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Rußland …
Das manchen Sieg jüngst wußte zu erhaschen
Durch Katharinen auf des Ruhmes Fluren,
Die größte der Monarchinnen und Huren.
Byron, Don Juan VI, 92.
Abenteuerlichkeit ist der Charakter des 18. Jahrhunderts. Ein Spiel der Gegensätze und Widersprüche, wie kaum eine andere Epoche es aufzuweisen hat. Ein fieberhaftes Tasten und Hasten und Experimentieren, ein Auflockern aller sozialen Grundlagen, ein Rütteln an allem herkömmlich Heiligen und daneben doch wieder Abgötterei mit der Mumie des Mittelalters. Eine tobende Orgie des Zweifels und Unglaubens, wo unter blasphemischen Witzen Prinzen und Marquis, Duchessen und Komtessen die Absetzung Gottes dekretieren, aber zugleich vor der Büste des »göttlichen« Cagliostro Weihrauch verbrennen. Ein wildes Rufen nach Freiheit und Natur, ausgestoßen von Männern mit Haarbeuteln und Zöpfen und von Frauen in Reifröcken und Stelzenschuhen, mit schamlos entblößten Busen und ungeheuren Bauwerken von falschen Haaren auf den Köpfen. Alles aus Rand und Band, aus Angeln und Fugen. Alles wimmelnd, wuselnd, grell, phantastisch, widerspruchsvoll bis zur Tollheit. In das verhallende Hohnlachen Voltaires die süßesten Lieder Goethes, die salbungstriefenden Orakel Lavaters, die schmetternden Jugenddonner Schillers hineintönend. Hier Spener und Goeze, dort Kant und Lessing. Hier Zar Peter und Suwarow, dort Franklin und Washington. Hier Friedrich der Große und der erleuchtete Despotismus, dort Mirabeau und die Revolution. Die Männer mit einem Satz aus dem Rokoko zum Sansculottismus hinüberspringend, die Frauen vom Reifrock zum griechischen Hemd. Ludwigs XIV. Verkündigung des » Droit divin« (göttlichen Rechts) fürstlicher Allmacht beantwortet durch die »Erklärung der Menschenrechte«. Alles in Zweifel gezogen, bekrittelt, zersetzt, verhöhnt, alles den Anschauungen eines aschgrauen Materialismus unterworfen und wiederum ein beispielloser Aufschwung aus dieser trüben Region in die lichten Ätherhöhen des kühnsten Idealismus. In Erschöpfung schmachvoller Genüsse bis zur Mühlsteinhärte blasierte Herzen, aber auch Herzen voll weichster Schwärmerei und von edelster Inspiration schwellende Gemüter. Hier frechste Verneinung, dort begeisterte Bejahung; hier wüster Taumel des Lasters, dort die Trunkenheit heroischer Begeisterung. Das tumultuarische Vorwärtsdrängen einer zwischen Kontrasten schwankenden Gesellschaft, die aus der genialen Liederlichkeit in die Sentimentalität, von dieser zur Begeisterung und zu hochfliegenden Hoffnungen getrieben wird, bis mit vulkanischem Getöse der Krater einer furchtbaren Umwälzung vor ihr aufklafft und sie verschlingt.
So war das Jahrhundert des Puders, der Schönpflästerchen, der Hirschparke, der Aufklärung und der Revolution. Aber von den zahllosen Gestalten, die es mit dem Stempel seiner Abenteuerlichkeit bezeichnet hat, ist wohl keine geeigneter, die Aufmerksamkeit denkender und wissender Menschen in Anspruch zu nehmen, als die der kleinen deutschen Prinzessin, die, als ein frühreifes Kind nach Rußland verpflanzt, unter dem Namen Katharina II. so bald das Staunen, die Bewunderung, die Furcht Europas erregen und bis zu ihrem Tode wachhalten sollte. Niemand, sie selbst vielleicht ausgenommen, hätte bei ihrer Ankunft im Zarenreich ein so glanzvolles Geschick auch nur entfernt zu ahnen vermocht. Ihr erstes Auftreten dort war fast bettelhaft. Hat sie uns doch selbst erzählt, daß ihre ganze Wäsche aus einem Dutzend Hemden bestand und daß sie sich mit ihrer Mutter um ein von der Zarin Elisabeth geschenktes Stück blauseidenen Kleiderstoffs herumstreiten mußte.
Freilich, das geniale Kind fand mit überraschender Schnelligkeit bald ganz andere Ziele des Ehrgeizes auf diesem abenteuerlichen Boden eines Hofes, wo die Barbarei und die Sittenlosigkeit des Ostens mit dem feinsten und skrupellosesten Intrigengeist des Westens so seltsam sich verschmolzen. Zar Peter I., ein Abenteurer größten Stils, hatte sein widerstrebendes Volk mit riesenstarker Faust in den Kreis des europäischen Staatensystems hereingeschleift, hereingeknutet. Sein berüchtigtes politisches Testament, wenn auch in der schriftlich uns vorliegenden Form das spätere Machwerk eines französischen Skribenten, ist nichtsdestoweniger bis auf den heutigen Tag getreulich vollzogen worden. Das von dem gewaltigen Zaren, diesem Ungetüm von Kraft und Lastern, sein Leben lang gehandhabte Prinzip mongolisch-russischer Ausbreitungs- und Eroberungslust hat selbst unter den abenteuerlichen Weiberherrschaften, die zunächst seiner Regierung folgten, keine Stunde gerastet.
Es ist alles revolutionär in den russischen Geschichten dieser Zeit. Die wildesten Ausbrüche, die demokratischsten Tendenzen der Französischen Revolution, Peter I. hat sie vorweggenommen. Er ließ seinen Sohn zu Tode foltern, weil er seinen Umwälzungsplänen im Wege stand, und setzte eine Bauerndirne neben sich auf den Thron. Kann man dem Prinzip der Legitimität stärker ins Gesicht schlagen? Überhaupt ist die ganze russische Geschichte eine Satire auf dieses Prinzip, und es hat vielleicht nie eine tollere Ironie gegeben als die, daß ein Enkel Katharinas II., Zar Nikolaus, sich berufen fand, als Kämpe für die Heiligkeit desselben aufzutreten. Verwundern allerdings wird ein von den Menschen und von der Geschichte Wissender sich nicht über diese und andere derartige Ironien: – das Abgeschmackte hat ja, verbunden mit dem Mittelmäßigen und Schändlichen, kurze Zwischenpausen abgerechnet, jederzeit die Welt regiert. »So ward Zeus' Wille vollendet«, das heißt so wollte und will es die Stumpfheit des geringen und die Niederträchtigkeit des vornehmen Pöbels.
Als ein Mann »ohne Vorurteile« hatte Peter I. das zwar durch verschiedene Hände gegangene »Mädchen von Marienburg« aus dem Schmutze des Lagers aufgehoben und zu seiner »Gossudara« (Herrin), das heißt zu seiner zarischen Gemahlin gemacht. Freilich, wenn man dem ehrenwerten russischen Hofrat glaubt, der im Jahre 1857 in einer deutschen Zeitschrift über die Jugendschicksale des besagten Mädchens sich ausließ, wird man in der guten Katharina ein wahrhaft Richardsonsches Ungeheuer von Sittsamkeit und Tugend erkennen. Wem Mutter Natur jedoch das Organ der Gläubigkeit versagt hat, der wird wenigstens sein Ergötzen daran haben, zu sehen, daß russische Hofräte die deutschen noch weit überhofraten. Im Schweiße seines Angesichts wendet, dreht und knetet unser russischer die Tatsachen, um das Mädchen von Marienburg als eine noch durchaus unversehrte Jungfrau in das zarische Bett zu praktizieren. Ein schwieriges, ein unmögliches Ding! Aber ein Hofrat von der rechten Sorte sagt mit Napoleon: » Impossible? C'est le mot d'un fou« (Unmöglich? Das ist das Wort eines Narren). Und wahrlich, unser russischer Gelehrter bestätigt die Richtigkeit dieses Orakelspruchs. Er ist ein sinnreicher Mann, und wir hoffen, er habe für seine »Rettung« der Ehrbarkeit, ja Jungfräulichkeit der erhabenen Gossudara den Andreasorden und etliche hundert »Seelen« zur Belohnung erhalten. Er ist nicht so einfältig, leugnen zu wollen, daß seine Heldin an einen schwedischen Dragoner verheiratet gewesen sei, sondern macht bloß aus dem Dragoner einen »schwedischen Militär«, weil das vornehmer klingt. Ein leidiger Umstand, diese Heirat! Aber unser Hofrat weiß sich zu helfen und die Jungferschaft Katharinas vor Schaden zu wahren. Der arme Dragoner im besonderen oder Militär im allgemeinen wird nämlich von dem gelehrten Mann am Hochzeitstage selbst, ja vom Trauungsaltar weg unerbittlich auf Kundschaft gegen den Feind geschickt, wo ihm das Dragonerliche begegnet, umzukommen. So fällt denn Katharina als jungfräuliche Witwe den kurz darauf Marienburg erobernden Russen in die Hände und vermöge eines divinatorischen Blickes in die Zukunft respektieren Generale, Korporale und Soldaten gleichermaßen die magdliche Ehre ihrer künftigen Zarin. Man sage nicht etwa: » Quel bruit pour une omelette« (Welcher Lärm um einen Eierkuchen)! Das russische Kaiserhaus hält darauf, von Peter I. und Katharina abzustammen, und deshalb ist es nur billig, daß die Hofhistoriographie ihren ganzen Scharfsinn aufbiete, das Mädchen von Marienburg als ein Mädchen im Superlativ erscheinen zu lassen. Leider werden wir im folgenden genötigt sein, diese genealogische Dichtung unsanft mit der Hand der Wahrheit anzufassen.
Als Peter I. zu Anfang des Jahres 1725 gestorben war, ergriff seine Witwe, die weiland Dragonerin, unter dem Namen Katharina I. die Zügel der Regierung. Sie hatte dem Zar zwei Töchter geboren, Anna und Elisabeth. Die erstere wurde im genannten Jahre mit dem Herzog Karl Friedrich von Holstein-Gottorp verheiratet, der im Jahre 1721 nach Rußland gekommen war, um gegen Dänemark und Schweden den Schutz des Zaren zu erflehen und um dessen Tochter zu werben, welche letztere Absicht er auch wirklich erreichte, namentlich dadurch, daß er jahrelang mit Todesverachtung an den furchtbaren Zechgelagen Peters teilnahm. Seine Aussichten auf russisches Glück trübten sich jedoch beim Tode seiner Schwiegermutter (1727). Zwar hatte diese bestimmt, daß der Herzog und seine Gemahlin die Vormünder ihres Nachfolgers, Peters II., eines hinterlassenen Sohnes des zu Tode geknuteten Großfürsten Alexei, sein sollten. Allein der noch immer allmächtige Günstling Peters I., der gefürstete Bauernsohn Mentschikow, verdrängte den Herzog und dessen Frau von der Vormundschaft und machte ihre Stellung so unangenehm, daß sie nach Holstein heimkehrten. Hier gebar Anna im Jahre 1728 ihrem Gemahl einen Sohn, Karl Peter Ulrich, der bestimmt war, nachmals das zweifelhafte Glück, unter dem Namen Peter III. eine Weile Zar aller Reußen zu heißen, mit einem entsetzlichen Ausgange zu büßen. Seine Mutter starb schon zehn Tage nach seiner Geburt, sein Vater elf Jahre später – eine beklagenswert frühe Verwaisung des jungen Prinzen, der, von der Natur ohnehin stiefmütterlich ausgestattet, infolge einer unzulänglichen, schwankenden, verkehrten Erziehung zu einem vollkommenen Querkopf heranwuchs.
Inzwischen gingen auf dem Hof- und Staatstheater von Petersburg neue Akte von Palastrevolutionen in Szene. Zar Peter II. wurde nämlich schon im Jahre 1730 durch die Blattern weggerafft, und zu seiner Nachfolgerin erkoren die russischen Großen die verwitwete Herzogin von Kurland, Anna, eine Tochter von Peters I. älterem Bruder Iwan. Die Zarin Anna rief ihre gleichnamige Nichte, Prinzessin von Mecklenburg, zu sich, vermählte sie mit dem Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel und ernannte einen Sprößling dieser Ehe, den Prinzen Iwan, zum Thronfolger. Nach dem 1740 erfolgten Tode der Zarin führte zunächst ihr verrufener Günstling Biron (eigentlich Bieren) namens des jungen Iwan die Regierung, später seine Mutter oder vielmehr einer der Schöpfer Rußlands, der gewaltige Abenteurer Münnich, ein Oldenburger von Geburt. Indessen währte diese Regentschaft nur ein Jahr. Denn schon 1741 führte eine Revolution oder vielmehr ein bloßer Tumult berauschter Soldaten die jüngste Tochter Peters I., die schöne, üppige und träge Elisabeth, auf den Zarenthron. Der arme Knabe Iwan wurde in der Schlüsselburg eingekerkert, seine Eltern und Geschwister wurden samt ihrem Berater Münnich nach Sibirien geschafft.
Die neue Zarin Elisabeth verbrachte ihr Leben in sinnloser Verschwendung und schmachvollen Ausschweifungen. Es ist bekannt, daß sie ihre Tage mit albernem Toilettenkram und mit Trinken ausfüllte, um dann abends in den Armen irgendeines athletischen Grenadiers ihrer »Leibkompagnie« aus einem Rausch in einen andern zu fallen. Eine standesmäßige Ehe konnte unmöglich dem Geschmack einer solchen Dame zusagen. Es mußte daher für die Sicherung der Thronfolge anderweitig das Nötige vorgekehrt werden. Der unglückliche Iwan war zu diesem Ende in seinem Schlüsselburger Kerker nahe genug bei der Hand; allein die Zarin wollte nichts von ihm hören, sondern bestimmte den Sohn ihrer Schwester, den jungen Herzog von Holstein, zu ihrem Nachfolger und ließ zu Anfang des Jahres 1742 den jetzt vierzehnjährigen Prinzen aus Kiel nach Petersburg kommen. Armer Peter, dir wäre besser gewesen, du hättest daheim ein obskures Korporalsleben hingedehnt wie Dutzende deiner damaligen landsmännischen fürstlichen Kollegen. Du hättest ja auch, wenn du wolltest, König von Schweden sein können. Aber du wähltest ein für einen Menschen deines Schlages gefährlichstes Los: du ließest dich zum Zaren aller Reußen erheben, um an dir selbst die leidige Erfahrung zu machen, daß »Rußlands Verfassung eine durch den Meuchelmord verdünnte Despotie« sei Bald nach der Katastrophe vom März 1801, auf welche wir weiter unten zu sprechen kommen werden, schickte Georg III. den bekannten Grafen Münster als hannoverschen Gesandten nach Petersburg. Dem durch und durch germanisch-romanischen Minister machte es einen gewaltigen Eindruck, als ein hochgestellter Mann ihm an Ort und Stelle (d. h. im Michaelspalast) jede Nuance des tragischen Ereignisses (d. h. der Ermordung des Kaisers Paul) anschaulich wies und auf Münsters Entsetzen erwiderte: »Mein Gott, was wollen Sie, Graf? Das ist unsere Verfassung. Die Tyrannei, gemildert durch den Meuchelmord!«.
Zarin Elisabeth, deren männliche Ideale breitschultrige und stiernackige Herkulesse waren, zeigte sich bei der Ankunft ihres Neffen von seinem Aussehen wenig erbaut. Ein kränklich und schwächlich aussehender Junge mit langherabhängendem Semmelblondhaar, viereckig, scheu, dabei in allen Zweigen des Wissens »unglaublich unwissend«, so stellte sich der künftige Beherrscher Rußlands dar. Man gab ihm tüchtige Lehrer, aber da der Zögling jeder ernsten Beschäftigung einen unüberwindlichen Widerwillen entgegenstellte und sich im Grunde kein Mensch, am wenigsten seine zarische Tante, um sein Lernen oder Nichtlernen kümmerte, so blieb er ein ununterrichteter Klotz- und Trotzkopf, unter dessen kindischen oder rohen Liebhabereien die Soldatenspielerei die erste Stelle einnahm. Er war nicht ganz ohne geistige Anlagen, er war auch nicht ganz ohne gute Instinkte; allein diese zu stärken und jene zu entwickeln, dazu war der Hof der Zarin Elisabeth der letzte Ort auf Erden. Im November 1742 machte der Prinz die Zeremonie des Übertritts zur griechischen Kirche durch und hieß nun als anerkannter Großfürstthronfolger Peter Feodorowitsch. Im folgenden Jahre dachte man an die Verheiratung des Prinzen, zuerst mit einer sächsischen Prinzessin, die aber ihren Katholizismus nicht verbyzantinern lassen wollte. Hierauf klopfte man bei Friedrich dem Großen an, und zwar wegen seiner jüngsten Schwester Amalia – die, sagt man, den armen Trenck liebenswürdiger gefunden, als es sich für eine Königstochter schickte. Der König fand zwar nicht für gut, Herein! zu sagen, aber er machte die Zarin auf die Prinzessin Sophie Auguste Friederike von Anhalt-Zerbst als auf eine passende Frau für ihren Neffen aufmerksam, und zwar mit Erfolg.
Sophie Auguste Friederike wurde am 25. April 1729 zu Stettin geboren, wo ihr Vater, Fürst Christian August von Anhalt-Zerbst, als preußischer General in Garnison stand und Gouverneur war. Mütterlicherseits stammte sie aus der Familie ihres nachmaligen zarischen Gemahls, denn ihre Mutter war die Prinzessin Johanna Elisabeth von Holstein-Gottorp, welche sich im Jahre 1727 als Fünfzehnjährige mit dem um zweiundzwanzig Jahre älteren Fürsten von Anhalt vermählt hatte. Die Fürstin ergriff die Einladung der Zarin Elisabeth, mit ihrer Tochter nach Petersburg zu kommen, mit beiden Händen. Wahrscheinlich war die Sache zwischen ihr und dem König von Preußen, zu dem sie in sehr freundschaftlichen Beziehungen stand, abgekartet worden. Der Fürst freilich war mit dem Plane nicht einverstanden, weil ihm, dem ehrlichen Lutheraner, eine Religionsänderung seiner Tochter Skrupel machte. Allein der gute Mann scheint, obgleich ein General, in seinem eigenen Hause das Kommando nicht gehabt zu haben. Wenigstens kümmerte sich seine Frau wenig um seine Einwendungen gegen das russische Heiratsgeschäft und reiste im Februar 1744 mit ihrer Tochter nach Petersburg ab.
Wie bekannt, mußten die armen Fürstentöchter förmlich wie Ausstellungsware nach Petersburg kommen und wurden, wenn sie mißfielen, nicht selten in verächtlichster Weise für die Bettelfahrt abgelohnt. Für das Luthertum ist es recht bezeichnend, daß die protestantischen deutschen Fürstenhäuser mit größter Bereitwilligkeit dafür stimmten, ihre an russische Zaren oder Großfürsten zu verheiratenden Töchter die heimische Religion abschwören zu lassen, während die katholischen Dynasten Deutschlands in dieser Beziehung weit mehr Scham- und Ehrgefühl betätigten. Selbstverständlich ging die deutschfürstliche Hu–manität nicht so weit, vom russischen Hofe Gegenrecht zu fordern. Heiratet eine russische Prinzessin einen deutschen Fürsten, Herzog oder König, so bringt sie ihre griechischen Heiligenbilder und Popen mit, und der Herr Gemahl hat die Ehre, ihr in seiner Residenz eine griechische Kapelle einzurichten.
Diese russischen Heiraten! Sie machen eins der bittersten Schmerzenskapitel deutscher Geschichte aus. Jedermann weiß, daß der liebenswürdige Zar Alexander beim Wiener Kongreß dieses Kapitel mit einer zynischen Offenherzigkeit behandelte, wie sie sonst nicht die Sache dieses siebenfach destillierten Byzantiners war. Die Zersplitterung und Zerrissenheit Deutschlands, sagte er zum Freiherrn vom Stein, müßte erhalten werden, weil die zahlreichen deutschen Höfe das Material böten, die russischen Großfürsten und Großfürstinnen »mit passenden Mariagen zu versorgen«. Worauf der tapfere Freiherr den berühmten Grobianismus setzte: »Das freilich hab' ich nicht gewußt, daß Ew. Majestät Deutschland zu einer russischen Stuterei machen will.«
Wenn man erwägt, wie Friedrich der Große die Heirat der Prinzessin von Anhalt-Zerbst einfädelte und wie sich die Fürstinmutter bei der ganzen Sache benahm, dem Willen ihres Gemahls Trotz bietend, so dürfte man geneigt sein, ein im Jahre 1856 durch S. Sugenheim aufgebrachtes Kuriosum näher anzusehen, dessen Feststellung, wenn sie überhaupt möglich wäre, die europäische Skandalchronik um einen pikantesten Fall bereichern würde. Der genannte Gelehrte, seiner herben und mitunter barocken Form wegen mit allzu großer Mißgunst beurteilt, ist sonst ein keineswegs leichtgläubiger Mann und es muß, wenn man billig sein will, gesagt werden, daß seine Hypothese, die Prinzessin Sophie Auguste Friederike, nachmals Katharina II. sei eine natürliche Tochter Friedrichs II. gewesen, eines Scheines von Möglichkeit nicht entbehrt. Daß zwischen dem jungen Friedrich, welcher bekanntlich nichts weniger als ein Platoniker war, und der noch jüngeren Frau des in preußischen Diensten stehenden Prinzen von Anhalt eine vertraute Freundschaft bestand, ist Tatsache. Nicht weniger Tatsache ist, daß die vertraute Freundschaft eines siebzehnjährigen Wüstlings und einer noch um neun Monate jüngeren, an einen Mann, der ihr Vater hätte sein können, verheirateten Frau ein heikles Ding. Ein ziemlich unverdächtiges Zeugnis gibt auch an, daß gerade neun Monate vor Katharinas Geburt Friedrich seiner schönen Freundin einen mehrtägigen Besuch in Zerbst oder Dornburg abgestattet habe. Ferner ist bekannt, daß die Prinzessin ihre Kindheit am preußischen Hofe verbrachte, und endlich muß die angelegentliche Bemühung auffallen, welche Friedrich es sich kosten ließ, alle Hindernisse, die sich der Heirat derselben mit dem Großfürsten Peter entgegenstellten, zu beseitigen. Gewißheit ist freilich mit alledem nicht zu erlangen, und für die ernste Geschichte dürfte ja die ganze Hypothese gleichgültig sein.
Genug, der König von Preußen und die Fürstin von Anhalt erreichten ihren Zweck. Die junge Prinzessin gefiel bei ihrer Ankunft in Petersburg der Zarin. Schon am 9. Juli 1744 trat sie zur griechischen Kirche über, wobei sie den Namen Katharina erhielt, und am folgenden Tage ward sie mit dem Großfürsten verlobt. Nach Jahresfrist wurde der Bräutigam für mündig erklärt und am 1. September 1745 fand unter rauschenden Festlichkeiten die Hochzeit des jungen Paares statt, eine Hochzeit, welche, wie ein Frommer sagen würde, nicht im Himmel, wohl aber in der Hölle beschlossen worden.
Der neue Ehemann war ein läppischer Junge, was er sein Leben lang blieb; die neue Ehefrau ein Kind, aber ein Kind, das bereits vom Baume der Erkenntnis genascht hatte. Ich meine nicht etwa in geschlechtlicher Beziehung, denn was von Liebeleien Katharinas vor ihrem Auftreten in Rußland gemunkelt wird, gehört kaum in das Gebiet der Novellistik, geschweige in das der Historik. Das Temperament der Prinzessin war zu dieser Zeit noch nicht erwacht. Es bedurfte des Aufenthalts an einem über alle Maßen zuchtlosen Hofe, um es zu wecken. Einmal geweckt, wuchs es freilich rasch zu jener erschreckenden, bis ins höchste Alter andauernden Leidenschaftlichkeit empor, welche, wenn auch wahrscheinlich auf etwas Krankhaftes in ihrer körperlichen Organisation zurückzuführen, Katharina als Weib zu den verrufensten ihres Geschlechts gestellt hat. Aber für jetzt lebten und webten in diesem schönen Mädchenkopf ganz andere als Liebesgedanken, obgleich diese der Jugend der Prinzessin am natürlichsten gewesen wären. Der Psycholog steht mit Staunen vor dieser wunderbaren Frau, welche noch in kindlichem Alter, wo andere Mädchen kaum die Puppenstube beiseite stellen, nicht nur die kühnsten Entschlüsse eines brennenden Ehrgeizes faßt, sondern auch mit einer unergründlichen Heuchelei, mit einer eines Machiavelli würdigen Schlauheit und Verschlagenheit die Verwirklichung dieser Entschlüsse anstrebt und anbahnt. Man weiß nicht, worüber man sich mehr verwundern soll, ob über den genialen Instinkt dieses sechzehnjährigen Kindes oder über die vollendete Kunst und wunderbare Energie des Bösen, womit es den Eingebungen dieses Instinkts zu einem beispiellosen Triumphe verhilft.
Katharina hat uns zum Verständnis ihres Gebarens von ihrer Ankunft in Rußland an bis zum Jahre 1759 selber den Schlüssel geliefert; denn die Echtheit ihrer französisch geschriebenen, bis zu dem bezeichneten Zeitpunkt reichenden, durch Mittel, über deren Moralität uns kein Urteil zusteht, im Jahre 1858 in die Öffentlichkeit gekommenen Denkwürdigkeiten ist von keiner Seite her ernstlich oder nachhaltig in Frage gestellt worden Mémoires de l'impératrice Catherine II., ècrits par ellemême, et précédés d'une préface par A. Herzen. Londres 1858 (Denkwürdigkeiten der Kaiserin Katharina II., geschrieben von ihr selbst und eingeleitet durch eine Vorrede von A. Herzen. London 1858).. Mit souveräner Kühnheit ist in diesen Bekenntnissen dargelegt, wie sie den russischen Hof fand, wie sie die Verhältnisse und Personen durchschaute, welche Stellung sie von Anfang an als Endziel ins Auge faßte und wie sie zur Erreichung desselben ihr Benehmen einrichtete. Es kam über sie wie ein Blitz, daß sie das Zeug in sich habe, alle diese Menschen, diesen Hof, an den sie wie eine Bettlerin geschleudert worden war, diese auf der einen Seite rohen, auf der andern angefaulten Schranzen und Ränkespinner, dieses ganze unermeßliche Reich zu beherrschen.
Und der Blitz erschreckte sie keineswegs. Mit einer Geduld und Selbstbeherrschung ohnegleichen spann und knüpfte sie die Fäden ihres Netzes, um es, als die Zeit gekommen, allen über die Köpfe zu werfen, und kein Hindernis, keine Demütigung, keine Gefahr, keine Lust und kein Leid vermochte sie von der Arbeit an dem vielfach verschlungenen Gewebe abzubringen. Sie besaß die Fähigkeit, unter dem Anschein, allen dienstbar zu sein, alle sich dienstbar oder wenigstens dienlich zu machen, und wie alle Genies der Gewissenlosigkeit verstand sie im höchsten Grade die Kunst, ihre Werkzeuge zu wählen und, sobald sie vernutzt waren, wegzuwerfen. Niemand widerstand auf die Länge ihrer schmiegsamen Liebenswürdigkeit, mit alleiniger Ausnahme ihres Gemahls, und der Unglückliche sollte bald erfahren, wie gefährlich es sei, ihr widerstanden zu haben.
Die erste vertraute Eröffnung, welche der Querkopf Peter seiner Frau machte, war, daß er sterblich in eins der Hoffräulein der Zarin verliebt sei und sie, Katharina, eben nur heirate, weil seine Tante es haben wollte. Eine der Strömungen und Gegenströmungen, welche an diesem zerfahrenen und liederlichen Hofe tagtäglich wechselten, drohte die Prinzessin, noch bevor sie Großfürstin geworden, wieder aus Rußland wegzuschwemmen. Einer der wüsten Günstlinge Elisabeths nämlich runzelte Katharina, als sie eines Tages kindische Possen treibend mit ihrem Bräutigam auf einem Fenstergesimse des Palastes hockte, an, sie möge nur ihr Bündel schnüren und sich hintrollen, woher sie gekommen. »Ich sah wohl«, erzählte sie, »daß mich mein Bräutigam ohne Bedauern hätte fahren lassen, und das war mir, so wie er war, ziemlich gleichgültig; aber die Krone von Rußland war mir nicht gleichgültig!« Diese Krone, sie wurde das Traumbild ihrer Nächte und die Arbeit ihrer Tage. »In dem Maße, in welchem mein Hochzeitstag sich näherte, wurde ich immer melancholischer. Mein Herz weissagte mir kein großes Glück: der Ehrgeiz allein hielt mich aufrecht. Ich trug auf dem Grunde meiner Seele ein ich weiß nicht was, welches mich nie auch nur einen Augenblick zweifeln ließ, daß ich früher oder später dazu kommen würde, souveräne Kaiserin von Rußland zu sein, Kaiserin aus eigener Machtvollkommenheit.«
Und das war nicht etwa nur ein eitles Spiel der Phantasie. Unsere sechzehnjährige Ehrgeizige war keine Phantastin, und wenn sie dichtete, so waren ihre Gedichte Taten. Sie mußte die Augen offen haben und hatte sie offen. Es war fürwahr kein Spaß, in ihrer ebenso widerwärtigen und gefährlichen Stellung zwischen der in fast unausgesetztem Branntwein- und Wollustrausche dem Grabe zutaumelnden und doch wieder auf ihre Gewalt grenzenlos eifersüchtigen Zarin, zwischen einem kindischen Tabaksschmaucher, Trunkenbold und Gamaschenknopf von Strohgemahl und den lauernden Parteien der Höflinge den rechten, das heißt zur russischen Kaiserkrone führenden Weg zu treffen und einzuhalten. Aber es gelang ihr vollständig, denn, sagt sie, »ich gab mir Mühe, die Zuneigung aller zu gewinnen. Niemand wurde von mir vernachlässigt, weder Große noch Kleine. Ich machte es mir zur Regel, zu denken, daß ich aller bedürfe, und demnach alles zu tun, um mir Wohlwollen zu erwerben, und tat es mit Erfolg.« In unglaublich kurzer Zeit hatte es das geniale Kind in der Geschicklichkeit, die Russen zu behandeln, zur Meisterschaft gebracht, während der beschränkte und starrsinnige Peter von dieser Kunst niemals auch nur den ersten Buchstaben des Abc lernte, sondern durch kindisches Schimpfen auf alles Russische, durch taktloses Bevorzugen von Deutschen oder vielmehr von deutschen Unarten, durch ein in seiner Lage geradezu aberwitziges Nachäffen vom Räuspern und Spucken Friedrichs des Großen schon als Großfürst sich alle Welt zum Feinde machte und sich so recht borniert trotzig auf den Isolierschemel stellte, von dem er dann so kläglich herabgestürzt ist.
Katharina ließ keine Ziffer ihrer Zukunftsrechnung außer acht. Sie ging deshalb auch der russischen Geistlichkeit schmeichelnd um den Bart. Zwar hatte diese durch Peter I. jede unmittelbare Macht im Staate verloren, allein die kluge Großfürstin, die zu dieser Zeit angelegentlich Geschichte studierte, wußte gar wohl, daß die mittelbaren Einflüsse der Klerisei auf eine ungebildete Nation unermeßlich sind, und daß der Despotismus Meßbücher und Rauchfässer gerade so nötig hat wie Kanonen und Bajonette. Während daher ihr Gemahl mit einer Art brutaler Freigeisterei die russische Popenschaft bei jeder Gelegenheit vor den Kopf stieß, unterzog sich Katharina geduldig der schrecklichen Langweile, die kirchlichen Zeremonien pünktlich mitzumachen, und gab sich den Anschein, die langen Fasten der russischen Kirche strengstens zu halten.
Sie hatte demnach gar zuviel zu tun, zu beachten, zu ertragen und zu leiden, unsere kleine Schöne, die sich so resolut in den Kopf gesetzt, souveräne Kaiserin von Rußland zu werden. In Wahrheit, sie war zu dieser Zeit ein armes Käthchen. Man betrachte einmal nachstehendes Porträt, das ein Griffel von damals von dem Großfürsten Peter entworfen hat. »Mehr klein als groß, ist er von häßlichen Zügen, und seine Augen sind klein und widerlich. Quer über seinem kleinen Kopf und tief in die Stirn gedrückt sitzt ein ungeheurer Hut, der ihm ein kriegerisches Ansehen geben soll. Diese an sich schon groteske Figur trägt einen Anzug, an welchem der preußische Schnitt aufs lächerlichste übertrieben ist. Die beiden Storchbeine des Großfürsten sind dermaßen in ein Paar enger Gamaschen eingezwängt, daß seine Knie ihre Biegsamkeit verloren haben und diese militärische Marionette sich weder bequem niedersetzen, noch wie andere zweibeinige Wesen sich bewegen kann. Sein Gesicht, das von dem beschriebenen Hut halb bedeckt ist, verzerrt er unaufhörlich, so daß es fast unmöglich ist, ihn ohne Lachen anzusehen.« Es ist leicht zu erraten, wie angenehm die Tage waren, welche eine junge Frau – was sag' ich? – eine Jungfrau von Katharinas Schönheit, Geist und Art neben einer solchen Karikatur von Mann verbringen mußte.
Aber vollends die Nächte! Wie jedermann weiß, hatte der arme Tropf von Peter neben seinen übrigen Vorzügen auch einen organischen Fehler, der ihn verhinderte, seine Ehe zu wirklichem Vollzuge zu bringen. Statt dessen sah das Schlafgemach des jungen Paares die lächerlichsten Mysterien von der Welt. Nachdem nämlich den Tag über der Großfürst die Großfürstin gezwungen hatte, mit ihm Schildwache zu stehen und andere Soldatenspielerei zu treiben, mußte sie nachts mit ihm tun, was sie uns selbst erzählen soll: »Madame Kruse – die Kammerfrau der Großfürstin – verschaffte dem Großfürsten Spielzeug, Puppen und andere Kindereien, die er bis zur Narrheit liebte. Während des Tages verbarg man sie in und unter meinem Bette. Der Großfürst legte sich zuerst nach dem Abendessen nieder, und wenn wir beide zu Bette waren, schloß Madame Kruse die Tür, und der Großfürst spielte bis ein oder zwei Uhr morgens. Wohl oder übel mußte ich an diesen herrlichen Vergnügungen teilnehmen. Oft lachte ich darüber, aber häufig war es mir unangenehm und zuwider.« Armes Käthchen! Um so bedauerlicher, als du, wie du uns selber bekannt hast, gerade damals Brantômes Buch von den » Dames galantes« lasest, welches in einer bald siebzehnjährigen sozusagen Frau den Wunsch, andere Spiele als die eben erwähnten mitzumachen, sehr lebhaft zu erregen ungemein geeignet ist. Kein Zweifel, armes Käthchen, du hattest das klarste Recht von der Welt, im Rückblick auf mehrbesagte eheliche Puppenspielfreuden später zu sagen: »Ich war, denk' ich, zu etwas anderem gut ( il me semble, que j'étais bonne pour autre chose).«
Das dachte in einer ihrer spärlichen nüchternen Stunden auch Zarin Elisabeth, die große Liebhaberin von Likören und Grenadieren. Diese zärtliche Tante wollte einen Großneffen und Thronfolger sehen, gleichviel, woher er käme. Madame Tschoglokoff, Obergouvernante der Großfürstin, erhielt von der Zarin den Befehl, die nötigen Veranstaltungen zu treffen, und die Vollziehung dieses Befehls wurde durch den Umstand erleichtert, daß gerade damals mehrere glänzende junge Edelleute, wie Sergius Soltikow, Zachar Czernitschew und Leo Narischkin, in die Umgebung des Großfürsten gekommen waren und sein ganzes Vertrauen gewonnen hatten.
Es muß gesagt werden, daß Katharina länger widerstand, als man den Umständen zufolge hätte erwarten können; und es heißt nur gerecht sein, wenn man anerkennt, daß sie ihrem Gemahl jahrelang die Treue bewahrte, während der alberne Mensch, wahrscheinlich um sich als echter Prinz seines Jahrhunderts zu erweisen, sich den Anschein gab, als wäre er darauf versessen, Mätressen zu haben. Katharina hat uns das tragikomische Abenteuer erzählt, daß der Großfürst, wenn er nachts betrunken das eheliche Lager bestieg, seine schlafende Frau mit Faustschlägen zu wecken pflegte, um ihr die Reize seiner Mätressen zu schildern. Wie bekannt, bekleidete zuletzt die Gräfin Woronzow, eine Schwester der Fürstin Daschkow, welches letztere Mannweib die Großfürstin zu ihrer Busenfreundin zu machen verstanden hatte, die Sinekure einer Mätresse Peters. Ein gutmütiges, einfältiges, häßliches Geschöpf, von dem der in das damalige russische Hofleben tiefeingeweihte Major Masson in seinen Memoiren gesagt hat: »Sie berauschte sich mit ihrem Liebhaber und fluchte wie ein Soldat; sie spielte, stank und geiferte, wenn sie sprach.«
Einer solchen setzte Peter seine schöne, bezaubernde Frau nach und hatte die Folgen zu tragen. Gegen Neujahr 1754 hatte die Großfürstin endlich Aussichten, ein Kind zu bekommen. Wer der Vater war, ob Soltikow, Czernitschew oder auch Narischkin, lassen zwar die Memoiren Katharinas im unklaren, indessen geben die Ausdrücke, womit sie in ihren Bekenntnissen von Soltikow spricht – »er war schön wie ein Engel und ein vollendeter Meister in allen Liebesränken« – den nötigen Fingerzeig. Der Großfürst drückte sein Ungeheuer von Hut à la Frédéric le Grandnoch tiefer als gewöhnlich in die Augen, als er die überraschende Neuigkeit erfuhr, und ließ sich in Gegenwart Narischkins also vernehmen: »Der Himmel weiß, woher meine Frau schwanger geworden. Ich bin durchaus nicht gewiß, ob dies Kind mir gehört.« Narischkin eilte zur Großfürstin, um ihr diese bedenkliche Äußerung brühwarm zu hinterbringen.
Allein Katharina war ganz gefaßt und konnte es sein. Hatte sie doch, als nur erst sie selbst und etwa Soltikow von der gemeldeten großen Neuigkeit wußten, durch den Genannten als Präservativ gegen die Gefahr die höchst lächerliche Komödie in Szene setzen lassen, daß halb im Scherz, halb mit Gewalt der Großfürst einer Operation unterworfen wurde, um ihn von seinem organischen Fehler zu heilen oder ihn wenigstens glauben zu machen, er sei davon geheilt. Hierauf gestützt, ließ die Großfürstin, schon jetzt die ganze Kühnheit ihres Charakters entfaltend, ihrem Gemahl als Antwort auf seine berichtete Auslassung sagen, »ob er leugnen wollte, daß er bei ihr geschlafen? Wenn ja, würde sie die Sache der Zarin vorlegen und auf eine Untersuchung dringen.« Peter betrank sich, rauchte, schimpfte und fluchte nach Gewohnheit, aber er duckte sich und ließ es geschehen, daß das am 1. Oktober 1754 von Katharina geborene Kind als sein rechtmäßiger Sohn mit dem Namen Paul Petrowitsch getauft und als Großfürstthronfolger anerkannt wurde. Freilich machte dieses Ereignis die zwischen Peter und seiner Frau schon lange eingetretene Entfremdung unheilbar. Die beiden standen einander in erklärtem Kriegszustand gegenüber, und wenn nicht ein unberechenbarer Zufall für Peter ins Mittel trat, konnte es nicht zweifelhaft sein, wem schließlich der Sieg zufallen würde.
Katharina hatte ihre Partie ergriffen und ihre Stellung bemessen. Ihr jetzt in voller Stärke erwachtes glutvolles Temperament forderte Befriedigung; aber dieses außerordentliche Weib vergaß im Taumel der Liebesgenüsse niemals das große Ziel, das zu erreichen sie sich vorgesetzt hatte. Sie hatte einen bedeutenden Vorschritt dazu gemacht, als es ihr, noch vor der Geburt ihres Sohnes Paul, gelungen war, den mächtigsten Mann in Rußland, den Großkanzler Bestuschew, der das Reich regierte, für sich zu gewinnen. Sie verdankte dieser Verbindung nebenbei auch das Glück der Schäferstunden, die sie mit dem im Jahre 1755 an Soltikows Stelle getretenen jungen Polen Poniatowski feierte, den sie später zum Dank dafür zum Schattenkönig von Polen machte.
Der Haß, den ihr Gemahl gegen sie hegte, war ihr wohlbekannt. Bedrohte doch der schwache, unfertige und unschlüssige Mensch, den sein lebhafter Briefwechsel mit Friedrich dem Großen nicht zum Manne zu machen vermochte, bei seinen tumultuarischen Zechgelagen seine Frau, die er mit den gemeinsten Schimpfworten belegte, ganz offen mit seiner dereinstigen Rache. Sie sagt darüber in ihrer Beichte: »Bei diesen Drohungen des Großfürsten überlegte ich mein Geschick. Ich sah drei Wege vor mir. Erstens, das Wollen und das Schicksal des Großfürsten unter allen Umständen zu teilen. Zweitens, mich widerstandslos von ihm zugrunde richten zu lassen. Drittens, meinen eigenen Weg zu gehen, mich selbst, meine Kinder« – sie hatte im Dezember 1757 eine Tochter geboren – »und den Staat aus dem Schiffbruch zu retten, mit dem des Großfürsten Unfähigkeit uns alle bedrohte. Das erschien mir als das Zweckmäßigste. Ich beschloß also, dem Großfürsten den besten Rat über seine wahren Interessen zu geben, wo sich der Anlaß böte, im übrigen aber ein sehr strenges Schweigen zu beobachten und vor allem mein eigenes Interesse bei dem Publikum zu wahren, so daß ich ihm im Notfall als der Retter des Staatswohls erscheinen könnte.«
Freilich, wenn man beständig eine Kaiserkrone über seinem Haupte schweben sieht, mag es auch dem Besonnensten begegnen, einmal zur Unzeit einen kühnen Griff danach zu tun. Allem nach tat Katharina im Sommer 1757 einen solchen Griff oder ließ ihn wenigstens in ihrem Interesse geschehen. Es war gut für sie, daß sie schlau genug gewesen, sich beizeiten eine Fürsprecherin bei ihrem Gemahl zu sichern, welcher Fürsprecherin dieser nicht widerstehen konnte, nämlich seine Mätresse, die gutmütig-einfältige Elisabeth Woronzow, welche der Frau ihres Liebhabers bald sehr bedeutende Dienste leisten sollte.
Der Großkanzler Bestuschew nämlich trug sich, seitdem er mit Katharina politisch sich verständigt hatte, mit dem Gedanken, die Zarin so oder so dahin zu bringen, ihren Neffen Peter von der Thronfolge auszuschließen und diese an ihren offiziellen Großneffen Paul unter Vormundschaft von dessen Mutter zu übertragen. Ein gefährliches Erkranken der Zarin schien diesem Plan noch eine schnellere und weniger umständliche Verwirklichung zu sichern, das heißt Bestuschew und seine Koterie wollten im Falle von Elisabeths Tod ohne weiteres Paul als Zaren und die Großfürstin als Regentin ausrufen. Allein unverhofft genas die Zarin wieder und erfuhr, was im Werke gewesen. Im höchsten Zorn entsetzte sie Bestuschew seines Ministerpostens und verwies die Großfürstin, deren Mitwissenschaft freilich nicht erwiesen wurde, weil der Großkanzler reinen Mund hielt, auf zwei Monate vom – Hofe. Diese Strafe war an und für sich um so leichter zu tragen, als Katharina in ihrer Zurückgezogenheit zu Oranienbaum durch den schönen Poniatowski getröstet wurde. Die Großfürstin setzte übrigens bei dieser Gelegenheit den Hebel in ihrer verwickelten Intrigenmaschine in Bewegung, der Elisabeth Woronzow hieß. Auf Betreiben der gutmütigen Mätresse legte der unstete Peter bei seiner Tante Fürsprache für seine Frau ein, und Katharina durfte wieder zu Hofe kommen. Es wurde dort sogar eine allseitige Versöhnungsposse aufgeführt (April 1758).
Was dahinter war, sollte bald offenbar werden. Der Großfürst hatte unter andern wechselnden Launen auch die, mitunter den Eifersüchtigen zu spielen. So ließ er denn eines Abends den in der Verkleidung eines Koches zum Stelldichein mit der Großfürstin schleichenden Poniatowski aufgreifen und vor sich bringen. Nach etwelchen nicht sehr feinen Spottreden komplimentierte einer von Peters Zechgenossen den künftigen König von Polen mittels eines Fußtritts in den Hintern zur Türe hinaus Stanislaus August Poniatowski gehörte, die Talente abgerechnet, zu derselben Sorte von Menschen wie die hochselige Durchlaucht, der Herr Fürst von Metternich. Als dieser im Jahre 1808 aus einer Audienz beim Kaiser der Franzosen weggegangen war, brach der derbe Marschall Lannes in ein wieherndes Gelächter aus und sagte in seinem Wachtstubenton zu Napoleon: »Über diese Hundedemut und Nichtigkeit! Ich hätte ihm, während er mir dir sprach, von hinten einen Tritt geben können und du würdest vorne nicht das leiseste Zucken des süßen Mundes bemerkt haben.«. Damit war aber das Abenteuer noch nicht zu Ende. Der närrische Peter erhob diesmal ein großes Spektakel. Der schöne Pole mußte den Hof und Rußland verlassen. Die Zarin sprach in halbnüchternem Zustande davon, die Großfürstin in ein Kloster zu sperren. Wieder setzte Katharina den vorhin genannten Hebel in Bewegung. Die Mätresse beschwatzte den Großfürsten, seiner Gemahlin Verzeihung anzukündigen, was dieser wunderbaren Schauspielerin Gelegenheit gab, eine ihrer großen Szenen zu tragieren. Sie warf sich dem Gemahl zu Füßen und redete hinreißend schön von inniger Reue und ewiger Dankbarkeit. Ganz gerührt eilte der Großfürst zur Zarin, um auch von dieser Verzeihung für Katharina zu erlangen. Elisabeth, von Natur keineswegs dumm, sah viel heller als ihr Neffe; aber in ihrer Faulheit gewährte sie dessen Bitte und sagte nur warnend: »Du und deine Elisabeth Woronzow werden es zu bereuen haben, denn ich kenne Katharina.« Ein prophetisches Wort! Man sieht, Branntweindünste vermögen zuweilen so viel wie jener aus der Kluft von Delphi aufgestiegene Dunst, welcher die Pythia orakeln machte.
Die Zarin duselte noch bis zum Ende des Jahres 1761 so hin. Die Großfürstin hätte bei ihr einen schweren Stand gehabt, wenn Elisabeth in ihrem trägen Sinnentaumel die Dinge nicht hätte gehen lassen, wie sie eben gehen mochten. Auch hatte Katharina nicht versäumt, einen der letzten Beischläfer der Zarin, Iwan Schuwalow, zu ihrem Fürsprecher und heimlichen Bundesgenossen zu gewinnen. Ihre heimliche Bundesgenossenschaft mehrte sich überhaupt zu dieser Zeit bedeutend, und wenn es eine Partei am Hofe gab, die dem Plane zustimmte, nach Elisabeths voraussichtlich baldigem Ausgang die Großfürstin als Vormünderin ihres Sohnes Paul zur Regentin von Rußland zu erklären, so gab es auch eine andere, die, die geheimsten Gedanken Katharinas besser erratend als jene, alsbald nach Erledigung des Zarenthrons die Großfürstin zur Selbstherrscherin aller Reußen gemacht wissen wollte. Das Haupt der ersten Partei war der Graf Panin, Oberhofmeister des jungen Großfürsten Paul, das Haupt der zweiten war Katharina selbst. Dem Haupte fehlten die Hände nicht, und zwei äußerst tätige Hände hatte die ebenso kühne Streberin nach zarischer Selbstherrlichkeit wie beispiellos schmiegsame Heuchlerin in der Fürstin Daschkow und im Gregor Orlow gefunden.
Katharina Daschkow hat Memoiren hinterlassen, aber man muß in ihnen keine rücksichtslose Selbstschau zu finden erwarten; man findet in Wahrheit dort nur eine Selbstverteidigung, die das wirkliche Bild der Fürstin nicht erkennen läßt. Sie war ein Weib von stürmischer Begehrlichkeit und von raschwechselnden Launen in ihren Wollüsten. Von Natur grobknochig und tatarisch wild, in ihrem Gebaren fahrig und husarenmäßig, übte sie doch vermöge der Überlegenheit und Keckheit ihres Geistes auf ihre Umgebung einen großen Einfluß. Sie war selbst die Frau, einer Petersburger Orgie wildester Gattung vorzusitzen, und machte sich sicherlich ganz und gar nichts daraus, in Gegenwart ihrer männlichen Leibeigenen das Hemd zu wechseln oder noch Unaussprechlicheres zu tun, wie ja das in der russischen Großdamenwelt mitunter auch viel später noch Stil gewesen sein soll. Aber sie war zugleich eine echte Tochter der Epoche des aufgeklärten Despotismus, das heißt mit Wissenschaft und Fortschritt kokettierend, umstürzerisch und vorwärtsdrängerisch gesinnt, dem Revolutionsmachen von oben herab mit Leidenschaft zugetan. Ein Kraftweib, das sich zum Herrschen berufen glaubte und an diesem Hofe, wo Barbarei und Raffinement so wundersam ineinanderspielten, notwendig eine große Figur machen mußte.
Die Daschkow war der Großfürstin aufrichtig und aufopfernd zugetan, keine Frage; aber wenn sie sich mit der Illusion trug, mit und durch Katharina sich selbst zu erhöhen, wenn sie wähnte, es sei ihre Bestimmung, die künftige Beherrscherin von Rußland zu beherrschen, so war sie im Irrtum. Sie glaubte die Großfürstin zu kennen und wußte doch nicht, daß die Falschheit dieser Frau unergründlicher sei als die Tiefe des Ozeans. Wäre Schillers »Fiesko« im Jahre 1763 schon gedichtet und in Petersburg bekannt gewesen, so hätte Katharina Daschkow eines unschönen Tages Gelegenheit gehabt, sich zu sagen, daß die bekannte Stelle vom Mohren, der gehen kann, nachdem er seine Schuldigkeit getan, eine bittere Lebenswahrheit ausdrückt. Alle erreichbaren Zitronen auszupressen und die ausgepreßten dann mit vollendeter Grazie oder auch mit vollendeter Roheit wegzuwerfen, das ist ein Hauptgebot in dem Moralgesetzbuch dieser Welt, wo Dankbarkeit ein Traum, Redlichkeit eine Ideologie, Charakterfestigkeit eine Torheit, das glückliche Verbrechen ein Verdienst und der Erfolg eine Tugend ist, die einzige allgemein anerkannte und verehrte Tugend.
Neben der Katharina Daschkow ist von einer weiteren Katharina zu sprechen, die in der Umgebung der Großfürstin Katharina einen großen Stand hatte. Ich meine die Kammerfrau Katharina Iwanowna Tscherekowskoja, unter deren Obliegenheiten die einer »Anführerin« die erste Stelle einnahm. Ihre Herrin konnte ohne Liebhaber nicht mehr leben; aber sie wußte auch die Wollust zu einer Kupplerin der Macht zu machen. Der vorhin genannte letzte Günstling der Zarin Elisabeth, Schuwalow, hatte einen Adjutanten, den Artillerieleutnant Gregor Orlow, der für den schönsten Mann Rußlands galt. Die Fürstin Kurakin, Schwester Panins und Mätresse Schuwalows, hatte wie andere Damen des Hofes den schönen Orlow unwiderstehlich gefunden, allein der eifersüchtige Chef des jungen Offiziers störte den Fortgang dieser Liebschaft, indem er Orlow aus seiner Umgebung entfernte. Die vielerfahrene und vieltätige Tscherekowskoja verschaffte nun dem schönen Müßigen ausreichende Beschäftigung, indem sie ihn der Großfürstin zuführte, die sich so heftig in ihn verliebte, wie sie sich in seine Vorgänger verliebt hatte, ja noch heftiger.
Gregor machte seine Geliebte mit seinen Brüdern Alexei, Iwan und Fedor bekannt, die teils bei der Artillerie, teils bei der Garde dienten und eifrige Werber für Katharina wurden. Alexei, ein Mann von herkulischer Gestalt, soll mit seinem Bruder Gregor dessen intimste Verrichtungen bei der Großfürstin geteilt haben. Tatsache ist, daß Katharina von Gregor mehrere Kinder hatte. Sie gebar ihrem Geliebten zuerst einen Sohn, den sie unter dem Namen Basil Gregorewitsch Bobrinsky großziehen ließ und später mit Reichtümern überhäufte. Es war im Herbste des Jahres 1761, als sie mit genanntem Orlowschen Liebespfande schwanger ging, und dieser Umstand mußte verheimlicht werden, da der Großfürst längst allen vertraulichen Verkehr mit seiner Frau abgebrochen hatte. Das am Hofe umgehende Gemunkel machte auch die Zarin Elisabeth auf die Figur der Großfürstin aufmerksam, und sie maß diese eines Tages mit Blicken, die es Katharina rätlich erscheinen ließen, einen kranken Fuß zu bekommen, um nicht nötig zu haben, sich anders als sitzend vor der Zarin sehen zu lassen.
Am 24. Dezember 1761 alten oder am 5. Januar 1762 neuen Stils endete die Zarin Elisabeth ihre Ausschweifungen, das heißt ihr Leben. Kaum war ihr Todesröcheln verstummt, so brachten die Großen des Reiches, die Mitglieder des Senats und des Synods, die Prälaten, Minister, Generale und Admirale dem Großfürstenthronfolger als nunmehrigem Zaren und Selbstherrscher aller Reußen ihre Huldigungen und Treuschwüre dar. Ohne die geringste Schwierigkeit bestieg Peter III. den Thron seines Großvaters Peters I. für die Dauer von – sechs Monaten und fünf Tagen … Armer Junge, wie stolz und machttrunken mag dir zumute gewesen sein zur Stunde, da du zum erstenmal als Kaiser auftratest in der Uniform deines preobraschenskischen Garderegiments, in grüner Jacke mit rotem Halskragen und roten Aufschlägen, in strohgelber Pattenweste und strohgelben Hosen, die sich in steife Gamaschen verloren; über der Brust das blaue Band vom Sankt Andreas, den langen preußischen Zopf im Nacken, zwei große, stark gepuderte Haarrollen an die Schläfen gekleistert, das Degengehenk über der Hüfte, den Hut auf preußische Manier übergestülpt, den altfritzigen Stock in der Rechten.
Sechsmonatkaiser, wahre dich! Reize nicht die, die vorzeiten Puppenspiele mit dir zu treiben genötigt war. Sie hat seither andere Spiele gelernt und mischt schon zu einem die Karten, wo der Einsatz die Krone von Rußland ist. Aber du hast, o neuer Zar, von den allnächtlichen Schleichgängen des schönen Orlow zu deiner Frau gehört und auch von der eigentlichen Beschaffenheit ihrer Fußkrankheit? Und du wirst zornig und stampfst im Gefühl deiner zarischen Allmacht wütend auf den Boden und fuchtelst mit dem Stock in der Luft herum und fluchst wie ein Fuhrmann und schreist so laut, daß die gutmütige dicke Elisabeth Woronzow schier darob in Ohnmacht fällt: – »Soll untersucht werden, die saubere Schmiere, und wehe der verdammten … (Wachtstubenausdruck) … wenn sie schwanger! Ich lass' ihr die Haare scheren und sie in einem Kloster vermauern.« …
Armer Peter, es wäre klüger gewesen, etwas weniger laut zu drohen und etwas schneller zu handeln. Der, welcher Katharina überraschen wollte, mußte überhaupt früh aufstehen. Der Zar wollte seine Frau überraschen, aber er kam, wie Castéra erzählt, zu spät; denn »in dem Augenblick, wo er in das Zimmer der Kaiserin trat, fand er sie auf einem Sofa sitzend, wo sie, einige Stunden vorher, mit Hilfe der Iwanowna von der Bürde befreit worden war, die sie in die größte Gefahr gebracht hatte.« Man kann sich denken, was für ein Schafsgesicht der betrogene Ehemann gegenüber der Virtuosin in der Verstellungskunst gemacht haben mag. Wahrscheinlich hat sie ihn gerade bei dieser Gelegenheit – denn sie wußte die Gelegenheiten zu fassen und auszunutzen – mit souveräner Überlegenheit behandelt. Das Betragen, das er zunächst gegen sie einhielt, deutet darauf hin. Vom Haarabscheren und vom Kloster war keine Rede mehr. Ebensowenig davon, womit sich der jetzige Zar als Großfürst früher wiederholt prahlend gegen seine Zechgenossen herausgelassen, daß er, auf den Thron gelangt, den jungen Großfürsten Paul für einen Bastard und seine Ehe mit Katharina für nichtig erklären würde. Im Gegenteil, er tat nicht das Geringste, die jetzige Würde seiner Frau als Zarin zu beeinträchtigen, sondern bezahlte vielmehr ihre sehr beträchtlichen Schulden, erhöhte ihr Einkommen und machte ihr ein bedeutendes Geschenk in Krondomänen.
Wenn er darauf rechnete, Katharina durch solches wohlwollende Bezeigen zu gewinnen, so war das freilich eine arge Täuschung. Allein es heißt dem unglücklichen Mann nur Gerechtigkeit widerfahren lassen, wenn man sagt, daß sein Verhalten wohl gar nicht aus Berechnung entsprang. Peter besaß, seiner grotesk-korporalischen Manieren ungeachtet, eine Gutmütigkeit, die unendlich viel länger war als sein Verstand. Die erschreckliche Kürze dieses letzteren Artikels trat in dem Walten des neuen Zaren sofort zutage.
Es ist sicherlich eins der kläglichsten Schauspiele, auf dem Thron eines großen Reiches einen beschränkten, ungebildeten, querköpfigen und starrsinnigen Menschen zu erblicken, der alles umwandeln und umgießen will und mit dem besten Willen von der Welt nichts als Dummheiten zuwege bringt. Viele Maßregeln Peters zeugten von Gerechtigkeit und Humanität, selbst von Einsicht, aber alle verkehrten sich durch die Art, wie er sie zur Ausführung brachte, in ihr Gegenteil. Er hatte, wie schon früher bemerkt, nicht die entfernteste Idee, wie man die Russen behandeln müßte, und was noch schlimmer, er war taktlos genug, seine Verachtung für die Nation, deren Diadem er trug, ganz offen darzulegen. Vergebens sandte Friedrich der Große, dem, wie jedermann weiß, unermeßlich viel daran gelegen sein mußte, daß sein abgöttischer Verehrer Zar von Rußland bliebe, Brief auf Brief mit weisen Ratschlägen. Der zarische Vergötterer Friedrichs war nicht der Mann, weise Ratschläge zu beachten, zu verstehen und zu befolgen. Und gerade seine in läppischen Äußerlichkeiten aufgehende übertriebene Vorliebe für Preußen wurde bekanntlich einer der Sargnägel Peters III. Wie mußte es, um nur eine dieser Torheiten anzuführen, die hochmütigen Russen, welche noch vor kurzem mit den Waffen in der Hand in die preußische Hauptstadt eingezogen waren, erbittern, daß ihr Zar, als ihm König Friedrich das Patent eines preußischen Generals schickte, vor Freude darüber ganz närrisch tat und von da an fast nur noch preußische Uniform trug.
Falls dem klügsten und gewandtesten Menschen die Aufgabe gestellt worden wäre, binnen kürzester Frist alle Klassen der russischen Gesellschaft vor den Kopf zu stoßen, hätte er diese Aufgabe nicht gründlicher lösen können, als der arme Peter tat. Er verfeindete sich, mitunter gerade aus löblichsten Absichten, die Höflinge, den Adel, die Geistlichkeit, die Armee und das Volk. Alle seine Pläne wurden durchkreuzt, alles schlug zu seinem Unstern aus. Er wollte einen russischen Friedrich den Großen vorstellen und war doch nur Peter der Kleine von Holstein. Nicht ganz ohne Grund meinte er, die Russen müßten und wollten in der Manier Peters I. behandelt sein; der Fehler war nur, daß seine deutsche Krautjunkernatur dieser Manier niemals auch nur annähernd sich zu bemächtigen vermochte. Was half es ihm, daß er den klugen, tapfern, in russischen Verhältnissen ganz heimischen Feldmarschall Münnich aus dessen sibirischem Exil zurückberufen und in seine Umgebung gebracht hatte? Nichts, denn er befolgte Münnichs Ratschläge so wenig wie die des Königs von Preußen.
Es konnte nicht lange währen, so mußte jeder Hellsichtige erkennen, daß der Zar ein verlorener Mann sei. Jeder Tag, jede Stunde mehrte die Zahl der Unzufriedenen, und genau in dem Verhältnis, in welchem die Anzahl der Feinde Peters wuchs, nahm die Anzahl der Freunde Katharinas zu. Bald war, die nächste Umgebung des verblendeten Mannes ausgenommen, der Wunsch nach einer Veränderung allgemein und schwebte das Vorgefühl einer Katastrophe in der Luft.
Ob sich Katharina alle Möglichkeiten derselben klar gemacht, oder, deutlicher zu sprechen, ob sie den Gedanken fest ins Auge gefaßt, daß sie über den Leichnam ihres Gemahls wegschreiten müßte, um zum Throne zu gelangen, ist weder mit Bestimmtheit zu bejahen, noch mit Sicherheit zu verneinen. Möglich, daß sie dem Grafen Panin Glauben schenkte, der sie und sich selbst mit der Meinung täuschte, man könnte sich Peters entledigen, ohne daß es eines Mordes bedürfe. Unzweifelhaft sicher ist aber, daß Katharina im Sommer 1762 die Zeit gekommen glaubte, »wo sie als Retterin des Staatswohls erscheinen müßte«, und nicht weniger sicher ist auch, daß diese Frau, obgleich von Natur keineswegs grausam, ihr Leben lang vor keinem Mittel zurückschrak, Hindernisse auf ihrem Wege zu entfernen. Es wäre die lächerlichste Sentimentalität von der Welt, wollte man annehmen, die »Semiramis des Nordens«, die durch ihre Suwarow, Potemkin und Repnin ganze Völker erbarmungslos zu Boden stampfen ließ, während sie mit Voltaire und Diderot über Probleme der Humanität briefwechselte oder in der Eremitage zu Zarskoje-Selo ihre berüchtigten » parties fines« (feine Lustbarkeiten) feierte, hätte sich große Skrupel gemacht bei dem Gedanken, einem Manne, der ihr nichts war und nie etwas gewesen war, könnte bei seiner gewaltsamen Entfernung vom russischen Thron etwas Russisches zustoßen.
Die Verschwörung gegen den Zaren wurde sozusagen bei hellem Tag und bei offenen Türen betrieben: man wußte ja, mit wem man es zu tun hatte. Graf Panin und die Daschkow wühlten in den Salons, die Brüder Orlow in den Kasernen, wohin übrigens auch die genannte Fürstin kam, um für Katharina zu weibeln und zu werben. Eingeweihte und tätige Verschwörer waren ferner der Piemontese Odart, Geheimschreiber der Zarin und für Geld zu jeder Schurkerei willig, der verworfene Staatsrat Teplow, der Generalprokurator Glebow, der Oberst Alsufiew, der Hauptmann Bibikow, der Hauptmann Passek. Als sehr eifriger Arbeiter für die Zwecke der Verschworenen tat sich der Erzbischof von Nowgorod, Setschin, hervor. Er war das Band, an dem Katharina die russische Geistlichkeit gängelte. Der französische Gesandte unterstützte das Komplott mit Geld, da es seinem Hofe höchst erwünscht sein mußte, wenn Peter III., das heißt die preußenfreundliche Politik in Rußland stürzte.
Alle die angedeuteten Machenschaften, insbesondere die Verführung der Soldaten, wurden, wie gesagt, so offen betrieben, daß jedermann die Gefahr sah, in der Peter III. schwebte, ihn selbst ausgenommen. Von Berlin kam eine dringliche Warnung. Vergebens. Der Oberst Budberg, den man für die Verschwörung hatte gewinnen wollen, unterrichtete den Zaren davon. Umsonst. Starrsinnig behauptete der unglückliche Mann, es existiere kein Komplott, und als er sich endlich auf flehentliches Bitten seiner Freunde herbeiließ, seinen Adjutanten Persiliow auf Kundschaft zu den Orlows zu schicken, trug das nur zur Bestärkung seiner Verblendung bei. Denn die Orlows merkten unschwer die Absicht des beschränkten und leichtblütigen Persiliow und benutzten diesen meisterhaft, seinen Herrn noch mehr in Sicherheit einzulullen, in eine Sicherheit, die so groß war, daß Peter unmittelbar vor seinem Sturze alles Ernstes sich mit dem Gedanken trug, die Karte von Europa in seiner Manier zu »korrigieren«, und alle Vorbereitungen getroffen hatte, sich an die Spitze einer Armee zu stellen, die zunächst gegen Dänemark bestimmt war.
Während er so den Träumen einer kindisch-phantastischen Politik lebte, trafen seine Frau und ihre Anhänger die letzten Vorbereitungen, den großen Schlag zu führen. Am 7. Juli eröffnete sich Panin dem Grafen Rasumowsky, Hetman der Kosaken, und dem Fürsten Wolkonski, Obersten der Garde zu Pferde. Beide, wie auch der General Betzkoi, traten der Verschwörung bei. Gerade an diesem Tage ereignete sich aber ein Zwischenfall, der das ganze Unternehmen hätte zunichte machen können. Der Hauptmann Passek, ein roher Trunkenbold, der sich schon wiederholt erboten hatte, den Zaren zu ermorden, sprach in der Trunkenheit ganz laut von der bevorstehenden Palastrevolution. Das brachte ein Soldat, der von Passek mißhandelt worden war, zur Anzeige, und der Hauptmann wurde am 8. Juli verhaftet. Wenn er freiwillig oder während der Tortur plauderte? Dann war alles verloren, falls man nicht das Prävenire spielte. Panin sah das vollkommen ein und beschloß sofort den zündenden Funken an die Leitfäden der längst geladenen Minen zu bringen. Noch entschiedener trieb die Daschkow zur Eile. Sie, von der ein aus Petersburg vom 12. März 1763 datierter englischer Gesandtschaftsbericht sagt, daß sie kühn gewesen »über den männlichsten Mut hinaus und von einem Geiste, der fähig, das Unmögliche zu unternehmen, um irgendeine ihrer Leidenschaften zu befriedigen« – bestimmte namentlich die Orlows, denen im entscheidenden Augenblick der Mut versagen wollte, zu unverzüglichem Handeln.
Der Zar befand sich in der Sommerresidenz zu Oranienbaum, die Zarin in Peterhof. Dahin sandte Herr von Panin, nachdem er alle Führer der Verschwörung benachrichtigt und auf ihre verschiedenen Posten verwiesen hatte, in der Nacht zum 9. Juli den Alexei Orlow mit einer sechsspännigen Mietkutsche, die Zarin heimlich in die Hauptstadt zu holen, wo alles vorbereitet wurde, um sie, wie Panins Plan war, zur Regentin während der Minderjährigkeit ihres Sohnes Paul auszurufen. Die Vollziehung von Alexeis Auftrag wurde durch den Umstand erleichtert, daß Katharina nicht im Schlosse von Peterhof wohnte, sondern in dem am Ende des Parkes stehenden Pavillon Monpläsir. Sie wußte nicht, daß die entscheidende Stunde geschlagen hatte. Vorgestern noch hatte sie ihren Gemahl in Oranienbaum besucht und war mit großen Ehren empfangen worden. Gestern hatte sie sich mit dem Zaren bei einem Feste getroffen, das ihnen der Feldmarschall Rasumowsky, Bruder des Hetmans, zu Gostiliz gegeben. Von diesem Feste zurückgekehrt, hatte sie sich zu Bett gelegt, als gegen vier Uhr in der Frühe der mit dem Wege zu ihrem Schlafzimmer wohlbekannte Alexei Orlow die Schlafende mit den Worten weckte: »Eilen Sie! Es ist kein Augenblick zu verlieren.«
Sie zauderte auch nicht einen Moment, sondern warf sich in die Kleider und in die harrende Kutsche. Neben ihr saß ihre getreue Tscherekowskoja, Orlow fuhr vom Bock aus den Wagen, hintenauf stand der Ofenheizer und nachmalige Geheimrat Schkurin und nebenher ritt der Hauptmann Bibikow. Zwischen sechs und sieben Uhr morgens langte Katharina bei den Gardekasernen zu Petersburg an, wo Gregor Orlow ihr entgegentrat und sie benachrichtigte, daß alles fertig und bereit sei. Die Garderegimenter strömten herbei und ließen sich von der großen Zauberin bezaubern. Um neun Uhr war sie in der kasanschen Kirche, wo der Erzbischof Setschin mit seiner Geistlichkeit sie erwartete. Das Tedeum, ohne welches es bei keinem welthistorischen Verbrechen abgeht, wurde angestimmt und darauf Katharina durch Setschin nicht, wie Panin gewollt, zur Vormünderin und Regentin, sondern, wie Gregor Orlow und die Daschkow wünschten, zur Selbstherrscherin von Rußland ausgerufen.
So war Katharina, noch bevor sie draußen in Peterhof vermißt wurde, souveräne Kaiserin geworden. Der ehr- und herrschsüchtige Traum der kleinen fünfzehnjährigen Prinzessin von Zerbst war erfüllt: sie war jetzt » l'impératrice souveraine de Russie, de son propre chef«. Nie ist ein verwegenerer Traum glänzender in Erfüllung gegangen. Noch an demselben 9. Juli 1762 ließ sie ein Manifest an die Völker ihres unermeßlichen Reiches ausgehen, worin sie sich als »Wir von Gottes Gnaden Katharina II., Kaiserin und Selbstherrscherin aller Reußen« ankündigte und aussprach, daß sie »zur Rettung des gefährdeten orthodoxen Glaubens und zur Wahrung der bedrohten Staatsehre Rußlands« von der Krone Besitz ergriffen habe. Die Revolution hatte bislang keinen Tropfen Blut gekostet, denn in ganz Petersburg rührte sich kein Finger für den rechtmäßigen Herrscher, dem vor nur sechs Monaten alle Treue geschworen hatten. Niemals vielleicht hat sich auf der einen Seite die Kühnheit des Verbrechens und auf der andern die Niederträchtigkeit der Menschen schamloser geoffenbart als bei dieser Haupt- und Staatsaktion, die von so unberechenbarem Einfluß auf die Geschicke Europas werden sollte.
Alle die Einzelheiten, wie Katharina sich am 9. und 10. Juli der Macht bemächtigt und sich darin festgesetzt hat, brauche ich nicht zu erzählen. Genug, alle Welt beeilte sich, ihr zu huldigen und zu schwören. Sie wußte ohne Zweifel diese Schwüre nach ihrem wahren Werte zu schätzen, aber sie wußte auch einen Bruch derselben zu verhindern. Sie sorgte bloß, daß sie im Besitze der Gewalt bliebe; damit war alles getan. Doch nein, noch nicht alles. Denn da draußen in Oranienbaum befand sich ein widerwärtiger Gegenstand, genannt Peter III., der so oder so beseitigt werden mußte. Die Orlows und Teplows waren nicht die Leute, etwas halb zu tun. Der arme Peter! Er hatte die letzten Tage in gewohnter Weise mit Soldatenspielen, Zechen und Rauchen verbracht. Sein Erstaunen, als er durch den Staatsrat Bressan die erste Kunde von den Vorgängen in Petersburg erhielt, war grenzenlos, und er begriff seine Lage gar nicht. Statt den Rat des alten Münnich zu befolgen, der wollte, daß der Zar mit seinen holsteinischen Garden sofort gegen die Hauptstadt marschierte, schickte er den Kanzler Woronzow dahin mit dem Auftrag, der Kaiserin seine Verwunderung über das Vorgefallene auszudrücken und sie und ihre Anhänger zur Rückkehr zu ihrer Pflicht aufzufordern. Natürlich lachte man dem Boten ins Gesicht, der als kluger Mann von Petersburg aus dem Zaren schrieb, er fände sich veranlaßt, dem »Willen der Nation ebenfalls nachzugeben und der Souveränin zu huldigen, die sich tatsächlich im Besitze des Thrones befände«. Die Ratten also verließen eine nach der andern das sinkende Schiff. Ein schwächlicher Versuch Peters, sich in Person der Seeburg Kronstadt zu bemächtigen, schlug gänzlich fehl. Er fand keinen Einlaß, da ein Sendling der Zarin die Festung bereits für diese in Besitz genommen hatte, und rat- und tatlos kehrte Peter nach Oranienbaum zurück. Der brave Münnich gab noch den Rat, der Zar sollte nach Pommern eilen und an der Spitze der dort stehenden russischen Armee nach Rußland zurückkehren. Umsonst. Der Zar war nicht der Mann, die Krone zu behaupten; er war ja nicht einmal der Mann, sie mit Würde zu verlieren. Bei der ersten Nachricht von dem Untergange Peters soll Friedrich der Große geäußert haben: »Ich bin gewiß, daß dieser Fürst mit dem Schwert in der Hand gestorben ist.« Wäre diese Äußerung historisch, so würde sie beweisen, wie sehr auch tiefe Menschenkenner mitunter fehlschießen.
Nein, der arme Peter ist nicht so heldisch gestorben … Nachdem Katharina in der Hauptstadt die nötigen Anordnungen getroffen, setzte sie sich am Nachmittag des 10. Juli mit den Garden nach Peterhof in Marsch, um den in dortiger Gegend spukenden Kaiserschemen zu bannen. Mit fünfzehntausend Mann zog sie zu diesem Zwecke aus, begleitet von der Daschkow und andern ihrer Getreuen. In der Uniform der Fußgarde ritt sie auf einem weißgrauen Tigerhengst an der Spitze der Truppen, um die Brust das Band des Andreasordens, auf den fliegenden Haaren einen Soldatenhut mit einem Eichenzweig, den Degen an der Seite. In dem Augenblick, wo sie zu Pferde stieg, bemerkte ein junger Fahnenjunker der Reitergarde, daß der Degen der Kaiserin ohne Portepee sei. Er nestelte das seine los, ritt vor und bot es ihr dar. Sie nahm es lächelnd an, und die Erscheinung des jungen Mannes von athletischem Bau und wildschönen Zügen prägte sich ihr tief ein. Er hieß Potemkin und sollte eines Tages als Liebhaber und Tyrann Katharinas der Schrecken von halb Europa werden.
In Peterhof angelangt, fand die Zarin dort ein Schreiben von ihrem Gemahl vor, worin er ihr anbot, sie zur Mitregentin anzunehmen. Als Antwort auf diese Lächerlichkeit ließ sie ihm durch Michael Ismailow, Gregor Orlow und den Fürsten Galizyn nach Oranienbaum sagen, er sollte eine förmliche Thronentsagungsurkunde, deren Entwurf sie ihm schickte, eigenhändig abschreiben und unterzeichnen. Ismailow richtete diese Botschaft kurzweg aus, und der arme Schwächling war bereit, alles zu tun, was man von ihm haben wollte. Indessen machten ihn die über alle Maßen schimpflichen und demütigenden Ausdrücke, in welchen das Dokument abgefaßt war, doch einen Augenblick stutzig.
Dies benutzte der alte Münnich zu einer letzten Mahnung: »Sie haben noch sechshundert treuergebene holsteinische Soldaten hier. Wenn Sie nicht als Kaiser zu leben wissen, so zeigen Sie wenigstens, daß Sie an der Spitze derselben als Kaiser zu sterben wissen.« Der alte Krieger hatte gut reden; Peter besaß nicht mehr Mut als ein Hase. Das erkannte Ismailow klärlich und sagte keck zu dem Mutlosen: »Tun Sie, was Sie wollen; aber einstweilen verhafte ich Sie im Namen der Kaiserin.« Der Jammermann gab seinen Degen ab, setzte sich, schrieb die Abdankungsurkunde ab und unterzeichnete sie. Dann wurde er mit seiner Mätresse Elisabeth Woronzow, die ihm treu blieb bis zuletzt, in eine schmutzige alte Kutsche gesetzt und nach Peterhof geschafft. Der Fahnenjunker Potemkin kommandierte die Eskorte. Als der entthronte Zar durch die Reihen der um Peterhof aufgestellten Truppen fuhr, begrüßten sie ihn mit dem Ruf: »Es lebe Katharina II.!«
Während diese in dem einen Flügel des Schlosses eine prunkvolle Cour abhielt, wurde ihr Gemahl in dem andern der unwürdigsten Behandlung unterworfen. Man riß ihm bei offenen Türen den Andreasorden und die Uniform ab und ließ ihn barfuß und im Hemd dem Hofgesindel zur Schau dastehen. Herr von Panin ging zu dem Unglücklichen und hat später erzählt: »Ich rechne es zu den Unglücksfällen meines Lebens, daß ich genötigt gewesen, ihn zu sehen. Ich fand ihn Tränen vergießend, und während er meine Hand zu ergreifen suchte, um sie zu küssen, warf sich seine Mätresse auf die Knie, um die Gnade zu erbitten, bei ihm bleiben zu dürfen.« Es ward ihr verweigert. Elisabeth Woronzow wurde in einem verschlossenen Wagen nach Moskau abgeführt. Den entthronten Peter packte man zwischen zwei Offiziere in eine Kutsche und schaffte ihn nach dem Lustschlosse Ropscha.
Am folgenden Tage hielt Katharina einen triumphierenden Einzug in Petersburg. An ihrer Seite ritt Gregor Orlow, der jetzt nur noch einen Schritt von seinem Ziel, der Gemahl seiner kaiserlichen Geliebten zu werden, entfernt zu sein glaubte. Eine Reihe von rauschenden Festlichkeiten begann. Die stumpfsinnige Menge jubelte, die Popen psallierten, die Soldaten schwammen in Branntwein. Die große Verbrecherin überschüttete ihre Mitschuldigen mit Würden, Titeln, Orden, Rubeln und »Seelen«. Die Orlows wurden gegrast, Gregor ward General, Herr von Panin Premierminister. So ist die Gerechtigkeit der Welt.
Aber aus all dem Festglanz tauchte immer wieder, einem bei hellem Tage umgehenden Gewissensbisse gleich, die Gestalt des armen Peter auf, den man vom Zaren aller Reußen zum Herzog von Holstein degradiert hatte. Bewacht durch eine Anzahl von Offizieren und Unteroffizieren, auf die sich die Orlows unbedingt verlassen konnten, saß er draußen in Ropscha, der Abreise nach Holstein gewärtig. Denn trotz alledem, was vorgefallen, und obwohl man ihm die Bitte, man möchte ihm eine Bibel und seine Geige geben und seinen Mohren und seinen Lieblingshund zu ihm lassen, höhnisch abgeschlagen hatte, war er weit entfernt, aus den drohenden Prämissen seiner Erlebnisse den letzten tragischen Schluß zu ziehen. Eingewickelt in seine Borniertheit, machte er vielleicht Pläne, in seiner Weise daheim seine Holsteiner zu beglücken, da sich die undankbaren Russen nicht von ihm hatten beglücken lassen wollen, und vertrieb sich vorderhand die Zeit damit, daß er mit Kreide Um- und Aufrisse von Schanzen und Festungen auf seinen Tisch zeichnete. Kein Zweifel, der entthronte Zar hätte sich unschwer darein gefunden, in irgendeiner einigermaßen wohnlich eingerichteten Festung den Rest seines Daseins zu verbringen und statt wie bisher mit lebendigen mit bleiernen Soldaten zu spielen.
Es war aber anders beschlossen, denn es gab Leute, deren belastetem Gewissen diese harmlose Existenz als eine ungeheuer bedrohliche erschien. Die Orlows wollten Peters Tod, und auch dem kühl rechnenden Panin mag er als eine politische Notwendigkeit sich dargestellt haben. Möglich, daß der Minister, wie eine unserer Quellen will, nach einem Mittel suchte, um die »Inkonvenienz« zu vermeiden, die stattgehabte Palastrevolution mit einem Morde zu krönen. Allein man ließ ihm nicht Zeit, ein solches Mittel ausfindig zu machen. Waren doch schon ein Dutzend oder mehr Hände ausgestreckt, deren Eigentümer sich kaum mehr daraus machten, den entthronten Zaren zu töten, als sie sich daraus gemacht hätten, ein Kaninchen umzubringen. Dem größten Lügner der Weltgeschichte, Napoleon I., ist einmal begegnet, eine Wahrheit auszusprechen, – damals, als er von den Russen sagte: » Soulevez l'épiderme et vous trouverez le tatare« (Nehmt die Oberhaut weg, und ihr findet den Tataren). Ob die gefirnißten Tataren, die Orlows, ihren Mordplan von Anfang an der Zarin mitgeteilt haben, sei es durch blanke Worte, sei es durch Winke, ob Katharina damit einverstanden gewesen, darüber wird sich wohl niemals ein urkundlicher Beweis führen lassen. Was aber feststeht, ist, daß sie nichts, entschieden nichts getan hat, um das Entsetzliche zu verhindern. Vollends ganz lächerlich wäre die Annahme, eine Frau von so durchdringender Verstandesschärfe habe sich nicht vorzustellen vermocht, wie das am 9. Juli in Szene gegangene Stück, dessen Hauptperson sie selber war, enden könnte, enden müßte.
Wäre bei solchen Taten überhaupt eine Entschuldigung zulässig, so konnten die Orlows und ihr Anhang für sich anführen, daß es gleich gefährlich scheinen mußte, den abgesetzten Zaren nach Holstein heimzuschicken oder ihn als Gefangenen in Rußland zu behalten. Denn in beiden Fällen war die Möglichkeit einer Gegenrevolution denkbar, wenigstens für Leute, welche Grund hatten, zu befürchten, man würde die von ihnen gebrauchten Mittel bei Gelegenheit gegen sie selbst in Bewegung setzen. Endlich mußte die feste Absicht des Gregor Orlow, der legitime Gemahl Katharinas zu werden, jedes Bedenken beseitigen. Gregor Orlow dachte, was der Konventsmann Barère dreißig Jahre später aussprach: »Nur die Toten kommen nicht wieder.« Der Tod Peters war beschlossen, und Alexei Orlow setzte mit sozusagen tatarisch-barbarischer Offenheit die Ausführung ins Werk.
In der Morgenfrühe des 17. Juli ritt Alexei nach Ropscha. Er hatte eine Flasche vergifteten Burgunders in seiner Satteltasche, denn der entthronte Zar liebte Burgunder vor allen übrigen Weinen. Den athletischen Mordgesellen begleiteten sein Bruder Gregor, Teplow, Fürst Borjatinski der jüngere und der Schauspieler Wolkow. Nach ihrer Ankunft in Ropscha wurden noch Fürst Borjatinski der ältere, der Sergeant Engelhardt und zwei Gardesoldaten in das beabsichtigte Unternehmen eingeweiht. Einer Nachricht zufolge soll auch Potemkin mit von der Partie gewesen sein, was sich aber keineswegs feststellen läßt. Waren doch der handelnden Mitspieler in dem kurzen Schauerdrama ohnehin genug. Alexei Orlow und Teplow gingen zu Peter hinein, der in seinem Schlafrock am Tische saß und zeichnete. Sie sagten dem Unglücklichen, daß sie gekommen seien, ihm anzuzeigen, er würde bald in Freiheit gesetzt werden, und erbaten sich die Erlaubnis, samt ihren Begleitern mit ihm zu speisen.
Der erhaltenen Nachricht froh, gibt der arme Peter von Herzen seine Einwilligung. Der Tisch wird gedeckt und man setzt sich zur – Henkersmahlzeit, um sie mit Wachtstubenspäßen zu würzen, wie der entthronte Zar sie liebte und zu hören gewohnt war. Er bemerkte nicht den in den Augen seiner Gäste lauernden Mord. In aufgeheiterter Stimmung fordert er sein burgundisches Lieblingsgetränk. Alexei Orlow macht ein Zeichen, die vergiftete Flasche wird hereingebracht und das Glas Peters daraus gefüllt. Er leert es, aber der Giftbeisatz ist so stark, daß die Wirkungen augenblicklich eintreten und der verlorene Mann spürt, was er getrunken. Er bricht in Klagen aus und schreit nach Milch. Seltsam zu sagen, die Mordbande wehrt der Anwendung dieses Gegengiftes nicht: so wahr ist es, daß selbst Frevler vom Schlage der Orlows zuweilen stutzig werden, wenn es sich darum handelt, den Punkt auf das i der Missetat zu setzen.
Der Vergiftete schlang hastig die begehrte Milch hinunter, und die Folge hiervon war ein heftiges Erbrechen. Während er sich auf seinem im Zimmer stehenden Bette wand, ging Alexei mit seinen Gesellen hinaus, zu beraten, was jetzt zu tun wäre. Rasch wurden sie schlüssig, mit Arm und Hand zu vollenden, was das Gift zu tun übriggelassen. So treten sie wieder zu dem Entthronten herein, und es hebt eine Szene an, mit welcher verglichen die Hinrichtung Ludwigs XVI. den feierlichen Eindruck einer griechischen Tragödie macht, – eine Szene, von der nur in der russischen Geschichte ein zweites Beispiel vorkommt.
Alexei Orlow und Teplow werfen sich auf den armen Peter, und der erstere packt ihn an der Kehle. Peter springt auf, fährt seinem Angreifer mit den Nägeln ins Gesicht und kreischt ihm zu: »Was hab' ich dir zuleide getan?« Wider alles Vermuten wird Alexei durch diesen Vorwurf so betroffen und verwirrt, daß er sein Opfer losläßt und in ratloser Unschlüssigkeit im Zimmer herumläuft. Aber jetzt greifen die übrigen Mitglieder der Bande zu. Man wirft den Zaren auf das Bett und sucht ihn durch Kissen zu ersticken. Er vereitelt diesen Versuch, indem er mit Händen und Füßen verzweifelt Widerstand leistet. Die Mörder zerren den Verlornen vom Bette weg auf einen Lehnstuhl und suchen ihn da zu erwürgen. Er kämpft mit Wut um sein Leben. Sie werfen ihn zu Boden, halten ihm Hände und Füße fest, knien, treten und stampfen ihm auf Brust und Unterleib herum. Der so Gemarterte hat nur noch den Mund frei und stößt ein gellendes Geschrei aus. Schrecklich muß es anzusehen gewesen sein, wie diese Rotte von Bösewichten gegen den einzelnen Mann ihre Kräfte mörderisch aufbot; noch schrecklicher zu sagen, daß von der längs der Fenster des Mordzimmers hinlaufenden Terrasse her mehrere Leute den gräßlichen Auftritt mitansahen und niemand dem armen Opfer zur Hilfe eilte. Doch ja, jemand tat dies. Ein deutscher Wundarzt, Lüders geheißen, eilt auf das Hilferufen des Zaren herbei, wird aber von den beiden erwähnten Gardesoldaten sogleich wieder zur Tür hinausgestoßen. Man muß so oder so zu Ende kommen. Fürst Borjatinski der ältere rafft eine Serviette vom Tische, knüpft sie zu einer Schlinge und wirft sie dem Kaiser um den Hals. Noch etliche Minuten lang windet, krümmt und bäumt sich der Unglückliche unter den Fäusten und Füßen seiner Peiniger. Endlich zieht der Sergeant Engelhardt – sein Henkersdienst wurde nachmals mit dem Generalsrang belohnt – die Schlinge mit äußerster Gewalt zu und der Zar verröchelt.
So starb Peter III. in der dritten Nachmittagsstunde des 17. Juli 1762. Als er tot war, riefen die Mörder den Wundarzt Lüders herein, da »der Zar einen Blutsturz bekommen«. Der ehrliche Lüders zuckte die Achseln, betrachtete den Leichnam und sagte trocken: »Habe den Kaiser lange genug gekannt, um zu wissen, daß er nicht lange leben würde.« Alexei Orlow setzte sich zu Pferde und ritt spornstreichs nach Petersburg, der Zarin die Todeskunde zu bringen. Sie hatte ihren Abendzirkel um sich versammelt und war gerade im Erzählen einer pikanten Geschichte begriffen. Sie wußte pikante Geschichten so reizend zu erzählen! Alexei ließ sie herausrufen und teilte ihr in zweideutigen oder vielmehr für ihre Ohren unzweideutigen Ausdrücken mit, daß Peter »eines natürlichen Todes gestorben«. Worauf Katharina: »Daß dieser Todesfall auch gerade jetzt stattfinden mußte! Was werden die Leute nicht alles darüber schwatzen! … Man rufe Panin.« Der Minister kam und riet, den Tod des Zaren erst am folgenden Tage bekanntzumachen. Die Zarin ging zur Gesellschaft zurück, nahm ihre unterbrochene Geschichte wieder auf und erzählte sie mit vollkommener Unbefangenheit und Heiterkeit zu Ende.
Ja, dieser großen Verbrecherin, welche Byron mit mehr Gerechtigkeit als Galanterie die » greatest of all sovereigns and whores« (größte aller Herrscherinnen und Huren) genannt hat, stand Lächeln und Weinen gleichermaßen zu Gebote. Tags darauf, als man den Tod Peters veröffentlichte, zerfloß sie in Tränen. Sie war überhaupt in allem und jedem ein Genie des Despotismus. Daher die Geschicklichkeit, womit sie bei jeder passenden Gelegenheit die »göttliche Vorsehung « als Deckfigur vor sich hinschob. So ließ sie am 16. Juli ein Manifest ausgehen, in welchem sie den Völkern Rußlands verkündigte, »der gewesene Kaiser sei häufigen Anfällen von Hämorrhoidalkolik ausgesetzt gewesen und einem solchen Anfalle sei er, aller angewendeten Heilmittel ungeachtet, nach dem Willen Gottes erlegen.« Ferner: »Ich lade alle getreuen Untertanen ein, dem verstorbenen Kaiser die letzte Ehre zu erweisen und für die Ruhe seiner Seele zu beten, zugleich aber diesen unerwarteten Todesfall als eine Wirkung der göttlichen Vorsehung anzusehen, welche nach unerforschlichen Ratschlüssen Mir, Meinem Thron und dem Vaterlande die richtigen Wege anzeigt.« … Glaubt man nicht das voltairesch-zynische Hohnlächeln zu sehen, das Katharinas Lippen gekräuselt haben muß, als sie dieses fromme Edikt unterzeichnete? Ach, mitunter, ja sehr häufig sogar fällt es einem doch recht schwer, die Weltgeschichte statt für eine Tragicomoedia humana (menschliche Tragikomödie) nicht vielmehr für eine Tragoedia, diabolica, (teuflische Tragödie) anzusehen.
Im russischen Volke ging noch ein Dutzend Jahre lang die Sage um, Peter III. wäre nicht gestorben, sondern hätte sich vor seiner Frau in die Verborgenheit geflüchtet, eine Sage, welche wesentlich in dem Umstand wurzelte, daß man nachlässig genug gewesen, die gebräuchlichen Seelenmessen für den gemordeten Zaren nicht lesen zu lassen. Wie bekannt, sind, auf diesen Volksglauben sich stützend, nacheinander sieben falsche Peter aufgetreten, um sich als Peter III. geltend zu machen, und einer dieser Abenteurer, Pugatschew, hat den Thron Katharinas ernstlich in Gefahr gebracht. Ihr wunderbares Glück ließ sie jedoch auch über diese wie über so viele andere Gefahren triumphieren. Es ist eine Tatsache, wohlgeeignet, das Nachdenken zu erwecken und zu einer düsteren Weltanschauung hinzuleiten, daß dieses schamlos lasterhafte Weib die Geschicke Europas bestimmte, bis ihm eine noch dämonischere Macht, die Französische Revolution, das Zepter aus der Hand wand.
Schamlos lasterhaft! Ein milderer Ausdruck wäre Verrat an der Majestät historischer Wahrheit. Die Mythen von der babylonischen Semiramis, die Sagen von der ägyptischen Kleopatra, Katharina II. hat sie zur Geschichte gemacht. Es geschah hier das Unerhörte: denn mit einer beispiellosen Rücksichtslosigkeit machte die Zarin die Befriedigung ihrer zügellosen Begierde zu einem Hauptmotiv des Staatslebens. Die Stelle eines Beischläfers der Zarin wurde zum ersten und obersten Staatsamt erhoben. Die wechselnde Besetzung dieses mit allen Mitteln der Intrige und Niederträchtigkeit erstrebten Amtes war eine förmliche Hof- und Staatsaktion, die ihr eigenes Zeremoniell hatte. Waren die Augen Katharinas auf einen jungen Mann gefallen, so wurde er förmlich in seinen Beruf eingeschult. Rogerson, der Leibarzt der Kaiserin, und ihre vertraute Kammerfrau, die Pratassow, welche den bezeichnenden Beinamen » L'éprouveuse« (die Prüferin) führte, mußten mit dem Kandidaten das nötige Examen vornehmen. Fiel ihr Bericht günstig aus, so erschien am folgenden Tage die Zarin öffentlich am Arm eines jungen Menschen, den vielleicht gestern noch niemand gekannt hatte und dem heute schon ganz Rußland zu Füßen lag. Und das ging so fort bis zum Tode Katharinas. Selbst in ihrem höchsten Alter noch zog sich die Zarin allabendlich angesichts des ganzen Hofes mit dem Günstling in ihr Schlafgemach zurück, und häufig mußten ihr Sohn und ihre Enkel das mit ansehen. Nie, solange die Welt steht, hat eine Frau die Verachtung weiblicher Würde und Schamhaftigkeit weiter getrieben. Es war gewiß nicht nötig, die Ausschweifungen Katharinas noch zu übertreiben, wie man getan hat. Ihre angeblichen Berauschungen in Wein und Branntwein, ihre Liebeshändel mit unterwegs aufgelesenen Soldaten und Lakaien sind schlecht ersonnene Fabeln. Auf der andern Seite ist es, wenn man das durchaus authentisch beglaubigte Günstlingswesen, wie es sich eingerichtet hatte, betrachtet, ziemlich unbegreiflich, wie etliche Geschichtsschreiber behaupten konnten, Katharina hätte »stets einen gewissen äußern Anstand« beobachtet. Als richtig dagegen muß anerkannt werden, daß sie sich von ihren Günstlingen wohl betrügen, nicht aber, den einzigen Potemkin ausgenommen, beherrschen ließ.
Gregor Orlow behauptete sich zwölf Jahre lang in der Gunst seiner Gebieterin. Kaiser Joseph II. erniedrigte sich der Zarin zu gefallen soweit, diesen Menschen im Jahre 1772 zum deutschen Reichsfürsten zu ernennen. Gregor erlag fast unter der Bürde seiner Würden und Orden. Er spielte mit Millionen wie mit Kieselsteinen, und um sein Amt bei der Kaiserin recht deutlich zu signalisieren, hatte er in ganz Rußland allein das Recht, das Porträt derselben mit einem ungeheuren Diamanten im Knopfloch zu tragen. Aber der Gemahl seiner Kebse wurde er doch nicht. Panin arbeitete dem entgegen, und Katharina wollte Liebhaber, aber keinen Gemahl mehr. Sein gebieterischer Hochmut ermüdete endlich die Kaiserin. Er wurde zunächst durch einen ganz unbedeutenden jungen Menschen, namens Wassiltschikow, aus ihrem Bette verdrängt, dann nachhaltiger durch Potemkin. Gregor Orlow vermochte es nicht zu ertragen, nicht mehr die zweitgrößte Figur in Rußland zu machen. Er fiel in Geisteszerrüttung und zuletzt in eine solche Raserei des Wahnsinns, daß er sich von seinem eigenen Auswurf nährte, bis er im Jahre 1783 starb.
In Gregor Potemkin fand Katharina ihren Meister. Er überheuchelte die große Heuchlerin, um sie zu beherrschen. Nachdem er in der Revolution von 1762 eine untergeordnete Rolle gespielt, machte er unter Romanzow einen Feldzug gegen die Türken mit und kam zu Anfang des Jahres 1774 als Generalmajor nach Petersburg zurück. Die Zarin hatte den stattlichen, athletischen Fahnenjunker, der ihr am 10. Juli 1762, als sie sich an die Spitze der rebellischen Garden stellte, um sie nach Peterhof zu führen, sein Portepee geliehen, nicht vergessen, und Potemkin seinerseits wußte in den meisterhaft berechneten Szenen einer förmlichen Komödie seiner Gebieterin eine Leidenschaft vorzuspielen, die nicht weniger ihrer Eitelkeit als ihrer Sinnlichkeit schmeichelte. Er trieb es so weit, daß er aus angeblicher Verzweiflung über die Kühnheit und Hoffnungslosigkeit seiner Liebe in ein Kloster ging – für etliche Tage.
Der Originalität eines derartigen Werbens vermochte Katharina nicht zu widerstehen. Schon im Mai 1774 ward der gute Wassiltschikow abgedankt und Potemkin zum Generaladjutanten erhoben. Bald offizieller Günstling, trat er ganz offen mit seiner Absicht hervor, sich an die Spitze der Staatsgeschäfte zu stellen, und er erreichte diese Absicht; denn mit der Brutalität eines Mongolen die Schlauheit eines Armeniers verbindend, verstand er es, der Zarin zugleich Liebe und Furcht einzuflößen. Auch dann, als sie in der Folge seiner Umarmungen satt war, wagte sie nicht, den Bann seiner Tyrannei zu brechen. Er hinwieder war ganz zufrieden, seine Verrichtungen als Liebhaber bei der Kaiserin einzustellen, und diente unter dem Anschein, ihrer Herrschsucht zu dienen, seiner eigenen grenzenlosen Ehrsucht. Jedermann weiß, welche Phantasmagorien von Eroberung und »Zivilisation« Katharina von Potemkin wohlgefällig sich vorschwindeln ließ. Aber sie mag dennoch wie erlöst aufgeatmet haben, als sie im Herbst von 1791 erfuhr, daß ihr langjähriger Despot auf dem Wege von Jassy nach Nikolajew in der Steppe gestorben sei.
Potemkin selbst hatte es übernommen, seiner kaiserlichen Mätresse Liebhaber zuzuführen. So den Sekretär Zavadovski, so den Husarenleutnant Zoritsch, einen Serben. Beide hielten nicht lange vor. Ebensowenig der Sergeant Korsakow, der im wörtlichen Sinne aus der Wachtstube der Palastwache in das Bett der Zarin befördert wurde. Dieser junge Mensch war ungebildet wie ein Baschkir. Nach seiner Erhöhung wollte er in seinem prächtig eingerichteten Hause auch eine Bibliothek haben, weil alle vornehmen Leute solche hätten. Er ließ deshalb einen Buchhändler kommen und bestellte bei diesem eine große Masse von Büchern. »Aber was für welche?« »Ei, das müssen Sie besser wissen als ich, denn das ist Ihre Sache. Große Bücher unten, kleine oben, wie die Kaiserin sie hat.« Dieser Dummkopf wagte es auch, seiner kaiserlichen Geliebten untreu zu sein. Eines Tages erlebte Katharina den Verdruß, den Undankbaren auf ihrem eigenen Bette in den Armen ihrer schönen Ehrendame, der Gräfin Bruce, zu überraschen. Die Zarin, nur dann, aber dann auch unerbittlich grausam, wenn es sich um Befriedigung ihrer unersättlichen Herrschsucht handelte, begnügte sich, die beiden Schuldigen vom Hofe zu verweisen.
Auf Korsakow folgte der schöne, sanfte, liebenswürdige Lanskoi, den Katharina von allen ihren Liebhabern am tiefsten und wahrsten geliebt hat. In der Tat, auf ihr Verhältnis zu Lanskoi darf das Wort Liebe ohne allzu große Entweihung angewandt werden. Potemkin wurde durch die Stärke dieser Neigung der Zarin ernstlich beunruhigt, so ernstlich, daß er Veranlassung zu dem Gerüchte gab, er hätte dem Günstling Gift beibringen lassen. Gewiß ist, daß der arme Lanskoi – freilich nicht arm in der gewöhnlichen Bedeutung des Wortes, denn seine Geliebte hatte ihn so mit Geschenken überhäuft, daß er sieben Millionen Rubel und eine Unmasse von Juwelen hinterließ – ja, gewiß ist, daß Lanskoi erkrankte und seine Krankheit rasch die bedrohlichste Gestalt annahm. Die Kaiserin wich nicht von seinem Lager und widmete ihm die zärtlichste Pflege. Als der Arzt bedenklich dreinschaute, sagte sie heftig zu ihm: »Dieser Mann darf nicht sterben, kann nicht sterben! Sie wissen nicht, welche Fülle von Lebenskraft er besitzt.« Wahrscheinlich machte das Betonen dieser »Lebenskraft« den Arzt innerlich lächeln, denn er wußte, daß Lanskoi durch den Gebrauch von Reizmitteln seine Gesundheit ruiniert hatte. Der Kranke verschied unter furchtbaren Zuckungen in den Armen Katharinas. Sie verbrachte mehrere Tage in Verzweiflung, sprach davon, die Regierung niederzulegen, schwur, nie mehr zu lieben, und legte den Traueranzug einer Witwe an. Endlich drang Potemkin zu ihr und riß sie sozusagen mit Gewalt aus der Hingabe an ihren Schmerz heraus. Doch geschah das Unglaubliche: das Amt eines Liebhabers der Zarin blieb ein volles Jahr lang unbesetzt.
Als das Jahr herum, wurde Yermolow der Nachfolger Lanskois, mißfiel aber bald dem Obergünstling Potemkin und wurde auf dessen Geheiß entlassen. Die Stelle des Weggeschickten nahm der schöne Mamonow ein, allein er fand die sechzigjährigen Reize seiner kaiserlichen Geliebten auf die Länge nicht nach seinem Geschmack und hatte den Mut, ihr das deutlich genug zu verstehen zu geben, indem er ihr bekannte, daß er in eins der Ehrenfräulein Katharinas verliebt sei und das Mädchen heiraten möchte. Es will nicht wenig sagen, daß die Zarin diese empfindliche Verletzung ihrer bekanntlich kolossalen Eitelkeit großmütig nur damit rächte, daß sie den Wunsch des Günstlings gewährte. Ja fürwahr, das will nicht wenig sagen, um so mehr, da Katharina auch als Sechzigerin noch beträchtliche Reste von Schönheit besaß. Ein Augenzeuge, der sie zu dieser Zeit häufig sah, sagt von ihr: »Sie war von mittlerem, aber vollem Wuchse, und keine andere Frau von ihrer Wohlbeleibtheit hätte sich so schicklich und anmutig kleiden können wie sie. Ihre Haare waren immer mit antiker Einfachheit und geschmackvoll geordnet, und nie stand eine Krone einem Kopfe besser als dem ihrigen. Es war, als ob die Heiterkeit und das Zutrauen, das sie einflößte, in ihrem engern Umgange Schäkerei, Jugend und Scherze um sie vereinigten. Ihr einnehmendes und vertrauliches Wesen versetzte alle, die bei ihr Zutritt hatten und ihrer Toilette beiwohnten, in behagliche Stimmung. Sobald sie jedoch die Handschuhe angezogen hatte, um sich in die Staatsgemächer zu begeben, nahm sie eine ganz verschiedene Haltung und Stimme an. Die liebenswürdige und fröhliche Frau verwandelte sich plötzlich in die würdevolle, majestätische Kaiserin. Wer sie zum erstenmal sah, fand sie nicht unter seiner Erwartung und mußte unwillkürlich ausrufen: ›Ja, sie ist es, sie ist wirklich die Semiramis des Nordens!‹ Gegen das Ende ihres Lebens zu ward indessen die Zarin unförmig dick und schwollen ihr die Beine zu gestaltlosen Klumpen an.«
In den Frühlingstagen von 1789 zischelten sich in den Sälen und Korridoren der Sommerresidenz Zarskoje-Selo die Höflinge den Witz in die Ohren: »Ihre Majestät die Kaiserin scheint mit der platonischen Liebe aufhören zu wollen.« Damals nämlich wurde der aufrichtige Mamonow gerade durch den wohlgeformten, schönäugigen, geschmeidigen vierundzwanzigjährigen Gardeleutnant Platon Zubow ersetzt, der bis zum Tode Katharinas im Amte blieb.
Mit dem Platonismus war es freilich nicht weit her. Der ehrliche Masson, der die erschreckliche Unart besaß, die Dinge bei ihrem rechten Namen zu nennen, und nichts dafür konnte, daß er keine Gelegenheit hatte, bei einem berühmten deutschen Historiker unserer Tage in die Schule zu gehen, um die Kunst des Verränkelns, Verschweigens, Bemäntelns und Schönfärbens zu lernen, berichtet in seinen Memoiren: »Plötzlich sah man die Kaiserin die Orgien, welche sie früher mit den Orlows gefeiert, wieder erneuern. Valerian, ein Bruder Zubows, jünger und kräftiger als er, und der stämmige Peter Soltikow wurden ihm beigesellt, um ihn auf einer Laufbahn abzulösen, auf welcher so schwer ans Ziel zu kommen war. In der Gesellschaft dieser drei jungen Wüstlinge verbrachte die alte Katharina ihre Tage, während ihre Heere die Türken schlugen, sich mit den Schweden rauften und das unglückliche Polen verwüsteten, während ihr Volk in Elend und Hunger darbte und Erpressungen und Tyranneien aller Art preisgegeben war. Damals geschah es, daß sie sich einen engern, aus ihren Günstlingen und den vertrautesten Herren und Damen des Hofes bestehenden Kreis bildete, der sich wöchentlich zwei- oder dreimal zusammenfand und die ›kleine Eremitage‹ hieß. Man kam oft maskiert zusammen, unterhielt sich vertraulichst, tanzte, führte von Katharina verfaßte Proverbes auf, spielte allerhand Spiele, und jede Art von Lustigmacherei war gestattet. Leon Narischkin spielte in diesem Kreise dieselbe Rolle, welche der (eulenspiegelische) Duc de Roquelaure am Hofe Ludwigs XIV. gespielt hatte, und Matrona Danilowna, eine wirkliche Närrin, welche die derbsten Unflätereien vorbrachte, war seine Gehilfin. Die fremden Gesandten, wenn sie in besonderer Gunst standen, wurden mitunter zugelassen. In der Folge bildete Katharina einen noch enger begrenzten und geheimnisvolleren Zirkel, welcher die ›kleine Gesellschaft‹ genannt wurde. Die drei genannten Günstlinge, die Gräfin Branicka, eine Nichte Potemkins, ferner die Pratassow und einige vertraute Frauen und Kammerdiener waren die einzigen Mitglieder. Hier war es, wo die nordische Kybele ihre geheimen Mysterien feierte.«
Vierunddreißig Jahre und vier Monate lang herrschte Katharina II. Den Schimmer und Scheinglanz ihrer Herrschaft hatte sie bis zum Ende in den Augen der Welt aufrechtzuerhalten vermocht. Sie wußte recht gut, warum sie dem Voltaire und dem Diderot schmeichelte, denn sie kannte den unberechenbaren Einfluß, den das Pariser Literatentum damals auf die Meinung Europas übte. Im Kreise ihrer Vertrauten nannte sie die Schöngeister, mit denen sie briefwechselte, und von denen sie sich beweihräuchern ließ, verachtungsvoll: »Meine Bestien.«
Menschenverachtung ist überhaupt neben Wollust und Herrschsucht der vorragendste Charakterzug dieser merkwürdigen Frau gewesen, und so, wie sie die Menschen kennen gelernt, so bereit, ihr zu dienen und zu huldigen, so niederträchtig, in alle ihre Launen und Wünsche einzugehen, so eifrig, auf ihr Geheiß zu lügen, zu betrügen und zu morden, hatte sie allerdings ausreichende Gründe, sie zu verachten. Grausam war sie, wie schon bemerkt, von Natur nicht. Aber wenn das, was sie ihre »Staatsräson« zu nennen beliebte, es forderte oder zu fordern schien, konnte sie trockenen Auges ganze Völkerschaften unter den Bajonetten ihrer Heere verbluten sehen, und als in den ersten Jahren ihrer Regierung das Dasein des eingekerkerten legitimen Thronerben, des armen Iwan, ihr bedrohlich vorkam, zögerte sie keinen Augenblick, ihre Einwilligung zu geben, daß Mörder nach Schlüsselburg geschickt würden, die den unglücklichen Prinzen im Schlafe überfielen und erwürgten. Katharinas ganzes Wesen und Walten hat etwas imponierend Kolossalisches, allein bei näherer Betrachtung verliert dieses Wesen und Walten seinen Nimbus, und statt wirklicher Größe erblicken wir überall nur den Schein derselben. Es fehlt ganz und gar der sittliche Kern und Halt. Alles gemacht, verlogen, unsittlich, hohl und faul.
Zwar zu Anfang ihrer Regierung schien sie mit wirklichem Ernste daran gehen zu wollen, Rußland auf die Bahn der Zivilisation und des wirklichen Vorschritts zu lenken, und solange sie sich des Rates von Männern, wie der treffliche Sievers einer war, bediente, wurde manches für die Verbesserung der physischen und moralischen Verhältnisse des Volkes getan oder wenigstens versucht. Später aber wurde das alles beiseite gestellt, um alle Kräfte des Staats einer maßlosen Ehrsucht dienstbar zu machen, die sich als gewissenloseste Ländergier manifestierte, Europa verwirrte, um im Trüben zu fischen, und nach außen über verratene, betrogene, zu Tode gequälte Völker brutale Triumphe feierte, während im Innern das eigene Volk dem erbarmungslosen Aussaugesystem einer in rasender Verschwendung sich gefallenden Günstlingswirtschaft preisgegeben war.
Diese Wendung zum Schlimmen ist entschieden eingetreten mit dem Tage, wo Katharina der Tyrannei Potemkins verfallen war, des Mannes, den das arme russische Volk seufzend den »Fürsten der Finsternis« nannte. Die Zarin, obgleich in ihrer Eitelkeit und Herrschsucht durch die riesenhaften Entwürfe und die Tamerlansche Politik Potemkins höchlich geschmeichelt, sträubte sich freilich anfangs dennoch gegen das Joch, das der wilde Kraftmensch ihr auferlegt hatte, und machte sogar im Jahre 1778 einen ernstlichen Versuch, es abzuschütteln. Sie ließ Alexei Orlow kommen, um die grollenden Orlows mit Potemkin zu versöhnen und diesem in jenen ein Gegengewicht zu geben. Allein der Versuch scheiterte, denn Alexei erklärte, wenn Katharina wollte, sollte Potemkin sofort aufgehört haben, zu leben; Versöhnung dagegen und Freundschaft mit dem verhaßten »Dämon seiner Gebieterin« wies er in seinem und seines Bruders Namen ein für allemal zurück. Von jetzt an ließ die Zarin Potemkin gewähren und wirtschaften, wie es ihm beliebte, zufrieden, wenn er sich nur enthielt, gar zu häufig und mit gar zu roher Hand in ihr Privatleben einzugreifen.
Bei seinem Tode war Katharina schon zu alt, zu dick, zu bequem, um noch eine Änderung des verderblichen Systems zu versuchen, oder auch nur daran zu denken. Sie ließ jetzt den im Grunde ganz jämmerlichen Zubow schalten und walten, der, ein Mensch ohne alle Geschäftskenntnis und Tatkraft, alle ihn um Verhaltungsmaßregeln Angehenden mit der stereotypen Phrase abfertigte: »Macht es wie früher!« Kein Wunder daher, daß beim Tode der Zarin Rußlands Zustand der einer grenzenlosen Erschöpfung, Unordnung und Verwirrung war. Der Ackerbau durch die ewigen Rekrutierungen, welche durch die mutwilligen und unaufhörlichen Eroberungskriege veranlaßt waren, der arbeitenden Hände beraubt, Handel und Wohlstand gänzlich zerrüttet, das platte Land von Räuberhorden durchzogen, die Armee verwildert; Verwaltung und Rechtspflege ein Chaos von Abscheulichkeiten.
Dazu kam das rabenmütterliche Verhältnis Katharinas zu ihrem Sohn, dem Thronfolger Paul Frau von Campan erzählt in ihren Memoiren einen Zug, der dieses Verhältnis erschreckend illustriert. Als der Großfürst Paul im Jahre 1782 den französischen Hof besuchte, fragte ihn Ludwig XVI. eines Tages, ob es wahr sei, daß er auf die Treue keiner Person seines Gefolges rechnen könne. Der Großfürst erwiderte ohne Zaudern vor der sehr zahlreichen Gesellschaft: »Es wäre mir sehr unangenehm, wenn ich einen treuen Pudel bei mir hätte; denn ich wäre gewiß Paris nicht zu verlassen, ohne daß meine Mutter den Hund mit einem Stein am Hals in die Seine werfen lassen würde.«. Sie verachtete und haßte ihn, hielt ihn in drückender und demütigender Abhängigkeit und reichte ihm nur kärgliche Subsistenzmittel, während ihre Buhler sich im Golde wälzten und von Diamanten klingelten. Hält man dieses Bezeigen der Mutter gegen den Sohn mit dem Umstande zusammen, daß Paul, einzelner guter Eigenschaften ungeachtet, im ganzen ein entschiedener Querkopf, ja ein Zweidrittelsnarr war, so könnte man sich überreden, die Angabe des russischen Staatskalenders, daß der Großfürst wirklich der Sohn Peters III., sei mehr als eine Fiktion. Aber man vergesse nicht, daß Katharina in dem Sohne Soltikows auch ihren Nachfolger sah. Ein Weib von dieser brennenden Herrschsucht mußte ihr eigenes Kind hassen, welchem sie ja eines Tages Platz machen sollte, und wäre es auch nur als Leiche.
Dieser Tag kam, wie ja zum Troste der gequälten Völker immer wieder solche unausweichliche Tage kommen, welche die stolzesten Zepter zerbrechen wie Schilfrohre und die Träger übermütigster Tyrannei zum Wurmfraß machen.
Die letzte Zeit Katharinas war für sie eine ganz glückliche. Eingenebelt in den Weihrauchdampf, womit die sklavische Huldigung des Adels, dem sie das Volk zur Plünderung preisgegeben, ihre Person umgab, konnte sie sich der Täuschung überlassen, daß alles vortrefflich stehe und gehe. Die große Spekulation, welche sie mit der Französischen Revolution gemacht hatte, war sehr gut ein- und ausgeschlagen. Es war ihr gelungen, Österreich und Preußen gen Westen, gegen das revolutionäre Frankreich zu hetzen, wodurch sie im Osten freie Hand hatte, die Ernte langgepflegter Ränkesaat einzuheimsen. Oh, die alte schlaue Katze verstand meisterlich die Kunst, mittels deutscher Pfoten sich die polnischen und türkischen Kastanien aus dem französischen Feuer zu holen. Der Löwenanteil vom polnischen Raube fiel ihr zu, die Eroberung Finnlands war vorbereitet, der Weg nach Konstantinopel eröffnet. Mit Wollust sog sie den mit den feinsten Parfüms der Schmeichelei versetzten Blutgeruch der Siegesoden ihres Hofdichters Dershawin ein, welcher in seiner Ode auf die greuelvolle Erstürmung Warschaus triumphierend ausrief: »Nur noch einen Schritt tu vorwärts, o Rußland, und die ganze Welt ist dein!«
Im Spätherbst 1796 war die Zarin sehr guter Laune. Sie hatte am 4. November (a. St.) die Nachricht von Moreaus Rückzug über den Rhein erhalten und dem österreichischen Gesandten Kobenzl zu diesem Ereignis in einem scherzhaften Billett gratuliert, des Inhalts: »Ich eile, der exzellenten Exzellenz anzuzeigen, daß die exzellenten Truppen des exzellenten Hofes die Franzosen exzellent geschlagen haben.« Abends erschien sie in ihrer kleinen Eremitage ganz wohlauf und außerordentlich heiter. Sie trieb allerhand Possen mit Leon Narischkin und neckte ihn mit seiner Furcht vor dem Tode und vor Todesnachrichten. Endlich sagte sie, sie verspüre von so vielem Lachen einen leichten Anfall von Kolik, und zog sich etwas zeitiger als sonst zurück. Am folgenden Morgen zur gewohnten Stunde aufgestanden, ließ sie den ersten Liebhaber Zubow rufen, unterhielt sich mit ihm und tat hierauf einige Staatsgeschäfte ab. Dann einige Minuten allein geblieben, wurde sie, im Begriff, aus ihrem Schlafzimmer in ihr Ankleidezimmer zu treten, von einem Schlagfluß zu Boden gestreckt. So fand sie ihr erster Kammerdiener. Man legte sie auf eine Matratze neben dem Fenster, und die herbeigerufenen Ärzte wandten Aderlässe, Klistiere und andere Mittel an, die aber keine Wirkung taten. Die Zarin lebte noch, denn ihr Herz schlug; aber sie vermochte kein Glied zu rühren, konnte weder deuten noch reden.
Den Palast erfüllte die schwüle Spannung, welche die Erwartung großer Veränderungen hervorbringt. Die Höflinge legten ihre Mienen zurecht, dem von seiner Residenz Gatschina herbeigeholten Großfürsten Paul ein Lächeln der Ergebenheit entgegenzutragen. In den Zimmern unter dem Gemach, wo die sterbende Herrscherin lag, packte der Günstling seinen Raub zusammen, um mit dem letzten Atemzuge der Zarin bereit zu sein, den Palast zu verlassen. Trockenen Auges und mit den Vorbereitungen zu seiner bevorstehenden Thronbesteigung beschäftigt, stand Paul am Lager seiner Mutter. Sein ältester Sohn, der Großfürst Alexander, weinte dagegen heftig und aufrichtig, denn die Großmutter hatte ihn geliebt und ausgezeichnet. Nach einem stummen Todeskampf von siebenunddreißig Stunden begann Katharina furchtbar zu röcheln. Nachdem dies eine Weile gedauert, stieß sie einen schrecklichen Schrei aus und verschied (18. November n. St. 1796).
Ein Mann, welchem man die Fähigkeit und Berechtigung wohl zuerkennen darf, einen geschichtlichen Wahrspruch zu fällen, Lord Brougham, gab über Katharina dieses Verdikt: »Ein Weib, bei welchem die Herrschsucht, vereint mit der gemeineren Verworfenheit menschlicher Art, alle Spuren der sanfteren Natur, die ihr Geschlecht auszeichnet, verwischt und ein Bild von herrischem Talent und wundervoller Festigkeit der Seele, also Eigenschaften, welche einen großen Charakter konstituieren, zurückgelassen hat, vereint mit unbändiger Wildheit, gewissenloser Trugsucht, zügelloser Leidenschaftlichkeit und all der Schwäche und Schlechtigkeit, die den schlimmsten der Sterblichen herabwürdigen können.« Ein Urteil, streng und herb wie die – Wahrheit. Und doch hat der eigene Enkel Katharinas, der Zar Alexander, der ihrer Person sehr zugetan war, ein fast noch strengeres gefällt, als er im großen Schicksalsjahr 1812 gegen seinen Vertrauten, den englischen General Sir Robert Wilson, die Äußerung tat: »Ich bin zu beklagen, denn ich habe an meinem Hofe wenige Personen, die sich einer gesunden Erziehung und fester Grundsätze rühmen können. Die Regierung meiner Großmutter hat die höheren Stände meines Reiches vollständig korrumpiert, indem sie ihre Bildung auf die französische Sprache, auf französische Frivolitäten und Laster beschränkte.«
Unseres teuern Sehers tiefsinnig Wort vom »fortzeugenden Fluche der bösen Tat« sollte sich an Katharinas Sohn und Nachfolger tragisch erfüllen … Die Zarin hatte dafür gesorgt, daß Paul ihren Ausgang mit brennender Sehnsucht erwarten mußte. Sie hatte ihm eine sorgfältige, wenn auch liebeleere Erziehung angedeihen lassen, aber sie hatte mit Unerbittlichkeit jede Betätigung seiner etwaigen Gaben im Staatshaushalt abgewehrt und ihn bei jeder Gelegenheit seine Abhängigkeit bitterlich fühlen lassen. Er hatte draußen in Gatschina mit soldatischen und anderen Wunderlichkeiten seine Zeit totgeschlagen, brütend ob seinem Hasse gegen die Günstlinge seiner Mutter und, weil er aus dieser Günstlingswirtschaft einen voreiligen Schluß auf das ganze russische Volk zog, in eine unsägliche Verachtung gegen das Land sich hineinreizend, das er künftig zu regieren berufen war. Rechnet man hierzu noch einen Zug zopfiger Romantik im Charakter Pauls, einen Zug, dessen donquichottische Äußerungen wieder mit denen einer bis ins kleinste und kleinlichste gehenden Polizeipedanterie absonderlich verquickt waren, so wird man sich unschwer vorstellen können, was für ein Wesen am Hofe von Petersburg anhob, als Paul aus der Stellung absoluter Nichtsgeltung plötzlich zum Vollbesitz absoluter Macht übersprang.
Der neue Zar brachte auf den Thron den redlichen Willen mit, die offen zutage liegenden Schäden der Regierung seiner Vorgängerin zu heilen. Aber er übersah dabei von vornherein, daß Rußland, so, wie es war, ohne Beihilfe der russischen Aristokratie nicht zu regieren wäre, und gerade gegen diese hegte er ein Mißtrauen, eine Verachtung und einen Haß, wozu ein Mann, der sich für den Sohn Peters III. hielt, allerdings berechtigt war. Allein ein Zar aller Reußen, der im Jahre 1796 den Thron bestieg, durfte sich von diesen Gefühlen nicht beherrschen und bestimmen lassen, falls er der Zar aller Reußen bleiben wollte. »Was wollen Sie, Graf? Die Tyrannei, gemildert durch den Meuchelmord – das ist unsere Verfassung.« Was half es dem armen Paul, daß er sich in seinen Michaelspalast, der mehr Festung als Palast war, sozusagen einmauerte? Die russische »Magna Charta« wußte sich dort nicht weniger geltend zu machen, als sie draußen im Landhause Ropscha sich geltend gemacht hatte.
Katharina hatte den erschlichenen und usurpierten Thron glücklich bis zu ihrem Tode behauptet, weil sie die Russen zu behandeln verstand, weil sie mit der Aristokratie sich abgefunden und weil sie den Zauber ihrer genialen Persönlichkeit überall wirksam walten zu lassen wußte. Außerdem hatte sie dem russischen Ausbreitungs- und Eroberungstrieb, der ihrer eigenen Herrschsucht so gleichartig war, mit blendenden Erfolgen geschmeichelt. Der Unterschied zwischen ihrer Regierung und der ihres Nachfolgers mußte sich demnach bald als ein unermeßlicher herausstellen. An die Stelle eines von einem bestimmten Gedanken geleiteten und dabei durch weibliche Anmut gleichsam vergoldeten Despotismus trat ein schwankender, fahriger, immer grillenhafter, oft geradezu verrückter.
Es geschahen unter Pauls Regierung in Rußland Dinge, die unglaublich und doch wahr sind. Nur ein Beispiel: Der Oberst eines Garderegiments hatte in einem seiner Rapporte an den Kaiser einen Offizier, von welchem gemeldet wurde, daß er im Lazarett in den letzten Zügen läge, als tot aufgeführt. Paul streicht ihn eigenhändig aus der Regimentsliste. Aber unglücklicherweise stirbt der Mann nicht, sondern kommt wieder auf. Der Oberst überredet ihn, sich für einige Zeit auf seine Güter zurückzuziehen, bis sich eine Gelegenheit fände, die Sache zu reparieren. Der Offizier geht darauf ein; allein seine Erben haben die amtliche Anzeige seines Todes gelesen, wollen ihn schlechterdings nicht als lebendig anerkennen und verlangen, trostlos über den Verlust ihres Verwandten, in den Besitz seiner Güter eingesetzt zu werden. Der offiziell Tote und wirklich Lebendige merkt, daß ihm ein zweiter Tod, und zwar nicht nach Befehl, sondern aus Hunger bevorstehe, reist nach Petersburg zurück und legt dem Kaiser die ganze Geschichte in einer Bittschrift dar. Paul schreibt auf den Rand derselben: »Da über den Herrn Offizier bereits ein allerhöchster Befehl erlassen wurde, so wird ihm seine Bitte – um Wiederbelebung, das heißt amtliche Anerkennung seines Lebendigseins – als unstatthaft abgeschlagen.«
Wie im Innern, so experimentierte Paul auch nach außen in einer Weise, deren für Rußland bedenkliche Folgen bald um so auffälliger hervortreten mußten, als gerade damals Bonaparte, der zugleich kühnste und kühlste Rechner, seine Europa umwühlende Laufbahn begonnen hatte. Die russische Aristokratie konnte es nicht ertragen, daß das durch Katharina so lange behauptete Übergewicht ihres Landes durch Paul einem vollständigen Ruin entgegengeführt wurde, und daß ihre Existenz, ihr Einfluß, ihr Besitz, ihr Ansehen durch die täglich und stündlich wechselnden Launen des Kaisers unberechenbaren Gefahren bloßgestellt waren. Sie gewöhnte sich, den Zaren als einen Wahnsinnigen anzusehen, und man muß gestehen, nicht ohne Grund; denn, lichte Zwischenpausen abgerechnet, sprach und handelte Paul wie ein seines Verstandes Beraubter. In Wahrheit, sein Regiment war tollgewordener Absolutismus, der selbst seine tüchtigsten Werkzeuge nicht schonte. Ich erinnere nur daran, wie roh undankbar Paul den von ganz Rußland angebeteten Suwarow zu Tode kränkte.
Schon im Jahre 1800 hatte sich in den vornehmen Kreisen der russischen Hauptstadt die Überzeugung gebildet, daß es so nicht länger fortgehen könnte, und daß man ein Ende machen müßte. Diese Überzeugung gestaltete sich rasch zu einer Verschwörung. Mittelpunkt derselben war der Graf Peter Ludwig von Pahlen, Minister der Auswärtigen Angelegenheiten und zugleich Generaldirektor der Posten, Generalgouverneur von Petersburg und Haupt der geheimen Polizei. Seine ersten Mitverschworenen waren der Vizekanzler Graf Panin, ein Neffe des Panin von 1762, der Admiral Rivas und der General Talizin. Nach und nach wurden dann in das Komplott eingeweiht die Brüder Platon, Valerian und Nikolaus Zubow, der General Bennigsen, mehrere andere Generale, Obersten und Subalternoffiziere. Die Anzahl der Verschworenen wurde so groß, daß das Geheimnis kaum bewahrt werden konnte und ein ziemlich bestimmtes Gerücht von der Verschwörung dem Zaren zu Ohren kam. »Ich weiß«, sagte er zu Pahlen, »daß man mir an das Leben und mir das Schicksal meines Vaters bereiten will.« Aber Pahlen, dem der verblendete Fürst unbedingt vertraute, beschwichtigte ebenso listig wie kühn die Besorgnisse seines Gebieters und beeilte die Ausführung des Anschlags.
Wir wollen zur Ehre der menschlichen Natur annehmen, daß die Absicht Pahlens und der besseren seiner Mitverschwörer nur auf die Thronentsetzung Pauls abzweckte, eine Annahme, die um so statthafter ist, als der Großfürstthronfolger Alexander soweit mit dem Plan einverstanden war. Dieses Einverständnis Alexanders ist eine Tatsache, welche einem Zweifel nicht unterliegt. Pahlen, ein Meister der Intrige, hatte es verstanden, dem Kaiser Mißtrauen gegen seinen Sohn und diesem Mißtrauen gegen den Vater einzuflößen. Er bewies dem Thronfolger, daß Paul des Throns entsetzt werden müßte, wenn das Reich nicht zugrunde gehen sollte, und verstärkte die Beweiskraft seiner Gründe durch Vorzeigung eines geheimen Verhaftsbefehls, den der Zar auf gewisse Fälle hin gegen seine beiden ältesten Söhne Alexander und Konstantin ausgestellt und ihm, dem Grafen Pahlen, anvertraut hatte. Es ist gewiß, daß Alexander nur nach längerem Sträuben seine Einwilligung in die Absetzung seines Vaters gab; aber es ist auch gewiß, daß er sie gab. Bei seiner Sinnesweise ist mit Bestimmtheit zu sagen, daß er sich von dem Leiter der Verschwörung alle denkbaren Garantien für das Leben des Zaren geben ließ; aber konnte er, alles zusammengehalten, an die Möglichkeit solcher Garantien glauben? Er muß es gekonnt haben, denn er glaubte wirklich daran.
In der Nacht zum 24. März 1801 wurde der Schlag geführt. Die Verschworenen speisten abends bei ihren verschiedenen Führern und versammelten sich dann beim General Talizin, wo Pahlen sie anfeuerte und die letzten Verabredungen getroffen wurden. Bennigsen und die Zubows sollten die Ausführung des Hauptmoments der beabsichtigten Palastrevolution übernehmen, das heißt der Person des Kaisers sich bemächtigen und ihn zur Abdankung zwingen. Von einem Morde wurde natürlich mit keiner Silbe gesprochen, und es ist möglich, daß sogar Pahlen setzt noch der Selbsttäuschung sich hingab, die Thronveränderung würde sich ohne einen solchen bewerkstelligen lassen. Aber wer diese von Haß entflammten und überdies halb oder ganz vom Weine trunkenen Verschwörer hätte betrachten können, als sie sich anschickten, nach dem Michailowschen Palast aufzubrechen, würde ohne Zweifel in den Blicken der meisten den Entschluß gelesen haben, Paul I. nicht schonender zu behandeln, als Peter III. behandelt worden war.
Die Rollen waren so gut verteilt, alle Veranstaltungen so umsichtig getroffen worden, daß das Gelingen des Unternehmens zum voraus gesichert war. Dennoch hielt sich der schlaue Pahlen für die Möglichkeit eines Fehlschlags eine Hintertür offen, indem er für seine Person sich wohl hütete, in dem Michailowschen Palast früher zu erscheinen, als alles vorüber war … Ohne irgendwelchen nennenswerten Widerstand zu finden, gelangte eine auserlesene Bande der Verschwörer bis in das Schlafgemach und vor das Bett des schlafenden Kaisers. Aus welchen Personen diese Bande bestand, darüber herrscht Widerspruch in den Angaben der Quellen; jedoch kann mit ziemlicher Sicherheit berichtet werden, daß die eigentliche Sturmkolonne des Komplotts zusammengesetzt war aus den Brüdern Platon, Valerian und Nikolaus Zubow – einer der beiden letzteren hatte noch mit dem Zaren zu Nacht gespeist –, ferner aus den Generalen Bennigsen und Tschitscherin und den Gardeoffizieren Mansurow, Tatarinow, Skariatin und Yeschwel. Daß wenigstens der eine oder der andere dieser Männer, vorab Bennigsen, auf das Äußerste gefaßt und zum Äußersten entschlossen war, darüber läßt der Verlauf der folgenden Szene gar keinen Zweifel übrig. Diese Leute waren keineswegs gutmütige Phantasten und Idealisten, wie der Großfürstthronfolger Alexander damals und noch etliche Jahre lang später einer gewesen ist.
In großer Uniform, die Hüte auf dem Kopfe und die Degen in der Hand, treten Fürst Zubow und General Bennigsen vor das Bett des überfallenen Kaisers und sagen: »Sire, Sie sind verhaftet.« Der Überraschte, Bestürzte richtet sich auf und fragt, was denn das zu bedeuten habe, worauf man ihm sagt, daß er der Krone entsagen müsse. Paul schweigt, kochender Brust, und die Farben wechseln schnell auf seinem Gesicht. Also Bennigsen wieder: »Sire, bedenken Sie, es handelt sich um Ihr Leben, falls Sie sich nicht darein fügen, eine Abdankungsurkunde zu unterzeichnen.« In diesem Augenblick entsteht ein Geräusch an der Tür. Bennigsen geht, sie zu verschließen. Dies benutzt der Zar, um aus dem Bett und hinter einen großen Ofenschirm zu springen. Einer der Offiziere eilt ihm nach und packt ihn an der Kehle. Bei dem dadurch entstandenen Tumult muß das Licht erloschen sein. Man ist im Dunkeln, und Bennigsen sagt noch einmal: »Sire, unternehmen Sie nichts, es handelt sich um Ihr Leben.« Paul hat sich von der Faust seines Angreifers losgemacht und schlüpft hinter die Fahnen der Garderegimenter, welche stets in seinem Schlafzimmer stehen, und hinter den Fahnen weg in den Kamin, in dessen Rauchfang er eine Strecke weit emporklimmt.
Einen Augenblick glauben die Verschworenen, ihr Opfer sei entwischt, und laufen ratlos durcheinander. Aber man bringt Licht, bei dessen Schein der Zar im Kaminschlot entdeckt wird. Man faßt ihn an den Beinen und zieht ihn herab und heraus. Folgt nun ein wildgroteskes Vorspiel zur Tragödie. Paul, wie jedermann weiß, eine abschreckend häßliche Figur, steht im bloßen Hemd, über und über berußt, inmitten der Verschwörer und hebt an zu perorieren und zu gestikulieren. Sie ergötzen sich und lachen eine Weile über sein Aussehen und Gebaren. Dann aber zwingen sie den Halbnackten, sich an einen Tisch zu setzen und die von ihnen mitgebrachte Abdankungsurkunde zu unterzeichnen. Während er dies tut, sagt Bennigsen zu den andern: » Messieurs, on ne peut pas faire d'omelette sans casser des œufs« (Meine Herren, man kann keinen Eierkuchen backen, ohne Eier zu zerschlagen). Damit war das Stichwort gegeben. Yeschwel schlägt den Kaiser zu Boden. Er rafft sich noch einmal auf und ringt mit den auf ihn eindringenden Mördern verzweifelt um sein Leben. Aber sie werfen ihn nieder, bringen ihn unter sich, Skariatin schlingt seine Offiziersschärpe um den Hals des Überwältigten, und der Graf Nikolaus Zubow vollzieht mittels derselben die Erdrosselung …
Valerian Zubow begab sich von der Mordstätte weg zu dem Großfürsten Alexander und meldete diesem, Kaiser Paul I. habe der Regierung entsagt und sei – gestorben. Natürlich konnte der Prinz bei so bewandten Umständen keinen Augenblick im Zweifel sein, daß man seinen Vater umgebracht habe. Wurden doch die Einzelheiten des Mordes binnen wenigen Stunden in ganz Petersburg bekannt, da mehrere der Mörder ihrer Missetat ganz offen und prahlerisch sich rühmten. Alexander geriet in Verzweiflung und brach in ein krampfhaftes Schluchzen aus. Aber Pahlen entriß ihn der Hingabe an seinen aufrichtigen Schmerz, indem er ihn mit den Worten: »Dies kindische Weinen hat lange genug gedauert; es ist Zeit, daß Sie die Regierung antreten!« fortzog, um den vor dem Winterpalast aufgestellten Truppen den neuen Kaiser vorzustellen.
Alexander I. ist jedoch den schwarzen Schatten, den der von ihm wenigstens mittelbar zugelassene furchtbare Ausgang seines Vaters in sein Dasein geworfen, nie wieder losgeworden. Ohne daß er mit hervorragenden Talenten und außergewöhnlichen Eigenschaften begabt gewesen wäre, haben ihm seine Stellung und die Gunst der Umstände eine weltgeschichtliche Rolle von höchster Bedeutung zugewandt. Aber der als »Befreier Europas« Bejubelte war kein Glücklicher, denn ein Wurm, der nicht starb, nagte ihm am Herzen. Er konnte nie und nimmer die Nacht vom 23. März 1801 vergessen. Auch sein Privatleben war nicht glücklich. Der General Friedrich von Gagern hat in seinem unschätzbaren Reisetagebuch aus Rußland vom Jahre 1839 folgendes erzählt: »Kaiser Alexander behandelte seine Frau mit Achtung und hatte auch Freundschaft für sie; aber die Kaiserin war nicht klug genug oder zu sehr Weib, um seine kleinen Untreuen zu verzeihen oder keine Kenntnis davon haben zu wollen. Sie schmollte und grollte, und so gewöhnte sich der Kaiser an die gänzliche Trennung. Er attachierte sich an Madame Narischkin, eine Polin – Polonaise, wie mein Berichterstatter sagte, donc belle, gracieuse et intrigante. Er hatte von dieser eine einzige Tochter, lebte mit ihr wie mit seiner Frau und brachte seine Abende bei ihr zu. Einstens überraschte er Madame Narischkin in den Armen des Grafen Branitzki. Dieser klagte sich an, machte den Zerknirschten, sagte, er wolle sich auf ewig aus dem Angesicht des Kaisers verbannen usw. Der Kaiser ganz gelassen: Comte Branitzki, ma voiture est à la porte, auivez-moi (Graf Branitzki, mein Wagen steht unten. Folgen Sie mir)! Und als sie zusammen im Wagen saßen, fuhr der Kaiser fort: Vous avez détruit mon bonheur domestique, mais ne craignez rien; je ne veux pas même que vous éloigniez de la cour. Vous avez fait votre métier d'homme, et à votre place j'aurais peutêtre fait autant, je vous pardonne. Quant à Madame Narischkin, elle m'a trahi, je ne puis plus l'aimer ni l'estimer; mais parce-que'lle est la mère de mon unique enfant, je ne veux pas la quitter (Sie haben mein häusliches Glück zerstört, aber fürchten Sie nichts! Ich will nicht einmal, daß Sie den Hof verlassen. Sie haben Ihren Mannesberuf ausgeübt, und vielleicht hätte ich an Ihrer Stelle ebenso gehandelt wie Sie. Ich verzeihe Ihnen. Was Madame Narischkin betrifft, so hat sie mich verraten; ich kann sie nicht mehr lieben und nicht mehr achten. Aber da sie die Mutter meines einzigen Kindes ist, so will ich sie nicht verlassen). Diese Tochter starb, als sie elf Jahre alt war. Der Kaiser sah das als eine Strafe des Himmels an und wurde bigott und Mystiker. Der Tod der Tochter zerriß das Band, das ihn an Madame Narischkin knüpfte. In den folgenden Jahren hatte er nur noch petites filles de toutes les nations, die er oft wechselte und die mit schweren Bußübungen Hand in Hand gingen.« … Weltmüde und menschenscheu ist der Zar am 1. Dezember 1825 zu Taganrog gestorben, nachdem ihm seine letzten Tage noch verbittert worden waren durch das Wissen vom Bestehen einer Verschwörung in der Armee, ganz ähnlich der, welche seinem Vater Krone und Leben geraubt hatte …