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Fern im Nordmeer liegt ein Eiland, das zum letzten Asyl des germanischen Heidentums geworden ist. Hierher, nach Island, zogen sich von 874, edle norwegische Männer zurück, als in ihrer Heimat Christentum und Königsherrschaft die alteinheimische Religion und Verfassung zerstörten. In diese insularische Abgeschiedenheit von einer Welt, die neue Götter anbetete und neue Lebensformen antat, hatte das Germanentum seine teuersten Schätze gerettet, seine religiösen Mythen, seine alten Heldensagen. Hier hütete es diesen Hort und mehrte ihn. Hier blühte eine Kultur auf, deren schriftliche Erzeugnisse den Völkern germanischer Zunge nicht weniger ehrwürdig und heilig sein sollten, als es den Hebräern »Das Gesetz und die Propheten« sind, d. h. ihre unter dem Titel »Bibel« bekannte Sammlung nationaler Mythen, Sagen, Geschichten und Dichtungen. Hier wurde auch die germanische Bibel aufgezeichnet, die Edda, d. i. die Urahne, die Urgroßmutter, die den Enkeln vom Glauben der Väter, von den alten Stammgöttern und Stammhelden erzählt.
Bekanntlich gibt es eigentlich zwei Edden: die ältere, in gebundener Rede verfaßte, genannt die Edda Sämunds Neuere Forschungen haben unumstößlich bewiesen, daß Sigfusson, ein gelehrter Isländer des 12. Jahrhunderts, weder der Sammler noch gar der Verfasser der Gedichte gewesen ist und ihnen der Name Edda nicht zukommt. In der Edda, übersetzt und erläutert von Hugo Gerling, Leipzig und Wien S. 6. Hingegen ist die Angabe über Sturluson den Tatsachen entsprechend. (D. Hrsg.), weil nach gang und gäben Dafürhalten die Sammlung der Götter- und Heldenlieder, die ihren Inhalt bilden, durch den isländischen Gelehrten Sämund Sigfusson veranstaltet wurde; und die jüngere, in ungebundener Rede verfaßte, genannt die Edda Snorris, weil der 1241 erschlagene Isländer Snorri Sturluson für den Sammler und teilweise auch für den Verfasser ihres Inhalts gilt.
Wie die heiligen Urkunden vieler anderen Religionen eine Lehre von den ersten und letzten Dingen vortragen, so auch die Edda. Mußte sich doch die religiöse Phantasie überall zur Beantwortung der Frage aufgefordert fühlen, wie die Welt und der Mensch entstanden wären und was zuletzt aus beiden werden sollte? Auf die eddische Weltschöpfungslehre hat, will mir scheinen, die Natur Islands keinen geringen Einfluß ausgeübt. Wenigstens dürfte es gestattet sein, anzunehmen, daß auf die Dichtung einer Kosmogonie, in der die heiße Flammenwelt Muspelheim und die eisige Nebelwelt Niflheim eine so große Rolle spielen, der Anblick von Heklas Lavaströmen, die über Gletscher rollen, und der Anblick der Geysirquellen, die aus Schneefeldern hervor siedendheiße Wasserstrahlen in die Luft treiben, eingewirkt haben müsse.
Die ganze Größe und Furchtbarkeit nordischer Natur widerspiegelt sich auch in dem ungeheuren Phantasiebilde, das die Edda von Ragnarökr, der Götterdämmerung, d. i. vom Weltuntergang, entwirft. In Übereinstimmung mit dem, was in der älteren Edda die Wöla vom Vergehen der Welt singt, sagt das althochdeutsche, im 9. Jahrhundert aufgezeichnete Gedicht Muspilli: »Die Berge entbrennen, kein Baum bleibt stehen auf der Erde, die Wasser trocknen aus, das Meer verdampft, in Lohen vergeht der Himmel, der Mond fällt herunter, Mittelgart (die Erde) flammt auf, kein Fels steht fest. Der Tag der Vergeltung fährt über die Lande, fährt über die Völker mit Feuer.« In diese entsetzliche Katastrophe wird alles Seiende hineingezogen, Menschen und Götter gehen gleichermaßen zugrunde. Aber dem Dogma der Vernichtung verknüpft sich das der Wiedererneuerung: aus dem Trümmerchaos der untergegangenen ersteht eine neue Erde, eine neue Menschen- und Götterwelt.
Was die mythenbildende Phantasie der Germanen von Ragnarökr gesagt und gesungen, erscheint in jener Umwälzung Europas, die im 4. Jahrhundert n. Chr. ihren Anfang nahm, und die wir Völkerwanderung zu nennen pflegen, in weltgeschichtliche Tatsachen von unermeßlicher Bedeutung übersetzt. Durch die germanischen Völker, die aus Osten und Norden nach Süden und Westen vordrangen, erlebte ja die römische Welt ihre Götterdämmerung, nach deren Verrauschen an die Stelle der vernichteten antiken Gesellschaft die germanische trat.
Zweifach war die Natur dieser kolossalen Revolution. Denn zu ihrer materiellen Seite gesellte sich eine geistige, das Christentum, die in eben dem Maße, in dem es sich die germanischen Sieger unterwarf, zur Gewinnung der Stellung einer weltbeherrschenden Geistesmacht vorschritt. Wunderbarer Anblick! Aus den düsteren Todesschatten, die das Kreuz über die erblassende Götterwelt des griechisch-römischen Altertums geworfen, ging, als die »Barbaren« ihre Streithämmer, womit sie die marmornen Göttergestalten zerschlagen hatten, am Fuße dieses Kreuzes huldigend niederlegten, ein neuer Tag der Weltgeschichte hervor. Der südliche Olymp sowohl wie das nordische Asenheim traten in die Fabelnregion zurück, und über einer neuen Gesellschaft wölbte sich ein neuer Glaubenshimmel, der des dreifältigen Christengottes, der einen nicht minder zahlreichen und nicht minder mannigfach gegliederten mythologischen Hofstaat von Göttern und Göttinnen, Helden und Heldinnen um sich versammelte, wie der alte, jetzo abgedankte Zeus-Jupiter einen gehabt hatte. So entsetzte und ersetzt der Mensch allzeit verbrauchte Gottheiten mit neugeschaffenen, weil er, von der »Angst des Irdischen« umgetrieben, nicht umhin kann, immer wieder nach einem Halt- und Stützpunkt ins Überirdische hinaufzugreifen.
Es ist hier nicht der Ort, tausendmal Gesagtes zu wiederholen und dem Schauspiel einer allgemeinen Auflösung anzuwohnen, aus dem sich erst nach vielen Zerstörungen, Schöpfungen, abermaligen Zertrümmerungen und Wiederaufbauungen eine neue staatliche Gestaltung unseres Erdteils ergab. Für unseren Zweck genügt es, flüchtig auf die germanischen Reiche von kürzerer oder längerer Dauer hinzuweisen, die, nachdem die Völkerflut sich gestaut oder verlaufen, kraft des Rechtes der Eroberung in den ehemaligen Provinzen Roms gegründet wurden.
Eine Folge dieser Staatengründungen war, daß mancher Schößling vom germanischen Stamme losgelöst und ihm für immer entfremdet wurde.
Die rohe Naturkraft vermag zwar eine verrottete Kultur niederzutreten; aber in Gestalt von tausend und aber tausend schmeichlerischen Einflüssen richtet sich diese wieder auf, den Sieger zuletzt besiegend. Das erfuhren die germanischen Stämme, die als Beutestücke der Völkerwanderungskriege Italien, Spanien und Frankreich an sich genommen hatten. Sie erlagen der Bestrickung durch das römische Wesen, das, in Verbindung mit dem Christentum, ihnen allmählich ihre Nationalität und sogar die Muttersprache abschmeichelte. So wurden sie aus Germanen römische Mischlingsvölker, und Mutter Germania mußte es bald genug erleben, daß ihre in die Fremde gegangenen Söhne sich gegen sie kehrten, mit dem ganzen Haß, der der Abtrünnigkeit allzeit und überall zu entspringen pflegt. Auch daheim in Deutschland schien, wie wir seines Ortes sehen werden, die römisch-christliche Kultur über das germanische Wesen triumphieren zu sollen; aber hier erwies sich der nationale Geist, im Süden hauptsächlich durch den großen alemannischen, im Norden durch den großen sächsischen Stamm getragen, mächtig genug, die deutsche Eigentümlichkeit zu retten und zu bewahren.
Zur Zeit, als die später zu Romanen gewordenen germanischen Völkerschaften ihre Nationalität noch bewahrten, hatte der Stamm der Burgunden in den Gebirgen von Savoyen sich gesetzt und dehnte von dort im 5. Jahrhundert seine Herrschaft über das südöstliche Gallien aus. Westlich von ihnen, in Aquitanien, hatten sich nach mancherlei Wanderungen die Westgoten niedergelassen, die über die Pyrenäen vordrangen und so ziemlich ganz Spanien sich unterwarfen. In Italien waren, nachdem Odoaker im Jahre 476 den letzten Schattenkaiser Westroms abgesetzt hatte, zuerst die Heruler der herrschende germanische Stamm. Ihr Reich währte aber nicht volle 20 Jahre, denn schon 493 machte ihm der große König der Ostgoten, Theodorich, ein Ende und schuf den ostgotischen Staat, der ganz Italien umfaßte und darüber hinausreichte. Den Ostgoten folgten in der Gewalt über Italien die Langobarden. Sie dehnten seit der 2. Hälfte des 6. Jahrhunderts ihre Eroberungen vom Norden der Halbinsel bis in den Süden aus. Der weitverzweigte Stamm der Franken, schon um die Mitte des 3. Jahrhunderts den römischen Rheinprovinzen zur Bedrängnis geworden, drang unter dem Namen der salischen Franken im 5. Jahrhundert von den batavischen Gegenden her erobernd in Gallien ein und bis zur Somme vor, während er unter dem Namen der ripuarischen Franken in den Stromgebieten des Rheins, der Maas und Mosel ein Reich mit der Hauptstadt Köln gründete.
Durch den Salier Chlodevech oder Chlodwig, den Merowinger, einen der tatkräftigsten, schlauesten und gewissenlosesten Könige, die die Welt gesehen, wurden von 480 an die fränkischen Gebiete in Gallien und Germanien vereinigt und allseitig erweitert. Durch Chlodwig kam, besonders nach Besiegung der Alemannen, die vortretende Rolle unter den germanischen Stämmen an die Franken. Da der König das Christentum zu einem Hebel seiner Politik machte, so datieren von seiner Zeit die Anfänge einer umfassenderen Verbreitung des neuen Glaubens nach dem Osten und Norden Deutschlands. Welcher Art übrigens dieses »Christentum« war, trat zutage, als die Teilung des Frankenreichs nach Chlodwigs Tode (511) unter seine vier Söhne jene gräuelvollen Stürme heraufführte, die das merowingische Haus zerrütteten. Es folgten in den entsetzlichen Kämpfen zwischen den drei Hauptmassen des Frankenreichs, Austrasien, Neustrien und Burgund, mannigfache Teilungen, Wiedervereinigungen und abermalige Trennungen, bis die Dynastie der Merowinger von dem Geschlecht der Karlinger verdrängt wurde und diese jenen gewaltigen germanisch-christlichen Neubau errichteten, mit dem die Geschichte des Mittelalters anhebt.
Indem wir jetzt zur Betrachtung der Stellung der germanischen Frauen zur Völkerwanderungszeit vorschreiten, deren charakteristische Merkmale bis zur karlingischen Periode reichen, sagen wir zuvörderst, daß alle sozialen Einrichtungen der germanischen Stämme, der Berührungen mit der römisch-christlichen Welt ungeachtet, noch das nationale Gepräge der heidnischen Vorzeit trugen. Wenn auch die germanischen Häuptlinge im Verlaufe der Völkerwanderung römische Herrscher- und Herrentitel annahmen, wie Rex, Dux, Comes, die allerdings schon die allmähliche Übertragung der Souveränität von der Versammlung aller Freigeborenen auf die Person des Anführers, des Vordersten, des Fürsten andeuteten, so wurde doch erst durch Karl den Großen diese Übertragung eine vollendete staatsrechtliche Tatsache, und obzwar die alten Rechtssatzungen der deutschen Stämme in lateinischer Sprache aufgezeichnet wurden, so war ihr Geist dennoch ein germanischer. Demzufolge blieb auch die alte Ständegliederung, die sich auf Männer wie auf Frauen erstreckte. Es braucht daher heutzutage nicht mehr betont zu werden, daß, wenn der römische Dichter Lukan sagte: »Die Freiheit ist ein germanisches Gut!« diese altdeutsche Freiheit keineswegs in dem idealen und humanen Sinne genommen werden darf, wie er der jetzigen Vorstellung entspricht.
Die Gesamtmasse unserer Ahnen zerfiel nämlich in zwei große Stände, in Freie und Unfreie, welche Klassen jede wieder zwei Unterabteilungen hatte. Der Stand der Freien umfaßte die Adalinge oder Edelinge (nobiles) und die Freilinge oder Gemeinfreien (liberi); der Stand der Unfreien die zins- und dienstpflichtigen Hörigen (liti) und die eigentlichen Sklaven (Schalke, servi). Demzufolge waren auch die germanischen Frauen adelige, freie, hörige oder sklavisch-leibeigene. Der Sklavenstand war durchaus rechtlos und hatte keine persönliche, sondern nur eine sachliche Geltung. Freigebung der Unfreien durch den Herrn war aber für beide Geschlechter zulässig. Außerdem waren zur Milderung der schroffen und harten Kastenunterschiede zwei mächtige Schrankenbrecher da, Krieg und Liebe. Der aus den kriegerischen Gefolgschaften der Häuptlinge, wie Deutschland sie zur Zeit des Tacitus gekannt hatte, während der Völkerwanderung hervorgegangene Waffenadel (die »Leudes«, Leute, d. i. Dienstleute, Vassi, Vasallen) fußte entschieden mehr auf dem Schwert als auf der Geburt, war also auch Unfreien erreichbar. Ebenso öffneten Verdienst oder königliche Gunst Unfreien den Zutritt zu dem Amts- und Hofadel der »Ministerialen« (d. i. der Dienstmänner, Beamten) des karlingischen Königtums. Was aber die Frauen angeht, so sind gerade zu dieser Zeit die Beispiele nicht selten, daß Schönheit und Klugheit leibeigene Mägde aus Beischläferinnen der Fürsten zu ihren Gemahlinnen und Beherrscherinnen gemacht haben.
Wie ein ursprüngliches und rassenhaftes, so war und blieb unser Volk auch ein familienhaftes. Auf Sippe und Blutsfreundschaft, auf die Familie ist das ganze germanische Wesen gegründet. Nicht die Idee des Staates, sondern die der Familie bedingte und bestimmte die ganze Lebensführung unserer Altvorderen. Des sozialen Bauwerkes Grund- und Eckstein war die Hausvaterschaft, der Familie Mittelpunkt und fester Halt. Aus der Familie entwickelte sich die Gemeinde, aus dieser der Staat, wie das Germanentum überall, wo es ungestört und ungehindert durch fremde Einwirkungen seine Ziele verfolgen konnte, nicht die Wege abstrakter Theorie, sondern die der Natur wandelte.
Das Verhältnis von Mann und Frau war rechtlich ganz klar das des Gebietens und des Gehorchens, des Beschützens und des Beschütztwerdens. Die Frau war dem Manne entschieden untergeordnet. Die Frauen hatten in alter Zeit keine Stimme in der Volksversammlung. Sie konnten vor Gericht nicht als Zeugen oder Eideshelfer auftreten und waren bei den meisten Stämmen ausdrücklich von der Regierung über Land und Leute ausgeschlossen, eine Rechtssatzung übrigens, wie das ja zu allen Zeiten der Rechtssatzungen Schicksal war, ist und sein wird, oft genug umgangen oder gar nicht beachtet wurde. Trotz alledem war die Stellung der Frauen unter einem Volke, das im Weibe von Uralters her etwas Heiliges gesehen hatte, keine unehrenhafte. Im Gegenteil; Sitte und Recht vereinigten sich, gegenüber den Ausschreitungen des »starken« Geschlechts um das »schwache« schützende Schranken herzuziehen. Unwiderlegbare Beweise hierfür gibt namentlich auch das germanische Strafrecht, das nicht vom Grundsatze der Bestrafung, sondern vielmehr von dem der Buße, Sühne, Entschädigung ausging. Demnach konnte mit Ausnahme von Landesverrat und Heerführersmord der freie Mann jedes Verbrechen, auch Mord nicht ausgenommen, durch Entrichtung von Sühngeld, »Wergeld«, an die Familie des Beleidigten, Geschädigten oder Getöteten büßen, welche Buße natürlich nach der Schwere der Verschuldung bemessen war und in Ermangelung des baren Geldes auch in Vieh entrichtet werden konnte.
Weit entfernt nun, im Sinne der Morgenländer oder auch der christlichen Kirchenväter den Wert des Weibes geringer anzuschlagen als den des Mannes, bestimmte das germanische Strafrecht umgekehrt dem wehrlosen Geschlecht ein höheres Wergeld als dem wehrhaften, wenigstens weitaus bei den meisten Stämmen.
So kam nach alemannischem und bayerischem Rechte den Frauen ein Wergeldansatz zu, der den der Männer um das Doppelte überstieg. So auch nach sächsischem während der Zeit der Gebärfähigkeit von Frauen und Mädchen. Auch bei den Westgoten war das Wergeld der Frauen während der Spanne ihrer Fruchtbarkeit höher als das der Männer, bei den Franken aber betrug es während dieser Periode das Dreifache der letzteren. Der Mord einer Frau mußte bei den Franken mit 600 Solidi oder Kühen gesühnt werden, weil der Wert eines Solidus (Schilling) dem einer Kuh gleichstand. Das Wergeid für die Tötung einer Schwangeren betrug 700 Schillinge.
Oft angeführt sind die Strafbestimmungen des salfränkischen Gesetzes für Vergehungen gegen weibliche Zucht und Schamhaftigkeit. Wer einer Frau oder Jungfrau wider ihren Willen in unehrbarer Weise die Hand streichelte, mußte das mit 15 Schillingen oder Kühen büßen; verstieg er sich bis zum Oberarm, stieg die Buße auf 35 Schillinge; wagte er gar ihr die Brust zu betasten, hatte er ein Wergeid von 45 Schillingen oder Kühen zu entrichten. Merkwürdigerweise sank im Mittelalter, wo doch der Minne- und Frauendienst systematisch ausgebildet wurden, das Wergeld der Frauen auf den halben Betrag des männlichen herab. Dagegen findet sich in mittelalterlichen Rechtssatzungen, den »Weistümern«, die zarte Rücksicht, daß schwangeren Frauen gestattet ist, etwaige Gelüste nach fremdem Obst, Gemüse und sogar Wildbret, ungestraft zu befriedigen.
Der Hausherr hatte die Mundschaft, das »Mundium«, vom althochdeutschen munt, was eigentlich Hand bedeutete, d. h. das Recht der Herrschaft, aber auch die Pflicht des Schutzes über seine Frau und – bis zu ihrer Verheiratung – über seine Töchter und Schwestern. Das neugeborene Kind blieb auf dem Boden liegen, bis der Vater es aufhob. Dadurch anerkannte er es, worauf es mit Wasser besprengt und benamset wurde. Hob er es aber nicht auf, so war dies das Zeichen der Nichtanerkennung und das Kind wurde ausgesetzt, d. h. dem Tode preisgegeben, was häufiger Mädchen als Knaben widerfuhr. Das Christentum verdammte die heidnische Sitte der Aussetzung, die besonders über krüppelhafte, schwächliche, uneheliche oder in unebenbürtiger Ehe und im Ehebruch erzeugte Kinder verhängt wurde. Dieser Brauch lebte, wie die heidnischen Bräuche überhaupt, im germanischen Norden viel länger fort als in Deutschland. Weinhold, Altnordisches Leben, S. 260 f. (D. Verf.)
Dem Vater stand auch das Recht zu, seine Kinder zu verkaufen, die Söhne bis zur Zeit der Volljährigkeit, die Töchter so lange sie ledig waren, und diese Barbarei wurde häufig genug geübt. Beim Tode des Vaters ging dessen Mundschaft über Ehefrau, ledige Töchter und Schwestern auf den nächsten männlichen Verwandten, den »Schwertmagen«, im Gegensatze zu den weiblichen »Spiell- oder Spindelmagen«, über und hieß dann Vormundschaft. Mit der in rechtmäßiger Form vollzogenen Heirat eines Mädchens kam das väterliche Mundium selbstverständlich an den Gatten.
Das germanische Erbrecht bevorzugte die Söhne auf Kosten der Töchter in höchst parteiischer und ungerechter Weise. Da und dort waren die Töchter von der Erbschaft ganz ausgeschlossen, anderswo wurden sie mit der Hälfte oder dem Drittel des Erbteils der Söhne abgefunden. Jedoch bezog sich diese Zurücksetzung nur auf das eigentliche Familiengut, auf das liegende Eigen, das »Odal«, denn das sonstige Vermögen erbten Söhne und Töchter zu gleichen Teilen.
Sehr bedeutsam griff die Vorstellung von der Standesgleichheit, der Begriff der Ebenbürtigkeit auch in die Erbschaftsverhältnisse ein. Die Frauen verloren durch Verheiratung mit einem Unebenbürtigen jeden Anspruch auf das Erbe ihrer Sippe, und Kinder aus der Ehe eines Freien mit einer Unfreien konnten ihren Vater nicht beerben; ebenso nicht Kinder einer Freien mit einem Unfreien die Sippe der Mutter.
Das Verhältnis der beiden Geschlechter zueinander zeigt in der Zeit, die uns dermalen beschäftigt und sodann das ganze Mittelalter hindurch, keineswegs mehr die Reinheit, die ihm Tacitus vordem nachzurühmen wußte. Das Konkubinat war vor und in der karlingischen Periode unter den Vornehmen eine landläufige Sitte geworden, die durch die Leichtigkeit ungemein begünstigt werden mußte, womit die Herren unfreie Mädchen, deren Schönheit sie reizte, zu ihrem Willen bringen und zwingen konnten. Es wimmelte da ordentlich von Kebsen und »Frillen«, wie die Beischläferinnen hießen. Große Könige und Helden der Völkerwanderung, wie Theodorich und Alarich, lebten mit solchen. Unter den Merowingern stieg die Kebsenwirtschaft zu abscheulichem Ärgernis. Aber auch Karl der Große und Ludwig der Fromme hielten sich Konkubinen, und es ist dies bekanntlich bis heute ein fürstliches Vorrecht geblieben.
Die Kirche hat schon frühzeitig den vergeblichen Versuch gemacht, dagegen einzuschreiten, und sie tat redlich das Ihrige, wenigstens der Vielweiberei, dieser Frucht der Sittenverwilderung zur Völkerwanderungszeit, entgegenzuarbeiten. Auf der Mainzer Synode vom Jahre 851 wurde deshalb Straflosigkeit gegen solche bestimmt, die sich mit einem Weibe begnügten, wäre es auch eine Kebse, wogegen das Konkubinat neben der Ehe mit Kirchenstrafen bedroht ward.
Aber freilich mußten alle Bestrebungen der Kirche für Besserung der Sitten meist schon an dem bedenklichen Umstande scheitern, daß die Häuser der Geistlichen selbst nur allzu häufig Haremen glichen. Hat doch schon Hauptbekehrer der Deutschen, Winfrid oder Bonifaz, in einem Bericht an den Papst vom Jahre 741 geklagt, die fränkischen Diakonen hielten sich vier und mehr Beischläferinnen.
Die eingerissene Polygamie beschränkte sich aber nicht auf das Kebsenwesen, sondern manche Fürsten lebten mit mehreren Frauen zugleich in förmlichen Ehebündnissen. Insbesondere hielten es die Frankenkönige gern so und die Kirche fand es lange Zeit geraten, zu der königlichen Zwei- oder Mehrweiberei ein Auge oder auch beide zuzudrücken, wie sie ja diese »Politik« allzeit vortrefflich zu üben verstanden hat. Der energischste Widerstand gegen die polygamische Sitte ging der Natur der Sache nach von den Frauen selbst aus und dieser Widerstand drang, verbündet mit den kirchlichen Bestrebungen, nach und nach wenigstens insoweit durch, daß Einweiberei das Grundprinzip einer rechtmäßigen Ehe wurde.
Wir wissen namentlich von Frauen der skandinavischen Germanen, daß sie in dieser Sache ihren Willen durchzusetzen wußten.
Ein vorragendes Beispiel ist die Prinzessin Ragnhild, um die König Harald Schönhaar warb, obgleich er bereits nicht weniger als zehn Frauen und zwanzig Kebsen hatte. Ragnhild wollte nicht die Einunddreißigste in diesem Bunde sein. Erst nachdem Harald sich von seinen bisherigen Frauen geschieden und seine Frillen fortgeschickt hatte, wurde sie sein Eheweib.
Das Wort Ehe, althochdeutsch êwa oder êa, bedeutete ursprünglich Bund oder Band überhaupt, erlebte aber dann die Einschränkung auf den Sinn von Eheband oder Ehebund. In Liedern und Sagen, deren Wurzeln in die arische Urzeit zurückreichen, kommt es vor, daß Jungfrauen in voller Volksversammlung feierlich den Mann selber sich wählen. Dieses weist auf uralt Indogermanisches hin, indem ja auch in den altindischen Heldengedichten die Königstöchter solche Gattenwahl halten. Berühmteste Beispiele sind die Gattenwahl der Sawitri und die der Damajanti in den beiden so betitelten Episoden des »Mahabharata«.
In der historischen Zeit war aber die germanische Ehe ursprünglich ein Kauf. Daher der Ausdruck: »Ein Weib kaufen« für heiraten, der sich das ganze Mittelalter entlang erhalten hat und z. B. noch in der Limburger Chronik aus dem Ende des 14. Jahrhunderts zu finden ist. Der Bewerber entrichtete dem Vater oder dem, in dessen Mundschaft sonst die begehrte Jungfrau oder Witwe war, einen Preis, wofür die Braut ihm verlobt wurde. Diese Brautgabe hatte keineswegs bloß eine symbolische Bedeutung, wie die bezügliche im vorigen Kapitel aus Tacitus angeführte Stelle erscheinen lassen könnte, sondern sie war ein wirklicher Kaufpreis. Daraus noch mehr als aus der allerdings hohen Wertung jungfräulicher Ehre erklärt sich die Strenge, womit das altgermanische Strafrecht Entführung und Raub von Jungfrauen verpönte. Ihrerseits entließ der Vater oder Vormund, falls er nämlich zu den Vermögenden gehörte, die Braut auch nicht ungeschmückt und mit leeren Händen und in manchen Fällen mag das Eingebrachte, die »Mitgift«, »Heimsteuer« oder Aussteuer«, den vom Bräutigam bezahlten Kaufpreis aufgewogen oder gar überwogen haben.
Die Verlöbnisse geschahen unter den verschiedenen deutschen Stämmen unter verschiedenen Formeln und Bräuchen. Im allgemeinen fanden sie öffentlich im Kreise der freien Gemeindegenossenschaft statt. Die Strenge, womit die heidnische Sitte auf Ebenbürtigkeit hielt, so daß zwischen Freien und Unfreien keine rechtmäßige Ehe statthaben konnte – ein Ersatz hierfür war dann eben das Konkubinat – wurde durch das Christentum zwar gemildert, aber doch nur so allmählich, daß ja noch heute von »Mißheirat« die Rede ist, wenn ein Junker eine Bürgerstochter freit, es wäre denn, daß die Braut Geld, viel Geld mitbrächte.
Die Verheiratung der Knechte und Hörigen hing völlig vom Belieben des Herrn ab. Könige und Fürsten übten das ganze Mittelalter hindurch als ein Recht den Brauch, auch für die Söhne und Töchter freier und edler Familien Ehefrauen und Ehemänner auszusuchen, wie es ihnen gut dünkte. Zwischen den nächsten Blutsverwandten, Eltern, Kindern und Geschwistern, herrschte auch im Heidentum das Eheverbot, das dann die christliche Kirche noch auf Schwägerschaft und sogenannte geistliche Verwandtschaft, die Patenschaft, ausdehnte. Es wurde aber im Heidentum und Christentum vielfach dagegen gesündigt.
Eine »Hochzeit« hieß im heidnischen und christlichen Altertum unseres Volkes jede festliche Zeit, und erst später erhielt das Wort die ausschließliche Bedeutung von Vermählungsfest. Im Heidentum kam dabei, wenigstens im germanischen Norden nachweisbar, wahrscheinlich aber auch in Deutschland, der religiöse Akt vor, daß die Braut durch Berührung mit dem heiligen Hammer Thors oder Donars zum Ehestand eingeweiht wurde.
Im übrigen galt die Ehe für rechtskräftig vollzogen, sobald das Brautbett beschritten war und »eine Decke das Paar beschlug«. Auch Spuren von einem Hemdenwechsel zwischen Bräutigam und Braut kommen im Mittelalter vor. Bis zu dessen Ende aber war die kirchliche Trauung ganz unwesentlich. Zwar schrieb das Christentum schon zur karlingischen Zeit den Brautleuten ein »Bekenntnis der Ehe in der Kirche« vor und wollte auch eine »priesterliche Einsegnung«; aber die Kirche hat ihren Willen erst viel später durchzusetzen vermocht. Auch ist nicht einmal zu bestimmen, ob sie gewollt, daß die »Benedictio sacerdotis« dem Beilager vorangehen oder nachfolgen sollte. In vielen mittelalterlichen Gedichten werden ohne alle kirchlichen Umstände Ehen geschlossen und vollzogen. Ein vortretendes Beispiel hiervon gibt das Nibelungenlied an die Hand, wo Gunther mit Brunhild und Sigfried mit Kriemhild Hochzeit macht und die Ehe vollzieht, ohne daß von einem Priester auch nur die Rede wäre. Erst am Morgen nach der Hochzeitsnacht, die für den armen Burgundenkönig so mißlich verlief, gehen die beiden Paare zum Münster, wo eine Messe gesungen wird, und es ist nicht einmal klar, ob die Worte in der 650. Strophe des Liedes: »Dô wurden si gewihet« auf die Neuvermählten oder aber bloß auf »ir krône unt ouch ir kleit« gehen. Erst vom 14. und 15. Jahrhundert an erscheint in Deutschland die bürgerliche Rechtsbeständigkeit der Ehe von der kirchlichen Trauung abhängig.
Am Morgen nach dem Beilager, wann die Neuvermählten mitsammen das Frühgericht verzehrt hatten, das man ihnen vor das Bett brachte, empfing die junge Frau, die von nun an ihr Haar nicht mehr nach Jungfernart frei fliegen und wallen lassen durfte, sondern es binden und knoten mußte, von ihrem Gatten die »Morgengabe«, ein Geschenk, das ursprünglich den Sinn einer Dankbezeigung für Hingabe des Magdtums hatte und unter allen Umständen ihr Eigentum blieb. Von Stund an trat die Frau in alle Rechte und Pflichten eines Eheweibes ein und letztere waren entschieden vorwiegend. Auch war uralter Rechtsüberlieferung zufolge vorgesorgt, daß die Frau in ihren ehelichen Rechten – im wörtlichsten Sinne des Wortes genommen – nicht verkürzt und der Hauptzweck der Ehe, die Beschaffung eines gesetzlichen Erben, unter allen Umständen erfüllt würde.
»Daer ein man were, der sinen echten wive oer frowelik recht niet gedoin konde, der sall si sachtelik op sinen ruggen setten und draegen si over negen erstuine und setten si sachtelik neder sonder stoeten, slaen und werpen und sonder enig quaed woerd of oevel sehen, und roipen dae sine naebur aen, dat sie inne sines wives lives noet helpen weren, und of sine naebur dat niet doen wolden of kunden, so sall hie si senden up die neiste kermisse daerbi gelegen und dat sie sik süverlik toe make und verzere und hangen ör einen buidel wail mit golde bestikt up die side, dat sie selft wat gewerven kunde; kumpt sie dannoch wider ungeholpen, so help ör dar der duiefel,« so das Weistum aus dem Amte Blankenburg in Grimms Rechtsaltertümern, wo solcher naiv-idyllischer Weistümer noch mehrere angezogen sind. Daß diese für unsere Ohren so seltsam klingende Rechtssatzung zur Anwendung gekommen, dürfte sich historisch kaum nachweisen lassen. Daß sie aber in ältester Zeit wirklich in Übung gewesen sein könne oder müsse, zeigt ihr nicht seltenes Vorkommen in den alten Bauernrechten.
Immer jedoch stand die Frau gesetzlich zu dem Mann in dem Verhältnis der Unterordnung. Er war der Verwalter und Nutznießer ihres Vermögens, und sie durfte darüber nicht verfügen. Gütergemeinschaft zwischen Eheleuten kam erst später auf und da hieß es dann: »Wann die Decke über den Kopf (der Brautleute) ist, sind die Eheleute gleich reich« – oder: »Leib an Leib, Gut an Gut«. Daß ein Teil des in der Ehe erworbenen Vermögens, der Errungenschaft, beim Tode des Mannes an die Witwe käme, hier die Hälfte, dort ein Drittel, bestimmten schon ältere Rechtsbücher, wie das sächsische und das ripuarisch-fränkische.
Die an den Ehemann übergegangene väterliche Gewalt gestattete diesem die körperliche Züchtigung des Weibes, die oft genug in Anwendung kam; gestattete ihm ferner die straflose Tötung der Ehebrecherin, gestattete ihm auch den Verkauf der Frau, ein Rechtsgebrauch, der sich in England von den Angelsachsen her bekanntlich bis ins 19. Jahrhundert herein erhalten hat.
Unglückliche Ehen konnten mittels Scheidung gelöst werden.
Der Mann war befugt, wegen Unfruchtbarkeit der Frau, diese war berechtigt, wegen Unvermögens oder Verweigerung der Beiwohnung seitens des Mannes auf Scheidung zu klagen. Die Bräuche hierbei waren verschieden. Gewöhnlich wurden der Frau die Schlüssel abgefordert. Auch von einem Leinentuch ist die Rede, das die zu Scheidenden bei den Enden anfaßten, worauf es zwischen ihnen entzwei geschnitten wurde. Bei den Franken werden Scheidebriefe erwähnt. Im germanischen Norden genügte es, so der Mann vor Zeugen der Frau erklärte, daß er sie entließe.
Wenn aber keine Scheidung stattfand, riß das Band der germanischen Ehe selbst mit dem Tode nicht, d. h. mit dem Tode des Mannes. Denn die Witwe folgte dem verstorbenen Mann auf dem Scheiterhaufen, um sogleich mit dem Leichnam verbrannt zu werden – gerade wie in Indien, wo dieser religiöse Brauch erst 1839 durch die Engländer abgestellt worden ist. Dr. Georg Buschan spricht im 2. Band seiner Sitten der Völker, S. 175, die Vermutung aus, »selbst heute dürfte die Witwenverbrennung (in Indien) ganz im geheimen noch vorkommen«. (D. Hrsg.)
In Deutschland scheint er schon zur Zeit des Tacitus abgekommen gewesen zu sein, denn die Germania weiß bei Erwähnung der deutschen Bestattungen nur zu berichten, daß mit den Toten auch ihre Streitrosse verbrannt wurden. Dagegen hat im germanischen Norden der freiwillige Opfertod der Witwe in Mythe, Sage und Geschichte bis zum Ende des 10. Jahrhunderts fortgelebt. Die religiöse Vorstellung, daß einem Gestorbenen, falls sein Eheweib ihm sofort nachstürbe, die schweren Tore der Unterwelt nicht auf die Fersen schlügen, lag diesem schrecklichen Rechtsbrauch zugrunde, dem sich zu fügen den Frauen zu höchster Ehre, dem sich zu weigern ihnen zur Schande gereichte. Die nordischen Quellen wissen davon zu erzählen. Die Göttin Nanna wird mit dem getöteten Gotte Baldur, ihrem Gatten, verbrannt. Die Walküre Brünhild tötet sich selbst, dem geliebten Sigurd nachzusterben und mit ihm auf demselben Holzstoß verbrannt zu werden. Hakon Jarl, der 995 gestorbene letzte große Vorkämpfer des Heidentums in Skandinavien, freite noch in alten Tagen um die schöne Gunnhild, ward aber abschlägig beschieden, weil Gunnhild ihre kaum erblühte Jugend nicht der Gefahr aussetzen wollte, einem greisen Gemahl voraussichtlich binnen kurzem in den Tod folgen zu müssen.
Nachdem wir im vorstehenden die rechtliche Stellung der Frauen im germanischen Altertum betrachtet haben, dessen Grenzmarken, wenn ich recht erwäge, bis zur karlingischen Periode hinanreichen, wollen wir im folgenden versuchen, aus dem zerstreuten Material, wie es die Quellen bieten, ein Mosaikbild germanischer Frauenart zur Zeit der Völkerwanderung zusammenzusetzen.
Wie schon in den frühesten Kämpfen der Römer mit unseren Altvorderen auf Seiten der letzteren die Frauen eine nicht geringe Bedeutung gewannen und behaupteten, so auch in den späteren. Als in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts der Kaiser Aurelian seine Siege über die Goten in Ungarn und über die Markomannen in Italien durch einen Triumphzug in Rom feierte, wurden dabei auch mehrere gotische Jungfrauen aufgeführt, die mit den Waffen in der Hand gefangen worden waren. Darunter befand sich die Hunila, deren Schönheit und Klugheit die Sieger so bezauberte, daß ein vornehmer Römer ihr seine Hand bot. Der römische Poet Claudian, der zu Anfang des 5. Jahrhunderts den Sieg Stilichos über Alarich bei Pollentia besang, erwähnt einer ostgotischen Frau, die ihren Mann, den Häuptling Tribigild, zum Kampfe gegen Ostrom aneiferte, sprechend: »Oh, warum hab' ich einen so trägen Mann? Wie glücklich sind doch die Westgotinnen, die mit dem Raube der Städte sich schmücken, und denen die Jungfrauen Griechenlands als Mägde dienen.« Der große Ostgotenkönig Theudorich, der als Dietrich in der deutschen Heldensage so herrlich fortlebt, hat seinem kühnen Gedanken, die germanischen Reiche von damals in einen großen Bund zu sammeln, auch die Frauen dienstbar zu machen gewußt, indem er seinen weiblichen Verwandten politische Ehebündnisse ausmittelte und seine Schwester Amalafrida mit dem Vandalenkönig Thrasamund, seine Tochter Theudichusa mit dem Westgotenkönig Alarich, seine Tochter Ostrogotha mit dem Burgundenprinzen Sigismund und seine Nichte Ameloberga mit dem Thüringerkönig Hermanfried vermählte. Der Brauch, Prinzessinnen zu Binde-, Hilfe- und Hebemitteln der Politik zu machen, ist demnach sehr alt und den späteren Opfern dieser Vermählungskunst blieb der freilich leidige Trost, daß sie, solange es eine deutsche Geschichte gibt, jederzeit Schicksalsgenossinnen gehabt haben. Der große Geist Theodorichs lebte in seiner Tochter Amalaswintha fort, die für ihren Sohn Atalarich die Vormundschaft führte. Der Italiener Cassiodor und der Byzantiner Prokop, ihre Zeitgenossen, preisen sie wetteifernd als eine geniale, hochgesinnte und hochgebildete Frau, als treffliche Regentin und feinsinnige Pflegerin der Wissenschaften.
Die Langobarden standen den übrigen germanischen Völkerschaften, die sich erobernd im Süden niederließen, an Zähigkeit im Festhalten nationaler Art und Sinnesweise weit voran und es stimmt zum Nachdenken, wenn man sieht, daß die Nachkommen gerade des deutschen Stammes, der sich in Italien am entschiedensten gegen die Romanisierung sträubte, in unserer Zeit von einem wilderen Haß gegen das deutsche Wesen glühten als die übrigen Italiener. Der Beharrlichkeit ihres Germanismus verdankt die Geschichte der Langobarden, wie der um 730 geborene langobardische Edeling und nachmalige Mönch Paul Warnefrids Sohn, genannt der Diakon, sie geschrieben hat, jene reizende Frische und Naivität, jene quillende Sagenfülle, die sie über alle die alten Chroniken erheben und sie, ihres lateinischen Gewandes ungeachtet, zu einem germanisch-nationalen Epos in Prosa machen. Da fehlt es denn auch nicht an Frauengestalten, die, obgleich mehr finster als licht wie sie sind, unsere ganze Teilnahme erregen. Weit zurück im Sagendämmer begegnete uns die unheimliche Rumetrud, des Königs Tato Tochter, deren tückische Mordlust einen blutigen Krieg zwischen den Langobarden und den Herulern veranlaßte. Auf festeren geschichtlichen Boden führt uns schon die vielbesungene tragische Geschichte der Rosimunda Paulus Diaconus. II. 28, 29 Rosemund. (D. Hrsg.), der zweiten Gemahlin des zehnten Langobardenkönigs Albuin. Sie war die Tochter des Gepidenkönigs Kunimund, den Albuin in der Schlacht getötet und aus dessen Schädel er sich einen Trinkbecher hatte machen lassen. Einmal, zu Verona, hatte der König dieses barbarische Trinkgeschirr mit Wein gefüllt vor sich stehen und zwang im Taumel des Übermutes und Rausches seine Gemahlin, ebenfalls aus dem Schädel ihres Vaters zu trinken. Das ward sein Verderben, denn in Rosimunda glühte der Wunsch auf, mit diesem brutalen Schimpfe zugleich den Tod ihres Vaters zu rächen. Sie scheute zu diesem Zwecke vor nichts zurück, auch nicht vor dem Aufgeben weiblicher Zucht und Sitte. Sie verschwor sich zu Albuins Untergang mit seinem Skilpor (Schildträger) Helmigis und gab sich, mit ihrer Kammerfrau das Bett tauschend, dem Peredeus preis, um auch diesen Mann für ihr Vorhaben zu gewinnen. Nach dessen Anschlag erschlug Helmigis den König während dessen Mittagsruhe. Rosimunda hatte das Schwert des verratenen Gemahls zu Häupten des Ruhebettes festgebunden, damit er um so sicherer dem Mörder erläge. Helmigis hoffte aber nach Albuins Tode vergebens, auf den erledigten Königssitz zu gelangen. Er mußte mit Rosimunda nach Ravenna zu dem oströmischen Statthalter Longinus entweichen, der das verräterische Weib anstiftete, den Helmigis aus dem Wege zu schaffen, um sich ihm selber zu vermählen. Rosimunda reichte demzufolge dem Helmigis vergifteten Wein. Als er aber den Becher zur Hälfte geleert, merkte er, daß er den Tod getrunken, und zwang mit blankem Schwerte die arge Königin, den Rest zu trinken und mit ihm zu sterben.
In anderen helleren Farben spielt die Geschichte der Theudelinda Paulus Diaconus. III. 30, S. 66 f. Theudelinda. (D. Hrsg.), des Bayernkönigs Garibald Tochter, um die der jugendschöne hellgelockte Langobardenkönig Authari warb. Seine Brautfahrt ist ein Stück frühester Romantik. Voll Verlangen, seine Erwählte mit eigenen Augen zu sehen und zu prüfen, ging er mit den Werbeboten selbst nach Bayern, verbot aber seinen Begleitern, sein Inkognito zu verraten. Als Garibald in die Werbung gewilligt, erbaten die Boten, daß dessen zum Zeichen Theudelinda ihnen den Becher kredenzte. Es geschah, und als die Reihe an Authari gekommen und er den Becher zurückgab, fand er Gelegenheit, der Prinzessin Hand und Wangen zu streicheln. Schamrot erzählte Theudelinda das ihrer Amme, aber die kluge Frau sagte: »Wenn dieser Mann nicht der König selbst und dein Bräutigam wäre, so hätte er nicht gewagt, dich zu berühren«. Die Ehe zwischen Authari und Theudelinda scheint indessen keine sehr glückliche gewesen zu sein. Wenigstens starb der König schon ein Jahr nach der Hochzeit an Gift, wie es hieß, und nach sagenhaften Andeutungen mag dieser Todesfall, wenn auch nicht von ihr angestiftet, der Königin doch willkommen gewesen zu sein, weil die herbe Mannhaftigkeit Autharis ihrer religiösen Stimmung wenig entsprach.
Theudelinda war nämlich eine jener Frauen, die zur Zeit der Völkerwanderung mit Begeisterung und Ausdauer der Ausbreitung des Christentums unter den germanischen Völkerschaften sich widmeten. Ein weltkluger Beobachter von Menschen und Dingen, der Engländer Horace Walpole, hat einmal gesagt, kein Weib hätte jemals eine neue Religion erfunden, und doch sei keine neue Religion anders als durch Weiber ausgebreitet worden. Dies gilt in ganz vorzüglichem Maße von der Verbreitung des Christentums über die germanische Welt. Prinzessinnen aus Fürstenhäusern, die den neuen Glauben angenommen hatten, wurden recht eigentlich dessen Missionarinnen. Das Mystische im Christentum bestach die Phantasie der Frauen und die Lehre, für alles Dulden, Entsagen und Leiden im Diesseits reichlich im Jenseits entschädigt zu werden, gewann ihr Gemüt um so mehr, als ja der christliche Himmel mit seinen ins Unfaßliche und Unvorstellbare verschwimmenden Seligkeiten ein rechter Frauenhimmel ist. Zweierlei aber kam den eifrigen Sendbotinnen des neuen Glaubens hilfreich zustatten – von oben herab die Politik, die selbst dem beschränktesten Fürstenverstand einleuchtend machte, was für Hilfsmittel die christliche Lehre von der unbedingten Unterwürfigkeit der Menschen unter die Obrigkeit zur Gründung und Behauptung fürstlicher Gewalt und Willkür an die Hand gäbe; von unten herauf die Bereitwilligkeit, womit die Armen, Unterdrückten und Geknechteten einer Religion sich zuwandten, die ihnen wenigstens nach dem Tode die Freiheit und nach ihrer Auffassung der Vergeltungslehre Ersatz für ihre Leiden hienieden verhieß. Es ist auch nur gerecht, anzuerkennen, daß die christliche Kirche zu dieser Zeit und noch im Mittelalter vielfach im Sinne der Humanität für das Volk tätig war, wie sie denn damals überhaupt die Trägerin materieller und ideeller Zivilisation gewesen ist. Der feinere Instinkt der Frauen fühlte das wohl heraus, und die erbarmungs- und hilfereichen Regungen ihrer weicheren Seelen fanden in der Mission ein gern bebautes Feld der Tätigkeit. Die christliche Kirche hat daher nur einen Akt wohlbegründeter Dankbarkeit vollzogen, wenn sie mittels Vergöttlichung der Mutter Jesu die heidnische Unterordnung der Frauen aufhob und diese wenigstens religiös den Männern gleichstellte.
Zu Theudelinda zurückkehrend, finden wir, daß sie nicht nur eine sehr fromme, sondern auch eine sehr kluge Frau gewesen sein muß. Sie hatte sich den Langobarden so genehm zu machen gewußt, daß diese nach Autharis Hingang sie baten, die königliche Würde beizubehalten und sich aus sämtlichen Männern des Volkes einen zweiten Gemahl zu küren. Da beschied sie den Herzog Agilulf von Turin zu sich, ging dem Kommenden entgegen, ließ, nachdem sie einige Worte mit ihm gewechselt, Wein bringen, trank zuerst und reichte ihm den Becher dar. Wie aber der Herzog kniend den Becher entgegennahm und der Königin ehrfurchtsvoll die Hand küßte, sprach sie lächelnd und errötend, der dürfte ihr nicht die Hand küssen, der ihr einen Kuß auf den Mund drücken sollte. Darauf hieß sie ihn aufstehen, küßte ihn, sprach mit ihm von Hochzeit und Königtum, und bald wurde das Vermählungsfest unter großem Jubel gefeiert.
Wieder ein ganz anderes Bild bietet die Romilda Paulus Diaconus. Romilda. IV. 37, S. 86f. (D. Hrsg.), Gemahlin Gisulfs, des langobardischen Herzogs in Friaul. Als der ins Land gefallene Avarenkönig Kakan den Herzog in der Schlacht erschlagen hatte und die Herzogin in der Stadt Forojuli belagerte, erregte der schöne Totschläger ihres Gemahls die Begierden Romildas und sie überlieferte ihm die Stadt, als er geschworen, sie zu seinem Weibe zu machen. Er hielt seinen Schwur für die Dauer einer Nacht nämlich, überließ dann die Verräterin zwölf seiner Mannen zur Schändung und ließ sie endlich auf freiem Feld auf einen Pfahl spießen mit dem Hohnwort: »Das ist der Mann, den du verdienst«.
Unähnlich dieser Mutter waren ihre vier mit ihr gefangenen Töchter, die, um ihre Keuschheit zu wahren, rohes Hühnerfleisch zwischen die Brüste legten und durch den schrecklichen Geruch des verwesenden Fleisches die lüsternen Avaren von sich fernhielten – eine, wie man gestehen muß, in ihrer Art heldische, wenn auch nicht gerade wohlriechende Tugendlichkeit.
Ein eigentümlicher Zug von weiblicher Unklugheit ist uns von Ermilinda, der Gemahlin des Königs Kuninkpert, überliefert. Sie hatte einst ein schönes römisches Mädchen, Theodote geheißen, im Bade erblickt und konnte nun nicht aufhören, diese Schönheit ihrem Gatten zu rühmen, bis er in Leidenschaft für Theodote entbrannte und sie zu seiner Kebse machte. Klüger war die Ratperga Paulus Diaconus. VI. Buch S. 137.Ratperga. (D. Hrsg.), Gemahlin des friaulschen Herzogs Pemmo. Wahrscheinlich nicht ohne Grund lag sie ihrem Manne an, er möge sie, die unschön wäre und einem so mächtigen Herrn übel anstünde, verstoßen und sich ein schöneres Weib suchen. Gerade diese Uneigennützigkeit aber kam ihr zugute, denn Pemmo sagte, ihr demütiges Betragen und ihre Züchtigkeit gefalle ihm besser als die Schönheit anderer Frauen.
Die Probe ehelicher Treue bestand Gundiperga Die Chronik Fredegars und der Frankenkönige. Übers. von O. Abel, 3. Aufl. Leipzig 1888 S. 33. (D. Verf.), König Charoalds Gemahlin. Als diese einst im Hofkreise der schönen Gestalt des Edelings Adalulf Lob spendete, flüsterte ihr der Freche ins Ohr: »Du hast meine Gestalt des Lobes gewürdigt, laß mich dein Bett teilen«. Gundipergas Antwort war, daß sie dem Versucher verachtungsvoll ins Gesicht spuckte. Darauf ging Adalulf zu dem König und bezichtigte die Königin, sie hätte sich mit dem Herzog Taso zur Ermordung ihres Gemahls verschworen. Dieser glaubte es und ließ die Königin gefangensetzen. Allein Gundipergas Freunde vermochten den König zu gestatten, daß die Unschuld der Königin durch ein Gottesurteil erwiesen würde. Charoald willigte ein. Der Gottesgerichtskampf fand statt, für Gundiperga trat ein gewisser Pitto in die Schranken und erschlug den falschen Ankläger Adalulf.
Das Gottesurteil war ein wesentliches Zubehör der Strafrechtspflege unserer Ahnen. Es reichte ins fernste Heidentum zurück und blieb, wie bekannt, das ganze Mittelalter hindurch in Kraft. Ihre Wurzel hatte diese Einrichtung in dem religiösen Glauben, daß in Fällen, wo das Recht für Findung eines gerechten Wahrspruchs durch menschliche Einsicht zu zweifelhaft schien, das Urteil der Gottheit selbst anheimzugeben sei, die dem unschuldigen Teile beistehen müßte und würde. Eine solche Berufung auf die göttliche Gerechtigkeit hieß ein Gottesgericht, Gottesurteil, Ordalium, vom angelsächsischen Wort ordal. Das germanische Strafverfahren war aber ein öffentliches und mündliches, seine Form der Anklageprozeß. Der Angeklagte hatte sich durch seinen eigenen Eid und den seiner Bürgen, »Eidhelfer«, zu reinigen. Falls nun der Ankläger diesen Eiden nicht traute, so konnte er noch auf einen gerichtlichen Zweikampf als auf ein Gottesurteil antragen. Ebenso der Angeklagte, falls er seinerseits keine Eidhelfer beizubringen vermochte. Diese Form des Gottesgerichts war aber nur für Freie zulässig. Unfreie und ebenso die Frauen, auch freie, wenn sie keinen fanden, der ihre Sache gegen den Ankläger im Zweikampfe verfechten wollte, wurden anderen Formen unterworfen, wie der Unschuldsprobe durch Feuer, durch glühendes Eisen, durch heißes oder kaltes Wasser und anderen, auf die wir, wie auf das Gottesurteil überhaupt, zurückkommen werden.
Gehen wir von den Frauen der langobardischen Könige und Fürsten zu denen der fränkischen über, so sehen wir schon an der ersten namhaften in dieser Reihe Bedenkliches haften. Basina nämlich, die Gemahlin des Thüringerkönigs Bisinus, lief ihrem Verführer Childerich, der sich als Verbannter in Thüringen aufgehalten hatte, in seine salfränkische Heimat nach und wurde durch ihn Mutter des gewaltigen Chlodwich. Dessen Gemahlin war die schöne burgundische Prinzessin Chlotilde, die in einem Genfer Kloster nach Nonnenweise gelebt, aber die Werbung des Königs erhört hatte, weil sie, eine eifrige Bekehrerin, in dieser Richtung als Königin mehr leisten zu können hoffte denn als Nonne. Sie hat dann auch ihren Mann wirklich zum Christentum herübergeführt oder ihm wenigstens die politische Rätlichkeit, sich taufen zu lassen, begreiflich gemacht. Ihr eigenes Christentum hinderte indessen Chlotilde nicht, die skrupellos ruchlosen Eroberungspläne des Gemahls mit den Eingebungen ihrer eigenen Rachgier zu würzen.
Inmitten der Greuel, die nach Chlodwigs Tod unter seinen Söhnen und deren Nachkommen anhuben, und die man nach dem Stammnamen des Hauses als merowingische bezeichnen kann, begegnet uns gleich anfangs eine reine und fromme Frauengestalt, die der Radegunde, einer Tochter der von Chlodwigs Söhnen ausgetilgten thüringischen Dynastie. Gezwungen, die Frau Chlotars von Soissons zu werden, wurde sie als eine Weltverächterin, die nur dem Andenken der Ihrigen lebte, von ihrem Gemahl gar gern in ein Kloster zu Poitiers entlassen. Hier ergoß sie ihre Trauer über das Elend einer Zeit, deren viehische Wildheit sie vergeblich zu mildern versucht hatte, in elegische Klagen, die ihr Freund, der fromme und gelehrte Priester Venantius Honorius Fortunatus, in lateinische Verse gekleidet hat.
Es ist ossianische Wehmut in diesen Klagelauten. So, wenn Venantius in seiner Elegie vom Untergange Thüringens die Königin sagen läßt: »Die Frauen sah ich in die Knechtschaft schleppen, mit gebundenen Händen und fliegenden Haaren, den nackten Fuß im Blute des Gatten oder tretend auf eines Bruders Leichnam. Alle weinten und für alle weinte ich selber, um die erschlagenen Eltern und um die noch Lebenden. Wenn der Wind rauscht, lausch' ich, ob nicht der Schatten eines meiner Teuren mit erscheine. Die ich liebte, wo sind sie? Den Wind, die ziehenden Wolken frag' ich, und ich wollte, ein Vogel brächte mir Kunde von ihnen.«
Geistesverwandt mit Radegunde war Balthilde, als Sklavin aus England herübergeführt und durch ihre Schönheit und Tugend zur Gemahlin Chlodwigs des Zweiten erhoben. Auch sie beschloß ihr Leben im Kloster, wie denn überhaupt die Klöster in jener schrecklichen Zeit häufig die Zufluchtsstätten für vornehme Jungfrauen und Witwen wurden, die, ohne wirklich den Schleier zu nehmen, ein sittsames Leben führen wollten.
In den stillen Mauern dieser Asyle steigerte sich dann die asketische Abkehr von der Welt oft zu allerlei frommer Hellsichtigkeit und Schwarmgeisterei, wie bei jener Nonne Disciola, von deren Gesichten uns Gregor von Tours zu erzählen weiß. Mitunter sahen freilich die Klöster auch Szenen ganz anderer Art und gerade das Kloster der heilig gesprochenen Radegunde zu Poitiers, wo Disciola ihre Visionen gehabt, wurde später lange Zeit durch die Ränke und Schwänke verwirrt, die Chrodichilde angestiftet hatte, eine Nonne aus königlichem Geblüt, deren »Herz der Teufel verführte«.
Als Bekehrerin muß noch Berta genannt werden, die Tochter Chariberts, des Enkels Chlodwigs des Ersten, die den angelsächsischen König Ethelbert von Kent heiratete und dem Christentum gewann.
Es kann nicht wundernehmen, daß zu einer Zeit, wo in einer der zahllosen merowingischen, zwischen Brüdern, Oheimen, Neffen und Vettern geschlagenen Schlachten mit solcher Wut gestritten ward, daß die Körper der Getöteten nicht zu Boden fallen konnten, sondern aufrecht stehend, als lebten sie noch, zwischen den Kämpfenden mit fortgeschoben wurden – zu einer Zeit, wo mit Brand, Mord und Schändung gegen Laien und Geistliche, gegen jedes Alter und Geschlecht, gegen Frauen und Nonnen so unerhört gewütet ward, daß der Chronist ausruft: »Damals ist mehr Klagegeschrei in den Kirchen gewesen als zu den Zeiten der Christenverfolgung Diokletians« – zu einer Zeit, wo der fränkische Edeling Rauching ein höriges Liebespaar, das nicht zu trennen er dem Priester am Altar geschworen hatte, zum Spaß lebendig beisammen begraben ließ – nein, es kann nicht wundernehmen, daß zu einer solchen Zeit auch die Frauennatur da ins Zuchtlose und Unflätige, dort ins Ungeheure verzerrt wurde.
Die Sitten der früheren Zeit, wo die germanischen Völker von der sittlichen Verderbnis des in Trümmer gegangenen Römerreichs noch nicht angesteckt gewesen, erkennt man jetzt gar nicht mehr. Mit der ganzen Gier barbarischer Jugendkraft eigneten sich namentlich unter den Franken Männer und Weiber die im römischen Gallien vorgefundenen Üppigkeiten an und tobten den dämonisch verbundenen Trieb zur Wollust und Grausamkeit in ungeheuerlichen Schwelgereien und Freveltaten aus.
Grundquelle des Übels war eine Vielweiberei, die den Unterschied zwischen rechtmäßigen Ehefrauen und Beischläferinnen zuletzt so ganz verwischte, daß Gregor von Tours von den flüchtigen Lustbefriedigungen der Merowinger als von Vermählungen spricht. Man sehe nur die Geschichte von Chlotar dem Ersten und seinen Frauen Ingunde und Aregunde, zwei Schwestern, welche Geschichte Gregor im Bibelstil erzählt. Derselbe Chlotar ließ seinen rebellischen Sohn Chramm erdrosseln und mit dem Leichnam des Ermordeten zugleich dessen Weib Chalda und ihre Töchter lebendig verbrennen. Markatrude, eine der Frauen König Gunthramms, vergiftete ihren Stiefsohn Gundobald, wie denn die Giftphiole überhaupt sozusagen zu einem Spielzeug dieser merowingischen Weiber geworden war. Ingoberga, die Gemahlin König Chariberts und durch diesen Mutter der Bekehrerin Bertha, hatte Grund, auf Markovefa und Merofleda, die Töchter eines armen Wollarbeiters, eifersüchtig zu sein, und gab diesem Gefühl in so ungeschickter Weise Ausdruck, daß ihr Gemahl sie verstieß. Zu den genannten beiden Mädchen nahm er dann noch die Theudichilde, eine Schäferstochter in sein Bett. Chariberts Bruder, König Sigibert, freite um Brunhild (Brunichilde), die Tochter des westgotischen Königs Athanagild, nach Gregors Gregor von Tours zehn Bücher fränkischer Geschichte, übersetzt von Wilh. von Giesebrecht. 4. Aufl. von Siegm. Hellmann. 3 Bände. Leipzig 1911-1913. I. 86 f. II. 29 ff. (D. Hrsg.) Beschreibung eine Jungfrau von feiner Gestalt, schön von Angesicht, züchtig und wohlgefällig im Benehmen, klugen Geistes und anmutig im Gespräch. Noch begeisterter hat sich Venantius Fortunatus über die Braut ausgelassen, indem er sie eine zweite Venus nannte, einen spanischen Edelstein, dessen Glanz den der Saphire, Smaragde und Kristalle völlig verdunkelt habe, und ihre Güte und Holdseligkeit, Bescheidenheit und Klugheit bis an den Himmel erhob. Gewiß ließ sich der Poet nicht träumen, daß aus der Gefeierten mit der Zeit ein Ungeheuer werden würde, wie es die Weltgeschichte kaum ein zweites Mal erblickt hat. Sigiberts Bruder Chilperich heiratete Brunhilds ältere Schwester Galaswintha, ließ sie aber auf Anstiften seiner Beischläferin Fredegunde erdrosseln. Diese, eine ausgelernte Buhlerin, die sich kein Gewissen daraus machte, gegen ihre in Buhlerei und Hochmut mit ihr wetteifernde Tochter Rigunthe einen wahrhaft teuflisch-listigen Mordanschlag auszusinnen, auf der einen und Brunhild auf der anderen Seite steigerten, einander todfeindlich gesinnt, die merowingischen Bruderzwistgreuel zur höchsten Höhe. Das höllische Schauspiel, das diese beiden Furien im Gang erhielten, ging erst im Jahre 614 mit einem gräßlichen Schlußakt zu Ende.
Da fiel, nachdem Fredegunde schon 17 Jahre früher gestorben, die alte Brunhild als Gefangene in die Hände Chlotars des Zweiten, des Sohnes ihrer Todfeindin, und im Lager zu Chalons erging das barbarische Strafgericht über die greise Frevlerin. Chlotar rechnete ihr vor, wie zehn Fürsten merowingischen Stammes auf ihr Anstiften oder Verschulden ermordet worden seien. Hierauf ließ er sie drei Tage lang martern, dann auf ein Kamel setzen und so zum Hohn durch das ganze Heer führen, endlich mit dem Haupthaar, einem Arm und einem Fuß an den Schweif des wildesten Pferdes binden. So ward sie von den Hufen des dahinsprengenden Tieres zerschlagen, bis ihr Glied für Glied abfiel.
Mit gewohnter Markigkeit hat ein deutscher Dichter, Freiligrath, geschildert –
»... wie vormals im Gefilde
Der Marne bei Chalons die Sünderin Brunhilde
Durch Knechte binden ließ mit ihrem grauen Haar
An einen wilden Hengst, daß an dem dichten Schweife
Er galoppierend sie durchs Frankenlager schleife,
Der Sohn des Chilperich, der andere Chlotar.
Der Hengst riß wiehernd aus; die Hinterhufe schlugen
Das nachgeschleppte Weib; verrenkt in seinen Fugen
Ward jedes Glied an ihr; um ihr entstellt Gesicht
Flog ihr gebleichtes Haar; die spitzen Steine tranken
Ihr königliches Blut, und schaudernd sah'n die Franken
Chlotars des Zürnenden erschrecklich Strafgericht.
Jetzt auf ihr Antlitz, das blutrünst'ge, fiel der roten
Wachtfeuer Glut, die da vor jedem Zelte lohten;
Jetzt wusch mit eis'gem Guß den Staub von ihrer Stirn
Ein Arm des Marnestroms; weit vorgequollen stierte
Ihr Aug', und das Kameel, drauf man sie morgens führte
Durchs ganze Heer, ward jetzt bespritzt von ihrem Hirn.«
Ein hartes und rohes Geschlecht von strotzender Sinnlichkeit, diese Männer und Frauen der Völkerwanderungszeit, mit souveräner Willkür die religiösen Satzungen wie die Gebote der Menschlichkeit unter die Füße tretend und den Taumelkelch des Genusses, ob die Wollust oder die Rache ihn kredenzte, mit Gier bis auf die Hefe leerend. Diese im Gärungsprozeß einer sozialen Neubildung begriffene Welt zeigt uns überall ein wildes Ringen von Heidnischem und Christlichem, Germanischem und Römischem, ein Sichabstoßen und Wiederanziehen südlicher Kultur und nordischer Lebensfrische. Das besiegte Rom rächte sich an den germanischen Siegern, indem es sie seinen Lastern unterwarf, und die siegreichen Germanen, von früher ungeahnten Genüssen bis zur Sinnlosigkeit berauscht, nahmen das Dasein wie eine Orgie, die mit tobender Zertrümmerung der Lustwerkzeuge schließen müßte. Aber ihre Kraft hielt aus, und wie äußerlich auch die Bekehrung zum Christentum sein mochte, dennoch kam dadurch mehr und mehr ein neuer sittlicher Gehalt in ihr Leben. In dem Maße, in dem das germanische Gemüt mit dem neuen Glauben sich füllte, wurde dieser aus einer römisch-byzantinischen Polizeianstalt zu einer eine neue Kulturperiode bedingenden und bestimmenden Geistesmacht. Des bedeutenden Anteils der Frauen an dieser Umwandlung von unermeßlicher Tragweite ist schon gedacht worden. In Wahrheit: sie waren es, die das Kreuz mit Rosen umwanden, d. h. die Starrheit des Dogmas mittels der Einflüsse germanischer Gemütsinnigkeit milderten, und sie waren es auch vorzugsweise, unter deren pflegenden Händen die im Christentum liegenden Keime der Humanität zu einer Entwicklung gediehen, die den während der Völkerwanderung zur Brutalität gesteigerten germanischen Individualismus allmählich den Gesetzen bürgerlicher Ordnung und häuslicher Sitte wieder sich fügen lehrte.
Das alles dämmerte freilich vorerst nur in schwachen Umrissen aus dem Chaos einer allgemeinen Verwilderung auf. Es war noch weithin, bis auf dem Boden, den der Zusammenstoß der germanischen und der lateinischen Welt mit Ruinen bedeckt hatte, ein neuer Gesellschaftsbau, der germanisch-christliche, sich erhob.
Man hat das Leben der Germanen in den römischen Provinzen passend mit einem Teppich verglichen, der auf der einen Seite glänzende Farben und prunkhafte Gebilde, auf der anderen aber ein verworrenes Gewebe von verzerrten Gestalten zeigt. In der Tat war das häusliche und gesellige Dasein zur Völkerwanderungszeit ein unerquickliches Gemisch von Pracht und Armseligkeit, Vergeudung und Dürftigkeit, Schwelgerei und Elend. In den Holzhäusern der germanischen Großen hatte sich der Raub der römischen Welt aufgehäuft und diente, ohne Kunstsinn und Geschmack gebraucht, nur zu grotesker Überladung, hinter der dann doch wieder allenthalben Ungefügheit, Blöße und Ungemächlichkeit hervorsah.
Maß und Takt fehlten durchweg. Wie in der häuslichen Einrichtung, so auch in der Kleidung, auf die römische Art Einfluß gewann, ohne daß die Gegensätze zwischen Angeerbtem und Angenommenem schon eine harmonische Ausgleichung gefunden hätten. Beide Geschlechter liebten es, im Anzug von grellbunten Farben zu glänzen und von Gold- und Gesteinschmuck förmlich zu klingeln. Für die männliche Tracht ward das Aufkommen der Hosen, die, wie es scheint, zuerst von den Langobarden getragen wurden, von großer Bedeutung. Sonst blieben Rock, Gurt und Mantel für Männer und Frauen die Hauptstücke des Anzugs. Hauptstoff der Frauenkleidung war in dieser Zeit noch immer die Leinwand. Wenn der Überlieferung zu trauen ist, haben wir uns die Erscheinung vornehmer Schönen von damals so vorzustellen: Aus dem über der Stirn gescheitelten Haar, das an den Seiten in zwei Zöpfe geflochten war, die über die Brust bis zu den Knien herabhingen, lag ein Schleier, der, durch einen reich verzierten Metallreif festgehalten, das Gesicht frei ließ. Das linnene Unterkleid, die Tunika oder besser der eigentliche deutsche Frauenrock, markierte festanliegend und engärmelig die Formen des Oberkörpers. Er war über den Hüften von einem breiten Gürtel umspannt und fiel von da in reichen Falten auf die Schuhe herab, auf deren Verzierung sehr viel Sorgfalt und Luxus verwandt wurde. Hals und Brust bedeckten Ketten und andere Goldzieraten. Das mantelartige, aber mit sehr weiten Ärmeln versehene Oberkleid von Seide wurde so getragen, daß es Farbe und Form des Unterkleides mehr hervorhob als verbarg und der freien Bewegung des Körpers nicht hinderlich war.