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O caritatis victima, o dira vis amoris!
Crudelitatis hostia, spectaculum doloris!
Altkirchliches Lied.
Lauda matris ecclesiae dulcissimam clementiam
Quae septem purgat vitia per septiformam gratiam.
Der heilige Odo von Kluny.
Das Jahr 1870 darf und muß, wenn nicht als ein Hauptakt, so doch jedenfalls als eine der »großen« Szenen in der Tragikomödie Weltgeschichte bezeichnet werden.
Erstens deshalb, weil in diesem Jahre der »hochmütige, falsche und liederliche Franzosengeist«, wie schon Anno 1689 ein deutscher Patriot das Ding genannt hat, von der Felsenhöhe seines Größenwahns herabgeworfen wurde; und zweitens darum, weil der Krieg von 1870 die verlogene Phrase von der Völkersolidarität und was drum und dran hängt aus dem Gehirne denkender und aufrichtiger Menschen unsanft, aber gründlich weggesäubert hat.
Man wird jetzt, wenigstens unter anständigen Leuten, die dummen warmbrüderlichen und süßschwesterlichen Redensarten und utopistischen Schwarbeleien nicht mehr hören müssen. An die Stelle der erdichteten geschichtlichen Lebensmächte treten offen die wirklichen: Hunger und Haß, das Interesse in der nacktesten Bedeutung des Wortes, und ein gesunder Nationalegoismus geht frank und frei einher.
Auch die Deutschen hätten schon lange Ursache gehabt, diesen gesunden und naturgemäßen Nationalegoismus sich anzulernen. Allein erst die bitteren Erfahrungen, die sie in den Jahren 1870-71 machen mußten, haben ihnen die Notwendigkeit so recht einleuchtend und fühlbar gemacht. Weil sie den frechsten aller französischen Angriffe, einen richtigen Banditenanfall, glorreich zurückschlugen, weil die deutschen Schwerter den gallischen Bramarbasen das eroberungsgierige » Au Rhin! à, Berlin!« in die Schreihälse zurückstießen, weil die Deutschen so frei waren, ihr gestohlenes Eigentum den französischen Dieben wieder abzunehmen, ging ringsher ein wütendes Gekläffe gegen sie los und kläfften, wie gewöhnlich, die kleineren und kleinsten und schäbigsten Köter am unverschämtesten, am giftigsten. Es verdient auch als ein kulturgeschichtliches Charakteristikum angemerkt zu werden, daß neben den völkersolidarischen Schwarmgeistern überall die unwissende Menge und ihre mehr oder weniger gaunerischen Schmeichler für die Franzosen, die wissenden und urteilsfähigen Menschen dagegen für Deutschland waren. Will man diese Tatsache in die kürzeste Formel bringen, so kann man sagen: Dort stand Garibaldi, hier Mazzini; dort der Londoner Mob, hier Carlyle.
Das »Phantasma« von dem Menschenbrudertum und der Völkervetterschaft wären wir also glücklich los, und es gereicht uns nur zur Ehre, daß wir ehrlich genug sind, offen auszusprechen, der wahre und wirkliche »Urstand der Natur«, wo Mensch dem Menschen und Volk dem Volke gegenübersteht, sei endlich auch theoretisch wieder anerkannt, wie er ja faktisch allzeit zu Recht bestanden hat. Alter Spinoza, redlichster und mutigster aller Denker, du hast schon vor zweihundert Jahren in ihrer ganzen strengen Nacktheit die große Wahrheit hingestellt, daß jeder Mensch und folglich auch jedes Volk gerade nur soviel Recht hat, als er oder es Macht besitzt Tract. polit. I, 2, 8: » Unusquisque tantum juris habet, quantum potentia valet.« In einer Zeit, wo der Geschmack für alte »Kernlieder« da und dort so schön grassiert, dürfte es nicht unpassend sein, auch so einen alten Kernspruch von Zeit zu Zeit zu verlautbaren.. Dieser Satz gibt eine granitene Basis ab für eine richtige, für die alleinrichtige Politik. Auf diese Basis stelle Deutschland seine Zukunft und lasse die Köter kläffen, die kleinen und die großen.
Der Errungenschaften des Jahres 1870 sind aber noch mehr, darunter höchst bedeutende. Wenn beim Beginn des Krieges die Phrase noch eine erkleckliche Rolle spielte, wenn in Manifesten und Proklamationen von »deutscher Freiheit«, von »Volksrechten« und anderen dergleichen »abstrusen« Dingen häufiger als billig die Rede war, so haben sich im Verlaufe des großen Kampfes solche Redensarten mehr und mehr verloren und sind zuletzt ganz und gar verstummt. Die Rückkehr zur Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit hat sich auch hier in schönster Weise vollzogen. Die neue deutsche Reichsverfassung ist in »korrektester« Weise von Ministern gemacht, von den Fürsten festgestellt und sodann der Nation, ohne daß diese mit dem lästigen Geschäfte irgendwie behelligt und bemüht wurde, allergnädigst geschenkt worden. Uns wurde dadurch erspart, ein »Lebermeer« von Geschwätz durchwaten zu müssen.
Freilich könnten Leute, welche den Aussagen unserer jetzigen politischen Vorgeiger und Vortänzer zufolge noch immer im »alten romantischen Land«, im Nebelheim der Ideale »herumtaumeln«, sich versucht fühlen, in den Bart zu brummen, Sir John Falstaff mit seiner realpolitischen Behauptung, das Volk komme nur als » food for powder« in Betracht, sei doch wohl auch kein unfehlbarer Prophet; und ferner, alle die Trübsal, welche die Völker dermalen durchzuleiden haben, sei nur die gerechte Buße für die abgrundtiefe Dummheit und feige Niedertracht, womit sie Anno 1848 die beispiellos günstige Gelegenheit, ihre Geschicke selbstbestimmend in die eignen Hände zu nehmen, verpaßt hätten.
Aber Männer, welche über alle Illusionen hinweg sind und, nachdem sie das Narrenspiel des Menschendaseins in seiner ganzen Nichtigkeit erkannt haben, den bitteren Ekel, dieses Narrenspiel mitansehen zu müssen, mittels Beimischung von Ironie einigermaßen zu versüßen trachten, werden sich kaum enthalten können, zu sagen: Welcher Verständige und Wissende wird solchem Gebrumme irgendwelchen Wert beilegen? Laßt die Illusionäre um ihre fixe Idee von der Mündigkeit der Massen sich drehen, wie drehende Derwische um die eigene Nasenspitze sich schwingen. Laßt sie mit ihrer hohlen Schwindelblase, genannt Selbstbestimmung der Völker, kindisch spielen. Man weiß ja, wie es mit dieser Mündigkeit und Selbstbestimmung bestellt war, ist und sein wird. Die Massen mündig? Ein knäbischer Traum! Die Völker sich selbst bestimmend? Eine lächerliche Selbstbelügung! Reibt euch doch endlich die Rousseauschen Schimären aus den Augen und seht euch die Dinge an, wie sie sind. Wo denn haben die Völker bewiesen, daß sie frei zu sein verständen? Ja, auch nur, daß sie frei sein wollten? Nirgends. Selbst die scheinbar freiheitlichen, freiheitlichsten Epochen erweisen sich bei näherem Zusehen und unbefangener Untersuchung überall als Täuschungen. Kannte das Altertum eine Verwirklichung des humanen Freiheitsideals? Oder das Mittelalter? Oder die Neuzeit? Nein. Haben die Luther und Calvin die Freiheit gebracht? Oder die Mirabeau und Marat? Abermals nein. Der erlauchteste und erleuchtetste Prophet der Freiheit, Schiller, hat auf der Schwelle des 19. Jahrhunderts in düsterer Resignation gesagt: »Freiheit lebt nur in dem Reich der Träume.« Ist er seither widerlegt worden? Nein. Die Menschen in ihrer Mehrheit – in einer so ungeheuren Mehrheit, daß die verschwindend kleine Minderheit kaum noch sichtbar – wissen gar nicht, was Freiheit ist; sie wollen nur ihr möglichst behagliches Auskommen haben. Die Völker wollen nicht frei sein, sondern reich, mächtig, angesehen, herrschend. Sie wollen und müssen schlechterdings einen Götzen haben, damit ihre angeborene Knechtschaffenheit davor knie und räuchere. Gestern hieß er Verhuell, morgen kann er Hannickel heißen, übermorgen Burzbirchler. Regierungslosigkeit, Staatszwangslosigkeit, Anarchie erscheint den Menschen als das größte Unheil. Mit Recht. Sie merken wohl, daß die Bestie in ihnen nur staatszwangsweise niedergehalten und gebändigt werden kann. Nehmt doch einmal für eine Weile Strafgesetzbuch und Polizei aus unserer hochgelobten modernen Zivilisation hinweg, und ihr werdet Menschlichkeiten erleben, deren Viehischkeit euch dartun wird, was es mit dem ewigen selbstgefälligen Vorschrittsgeleier eigentlich auf sich habe.
In Wahrheit, die Bühne der weltgeschichtlichen Tragikomödie ist ein Labyrinth. Die Menschheit bewegt sich, ja, aber nur im Kreise herum. Nachdem die Deutschen daran verzweifeln mußten, in einer sogenannten vorschrittlichen Form wieder eine Nation werden zu können, sind sie zur mittelalterlichen Vorstellung von Kaiser und Reich zurückgekehrt, um doch endlich zur Einheit zu gelangen und endlich wieder etwas vorzustellen in der Welt. Das alte Kyffhäusergespenst ist erlöst. Dabei ist alles nach der richtigen Etikette zu- und hergegangen und hat sich der »volle Tropfen demokratischen Salböls«, von welchem im »tollen Jahre« der gute Uhland in der Paulskirche balladisiert hatte, als ein Luxus erwiesen, dessen Aufbringung dem deutschen Volke erlassen wurde. Diese Umkehr zum Mittelalter ist aber doch nur eine scheinbare und hat nicht viel zu bedeuten, verglichen mit einer anderen, verglichen mit der, welche am 18. Juli 1870 zu Rom beschlossen wurde. An diesem Tage kehrte ja die katholische Welt genau auf den Punkt zurück, wo sie unter dem siebenten Gregor gestanden. Ja, der neunte Pius wagte, indem er am genannten Tage seine unfehlbare Göttlichkeit dekretieren ließ, mit Erfolg noch Wahnwitzigeres, als der siebente Gregor, der dritte Innozenz und der achte Bonifaz je gewagt hatten. Der christliche Dalai-Lama ist fertig. Es fehlt jetzt nur noch, daß seine Exkremente ebenfalls für wunderwirkende Reliquien erklärt werden. Ein abermaliges »ökumenisches« Konzil kann das besorgen; die deutschen Bischöfe werden zwar wiederum charakterfest opponieren, allein schließlich wird es abermals von ihnen heißen: » Humiliter et devotissime se subjecerunt« (Demütig und alleruntertänigst haben sie sich unterworfen).
Hundert Millionen Menschen oder mehr – lauter »vernunftbegabte« Wesen, versteht sich – glauben aufrichtig an das neue Dogma, und Hunderttausende von »gebildeten« Katholiken tun wenigstens so, der Konvenienz halber. Die Opposition, wo sie sich noch etwa regen sollte und wollte, wird bald lahmgelegt sein und verstummen; denn die Regierungen leihen, um ja die »positive« Religion nicht schädigen zu lassen, zur Niederdrückung allfälliger Widerbeller den geistlichen Gewalten so oder so ihren starken weltlichen Polizeiarm. Die protestantischen Jesuiten arbeiten den katholischen, die von der kurzen Robe denen von der langen liebchristlich in die Hände. Hier gibt es in der Tat ein Menschenbrudertum und auch wohl eine Menscherschwesterschaft: sind doch neben den Jesuiten allerorten die Jesuitessen eifrig am Werke. Wahrhaft rührend mitanzusehen ist es, wie der unselige konfessionelle Hader nachläßt, weil auch protestantische Dynastien fromm sich beeifern, die Tendenzen und Zwecke des heiligen Loyolaismus zu fördern. Es wird rüstig überall an dem einen christlichen Schafstall gezimmert.
Fein organisierte Nasen wollen schon den wieder aufdampfenden Ketzerbrandgeruch wittern. Ihr lacht? Wenn ihr lange lebt, dürftet ihr Ursache zum Weinen haben. »Alles schon dagewesen« ist ein gutes Wort; aber ein nicht minder gutes ist: »Alles kommt wieder.« Habt ihr nicht schaudernd miterleben müssen, daß die Reifröcke, die Stelzenschuhe, die Pompadourfrisurtürme, die nacktbrüstige Dubarrymode und der Bonapartismus wiederkamen? Könnte die weltgeschichtliche Prozedur in ihrem circulo vitioso, in ihrem vermaledeiten Kreislaufe nicht wieder einmal, recht bald sogar wiederum an der Stelle anlangen, wo die Torquemada und Arbues Hunderte, Tausende von gebratenen lieben Mitmenschen ihrem Herrgott Zebaoth zu Opfern darbrachten? Ihr sagt: Das ist unmöglich, rein unmöglich. Warum? Ihr solltet doch nachgerade gelernt haben, daß die heilige Dummheit unsterblich ist und daß es keinen alten, älteren und ältesten Unsinn oder Greuel gibt, der unter Umständen nicht wieder neu werden kann, neu werden muß, weil eben die heilige Dummheit es gebieterisch verlangt.
Es möchte daher ein weder unzeitgemäßes noch unverdienstliches Unternehmen sein, das mitlebende Geschlecht, namentlich das jüngere, vorbereitungsweise etwas näher mit gewissen eifervollen christlichen Liebeswerken bekannt zu machen, deren Wiederkunft keineswegs zu den Unmöglichkeiten gehört, und zu diesem, wie wir glauben, erbaulichen Zwecke wollen wir das Dichten und Trachten des einen der vorhin genannten heiligen Männer einer historischen Betrachtung unterziehen.
Zu Valladolid wurde im Jahre 1420 in einer Hidalgofamilie ein Knabe geboren, Thomas de Torquemada, in welchem sich die dämonische Macht des Bösen in ihrer religiösen Erscheinungsform ein Werkzeug von schärfster Schneidigkeit schuf. Von Zeit zu Zeit müssen, die Geschichte beweist es, solche Aderlasser großen Stils auftreten; sonst wird die Menschheit zu üppig und mutwillig. Aus der Völkerdummheit werden die Skorpionengeißeln geflochten, womit die Völkerdummheit gezüchtigt wird.
Thomas de Torquemada wuchs zum fleischgewordenen Fanatismus auf. Er ging als Jüngling unter die Dominikaner, also in die rechte Schule, um den in ihn gelegten Glaubenstrieb zu entwickeln, bis zu einem Grade zu entwickeln, daß seine ganze Persönlichkeit bis in alle Nervenfasern hinein davon gesättigt und durchdrungen war.
Es hat vielleicht nie einen religiöseren Menschen gegeben als diesen. Vom Dämon der frommen Wut völlig besessen, gab er sich ihm widerstandlos hin. Nie vielleicht hat sich die religiöse Grausamkeit so stahlhart in einem Manne fixiert, wie sie in diesem Fanatiker sich fixierte, der allen menschlichen Regungen – es sind damit die Regungen des Mitgefühls und Mitleids gemeint – durchaus unzugänglich war. Unter seiner Schädeldecke brannte die Fackel des Eifers »für das Reich Gottes«, in seiner Brust trug er ein Herz von Stein. Solche Brandköpfe und Steinherzen sind wie eigens geschaffen, ihren Mitmenschen darzutun, daß leben leiden sei und die Erde ein Schmerzenberg oder ein Jammertal.
An der Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit dieser Fanatiker kann nur die Unwissenheit zweifeln. Das Dämonische ist immer ehrlich – ehrlich, wie die abgeschossene Kanonenkugel. Nichts rührt, nichts erschreckt den bis zur ekstatischen Fühllosigkeit gesteigerten Fanatismus, nichts hält ihn auf. Er blickt nicht rechts, nicht links; mit einer der Wollust verwandten Verzückung die Augen starr auf sein Ziel, das »Himmelreich«, gerichtet, schreitet er dahin, alles auf seiner Bahn unerbittlich niederstampfend und durch die Blutlachen und Tränenströme, die er hinter sich zurückläßt, mit einem Behagen watend, als wären sie blumenduftgewürzter Maitau. Was er tut, er tut es »zur Ehre Gottes«. Er ist der Streiter des Himmels, wie sollte er Skrupel oder Zagen kennen? Was immer er will, der »Herr« will es. Er ist der Verwalter des göttlichen Zornschatzes und spendet daraus mit vollen Händen. Er klagt an, foltert, verurteilt, kerkert ein, verbannt, konfisziert, verbrennt mit jener eisernen Konsequenz und unstörbaren Fassung, wie nur das Bewußtsein einer guten Sache, der besten Sache sie geben und bewahren kann.
Der religiöse Wahnwitz ist aber nicht nur erbarmungslos, sondern auch – ebenfalls »zur Ehre Gottes« – sehr schlau. Er ist eine abgeschossene Kanonenkugel, welche rechnet. Während er blind zu rasen scheint, spekuliert er fein auf die Nichtswürdigkeit der Menschen. Es ist Methode in seiner frommen Wut, seine Grausamkeit arbeitet systematisch. Man weiß ja, daß Wahnsinnige gar nicht selten der durchdachtesten Kombinationen des Hasses fähig sind.
Alle die angedeuteten Charaktermerkmale eines Fanatikers höchster Potenz fanden sich in der Person von Thomas de Torquemada glücklich vereinigt. Er stellte einen christlichen, einen römisch-spanisch-christlichen Priester dar, wie er sein soll. Die Natur wollte das Ideal eines Inquisitors verwirklichen, sie schuf Torquemada. Jeder Zug seines Gesichts, jeder seiner Blicke, jede seiner Gebärden, jedes seiner Worte zeugte von dem heiligen Eifer für das »Reich Gottes«, welcher zwar nicht ihn selber, dafür aber desto mehr andere verzehrte. Es darf mit Grund vermutet werden, daß die Sinnesweise des Mannes auch seiner äußeren Erscheinung ihr Gepräge aufgestempelt haben müsse. Dickbäuchig, rundbäckig und rotnasig können wir uns diesen heiligen Wüterich gar nicht vorstellen. Nichts lag ihm ferner als die Hingabe an jene kleinen, mitunter wohl auch etwas größeren Zerstreuungen, denen zufolge, mit Rabelais zu reden, die »Horashetzer, Vigilienbürster und Meßabzäumer die mönchenzende Welt mit jungen Mönchen bemöncheln, so aber zumeist weder die Platten noch die Kutten ihrer heiligen Väter tragen«. Torquemada war ein tugendhafter Mann. Sein Geschäft, den Boden Spaniens und, womöglich, den ganzen Erdboden von dem »Unkraut der Ketzerei« reinzubrennen, ließ ihm auch gar keine Zeit, sich mit den »Eitelkeiten dieser Welt« zu befassen. Er war – so denken wir uns ihn – ein langer, hagerer, etwas vornüber gebeugter Mensch mit einem gewaltigen Schädel, der sich von oben nach unten stark, auffallend stark verjüngt. Die Stirne ist in der Mitte etwas eingedrückt, hat aber hochgewölbte Schläfen; sie erinnert an die Stirne eines Tigers. Das Kinn spitzt sich zu wie eine Fuchsschnauze und, verbunden mit der langen, scharfkantigen Schnüffelnase, bringt es den Eindruck der List hervor. Die Augen sind groß, überhangen von starken, über der Nasenwurzel finster zusammengezogenen Brauen, halbgeschlossen durch weitherabfallende Lider, unter welchen hervor ein Blick schießt, der Scheiterhaufen in Brand setzen zu wollen und zu können scheint. Der Mund ist dünnlippig und festgeschlossen; er drückt unbeugsame Energie aus, und man glaubt ihn murmeln zu hören: » Lasciate ogni speranza!« (Laßt alle Hoffnung fahren!)
Zu Anfang des Jahres 1482 war Torquemada Prior des Dominikanerklosters zu Segovia. Am 11. Februar wurde er mittels eines päpstlichen Breves zum Inquisitor ernannt. Er nahm selbstverständlich die Berufung an und amtete so über die Maßen heilig und herrlich, daß ihn Papst Sixtus IV. im Einverständnis mit den »katholischen Majestäten« (d. h. König Ferdinand von Aragonien und Königin Isabella von Kastilien) im August und Oktober 1483 auf den Thronstuhl des neugeschaffenen Großinquisitorats von Kastilien und Aragonien, d. h. von Spanien berief.
Daß ein würdigerer Inhaber dieses Thronstuhls, der, mit der heiligen Inquisition zu sprechen, »über die sämtlichen anderweitigen Tribunale ebenso erhaben war wie der Thronstuhl Gottes über die Throne der Könige«, unmöglich zu finden gewesen wäre, ist allgemein anerkannt.
Die »Religion der Liebe« hat aus den Sammetpfoten süßer Worte die Krallen der Verfolgung nicht hervorgestreckt, bevor ihr diese gewachsen waren. Sie wuchsen ihr aber wunderbar schnell. Gestern noch eine Verfolgte, war die christliche Kirche, die »Braut Jesu«, heute schon eine Verfolgerin, und zwar eine Verfolgerin, mit welcher verglichen das arme blinde Heidentum nur als ein täglicher Pfuscher und Stümper, als ein wahrer Bönhase im Verfolgungsgeschäft erschien. Die Kirche hätte alle, welche so unglücklich waren, von ihrem alleinseligmachenden Dogma abzuweichen, und wäre es nur um Haaresbreite gewesen, verzehren, fressen mögen, vor lauter »Liebe« natürlich. Sie war ja eine so zärtliche Mutter! Wenn sie ihre Kindlein dermaßen liebebrünstig an ihren Busen drückte, daß sie zerquetscht wurden, so waren die Zerquetschten selber schuld daran; denn warum hatten sie kein stärkeres dogmatisches Knochengerüst?
Das heilige Amt (» sanctum officium«) oder die heilige Inquisition (» sancta inquisitio«) könnten profanen Augen als Heilige erscheinen, welche zu den sogenannten »wunderlichen« gehören. Dem »erweckten« Sinne dagegen ist klar, daß die Inquisition eine regelrechte, sozusagen ordonnanzmäßige Heilige, vom »Statthalter Christi« mit besagter »Braut Christi« in aller Ordnung gezeugt, in Rom geboren, von ihrem Vater, Papst Innozenz III., zuerst in ein südfranzösisches Pensionat geschickt, wo sie den richtigen Schick und Schliff erhielt, sodann aber auf spanischem Boden zu ihrer vollen Schönheit, Hehrheit und Heiligkeit aufgeblüht und vollgereift. Dieses ihr herrliches Gedeihen verdankte sie vor allem der preiswürdig sorgfältigen Pflege und Verköstigung, die ihr der hochwürdigste Großinquisitor Torquemada angedeihen ließ. Man könnte sagen, er habe sein Pflegekind mit Menschenfleisch förmlich genudelt, falls Ketzer Menschen wären, was sie bekanntlich nicht sind.
Aber steht denn nicht geschrieben: Die Kirche dürstet nicht nach Blut (» ecclesia non sitit sanguinem«)? Freilich. Allein was steht nicht alles geschrieben! Alles Mögliche und Unmögliche: z. B. »Liebet eure Feinde!« und anderer liebseliger Wind, aus dem ungeheuren Blasebalg menschlicher Selbsttäuschung hervorgepreßt. Doch muß gesagt werden, daß die Kirche wirklich kein Blut vergoß. Sie wollte sich die Hände nicht beschmutzen: es nimmt sich übel aus, beim Beten blutige Hände zu haben, beim Beten zum »Gott der Liebe, Gnade und Barmherzigkeit«. Die Kirche befahl nur, Blut zu vergießen, reichlich wie Wasserströme, sie befahl nur, die dreimal vermaledeiten Ketzer und Hexen zu martern und »einzuäschern«. Sie hatte ja einen dienstwilligen Familiär, Folterknecht, Henker und Brandmeister mit hunderttausend Armen, und der hieß Staat. Wozu wäre ein solches Geschöpf überhaupt vorhanden und gut als dazu, der heiligen Mutter Kirche und ihrer Lieblingstochter Inquisition als diensteifriger Knecht und Büttel zu dienen? Zwar hat die nicht genug zu verfluchende moderne Kultur dieses einzig zuverlässige Verhältnis zwischen Kirche und Staat, diese »göttliche Ordnung« vielfach getrübt, gestört und geschwächt; allein seit dem nicht genug zu preisenden Jahr der »Umkehr« (1849) hat ja die besagte »göttliche Ordnung« mehr und mehr sich wiederhergestellt.
Dazumal ist dem protestantischen Jesuitismus durch den katholischen der verbreiterte Dippel so weit gebohrt worden, daß der erstere einsah, die Interessen des letzteren wären auch seine eigenen, eigensten. In rührender Eintracht hat dann der unierte Loyolaismus, nicht nur mit hoher obrigkeitlicher Bewilligung, sondern auch Ermunterung und Unterstützung, seine kolossale Völkerverdummungsdampfmaschine aufgestellt und in Tätigkeit gesetzt. Die segentriefenden Folgen wurden von Tag zu Tag mehr sicht-, fühl- und greifbar. Schon haben wir den Papst-Gott oder Gott-Papst und bald werden wir wohl auch die heilige Inquisition wieder haben. In bestimmter Vorahnung dieses wiederkommenden Heils hat die heilige Mutter Kirche mittels ihres anerkannten Hauptsprachrohrs (» Civiltà cattolica«, 1869, V, 277) triumphierend ausgerufen: »Die Kirche hat an sich keine physische, sondern nur eine moralische Macht. Zwangsmittel besitzt sie demnach nur, weil sie die Anwendung derselben der staatlichen Gewalt, welche ihr untertan ist, befehlen kann.« … Ist das deutlich genug?
Ein französischer Jesuit von der kurzen Robe, der Herr Graf de Falloux, einer der Giftmörder der armen improvisierten Februarrepublik von 1849, hat bekanntlich eine begeisterte Rechtfertigung der heiligen Inquisition ausgehen lassen, indem er zur nicht geringen Erbauung erweckter Seelen dartat, das heilige Offiz sei von hochidealischen Absichten ausgegangen und habe auf nicht minder hochidealische Zwecke hingearbeitet. Niemals habe auch nur ein Hauch von Gemeinheit den reinen Spiegel des erhabenen Wollens und Tuns des Glaubensgerichts getrübt.
Wie schmerzlich, einem so bewährten Arbeiter für das »Reich Gottes« widersprechen und sagen zu müssen, daß die Fallouxsche Regel leider auch ihre Ausnahmen gehabt habe. Es ist doch eine recht leidige Sache um die unheilige profane Historik, welche sich herausnimmt, Menschen und Dinge mitunter, ja sogar häufig aus einem andern Gesichtspunkt zu betrachten als ihre heilige geistliche Schwester. Entzückender, berauschender Gedanke, daß es einmal ein Autodafé geben könnte, dessen Flammen das siebenzigmal siebenmal zu vermaledeiende »Buch der Geschichte« verzehren würden, für immer.
In diesem höllischen Buche steht nämlich unwiderlegbar zu lesen, daß die »spanische« Inquisition in ihren Anfängen nichts mehr und nichts weniger gewesen als eine ganz gemeine Geldspekulation, ein ganz ordinäres Raubfinanzgeschäft.
Die Möglichkeit, dieses Geschäft zu machen, gewährte die furchtbare Gestalt, welche der christliche Fanatismus in Spanien angenommen hatte. Aus dem jahrhundertelangen Kampfe gegen den Islam, das will sagen gegen die unendlich viel höher gebildeten, feinen, humanen und toleranten Moriskos, war das spanisch-gotische Christentum als eine entschieden molochistische Religion des Zornes und der Wut hervorgegangen. Ein Nichtchrist zu sein, d. h. ein Nichtchrist im Sinne des spanisch-christlichen Molochismus, galt in den Augen jedes Spaniers für ein todeswürdiges Verbrechen. Selbstverständlich wußten die spanischen Könige diese also gestaltete »Religion der Liebe« zu einem sehr wirksamen Motiv ihrer Politik zu machen, welche dahin ging, das Mohammedanertum vom spanischen Boden wegzutilgen. Durch die Heirat Ferdinands von Aragonien und Isabellas von Kastilien am 19. Oktober 1469 wurde, wie die nationale Einheit Spaniens hergestellt, so auch der Untergang der Moriskos besiegelt. Die »katholischen Majestäten« führten mit der ganzen Kraft des christlichen Spaniens jenen »Krieg um Granada«, welcher das letzte islamische Reich auf spanischem Boden niederwarf. Am 2. Januar 1492 zogen Ferdinand und Isabella triumphierend in die Alhambra ein, und am selbigen Tage schickte der arme Boabdil el Chico, der letzte spanische Mohrenkönig, von einer Felshöhe der Alpujarras herab der entzückenden Vega von Granada den letzten Abschiedsseufzer zu – (» el ultimo sospiro del Moro« heißt noch jetzt die Stelle).
Die spezifisch »spanische« Inquisition ist jedoch älter als dieser Triumph der katholischen Waffen. Sie entwickelte sich aus der heiligen »alten« Inquisition, welche schon zur Zeit, als sie in Südfrankreich die Albigenser aus Liebe fraß, auch in Spanien bereitwillige Aufnahme gefunden hatte, und insbesondere in Aragonien zu erbaulichster Tätigkeit gelangt war. Sie hatte in der Tat so gründlich gearbeitet, daß um die Mitte des 15. Jahrhunderts der Ketzerstoff ihr zu mangeln begann. Nun aber sollte ihr neuer zugeführt werden, und zwar so massenhaft, daß sie, um der ihr gestellten Aufgabe allseitig gerecht werden zu können, sich gleichsam verjüngen mußte, um mit jugendlich frischer Kraft arbeiten zu können.
Der in Rede stehende Stoff war zuvörderst die »verfluchte« Judenschaft … Der Same Abrahams, Isaaks und Jakobs war auf spanischem Boden sehr gediehen. Unter der duldsamen Herrschaft der hochzivilisierten Muslim hatten sich die Juden mittels ihrer Betriebsamkeit, ihres Reichtums und ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit überall einen bedeutenden Stand zu schaffen gewußt. Die Dichtungen der Gabirol, Esra, Halevi und Alcharisi bezeugen, wie erfolgreich die jüdisch-spanischen Poeten mit den arabisch-spanischen gewetteifert und wie frei und frank die Juden unter den Moriskos sich bewegt haben. Mit dem Untergang der Mohrenreiche und dem Herrschendwerden des Christentums wurde alles anders und hatten die Juden sofort zu spüren, wie »sanft« das Joch Christi wäre. Der »Positivismus« der Religionen besteht bekanntlich darin, daß sie aus lauter Widersprüchen zusammengesetzt sind, und es kann daher nicht wundernehmen, daß es auch dem »positiven« Christentum auf einen Widerspruch mehr oder weniger nicht ankommt. Dieselbe Kirche, welche eine jüdische Zimmermannsfrau für die Gemahlin Gottes und den Sohn dieser Jüdin für den Mitgott seines Gottvaters ausgab, predigte wutschäumenden Mundes Verachtung und Haß, Brand und Mord gegen die ganze Judenschaft, weil diese so unglücklich war, das Mysterium nicht begreifen zu können, wonach Maria nicht von ihrem Verlobten Joseph, sondern unter Vermittlung des »Heiligen Geistes« von Gott selber guter Hoffnung geworden ist, einen Gott gebar, trotzdem aber Jungfrau blieb und schließlich in aller Form zur »Himmelskönigin« erhoben wurde. Die Juden sind eben von jeher ein scharfverständiges Volk gewesen und hätte man ihnen also, die Sache menschlich angesehen, nicht so fürchterlich verübeln sollen, daß sie nicht zu sehen vermochten, was kein Verstand der Verständigen sieht, sondern nur die einfältigste Einfalt zu fühlen und zu schmecken vermag. Allein es ist ein schwerer Irrtum, die Religion, ihre Rechte, Bedürfnisse und Forderungen »menschlich« anzusehen. Sie entzieht sich durchweg den Bedingungen und Bestimmungen des Menschlichen. Ihre Sphäre ist das Über- und Untermenschliche, und wenn die Juden verstockt dabei verharrten, die Mysterien der christlichen Dogmatik vom Standpunkte des gesunden Menschenverstandes aus zu betrachten, so geschah ihnen recht, als die Christen ihnen den christlichen Standpunkt klarmachten.
Dies geschah zunächst dadurch, daß die christliche Spanierschaft bei ihrem siegreichen Vorschreiten gegen den Islam allenthalben die Juden ebenso feindselig behandelte wie die Muslim, ja noch feindseliger. An solcher Steigerung des religiösen Hasses dürfte einigermaßen der profane Umstand mitgewirkt haben, daß in den Judenhäusern mehr zu holen war als in den Muslimwohnungen. Steht es doch auch historisch fest, daß zu den kolossalen »Judenschlachten«, welche während des 14. Jahrhunderts in Deutschland und im übrigen Mitteleuropa in Szene gesetzt worden sind, der Reichtum der Juden nicht ein, sondern das Hauptmotiv geliefert hat. Die spanischen Juden waren aber nicht nur reich, sondern sie liebten es auch, ihren Reichtum zu zeigen, wie denn bekanntlich die Geldteufelei mit der einen Hand eifrig Geld zusammenrafft, um mit der andern es prahlerisch an sich herumzuhängen. Die Juden ihrerseits haben auch von jeher darauf gehalten, ihre Frauen herauszuputzen, und es steht stark zu vermuten, daß sie insbesondere zu diesem Zwecke bei ihrem Auszuge aus Ägypten die Gold- und Silbersachen der Ägypter mitlaufen ließen. Wenigstens klingeln noch in unseren Tagen jüdische Millionärinnen mitunter ganz mizraimisch von Gold- und Steinzeug, und geradeso taten im 15. Jahrhundert die schönen Töchter Judä in Spanien, während ihre Väter, Gatten, Söhne und Brüder mit kostbaren Kleidern und Rossen, mit prächtigen Waffen und Wagen prahlerisch Staat machten, wie es ihnen ja ihre Mittel erlaubten.
Als die Vermählung Ferdinands mit Isabella den gänzlichen Untergang des Islam auf spanischem Boden nur noch zu einer Frage der Zeit machte, wurde im christlichen Spanien die Judenfrage überall weit genauer und schärfer »studiert« wie bislang, d. h. der christliche Eifer begann die Judenheit so oder so zu verzehren. Nicht allein das Geschrei über den jüdischen Wucher ward allerorten laut, sondern gläubige Christenohren, welche bekanntlich nicht gerade kurz sind, nahmen mit Begierde alle die schauerlichen Legenden auf, welche auf Kosten der Juden in Umlauf gesetzt wurden. Hier hatten die »ungläubigen Hunde« von Hebräern ein Bild der allerseligsten Jungfrau und Gottesmutter angespien, dort hatten sie ein Kruzifix mit Füßen getreten; wieder anderswo hatten sie ein Christenkind geraubt, um selbiges bei den greuelhaften Zeremonien ihres Osterfestes zu schlachten. Durfte das Christentum solche Schnödigkeiten dulden? Mitnichten. Brecht ein in die Häuser der verfluchten Abkömmlinge der Henker unseres Heilandes, raubt, schändet, würgt und brennt zur Ehre unseres dreieinigen Gottes und aller seiner Heiligen!
Die Bedrängnis der Juden war groß, um so mehr, da der im entschiedenen Geruche der Heiligkeit stehende Dominikanermönch Vicenzio Ferreri aus Valencia sich veranlaßt fand, einen ganzen Haufen Wunder zu wirken, um die Söhne Judä von der Notwendigkeit, sich taufen zu lassen, zu überzeugen. Sie vermochten den schlagenden Argumenten des heiligen Wundertäters und den noch schlagenderen der raubend, mordend und verwüstend in ihre Häuser einbrechenden Bekenner der »Religion der Liebe« nicht zu widerstehen und bekehrten sich massenhaft zum Christentum. Dadurch wurde der Arm der Verfolgung für eine Weile gelähmt. Die »neuen Christen«, wie man die getauften Juden hieß, gelangten vermöge ihrer Intelligenz, Anstelligkeit und Bildung, von ihrem Gelds gar nicht zu sprechen, in den Städten und sogar bei Hofe zu Ämtern und Würden. Auch kam es gar nicht selten vor, daß arme Teufel von stolzen Hidalgos ihr altchristliches Blut mit dem neuchristlichen reicher Töchter Zions mischten, gerade wie es zu unserer Zeit sich dann und wann ereignet, daß ein stolzer christlich-germanischer Kriegsmann oder Diplomat von vor Alter ganz schimmelig gewordenem Adel seinen festgefahrenen, weil allzuschwer mit fremdem Erz (» aes alienum«) beladenen Lebenswagen wieder in flotten Gang bringt, mittels Vorspannung der Goldfüchse schwarzäugiger Rosen von Saron, welche aber nicht aus dem Boden Kanaans, sondern aus dem Pflaster Frankfurts, Hamburgs, Wiens oder Berlins aufgesproßt sind.
Diese dergestalt angebahnte Verschmelzung der spanischen Juden mit den spanischen Christen hatte jedoch keinen Fortgang. Es half den ersteren nichts, daß sie den realpolitischen Grundsatz »Der Gescheitere gibt nach« – befolgt hatten. Das »neuchristliche« Blut wurde bald wieder als » mala sangre« verachtet, verwünscht und verleugnet und wo es sich später in einem spanischen Stammbaum schlechterdings nicht verleugnen und wegwischen ließ, galt es für einen Schandfleck, für ein ewiges Brandmal (» tizon«).
Zweifelsohne sind die Kinder Israel an diesem Umschlag selber mitschuldig gewesen. Nicht nur darum, weil nach scheinbar erloschener Verfolgung viele zu dem Glauben ihrer Väter zurückkehrten, welcher mit dem Einmaleins auf weniger gespanntem Fuße stand als der ihnen neuerlich aufgezwungene; sondern auch deshalb, weil die Juden, wie übrigens die meisten Menschen, das Glück noch weniger zu ertragen vermögen als das Unglück. Urteilsfähige und unbefangene Juden gestehen ein, daß ihre Volksgenossen, falls sie aufs Pferd gelangen, gern hochmütig einhergaloppieren, ganz unbekümmert, ob durch solchen Galopp Vorübergehende mit Kot bespritzt werden. Überall, wo Juden die Meister spielen konnten, haben sie es rücksichtslos und verletzend getan und sich dabei häufig noch das Extravergnügen gemacht, den Kayennepfeffer ihres Witzes in die von ihnen den »Gojim« geschlagenen Wunden zu streuen. Als auserwähltes Volk ihres ewig grollenden Gottes des Zorns und der Rache mußten sie sich hierzu nicht allein für berechtigt, sondern auch für verpflichtet halten, ganz abgesehen sogar von dem unermeßlichen Vorrat von Haß, den die bekannten Kundgebungen der christlichen Liebe gegen die Judenheit in dieser angehäuft hatten.
Solche Kundgebungen erfolgten auch jetzt wiederum in erhöhter Potenz. Um 1478 wurde das Geschrei gegen die Kinder Israel im christlichen Spanien allgemein. Die »neuen Christen« wären vom alleinwahren Glauben wiederum abgefallen, um »sich im alten Unflat des Judentums zu wälzen«, und sie begingen demnach folgerichtig abermals alle die widerchristlichen Ruchlosigkeiten, welche sie vordem begangen hätten. Ein andalusischer Zeitbuchschreiber von damals, der Pfarrer von Los Palacios, hat ein langes Sündenregister des »verfluchten Geschlechtes« aufgezeichnet, läßt aber am Ende dieses Registers den Hauptgrund der wieder erneuten Verfolgung deutlich genug durchblicken, indem er sagt: »Die Juden hielten dafür, sie wären in den Händen der Ägypter, welche zu betrügen und zu bestehlen verdienstlich sei. Mittels ihrer schandbaren Kniffe und Pfiffe gelang es ihnen, große Reichtümer zusammenzuraffen.« Hinc illae irae christianae! Der spanische Chronist des 15. Jahrhunderts ist freilich nicht so ehrlich gewesen, wie der deutsche des 14. Jahrhunderts war, Jakob Twinger von Königshofen, welcher um 1386 in seinem Straßburger Zeitbuch, von den großen Judenschlächtereien am Rheine redend, ebenfalls der jüdischen Reichtümer gedachte, aber mit dem Beifügen: »Das was ouch die Vergift, so die Juden dötete.«
Nachdem die öffentliche Meinung, welche allzeit und allenthalben in 99 Fällen von 100 für den Unsinn und gegen die Vernunft Partei ergriffen hat, ergreift und ergreifen wird, mit Lügenwind gehörig aufgeblasen war, stieß zunächst der Dominikanerprior Alonso de Ojeda in Sevilla mit Macht ins Bockshorn des heiligen Zeters, und schlug Monsignore Franco, päpstlicher Nuntius am spanischen Hofe, nachdrucksam die heilige Pauke der Religionsgefahr. Das »Reich Gottes« müßte um jeden Preis gerettet werden, erklärten die hochwürdigen Männer, und die einzige zuverlässige Retterin wäre die heilige Inquisition. König Ferdinand, dessen Staatskunst durch das unbequeme Ding, welches man Gewissen nennt, niemals behelligt wurde, spitzte wohlgefällig die Ohren. Ihm klangen lockend darin die Gold- und Silberlinge, welche die bekanntlich mit Vermögenseinzug verbundenen Prozeduren des Glaubensgerichts in seine ewig leere Kasse leiten mußten, und er stand daher keinen Augenblick an, seine königliche Zustimmung zu geben, daß das heilige Offiz seine Tätigkeit beginne. Was die bessere Hälfte der »katholischen Majestäten«, die Königin Isabella, anging, so regten sich in ihr Gefühle der Menschlichkeit gegen die Einführung der Inquisition. Sie war, wie jedermann weiß, eine ausgezeichnete Frau, vielleicht die bedeutendste ihres Jahrhunderts; aber sie war eine Frau und noch dazu eine Spanierin ihrer Zeit; das will nach heutiger Anschauung sagen: eine vollendete Pfaffensklavin, welche leicht zu überreden war, das, was ihr skrupelloser Gemahl für ein gewinnreiches Finanzgeschäft ansah, ihrerseits aufrichtig für ein hochverdienstliches frommes Werk anzusehen, welches zugelassen werden müßte »zur größeren Ehre Gottes«. König Ferdinand war ein Politiker aus der Schule der »welschen Praktik«, Königin Isabella eine tadellos fromme Christin. War doch in ihren Mädchenjahren der jetzige Prior von Santa Cruz in Segovia, Thomas de Torquemada, ihr Beichtvater gewesen und hatte die Saiten der Seele Isabellas auf die Tonart seines Glaubenseifers gestimmt. Der tüchtigste Geschichtsforscher, den Spanien im 16. Jahrhundert hervorgebracht hat, Geronymo Zurita, meldet in seinen »Annalen« (IV, 323), Torquemada habe damals von der jungen Infantin das Versprechen verlangt und erhalten, daß sie, so sie jemals auf den Thron von Kastilien gelange – ihr Bruder, König Heinrich, war dazumal noch am Leben – »zur Ehre Gottes und zur Verherrlichung des katholischen Glaubens der Ausrottung der Ketzerei sich widmen wollte und würde«.
Man führte jetzt der Königin dieses ihr Versprechen zu Gemüte und machte damit die Regungen des Weibes vor der Stimme der Pflicht einer Christin verstummen. Isabella stimmte bei, daß der Papst um eine Bulle angegangen werde, kraft welcher das heilige Offiz in Kastilien eingeführt werden sollte. Der heilige Vater, Sixtus IV., welcher ganz wohl wußte, daß dabei auch für ihn ein hübscher Geldgewinn mitabfallen müßte, beeilte sich, mittels seiner Bulle vom 1. November 1478 dem Ansinnen des spanischen Hofes zu entsprechen, und so war denn die Inquisition, da sie in Aragon schon zuvor bestanden hatte, im ganzen christlichen Spanien eingeführt. Indessen begann sie ihr heiliges Geschäft erst im Jahre 1480, weil Königin Isabella diesen Aufschub verlangt und durchgesetzt hatte, um vorerst noch die Mittel freundlicher Ermahnung und friedlicher Überzeugung an den Juden zu erproben. Man sieht, die gute Königin konnte doch nicht so leichten Herzens vergessen, daß sie eine Frau sei. Vielleicht kam ihr auch zu Sinne, daß der Stifter des Christentums doch eigentlich nirgends gelehrt und befohlen hätte, man sollte die nicht an ihn Glaubenden erwürgen oder lebendig verbrennen. Allein auch dieses letzte schwache Widerstreben Isabellas wurde gebrochen, und sie ließ sich durch eine Kommission von Priestern, welcher der obengenannte Prior Ojeda vorsaß, überzeugen, alle friedlichen und freundlichen Versuche, die verstockten Juden zu aufrichtigen und standhaften Christen zu machen, wären kläglich gescheitert, und es bliebe daher nichts übrig, als die Inquisition ihre heilige Arbeit beginnen zu lassen.
So begann denn das heilige Offiz mit Neujahr 1481 für das Reich Gottes zu streiten. Zuvörderst in Sevilla, wo das Glaubenstribunal im Kloster Sankt Paul seinen Sitz aufschlug. Seine erste Amtshandlung war ein Erlaß, kraft dessen jedermann aufgefordert wurde, dem Gerichte zur Aufgreifung und Inanklagesetzung aller behilflich zu sein, welche der Ketzerei verdächtig seien oder schienen, wobei ausdrücklich zu beachten wäre, daß auch anonyme Anzeigen angenommen würden. In Sachen der Glaubensrettung gibt es kein Mittel, das der Zweck nicht heiligte. Der große Staatssekretär von Florenz hat bekanntlich gesagt, Moral und Politik hätten nichts miteinander zu tun, in der Politik gäbe es keine Sittlichkeit und könnte es keine geben, und er sagte das nur von der weltlichen Politik, weil er es von der geistlichen ausdrücklich zu sagen für völlig überflüssig erachten konnte und mußte.
Das heilige Offiz von Sevilla arbeitete mit schönstem Erfolge. Am 2. Januar 1481 begann es, wie gesagt, zu amten, und schon am 6. Januar hatte es die Genugtuung, einen ersten »Glaubensakt« ( auto de fé) aufführen lassen zu können, sechs »überführte« Ketzer auf den Scheiterhaufen befördernd. Im März expedierte es deren bereits 17, und bis zum 4. November waren schon 289 »zur Ehre Gottes« abgeschlachtet. Im Kloster Sankt Paul war bald kein genügender Raum mehr für die lawinenartig sich vergrößernde Tätigkeit des Tribunals. Es mußte daher seinen Sitz in das weitläufige Schloß Triana verlegen, das sich in einer Vorstadt erhob, die Aufschrift: » Sanctum inquisitionis officium« erhielt und die Hauptburg der spanischen Inquisition wurde und blieb. Im übrigen beschränkte sich die Ketzerausrottung nicht etwa auf die Hauptstadt von Andalusien, überall im Lande waren Filialtribunale tätig, so tätig, daß binnen des einen Jahres 1481 auf spanischem Boden einer sehr wahrscheinlichen Schätzung zufolge 2000 Ketzer lebendig verbrannt, 17 000 dagegen »versöhnt« worden sind, d. h. zu lebenslänglichem Kerker, zur Einbuße ihres Vermögens, bürgerlichem Tod oder geringeren Strafen verurteilt.
Dieser Ausdruck »Versöhnte« zur Bezeichnung solcher prozessierter Ketzer, die nicht verbrannt, sondern nur sonst so oder so zugrunde gerichtet wurden, ist einer der sinnreichsten Einfälle der »Religion der Liebe«. Wie das sanft und süß klingt: »ausgesöhnt«, »versöhnt«, nämlich mit der liebevollen Mutter Kirche. Es ist so ein reiner Äolsharfenton in dem Worte, etwas von den graziösen Bewegungen der Katzenkrallen, bevor sie die Maus zerreißen. O, Wolfgang der Einzige, du hast ein schrecklich-wahres Wort gesprochen, als du sagtest: »Die Menschen sind nur dazu da, einander zu quälen und zu morden; so war es von jeher, so ist es, so wird es allzeit sein.« Aber du hättest hinzufügen sollen, daß sie zu feig und zu niederträchtig sind, frank und frei die Bestien zu spielen, und gar häufig jenem Schweine gleichen, welches, nachdem es das Kindlein aufgefressen hatte, sich mit einem Batisttuche die Mitleidszähren abwischte …
Natürlich begnügte sich der Drache der Inquisition nicht lange mit Judenfleisch; auch die »alten Christen« mußten heran, um dem täglich, stündlich sich vergrößernden Appetit des Ungetüms genugzutun. Das heilige Offiz dehnte seine Macht wie ein unzerreißbares und unentrinnbares Stahlnetz über ganz Spanien aus und richtete eine Tyrannei auf, wie sie so furchtbar kaum ein zweites Mal dauernd durchgeführt worden ist. Nicht der Körpermord war das Fürchterlichste, was sie tat, sondern die Seelentötung. Will man so recht erfahren, wie die Inquisition an Spanien gesündigt hat, so sehe man zu, was unter ihrer Herrschaft der spanische Genius auch in seinen erleuchtetsten Trägern geworden. Schlagt den »Don Quijote« auf, und wenn ihr Ohren habt, zu hören, so wird euch das Verzweiflungslachen eines unermeßlichen Leides aus dieser spanischen Faustdichtung entgegengellen. Oder seht euch die Dramen Lopes und Calderons an; ist die Glut, die euch aus ihnen entgegenlodert, eine andere als die der Autosdeféflammen?
Aber haben denn die Spanier ohne weiteres der Tyrannei des »heiligen Amtes« sich unterworfen? Haben sie sich nicht dagegen gesträubt, sich nicht dagegen aufzulehnen versucht? Doch! Sie waren in der Tat verstockt genug, anfangs gegen diese Heilanstalt sich zu sträuben und deren Einführung da und dort nicht nur passiven, sondern auch aktiven Widerstand zu leisten. Ja, sie gingen in ihrer unchristlichen Verstocktheit sogar so weit, im Jahre 1485 einen der wildesten, erbarmungslosesten, blutigsten und demnach hochverdientesten Inquisitoren, den Pedro Arbues y Epila, mitten in der glorreichsten Blüte seiner heiligen Tätigkeit in der Stiftskirche von Saragossa mörderisch anzufallen und umzubringen – eine Ruchlosigkeit und Blasphemie, die noch lange nicht sattsam dadurch gesühnt wurde, daß von den dazu verschworen Gewesenen 200 auf dem Hochgericht starben und eine noch größere Anzahl in den Kerkern der Inquisition »versöhnt« zugrunde ging. Der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war es vorbehalten, dem spanischen Inquisitor des 15. Jahrhunderts volle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, indem Don Pedro Arbues y Epila durch den unfehlbaren neunten Pius förmlich und feierlich unter die patentierten Heiligen eingereiht wurde. Ja, es ist doch eine hübsche Sache um den »Fortschritt«. Ihr sagt: Bah, auf eine Posse mehr oder weniger kommt es in der Welt nicht an. Wohl! Aber ihr vergeßt, daß die einzelnen Possen, aus denen die traurige Generalposse des Daseins sich zusammensetzt, so nahe bei der Schwelle zum 20. Jahrhundert anstandshalber doch nicht gar so kretinisch-dumm sein sollten. Der Humor hört überall auf, wo der Blödsinn, der brutale Blödsinn anhebt, und es dürfte doch wohl keine unbescheidene Forderung sein, wenn wir verlangten, daß aus dem berühmten »ewigen Fortschritt der Zivilisation« wenigstens ein bißchen Humor resultieren sollte …
Nachdem, wie oben gemeldet worden, Torquemada zum Großinquisitor bestellt war, ließ der Widerstand der Spanier gegen das heilige Amt nicht plötzlich, aber doch allmählich nach. Die dämonische Energie des Großinquisitors wußte alle Hindernisse, die sich der Ausbreitung des erwähnten Stahlnetzes über die spanischen Städte und Provinzen entgegenstellten, niederzuschlagen. Er ging mit Methode vor, er organisierte den Fanatismus und brachte die Grausamkeit in ein System. Die französischen Schreckensmänner von 1793 haben ihm noch lange nicht alles abgesehen. Zu Ende des Jahres 1484 berief er seine Inquisitoren zu einer Generalversammlung nach Sevilla und ließ durch sie die 28 Artikel der »Instruktionen« des heiligen Amtes festlegen. Und er tat noch mehr: er wußte seine Landsleute so ganz mit Torquemadaschem Christentum zu erfüllen, daß sie ihrer ungeheuren Mehrzahl nach ebenfalls inquisitorisch gestimmt und gesinnt wurden. Der Abscheu, womit die Spanier zuerst auf das heilige Offiz als auf ein Unglück für ihr Land geblickt hatten, verwandelte sich in Ehrfurcht und Bewunderung. Ja, es gehörte bald zum spanischen Nationalstolz, ein so heiliges Institut zu besitzen. Als »Familiar« ihm dienen zu dürfen, rechneten sich die Leute aus der Menge zum höchsten religiösen Verdienst an und betrachteten die stolzesten Granden als eine hohe Ehre. Könige und Königinnen, Infanten und Infantinnen atmeten, den »Glaubenshandlungen« anwohnend, mit gläubiger Inbrunst den schrecklichen Dampf gebratenen Ketzerfleisches ein. Die Inquisition bedingte und bestimmte alles in betreff des religiösen und staatlichen wie des privatlichen, intellektuellen und sozialen Lebens. Sie war nahezu zwei Jahrhunderte lang nicht nur der beherrschende Mittelpunkt Spaniens, nein, sie war vielmehr Spanien selbst.
Die »fürchterliche Kraft der Liebe ( dira vis amoris)«, von der das mittelalterliche Kirchenlied singt, trieb und regelte das ganze Verfahren der Inquisition. Torquemada drückte dieser so unauslöschlich und nachhaltig das Gepräge seiner düsterbrütenden und methodischen Fühllosigkeit auf, daß seinem gleichgesinnten Nachfolger im Großinquisitorat, Diego Deza, nur ganz wenig zur Vollendung des heiligen Amtes zu tun übrig blieb. Wer von dieser Maschinerie gefaßt wurde, war verloren. Das Verfahren der Inquisition war von A bis Z geheimnisvoll, schrecklich, zermalmend. Der Angeklagte und Gefangene befand sich vom ersten Augenblick an einsam und verlassen einer steinernen Unerbittlichkeit gegenüber, deren Eisenfaust nicht nur das Leben vernichtete, sondern auch die Majestät des Todes schändete, indem sie die modernden Überreste solcher »Verdächtigen«, die bei Lebzeiten ihrem Mordgriff entgangen waren, aus den Gräbern hervorzerrte und auf den flammenden Holzstoß warf.
Schon das Prozeßverfahren war eine grausame Strafe. Denn die auf die Angabe irgend eines namenlosen Spions, Aufreizers oder Angebers hin Eingezogenen wurden ja in die Kerker der Inquisitionstribunale geworfen, das will sagen in luft- und lichtlose, enge, feuchte, mit ekelhaftem Ungeziefer behaftete Marterhöhlen, wahre Qualhöllen mit ihrer Hungerkost, ihrem faulen Wasser, ihrem Gestank, ihrem durch Geißelhiebe und Mundknebel erzwungenen Schweigen.
Zu dieser Kerkerpein, allein schon furchtbar genug, um zum Wahnsinn oder zum Selbstmord zu treiben, kamen die vom heiligen Offiz in Anwendung gebrachten Folterkünste, um den Angeschuldigten das Eingeständnis ihrer Ketzerei zu entreißen. Es sind in den unterirdischen Marterkammern der Inquisition namentlich drei Arten der Folterung zur höchsten Kunstfertigkeit entwickelt worden: die mit dem Seile, die mit dem Wasser und die mit dem Feuer. Sie folgten einander wie in der Grammatik Positiv, Komparativ und Superlativ; man muß aber ein christlicher Priester vom Torquemadaschen Schlage sein, um die scheuseligen Prozeduren beschreiben zu können. Genug, es gehörte eine geradezu übermenschliche Willenskraft dazu, um die entsetzlichen Qualen der sämtlichen drei Foltergrade auszuhalten und zu überstehen, ohne auszusagen und einzugestehen, was nur immer die Inquisitoren ausgesagt und eingestanden haben wollten. Und doch haben Tausende von Gefolterten alle die Pein glorreich überwunden, haben mit ungebrochener Seele aus ihren durch die Folter gebrochenen und zu einem zuckenden Schmerz zermarterten Leibern heraus ihre Unschuld beteuert, ihre Überzeugung bekannt und das, wohlgemerkt, angesichts der unfehlbaren Gewißheit, als »gänzlich Verstockte« lebendig verbrannt zu werden … Neigt euch in Ehrfurcht vor solchem Heldentum! Ein herrlicheres hat es nie gegeben unter Menschen.
Daß der Schein von Verteidigung, welche man den Angeklagten gestattete, nur ein Spott war, braucht kaum gesagt zu werden. Das Tribunal ging von dem brutalen Grundsatz aus, daß jeder Angeklagte von vornherein als schuldig anzusehen sei, solange er nicht seine Unschuld bewiesen hätte. Aber wie hätte er sie beweisen können? Wurden ihm ja nicht einmal weder die Namen des Anklägers, noch der angeblich seine Schuld bestätigenden Zeugen mitgeteilt. Daß sie ihm gar gegenübergestellt worden wären, davon war keine Rede. Das ganze Verfahren war überhaupt mit einem abschreckenden Geheimnis umgeben. Der in die Kerker des heiligen Amtes Gebrachte fand sich mit einem Ruck und Zuck von allem Zusammenhang mit seiner bisherigen Welt losgerissen. Wie die Inquisition selbst, waren sämtliche Beamte der Inquisition bis zu den untergeordnetsten Handlangern herab mittels eines furchtbaren Eides zu unbedingter Geheimhaltung aller Prozeduren verpflichtet. Es ist demnach klar, daß der Angeklagte durchweg der Willkür seiner Richter, d. h. Henker preisgegeben gewesen ist. Diese Richter waren aber nicht nur unwissende und fanatische Mönche, sondern auch war die Verurteilung der Angeklagten für sie von Interesse – im gemeinsten Wortsinne: von Geldinteresse. Jede Verurteilung wegen Ketzerei war ja, wie schon gesagt, mit Vermögenseinziehung verbunden; aber die eingezogenen Vermögen durften nicht eher in den königlichen Schatz abgeliefert werden, als bis die sämtlichen Gerichtskosten, die ordentlichen Gehalte und Extragebühren der hochwürdigen Herren Inquisitoren daraus bestritten waren. Bei aller Achtung vor der » dira vis amoris«, d. h. vor der Kraft und Macht der religiösen Stupidität wird man doch kaum umhin können, zu sagen, daß tausende spanische Ketzer gerade aus denselben Gründen verdammt worden sind, aus welchen, wie Kenner der Geschichte des Hexenwesens wissen, tausende deutscher Hexen verdammt wurden, d. h. aus Gründen ganz ordinärgeschäftsmäßiger Geldmacherei.
Ihre ganze Macht und Kraft entfaltete die heilige Inquisition bei den Autosdefé, bei den Glaubensakten, wie sie mit jener bronzestirnigen Heuchelei, die die Kirche ihren Brutalitäten beizumischen nie unterließ, ihre Hinrichtungen nannte. Diese greuelhaften Brandfeste sind lange Zeit hindurch die höchsten Nationalfeste Spaniens gewesen. Es gab kleine und große, gewöhnliche und ungewöhnliche Autosdefé. Erstere fanden alljährlich an bestimmten Tagen statt, letztere mit ihren massenhaften Einäscherungen wurden für besonders feierliche oder freudige Veranlassungen aufgespart. Thronbesteigungen, königlichen Hochzeiten, Geburten von Insanten und Infantinnen zu Ehren loderten die ketzerverzehrenden Scheiterhaufen der großen »Glaubenshandlungen«.
Ein sehr hochwürdiger Streiter für das Reich Gottes, der Pater Paramo, ein geborener Sizilianer, hat im Jahre 1598 zu Madrid einen Wälzer in Quart herausgegeben, worin er höchst gelehrt von dem Ursprung und der Entwicklung des heiligen Amtes handelt (»De origine et progressu officii sanctae inquisitionis«). Nichts kann sinnreicher sein als der von ihm erbrachte Beweis, daß die Inquisition ihren Ursprung im Paradiese genommen habe. Nämlich der erste aller Inquisitoren war Gottvater selber und das von ihm über Adam und Eva gefällte Urteil das erste Ketzergerichtsverdikt. Adam und Eva sind zweifelsohne die ersten »versöhnten« Ketzer gewesen. Ihre Bekleidung mit Tierfellen war das Modell des »San Benito«, und ihre Verjagung aus Eden gab zweifelsohne das Vorbild ab für die über die Ketzer zu verhängende Gütereinziehung. Nicht minder genial ist die Findung Paramos, daß die Fortbildung des heiligen Amtes durch das ganze Alte und Neue Testament hindurch sich verfolgen lasse. Abraham, Isaak und Jakob, dann Mose, Samuel und David, weiterhin Johannes der Täufer, Jesus selbst, sowie verschiedene seiner Apostel seien Inquisitoren gewesen. Ein unverkennbares Exempel eines Autodefé biete jene Erzählung im Neuen Testament, welcher zufolge die Apostel Johannes und Jakobus, als ein Dorf in Samaria ihrem Herrn und Meister den Eintritt verweigerte, Feuer vom Himmel herabgerufen wissen wollten. Sintemalen nun die Samaritaner die Ketzer von damals gewesen, so wäre hieraus klärlich zu erkennen, daß die Ketzer durch Feuer vertilgt werden müßten, und wer gegen diese Beweisführung und Schlußfolgerung etwas einwenden wolle, der »sei verflucht!«
Die spanischen Städte hatten Zeit, auf die heilige Schaulust, welche die großen von der Inquisition veranstalteten Molochopferfeste ihnen darboten gehörig sich vorzubereiten. Einen Monat nämlich vor so einem »Glaubensakt« wurde die große Standarte des heiligen Amtes vom Palast desselben nach dem Hauptplatz getragen, wo der Auto stattfinden sollte. Das ganze Personal des Tribunals folgte in Prozession der Fahne, und unter Trompeten- und Paukenschall wurden Tag und Stunde des erbaulichen Schauspiels verkündigt.
Alsbald ging man rüstig an die Vorbereitungen dazu. War die Stadt eine königliche Residenz, so wurde das hölzerne Autodefétheater stets dem Hauptbalkon des königlichen Palastes gegenüber errichtet oder auch so, daß die für die vornehmen Zuschauer bestimmte Estrade an die Wand des Palastes sich anlehnte und in amphitheatralischer Abstufung sich gegen den freien Platz hinabsenkte. Bemerkenswert, aber ganz in der Ordnung, daß der auf der Zinne des Amphitheaters angebrachte und von einem Baldachin überragte Sitz des Großinquisitors beträchtlich höher war als der für den König bestimmte. Der von den Flügeln der Zuschauerbühne halb umspannte Platz war für die Verurteilten und für die bei der Urteilsverkündigung fungierenden Priester und Beamten bestimmt. Hier war ein Altar errichtet; ferner standen da eine Kanzel für den Festprediger und ein Pult für den Vorleser der Strafsentenzen, und diesem Pulte gerade gegenüber waren zwei oben und vorn offene Käfige aus Holz angebracht, in welche die armen Sünder bei Verlesung ihrer Urteile gesteckt wurden.
War der Festtag angebrochen, so füllten sich schon frühzeitig die Plätze der bevorzugten Zuschauer. Die königliche Familie pflegte sich um 7 Uhr morgens einzufinden. Eine Stunde später tat das Haupttor des Inquisitionspalastes sich auf und die Festprozession kam heraus, um sich nach dem Platze zu begeben, den rings eine unzählbare und andächtige Volksmenge einschloß. Vorauf marschierten hundert mit Piken und Büchsen bewaffnete Köhler, deren Gilde dieses Recht besaß, weil sie das Material zu den Scheiterhaufen lieferte. Ihnen folgten die sämtlichen Dominikaner der Stadt und Umgegend. Dann kam die große Fahne des heiligen Amtes. Sie war aus rotem Damast gefertigt und zeigte auf der einen Seite das spanische Wappen und auf der andern ein gezücktes Schwert. Das kostbare Vorrecht, sie zu tragen, stand der herzoglichen Familie von Medina-Celi zu. Folgte dann der lange Zug der Verurteilten, nach den ihrer harrenden Strafarten geordnet, alle gelbe Wachskerzen in den Händen tragend, und alle mit einem grobwollenen, sackartigen Kittel, dem »San Benito«, angetan. Die zu leichteren Geld- und Gefängnisstrafen Verurteilten gingen voran, barhäuptig und barfüßig, große gelbe Andreaskreuze auf die Brust- und Rückenstücke ihrer San Benitos geheftet. Folgten solche, welche zur Geißelung, zu lebenslänglicher Kerker- und Galeerenstrafe verdammt waren. Weiterhin die, welche sich dem Lebendigverbranntwerden dadurch entzogen, daß sie nach gefälltem Urteil ein Geständnis abgelegt hatten. Sie sollten demnach »nur« mittels der Garotte hingerichtet werden. Ihr San Benito war mit Teufelsfratzen und Höllenflammen bemalt, ebenso ihre Koroza, d. h. die drei Fuß hohe Mütze aus Steifpapier, welche ihre Köpfe bedeckte. Zuletzt schritten und wankten die Erzketzer einher, alle die Standhaften oder auch die Rückfälligen, d. h. solche, welche auf der Folterbank im Wahnsinn des Schmerzes »Geständnisse« sich hatten auspressen lassen, sie aber nachmals widerrufen hatten. Die Bemalung ihrer San Benitos und Korozas war wie bei den »nur« zur Garotte Bestimmten, aber mit dem Unterschied, daß auf ihren Kitteln und Mützen die Flammen bolzgerade in die Höhe standen, während sie bei jenen niedergebogen waren. Manche der Erzketzer trugen auch Mundknebel, um sie zu verhindern, die Würde und Weihe des Auto durch unerbauliche Reden zu stören. Alles war vorgesehen, für alles war vorgesorgt. Der Skandal sollte nicht vorkommen können, daß so ein verruchter Erzketzer sich etwa einfallen ließe, den Verzweiflungsschrei zur Sonne emporzuwerfen: Und das alles kannst du mit ansehen, ohne zu erblinden? – Hinter den zu Brandopfern bestimmten Verurteilten wurden sargähnliche Holzkästen einhergetragen. Sie enthielten die Leichname solcher Angeklagten, welche zwischen der Verurteilung und der Einäscherung im Kerker gestorben waren; sowie den Gräbern entrissene Gebeine solcher, welche nach ihrem Tode der Ketzerei verdächtig und schuldig befunden wurden. Die liebevolle Mutter Kirche ließ es sich ja nicht nehmen, auch den Toten noch ihre brennende Liebe zu widmen. Der Generalrat der Inquisition beschloß den Zug. Die Inquisitoren ritten in ihrem Ornat einher, umgeben von den schwarzgekleideten freiwilligen Familiaren, welche aus der Blüte des spanischen Adels bestanden. Zuletzt kam der Großinquisitor im violetten Talar, umringt von seiner geharnischten Leibwache.
War die Prozession auf dem Platze angelangt und hatten die sämtlichen Teilnehmer ihre angewiesenen Plätze eingenommen, so las ein Priester an dem erwähnten Altar die Messe. War er beim »Evangelium« angelangt, so trat ein Zwischenspiel ein, ein Entremes, spanisch zu reden. Der messelesende Priester hielt nämlich inne, der Großinquisitor erhob sich von seinem Thronsitz, ließ sich den Chorrock antun, die Mitra aufsetzen und schritt, so der König dem Auto anwohnte, auf den Sitz des Monarchen zu, um diesem den bei Autodefé üblichen Eid abzunehmen. Dieser königliche Eid besagte, den alleinseligmachenden katholischen Glauben aufrechtzuerhalten, die Ketzerei zu vertilgen und mit aller Macht die heilige Inquisition in ihrer Vertilgungsarbeit zu unterstützen. Der König leistete den Schwur, die höchlich davon erbaute Versammlung sprach ihn nach, und dann bestieg ein Dominikaner die Kanzel, um gegen die Ketzerei eine Vermaledeiungspredigt zu halten, welche in einem so feurigen Hymnus auf das heilige Offiz auslief, daß man schon die Flammen der Scheiterhaufen wabern zu sehen und prasseln zu hören glaubte. Hierauf wurde die Messe zu Ende gelesen, und dann fing die Vorlesung der Urteile an, wobei die Verurteilten der Reihe nach in die beschriebenen Käfige gesteckt wurden, um ihre Sentenzen zu empfangen.
War also das Erweckliche des Auto abgetan, so begann das Erschreckliche, was aber spanische Christen keineswegs erschreckte, sondern vielmehr mit dem vollen Wohlgefühl der Rechtgläubigkeit erfüllte. Auf ein vom Großinquisitor gegebenes Zeichen bedeuteten die Familiaren des heiligen Amtes die Volksmenge, ihren Kreis zu öffnen. War dies geschehen, so wurden im Hintergrunde des Platzes die aufgeschichteten Holzstöße sichtbar. Es waren ihrer so viele wie der zum Feuertode verurteilten Ketzer. Die nicht zum Tode Bestimmten wurden von den übrigen gesondert und in die Kerker der Inquisition zurückgebracht. Die zu Verbrennenden führten die Familiaren zu den Scheiterhaufen und übergaben sie dort dem »weltlichen Arm«. Ite in pace! Unsere Geruchsnerven sind nicht orthodox genug organisiert, um den alleinseligmachenden Brandopfergeruch schmecken zu wollen.
Das beschriebene Zeremoniell erfuhr dann und wann Abänderungen, nicht in Haupt-, aber doch in Nebensachen. Eine solche Änderung war, daß der Großinquisitor selbst nach Verlesung der Urteile die zum Feuertode Bestimmten förmlich und feierlich dem Korregidor der Stadt, in der der Auto stattfand, zur Vollziehung des Urteils überwies und übergab, und zwar stets unter Beifügung der Worte: »Verfahrt mit ihnen in aller Güte und Barmherzigkeit!« während doch dem »weltlichen Arm« schlechterdings keine andere Wahl blieb, als das inquisitorische Brandurteil sofort zu vollziehen. Die zärtliche Mutter Ekklesia hatte eben allzeit » mel in ore, venenum in corde« (Honig im Munde, Gift im Herzen). In den meisten Fällen war der Verbrennungsplatz (» quemadero«) nicht innerhalb, sondern außerhalb der Stadtmauern gelegen und demnach von dem Platze getrennt, auf welchem der geschilderte Schlußakt der Prozedur spielte.
Ein denkwürdiges Beispiel von der Anwesenheit eines spanischen Königs bei einem Autodafé (richtiger schreibt man eigentlich Autodefé) bietet uns die Biographie Philipps II. von seinem entzückten Lobredner Cabrera Cabrera: Felipe Segundo, I. V, c. 3. .
Im Sommer 1559 kehrte Philipp aus den Niederlanden nach Spanien zurück. Er brachte mit sich den festen Entschluß, unter allen Umständen und mit allen Mitteln jede Spur der Ketzerei in seinen Landen auszutilgen und insbesondere Spanien in unbefleckter Rechtgläubigkeit und unantastbarer Glaubenseinheit zu erhalten. Dabei handelte es sich nicht allein mehr um die »neuen« Christen von Juden und Moriskos, sondern auch um heimliche Protestanten. Denn es läßt sich leider nicht leugnen, das Gift der deutschen Reformation hatte auch in Spanien Eingang gefunden, und die heilige Inquisition mußte sich kräftiglich regen, da sie es dermalen nicht allein mit rückfälligen Verehrern Jahwes und Allahs, sondern auch mit den Verehrern Luthers zu tun hatte S. das belehrende Buch » Historia de los Protestantes españoles« von Adolfo de Castro (1857). Es existiert auch eine deutsche Bearbeitung von H. Hertz (1866).. Sie arbeitete energisch. Am 21. Mai 1559 ließ sie zu Valladolid einen prächtigen Autodefé in Szene gehen. Die Regentin Donna Juana, Philipps Schwester, der junge Infant Don Carlos, eine Menge von Granden, Prälaten und mehr oder weniger schönen Edeldamen zierten das erbauliche Schauspiel mit ihrer Gegenwart. Vierzehn Lutheraner wurden verbrannt, sechzehn »versöhnt«. Die Verurteilung hatte auch eine Tote getroffen, die reiche, tugendhafte, hochangesehene Donna Leonor de Vibero. Das heilige Offiz war zu der Überzeugung gelangt, sie sei als heimliche Protestantin gestorben. Ein Verdammungsspruch erging, ihre Güter wurden eingezogen, ihr Leichnam aus der Gruft im Kloster San Benito el Real zu Valladolid hervorgezerrt und auf den Scheiterhaufen geworfen, ihr Haus dem Boden gleich gemacht und auf dem Platze desselben eine Schandsäule aufgerichtet, welche erst im Jahre 1809 durch die Franzosen zerstört worden ist.
Ein noch viel pomphafterer Glaubensakt spielte in derselben Stadt Valladolid, gleichsam zur Feier der glücklich erfolgten Heimkehr des Königs, am 8. Oktober 1559. Der ganze Hof war in Gala dabei. In der Umgebung des Königs befanden sich sein Sohn Carlos, sein Neffe Alexander Farnese, alle höchsten Würdenträger des Staates, des Hofes und der Kirche und eine große Anzahl von Damen. Es war wohl die glänzendste Versammlung, welche ein Autodefétheater jemals gesehen hat. Der Großinquisitor Don Hernando de Valdes, Kardinalerzbischof von Sevilla, nahm dem Könige den Eid ab, welchen Philipp mit entblößtem Degen schwur, um seinen streitbaren Eifer für das Reich Gottes recht deutlich kundzutun. Die auserwähltesten Opfer der Tragödie des Tages waren Don Juan Sanchez, der aus hochadliger Familie stammende Dominikanermönch Fray Domingo de Rojas und der in hohen Kriegs- und Friedensämtern bewährte Don Carlos de Seso. Diese drei Lutheraner beharrten standhaft bei ihrem protestantischen Bekenntnis und hatten demzufolge die Qual des Lebendigverbranntwerdens zu leiden. Neun ihrer Mitketzer und Mitketzerinnen, worunter zwei Geistliche und fünf Nonnen, wurden, weil sie angesichts des Scheiterhaufens ihren »Irrtum« bekannten, »nur« garottiert und dann in die Flammen geworfen. Auch der Leichnam der Nonne Juana Sanchez wurde mitverbrannt. Als Don Carlos de Seso auf seinem Wege zum Holzstoß unter dem Balkon, von welchem aus der König dem gottseligen Spektakel zuschaute, vorüberkam, rief der kecke Ketzer Sr. katholischen Majestät zu: »Wie könnt Ihr zugeben, daß man mich verbrennt, und zusehen, wie man mich verbrennt?« Worauf Philipp II.: »Ich würde selber die Reisigbündel zum Scheiterhaufen herbeitragen, um meinen eigenen Sohn zu verbrennen, falls er ein so verruchter Ketzer wäre wie du.« Schade, daß Schiller diese Antwort nicht gekannt hat. Hätte er sie gekannt, so würde er die zehnte Szene vom fünften Akt des »Don Carlos« anders gehalten haben, indem sein Großinquisitor sich nicht soviel Mühe zu geben gebraucht hätte, den König zur Opferung des Infanten zu bestimmen. Auch dem Statthalter Christi, Sr. unfehlbaren Heiligkeit Pius IX., scheint Philipps II. soeben gemeldete »Tat in Worten« bislang (1874) noch unbekannt geblieben zu sein. Sonst wäre es unbegreiflich, daß der fromme König nicht zugleich mit dem frommen Arbues heilig gesprochen worden ist.
Der erste Großinquisitor, Thomas de Torquemada, ist am 16. September 1498 friedlich in seinem Bette gestorben, »sanft und selig im Herrn entschlafen«. Ihn kümmerte und reute auf seinem Sterbelager sicherlich nur das eine, daß ihm nicht gegönnt war, noch fürder zu arbeiten im Weinberge des Herrn. Wie war die Hippe des Winzers scharfschneidend gewesen, wie hatten seine orthodoxen Füße die Fülle der Ketzertrauben in die Kufe gestampft, daß der rote Saft stromweise niederfloß!
Torquemada war ein Prinzipmann comme il faut und zugleich ein Mann der Praxis, ein Dämon und zugleich ein Rechner. Er raste und kalkulierte mitten im ärgsten Rasen. Niemals hat ein Mensch die religiöse Idee voller, ehrlicher und logischer als er zur Verwirklichung gebracht. Er ging auf in seinem Werke, er war identisch mit seinem Tun, er war der inkarnierte Inquisitionsgedanke. Und wie wußte er mit dem dämonischen Glutodem seines Eifers die sämtlichen von ihm organisierten und geleiteten 13 Inquisitionstribunale Spaniens zu durchdringen! So fürwahr, daß man hätte glauben können, der Großinquisitor müßte sich verdreizehnfacht haben.
Wenn er sterbend auf die Arbeit seines Lebens zurückblickte, mußte er einige Genugtuung empfinden. Während seines Großinquisitorats sind ja Llorentes Berechnung zufolge (I, 272 fg.) verbrannt worden 10 220 Ketzer, im Bilde (d. h. nach ihrem Tode oder abwesend) verbrannt 6860, zu mit Vermögenskonfiskation verbundenen Körper- und Kerkerstrafen verurteilt 97 321. Ja, selbst ein Torquemada konnte mit diesem Ergebnis frommer Tätigkeit zufrieden sein.
Freilich ist nicht zu leugnen, daß die Inquisition mittels Verbrennung, Verkerkerung, Verbannung und Vertreibung das Land um mehr als ein Drittel seiner intelligentesten, gebildetsten, fleißigsten und wohlhabendsten Bewohner gebracht, ja, daß sie geradezu die materielle und intellektuelle Kultur, die sittliche Kraft und die politische Macht Spaniens gebrochen und vernichtet hat. Allein diese Tatsache der profanen Geschichte kann nur leicht oder auch gar nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Tatsache der heiligen Geschichte, daß in Spanien unmittelbar und in Europa mittelbar das »Reich Gottes« gerettet worden ist durch das heilige Offiz.