furchtbarem und wütendem Geheule die Fliehenden sowohl wie die Verfolgenden, jene als Verräter, diese als Feinde zurück, indem sie sich unter die Kämpfenden mischten, mit bloßen Händen die Schilde der Römer herunterrissen, die Klingen der Schwerter faßten und, bis zum Tode unbesiegten Mutes, sich verwunden und in Stücke hauen ließen.« Plutarch, Marius (Reclam VI), Dr. Curt Woyte. Antike Quellen zur Geschichte der Germanen. (Voigtländers Quellenbücher, Bd. 15 u. 52.) Leipzig o. J. I. Bd. S. 77. (D. Hrsg.) Ein weiterer Bericht – bei Valerius Maximus – hebt nicht nur den Todesmut, sondern auch die Keuschheit der germanischen Frauen hervor. Die gefangenen Weiber der Teutonen baten den Sieger Marius, er möge sie dem Dienste der heiligen Jungfrauen der Vesta widmen, mit der Versicherung, sie würden sich unbefleckt bewahren wie diese Göttin und ihre Dienerinnen; als aber der Bitte nicht entsprochen wurde, erdrosselten sie sich in der nächsten Nacht. Im folgenden Jahre vernichtete Marius bei Vercellae auch die Kimbrer.
Unter deren Frauen befanden sich weissagende Priesterinnen, grau vor Alter, barfüßig, mit weißen Gewändern, ehernen Gürteln und feinen Flachsmänteln angetan. So traten sie, Schwerter in den Händen, den Kriegsgefangenen im Lager entgegen, bekränzten sie und führten sie zu einem großen ehernen Kessel. Dann bestieg eine von ihnen einen Tritt und durchschnitt, über den Kessel gebeugt, dem über dessen Rand emporgehobenen Gefangenen die Kehle, und aus dem Blute, das in den Kessel strömte, weissagten sie. Während der Schlacht trommelten sie auf Fellen, die über die geflochtenen Wagendecken gespannt waren, und machten einen schrecklichen Lärm. Strabo, VII. 2, 3.* Übersetzt von Karl Kärcher, Stuttgart 1831. Woyte S. 55, S. 771.(D. Hrsg.) Der größte und streitbarste Teil der Kimbrer fand bei Vercellae den Tod. Hatten sich doch die Vordermänner, damit ihre Reihe nicht gesprengt würde, mit ihren langen Gürtelketten fest aneinander gebunden. Als aber die Römer den Fliehenden bis zum Lagerwall nachdrängten, wurden sie »durch ein hochtragisches Schauspiel« überrascht.
In schwarzen Gewändern auf den Karren stehend, gaben die kimbrischen Frauen den Flüchtlingen den Tod; diese ihrem Gatten, jene ihrem Bruder, wieder eine andere dem Vater. Ihre Kinder aber erwürgten sie und warfen sie unter die Räder der Wagen und die Hufe der Zugtiere. Zuletzt legten sie mörderische Hand an sich selbst. Eine, erzählt man, hatte sich an die Spitze einer Deichsel gehängt und an den Knöcheln der Mutter hingen, von ihr mit Stricken angebunden, ihre Kinder. Plutarch, Marius, Kap. 27 (Reclam); Woyte I, S. 77. (D. Verf.)
Von solcher bis zur Berserkerwut sich erhebender Verachtung eines Lebens, das nur noch Schmach und Knechtschaft bot, weisen auch die späteren Kämpfe zwischen Römern und Deutschen Beispiele auf. Zur Zeit, als Drusus mit den Cheruskern, Sueven und Sigambern sich herumschlug, kam es vor, daß die Frauen dieser Stämme, durch die Römer in die Wagenburgen versperrt, statt sich zu ergeben, mit allem, was als Waffe dienen konnte, verzweifelnd sich wehrten und zuletzt ihre kleinen Kinder mit den Köpfen auf den Boden stießen und die Leichname den Feinden ins Gesicht warfen. Orosius, Histor. VI. 21; Woyte I., S. 841. (D. Verf.)
Man ist versucht zu sagen, ein geheimer Instinkt habe die Römer gestachelt, der Gefahr eines germanischen Einbruchs, wie der Zug der Kimbrer und Teutonen ihn angekündigt, dadurch zuvorzukommen, daß sie Roms Herrschaft und damit auch Roms Gesittung in die unwirtlichen Gegenden nördlich von den Alpen trugen. Epochemachend waren in dieser Beziehung die Kriegszüge, die Julius Cäsar als Statthalter von Gallien um die Mitte des letzten Jahrhunderts v. Chr. rheinüber unternahm.
Dieser geniale Staatsmann, General und Literat ging darauf aus, Germanien nicht nur physisch, sondern auch geistig zu erobern, indem er es erforschte und beschrieb. Sein Bericht über Deutschland, den unvergleichlichen Kommentarien über den gallischen Krieg einverleibt, bleibt auch dann noch von großem Wert, wenn man nicht verhehlt, daß er am Generalisieren leide, d. h. die bei einzelnen germanischen Stämmen beobachteten Zustände allzu willkürlich auf die ganze Nation übertragen habe.
Im Vergleich mit den von der römischen Kultur schon einigermaßen beleckten Galliern, fand Cäsar unter den Germanen noch sehr waldursprüngliche Zustände vor. Namentlich weist seine Nachricht von der geringen Neigung und Sorgfalt der Deutschen für den Ackerbau auf einen niedrigen Kulturgrad hin. Es dürfte aber seine allgemein gehaltene Notiz: »Um Ackerbau kümmern sie sich nicht« – sehr einzuschränken sein, wenn man bedenkt, daß schon Tacitus »ziemlich fruchtbar an Getreide Germanien« fand.
Für unser Thema ist von größtem Belang, was Cäsar über die geschlechtlichen Verhältnisse der Germanen beibringt. Der Jugend eines Volkes, sagt er, dessen Sinn von Kindheit an auf Anstrengung und Abhärtung gerichtet gewesen, habe es zum höchsten Lobe gereicht, geschlechtlich möglichst lange unentwickelt zu bleiben, weil das den Wuchs stattlicher machte und die Muskeln stählte. Den Jünglingen habe es Schimpf eingebracht, vor dem zwanzigsten Jahre von einem Weibe gewußt zu haben. Und dergleichen habe sich auch nicht geheim halten lassen, da beide Geschlechter gemeinsam in den Flüssen badeten und als Kleidung nur Felle trugen, die den Körper großenteils nackt ließen. Caesar. Der gallische Krieg, übersetzt von Dr. Max Oberbreyer (Reclam), S. 162. (D. Verf.)
Von Cäsars Zeit an blieb die Aufmerksamkeit Roms fortwährend auf Germanien gerichtet, und seltsamerweise wurde sie durch zwei sehr verschiedene Motive wach erhalten, durch die Mode und durch die Furcht.
Das kaiserliche Rom war wie der Zentralpunkt der Weltherrschaft so auch der Sammelplatz alles Luxus, alles Sinnengenusses und aller Modentorheit der Erde. Unersättlich gierte die römische Üppigkeit nach neuem und ungewöhnlichem. So gewann auch das blonde, ins rötliche spielende Haar der germanischen Frauen das Wohlgefallen der römischen Modedamen und bei Ovid, wie bei späteren römischen Dichtern, finden sich häufige und deutliche Winke, daß die Putzkünste der Römerinnen das Schwarz ihres Haarwuchses mit dem germanischen Blond zu vertauschen eifrigst sich mühten, sei es mittels Farbstoffen, sei es mittels Perücken. Das germanische Haar wurde förmlich zu einem römischen Handelsartikel. Merkwürdig ist dabei der von dem älteren Plinius erwähnte Umstand, daß auch in Germanien selbst die Haarfärbekunst schon in Übung war, jedoch mehr von Männern als von Frauen angewandt wurde. Plinius, Naturgesch. übers, von Kulb (Heinr. Kerler, Ulm), 28.Bändchen, S. 191; Steinhausen, Germanische Kultur in der Urzeit. (Aus Natur und Geisteswelt, Bd. 75.) Leipzig 1905, S. 42, S. 62. Martial VIII, 33, 20, Ovid, Ars amandi III. 163. (D. Hrsg.)
Wenn aber die römischen Damen mit germanischem Haarschmuck in Gesellschaft erschienen, da mögen ernste Männer wohl mit besorgnisvoller Ahnung auf das deutsche Blond hingeschaut haben. Die Erinnerung, wie die Krieger Cäsars, als ihnen das erste Zusammentreffen mit den Germanen bevorstand, vor dem bloßen Gedanken, »das Feuer der germanischen Augen« ertragen zu müssen, sich entsetzt hatten, und alle die Lagererzählungen von der »unglaublichen Tapferkeit und Waffenfertigkeit« der Deutschen waren nur zu sehr geeignet, denkende Römer mit Bangen in die Zukunft blicken zu lassen. So auch einen jungen Poeten, der, nachdem er eigenem Geständnis zufolge auf dem Schlachtfeld von Philippi, wo die Republik verblutete, seinen Schild »nicht sehr rühmlich« weggeworfen, ein Chorführer der Literatur des augustischen Zeitalters werden sollte. Die ungeheure Gefahr, die von Germanien her Rom bedrohte, schwebte der Seele des Horaz vor, als er 41 v. Chr. seine 16. Epode, eines seiner Erstlingsgedichte, schrieb. Ahnungsvoll wies er darin auf die »blauäugige Jugend Germaniens« hin, und es war wie eine prophetische Vision von Alarichs Erstürmung der ewigen Roma, wenn er »den Hufschlag barbarischer Sieger auf den Trümmern der Stadt erdröhnen« hörte.
Freilich stand das germanische Strafgericht der römischen Wölfin vorerst noch fern; aber für ein zweites Vorzeichen seit dem kimbrischen Schrecken konnte der große Sieg gelten, den im Jahre 9. n. Chr. über die erobernd vom Rhein her bis zur Weser vorgedrungenen römischen Legionen der cheruskische Edeling Armin (Hermann) erfocht. Auf diesem Siege, sowie auf dem Widerstand, den Armin, der erste, ebenso unglückliche wie große Vorfechter deutscher Einheit, nachmals den Römern unter Germanikus entgegenstellte, beruhte die Rettung unserer nationalen Existenz, die Sicherung der selbständigen Entwicklung unseres Volkes. Tacitus, Annalen, II. 88 (Reclam S. 122). (D. Verf.) Ohne den großen Cherusker wären wir wohl auch so ein Mischvolk wie die Franzosen, Italiener und Spanier geworden.
Die Waffentaten Armins, sowie die um 60 Jahre späteren des Civilis der Bataver unternahm es nach Neros Tod, ein gallisches Reich aufzurichten, wurde aber im Jahre 70 von Gefillius Cerialis geschlagen. (D. Hrsg.) am Niederrhein mochten die Römer den Gedanken aufgeben, ganz Deutschland zu unterwerfen. Aber die südlichen und westlichen Grenzmarken behaupteten sie bis zur Völkerwanderung und so konnten mannigfache Wechselbeziehungen zwischen ihnen und den Germanen nicht ausbleiben, um so weniger, da einesteils der Handel, anderenteils der ebenso eifrig begehrte wie bewilligte Dienst germanischer Jugend im römischen Heere vielerlei Verbindungsfäden knüpfte.
Auf der Scheide des ersten und zweiten christlichen Jahrhunderts unternahm es ein Römer, der große Geschichtschreiber Tacitus, seine Landsleute genauer als bislang geschehen war, über Land und Volk von Germanien aufzuklären. Er tat dies, indem er in seinen »Annalen« und »Historien« die Geschichte seiner Zeit und der nächsten Vergangenheit erzählte, dann aber auch mittels eines eigens zu dem angegebenen Zwecke geschriebenen Buches, der berühmten »Germania«, einer um so ehrenvolleren Urkunde deutscher Vorzeit, als sie von Feindeshand ausgestellt ist.
Die Germania, deren ganze Haltung vermuten läßt, daß ihr Verfasser seinen Gegenstand aus eigener, wenigstens teilweise eigener Anschauung gekannt habe, war für Rom eine, freilich unbeachtet gebliebene Lehre, Drohung und Warnung. Für uns dagegen ist sie »ein mitten in das vorzeitliche Dunkel unseres Altertums hineingestelltes Morgenrot«.
Unser Vaterland schildert Tacitus als zu damaliger Zeit mit rauhen Wäldern bedeckt und von Sümpfen starrend, also abschreckend genug, wie es denn auch einem an den Anblick der üppigen Gärtengestade des Mittelmeeres gewöhnten Auge erscheinen mochte und mußte. Doch sei die Landschaft nicht ohne Abwechslung gewesen. Für Getreidesaat sei der Boden ergiebig, aber Obstbäume trage er nicht, womit aber doch wohl nur deren feineren Arten gemeint sind, denn schon Plinius weiß von Kirschen und Äpfeln zu reden, die in den Rheingegenden gediehen. Mit Nachdruck betont Tacitus die Ansicht, die deutschen Stämme seien dadurch, daß sie nicht durch Ehen mit anderen Völkerschaften fremdes Blut in sich aufnahmen, zu einem ureigenen, unvermischten, nur sich selbst ähnlichen Volke geworden. (»Germaniae populos, nullis aliis aliarum nationum conubiis infectos, propriam et sinceram et tantum sui similem gentem exstitisse«.) Deshalb auch ungeachtet der großen Einwohnerzahl in Altgermanien bei allen dieselbe Körperbeschaffenheit: blaue Augen voll Feuer und Trotz, rötliches Haar, mächtige Leibesgestalten, doch mehr zum Anstürmen, weniger zur Ausdauer, mehr zum Ertragen von Hunger und Kälte, weniger zum Aushalten von Durst und Hitze tüchtig.
Bei Erwähnung der sehr waldursprünglichen Tracht der Germanen, deren meist aus Tierfellen bereitetes Hauptstück ein Mantel war, durch eine Spange oder in deren Ermangelung durch einen Dorn zusammengehalten, kommt Tacitus auf die Frauen zu sprechen.
Er sagt zwar, die frauliche Tracht habe sich von der männlichen nicht unterschieden, fügt jedoch sogleich hinzu, daß sich die Frauen häufiger in leinene Gewänder hüllten, die sie auch wohl mit Purpurstreifen verbrämten. Wir gehen nicht fehl, wenn wir dieses ärmellose Leinengewand, das die Arme, den Nacken und den oberen Teil des Busens unbedeckt ließ, für ein langherabfallendes, den Körperformen sich anschmiegendes Unterkleid nehmen, für einen der römischen Tunika ähnlichen Leibrock, über dem als Oberkleid der Mantel getragen wurde. Bedenkt man diese dürftige Verhüllung des Körpers, die am Herdfeuer sogar völliger Nacktheit Platz machte Diese Behauptung Scherrs bedarf der Beweise. In den Quellen ist nur davon die Rede, daß die Kinder im Hause unbekleidet waren, niemals aber dasselbe von Erwachsenen. (D. Hrsg.), sowie das schon erwähnte gemeinschaftliche Baden der beiden Geschlechter, so steht das Lob, das Tacitus der Keuschheit germanischer Liebe und Ehe spendet, nur um so höher. Er rühmt es, daß die Deutschen, entgegen der Vielweiberei unter Barbaren, mit einer Frau sich begnügten. Nur die Politik veranlaßte seltene Ausnahmen von dieser Regel, indem hochstehende Häuptlinge zur Mehrung ihres Ansehens mehrere Frauen nahmen, Töchter aus einflußreichen Familien. In unangetasteter Keuschheit, durch keine wollustreizenden Gastmähler, durch keine verführerischen Schauspiele verdorben, des Liebesbriefewechsels unkundig, so wuchs die Jugend heran. Spät erst kamen die Jünglinge zum Liebesgenuß. Auch die Jungfrauen wurden nicht übereilt (»nec virgines festinantur«), und daher blieben sie jugendfrisch wie jene und waren an hochschlankem Wuchs ihnen ähnlich. Für vor der Ehe verlorene weibliche Unschuld gab es keine Sühne, und die Strafe war die schärfste, denn einem gefallenen Mädchen gewann weder Schönheit noch Reichtum einen Gatten. In Gegenwart der Eltern und Verwandten wurde der Ehebund geschlossen. Die Mitgift brachte nicht die Braut dem Bräutigam, sondern der Bräutigam der Braut zu. Sie bestand nicht in Putzstücken und Tändelsachen, sondern in einem Stierepaar, einem gezäumten Pferd, einem Schild nebst Speer und Schwert. Auf diese Geschenke hin wurde die Frau in Empfang genommen. Auch sie brachte dem Mann einige Waffenstücke zu.
Das, meinten unsere Altvorderen, sei das festeste Band, das die geheimnisvolle Weihe, das seien die Götter des Ehebündnisses. Dadurch wurde die Frau, damit sie nicht wähnte, sie dürfte mannhaften Gedanken und des Krieges Wechselfällen fernbleiben, auf der Schwelle zur Brautkammer erinnert, daß sie käme, in Arbeit und Gefahr des Mannes Genossin zu sein. Mit ihm habe sie in Frieden und Krieg Gleiches zu dulden und zu wagen. Und dies war keineswegs nur eine leere Zeremonie.
Wir wissen, daß die germanischen Frauen den Männern in den Krieg folgten, daß sie Speisen und ermunternden Zuspruch in die Reihen der Kämpfenden trugen, daß sie stolz die Wunden ihrer Gatten und Söhne zählten und prüften, bevor sie sie verbanden, und daß sie durch Vorwurf und Bitte, durch Darhalten der Brust und durch Hinweisen auf ihr Los in der Gefangenschaft wankende Schlachtordnungen wieder hergestellt haben.
Heilig und streng war der eheliche Bund, äußerst selten der Ehebruch, seine Bestrafung dem hintergangenen Ehemann anheim gegeben. In Gegenwart der Verwandten schnitt er der Schuldigen das Haar ab, stieß sie nackt aus dem Hause und peitschte sie durch das ganze Dorf. Tacitus, Germania, Abschnitte 4, 5, 7, 8, 15, 17, 18, 19, 20, 23, 24. (D. Verf.)
In einigen Gaugenossenschaften galt der Brauch, daß die Frauen unter allen Umständen nur eine Ehe eingehen durften, wie ja fast bis auf unsere Tage hinab auch bei den Indern die Witwen nicht wieder heiraten durften. Im übrigen war, wie schon angedeutet worden, das Dasein unserer Ahnmütter um so weniger ein müßiges, da die Sorge für Haus, Herd und Feld auf ihnen lastete. Die Männer kümmerten sich nur um Jagd-, Kriegs- und Staatssachen.
Erwägt man noch, daß uns von dem geselligen Verhalten der Bewohner Germaniens kein Zug sanfter Gesittung überliefert worden, daß das Leben der Männer zwischen wilder Aufregung und trägem Müßiggang verfloß, daß sie sich gern im Bier Bier, wohl besser gesagt, ein bierähnliches Getränk, das ebenso wie als Trank auch als Opfergabe geschätzt war. (D. Hrsg.) berauschten, daß sie in unbändiger Spielwut nicht allein ihre ganze Habe, sondern auch die eigene Person und Freiheit auf die Würfel setzten, und daß endlich nur eine Art von Schauspiel, nackter Jünglinge wilder Tanz zwischen aufgerichteten Speerspitzen und Schwertklingen, die festlichen Zusammenkünfte des Volkes erheiterten – so müßte man allem bisher Beigebrachtem zufolge versucht sein, anzunehmen, daß in Altdeutschland edlere Weiblichkeit kaum habe gedeihen können, falls nicht bestimmte Zeugnisse für ihr Vorhandensein vorlägen.
Aus der taciteischen Schilderung der Eheverhältnisse erhellt deutlich, daß die germanische Frau nicht die Sklavin, sondern die Genossin des Mannes war, und allbekannt ist die berühmte Stelle der Germania: »Die Deutschen glauben, daß dem Weib etwas Heiliges und Prophetisches (sanctum aliquid et providum) innewohne; darum achten sie des Rates der Frauen und horchen ihren Aussprüchen.« Die Frau erscheint demnach mit der Würde der Priesterin und Prophetin bekleidet. Schon haben wir bei den Kimbrern opfernde und weißsagende Priesterinnen gefunden und wir finden solche auch später. Als im Jahre 58 v. Chr. der Germane Ariovist dem Julius Cäsar gegenüberstand, verboten die weissagenden Frauen den Deutschen, vor dem Neumond in eine Schlacht sich einzulassen. in eine Schlacht sich einzulassen. Cassius Dio, übersetzt von L. Tafel, Stuttgart 1831, 38. Buch. Abschn. 48 S. 365. (D. Hrsg.) In der Germania wird der Aurinia erwähnt, die die Germanen vor Zeiten als Prophetin verehrt hätten. Die größte Bedeutung aber gewann zur Zeit der Kämpfe des Civilis gegen die Römer die Veleda, in welchem Namen vielleicht ein Anklang an die nordisch-germanischen Walkyrien, Walen, verborgen ist.
Diese nach alter Sitte als »Schicksalsverkündigerin« hochverehrte Jungfrau vom Stamme der Brukterer hauste einsam und unzugänglich auf einem hohen Turm und war die Pythia der niederrheinischen Germanen. Sie vermittelte Bündnisse, sie führte eine entscheidende Stimme in Kriegs- und Friedenssachen, ihr wurden Siegestrophäen zu Füßen gelegt.
Eine dritte jungfräuliche Prophetin, Ganna Cassius Dio. 67. Buch, 5. (D. Verf.), war zur Zeit Domitians in Deutschland einflußreich. Tacitus Tacitus. Die Historien. Übersetzt von Dr. Wilh. Bötticher, Leipzig (Reclam), 4. Buch, 61, S. 250. 65 S. 253. 5. Buch 24 S. 290. (D. Hrsg.) sagt auch, daß bei wachsendem Aberglauben solche Prophetinnen im Volksbewußtsein allmählich zu Göttinnen geworden seien (»et augescente superstitione arbitrantur deas«).
Die Frauenverehrung ist also ein uralter Charakterzug der Deutschen, aus dem später die Innigkeit des deutschen Mariakults und des deutschen Minnedienstes entspringen sollte.
Die altgermanischen Frauen waren keineswegs nur auf die Geschäfte des Hauses, des Herdes und des Feldes, auf Harke und Sichel, Spindel und Webstuhl, auf Kindererzeugung und Kindersäugung beschränkt, sondern wann immer der göttliche Funke in ihnen sich regte, war ihnen Raum gegeben, eingreifend und einflußübend auf den Schauplatz zu treten, wo »um der Menschheit große Gegenstände, um Herrschaft und um Freiheit wird gestritten«.
Es ist Grund vorhanden, zu glauben, daß auch Thusnelda, die Gattin des Befreiers Armin, eine jener höheren weiblichen Naturen gewesen sei, deren Spuren unsere Vorzeit aufweist.
Thusneldas Geschichte ist zugleich die älteste deutsche Liebesgeschichte, von der wir wissen. Denn auf eine leidenschaftliche Neigung deutet der Umstand, daß Armin die einem anderen Verlobte ihrem Vater Segest, seinem politischen Gegner, mit Gewalt entführte. Aber das Glück war dem Ehebund der beiden unhold. In Abwesenheit des Gatten lieferte Segest, der römerfreundliche Landesverräter, die Tochter, die einen Sohn Armins unter dem Herzen trug, an die Soldaten des Germanikus aus. Mehr vom Geiste des Gatten als des Vaters beseelt – erzählt Tacitus – entrang sich Thusnelden bei ihrer Gefangennehmung keine Träne, kein klagendes oder flehendes Wort; mit über dem Busen gefalteten Händen schaute sie stumm auf ihren schwangeren Leib. Die Nachricht, daß die Gattin ihm entrissen wäre und die Sklaverei tragen sollte, stachelte Armin zu wahnsinniger Wut. Aber vergebens flog er zur Rettung herbei. Thusnelda Tacitus, Annalen (Reclam), 1. Buch, 55, 57, 58. (D. Hrsg.) wurde nach Rom gebracht und dort gebar sie den Thumelikus. Mit anderer Siegesbeute mußte sie samt ihrem Kinde und ihrem Bruder Segimunt den Triumphzug des Germanikus zieren, während der Verräter Segest zusah, wie Sohn, Tochter und Enkel vor dem Wagen des Triumphators in Ketten einhergingen. Da Strabo Strabo 7. Buch 1, 4. (D. Verf.) in seiner Geographica es ist, der die Namen von Armins Gattin und Sohn uns überliefert hat, will ich die verdeutschte Stelle hersetzen. »Ihnen (d. h. den Germanen, die den Varus im Teutoburger Walde geschlagen hatten) verdankte der jüngere Germanikus einen glänzenden Triumph, wobei die namhaftesten Feinde in Person aufgeführt wurden: Segimuntos, der Sohn des Segestes, des Cherusker-Häuptlings, und seine Schwester Thusnelda (Θουσνέλδα), des Arminius Gattin, samt ihrem dreijährigen Sohn Thumelikos (Θουμέλικος). Segestes aber, des Arminius Schwiegervater, der die Gesinnung seines Schwiegersohnes von Anfang an nicht geteilt hatte, sondern vielmehr zu uns übergelaufen war, sah, mit Ehren überhäuft, mit an, wie die, die ihm die Liebsten waren (d. h. hätten sein sollen), in Ketten vor dem Wagen des Triumphators einhergingen.«
Man sieht, es gab deutsche Rheinbundsfürsten schon 18 Jahrhunderte früher, als Napoleon den Rheinbund gestiftet hat.
Der Gram mag die edle Frau bald getötet haben. Die Rache Roms an dem Besieger des Varus zu vollenden, soll mit gemeiner Bosheit Armins und Thusneldas Sohn in Ravenna zum Gladiator oder gar zum Lustknaben erzogen worden sein. Wenn, wie vermutet wird, die schöne Marmorstatue einer Germanin in der Loggia de Lanzi zu Florenz wirklich Armins Gattin vorstellen sollte, so würde das beweisen, daß die Seelenhoheit und die tragische Größe des Geschickes dieser Frau auch auf die Römer ihres Eindrucks nicht ganz verfehlt hätten.
Es bildet einen eigentümlichen Gegensatz zu dieser tragischen Frauengestalt, wenn wir das Bild ansehen, das ein römischer Spätlingsdichter, Ausonius, von einem germanischen Mädchen entworfen hat, das in den Feldzügen Kaiser Valentinians des Ersten gegen die Alemannen am Neckar und Oberrhein gefangen und als Kriegsbeute dem in hohen pädagogischen und politischen Ämtern stehenden Poeten geschenkt wurde. Wenn wir bis dahin an den germanischen Frauen mehr nur heldische, nicht selten bis zur furchtbaren Herbigkeit gesteigerte Züge wahrgenommen haben, so bezeugt uns das Bild der Alemannin Bissula zum erstenmal die Schönheit und den Liebreiz der deutschen Frauenwelt.
Bissula scheint statt der Sklavin ihres Herrn recht eigentlich seine Herrin gewesen zu sein, so enthusiastisch zärtlich spricht Ausonius von ihrem lieblichen Antlitz, ihren blauen Augen und blonden Haaren. Diese Barbarin, sagt er, besiege mittels ihrer natürlichen Holdseligkeit alle die »verzärtelten und geschniegelten römischen Puppen«, und triumphierend fügt er hinzu, die Kunst besitzt kein Mittel, so viel Anmut nachzubilden:
»Bissula, die nicht in Wachs nachahmbar oder in Farben,
Schmückte mit Reizen Natur, wie nimmer der Kunst sie gelingen.
Ja, mit Mennig und Weiß malt Bilder euch anderer Mägdlein;
Doch dies Farbengemisch des Gesichts nicht malen es Hände.
Mische doch, Maler, wohlan, die Ros' und Lilienweiße
Und die duftige Farbe dann nimm zu Bissulas Antlitz.«