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Der moderne französische Hofstil, in allen seinen Umbildungen bis zur großen Revolution herab für die meisten europäischen Höfe das Vorbild, ist, wie jedermann weiß, im Zeitalter der Renaissance aufgekommen, Franz I., der glänzende Wüstling, der elegante Bauherr, der »Père de la venerie«, der geschmackvolle Kenner der Künste und der Frauen, war der Begründer und Pfleger dieser Kunst höfischer Lebensführung, die aus dem Mittelalter die ritterlichen Formen herübernahm und damit alle die feineren Reizungen und Genüsse verband, die an den klassischen Studien neuentzündete literarische und künstlerische Tätigkeit an die Hand gab. Der Humanismus, schon in seinem Namen einen bedeutsamen Gegensatz zum Theologismus ausprägend, war in Frankreich nicht wie in Deutschland die Herzenssache einer auf ernste religiöse und politische Ziele gerichteten Vorschrittspartei, sondern weit mehr ein Spielzeug vornehmer Eleganz. Auch in Frankreich stellte er der ewigen Litanei vom Jenseits die realistische Botschaft vom Diesseits gegenüber; aber während durch sie bei uns die edelsten Geister eine große soziale Reform anstrebten, begnügte man sich in Frankreich wie in Italien, die aus der wiedererweckten Kenntnis des klassischen Altertums fließenden Anregungen zur Verfeinerung des Lebensgenusses auszunützen.
Bei diesem Mangel an idealem Gehalte mußte die Renaissance in Frankreich notwendig andere Resultate haben wie in Deutschland. Diesseits des Rheins ist der humanistische Geist im Protestantismus – womit nicht etwa die protestantische Kirche gemeint ist – eine Lebensmacht geworden, die alles das schuf, was unser Ruhm und Stolz: die deutsche Wissenschaft, Literatur und Kunst. Jenseits des Rheins gab die Renaissance Stimmung, Mittel und Wege an die Hand, die modern-romanische absolute Königsmacht sozusagen künstlerisch auszubilden. Der Charakter dieses Königtums war von vornherein ein tief unsittlicher. Das deutsche Wort Falschheit reicht kaum aus, die Perfidie einer Politik zu bezeichnen, die den Protestantismus im eigenen Lande mit brutaler Grausamkeit unterdrückte zur gleichen Zeit, wo sie ihn auswärts unterstützte; und man muß Brantôme lesen Brantôme, Oeuvres, Londres 1779 III. 303 ff. (D. Verf.), um die ganze Frechheit der Lasterwirtschaft kennenzulernen, die dem modernen französischen Hofleben von Anfang an eigen war. Man hat den genannten Autor freilich als den »Skandalchronisten« seiner Zeit (1527-1614) bezeichnet, aber was konnte er dafür, daß seine Zeit ein Skandal gewesen ist? Angenommen sogar, er habe in einzelnem übertrieben, zeugt doch sein naiv-ungezwungener Ton für seine Wahrhaftigkeit im ganzen. Und was für sittliche, d. h. unsittliche Anschauungen mußten in einer Zeit herrschen, wo Geschichten, wie Brantôme sie erzählt, augenscheinlich eine Lieblingsunterhaltung der vornehmen und gebildeten Kreise ausmachten! Wie charakteristisch ist es, daß der Mann gerade bei seinen ärgerlichsten Boudoir- und Schlafzimmeranekdoten fast nie unterläßt, deren Heldinnen sehr ehrbare (»très honnestes«) Damen zu nennen! Schon in der Pflege ihrer körperlichen Reize entwickelten diese »sehr ehrbaren« französischen Damen eine so fabelhafte Schamlosigkeit, daß unsere Sprache sie auch nur anzudeuten sich weigert, obzwar die Muse der Sittengeschichte keine prüde ist und keine sein darf.
Franz I. nimmt unter den Königen und Staatsmännern, die die französische Monarchie aus einem Feudalstaat zu einer unbeschränkten Despotie umbildeten, unstreitig eine vorragende Stelle ein. Er schon hätte jenes Wort rasender Selbstsucht sprechen können, das nachmals Ludwig XIV. sprach: »L'état c'est moi!« Denn schon dem Valois war die Königsmacht nur ein Mittel zur Befriedigung persönlicher Gelüste. Der Subjektivismus der Renaissancezeit hat in diesem Fürsten seinen frivolsten Repräsentanten gefunden. Der Staat war, glaubte er, nur um seiner willen da. Ausschweifend, wie er gewesen, beförderte er durch sein Beispiel die Ausschweifung; aber er tat es mit einer Art künstlerischer Anmut, wie das von einem König, der sich im Umgange mit Männern wie Marot, da Vinci und Cellini gefiel, nicht anders sich erwarten ließ. Ein galanter Herr, machte er die Galanterie zu einem Elemente der Regierungskunst. Er war der Begründer jenes Maitressentums, das bald einen so wichtigen Teil des französischen Staatswesens ausmachen sollte, auf die Stellung der Frauen in ganz Europa eine so bedeutende Einwirkung gewann, unter dem vierzehnten Ludwig ein pomphaft anerkanntes Attribut des absoluten Königtums wurde und unter Ludwig XV. die königliche Majestät, an die Unterröcke von Dirnen wie die Pompadour und die Dubarry geheftet, durch den Kot schleifte.
Ludwig XI. hatte den französischen Adel gedemütigt, Franz I. verknechtete ihn, indem er ihn zwang, am Hofe zu leben. Der König machte die Barone zu betitelten Lakaien, ihre Frauen und Töchter zu seinen Odalisken. Diesen Zweck zu erreichen, wurden im Notfall unerlaubte Künste, niederträchtigste Listen in Anwendung gebracht. So, als es galt, die Gräfin von Chateaubriant an den Hof zu locken, jene schöne Unglückliche, die ihr Gemahl den kurzen Liebesrausch, dem sie in den Armen des Königs sich hingegeben, nachmals mit dem Tode büßen ließ. Sein künstlerischer Sinn hielt auch Franz I. keineswegs ab, seine Ansichten bei Gelegenheit mit der ganzen Brutalität eines vollendeten Despoten durchzusetzen. So jagte er eines Nachts einen seiner Hofherren, der seine Frau zu ermorden drohte, falls sie den König ihr Bett teilen ließe, mit gezogenem Degen aus dem Schlafzimmer und nahm den Platz des Entehrten ein. Brantôme, der Erzähler dieser Geschichte, setzt hinzu, diese Dame sei sehr glücklich gewesen, einen so tapferen Beschützer zu finden, denn seitdem habe es ihr Gatte nie mehr gewagt, ihr ein Wort darüber zu sagen. Er habe sie alles nach ihrem Gefallen tun lassen. Wie der Herr, so die Diener. Bonnivet, der Günstling des Königs, bestürmte dessen Schwester, die schöne und geistvolle, auch als Schriftstellerin aufgetretene Marguerite von Navarra, mit Liebesanträgen. Abgewiesen, war er frech genug, mittels List und Gewalt zum Ziele kommen zu wollen. Er lud den ganzen Hof auf sein Jagdschloß ein und ließ der Prinzessin ein Schlafgemach anweisen, in das er sich, als er sie eingeschlafen glaubte, mittels einer Geheimtreppe einschlich, um die Schwester seines Königs im Sturme zu erobern. Die Prinzessin erwachte, entwand sich entrüstet den Armen des Verwegenen, und da er ihres heftigen Widerstandes ungeachtet nicht ablassen wollte, richtete sie ihn mit ihren Nägeln so arg zu und rief so laut um Hilfe, daß der Unverschämte endlich entfliehen mußte. Der König lachte nur zu diesem Abenteuer, das die Prinzessin in der vierten ihrer Novellen selbst erzählt hat. Es kennzeichnet die Sitten jener Tage, daß einer königlichen Dame solches ungestraft widerfahren konnte. Freilich sorgten die Frauen des französischen Hofes dafür, daß die Herren den Glauben an weibliche Tugend für eine Torheit ansehen konnten. Alle Berichte müßten lügen, wenn wir bezweifeln sollten, daß die Weiber mit den Männern in Zügellosigkeit wetteiferten. Sogar in unnatürlichen Lastern, wie Brantôme mit der größten Seelenruhe berichtet. Aber es ist unmöglich, seine haarsträubenden Geschichten von den Tribaden (»Fricatrices«) seiner Zeit nachzuerzählen. Ihm zufolge verzweifelten die Ehemänner zuletzt daran, selbst mittels sogenannter »Keuschheitsgürtel«, die unrechtmäßigen Begierden ihrer Frauen im Zaum halten zu können. So begreift man, daß zur Zeit Franz I. in Frankreich das Sprichwort umgehen konnte: »Qui voudroit garder qu'une femme n'aille du tout à l'abandon, il la faudroit fermer dans une pippe et en jouir par le bondon.« Ebenso, daß ein italischer Fürst, der eine französische Prinzessin heimgeführt, am Morgen nach der Hochzeitsnacht voll Verwunderung ausrief: »Voilà un grand miracle, que cette fille soit ainsi sortie pucelle de cette cour de France!« Brantôme III. 209 f. (D. Verf.)
Wenn unter Franz I. die französische Galanterie sich im allgemeinen wenigstens noch den Schein ritterlicher Courtoisie zu geben suchte, so versank sie unter Heinrich III. vollends in einen Schmutz, wie er vor Zeiten an den Höfen eines Caligula, Nero und Elagabal sich angehäuft hatte. Der König ließ sich in seinen widernatürlichen Lüsten so schamlos gehen, daß er sich sogar nach Neros Vorbild mit einem seiner »Mignons« förmlich vermählt haben soll. Der Lebenswandel seines Nachfolgers, Heinrichs IV., war bekanntlich wenig geeignet, sittenbessernd zu wirken, und es kann doch wohl kaum als ein Verdienst gelten, wenn ihm nachgerühmt wird, daß er in seinen Ausschweifungen wenigstens die Wege der Natur eingehalten habe. Die Hofhaltung des Königs bot die seltsamsten Kontraste: hier die energische Beschäftigung mit kolossalen, die Karte von Europa mit vollständiger Umänderung bedrohenden Plänen – die Franzosen gebärdeten sich ja bekanntlich schon damals als die »Civilisatoren« von aller Welt, ohne jemals ernstlich bei sich selber anzufangen –, dort eine halbtolle Frivolität, die mitunter sogar einen so ernsten Rechner und Staatsmann wie Sully an ihrem Torheitsbande gängelte. Sollte man es glauben, daß es des berühmten Ministers Lieblingsvergnügen war, abends in seinem Kabinette sich auf der Laute Tanzweisen vorspielen zu lassen und, wunderlich ausstaffiert, diese Tänze ganz allein zu tanzen, während etliche übelberufene Hofherren und noch übler berufene Frauenzimmer die Zuschauer machten und mit dem Tanzenden allerlei grobe Späße trieben? Unter dem melancholischen dreizehnten Ludwig nahm der Hof eine etwas trübseligere Miene an, doch hielt sich im ganzen der unter Heinrich IV. herrschend gewesene Ton. Daher konnte denn auch der gewaltige Beherrscher seines Königs und Landes, der Kardinal Richelieu, auf den barocken Einfall kommen, mittels Ballettänzersprüngen um die Liebe der Königin, Anna d'Autriche, zu werben Mémoires de Loménie de Brienne, I. 274. (D. Verf.). Mehr Erfolg hatte nach dieser Richtung hin sein Nachfolger, der glatte Mazarin, mit dem auch das »italische Laster« in Frankreich wieder Mode wurde. Wie unbefangen selbst Damen ersten Ranges diese Abscheulichkeit nahmen, bezeugt uns der Umstand, daß die Witwe Ludwigs XIII., der man bekanntlich die zärtlichsten Beziehungen zu Mazarin schuldgab, eines Tages zur Frau von Hautefort sagte, es wäre nichts daran, weil, wie sie lachend beifügte, der Kardinal die Frauen nicht liebe; er sei ja ein Italiener Mémoires de la Porte (Petittotsche Sammlung, LIX. 400). (D. Verf.). Man kann gerade nicht sagen, daß die Regentschaft Annas von Österreich die französischen Hofsitten wesentlich zum Bessern gelenkt habe. Kaum daß der äußerliche Anstand etwas mehr gewahrt wurde. Zwar kam es jetzt nicht mehr vor, daß, wie unter Heinrich IV. geschehen, ein junger Parlamentsrat eine nicht näher zu bezeichnende rohfaunische Manier, den Schönen seine Liebe zu erklären, erfand und übte Journal de Henri IV. III. S. 283. (D. Verf.), aber wie mußte es trotzdem mit den Sitten einer Zeit bestellt sein, wo eine öffentliche Dirne, die vielberufene Ninon de Lenclos, so sehr als Muster der feinsten Lebensart galt, daß vornehme Mütter ihre jungen Töchter bei ihr einführten, um guten Ton zu lernen! Die Königin duldete es auch, daß ihre Ehrenfräulein den ausgelassensten Liebeshändeln sich überließen. Eine dieser »Filles d'honneur«, Mademoiselle de Guerchi, wurde sogar zu wiederholten Malen Mutter, ohne deshalb ihre Stellung zu verlieren Galanteries des Rois de France, III. 168, 186. (D. Verf.). Die französische Hofgeschichte von damals war in Wahrheit eine »Chronique des ruelles In den Bettgassen (ruelles) empfingen nämlich die Damen jener Zeit, im Bett liegend, ihre Besuche, die in dem Zwischenraum von Wand und Bett Platz nahmen. (D. Verf.)«. Alle die großen Damen, die dem erotischen Ränkespiel das politische gesellend, zur Zeit der Fronde eine mehr oder weniger vortretende Rolle spielten, die Duchesse de Longueville, die Duchesse de Chatillon, Madame la Palatine, Madame de Guimenée, Madame und Mademoiselle de Chevreuse und andere, huldigten in der Liebe mehr oder weniger freien, mehr oder weniger ärgerlichen Grundsätzen. Am gemeinsten trieb es die Duchesse de Montbazon. Kardinal de Retz, Mémoires II, 30 ff. Frau von Motteville sagt in ihren Memoiren I. 262 von ihr: »Je n'ai jamais vu une personne, qui ait conservé dans le vice si peu de respect pour la vertu.« (D. Verf.)
Ludwig XIV., dem in Jünglingsjahren eine der Nichten Mazarins, Maria Mancini, eine romantische Neigung eingeflößt hatte, umgab seine Liebschaften mit dem ganzen Pomp einer Etikette, die auch in seinen Ausschweifungen den Erdengott erkennen lassen sollte. Unter seinen Mätressen hat wenigstens eine, die unglückliche La Vallière, die den König wirklich liebte, Anspruch auf unser Mitgefühl »Madame de la Vallière étoit née tendre et vertueuse. Elle aima le roi et non la royauté.« Souvenirs de Mad. de Caylus, II. edit. pag. 24. (D. Verf.). Ich schreibe aber keine Hofgeschichte Frankreichs, und ganz abgesehen davon, daß die Schilderungen des französischen Hof- und Gesellschaftslebens unter Ludwig XIV. in so allbekannten zeitgenössischen Büchern, wie die berühmten Memoiren des Duc de Saint-Simon und die Briefe der Madame de Sévigné sind, jedem Gebildeten in der Erinnerung stehen, kam und kommt es mir im vorstehenden und nachfolgenden nur darauf an, in flüchtigen Umrissen die fremden Sitten zu zeichnen, da sie leider vom 16. Jahrhundert an in Deutschland der Nachahmung wert gehalten und wirklich nachgeahmt wurden. Es dürfte jedoch, um das Unglück dieser Nachahmung in seinem ganzen Umfang erkennen zu lassen, gerechtfertigt sein, wenn ich eine deutsche Berichterstatterin über die französischen Sitten zur Zeit Ludwigs des »Großen« und des Regenten redend hier einführe.
Jedermann errät, daß ich die Herzogin von Orleans, die 1652 zu Heidelberg geborene pfälzische Prinzessin Elisabeth Charlotte meine, eine der geistvollsten und charakterstärksten Frauen ihrer Zeit, die 1671 an Monsieur, d. h. den Bruder des vierzehnten Ludwigs, widerwillig verheiratet und durch diesen Mutter des Regenten, Duc d'Orleans, inmitten des sinnenverwirrenden Babel von Paris ihr deutsches Gemüt und ihren deutschen Geist sich bewahrte. »Ich habe noch allzeit ein teutsches Hertz und gemüthe«, schrieb sie am 17. November 1708 aus Versailles. Was sie am französischen Hofe sah, hörte und erlebte, hat sie in deutsch geschriebenen Briefen an mehrere Verwandte und Bekannte, insbesondere an ihre Halbschwester, die Raugräfin Luise, mit köstlicher Naivität erzählt. Die Franzosen sind freilich von dieser Naivität wenig erbaut und beschuldigen die Prinzessin der Neigung zur Medisance. Aber wenn es auch wahr ist, daß sie ihrer Zunge oder Feder keinerlei Zwang antat und, ganz der französischen Manier entgegen, häßliche und häßlichste Dinge ohne weiteres bei ihren Namen nannte, wenn es ferner wahr ist, daß sie, ihrem eigenen Ausdrucke zufolge, zuweilen »gritlich (krittlich) war wie eine wantlauss« und demnach nicht immer geneigt, die Sachen im rosenfarbenen Licht zu sehen, so kann dennoch weder die Schärfe ihrer Beobachtungsgabe, noch ihre Wahrheitshebe einem ernstlichen Zweifel unterliegen, obzwar einzelne Irrtümer und Übertreibungen in ihren Berichten mitunterlaufen. Hören wir daher die unschätzbare Zeugin über die Sittenzustände eines Hofes, nach dem die deutschen Höfe so lange als nach ihrem Vorbilde hingeblickt haben. Wir verzichten jedoch darauf, in die bunte Mosaik der anzuführenden Briefstellen Ordnung und System zu bringen. Es würde das ja eine eigene und weitaussehende Arbeit erfordern, und vielleicht ist diese Mosaik in ihrem planlosen Durcheinander nur um so anziehender. Die Briefe, die wir ausziehen, sind an die Raugräfin Luise, geborene Prinzessin von Anspach, gerichtet, und ihr Inhalt und Ausdruck zeigen recht charakteristisch und ergötzlich genug, worüber und wie zu Ende des 17. und zu Anfang des 18. Jahrhunderts Prinzessinnen miteinander briefwechselten.
»Das dantzen ist Nun gantz auss der moden, hir In frankreich so baldt assambléen sein, thut man nichts als landtsknecht spiellen, diss spiel ist ahm meisten In vogue, aber die jungen leutte wollen nicht mehr dantzen.«
Im 17. Jahrhundert grassierte die Spielwut förmlich unter den französischen Damen. Auch das »Mogeln« verstanden die Spielerinnen nicht minder als die Spieler. Frau von Staal, nicht zu verwechseln mit der Frau von Staël, erzählt in ihren Memoiren von einer Spielerin jener Zeit: »Die Herzogin de la Ferté ließ ihre Lieferanten, Schlächter, Bäcker usw. zusammenkommen und spielte mit ihnen Landsknecht. Sie sagte mir ins Ohr: Ich betrüge sie, weil sie mich bestehlen.«
»Diss landt ist greulich verführerisch vor Junge leutte und sie Erwerben mehr Ehre Im Krieg alss hir nichts Zu thun alss herumb Zu schlendern und Zu desbauchiren, wozu unter unss gerett, mein sohn Nur gar zu viel inclination hatt und meint, weillen Er Nur die weiber lieb hatt und nicht von der anderen desbauchen ist, so jetzt hir gemeiner ist als In ittallien, so meint Er, man solle Ihn noch dazu loben. Wass noch mehr ist, die weibsleutte sein in einander Verliebt, welches mich noch mehr Eckelt alss alles. – Das Sauffen ist gar gemein bey die weiber hir in frankreich und Mad. de Mazarin hatt eine dochter hinterlassen, so es auch Meisterlich kan, die marquise de Richelieu. Die Marquise ist auff allerhandt weiss abscheulich desbauchirt, legte sich Eins mahls hir in Monsieur le dauphins bett, ohne dass Er sie darumb gebeten, umb bey Ihm zu schlaffen. – Hir findet man gar wenig weibsleutte so nicht von natur coquet sein undt ist es recht rar, wann man Eine findt so es nicht ist. – Im opera von Alceste singt man: L'hymen destruit la tandresse, il rend l'amour sans attraix – undt ein cavalier so vor Ein jahr gestorben sagte alss: quel amour qu'en puisse dais qu'en entre au lit d'hymen lamour sort du coeur. – Seidt Ihr so Einfältig zu glauben, dass Junge Mansleutte bey itzigen Zeitten ohne metressen leben? Das verunehrt Einen herrn gar nicht. – Es ist eine abscheuliche sach mit dem Tabaque. Es ärgert mich recht, wenn Ich hir alls weibsleut mitt den schmutzigen Nassen, als wen sie sie in Dreck mitt Verlaub gerieben hetten, daher kommen undt die finger in alle der Männer Tabactiere stecken sehe. – Die Aebtissin von Mautbuisson, Luise Hollandine, fille de Frederic V. Electeur Palatin – (also eine geborene Deutsche, aber vollständig französiert und durchaus würdig, eine Französin von damals zu sein Von den skandalösen Abenteuern dieser Dame (einer Tochter des Winterkönigs) erzählen die Memoiren von Madame de Montpensier I. S. 220. (D. Verf.)) hat so viel Bastarts gehabt, dass sie schwur: par ce ventre, qui a porté 14 enfants. Die impuissants machten sie ohnmächtig und sie konnte sie von ferne riechen. Man erzählet von dieser Dame, dass, um sich ein oeil tendre zu machen und um wohl auszusehen, hatte sie einen Kammerdiener, der mußte, wenn sie auf einen Ball ging, in ihrem vollen Putze und aufrecht mit ihr zuhalten. – Die Maréchalle de la Ferté wollte einem von ihren Amants erweisen, wie lieb sie ihn hätte. Ich weiß nicht, welcher es war, denn sie hat ihrer so viele gehabt als Tage im Jahre sind; wo mir aber Recht ist, so war es der kleine Comte de Marsan. Der hatte ihr einmal vorgeworfen, dass sie ihn nicht recht lieb hätte. Sie sagte: je vous donnerai des preuves convaincantes. Quand je vous sais seulement en même lieu où je suis, je me sens dans une agitation comme si j'avois la fièvre. Wie er aber dies nicht glauben wollte, gab sie ihm eine Nacht ein rendezvous; wie er bei ihr im Bette war, ziehet sie ihm die Decke übern Kopf und sagt: Ne parlés pas, ou vous êtes perdû! ruft ihre Leute und lässt ihren Doctor holen. Wie er ihr den Puls fühlt, fragt sie: He bien, que trouvés vous? Der Doctor antwortet: Madame, vous avés une grande agitation et une fièvre très violente. Vous devriés vous faire saigner. Sie sagte: Une autre fois, je n'en ai pas tems présentement. Wie Doctor und Kammermagd wieder weg waren, sagte die Maréchalle: He bien, êtes-vous content? Je vous ai tenu parole. Er sagte: Oui, mais vous m'avez fait grand peur. – Madame Christine die gewesene Königin von Schweden, Tochter Gustav Adolfs. »Der Kerl«, d. i. der Liebhaber, denn in einigen Gegenden Süddeutschlands, namentlich in Mittelschwaben, heißt in der Bauernsprache ein Liebhaber noch heutzutage ein Kerl, von dessen auf Christines Befehl im Schlosse von Fontainebleau geschehener Ermordung die Herzogin von Orléans spricht, war der Italiener Monaldeschi. (D. Verf.) war eine galante Dame, wiewohl sehr ausgewachsen. Die grosse Mademoiselle hat mir erzählet, dass weil sie (Madame Christine) gar weiss war, sie sich splitternackent auf ein schwarzsammet Bette gelegt und sich so an ihre Amants präsentiret. Man siehet zu Fontainebleau auf dem grossen Saale noch das Blut von einem Kerl, den sie hat massakrieren lassen. Sie wollte nicht, dass alles, was der Mensch von ihr wusste, herauskommen sollte, und meinte, wenn sie ihm nicht das Leben nähme, würde er es ausschwatzen. Sie war sehr vindicative, in allen Stücken debauchirt, auch mit Weibern. Das hat sie den Franzosen zu danken, insonderheit dem alten Bourdelot, der hat sie in allen Lastern gestärkt. Sie konnte von Sachen reden, die die grössten Debauchés nur erdenken können. Sie hat die Madame de Bregié zur Unzucht mit ihr forciret, dass sie sich schier nicht ihrer hat erwehren können. – Als eins von der Königin Kindern starb, fragte der König (Ludwig XIV.) seinen damaligen Doctor: d'ou vient, Mr. Guineau, que mes bâtars sont sains et ne meurent pas, pendant que les enfants de la reine sont tous si délicats et meurent? – Sire, sagte Guineau, c'est qu'on n'a porté chez la reine que les restes du verre. – Die Königin war froh, wenn der König bei ihr schlief, denn auf gut spanisch hasste sie dieses Handwerk nicht; sie war so lustig, wenn es geschehen war, dass man es ihr grade ansahe; hatte auch gerne, dass man sie damit vexierte; lachte, blinzelte und rieb ihre kleinen Händchen zusammen. – Madame de Montespan und ihre älteste Tochter haben brav schöppeln können ohne einen Augenblick voll zu werden. Ich habe sie, ohne was sie sonst getrunken, 6 Rasaden vom stärksten Turiner Rosoli trinken sehen; ich meinte, sie würde unter die Tafel fallen, aber es war ihr wie ein Trunk Wasser. – Mein Sohn (der Regent) ist incapable, recht verliebt zu sein. Er isst und trinkt gern mit seinen Mätressen, singt und macht sich lustig mit ihnen und schläft gern bei ihnen; aber eine lieber zu haben als die andere, das ist seine Sache ganz und gar nicht. Mein Sohn ist nicht delicat; wenn die damen nur von guten humor seyn, brav fressen, saufen und frech seyn, weiter bedürfen sie keiner Schönheit Jakob Wille, Elisabeth Charlotte, Herzogin von Orleans. Bielefeld und Leipzig 1905; Gertrude Aretz, Liselotte von der Pfalz. Stuttgart, J. Hoffmann. Alle anderen Werke sind entweder zu seicht, daß sie nicht empfohlen werden können, oder aber so umfangreich, wissenschaftlich und schwer erhältlich, daß ihre Namhaftmachung ohne Zweck wäre. (D. Hrsg.).« –
In seinen alten Tagen wandte sich Ludwig XIV. unter dem Einfluß seiner letzten Mätresse, der Maintenon, der Bigotterie zu, die ja zu allen Zeiten die richtige Folge der Ausschweifung gewesen ist. Die frömmelnde, den alten König mit eiserner Despotie beherrschende Witwe Scarrons war unserer braven Herzogin von Orleans wie Gift und Galle zuwider. Sie nannte die schlaue Konkubine, die sich zuletzt zur förmlichen Gemahlin des Königs hinaufdiplomatisierte, nur die »alte Zott«, und beim Tod der Verhaßten schrieb sie in ihrer derben Art triumphierend: »Die alte Schwump ist verreckt den 15. April (1719) zu St. Cyr.«
Nach dem Tode des Königs hob die wilde Orgie der Regentschaft an, und auf diese folgte die gemeine Liederlichkeit, wie sie während der langen Regierung Ludwigs XV. am französischen Hofe gang und gäbe war und von da aus allmählich alle Schichten der französischen Gesellschaft verpestete.
Die Frauen Italiens waren im 16. und 17. Jahrhundert weit entfernt, einer sozialen Freiheit zu genießen, wie die französischen sie genossen und so vielfach mißbrauchten. Leider sind aber die Nachrichten über Stellung und Verhalten der Italienerinnen zur angegebenen Zeit so dürftig Das stimmt nun ganz und gar nicht mehr, seit uns Jakob Burckhardt sein grundlegendes Buch »Die Kultur der Renaissance in Italien«, 2 Bände, 12. Aufl., Leipzig 1919, geschenkt hat. (D. Hrsg.), daß wir nur weniges darüber beizubringen wissen, um so wenigeres, da hier nicht der Ort ist, die Stellung vorragender Frauen in der politischen und literarischen Geschichte Italiens, insbesondere der Frauen der Häuser Medici und Este, zu würdigen. Ein berühmter französischer Autor, Montaigne, der Italien in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bereiste, fand die strenge Verwahrung auffallend, in der dort die Frauen und Töchter der Vornehmen gehalten wurden. Man habe es als etwas Ungewöhnliches angesehen, wenn die jungen Damen sich einmal öffentlich zeigen durften. Die Italiener hatten freilich Grund genug, der Tugend des schönen Geschlechts nicht allzu sehr zu trauen. Die italienische Novellistik von den Tagen Boccaccios herab entwirft, wenn auch mit lachenden Farben, ein nicht sehr schmeichelhaftes Gemälde der weiblichen Sitten des Landes, zu deren Verderbnis ja auch die zahllosen Geistlichen das Ihrige eifrigst beigetragen haben. Und dann die frivole, in Laszivität schwelgende Behandlung der Liebe und der Frauen in den Komödien Macchiavellis und in den Heldengedichten der Pulci, Bojardo und Ariosto, von den eigentlich priapischen Poeten, wie Pietro der Aretiner einer war, gar nicht zu reden! Wo eine solche Poesie entstehen und der Stolz der Nation werden konnte, mußten die Frauen gerade so verdorben sein wie die Männer oder im besten Fall durchschnittlich viel zu ungebildet und indolent, um edlere Sitten zu pflanzen und den Glauben an weibliche Tugend zu verbreiten. Es fehlte freilich nicht an erhabenen Ausnahmen von dieser Regel. Eine Leonora d'Este, eine Vittoria Colonna glänzen für alle Zeiten in der Ruhmeshalle unsterblicher Frauen, und um das schöne Haupt der einem unerhört tragischen Geschick zum Opfer gefallenen Beatrice Cenci leuchtet die Gloriole eines beispiellosen Martyriums Das ist ein bißchen viel gesagt. Wenn Scherr in einer Anmerkung fortfährt: »Ein englischer und ein italienischer Dichter, Shelley und Guerazzi, haben den Manen des unglücklichen Mädchens dichterische Totenopfer dargebracht«, so stimmt dies. Das schöne Mädchen war unglücklich, aber Märtyrerin nur insofern, daß sie wegen ihrer Verbrechen in unerhört grausamer Weise abgeschlachtet worden war. Über sie und ihren Vatermord siehe »Kulturgeschichtliche Studien« von Spiridion Gopèevic, Bonn und Leipzig 1920, S. 1 ff. (D. Hrsg.). Ein englischer und ein italischer Dichter, Shelley und Guerrazzi, haben den Manen des unglücklichen Mädchens dichterische Totenopfer dargebracht. Leonora d'Este wurde von Tasso und Goethe gefeiert. Vittoria Colonna, Gemahlin des kriegsberühmten Marchese von Pescara und als Dichterin eine sehr ehrenvolle Stellung in der Literatur ihres Landes einnehmend, wurde von ihrem Zeitgenossen Ariosto im Rasenden Orland schön gepriesen, besonders in der Stanze:
»Nur Eine wähl' ich, doch ich wähle diese,
Die selbst verstummen heißt des Neides Toben,
Und keine zürnt mir, wenn ich sie erkiese,
Um, von den andern schweigend, sie zu loben.
Sie hat nicht nur durch ihrer Töne Süße
Sich selber zur Unsterblichkeit erhoben,
Sie ruft auch jeden lebend aus dem Grabe,
Von dem sie spricht, durch ihre holde Gabe.«
Aber auf der anderen Seite beweisen eine Lucretia Borgia und eine Katharina von Medici sattsam, welche dämonische Verworfenheit in der Brust italischer Frauen von damals Platz fand. Montaigne erzählt uns, daß zu seiner Zeit in Italien bei festlichen Mahlzeiten die Frauen von ihren hinter den Stühlen stehenden Männern bedient wurden, woraus zu schließen wäre, daß damals die Einrichtung des Cicisbeats noch nicht bestanden habe. Im folgenden Jahrhundert aber ging diese für echte Weiblichkeit und das Familienleben so verderbliche Sitte bereits sehr im Schwange. Eines merkwürdigen, auch in Spanien vorkommenden Brauches gedenkt Brantôme. Zu seiner Zeit war es nämlich da und dort in Italien, namentlich zu Viterbo, Sitte, nach der Hochzeitsnacht die Beweise der Jungfernschaft der Braut öffentlich zur Schau zu stellen. Man konnte das für ein naives Zeugnis der Achtung vor jungfräulicher Tugend halten, läge nur nicht eine so empörende Schamlosigkeit in dieser Ostentation und fügte Brantôme nicht hinzu, daß dabei gar manche Fälschung vorgekommen sei. Montaigne verhehlte nicht seine Verwunderung, in ganz Italien so wenige wirklich schöne Frauen und Mädchen angetroffen zu haben, wogegen er den Italienerinnen Geschmack im Anzuge nachrühmte; nur schmeichelten, meinte er, die italischen Damen zu sehr dem Vorurteil ihrer Anbeter, daß eine übermäßig große Busenfülle schön sei und demnach möglichst sichtbar gemacht werden müsse. Die schönsten Weiber fand der feine französische Beobachter unter den Kurtisanen, und er notierte es als eine »chose admirable«, daß es in Venedig allein anderthalbhundert solcher Buhlerinnen ersten Ranges gab, die, von dem Adel der Republik ganz öffentlich besucht und unterhalten, in Kleiderpracht, häuslicher Einrichtung und kostspieliger Lebensweise mit Prinzessinnen wetteiferten.
Italien war überhaupt die Heimat der raffinierten Buhlerkünste. Venedig wiederum war in Italien die Hochschule der Buhlerei. Die Königin der Adria behauptete ihren Rang als »Lieblingsstadt der Wollüste« bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, wo sie ihr Szepter an Paris abtreten mußte. Zur Renaissancezeit, wo ja überhaupt die Lebensführung der gebildeten Kreise in Italien als ein mattes Abbild, häufig wohl auch als ein groteskes Zerrbild des antiken Daseins sich darstellte, hatte das italische Hetärentum mitunter einen attischen Anstrich getragen. Durch Schönheit, künstlerische Fertigkeiten, Geistreichigkeit und Witz ausgezeichnete Buhlerinnen, wie die Römerin Imperia, oder die Caterina di San Celso in Mailand, oder die aus Spanien herübergekommene Isabella de Luna, spielten dazumal in der italischen Gesellschaft Rollen, die an die der Aspasia oder wenigstens der Lais und Thais in der griechischen erinnerten.
Die Spanierinnen des 16. und 17. Jahrhunderts hatten andere Begriffe von Schönheit als ihre italischen Schwestern. Während diese nach »blühendem Fett« strebten, taten jene alles mögliche, um sich mager zu erhalten. Insbesondere wurde die Entwicklung des Busens mit aller Gewalt hintertrieben, indem man die schwellende Brust reifender Mädchen vermittels Tafeln von Blei platt drückte, und zwar mit solchem Erfolg, daß bei vielen spanischen Damen statt der Busenhügel Vertiefungen und Höhlen sichtbar waren. Denn sie sorgten recht geflissentlich dafür, daß diese Reize, nämlich eine hagere knochige Brust und ein ebenso hagerer und knochiger Rücken weit hinab dem Anblick bloßgestellt würden.
Merkwürdigerweise kommt dieser naturwidrig-busenfeindliche Brauch, der im 17. Jahrhundert in Spanien herrschte, noch heutzutage unter einem deutschen Volksstamm vor, nämlich im Bregenzer Wald, von dessen Bewohnerinnen B. Oppermann sagt Oppermann, Aus dem Bregenzer Wald, 1859, S. 9. (D. Verf.): »Den rundlichen, die Fülle der Gesundheit verkündenden Kopf bedeckt die kegelförmige Mütze; aus den großen Augen spricht viel Lebenslust und Schalkheit; alle Formen sind rund, die Gestalten kräftig gedrungen, die Hüften breit, die Beine ebenmäßig gebaut. Nur eins mangelt ihnen völlig: die Brust. Allerdings gewahrt man denselben Mangel auch sonst bei Bergbewohnerinnen, aber es ist dennoch auffallend, daß derselbe hier sogar bei solchen angetroffen wird, die sonst üppig gebaut sind. Dies mag daher kommen, daß Mütter solchen Töchtern, die etwa vor anderen Mädchen sich durch das, was diesen fehlt, auszeichnen könnten, tellerartige Hölzer anschnallen und so mit Gewalt eine der schönsten Zierden des Weibes in ihrer Entwicklung hemmen.« Sehr interessante Angaben über die Verstümmelung der Brüste von Europäerinnen enthält »Das Weib in der Natur- und Völkerkunde« von Ploß-Bartels. 7. Aufl. Leipzig 1902. S. 311 ff. (D. Hrsg.)
Sonst rühmt unsere Berichterstatterin, die Gräfin d'Aulnoy Relation du voyage d'Espagne de la Comtesse d'Aulnoy, La Haye 1705. (D. Verf.), das reiche, glänzend schwarze Haar der Spanierinnen, ihre regelmäßigen wohlgebildeten Züge, ihre großen, Feuer werfenden Augen, ihre zierlichen Hände und außerordentlich kleinen Füße. Diese ängstlich vor den Blicken der Männer zu verbergen, war eine Hauptvorschrift spanischer Sittsamkeit. Es galt für die zweitgrößte Gunst, die eine Dame überhaupt ihrem Liebhaber erweisen konnte, wenn sie ihn ihre Beine und Füße sehen ließ. Bekannt ist die spaßhafte Anekdote, daß, als die österreichische Prinzessin Maria Anna als Braut Philipps IV. nach Spanien kam und man ihr beim Durchzug durch eine Stadt, die eine berühmte Strumpfweberei besaß, eine Partie der schönsten seidenen Damenstrümpfe als Ehrengeschenk überreichte, der Majordomo dieses entrüstet zurückgab mit den Worten: »Die Königinnen von Spanien haben keine Beine!« Der gute Mann wollte damit sagen, es sei ein Frevel, an die Beine und Füße von Königinnen auch nur zu denken. Die Prinzessin aber fing bitterlich zu weinen an, wähnend, man wollte ihr die Beine abschneiden. In Wahrheit, nicht nur die Beine, sondern die ganzen Leiber und Seelen der spanischen Königinnen waren in die »spanischen Stiefeln« einer aberwitzigen und unerbittlichen Etikette eingeschnürt, und gedrückter als die königlichen Bewohnerinnen des Eskurial haben vielleicht niemals Frauen geatmet. Ihr Leben verfloß in einer prunkvollen, das Gemüt bis zum Blödsinn abstumpfenden Langeweile. Sie waren nur gekrönte Sklavinnen. Als ein Beispiel dieser glänzenden Unfreiheit sei angeführt, daß Philipps II. Gemahlin Elisabeth, als sie 1565 zu einer Zusammenkunft mit ihrer Mutter nach Bayonne reiste, drei Tage lang vor den Toren von Burgos liegen bleiben mußte, bis man die Willensmeinung des Königs eingeholt hatte, ob die Königin durch die Stadt oder aber um diese herum ziehen sollte. Aber die Königinnen von Spanien waren mitunter noch viel grausameren Prüfungen ausgesetzt. So die erste Gemahlin Karls II., eine französische Prinzessin. Der impotente König hielt sich für behext und wurde in diesem Glauben durch seinen Beichtvater bestärkt, einen Dominikaner, der eine Vision hatte, das königliche Ehepaar wäre infolge einer Behexung verhindert, Kinder zu bekommen. Es wurde beschlossen, mittels einer märchenhaft schamlosen Beschwörungszeremonie den Zauber zu bannen. Der König und die Königin sollten sich nackt ausziehen und der Mönch in pontificalibus die Besprechung vornehmen, worauf in Gegenwart des Beschwörers der Versuch gemacht werden sollte, ob der Bann wirklich gebrochen wäre. Der König setzte der Königin heftig zu, in die Sache zu willigen; sie jedoch ließ sich nicht überreden, zu dieser Schändlichkeit sich herzugeben. Depesche des französischen Gesandten in Madrid, Grafen Rebenac an Ludwig XIV. vom 23. Dezember 1688. Vollständig gedruckt bei Renée, Les nièces de Mazarin, not. L. (D. Verf.)
Die Fesseln einer geisttötenden Etikette umschnürten, wie die spanischen Königinnen und Prinzessinnen, alle Frauen der höheren Stände des Landes. Überall Unfreiheit und Zwang. Daher auch die unglaublich geringe Geistesbildung der spanischen Damen, die nicht wie viele ihrer französischen Zeitgenossinnen, an der Kulturbewegung des 17. Jahrhunderts teilnehmen durften oder konnten. Es gab in Madrid nicht wie in Paris ein Hotel Rambouillet, wo die vorragendsten Männer der ernsten und der schönen Wissenschaften in lebendigem Ideenaustausch mit den Tonangeberinnen der Gesellschaft verkehrten. Auch Spanien zwar besaß damals eine Literatur, deren Glanz zu bezeichnen man nur die Namen Cervantes, Lope und Calderon zu nennen braucht. Allein die ganze spanische Literatur war nicht auf das Prinzip der Bewegung und Entwicklung, sondern auf das des Stillstandes basiert, und darum hat auch sie an jener Verknöcherung mitgearbeitet, der sich die spanische Nation erst zu Anfang des 19. Jahrhunderts wieder zu entschlagen begann. Aus den Tagen seiner weltgebietenden Stellung hatte Spanien unter dem Einfluß eines verdummenden Despotismus nur jenen lächerlichen Hidalgodünkel herübergebracht, der auf Intelligenz und Betriebsamkeit mit einem so blödsinnigen Hochmut herabsah, daß noch 1781 die Madrider Akademie mittels einer Preisaufgabe zu beweisen versuchen mußte, »die Betreibung nützlicher Gewerbe enthielte nichts Ehrenrühriges«. Es ist demnach nicht verwunderlich, daß zur Zeit, von der wir handeln, die spanischen Frauen, mit wenigen Ausnahmen, in tiefer Unwissenheit ihr Dasein hinschleppten. Maßgebend für dieses waren ja die orientalisch-despotischen Regeln, die die Spanier den Morisken abgelernt hatten. Damen von Stand lebten in einer Abgeschlossenheit, die einer klösterlichen Klausur nahe kam oder diese sogar noch hinter sich ließ. Denn die Nonnen durften wenigstens am Sprachgitter männliche Besuche empfangen, während Ehefrauen strengstens untersagt war, den Besuch eines Mannes anzunehmen, wenn nicht mit ausdrücklicher Bewilligung des Gatten. Es war ihnen auch nur während des ersten Jahres ihrer Ehe verstattet, in Gesellschaft ihrer Männer in offenen Wagen öffentliche Spaziergänge zu besuchen; später durften sie nur noch in fest verschlossenen Kutschen ausfahren. Von traulichem Familienleben keine Spur. Zur Zeit, als die Gräfin d'Aulnoy in Spanien sich aufhielt, gehörte es zum guten Ton, daß jeder rechte Kaballero neben seiner Gemahlin eine Konkubine und außerdem noch eine Geliebte hatte, denen er nach den Regeln der feinen Lebensart den Hof machte. Selbst bei Tische vereinigten sich die Eheleute nicht. Der Hausherr speiste allein, während Frau und Kinder mit nach morgenländischer Art gekreuzten Beinen respektvoll auf Teppichen am Boden saßen.
Die armen Frauen, von jeder edleren Geselligkeit ausgeschlossen, waren auf Handarbeiten, auf das Geplauder mit ihren Duennen, auf mechanisches Beten, auf das Spiel mit ihren Rosenkränzen und auf – Intrigenspiel angewiesen. Denn je größer der Zwang, unter dem die Frauen leben, desto mehr schärft sich ihre List, desto glühender wird in ihnen der Drang, sich an ihren Zwingherren zu rächen. Die Spanier mußten das auch erfahren. Die unerbittlichste Rachsucht, und alle bis zu tiftelnder Narrheit zugespitzte Pflege der »spanischen Ehre«, konnten die spanischen Damen nicht verhindern, zu lieben und sich lieben zu lassen. Ganz charakteristisch für das spanische Wesen wurde den Spanierinnen häufig die Religion zur Gelegenheitsmacherin, indem die zahllosen kirchlichen Übungen zur Anspinnung und Durchführung von Liebesränken vortreffliche Gelegenheit gaben. Die spanischen Kavaliere hatten auch eine ganz eigentümliche Manier, christliche Asketik und romantische Galanterie miteinander zu verbinden, indem sie sich zu Ehren ihrer Geliebten geißelten. Bei öffentlichen Buß- und Bittgängen blieben die Liebhaber unter den Fensterbalkonen ihrer Angebetenen stehen und schlugen sich die bloßen Rücken blutig. Es galt für das höchste Merkmal echter Galanterie, wenn das bei solchen Anlässen fließende Blut auf die Kleider der Schönen spritzte, der diese verrückte Huldigung gewidmet war. Die Belohnung dafür blieb auch nicht aus. Denn aller Wachsamkeit von Vätern, Brüdern, Eheherren und Duennen zum Trotz wußten die spanischen Damen ihre Anbeter glücklich zu machen. Zwei Umstände kamen ihnen dabei zu Hilfe: die Übung in einer außerordentlich entwickelten Gebärden- und Zeichensprache und die beständige Verschwörung, in der sozusagen sich die ganze Frauenwelt gegenüber der Männerwelt befand. Weil aber die galanten Damen Spaniens die Gelegenheit im Fluge erhaschen mußten, standen sie nicht an, ihren Anbetern den Weg zur höchsten Gunstbezeugung möglichst abzukürzen, und nahmen ihnen eine stürmische Zärtlichkeit keineswegs übel. Betrachtet man die in den spanischen Komödien und Novellen vorgeführten zahllosen Beispiele von der Kühnheit und Schlauheit, womit die Frauen des Landes zu Werke gingen, um ihrem heißen Temperament genugzutun, so erscheint die spanische Frauentugend in einem nicht sehr günstigen Lichte. Indessen muß gesagt werden, daß auch die Beispiele von edler und edelster Weiblichkeit in der spanischen Literatur des 17. Jahrhunderts sehr zahlreich sind. Ich erinnere nur an das berühmte Schauspiel »Garcia del Castañar« von Francisco de Rojas, wo die Konflikte der beleidigten Gattenehre und des spanischen Royalismus so herrlich zur Anschauung gebracht sind und in der Person der Donna Blanka ein hochsittlicher Frauencharakter vorgeführt wird. Sowie an das beste Lustspiel der spanischen und vielleicht der europäischen Literatur, an Moretos »El desden con el desden«, wo mit feinster psychologischer Meisterschaft in der Figur der Donna Diana ein Typus graziöser Jungfräulichkeit gezeichnet ist.