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Der Gebrauch von Bädern war im Mittelalter unter allen Volksklassen ein viel häufigerer als heutzutage. Mochte dieses viele Baden zum Teil darin seinen Grund haben, daß damals der Gebrauch von Leibwäsche und deren regelmäßiger Wechsel weit weniger allgemein waren als jetzt, immerhin galt es für eine heilsame diätetische Übung und zugleich für eine Ergötzlichkeit, die ein Poet jener Zeit den sieben größten Freuden zuzählte.
Im Liederbuch der Klara Hätzlerin, herausgegeben von Dr. Carl Haltaus, Quedlinburg und Leipzig, 1840, S. 273, 210 ff.) *Diese Klara Hätzlerin, die noch Haltaus für eine Augsburger Nonne hielt, war, wie K. A. Geuther 1899 nachgewiesen hat, eine berufsmäßige Abschreiberin, »die einzige Person weiblichen Geschlechtes, die uns aus jener Zeit im Abschreibergewerbe bekannt ist.
»Baden ist ein sauber spil,
Das ich ymer preisen wil.«
schließt das Badelob bei der Hätzlerin. (D. Verf.)
Auf dem Lande hatte jedes einigermaßen ordentlich eingerichtete Haus seine eigene Badestube, während in den Städten die öffentlichen Badestuben sehr zahlreich waren Ein Beispiel, das mir gerade zur Hand, bietet Basel, das im 13. Jahrhundert nicht weniger als 15 Badstuben zählte.* In Ulm werden am Ausgang des Mittelalters 11 Badestuben erwähnt, in Nürnberg 12, in Frankfurt a. M. 15. In Breslau gab es wenigstens 12 und in Wien gar 29. Heil, S. 160. (D. Verf.). Es ist auch nicht das Bad allein gewesen, das die Leute dahinzog. Die Männer ließen sich da Haar und Bart stutzen, die Frauen frisieren. Die Bader, d. h. die Badestubenhalter, ließen von Stunde zu Stunde in den Straßen ausrufen, daß im Badehaus alles gerüstet sei. Dann eilten die Leute barfuß und gürtellos herbei, entkleideten sich in einem Vorgemach und betraten, nur mit einem Schurz um die Lenden oder auch wohl ganz nackt, den heißen Baderaum, streckten sich dort auf die an den Wänden hinlaufenden Bänke und ließen sich von Badeknechten oder Bademädchen den ganzen Körper mit lauem Wasser begießen, dann abreiben und kneten (»zwagen«). Hierauf bot der »Scherer« seine Dienste als Barbier und Haarkräusler an. Die Badestuben waren auch Plauderstuben und häufig noch schlimmeres, nämlich Stätten, wo gespielt und geschmaust ward und Liebesränke eingefädelt wurden. Daher die Kostspieligkeit eines zweimaligen Badens in der Woche, worüber ein Minnesänger, der Tanhuser, zu klagen sich veranlaßt sah. »Diu schoenen wip, der guote win, diu mursel an dem morgen und zwirent in der wochen baden, daz scheidet mich von guote.« An den meisten Orten badeten Männer und Frauen in einem gemeinsamen Raum, und es hat diese Sitte an manchen Heilbrunnenorten bis in unsere Tage hinein fortgewährt. »Sie besteht sogar noch jetzt (1864) z. B. im Gyrenbad bei Winterthur und zu Leuk im Wallis in der Schweiz. An beiden Orten sah ich die Badenden beiderlei Geschlechts in den großen Wasserbassins zusammensitzen und auf schwimmenden Tischchen Karten, Schach oder Domino spielen.« (D. Verf.)
Eben an den Stätten der Gesundbrunnen entwickelte sich das Badeleben unserer Altvorderen zur vollsten Ausgelassenheit. Das Wildbad im Schwarzwald, Pfäfers im St. Galler Oberland und die beiden Baden, das im Breisgau und das im Aargau, gehörten zu den berühmtesten Heilquellen. Andere, nachmals berühmt gewordene, sind erst später in Aufnahme gekommen. So z. B. Pyrmont seit dem Ende des 15. Jahrhunderts. Baden im Aargau hatte schon zur Römerzeit einen großen Ruf: Tacitus spricht davon als von einem seines heilkräftigen Wassers wegen vielbesuchten Belustigungsort. Im Mittelalter strömten in den zahlreichen Herbergen dieses in einem tiefen, von der Limmat durchrauschten Talkessel gelegenen Badeortes aus der Nähe und Ferne Laien und Priester, Ritter und Damen, Kaufleute und Domherren, Prälaten und Äbtissinnen zusammen, um ihrer Gesundheit, aber mehr noch des Vergnügens zu pflegen. Baden, heutzutage meist nur noch von Schweizern besucht, war damals ein Luxusbad von europäischer Bedeutung, und da seinen Schwefelthermen eine ganz besondere Wirkung gegen Unvermögen und Unfruchtbarkeit zugeschrieben wurde, so ist es sehr ergötzlich zu sehen, mit welchem Eifer sich Mönche und Nonnen in dieses Bad drängten. So veräußerte im Jahre 1415 die Äbtissin zum Fraumünster in Zürich einen Meierhof, um mit dem erlösten Geld eine Badenfahrt machen zu können. Der eine oder andere von den Chorherren zum Großmünster derselben Stadt wird dann in Baden wohl mit der geistlichen Würdenträgerin zusammengetroffen sein, denn diese Herren trieben sich häufig dort herum. Die Klosterfrauen von Töß erkauften mit schwerem Geld eine päpstliche Indulgens, nach Baden fahren und daselbst unter dem Skapulier weltliche Kleider tragen zu dürfen. Der Abt von Kappel, Ulrich Trinkler – nomen et omen! – büßte seine kostspieligen Schwelgereien in Baden mit Vertreibung aus seinem Kloster.
Die Schilderung, die der Florentiner Poggio als Augenzeuge von dem mittelalterlichen Badeleben zu Baden entworfen hat, ist sittengeschichtlich zu wichtig, um hier übergangen zu werden.
Poggio hatte den Papst Johann XXIII. zur Kirchenversammlung nach Konstanz begleitet und war dann nach Baden gegangen, um Linderung seines Chiragra zu suchen. Von hier aus schrieb er im Sommer 1417 an seinen Landsmann Niccoli einen Brief, dem das Nachstehende auszüglich entnommen ist.
Die zahlreichen Badegäste wohnten in den trefflich eingerichteten Bade- und Gasthäusern, deren dreißig vorhanden waren. Für das gemeine Volk gab es unter freiem Himmel zwei große Bassins – das Verenabad und das Freibad – wo Männer und Frauen, Jünglinge und Mädchen gemeinsam badeten. Zwar trennte eine Scheidewand die beiden Geschlechter, doch stiegen die Frauen angesichts der Männer nackt ins Bad. Die Baderäume in den Gasthäusern waren zierlicher, jedoch ebenfalls beiden Geschlechtern gemeinsam. Bretterwände gingen zwar zwischendurch, allein diese hatten so viele Öffnungen, daß man von beiden Seiten sich sehen und auch, was häufig vorkam, berühren konnte. Die Männer trugen im Wasser Schürzen, die Frauen Badehemden Poggio widerspricht sich hier, indem er in einer früheren Stelle seines Briefes ausdrücklich angibt, daß auch in den für die feinere Gesellschaft bestimmten Bädern beide Geschlechter nackt zusammen gebadet hätten. W. Stricker (Zeitschrift f. d. Kulturgeschichte 1857, S. 329) bezeichnet das wohl mit Recht als eine Übertreibung, und es ist anzunehmen, daß wenigstens die Frauen der besseren Gesellschaft in einem weniger evaitischen Badeanzug erschienen seien, als womit in den Freibädern die Bäuerinnen sich zeigten. Indessen müssen wir uns doch erinnern, daß sogar in des züchtigen Wolfram großem Gedicht der badende Parzival von feinen Damen bedient wird, d. h. daß die Ansichten des Mittelalters über Schicklichkeit sehr freie waren. (D. Verf.). Man saß stundenlang im Bade und speiste darin auf schwimmenden Tischen. Täglich besuchte man drei bis vier Bäder und verbrachte den übrigen Teil des Tages mit Singen, Trinken und Tanzen. Selbst im Wasser spielten einige dieses oder jenes Instrument und sangen dazu. Über den Bädern waren Galerien angebracht, auf denen sich die Herren einfanden, um mit den badenden Damen zu plaudern. Diese hatten den Brauch, die ihnen von oben herab zusehenden Männer scherzweise um Geschenke anzugehen. Man warf ihnen daher Blumensträuße und kleine Münzen hinab und die Schönen spreiteten, die Gaben aufzufangen, wetteifernd ihre Hemden aus. Hart am Fluß ist eine große, von vielen Bäumen beschattete Wiese gelegen – die sogenannte »Matte«. Da kommen die Badegäste, wenn sie vom Mittagessen aufgestanden, zu allerlei Kurzweil zusammen. Die meisten belustigen sich mit dem Ballspiel, einige singen, andere lassen sich durch Pfeifen und Pauken zum Tanze laden. Die Menge der Vornehmeren und Geringeren, die nach Baden fahren, ist fast unzählbar. Man sieht da auch eine nicht geringe Anzahl sehr hübscher Frauen, ohne daß diese von Ehemännern oder Brüdern begleitet wären. Alle, soviel ihre Mittel es gestatten, tragen mit Silber, Gold oder Edelsteinen besetzte Kleider, als wären sie nicht zur Kur, sondern zu einem Feste gekommen. Auch Nonnen, Äbte, Priester und Mönche leben hier freisam und fröhlich. Die Geistlichen baden wohl gar zugleich mit den Weibern, setzen Blumenkränze auf und vergessen des Zwanges ihrer Gelübde. Sicherlich war der Florentiner berechtigt, seiner Schilderung des Badener Badelebens das absichtliche oder unabsichtliche Witzwort beizumischen, daß kein Bad auf der Welt der fraulichen Fruchtbarkeit so zuträglich wäre wie dieses (»nulla in orbe terrarum balnea ad foecunditatem mulierum magis sunt accomodata«). (D. Verf.)
Unter den Frauenzimmern, denen Poggio in Baden begegnete, sind ohne Zweifel viele solche gewesen, die das Mittelalter unter den Benennungen der »leichten« oder »gelustigen Fräulein«, »offenen« oder »gemeinen« oder »fahrenden Frauen«, d. i. der Freudenmädchen zusammenfaßte. Wenn wir die Offenheit und Unbefangenheit im Auge halten, womit in der »guten, alten, frommen Zeit« in Sachen der Prostitution gehandelt wurde, so gelangen wir folgerichtig zu dem Schlusse, daß der physische Liebesgenuß den Menschen von damals überhaupt weniger anstößig erschienen sein müsse als uns Modernen. Zugleich ist aber diese Offenheit und Unbefangenheit – in unseren Augen gleichbedeutend mit Roheit – der schlagendste Beweis, daß der dichterische Idealismus und die ritterlichen Überschwenglichkeiten des romantischen Frauendienstes zur Veredelung des Verhaltens der beiden Geschlechter untereinander tatsächlich doch blutwenig beigetragen habe, und daß wir daher früher mit gutem Grunde den Unterschied betonten, der zwischen der romantischen Minnetheorie und Minnepraxis statthatte, in Deutschland wie allenthalben.
Die Ausüberinnen der gewerbsmäßigen Unzucht zerfielen im Mittelalter in zwei, freilich nicht streng geschiedene Klassen, in fahrende und in seßhafte Dirnen Als Ergänzung und zum Teil Richtigstellung des folgenden sei des Herausgebers bereits erwähntes Buch »Die Dirne und ihr Anhang in der deutschen Vergangenheit« empfohlen, das im gleichen Verlag wie dieses Werk erschienen ist. Dieses Buch ersetzt die von Scherr angegebenen, heute selbst dem Fachmann meist nur mit großer Mühe erhältlichen Quellenwerke. (D. Hrsg.). Die einen zogen den Jahrmärkten, Kaiserkrönungen, Reichstagen, Turnieren, Kirchenfesten, Konzilien und anderen Versammlungen der mittelalterlichen Gesellschaft nach, und zwar oft so massenhaft, daß z. B. die Angaben über die Zahl der Lustdirnen, die sich während des Konzils von Konstanz dort aufhielten, zwischen 700 und 1500 schwanken. Eine dieser Dirnen soll während der Kirchenversammlung 800 Goldgulden an Sündensold eingenommen haben, eine für jene Zeit außerordentlich bedeutende Summe. Den Kriegsheeren folgte ebenfalls eine große Anzahl fahrender Frauen, und weil sie samt dem übrigen Lagertroß unter dem Befehl des Generalprofosen standen, so führte dieser noch in den Zeiten des Dreißigjährigen Krieges den amtlichen Titel »Hurenweibel«.
Die seßhaften Dirnen, die »Frauenhäuslerinnen«, hausten in den »Frauenhäusern«, deren größere Städte mehrere hatten, während selbst kleinere und kleinste gewöhnlich wenigstens eine solche Anstalt aufweisen konnten. Die Frauenhäuser oder »Töchterhäuser« oder »offene Häuser« oder – lucus a non lucendo – »Jungfernhöfe« leiteten ihre Benennung von den abgesonderten Räumen her, worin im früheren Mittelalter die Frauen den häuslichen Arbeiten obgelegen hatten. So drückte also das Wort Frauenhaus ursprünglich einen ganz ehrbaren Begriff aus, gerade wie das entsprechende Wort »Bordell«, das vom angelsächsischen Borda, ein kleines Haus, gebildet ist. Eine Bordmaget hieß im altfriesischen Gesetze nicht etwa eine öffentliche Dirne, sondern eine simple Hausmagd.
Die Frauenhäuser, zu »besserer Bewahrung der jungfräulichen und fraulichen Ehre«, nämlich der Bürgerinnen, geduldet und unterhalten, waren Eigentum der Städte und wurden an »Frauenwirte«, auch »Ruffiane, Riffiane«, gegen einen bestimmten Wochenzins verpachtet. Nicht selten war auch der Ertrag dieser Institute ein landesherrliches Regal oder ein Lehen geistlicher und weltlicher Dynasten. Das Frauenhauswesen war sozusagen mit deutscher Gründlichkeit geordnet. Allgemeine Geltung scheinen die zwei Grundsätze gehabt zu haben, daß eine städtische Frauenhausbande nicht aus der Stadt selbst, sondern aus der Fremde sich rekrutieren müßte, und daß nur ledige, keine verheirateten Weibspersonen in die Frauenhäuser aufgenommen werden sollten. Ehemännern, Geistlichen und Juden müßte der Zutritt von dem Wirte verweigert werden, allein nur in betreff der Juden wurde diese Vorschrift mit einiger Strenge durchgeführt. Wissen wir doch, daß vornehmen Gästen erwiesene städtische Gastfreiheit auch deren Freihalten in den Frauenhäusern in sich begriff. So wurde Kaiser Sigismund mit seinem Gefolge im Jahre 1413 im Frauenhaus zu Bern und im Jahre 1434 im Frauenhaus zu Ulm freigehalten. Das Verhältnis des Frauenwirtes zur Stadt und das der feilen Frauen zum Wirt war des genauesten geregelt und die Bestimmungen über Kostgebung, Verteilung des Gewinnes usw. gingen bis ins einzelnste. An den Vorabenden und Vormittagen von Sonn- und Festtagen waren die Jungfernhöfe geschlossen. Die Behandlung der Frauenhäuslerinnen von Seiten der Magistrate war in den Städten ganz verschieden. In einigen waren sie hart gehalten, dem Henker zur Aufsicht übergeben und wurden auf dem Schindanger begraben; in anderen genossen sie gewisser Vorrechte, durften bei städtischen Fröhlichkeiten mit Blumensträußen geschmückt erscheinen und in Leipzig sogar alljährlich beim Beginne der Fastenzeit eine solenne Prozession durch und um die Stadt halten. Sie erfreuten sich auch der Vorteile des Zunftzwangs, und wie die Handwerker jeden unzünftigen Konkurrenten als »Bönhasen« verfolgten, so bekriegten die Insassinnen der privilegierten Frauenhäuser die Priesterinnen der Winkelprostitution als nichtzünftige und also unberechtigte Bönhäsinnen. Im Jahre 1462 reichten die Bewohnerinnen des Nürnberger Frauenhauses bei dem Rat eine Vorstellung ein, »daß auch andere Wirte Frauen halten, die nachts auf die Gassen gehen und Ehemänner und andere Männer beherbergen und solches, d. i. ihr Gewerbe, inmassen und viel gröber denn sie es halten in dem gemeinen, d. i. privilegierten Tochterhaus, daß solches zum Erbarmen sei, daß solches in dieser löblichen Stadt also gehalten werde«. Der Bescheid des Rates ist nicht bekannt, läßt sich aber erraten, wenn man erfährt, daß bei einer späteren ähnlichen Veranlassung (im Jahre 1508) der Magistrat den Frauenhäuslerinnen erlaubte, ein unprivilegiertes Prostitutionshaus förmlich zu stürmen. Da und dort ging die Toleranz gegen die gelüstigen Fräulein so weit, daß man ihnen »um ihrer Aufopferung für das gemeine Beste willen« das Stadtbürgerrecht schenkte. Anderwärts bestanden Stiftungen, aus denen an leichte Fräulein, denen es gelungen war, zu einer ehrlichen Heirat zu kommen, eine Mitgift verabreicht wurde.
Daß feile Frauen sich durch möglichst glänzenden Putz auszeichnen, liegt noch heute in der Natur ihrer Stellung. Das Mittelalter hielt aber darauf, daß die Aushängeschilde weiblicher Feilheit recht kenntlich wären und schrieb daher den Lustdirnen besondere Abzeichen vor, ein auffallendes Kleidungsstück oder auch eine uniforme Farbe der Röcke oder Mäntel. Grün scheint die am häufigsten vorgeschriebene Farbe gewesen zu sein. In Augsburg mußten die gelüstigen Fräulein einen zwei Finger breiten grünen Streifen am Schleier tragen, in Leipzig kurze gelbe Mäntel, die mit blauen Schnüren benäht waren, in Bern und Zürich rote Mützen. Zuweilen brauchte eine Stadtobrigkeit auch den Kunstgriff, ausschweifende oder luxuriöse Kleidermoden, die sie ehrbaren Frauen untersagte, den Buhldirnen zu erlauben und solche Moden dadurch anstößig und verächtlich zu machen, was freilich keineswegs immer restlos gelang.
Gegen das Ende des 15. Jahrhunderts hin hatte die Prostitution in deutschen Landen eine erschreckende Ausdehnung angenommen, und das Hinzutreten der Lustseuche steigerte das Unwesen zu einer öffentlichen Kalamität, die entsetzliche Verheerungen anrichtete. Es mußte auf Abhilfe Bedacht genommen werden, und da sich mit dem zur Reformationszeit eingetretenen Kulturaufschwung auch das sittliche Gefühl wiederum für eine Weile mehr belebte, so wurden vom 16. Jahrhundert an in den meisten Städten die Frauenhäuser geschlossen, um später unter anderem Anstrich abermals geöffnet zu werden.
Übrigens hatte schon der Katholizismus ernstgemeinte Versuche gemacht, die Prostitution zu beschränken und den leichten Fräulein einen Ausweg aus dem Lasterleben zu eröffnen. Zu diesem Zwecke waren in Nürnberg, Regensburg und an vielen anderen Orten klösterliche Zufluchtsstätten für solche Frauenspersonen gestiftet worden, die aus Lustdirnen zu »Reuerinnen« werden wollten. So hieß man diese Büßerinnen, die oft, aber grundloser Weise mit den Begeinen, Beginen, verwechselt worden sind. Was die frommen Stiftungen zugunsten der Reuerinnen bezweckten, sagt klar der Steuerbefreiungsbrief, den Herzog Albrecht dem 1384 in der Singerstraße zu Wien durch mehrere fromme Ratsglieder gegründeten Kloster verlieh. Es heißt darin, daß dieses Haus und Stift bestimmt sei für »die armen freien Frauen, die sich aus den offenen Frauenhäusern oder sonst vom sündigen Unleben zur Buße und zu Gott wenden«. Es hat sich demnach jene werktätige Milde und Barmherzigkeit, die neben den vielen Schattenseiten des Mittelalters eine seiner hellsten Lichtseiten bildet, auch den Opfern der Prostitution gegenüber rettend erwiesen.
Freilich wurde das Erbarmen, das reuige Sünderinnen fanden, nicht selten der weiblichen Tugend versagt. Ich erinnere nur an den grausamen Mord, den 1436 der Herzog Ernst von Bayern-München an der vielbesungenen Agnes Bernauer verüben ließ. Dieses engelhaft schöne Mädchen war die Tochter eines Baders in Augsburg, wo Ernsts Sohn Albrecht sie kennen und lieben gelernt hatte. Der Prinz ehrte die Geliebte und noch mehr sich selbst, indem er die züchtige Jungfrau nicht zu seiner Kebse erniedrigte, sondern in aller Form zu seiner Ehefrau erhob Schön gesagt, aber leider nicht erwiesen. Fest steht nur, daß er sie für eine Herzogin von Bayern ausgegeben. Jedenfalls hat sich der erst vor Zorn und Schmerz ganz rasende junge Herzog sehr rasch zu trösten gewußt. Am 12. Oktober 1435 endete Agnes Bernauer aus Biberach, nicht aus Augsburg, in der Donau, und wenige Monate später vermählte sich Ernst mit Anna von Braunschweig. (D. Hrsg.). Aber der Kastenstolz des herzoglichen Vaters anerkannte die Ehe nicht. Agnes wurde in Abwesenheit ihres Gatten auf des Herzogs Befehl in der Burg zu Straubing gewaltsam ergriffen, auf die Donaubrücke geschleppt und in den Strom hinabgestürzt. Die Flut wollte die schöne Unglückliche rettend ans Ufer tragen, da faßte sie einer der Schergen mit einer Hakenstange bei ihrem langen goldfarbenen Haar und stieß sie in die Tiefe.
Wir haben soeben die Frauenklöster als die Zufluchtsstätten für bereuende Magdalenen erwähnt: sie waren aber überhaupt Asyle für Mädchen, denen die Erreichung hausmütterlicher Bestimmung durch die Umstände versagt wurde. Wie im früheren Mittelalter, bewog auch jetzt noch religiöse Inbrunst manche Tochter vornehmer und geringer Familien, frühzeitig den Schleier zu nehmen; aber viele Mädchen traten auch erst dann ins Kloster, wenn ihnen ihr Spiegel die bedenklichen Altjungfernzüge um Mundwinkel und Augen verraten hatte. Die meisten vielleicht wurden Nonnen infolge elterlicher Berechnung, denn die Klöster waren rechte Versorgungsanstalten für die mitgiftslosen Töchter des ärmeren Adels. Sie waren zugleich, wie früher bemerkt worden, weibliche Erziehungsanstalten, wenigstens viele. Die Novizen und die Klosterschülerinnen standen unter einer »Schulmeisterin«, von der sie im Singen, Lesen und Schreiben und in den gottesdienstlichen Übungen unterrichtet wurden. Das Bücherabschreiben machte eine Hauptbeschäftigung wie der männlichen so auch der weiblichen Klostergemeinden aus. Daneben lagen die Nonnen Handarbeiten ob, dem Nähen, Weben, Bortenwirken.
»Da waren vrouwen inne, die dienten Gott mit sinne:
Die alten und die jungen lasen und sungen
Ze ieslicher ir tage zit, sie dienten Gote ze wider strît,
So si aller beste kunden, und muosen under stunden,
So si nith solden singen, naen oder borten dringen
Oder würken an der ram; ieglichiu wold' des haben scham,
Diu da muezik waere beliben; si entwurfen oder schriben.
Ez lert' diu schuole meisterin
Die jungen singen und lesen, wi si mit zühten solden wesen,
Beide, sprechen unde gên, ze kore nîgen unde stên.«
Gesamtabenteuer, II. 23 fg. (D. Verf.)
Unter solchen Beschäftigungen, andächtigen Übungen und harmlosen Zerstreuungen mag vielen sanftgearteten und anspruchslosen Nonnen in klösterlicher Stille und bei der nicht zu verachtenden Klosterkost das Leben sorglos und behaglich hingegangen sein. Aber es gab in den Frauenklöstern hinwieder andere Naturen, die, auch abgesehen von den giftigen Zwisten, die von den frommen Schwestern so häufig untereinander ausgefochten wurden, das Kloster nicht für eine Heimat, sondern für eine Hölle ansahen, weil sie entweder überhaupt nur gezwungenerweise den Schleier genommen, oder weil sie erst nach der Einkleidung die leidige Erfahrung gemacht, daß ihnen unter dem Skapulier ein Herz schlug, dessen Glut an dem Spiele mit der Nonnen- oder Jesuspuppe, dem »Jeserl«, kein Genüge fand. Diese Puppen sollten den Seelenbräutigam der Nonnen vorstellen. Sie spielten damit wie die kleinen Mädchen mit ihren Tokken, putzten sie phantastisch heraus, hielten Zwiesprache mit ihnen und nahmen sie mit zu Bett. Eine Autorität hierfür ist Luther, der einem Freunde vor einer unpassenden Heirat warnend, schrieb: »Es wird dir gehen wie den Nonnen, zu denen man geschnitzte Jesus legte. Sie sahen sich aber nach anderen umb, die da lebeten und jnen besser gefielen.« Solche arme Nönnlein mochten in der Einsamkeit ihrer Zellen manchesmal jenen Nonnenseufzer vor sich hinsummen, der im 14. Jahrhundert in Form eines Liedchens sicherlich zuerst aus einer Nonnenbrust aufgestiegen ist.
»Got geb im ein verdorben jar,
Der mich macht zu einer nunnen
Und mir den schwarzen mantel gab,
Den weißen rock darunten!
Soll ich ein nunn gewerden
Dann wider meinen willen,
So will ich auch einem knaben jung
Seinen kummer stillen.«
Die Limburger Chronik (Wetzlar. Ausg. 1720, S. 37) bemerkt dazu: »In derselbigen Zeit (d. i. 1359) sung und pfiffe man diss Lied«. In einem andern, kaum weniger alten Volkslied (Uhland, Alte hoch- und niederd. Volksl. I, S. 855) singt ein Nönnlein:
»Und wenn es komt um mitternacht
Das glöcklein das schlecht (schlägt) an,
So hab ich armes Mägdlein
Noch keinen schlaf gethan.
Gott geb dem kläffer unglück vil,
Der mich armes Mägdlein
Ins Kloster haben wil!
Und wenn ich vor die alten kom,
So sehn sie mich sauer an,
So denk ich armes Mägdlein:
Hett ich einen jungen man
Und der mein steter bule sei,
So wär ich armes mägdlein
Des fastens und betens frei.« (D. Verf.)
Wäre es erwiesen, daß, wie jedoch ohne Grund vermutet wurde, jene Klara Hätzlerin Klara Hätzlerin war, wie bemerkt, eben keine Nonne. (D. Hrsg.), die um 1470 zu Augsburg eine Abschrift von mehr als 200 geistlichen und weltlichen Gedichten gefertigt hat, wirklich eine Nonne gewesen, so müßten wir annehmen, daß die Phantasie der Klosterschwestern damaliger Zeit häufig mit Bildern sich beschäftigt hätte, die sehr wenig zu dem Gelübde der Keuschheit stimmten. Hat doch die Feder der Hätzlerin keinen Anstand genommen, auch höchst anstößig-erotische Sachen, ja geradezu Unflätiges in ihre Sammlung mit aufzunehmen. Im übrigen haben wir vollwichtige historische Zeugnisse, besonders aus dem 15. Jahrhundert, daß viele Nonnen bei unerlaubten Phantasiebildern nicht stehen geblieben sind. In Wahrheit, es ging in manchen Nonnenklöstern sehr unheilig, ja ärgernisvoll her, wie das nicht anders zu erwarten ist von einer Zeit, wo die Ratsprotokolle der deutschen Städte von Klagen über und Maßregeln gegen die freche Sitten- und Schamlosigkeit der Geistlichkeit und der Klostergeistlichkeit insbesondere voll waren. Es ist hier nicht der Ort, dieses unerquickliche Thema weiter auszuführen, und wir begnügen uns daher zur Erhärtung des Gesagten mit Anziehung etlicher Beispiele.
Schon aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts können aus der Geschichte der deutschen Nonnerei Abenteuer angezogen werden, die in Boccaccios Dekameron oder in Louvets Chevalier Faublas sehr an ihrem Platze wären. So das des Gauklers Der Gaukler hieß nach Dr. Alex. Kaufmann »Caesarius von Heisterbach«, Köln 1862, S. 123, so wie er im Text steht und nicht wie ihn Scherr schrieb, der es überhaupt mit Namen nicht so genau nimmt. Er läßt sich häufiger von seinem Geschmack, als von den Überlieferungen leiten. Heinrichs des Gauklers Klostererlebnisse sind vielleicht auch der Ursprung jener lustigen aber sehr starken Fabel von Lafontaine »Die Brille«, die durch Rambergs kecke Zeichnung sehr bekannt geworden ist. (D. Hrsg.) Heinrich Fig oder Fikere, der sich als Mädchen verkleidet in ein Frauenkloster aufnehmen ließ und unter der heiligen Schwesternschaft viel Unheil und Schaden anrichtete. Später geschah noch Ärgeres und Ärgerlicheres. Das Kloster Gnadenzell an den Quellen der Lauter auf der Schwäbischen Alb wäre besser nach dem nahegelegenen Offenhausen benannt worden, denn es war in der Tat ein »offenes Haus« im mittelalterlichen Sinne. Die benachbarten Edelleute feierten hier Gelage, Tänze und Orgien, deren Folgen die armen Klosterschwestern zu tragen hatten. Einer der Wohltäter und zugleich Mitverderber dieser Schwesternschaft, der Graf Hanns von Lupfen, sah sich veranlaßt, im Jahre 1428 einen Brief an die Priorin zu richten, worin er diese Würdenträgerin ausschalt, daß sie »ettlich arme Junkfrawen« nicht beizeiten aus dem Kloster entfernt und durch diese Unterlassung den Nachbarn Grund gegeben habe, zu sagen, »die Klosterwände würden von Kindern beschrien«. Graf Eberhard im Bart, nachmals der erste Herzog von Württemberg, setzte 1480 nach mehreren fehlgeschlagenen Versuchen eine strenge Reform des gänzlich verwilderten Klosters durch.
Im nämlichen schlechten Rufe wie Gnadenzell stand das Frauenkloster zu Kirchheim unter Teck. Hier ging der Wüstling Eberhard der Jüngere von Württemberg aus und ein, und wie er es da trieb, erfahren wir aus dem kummervollen Mahnbrief, worin sein Vater Ulrich an ihn schrieb: »Vor kurzem bist du gen Kirchheim kommen und hast einen Tanz angefangen in dem Kloster zwo Stunden nach Mitternacht. Läßt auch deine Buben und andere in das Kloster steigen bei Nacht, mit deinem Wissen und Willen. Und hat dein sündliches schändliches Wesen, das du und die Deinen getrieben, dir nicht genügt, du hast auch deinen Bruder mit dir hinein genommen und habt ein solch Tanzen darinnen gehabt und ein Schreien, das, wenns in offnem Frauenhaus geschehen war, so wärs doch zu viel.« Um das Kleeblatt voll zu machen, sei noch das Frauenkloster Söflingen bei Ulm genannt. Als das Geschrei über das dortige Lotterleben gar zu arg wurde und man demnach im Jahre 1484 zu einer Untersuchung und Reformation vorschritt, fand man, wie der Bischof Gaimbus von Kastell unterm 20. Juni des genannten Jahres an den Papst berichtete, in den Zellen Liebesbriefe höchst unzüchtigen Inhalts, Nachschlüssel, üppige weltliche Kleider und – die meisten Nonnen in gesegneten Leibesumständen.
Die Lebensformen großer Epochen der Geschichte schleppen sich auch dann noch lange fort, wenn der Geist, der sie schuf und beseelte, schon abgestorben oder wenigstens im Absterben begriffen ist. Sie unterliegen aber dabei stets der Verzerrung, indem sie ihre innere Hohlheit durch Übertreibungen nach außen vor der Welt und sich selbst zu verbergen suchen. Die Typen der Zeit werden dann zu Karikaturen, und so wurde vom 14. Jahrhundert an die mittelalterliche Romantik zu ihrem eigenen Zerrbilde, das gegen das Ende des 15. Jahrhunderts hin zu so schamloser Aufgedunsenheit gelangt war, daß alle Verständigen und Wohlmeinenden vor dem Popanz sich entsetzten und alle Wortführer der öffentlichen Meinung: Prediger, Poeten und Chronikschreiber, in Entrüstung gegen die allgemeine Entartung ausbrachen. Man muß die ins Gewand moralisierender Lehrdichtung gehüllten Sittenschildereien kennen, womit ein Sebastian Brant sein berühmtes, im Jahre 1494 zu Basel vom Stapel gelaufenes »Narrenschiff« befrachtete, man muß die satirischen Streiflichter und Schlagschatten betrachten, die ein Thomas Murner in seiner 18 Jahre später erschienenen »Narrenbeschwörung« über seine Zeit hingeworfen hat, um so recht zu erfahren, was aus den mittelalterlichen Idealen in der Wirklichkeit allmählich geworden war. Wir haben jedoch im vorstehenden ausreichende Gelegenheit gehabt, zu sehen, wie sehr die Empörung der genannten Männer und vieler ihrer Mitstrebenden über das Tun und Lassen ihrer Zeitgenossen gerechtfertigt war, und es erübrigt nur noch, einen Streifzug auf das Gebiet der Frauenmoden zu machen, um auch hier die Entartung des Mittelalters nachzuweisen.
Der Kleiderluxus ging unter Männern und Frauen im 15. Jahrhundert ins Maßlose, im adeligen wie im bürgerlichen Stand. Ein einfacher schwäbischer Ritter, der am Hofe von Österreich gedient hatte, brachte von dort in seine Heimat eine Garderobe zurück, deren überflüssige Stücke er nach Frankfurt sandte und dort zu teuren Preisen verkaufen ließ Des schwäbischen Ritters Georg von Ehingen Reisen nach der Ritterschaft, Tübingen 1842. (D. Verf.). Eine Nürnbergerin, Frau Winter, hinterließ im Jahre 1485 vier Mäntel aus Tuch von Arras und Mechern, mit Seide gefüttert, ferner an Oberkleidern sechs Röcke, eine Schaube (Juppe) und drei sogenannte Trapperte; drei Unterkleider, sechs weiße Schürzhemden und einen schwarzen, zwei weiße Baderöcke, fünf Unterhemden, zwei Halshemden, sieben Paar Ärmel und neunzehn Schleier Falke, Die deutsche Trachten- und Modenwelt I. Band, S. 291. (D. Verf.). Wie weit der Luxus mit weiblichen Schmucksachen getrieben wurde, erhellt daraus, daß im Jahre 1470 eine Breslauerin, Jungfer Margarethe Brige, von ihrer Mutter 36 goldene Ringe erbte nebst einer entsprechenden Anzahl von Ketten, Heftern (Broschen) und Gürteln. Sebastian Brant rügte es, daß auch die Frauen der unteren Stände in sinnloser Kleiderpracht denen der oberen nacheiferten. »Was eine Gans an der anderen sieht« – drückte er sich ungalant aus – »das muß auch sie haben; es tut sonst weh.« Er schilt ferner: »Sie schmieren sich mit Affenschmalz, sie büffen das Haar mit Schwefel und Harz und steifen es in feste Formen durch eingeschlagenes Eiweiß; sie stecken den Kopf zum Fenster hinaus, um das Haar an der Sonne zu bleichen.« Noch schlimmer war, daß um diese Zeit auch die Sitte einriß, sich mit fremden Haaren zu schmücken Die Frauen nehmen todtes Haar und binden es ein und tragen es mit ihnen zu Bett. Das guldin Spil (1472), Fol. 39. Der Gebrauch falschen Haares war übrigens auch außerhalb Deutschlands Mode. Ein deutscher Reisender, der im Jahre 1491 Venedig besuchte, schrieb: »Der Kopfputz der Frauenzimmer besteht bloß in der Schönheit fremder Haare, die sie ihren natürlichen vorziehen. Sie schmücken und zieren solche gemeiniglich gelb und kraus und binden sie auf dem Kopf zusammen, wie man in deutschen Ländern einem Pferde den Schwanz aufbindet.« (D. Verf.), was um so überflüssiger erscheint, als nicht nur die verheirateten, sondern auch die ledigen Damen dem Brauche, das Haar in freien Locken und Flechten zu tragen, entsagt hatten, um ihre schönste Zierde unter Hauben zu bergen, deren Unform oft ganz ins Abenteuerliche ging. Aber nicht allein Unschönes und Barockes, sondern auch Zuchtloses verlangte die Mode. Es ist fast unglaublich, bis zu welchem Grade Männer und Frauen in ihrem Auftreten aller Scham und Sitte Hohn sprachen. Mußte doch noch im Jahre 1503 der Rat von St. Gallen verbieten, daß man völlig nackt in der Stadt und ihrem Weichbild umherging Ratsprotokoll der Stadt St. Gallen vom Zinstag vor Corpus Christi 1503. (D. Verf.). »Schande über die deutsche Nation!« rief Brant aus. »Was die Natur verdeckt und versteckt haben will, das blößt und läßt man sehen.« Johann Geiler von Kaisersberg, seit 1478 Prediger am Münster zu Straßburg, sagte in einer seiner Predigten über Brants Narrenschiff: »Ganz eine Schande ists, daß die Weiber jetzt Barette tragen mit Ohren, gestickt mit Seide und Gold. Hinten aber an den Köpfen ein Diadem, sehen aus wie die Heiligen; vorn um den Mund herum geht ein Tüchlein, kaum zwei Finger breit. Da schauen sie umher, als ob ihnen ihr Gesicht in einem Hafenring hinge. Dazu tragen sie gelbe Schleier, die sie jede Woche wieder färben müssen; darum ist der Saffran so teuer! Man macht aber keinen gelben Pfeffer an frisches Fleisch, sondern an übriggebliebene Stückchen. So sehen denn die Weiber, die nicht schön sind, aus, wie ein Stück geräuchertes Fleisch in einer gelben Brühe. Nun schaue man ihre Leibzier, die ist voll Narrheit oberhalb und unterhalb des Gürtels. Voll von Falten sind die Hemden und die Oberkleider so weit ausgeschnitten, daß man die Ballen sieht. Diese schamlose Mode wird durch Bilder, Lieder und »Kleiderordnungen« aus dem 15. und schon aus dem Ende des 14. Jahrhunderts bestätigt. In dem Gedichte »Der Kittel« heißt es derb, die Hauptlöcher der Frauenröcke seien so weit, daß die nackten Schultern weit hervorständen und man die Armhöhlen sehe; die Brüste würden so hinauf- und herausgepreßt, daß man »einen Lichtstock« daraufsetzen könnte. In einer Straßburger Kleiderordnung, die sich mit der »schandbaren« Tracht dieser Zeit beschäftigt, wird den Frauen verboten, sich übermäßig zusammenzupressen, weder mit Hemden, Röcken oder Schnürleibern, noch »mit einem anderen Gefängnis«. Sie sollen sich auch weder färben noch schminken, noch »Locken von todten Haaren anhängen«. Sie sollten keinen Rock tragen, der über 30 Gulden zu stehen käme. »Sie ziehen weite Ärmel an wie die der Mönchskutten und so kurze Röcke, daß sie weder vorn noch hinten etwas bedecken. An den Gürteln aber, die der Goldschmied fein und herrlich machen muß, tragen die Frauen klingende Schellen. Dann tragen sie auch lange Schwänze, die auf dem Boden nachschleifen, und spitzige Schuhe Geiler von Kaisersperg, Predigten. 1574, Fol. 25. (D. Verf.).«
Ohne Zweifel hat Geiler unter den spitzigen Schuhen die geschnäbelten verstanden, und so sehen wir denn auch die Frauen an den närrischen Männermoden der Schellentracht und der Schnabelschuhe mitbeteiligt. Im früheren Mittelalter waren Schellen ein ritterlicher Pferdeschmuck gewesen. An der Stelle des Nibelungenliedes, wo Gunther mit seinen Gefährten in Island zur Burg Brunhilds reitet, werden goldene Schellen erwähnt, die an den Brustriemen der Rosse hängen. Später ging dieser klingelnde Schmuck vom Sattelzeug auf die Kleidung der Ritter selbst über, und es scheint fast, diese Narretei sei eine einheimische Mode gewesen, die im 14. und mehr noch im 15. Jahrhundert bedeutenden Lärm machte
Falke (a. a. O. I, 237) zieht aus einer alten schwedischen Reimchronik vom Jahre 1360 die Verse an:
»Käm' einer auch noch so arm aus deutschem Land,
So hat er doch ein Schwert in seiner Hand;
Er kann tanzen, hüpfen, springen
Und müssen seine vergoldeten Glöcklein klingen« –
die andeuten, daß man im Auslande die Schellentracht für eine deutsche Mode gehalten habe. (D. Verf.). Zuerst scheint die Verzierung des Anzuges mit Glöcklein und Schellen ein Vorrecht der höfischen Kreise gewesen zu sein, später ging die Freude an dieser kindischen Klingelei auch auf die bürgerlichen über. Die Göttinger Chronik »Dat olde Book« erzählt, daß 1370 und 1376 in Göttingen große Festlichkeiten stattfanden, wobei Ritter und Frauen in langen Röcken und mit goldenen und silbernen Schellengürteln erschienen, die »gingen alle schurr schurr, klin kling«. Beim Einzuge des Herzogs Friedrich von Sachsen in Konstanz im Jahre 1417 hatten seine Ritter und Knappen glockenbesetzte Gürtel an. Daß auch die Frauen gern so einherschellten, beweisen die städtischen Kleiderordnungen des 14. und 15. Jahrhunderts. Die Nürnberger vom Jahre 1343 bestimmte: »Kein Mann noch Frau soll keinerlei Glocken oder Schellen, noch keinerlei von Silber gemacht hangend Ding an einer Kette noch an Gürteln tragen« – und die Ulmer vom Jahre 1411: »Damit die Frauen und Jungfrauen durch ein ziemlich ehrbares Gewand gewinnen mögen, so sollen sie einen silbernen oder vergoldeten Gürtel tragen, doch ohne Glocken und Schellen –« also keinen »Dusing«, wie man die Schellengürtel nannte. Eine Ulmer Kleiderordnung vom Ende des 14. Jahrhunderts eiferte auch schon heftig gegen die tolle Mode der Schnabelschuhe, die ebensosehr die Füße verunstaltete, wie sie dem Gehen hinderlich war. Frankreich hatte diese Narretei zuerst im großen Stile getrieben; dort trugen schon um 1280 Ritter und Damen Schnäbel an den Schuhen von zwei Fuß Länge. Waren diese Schnäbel straff, so trugen sie auf ihren Spitzen kleine Glocken; waren sie schlaff, so wurden die Spitzen unterhalb des Knies an das Bein gehäkelt. Die Luxusgesetze der deutschen Obrigkeit suchten diesen wie noch so manchen anderen modischen Unsinn abzustellen; aber ihre häufige Erneuerung zeigte deutlich genug, wie wenig sie ausrichteten. Die Narrheiten wollen sich ausleben, und es ist ihnen zu allen Zeiten mit Verboten mehr nur scheinbar als wirklich beizukommen. Als im Jahre 1461 der strenge Sittenprediger Bruder Johann de Capistrano in Ulm gegen die unsinnigen und unzüchtigen Frauenmoden von damals predigte, hatte er zwar die öffentliche Meinung so für sich, daß, wie eine alte Chronik
wissen will, drei Frauen, die seiner Predigt spotteten, vom Volke auf der Straße zerrissen wurden; allein der Rat fand doch für gut, den strengen Eiferer aus der Stadt zu jagen
Jäger, Schwäbisches Städtewesen I, 509. (D. Verf.). Die Mode war eben schon damals, wie sie es ja noch heute ist, mächtiger als Vernunft, Sitte und Gesetz.