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Des Herzens Woge schäumte nicht so schön
empor, wenn nicht der alte stumme Fels, das
Schicksal, ihr entgegenstände.
Hölderlin im »Hyperion«.
Du bist wohl auch einmal in deinem Leben durch die Eintönigkeit eines Föhrenforstes stundenlang geschritten? Wenn ja, so wirst du dich des Überdrusses erinnern, welchen dieser Gang dir verursachte. Rechts und links, vor dir wie hinter dir immer dasselbe. Der ganze Wald ein holzgewordener Philister, sozusagen, Langeweile ausdünstend. Ein Stamm glich dem andern so doppelgängerisch, wie sich die »ungarischen Nationalgesichter« in Brentanos tollschöner Novelle gleichen. Du konntest meinen, die armen Föhren hätten ihre Harztränen aus Verzweiflung über ihr trostlos prosaisches Dasein vergossen. Nichts kürzte dir den ermüdenden Weg, kein springendes Eichhörnchen, kein Amselschlag, nicht einmal das Gehämmer eines Spechtes. Ringsum nur Einerlei, Stille, Schwüle, so daß dir zuletzt ganz beklommen, ganz dümmlich, ja geradezu föhrenhölzern zumute ward.
Plötzlich zuckt ein Sonnenstrahl durch die braunschwarze Monotonie und du siehst aus ihr mit froher Überraschung den schlanken weißlichgrün schimmernden Stamm einer prächtigen Buche emporsteigen. Wie die Waldkönigin unter das Föhrengesindel gekommen, wer weiß es? Aber sie ist da in ihrer ganzen Buchenschönheit. Einsam und hoch hebt sie sich über ihre Umgebung empor wie der Gedanke des Dichters über die Gewöhnlichkeit, weit greift sie mit ihren schöngeschwungenen Ästen über alle die Föhrenspitzen hinweg, und durch ihren in Luft und Licht schwelgenden Wipfel geht ein Windhauch, welcher die Blätter wie Harfensaiten zu süßem Geflüster rührt.
Oder auch tritt dir auf deinem langweiligen Waldwege statt der prächtigen Buche mit einmal eine riesige Eiche entgegen, alt, verwittert, fast versteinert, mit einer Borke wie Rhinozeroshaut, mit bizarr gestalteten Ästen und sturmgebrochenen Zweigen, kärglich belaubt, mehr das Gespenst eines Baumes als ein Baum. Aber du atmest doch freudig auf beim Anblick der nichts weniger als schönen Erscheinung. Die alte Eiche mit ihrer grotesken Unform imponiert dir, sie ruft dein Auge wieder wach, das die zahllosen Baumuniformen, durch welche du hingeschritten bist, ganz schläfrig gemacht hatten.
Nicht allein das vollkommen Schöne, sondern auch das vollendet Häßliche umfließt ein gewisser Nimbus. Der Satan Miltons ist nicht weniger erhaben als der Zeus des Pheidias. Man hat ja auch eine »Ästhetik des Häßlichen« geschrieben, und bekannt ist, daß es Männer gibt, welche – à la Mirabeau – vor lauter Häßlichkeit wieder schön werden, wenigstens in den Augen der Frauen, und zwar namentlich dann, wenn sie im wohlbegründeten Rufe der Don Juanschaft stehen. Eine häßliche Frau dagegen kann nicht verführerisch sein, weil an dem Begriffe Weib das Postulat Schönheit untrennbar haftet wie an dem Begriffe Blume die Postulats Farbe und Duft …
Was in der Eintönigkeit eines Föhrenforstes die schmucke Buche oder die groteske Eiche, das ist in der monotonen Steppe der Weltgeschichte der dämonisch angelegte und bewegte Mensch. Ob der Dämon Engel oder Teufel, ob er dich entzücke oder erschrecke, Liebe oder Haß in dir errege, gleichviel, gern oder ungern wirst du staunend auf ihn hin- und zu ihm aufblicken und wirst anerkennen müssen, daß so ein Mitmensch zwar auch wie du ein leidiger Mischmasch von Staub und Feuer sei, aber daß in ihm das Feuerelement – ob Himmelslicht oder Höllenflamme, einerlei! – den Staubbeisatz weit, weit überwiege.
Der dämonische Mensch ist besessen von seiner Phantasie, von seinem Gefühl, von seiner Liebe, seinem Haß, seiner Leidenschaft, seiner Wahrheit, seinem Wahn. Fanatiker im Guten wie im Bösen, atmet er im Maßlosen, im Extremen als in seiner wahren Lebensluft. Es ist ein und derselbe Trieb, welcher einen Simeon Stylites zum Narren und einen Cesare Borgia zum Bösewicht macht. Es ist dieselbe Sucht und Wut, welche eine heilige Elisabeth ihr Wohlbehagen im Umgange mit Aussätzigen finden und einen Jakob Sprenger den »Hexenhammer« schreiben läßt. Es ist derselbe dämonische Stolz, welcher in Rousseau rebelliert und in Napoleon tyrannisiert. Dasselbe Empor- und Hinabgerissensein über oder unter das Gewöhnliche verwandelt den Kameltreiber Mohammed in einen Propheten und die Kaiserin Messalina in eine Lupanardirne. Du darfst in der Region des Dämonischen alles suchen und wirst darin alles finden, ausgenommen gesunden Menschenverstand, Maß und Regel. Das Dämonische ist reine Phantasiewillkür. Karl Moor spricht das Kredo des Dämonischen aus in dem Sturm- und Drangsatz: »Das Gesetz hat noch keinen großen Mann gebildet, aber die Freiheit brütet Kolosse aus«. Jawohl; nur muß hinzugefügt werden: der Mehrzahl nach Kolosse des Unsinns, der Extravaganz, der blanken Narrheit, der grauenhaften Scheuseligkeit. Die »Freiheit« des Dämons ist nur die souveräne Willkür, alles zu tun, wozu ihn die fixe Idee, welche ihn besitzt, reizt und antreibt. Es ist ganz die auch vom Pöbel und von der Kirche geforderte »Freiheit«, alles außer ihm oder ihr zu unterdrücken und zu beherrschen. Alle großen Kirchenväter und Päpste sind dämonische Naturen gewesen. Wie aber das Dämonische in den Massen schauderhafte Gestalt gewinnt, das wissen die Kenner der französischen Revolutionsgeschichte.
Auch in jeder liebenden Frau waltet Dämonisches. Dämonische Höllengluten glosten und qualmen aus den kätzischen Orgien der Mutter Neros und der Mutter Pauls des Ersten. Dämonische Himmelslichter spielen und schimmern und funkeln in den Strophen der Sappho, in den Romanen der Germaine Staël und der Aurore Dudevant. Das verhaltene und zusammengepreßte Feuer einer ungeliebten und doch liebedurstigen Mädchenseele glüht dämonisch heiß in den Liedern und Romanzen unserer jungfräulichen Annette von Droste. Jedes wahrhaft liebende Weib wird zur Dichterin, auch wenn es nicht weiß, was ein Vers ist, und niemals würde eine Frau zu jener zynischen Auffassung der Ehe herabgesunken sein, wie sie ein Poet von Handwerk, der Hagestolz Pope, dargelegt hat in dem Witzwort: »Wer ein Weib nimmt, weil er nicht immer keusch leben kann, ist just wie einer, der, weil er etliche Blutwallungen verspürt, sich entschließt, beständig ein Blasenpflaster zu tragen.«
Wer löst das Rätsel »Liebe«? Nur wer das Rätsel »Mensch«, das Welträtsel löst. Also niemand. Allbekannt ist das sinnreiche Märchen, welches Platon im Symposion dem Aristophanes in den Mund gelegt hat und das mit der Nutzanwendung schließt: »Jeder von uns ist nur die Hälfte von einem Menschen, da wir, entzweigeschnitten, aus einem zwei geworden sind; und darum sucht allzeit jeder (und jede) seine (oder ihre) andre Hälfte.« Zu deutsch: Jeder Jörg sucht seine Grete, ihren Kunz will jede Käthe. Der allgewaltige Naturtrieb gibt sich beim Manne offener kund, ist aber beim Weibe heftiger. Schon deshalb, weil bei diesem die Scham den Trieb mehr zügelt und folglich zusammenfaßt, verdichtet, potenziert. Dann aber auch und noch mehr, weil das Weib Mutter werden will, werden muß, um das Herrlichste und Heiligste zu verwirklichen, was auf Erden lebt – die Mutterliebe. Für den Mann ist die Liebe nur eine Entwicklungsphase seines Wesens, für das Weib ist sie alles in allem, Lebenssubstanz, Himmel und Erde. Für den Mann reißt in der Tat »mit dem Gürtel, mit dem Schleier« gewöhnlich der »schöne Wahn« entzwei; aber für das Weib ist die Brautnacht das Tor zu ihrem wahren und wirklichen Dasein: denn aus dem Grab ihrer Jungfrauschaft steht triumphierend ihre Mutterschaft auf, ihres Wesens Essenz und Zweck. Der Mann liebt zeitweilig, das Weib will immerfort lieben und geliebt werden. Für die Frau gilt voll und ganz das Wort des Paulus an die Korinther: »Die Liebe höret nimmer auf«.
Schon oft hat man, um das Seelisch-Selbstlose der Liebe auszudrücken, Dschelaleddin-Rückerts mystisches Wort:
»Da, wo die Lieb' erwachet, stirbt
Das Ich, der dunkele Despot –«
behaglichst vorgebracht. Allein diese Phrase ist wie noch gar viele andere berühmte Phrasen eigentlich ein blanker Unsinn. Der »dunkle Despot«, der Geschlechtstrieb, stirbt beim Erwachen der Liebe keineswegs, im Gegenteil! Er weckt sie ja, er ist die Liebe selber. Die moderne Kultur hat den Naturtrieb sozusagen zivilisiert, romantisiert, sublimiert, idealisiert; aber daß er und nur er der wirkliche Eros, das können bloß Leute bezweifeln oder bestreiten, deren Feigheit nie wagt, der Wahrheit frank und frei in das strenge Antlitz zu sehen, und welche daher demselben allzeit die Phrasenmaske vorstecken möchten. Auch das Weib sucht in der Liebe zunächst nur die Geschlechtsbefriedigung, weil es muß, weil die Natur sie tyrannisch dazu zwingt. Ein sittsames Mädchen ist sich dessen sicherlich gar nicht bewußt, wenn sich das, was man »Liebe« im idealen Sinne zu nennen übereingekommen ist, in ihm regt. Allein alles Nebeln und Schwebeln, alle lyrischen Redensarten beiseite gesetzt, ist es doch nur der »dunkle Despot«, welcher die Blicke der Jungfrau lenkt und ihre Brust vor Sehnsucht schwellen macht. Der zarteste Minnesänger unseres Jahrhunderts, Geibel, hat gesungen:
»Die Lieb' ist Wunder, Lieb' ist Gnade,
Die wie der Tau vom Himmel fällt« –
und gewiß ist das recht hübsch gesagt. Wenn es nur mehr wäre als eine lyrische Lüge! Denn in Wahrheit ist die Liebe kein »Wunder«, d. h. kein Nichtexistierendes, sondern sie ist ein sehr Substanzielles, Tatsächliches, weil eine Naturgewalt. Und sie ist auch, meinen die Erzprosaiker von Pessimisten, keineswegs eine »Gnade«, sondern vielmehr ein Fluch; denn sie zwingt ja den Menschen, sein unseliges Geschlecht fortzupflanzen. Warum ist aber dieser tyrannische Trieb, dieser dunkle Despot da? Darauf gibt es keine Antwort. Warum ist der Mensch da? Warum ist der ganze Erdenhumbug und der ganze Weltschwindel da? » Quien sabe?« sagt der Spanier.
Die Frau versteht zweifelsohne mehr aus der Liebe zu machen als der Mann. Sie weiß sie – namentlich dann, wenn sie erst dem »dunkeln Despoten« dadurch, daß sie Mutter geworden, den geheischten Tribut gezollt hat – idealischer zu fassen und zu führen als der Mann, bei welchem »sofort mit der Befriedigung die Leidenschaft um ein merkliches abnimmt, wenn sie auch noch nicht gleich ganz verschwindet, was jedoch häufig auch nicht lange auf sich warten läßt« Hartmann (»Philosophie des Unbewußten«, A. 3, S. 206) fügt noch hinzu: »Sehr lange überdauert keine Liebesleidenschaft den Genuß, wenigstens nicht beim Manne, wie alle Erfahrungen zeigen, wenn sie auch zuerst noch kurze Zeit wachsen kann. Die Liebe ist ein Gewitter; sie entlädt sich nicht in einem Blitze, aber nach und nach in mehreren ihrer elektrischen Materie, und wenn sie sich entladen hat, dann kommt der kühle Wind, und der Himmel des Bewußtseins wird wieder klar und blickt staunend dem befruchtenden Regen am Boden und den abziehenden Wolken am fernen Horizonte nach.« Hartmanns Buch ist, auch abgesehen von dem reichen Gedankengehalt desselben, schon darum von Bedeutung, weil der Verfasser einer der wenigen, sehr wenigen deutschen Schriftsteller der Gegenwart ist, welche den Mut haben, die Dinge mit ihren wirklichen Namen zu bezeichnen und die Wahrheit ungeschminkt zu sagen. Die jämmerliche Prüderie und die zweiächslerische Hofrätelei, welche in unserer Literatur herumscharwenzeln, gehen darauf aus, dieselbe zu einer richtigen englisch-scheinheiligen Teekesselliteratur zu verflauen. Unsere Teekesseler von Autoren tun in Versen und Prosa so, als bestände das ganze Publikum aus lauter bleichsüchtigen Mädelchen.. Beim Weibe hält die Befriedigung länger vor, weil das Nachgefühl die feineren Nervensaiten desselben in zärtlich dankbare Schwingung versetzt. Hogarth hat das in seinem geistvollsten Bilde (» Before and after«) meisterlich zur Anschauung gebracht, und Goethe, der überall und allzeit naturwahre, hat es prachtvoll aufrichtig formuliert, indem er in der sechsten seiner herrlichen »Römischen Elegien« die gekränkte Geliebte vorwurfsvoll zu ihm selber sprechen läßt:
»Geh! Ihr seid der Frauen nicht wert! Wir tragen die Kinder
Unter dem Herzen, und so tragen die Treue wir auch;
Aber, ihr Männer, ihr schüttet mit eurer Kraft und Begierde
Auch die Liebe zugleich in den Umarmungen aus!«
Ja, so ist es. Der Mann liebt darum das Weib als solches nur, solange er ein Mann. Das Weib aber kann noch lieben, liebt noch wirklich, wenn es schon aufgehört hat, ein Weib im physiologischen Sinne zu sein. Daraus erklärt es sich, daß der »dunkle Despot« den Mann zeitweilig zum willenlos erbärmlichen Sklaven des begehrten Weibes machen kann und wirklich macht; und ebenso, daß ein liebendes Weib nicht allein lebenslang, sondern auch noch über Tod und Grab hinaus in dem geliebten Mann ihren Gott sieht und verehrt. Der entmannte Abälard hat für Heloise nur noch das Gefühl zugeknöpfter Freundschaft; Heloise dagegen, obgleich sie weiß, daß Abälard ein Unmann, liebt ihn bis zu ihrer Todesstunde mit leidenschaftlicher Glut. Spötter mögen sagen: Die Sache ist die, daß der Mann wenigstens unter Umständen Vernunft annimmt, das Weib dagegen unter keinen. Allein selbst Spötter werden sich dazu bequemen, vor Heloise den Hut zu ziehen, während sie mit Achselzucken am Abälard vorübergehen.
Die tragische Geschichte dieses berühmten Paares ist hundertmal geschrieben worden und reizt doch immer wieder zu erneuter Darstellung. Das kommt davon, daß sie, was ja solchen Problemen überhaupt eigen ist, dem aufmerksamen Betrachter immer wieder eine neue Seite zukehrt. Um das richtige kulturgeschichtliche und psychologische Ergebnis zu gewinnen, darf man sich freilich die Mühe nicht verdrießen lassen – eine leichte und angenehme Mühe übrigens –, aus der echten Quelle der Geschichte Abälards und Heloises zu schöpfen, aus ihrem Briefwechsel Aber aus dem wirklichen, nicht aus dem fingierten, wie ihn Weiß(er) deutsch gedichtet hat, stellenweise recht ergreifend, da und dort ein Wort oder die Andeutung einer Situation aus den Originalbriefen entlehnend. Spaßhaft ist nun aber, wenn Fr. von Sontheim in seinem sonst nicht unebenen Büchlein »Geschichte der Liebe oder Versuch einer Philosophie der Geschichte für Damen« (1855) die Weißsche Fiktion für bare Wahrheit nahm, die Weißschen Verse als Auslassungen Abälards und Heloises zitierte und schließlich verwundert ausrief (S. 111): »Wer sollte dieses alles im Mittelalter suchen?« Auch von einer »Philosophie der Geschichte für Damen« darf man denn doch fordern, daß der Verfasser die Literatur kenne, auf welche er seine Schlüsse basieren will..
Diese Korrespondenz macht ohne Frage eins der eigenartigsten geistigen Denkmäler des 12. Jahrhunderts aus und des Mittelalters überhaupt. Der berühmteste Gelehrte und die gebildetste Frau ihrer Zeit lassen uns, nach voller gegenseitiger Hingebung durch ein furchtbares Geschick auseinandergerissen, in ihren Briefen in ihre Seele hineinblicken. Die des Weibes ist offenbar die größere. Heloise erscheint, obwohl ein leiser Zug von Blaustrümpfelei sich deutlich an ihr bemerkbar macht, geradezu heldisch. Nicht im amazonenhaften, sondern im intellektuellen Sinne. Sie schüttet die Glut ihres Herzens in Worten aus, wie so kühn eine Frau sie wohl nicht wieder auf das Papier geschleudert hat. Das heiße Latein ihrer Briefe gemahnt fortwährend an die Feuer- und Eifertöne des hebräischen Hohenliedes. In dieser Pariserin waltet jene »Freigeisterei der Leidenschaft«, welche keineswegs erst die moderne Zeit literarisch aufgebracht hat, sondern die sich schon im Mittelalter gar nicht selten sehr entschieden lautmachte. Man denke nur an unseres geisteshellen Gottfried von Straßburg Prachtgedicht von Tristan und Isolde, an den Dekamerone, an die französische Fabliaux- und die deutsche Schwankdichtung. Der weisen und wissenden Menschen gab es auch im barbarischen Mittelalter nicht wenige, obzwar sie sehr bewegliche Gründe hatten, »dem Pöbel ihr Gefühl und ihr Schauen« möglichst wenig zu »offenbaren«. Übrigens ist es ja bekanntlich auch heutzutage noch unrätlich und unter Umständen sogar gefährlich, Perlen vor die Schweine zu werfen, maßen diese, so sie können, zwar nicht diese Perlen, wohl aber den Werfer fressen.
Der Briefwechsel zwischen Abälard und Heloise wurde veranlaßt durch das berühmte Schreiben, welches jener von der Abtei Sankt Gildas de Rhuys im Morbihan aus an einen Freund richtete, lange Jahre nach der Pariser Katastrophe im Geschicke der Liebenden. Abälard gibt darin eine Geschichte seines Lebens und Strebens, seiner Liebe und seines Unglücks. Der Brief ist geradezu ein selbstbiographisches Denkmal. An der Wahrhaftigkeit des Briefschreibers ist nicht zu zweifeln. Die ganze Epistel trägt den Stempel der Aufrichtigkeit. Da und dort, wo die Schmerzen der Erinnerung schärfer sich regen, erhebt sich der Ton zwar nicht zu vollem Pathos, aber doch zu oratorischer Wärme. Im ganzen jedoch erzählt der Verfasser mit der Gelassenheit eines Mannes, welcher vom sicheren Uferfelsen aus auf das stürmende Meer, dem er entronnen ist, nicht ohne Behagen zurückblickt.
Abälard war ein Bretone. Er wurde im Dorfe Palais unweit Nantes im Jahre 1079 geboren und auf den Namen Pierre getauft. Abälard – auch Abelard und Abeilard geschrieben – ist nicht etwa sein Geschlechtsname. Zu jener Zeit führten ländliche Gutsherren – und ein solcher war Pierres Vater – überhaupt noch keine Geschlechtsnamen. Abälard ist nichts mehr und nichts weniger als ein Spitzname, dem jungen Pierre von einem seiner Lehrer gegeben, und hat die nichts weniger als romantische Bedeutung »Specklecker« Nach Rémusat (» Abelard« I, 13). Von bajo = lingo und lard. Ich muß aber bemerken, daß ich bajo in dieser Bedeutung weder im Du Cange noch bei Diez (Wörterb. d. roman. Spr.) gefunden habe.. Der Junge mag sich eines Tages an einem vom väterlichen Gehöft hereingesandten Stücke Speck erlabt haben, also von dem Magister, den vielleicht selber nach so einem Bissen gelüstete, betroffen und halb im Scherze, halb im Ärger mit einem »Sobriquet« beschenkt worden sein, das – eine echtfranzösisch-geschwollene Phrase zu gebrauchen – die Runde um die Welt machen sollte.
Specklecker rühmt seinem Vater nach, er habe viel auf die Wissenschaften (» literae«) gehalten und habe sich bemüht, ihm selbst und seinen Brüdern eine wissenschaftliche Bildung zu verschaffen. Wissenschaft war damals das Eingepauktsein im »Trivium« und »Quatrivium«, das Sprechen und Schreiben eines Latein, welches nichts weniger als ein ciceronisches gewesen ist, weiterhin die Kenntnis der antiken, ganz vorzugsweise der römischen Literatur, Gewandtheit in Handhabung der dialektischen Kategorien des Aristoteles, was man »Philosophie« nannte, und endlich viel Theologie. Diese ist eigentlich alles in allem gewesen, weil ja das ganze geistige Leben und Streben innerhalb der Schranken des römisch-katholischen Kredo sich bewegen mußte. Es fehlte bekanntlich auch im Mittelalter nicht an einzelnen kühnen Geistern, welche gegen diese Schranken angingen und sie zu durchbrechen suchten; aber sie haben sich nur die Schädel daran eingerannt.
Die allmächtige Despotin Madonna Ekklesia hielt sich eine »wissenschaftlich« gebildete Haus- und Sakristeisklavin, welche Philosophia scholastika oder kurzweg Scholastika hieß. Dieses beklagenswerte Geschöpf mußte sich jahrein jahraus bei Tag und bei Nacht damit abmühen, ihre wahnwitzige Herrin so zu bemalen, zu frisieren, anzuziehen und herauszuputzen, daß dieselbe aussah, als wäre sie gesunden Verstandes. Zugleich mußte die arme Scholastika, um ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit nachhaltiger tun zu können, auch noch die Schulmeisterin machen und jene Schule halten, aus welcher die nach ihr benannten Scholastiker hervorgegangen sind: arme, ärmste Teufel von »Philosophen«, welche die ungeheuerliche Aufgabe hatten, das Kamel Dogma durch das Nadelöhr Vernunft zu treiben.
Zu einem solchen Treiber bildete sich auch Abälard heran, von einer gelehrten Schule zur andern wandernd. Diese Schulen waren bischöfliche oder klösterliche, so ziemlich noch ganz auf dem Fuße der Klosterschulen eingerichtet, wie sie zur karlingischen Zeit bestanden hatten. Den bedeutendsten Eindruck empfing der wandernde Scholar Abälard von jenem Jean Roscelin, welcher Kanonikus zu Compiègne und ein wirklicher Denker gewesen ist. Roscelin kann als der Doktringeber der scholastischen Partei der »Nominalisten« angesehen werden, welche das Element der Beweglichkeit vertraten gegenüber der starren Stabilität der »Realisten«. Der Kanonikus von Compiègne ging aber über die Grenzmarke der dialektischen Zungendrescherei von damals weit hinaus, indem er es wagte, das Dogma von dem Eins, das gleich Drei, von den Drei, die gleich Eins – einer jener unqualifizierbaren Einfälle, auf welche der Mensch kommt, wenn er sich auf den Kopf stellt und mit den Hühneraugen denkt – zu analysieren und die lächerlichen Widersprüche nachzuweisen, aus welchen es zusammengesetzt ist. Natürlich erscholl sofort das heilige Zeterhorn und erdröhnte die Heerpauke der Rechtgläubigkeit. Auf einer im Jahre 1092 zu Soissons versammelten Synode wurde Roscelins Ketzerei verdammt. Auf ihn selber hetzte man das »Volk«, welches sich natürlich gerne hetzen ließ, und trieb ihn so aus dem Lande. Die Macher in Religionsgefahr und sonstigen Pöbelexzessen wissen gar wohl, daß die kenntnislose, denkfaule und niederträchtige Menge allzeit bereit ist und sein wird, das von ihnen angestimmte »Kreuzige!« in Ausführung zu bringen. Von dem schlechtunterrichteten »unfehlbaren« Volk an das besser zu unterrichtende zu appellieren nützt gerade soviel wie die Appellation von dem schlecht unterrichteten unfehlbaren Papst an den besser zu unterrichtenden. Es ist eine der jammerseligsten weltgeschichtlichen Tatsachen, daß das arme, unwissende, genasführte Volk immer und überall willig war und ist, mit seinen falschen Freunden gegen seine wahren sich zu verbünden. Ja, traurig zu sagen, es läßt sich lieber tausendmal belügen als nur einmal belehren – eine Erscheinung von so empörender Natur, daß sie sogar dem mildesten und liebevollsten Herzen, welches je in einer Dichterbrust geschlagen, den Zornschrei entriß:
»Das Volk, das froh in die Hände schlägt
Und jubelnd die Lüge begrüßt,
Hat keinem, welcher die Wahrheit trägt,
Auch nur eine Stunde versüßt.« …
Paris war zu Ende des 11. Jahrhunderts die Hauptburg der Scholastik, die Politurgeberin der scholastischen Methode, die Ausstrahlerin der scholastischen Mode. Als zwanzigjähriger Bursch kam unser Specklecker dorthin, angezogen insbesondere durch die Säule der Wissenden (» columna doctorum«), wie der Erzdiakon Wilhelm von Champeaux beehrennamset war, der dazumal der bischöflichen Schule von Paris vorstand. Das war so ein richtiger Kampfhahn der Scholastik, welcher mit dialektischem Flügelwetzen und syllogistischem Krähen einen ungeheuren Lärm vollführte. Der ganze Inhalt des Trivium und Quatrivium, das will sagen die gesamte Enzyklopädie der »Wissenschaften« von damals, hing ihm nur so zum Schnabel heraus, und der Kamm schwoll ihm von dem stolzen Bewußtsein, der geschickteste Wortschaumschläger seiner Zeit zu sein und mit einem unermeßlichen Aufwande von Buchstaben und Silben, Sentenzen und Schlüssen nichts zu sagen. Aber nicht lange stand es an, da wurde der gefeierte Hahn überhahnt: Wilhelms Schüler Abälard ging disputierend gegen den Meister vor und krähte ihn förmlich nieder.
Das trug dem jungen Sieger viel Ruhm ein, aber auch viel Neid. Alle Mittelmäßigkeiten werden ja wütend, wenn plötzlich neben ihnen ein auserwählter Mensch aufsteht und seine mit dem Siegel des Genius bezeichnete Stirne hoch über ihre Plattschädel erhebt. Abälard hielt sich für hinlänglich belehrt und gelehrt, um selber lehren zu können. Doch war er klug genug, einzusehen, daß er in Paris selbst zunächst noch nicht aufkommen könnte, und demzufolge begab er sich im Jahre 1102 nach Melun, um daselbst seine erste Schule aufzutun. Sie hatte Erfolg, und nach einiger Zeit entschloß sich »Meister Pierre«, wie Abälard von jetzt an gewöhnlich hieß, seine Lehrkanzel nach Corbeil bei Paris zu verpflanzen, um seine Angriffe auf die Notre-Dame-Schule und deren Vorsteher Wilhelm von Champeaux häufiger und nachdrucksamer führen zu können. Aber sein maßloser Lern- und Lehreifer machte ihn so krank, daß er sich genötigt sah, auf seiner Laufbahn innezuhalten und sich in seine ländliche Heimat in der Bretagne zurückzuziehen. Er verweilte einige Jahre unter dem Dache des Vaterhauses und fand im Frieden des Dorfes seine völlige Wiedergenesung. Allein obzwar ein Stück Poet, vermochte Abälard doch nicht lange in ländlicher Stille zu atmen. Die Aufregungen des Disputiersaals und der literarischen Klopffechterei waren ihm schon zum Bedürfnis geworden. Er kehrte daher auf den Schauplatz seiner Studien, seiner Kämpfe und seines Ruhms zurück, errichtete in Paris auf dem Genovevahügel eine Schule, welche sofort großen Zulauf erhielt, und die Neckereien, heftigen Streitigkeiten und halben Versöhnungen mit Wilhelm von Champeaux begannen von neuem. Das währte bis zum Jahre 1113, wo Wilhelm, zum Bischof von Chalons erwählt, dem Schüler, welcher ihm über den Kopf gewachsen war, das Feld räumte.
Abälard war jetzt das anerkannte Haupt der Schule von Paris und trat auf die Zenithöhe seiner Wirksamkeit als Lehrer. Von nah und fern strömten einheimische und fremde Zuhörer herbei. Wie Frankreich, sandten auch Deutschland, England und Italien ihre Kontingente. Aus dem letztgenannten Lande kam Abälards berühmtester Schüler, der erlauchte Märtyrer Arnold von Brescia. Auch ein nachmaliger Papst, Cölestin II., saß hörend zu den Füßen von Meister Pierre, zu gleicher Zeit mit Peter dem Lombarden, welcher später den Aberwitz der scholastischen Theologie oder theologischen Scholastik in seinem » Magister sententiarum« sehr wirksam systematisierte zum Schul-, Haus- und Handgebrauch unzähliger Toren.
Zweifelsohne trug Abälard eine kräftig pulsierende philosophische Ader in sich. Ja, man kann ohne Übertreibung sagen, daß er der einzige Philosoph seiner Zeit gewesen sei. Die in ihm arbeitende Skepsis machte ihn dazu. Der Vater alles Wissens, aller Forschung, alles Vorschritts, der dreimal heilige Zweifel, offenbarte dem Meister Pierre den Satz: »Man darf und muß nichts glauben, was man nicht begriffen hat«. Diesen Satz auch nur zu denken, war dazumal eine große Kühnheit; ihn auszusprechen, war eine große Tat. Der Rationalismus hat daher vollwichtigen Grund, verehrungsvoll auf Abälard als auf einen seiner ersten Begründer zurückzublicken. Aber darum hörte Meister Pierre doch nicht auf, ein Scholastiker zu sein. Er griff es freier, kühner und feiner an, das genannte Kamel durch das erwähnte Nadelöhr zu treiben, als alle die anderen; allein im ganzen und großen ist seine Tätigkeit als Dozent und Autor doch auch weiter nichts als solche Kameltreiberei gewesen.
Im übrigen war der Herr Kanonikus und Professor nichts weniger als ein Pedant. Von stattlicher Gestalt, weltmännisch gewandtem Gebaren, wohlberedt, mit allerhand geselligen Talenten ausgestattet, Versemacher, Sänger und Zitherschläger, hatte er einen großen Stand in der Gesellschaft. Seine in der Landessprache gedichteten Lieder, seine Witze, seine Ein- und Ausfälle gingen von Mund zu Mund. Die Menge staute sich auf seinen Wegen, wenn der berühmte Mann vorüberging, und die Frauen beugten sich aus den schmalen Fensteröffnungen, um ihm nachzusehen. Um das Jahr 1117 war er der Löwe von Paris.
Der Löwe fand seine Löwin.
Er hat selber von sich gesagt, sein Name sei dazumal so groß, sein jugendliches Feuer so mächtig, die Anmut seiner Gestalt so vorragend gewesen, daß er vonseiten keines Weibes, welches zu lieben er sich herablassen wollte, eine Zurückweisung zu befürchten gehabt hätte. Das klingt sehr geckisch, war aber nur wahr. Entbrannte doch ein Mädchen, welches, wenn nicht das schönste, doch unbedingt das geistvollste, gebildetste und graziöseste Frankreichs war, in leidenschaftlicher Glut für ihn – die siebzehnjährige, im ganzen Lande um ihrer Gelehrtheit willen berühmte Heloise für den achtunddreißigjährigen Meister Pierre.
Ihr Oheim Fulbert, Kanonikus von Notre-Dame, hatte das junge im Jahre 1100 oder 1101 in Paris geborene und frühverwaiste Mädchen zu sich genommen und seinen Stolz darein gesetzt, seine Nichte zu einer Gelehrtin zu machen. Schon im Alter von zwölf Jahren war sie das nach dem Maßstabe von damals. Sie sprach und schrieb geläufig lateinisch, kannte die römischen Poeten und Prosaiker, hatte einen dämmernden Hochschein vom Griechischen und wußte sogar etliche hebräische Worte. Wunderlich kommt uns vor, daß Abälard in der lakonischen Schilderung, welche er in seiner Selbstbiographie von der weiland Geliebten entworfen hat, von Heloises Schönheit sehr kurz und mehr nur negativ als positiv redet und den Akzent seiner Erinnerung ganz auf das Wissen und den Ruhm des Mädchens legt. Der arme Eunuchisierte hatte, als er das niederschrieb, wohl so ziemlich vergessen, wie sehr ihn schon der Anblick Heloises bezauberte, als er im Jahre 1117 oder 1118 das schöne Kind zum erstenmal sah. In Wahrheit, der Philosoph war »ganz weg«.
Meister Pierre redete sich aber nicht ein, in der Liebe das zu sein, was man einen Platoniker zu nennen pflegt, ganz dummerweise so zu nennen pflegt. Die Menschen minnten im Mittelalter überhaupt viel weniger minneliedersam und viel mehr minneliederlich, als Unwissende glauben und Verehrer der »guten alten frommen Zeit« zu glauben heucheln. Die Troubadours und Minnesänger haben dies übrigens überall, wo sie nicht im Fistelton der höfisch-ritterlichen Konvenienz, sondern im Brustton wahrer Empfindung sangen, mit anerkennenswerter Offenheit und Unbefangenheit selber eingestanden. Auch damals hat eben die Leidenschaft, wie sie allzeit und allenthalben tat, tut und tun wird, sich keineswegs damit begnügt, dem blassen Mond ihre Wünsche vorzuseufzen, sondern sie hat, und zwar nicht sehr skrupelig, nach dem Besitze des geliebten Gegenstandes gestrebt.
So tat auch unser verliebter Specklecker, und der Geiz und die Eitelkeit seines Mitkanonikus Fulbert verhalfen ihm rasch zum Ziele. Der Oheim war nämlich bis zu einem gewissen Grade ebenfalls in seine hochbegabte Nichte verliebt. Er wünschte den Ruhm Heloises über alle Welt ausgebreitet zu sehen, um sich in den Strahlen dieses Ruhmes onkelhaft zu sonnen. Kosten freilich sollte es möglichst wenig. Als ihm nun Abälard durch Vermittlung von Freunden (» quibusdam ipsius amicis intervenientibus«) zweierlei anbot: 1. die Nichte in alle Geheimnisse der Philosophie einzuführen und 2. der Mietsmann und Kostgänger des Oheims zu werden, um die Nichte bequemer unterrichten zu können, und zwar mit Entrichtung eines erklecklichen Miets- und Kostgeldes, da griff Ehren-Fulbert mit beiden Händen zu, froh einen Vogel gefangen zu haben, welcher den Säckel des Oheims mit gemünztem Silber und den Geist der Nichte mit dem gediegenen Golde der Weisheit füllen wollte. Daß der Kanonikus so blind war, mag einigermaßen entschuldigt werden durch den Ruf der Selbstbeherrschung und Enthaltsamkeit, in welchem Abälard bislang gestanden hatte.
Der Präzeptor zog in das nahe bei der Schule von Notre-Dame gelegene Kanonikathaus, und das unausbleibliche Spiel nahm seinen Anfang. Der Lehrer war eifrig, und die arme Heloise lernte nur allzuschnell und allzuviel. Abälard hat gar artig beschrieben, wie die Schule der Philosophie zur Schule der Leidenschaft und der Privatunterricht in heiliger und profaner Literatur zu einem Privatissimum der ars amandi wurde. Man könnte meinen, daß Dante diese Schilderung gekannt haben müßte, als er die glühenden und doch so keuschen Schlußterzinen des 5. Canto seines Inferno dichtete, in welchen die arme Francesca da Rimini beichtet, was ihr geschehen, als sie eines Tages mit Paolo Malatesta in einem Buche las. Es erging dem Meister Pierre und seiner Schülerin, wie es, mit oder ohne Buch, vor ihnen und nach ihnen Milliarden von Menschenpaaren ergangen ist und noch ergehen wird, genau so, wie es geschrieben steht beim Vater der Isolde Goldhaar:
»Minne, die Herzensjägerin,
Die schlich in ihre Herzen hin,
Eh' sie es wurden recht gewahr.
Sie stieß die Siegesfahne dar
Und zog die beiden ohne Streit
In ihre Gewalt und Herrlichkeit;
Sie wurden eins und einerlei,
Die vor gewesen waren zwei.«
Im übrigen hat Abälard in das pathetische Gemälde, welches er von der Exposition und Peripetie seines Liebedramas entwarf, einen eigenartig komischen Schnörkel hineingebracht, indem er erzählt, er habe, um die Augen der Aufpasser zu täuschen, seiner Schülerin mitunter die Rute gegeben.
Aber auf die Peripetie folgt auch im Liebesdrama logischerweise die Katastrophe. Dem »freudvoll« tritt das »leidvoll«, dem »himmelhochjauchzend« das »zum Tode betrübt« auf die Fersen.
Plötzlich verging dem Meister Pierre die lustselige Laune, Lieder zu dichten, worin statt der Mysterien der Philosophie die der Liebe gelehrt und welche, wie er nicht ohne einen Anflug von Poeteneitelkeit meldet, weitum gesungen wurden.
Dem Kanonikus Fulbert wurden endlich durch gute Freunde die blödsichtigen Onkelaugen weit aufgetan. Zu spät schaffte er den Lehrer der Liebeskunst aus dem Hause. Die gewaltsame Trennung machte natürlich die Verliebten nur noch erpichter aufeinander. Die Leidenschaft suchte, fand und ging ihre Wege. Der Widerpart von Oheim spähte und spionierte, stellte Fallen und legte Netze, und richtig ließen sich die Liebenden von ihm fangen, wie dem Sänger Demodokos im achten Gesange der Odyssee zufolge vom armen Hinkebein Hephästos seine Frau Gemahlin Aphrodite und ihr Buhler Ares gefangen worden waren. Die näheren Umstände dieses mißlichen Abenteuers und wie er demselben entronnen, hat Meister Pierre anzugeben nicht für gut gefunden.
Kurz darauf kam ihm von Heloise eine briefliche Mitteilung zu, die ihn sehr nachdenklich stimmte. Seines Nachdenkens Resultat war aber, daß er die Geliebte nachtschlafender Weile aus dem Hause ihres Oheims entführte, und nicht nur aus dem oheimlichen Hause, sondern auch aus Paris. Er brachte die Entführte in seine bretonische Heimat und dort in das Haus seiner Schwester. Hier gebar Heloise, nachdem die Zeit erfüllet war, einen Knaben, welchem die junge Mutter den barocken Namen Sternhöhemesser (Astrolabium) gab.
Abälard war schon vor erfolgter Niederkunft der Geliebten nach Paris zurückgekehrt und mühte sich ab, den vor Entrüstung rasenden Oheim zu begütigen. Das wollte lange nicht gelingen, und Abälard hatte Mühe, sich der Nachstellungen des wütenden Kanonikus zu erwehren. Endlich fand er aber doch bei Fulbert und der Fulbertschen Sippschaft Gehör mit seinem Vorschlag, Heloise in aller Form zu heiraten; nur sollte die Heirat geheim gehalten werden, damit sein Ruf keinen Schaden litte. Um dies zu verstehen, müssen wir uns erinnern, daß dazumal ein ehrgeiziger Mann nur entweder im Harnisch oder aber im Priesterrock steigen konnte. Seit Gregors VII. Zölibatsbulle vom Jahre 1074 galt aber Ehelosigkeit für die unumgängliche Voraussetzung, wenn einer zu höheren und höchsten kirchlichen Ämtern und Würden gelangen wollte. Abälard wollte steigen und wähnte die Voraussetzung seines Steigens mittels Geheimhaltung seiner Verehelichung herstellen zu können. Man sieht, der Mann war schon nicht mehr recht verliebt, seine Begierde war gestillt, und er setzte die fernerweite Befriedigung derselben der Stillung seiner Ehr- und Ruhmsucht weit nach.
Das Weib dagegen, Heloise, begann jetzt erst recht zu lieben, mit der Seele zu lieben. Die Mutter Sternhöhemessers weigerte sich geradezu, auf den Heiratsvorschlag einzugehen. Sie wollte nicht, daß ihr Ideal von Mann zur ordinären Wirklichkeit der Ehemannschaft herabsänke. Sie bezeichnete es als unschicklich und beklagenswert, daß ein Mann, den die Natur zum Vorteil aller geschaffen, sich der Schmach unterzöge, einer Frau zu eigen zu sein. Sie erklärte geradezu, daß sie einen Ehebund verabscheuen müßte, welcher den Geliebten seiner Freiheit berauben und wie der Philosophie so auch der Kirche zum größten Schaden gereichen würde; und weiter, sie mache sich nichts aus ihrer eigenen Schmach, so nur sein Ruhm vor Schaden gewahrt wäre.
In der ganzen Verhandlung erscheint Heloise viel größer als Abälard, welcher ganz augenscheinlich vor dem zornmütigen und rachsüchtigen Fulbert Furcht hatte und hauptsächlich durch dieses Motiv dazu getrieben wurde, die hochherzige Geliebte zu rehabilitieren, indem er sich mit ihr trauen ließ; aber doch nur heimlich, daß es ja seinen Aussichten nicht schadete. Was demnach das Weib aus innigster, selbstlosester Liebe nicht wollte, das wollte der Mann aus feiger Berechnung. In dem Weibe waltete weit und schön der himmlische Dämon, in dem Manne klügelte klein und kläglich die »Angst des Irdischen«. Heloise handelte heldisch, Abälard wand sich und tastete und tiftelte wie ein Diplomat. Das Weib dachte gar nicht an sich, der Mann dachte nur an sich. Er kalkulierte, sie aber liebte, liebte mit jener Kraft, deren Preis in die üppigen Metaphern des Hohenliedes hereinbricht wie in das Gekicher und Gelispel von Geigen und Flöten ein schüttelnder Posaunenton:
»Stark wie der Tod ist die Liebe!
Fest wie die Hölle ihr Wollen!
Sie ist eine Flamme Gottes,
Und jeder Gewalt der Erde
Trotzt ihre Glut!«
Zuletzt wich aber doch Heloise dem Drängen Abälards, welchem vor allem daran gelegen war, seine Laufbahn in Paris fürder in Sicherheit verfolgen zu können. Aber nur unter Vergießung bitterer Tränen tat sie dem geliebten Manne, in welchem sie gern einen künftigen Abt, Bischof, Erzbischof, Kardinal oder gar Papst gesehen hätte, seinen Willen, sich mit ihm trauen zu lassen, und in bangem Vorgefühl sprach sie ein prophetisches Wort, welches sich nur allzusehr verwirklichen sollte »Wenn wir uns ins Verderben stürzen, so wird der Schmerz nicht zurückbleiben hinter der Liebe, die uns verband.«.
Abälard, welcher wieder nach der Bretagne geeilt war, um der Mutter seines Sohnes die gewünschte Einwilligung abzupressen, übergab den kleinen Sternhöhemesser seiner Schwester zur Pflege und führte Heloise nach Paris zurück. Etliche Tage nach ihrer Ankunft daselbst ging frühmorgens in aller Heimlichkeit – nur der Oheim Kanonikus und einige wenige Freunde waren zugegen – in einer der Pariser Kirchen die Trauungszeremonie vor sich; die junge Frau kehrte in das Haus Fulberts zurück, und die Ehegatten sahen sich nur selten und insgeheim. Allein dies gekünstelte Verhältnis konnte nicht von Dauer sein.
Paris war schon damals die Stadt der Ärgernisse par excellence. Wie hätte sich die Skandalchronik den kostbaren Stoff von Heloises Verschwinden und Wiederkehr entgehen lassen können? Erst raunte und dann rasaunte es in der Stadt umher, um welcher Verrichtung willen die schöne und gelehrte Heloise nach der Bretagne gereist sei. Wir dürfen keck annehmen, daß die häßlichsten und unwissendsten Weiber die Einzelheiten dieser Schamreise am genauesten anzugeben und mit den giftigsten Glossen zu begleiten wußten. Kurz, es gab ein groß Geschrei, und unser kanonischer Choleriker von Oheim wurde darüber ganz rabiat. Was, seine Nichte, sie, welche seine Ehre, sein Ruhm, sein Stolz gewesen, sollte als »so eine« verschrien sein? Nimmermehr! Die Lästermäuler sollten zugestopft werden mit der Tatsache, daß Heloise ein ehrliches Eheweib; ja, das sollten sie! Und das dem Abälard gegebene Versprechen der Geheimhaltung seines Ehebundes brechend, gingen Fulbert und sämtliche Vettern und Basen der Fulbertschen Sippschaft hin und sagten aller Welt: Meister Pierre ist der rechtmäßige Gatte Heloises; das Paar ist in aller Form und Feierlichkeit eingesegnet und getraut; da und da, zu der und der Stunde hat die Trauung stattgefunden.
Wäre nun die arme Heloise ein gewöhnliches Weib gewesen, statt ein dämonisch bewegtes zu sein, so würde die Sache damit wohl ihre Erledigung gefunden haben. Aber es kam ganz anders. Der alle Klatscher und Klätscherinnen, alle Zungen und Ohren von Paris beschäftigende Skandal trat sozusagen aus seinem Positiv in den Komparativ. Denn nur die Zukunft des geliebten Mannes in Betracht ziehend, erklärte Heloise in hochherziger Selbstvergessenheit: »Nein, es hat keine Trauung stattgefunden und ich bin keine rechtmäßige Ehefrau. Nennt, scheltet und lästert mich, wie ihr wollt; ich muß es leiden, denn ich bin keine legitime Gattin.«
Aber er, Abälard, trat er nicht hervor, die Wahrheit zu bezeugen und den Ehrenschild des Ehebundes über das edle Geschöpf zu halten, welches seine Frau war? Nein, er schwieg. Eine weibliche Liebe, wie es eine zweite vielleicht nie gegeben, war verschwendet an einen Mann, dessen Seelenfittiche nicht Schwungkraft genug besaßen, ihn auf gleicher Höhe mit der Idealität des liebenden Weibes zu halten. Heloise behauptete die Genialität ihrer Natur bis zuletzt, Abälard sank frühzeitig zur Philisterei herab.
Wie der kanonische Oheim wetterte und zeterte, kann man sich leicht vorstellen. Er tat seiner Nichte, die ihm wie eine Verrückte vorkommen mochte, allen Schimpf und alle Schande an, und es steht stark zu vermuten, daß der jähzornige Mann von Verbalinjurien auch zu Realinjurien vorgeschritten sei. Das durfte und konnte Abälard denn doch nicht ruhig geschehen lassen. Es gelang ihm, sein Weib abermals aus der Gewalt des Kanonikus zu befreien und für Heloise ein Asyl im Kloster von Argenteuil auszumitteln, allwo sie ja von früher her gut empfohlen war, da sie mehrere ihrer Kinderjahre unter den Klosterschwestern verbracht hatte. Zu ihrer größeren Sicherheit ließ Abälard sie das Nonnenkleid antun, mit Ausnahme jedoch des Schleiers, also des eigentlichen Merkmals wirklicher Nonnerei.
Das machte den vor Zorn siedenden Kopf Fulberts zum überkochenden Topf. Der Kanonikus glaubte, Abälard wollte dadurch, daß er seine rechtmäßige Ehefrau ins Kloster gebracht und ins Nonnenkleid gesteckt hatte, in bequemster Weise sich von ihr losmachen und befreien. Oder sollte, mochte der Kanonikus sich fragen, das Nonnenkleid seiner entehrten Nichte für den Lüstling von Specklecker gar nur ein wohlfeiler Deckmantel sein, hinter welchem sich eheliche Rechte üben ließen, ohne daß der Ausüber sich als Ehemann bekennen müßte? Nein, das wenigstens – so brodelte der überschäumende Topf – soll dem vermaledeiten Verderber meiner Nichte verleidet werden! Sie soll nicht in den Fall kommen, ein zweites Astrolabium in die Welt setzen zu müssen!
Und wie gesagt, so getan. Der Skandal sprang aus dem Komparativ in den Superlativ hinauf. Geführt von dem mittels Bestechung zum Verräter gemachten Diener Abälards, drang die Fulbertsche Sippschaft eines Nachts in seine Wohnung ein, warf den aus dem Schlafe aufgeschreckten Meister nieder und machte ihn zum Eunuchen.
Ob der kanonische Oheim das schnöde Attentat nur angestiftet oder ob er bei der Ausführung persönlich zugegen gewesen, sagt uns Abälard in seinem Berichte nicht. Er meldet nur, daß die Übeltäter nach verübtem Frevel entflohen, daß ihrer zwei auf der Flucht ergriffen wurden und zur Strafe ihnen angetan ward, was sie ihm angetan hatten, mit Hinzufügung der Blendung. Einen widerlichen Eindruck macht es, wenn Abälard im Verlaufe seines Berichts mit kathedralischer Eitelkeit sagt, es sei ganz unmöglich, die Teilnahme und die Klagen zu schildern, welche seine Verstümmelung hervorgerufen habe. Nicht mit einer Silbe gedenkt er dabei Heloises. Zurzeit ganz niedergeschmettert, barg er seine Wunde, seine Scham und seine Demütigung im Klosterschatten und nahm in der Abtei von Saint-Denis die Kutte, nicht verhehlend, daß ihn mehr die Bestürzung und Beschämung als die Frömmigkeit zu diesem Schritte getrieben.
Noch bevor Meister Pierre die Kutte antat, hatte sich Heloise den Nonnenschleier umgebunden. Sie hatte sich dazu entschlossen, sobald die Kunde von Abälards Mißgeschick in die Mauern von Argenteuil gedrungen war. Umsonst hatten die Klosterschwestern, deren Liebling sie geworden, die junge Frau beschworen, ihre Jugend, Schönheit und Gelehrtheit nicht hinter den Klostermauern zu begraben. Heloise fühlte, daß es mit ihrem Glück zu Ende und ihr Leben eigentlich beschlossen sei. Aber sogar während der Zeremonie ihrer Einkleidung und Verschleierung hatte sie keinen andern Gedanken als den Geliebten, und es ist charakteristisch, daß diese mehr in antik-klassischen als in mittelalterlich-christlichen Anschauungen lebende Frau in dem Augenblick, als der Nonnenschleier vom Altar genommen wurde, um über ihr Haupt gebreitet zu werden, schluchzend in die Klageworte ausbrach (»
inter lacrymas et singultus prorumpens ait«), welche Lukan im achten Buche seiner Pharsalia der Kornelia in den Mund gelegt hat
»O maxime conjuxi
O thalamis indigne meis! hoc juris habebat
In tantum fortuna caput?
Cur impia nupsi,
Si miserum factura fui? Nunc accipe poenas,
Sed quas sponte luam.«.
Abälard nahm bald seine Lehrtätigkeit wieder auf, die ihm Lebensbedürfnis war, und die jetzt eine zweite Glanzperiode erlebte. Aber mit diesem neuaufgehenden Glanze seiner Wirksamkeit hoben auch wieder alle die Widerwärtigkeiten an, welche die Wächter Zions dem Manne bereiteten, der sich abermals mit der gefährlichen Einbildung trug, das Kamel Dogma müßte, so man alle Gehirnnerven redlich anstrengte, doch wohl endlich durch das Nadelöhr der Vernunft getrieben werden können. Der redliche Treiber fand keine bleibende Stätte: die Rechtgläubigen trieben ihn mit der Geißel ihres Hasses von einem Orte zum andern. Am unerbittlichsten schwang diese Geißel der heilige Bernhard, Abt von Clairvaux, besonders dann, als unweit von diesem Kloster Abälard im Jahre 1122 bei Nogent-sur-Seine das Oratorium Paraklet gegründet hatte, welches er nachmals an Heloise und ihre durch den »heiligen« Abt Suger von Saint-Denis aus Argenteuil vertriebenen Klosterschwestern abtrat.
Bernhard, der strenge Mönch, der begeisterte Kreuzzugsprediger, war übrigens ein ehrlicher Gegner, ein bedeutender Mensch, eine dämonische Natur. So ein Fanatiker, welcher, was jener indische Brahmane von sich behauptete, Glaubensfeuer genug in seinem Bauche hatte, um die ganze Welt damit zu verbrennen. Er hat auch so einen Weltbrand wenigstens symbolisch-poetisch veranstaltet, indem er, seiner grenzenlosen Weltverachtung Ausdruck zu geben, das berühmte Lied von der »
Vanitas mundi« dichtete
»
Cur mundus militat sub vana gloria,
Cujus prosperitas est transitoria? etc.
Der Inhalt des ganzen Liedes faßt sich zusammen in der Schlußzeile: »
Felix, qui poterit mundum contemnere« (Glücklich, wer die Welt verachten kann)., welches Buddha oder Schopenhauer geschrieben haben könnte.
Genau betrachtet, drehte sich der Zank zwischen Abälard und Bernhard um nichts weiter als um die Aufzäumungsart und den Hufschlag des schon öfter als billig erwähnten Kamels. Aber solche Alfanzerei gehörte damals zu den »Lebensfragen« der Gesellschaft und wurde daher mit ungeheurem Ernste betrieben. Vor einem mit großem Pomp veranstalteten Konzil, das am 2. Juni 1140 zusammentrat, erschien Sankt Bernhard mit den Schriften Abälards in der Hand als Ankläger und Meister Pierre als Angeklagter, welcher aber die Prozedur abschnitt, indem er die Zuständigkeit der Versammlung bestritt und an den Papst appellierte. Da kam er aber übel an. Innozenz II. befahl, daß die Schriften Abälards verbrannt werden sollten und daß ihrem Verfasser als einem Ketzer (» tamquam haeretico«) unverbrüchliches Schweigen aufzulegen sei. Der also Gemaßregelte wollte nun selber nach Rom, um von dem übel unterrichteten Papst auf den besser zu unterrichtenden sich zu berufen. Als ob ein unfehlbarer Statthalter Gottes jemals übel unterrichtet sein könnte! Unterwegs wurde er aber im Kloster Cluny durch den berühmten Abt Peter, genannt der Ehrwürdige, zurückgehalten, und dieser Freund vermittelte auch eine Aussöhnung Abälards mit Bernhard von Clairvaux. Verfolgt wurde dann der gebrochene Mann weiter nicht mehr. Er lebte ruhig in Cluny, bis zunehmendes Siechtum ihn nötigte, eine Luftveränderung als Heilmittel zu versuchen. Demzufolge begab er sich in die Priorei Saint-Marcel unweit Chalons, wo er seine letzten Lebenstage verbrachte.
Nach ihrer grausamen Trennung in Paris haben sich Abälard und Heloise nur noch einmal gesehen. Es geschah dies im Jahre 1129, als Heloise samt ihren Mitnonnen brutal aus Argenteuil vertrieben worden war. Um ihr eine Zuflucht zu verschaffen, eilte Meister Pierre aus der Abtei von Saint-Gildas in der Bretagne, welcher er damals vorstand, herbei und übergab mit Zustimmung des Bischofs von Troyes das Oratorium Paraklet an Heloise und ihre Klosterschwestern. Paraklet gedieh sehr gut. Mittels einer päpstlichen Bulle vom Jahre 1136 wurde das unter die Regel Sankt Benedikts gestellte Kloster zur Abtei erhoben und Heloise zur Äbtissin ernannt.
Sie war eine vortreffliche Äbtissin, eine angehende Heilige. Aber sie hörte darum doch nicht auf, ein liebendes Weib zu sein. Das wurde prächtig offenbar, als eine Abschrift von dem berühmten selbstbiographischen Briefe, den Abälard von Saint-Gildas aus an einen Freund geschrieben hatte, ihren Weg in die Mauern von Paraklet fand.
Der größte bislang unter den Slawen aufgestandene Dichter, Mickiewicz, hat die psychologische Tatsache, daß mitten im Braus und Saus des Mißgeschicks der Stachel der Erinnerung in der Menschenbrust sich abstumpfe, dagegen nach vorübergegangenem Gewitter in der Stille der Ergebung seine Spitze wieder scharf fühlbar mache, in die schöne Strophe geprägt:
»Seele, die Erinnerung wohnt, ein Gei'r, in deinem Grund;
In des Schicksals wildem Sturm schläft sie und du bist gesund.
Aber wenn die Ruh' ins Herz wiederkehret und Vertrauen,
Fassen es die Klauen.«
Das mußte auch die arme Heloise bitterlich erfahren. Sie wähnte ihr Herz beschwichtigt und geschweigt, wähnte es eingesargt in die Resignation klösterlicher Askese. Da schlug wie ein Blitz Abälards Brief in den Sarg, das Herz des Weibes erwachte, flammte auf und strömte seinen hochherrlich-dämonischen Minnebrand in einer Epistel an den Geliebten aus, welche von Naturwahrheit pulsiert und doch zugleich das glühendste Gedicht ist, welches jemals von einer Frau ersonnen worden. Es fehlen ihm nur Rhythmus und Reim. Auch ist etwas zuviel darin, etwas Störendes: die mancherlei gelehrten Anspielungen. Mitten in die innigsten Gefühlsergüsse hinein blaustrümpfelt es mitunter wunderlich.
Nachdem die Schreiberin den Geliebten um der Anfechtungen willen, welche er von seiten seiner Feinde in seiner Lehrtätigkeit erfahren mußte, beklagt und ihm gesagt hat, daß er die Perlen seiner Beredsamkeit vergeblich den Schweinen vorwerfe, kommt sie auf sich selber zu sprechen, auf die Katastrophe ihrer Liebe, und erinnert Abälard daran, daß sie es doch wohl noch mehr als der Freund, an welchen er geschrieben, verdient hätte, Trostworte von seinen Lippen zu empfangen. »Denn Du allein bist es, der mich betrüben, der mich erfreuen, der mich trösten kann. Und Du allein bist es auch, der mir das schuldet, weil ich, was Du wolltest, so ganz getan habe, daß ich, um Dir zu Willen zu sein, mich selber zugrunde gerichtet habe. Und was noch mehr und wunderbar zu sagen ist, meine Liebe hat sich zu solchem Wahnsinn gesteigert, daß sie das, was sie doch einzig begehrte, ohne alle Hoffnung auf Wiedergewinn sich selber entzog, indem ich auf Deinen Befehl meine Seelenstimmung und Lebensweise plötzlich änderte, um zu zeigen, daß Du sowohl meines Leibes als meines Geistes einziger Besitzer seiest. Niemals – Gott weiß es – habe ich in Dir und bei Dir etwas gesucht als Dich selber, rein nur Dich, nicht das Deinige begehrend. Nicht Geschenke, nicht den Ehebund habe ich erwartet und nicht meine Wünsche und Wollüste, sondern, wie Du wohl weißt, nur die Deinigen habe ich zu befriedigen getrachtet. Wenn aber der Name einer Gattin heiliger und wertvoller zu sein scheint, so ist doch mir der Name einer Freundin süßer vorgekommen, oder, wenn Du nicht darüber böse wirst, der Name einer Beischläferin oder Hetäre, damit, je tiefer ich mich für Dich erniedrigte, ich desto größere Gnade bei Dir fände und also dem Ruhme Deiner Vortrefflichkeit weniger Eintrag täte. Gott rufe ich als Zeugen an: wenn auch der Kaiser, der Herr der Welt, mich der Ehre würdigte, seine Gattin zu werden, und mir den ganzen Erdkreis für allzeit zu Füßen legte, so würde es mir doch teurer und werter erscheinen, Deine Buhlin« (der Ausdruck Meretrix = Dirne. im Original ist noch viel drastischer) »als seine Kaiserin zu sein.«
Hieran knüpft Heloise einige feine Bemerkungen über das Wesen der Liebe und legt dar, daß diese zumeist eine Täuschung (» error«) sei, weil eben die hochgespannten gegenseitigen Erwartungen gar selten in Erfüllung gingen. Sie jedoch, fügt sie frohlockend hinzu, habe keine Enttäuschung zu befahren gehabt. »Denn was andere Frauen von ihren Männern sich einbildeten, das hat die ganze Welt von Dir nicht nur geglaubt, sondern auch gewußt, und meine Liebe zu Dir konnte demnach desto wahrhafter sein, je weiter sie von der Täuschung entfernt war. Welcher König doch oder welcher Weise kam an Ruhm Dir gleich? Welche Gegend, welche Stadt, welches Schloß dürstete nicht nach Deinem Anblick? Wer, ich frage Dich, rannte nicht, Dich zu sehen, wenn Du erschienst? Wer reckte nicht den Hals, Dir nachzublicken, wenn Du verschwandest? Welches Weib, welche Jungfrau schmachtete nicht nach Dir Abwesendem und entbrannte nicht für Dich Gegenwärtigen? Welche Königin oder Fürstin beneidete nicht die Wonnen meines Lagers?«
Sie führt das noch weiter aus und sagt dem Geliebten, daß ihm die Herzen aller Frauen zugeflogen seien, insbesondere um der Anmut seiner Rede und um der melodischen Zärtlichkeit seiner Lieder willen. Weiterhin drängt sich ihr ein Vorwurf in die Feder. »Sage mir, wenn Du kannst, warum ich nach unserer Bekehrung ( post conversionem nostram), welche doch ganz und allein Dein Werk war, bei Dir in so große Vernachlässigung und Vergessenheit gefallen bin, so daß Du mich weder anwesend durch dein Gespräch, noch abwesend durch Briefe tröstest. Sag' es mir, wenn Du kannst, oder aber ich will Dir sagen, was ich fühle und was alle argwöhnen: – mehr die Begierde hat Dich mir verbündet als die Freundschaft, mehr die Sinnenbrunst als die Liebe. Weil nun, wonach Dich gelüstete, verschwunden ist, verschwand damit auch Dein darauf gerichtetes Tun.«
Die reine Flamme ihrer Liebe verzehrt jedoch sofort wieder diese augenblickliche Bitterkeit, und gegen das Ende des Briefes zu lodert das Feuer abermals hoch und schön empor. »Ich wäre – ruft sie dem Geliebten zu – so Du in vulkanische Krater Dich gestürzt hättest, nicht unschlüssig gewesen, Dir dahin zu folgen oder auf Dein Geheiß voranzugehen. Denn nicht in mir, sondern in Dir war meine Seele, und auch jetzt und mehr noch als je ist sie, so sie nicht bei Dir, nirgendwo. Ohne Dich aber kann sie gar nicht sein.«
Abälards Antwort auf diesen glühenden Ausbruch ist ganz steifleinen und philisterhaft, durchweg nur theologische Zungendrescherei. Heloise läßt sich dadurch nicht abschrecken. Auch ihr zweiter Brief ist voll Glut, und heiß hadert sie darin mit dem Schicksal, daß sie straflos ausgegangen seien, während sie unerlaubten Freuden gefrönt hätten, wogegen die Hand Gottes schwer auf sie gefallen, als sie ihre Verirrung durch einen rechtmäßigen Ehebund gutzumachen gesucht hätten. Sie beklagt den Geliebten, daß er gerade um seiner Ehemännischkeit willen die Strafe ertappter Ehebrecher habe leiden müssen. Die Ausdrücke und Wendungen, in welchen sie das alles vorbringt, nehmen sich im Munde einer Äbtissin freilich sonderbar genug aus. Edel und rührend aber ist, wenn sie den Geliebten betrauert, daß er allein büßen mußte, was beide gefehlt, und wenn sie hochherzig sich selber den größeren Teil der Verschuldung zuschreibt. Als Entgegnung auf diese innigsten Gefühlsoffenbarungen predigt Abälard ihr wieder weitschweifig vor und faßt dann sein Gepredige in die kühle Ermahnung zusammen: »Nimm, o Schwester, nimm, ich bitte Dich, geduldig hin, was über uns verhängt worden ist.«
Summa: Heloise verhielt sich zu Abälard, wie das Ideal zur Wirklichkeit, wie die Poesie zur Prosa sich verhält. Das Weib stand hoch über dem Manne.
Er starb zu Saint-Marcel am 21. April 1142. Heloise erbat sich den Leichnam ihres Gatten und hat ihn zu Paraklet bestattet. Zweiundzwanzig Jahre später ist sie, am 16. Mai 1164 verstorben, an seine Seite gebettet worden. Als im Jahre 1792 das Kloster Paraklet aufgehoben wurde, schaffte man den Doppelsarg mit den Überresten des Paares nach Paris und gewährte ihm eine Stätte in der berühmten Totenstadt des Père Lachaise.
Also auch hier das unausweichliche kleine Ende von jedem großen Lebensdrama: – eine Handvoll Staub. Sankt Bernhard hat doch recht mit seinem Weltverachtungsgesang. Es lohnt sich nicht der Mühe, dieses Drama durchzuspielen. Sämtliche Rollen darin, selbst die glänzendsten, sind undankbar. Aber wir sind nun einmal dazu gepreßt und müssen trachten, uns möglichst gut aus der Sache zu ziehen und mit pflichtschuldigem Ernst und Anstand zu spielen. Alles Gefrage warum? wozu? wofür? ist eitel; denn »nur ein Narr wartet auf Antwort«.