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»Soll ich Ihnen, mein Herr, ganz klar sein, so ist es nötig, daß ich zuerst von mir selber rede. Es geschieht dies nicht aus Eitelkeit – bah, über die bin ich längst weg; es geschieht auch nicht etwa in der Absicht, mich in Ihren Augen möglichst weißzubrennen, behüte! Kalkuliere, ich bin mit den Menschen längst fertig und gebe keinen Pfifferling drum, ob sie mich für schwarz oder für weiß ansehen. Rechne, ich bin, der ich bin, und so, wie ich bin, gedenke ich meinen Platz in der Welt zu behaupten, bis zur Stunde, wo die ganze Posse zu Ende ist. Dies als Proömium, wie die alten Poeten ihre Vorreden nannten. Medias in res, wie, glaub' ich, der gute Horaz von dem Erzähler verlangt, kann ich mich jedoch nicht stürzen. Rechne, ich muß beim Ei anfangen und will mit Methode verfahren wie ein echter Deutscher. Wird Ihnen die Novelle langweilig, so kritisieren Sie mich. Werde dann versuchen, meinen Stil zu verbessern.
Wohl, habe jetzt etliche fünfzig Jahre das Vergnügen, das schnurrige Ding mitzumachen, welches man Menschenleben nennt und über dessen Wesen und Bestimmung Theologen, Philosophen und Politiker so ungeheuerlich überschwenglichen Firlefanz vorzubringen nicht müde werden. Meine Philosophie des Lebens besteht in dem Satz: Auffressen oder aufgefressen zu werden, das ist die Bestimmung des Menschen. War das aber, die Wahrheit zu reden, bei mir auch nicht immer so. War, bei Jove, in meinen jungen Jahren ein Kerl, der mehr Phantasie und Herz im Leibe hatte, als für ein Dutzend solider Menschenkinder not tut – ei, so hatt' ich, ist ein Fakt. Ist aber, kalkulier' ich, so 'ne Überfülle von Phantasie und Gemüt ein Ding, das einem verfluchte Streiche spielen kann und meistens auch wirklich spielt. Entre nous, die in Borneo Geborenen sind die glücklichsten unter den zweibeinigen federlosen Bestien. Je weniger sich der Mensch Gedanken macht, desto glücklicher ist er; je dümmer einer ist, desto weniger denkt er: ergo, der dümmste ist der glücklichste oder kann es wenigstens sein. Ferner – Sie müssen es mir schon zugute halten, Herr Graf, wenn ich meine Erzählung mit moralischen Nutzanwendungen, von denen ich von jeher ein großer Liebhaber gewesen, episodisch durchflechte; ist das, mit der Poetik zu sprechen, der didaktische Einschlag in den epischen Zettel – ja, also es ist, kalkulier' ich, ein unverzeihlicher Mißgriff der Natur, daß sie auch den Armen Kinder geboren werden läßt, welche Talente und Strebsamkeit in sich verspüren. Kommt dabei nichts Gutes heraus, bei Jove! Sollte auch vernünftigerweise das Talent ein Privilegium der Vornehmen und Reichen sein. Denn sehen Sie, so ein armer, talentvoller Junge ringt sich durch Hunger und Kummer zum Wissen durch. Seine Fähigkeiten, seine Bildung, seine Energie befähigen ihn, an dem Bankett des Lebens einen Platz anzusprechen. Seine Pulse schlagen nach edlem Lebensgenuß, er versteht und liebt das Schöne, ein brennender Ehrgeiz treibt ihn an, seinen Namen anerkannt und geehrt zu wissen, ein Wort mitzureden in den öffentlichen Angelegenheiten, seinen Kräften einen angemessenen Wirkungskreis zu eröffnen, sie für die Welt nutzbar zu machen. Aber halt da! Du, armer Teufel, willst genießen? Was geht dich die Schönheit, die Poesie, die Kunst an? Kannst du sie bezahlen? Ehrgeiz willst du haben, du Lump? Am öffentlichen Leben teilnehmen, unverschämter Plebejer? Geh, Wurm, schleppe deine miserable Existenz die gemeinen Wege der Alltäglichkeit hin und erfreche dich nicht, zu Regionen emporzublicken, die uns, den Aristokraten und Bankokraten, vorbehalten sind. Packe dich! Es ist für dich kein Platz am Bankett des Lebens. Eine solche Zurückweisung, in tausenderlei Formen, bald höflich, bald brutal ausgesprochen, ist nicht sehr angenehm. Sie bleibt auch nicht ohne Wirkung, kalkulier' ich. Indem sie dem begabten und gebildeten Armen den ungeheuren Abstand zwischen seiner natürlichen und seiner gesellschaftlichen Berechtigung zeigt, weckt sie in ihm die Gefühle des Hasses und Neides und macht sein Herz in Galle schwimmen. Aus derartigen Gefühlen keimt eine Verbitterung, die den Menschen durchgiftet und ihn, rechne ich, zu allerlei führen kann – ist ein Fakt.
Wohl, ich hatte das Unglück, so ein armes Dorfgenie zu sein, das heißt, ich hatte mehr Grütze im Kopf als meine Mutter, die halbverhungerte Tagelöhnerswitwe, in der Pfanne. Auch ein stupendes Gedächtnis hatte ich und eine merkwürdig bunte und tätige Einbildungskraft, aber keine Schuhe. Meine Laufbahn fing ich als Gänsehirt an, und verflucht sei der Dämon, der mich lehrte, mir Gedanken über den Lauf der Welt zu machen, während ich die schnatternden Bestien über die Sumpfwiesen drunten am Flusse trieb. Hätte mein Leben den gewöhnlichen Gang von meinesgleichen genommen, ich wäre in der Art dieser Leute glücklich oder wenigstens zufrieden geworden. Aber als ich zum Gehilfen des Sauhirten der Gemeinde avancierte, wollte es mein Unstern, daß mein Eumäus – Sie kennen ja Ihren Homer, Herr Graf – welcher vormals bessere Tage gesehen hatte, mich lesen lehrte und mir von der Welt jenseits unserer Berge vorschwatzte. Das zündete. Eine wütende Begier nach Büchern verzehrte mich. Ich verschlang alle Scharteken, deren ich habhaft werden konnte, und ihr Inhalt gestaltete sich in meinem Hirn zu den wunderlichsten Phantasien und Träumen. Bei Iove, es war ein Stück von einem Poeten in mir. Lernte auch schreiben in meiner autodidaktischen Raserei, das heißt, ich malte die Buchstaben in den Büchern nach und konnte mich später lange nicht daran gewöhnen, zu schreiben, wie man schreibt, statt so, wie man druckt.
Nun gut, weil ich unsern damaligen Pfarrer um Bücher plagte, ward er auf mich aufmerksam. ›Achaz,‹ sagte er, ›aus dir muß was anderes werden als ein Sauhirt.‹ Ich glaubte ihm. Man ist so dumm, wenn man jung ist. Wäre gescheiter gewesen von dem Hairle, hätte er zu mir gesagt: ›Dummer Junge, du mußt ein Sauhirt oder ein Tagelöhner werden, wie dein Vater es gewesen; was hast du daher mit Büchern zu schaffen?‹ Hätte mir vielleicht der Pfarrer damit den Bildungskitzel vertrieben. Gab mir aber statt dessen eine alte lateinische Grammatik und ein altes Kompendium der Weltgeschichte. Sollte ein Hairle werden, meinte er, hätte das Zeug dazu. Glaubte zwar meine Mutter das nicht. ›Achaz‹, sagte sie, ›hast nicht das Zeug zu 'nem Hairle: bist zu wild dazu.‹ – ›Potz Blitz, Mutter‹, sagt' ich, ›das versteht Ihr nicht. Schadet 'nem Hairle gar nichts, was Ihr mir da aufgemutzt. Wird unser Hairle auch wild, wenn er die Bauern während der Predigt schlafen sieht.‹ Schalt mich zwar die Mutter 'nen Lotter und gab mir 'ne tüchtige Ohrwatschel, allein da sie bald darauf starb, so hatte die Opposition gegen meine Hairleschaft in spe ein Ende.
Wohl, wollte wohl ein Hairle werden, das stand fest. Aber wie? Der Pfarrer, ein guter Mann in seiner Art, schaffte Rat und ich selber half mit, wenigstens mittelbar. Der Förster drüben im Summiswald hatte ein einzig Kind, ein Töchterlein, das Lore hieß und ein paar Jahre jünger war als ich. Jetzt heißt man sie die Traumlore. Wir hatten eine Kinderfreundschaft mitsammen geschlossen, denn mein Hirtenamt führte mich täglich auf die Stöckichheide hinüber, die sich am Saume des Summiswaldes hinzieht. Dort stand das einsame Försterhaus, wo die Lore mit ihrem Vater wohnte. Die Mutter hatte sie frühe verloren, war aber der Augapfel des Vaters, der es mir sehr hoch anrechnete, daß ich der Lore gelegentlich mal einen romantischen Dienst erwies. Der Summisforst wimmelte von Wild, denn Seine Exzellenz, Ihr Oheim, der General, war ein starker Jäger vor dem Herrn. Eines Abends hörte ich auf der Heide von dem Waldweg zum Försterhaus her einen kläglichen Hilferuf und erkannte die Stimme der Lore. Ich lief, was ich laufen konnte, und fand, daß das Kind auf seinem Heimweg vom Dorfe von einem gewaltigen Hirschbock attackiert wurde. Es war in der Brunftzeit, und da sind die Bestien rabiat. Da ich einen tüchtigen Knüttel mitführte, so warf ich mich ohne weiteres zwischen die Lore und den Hirsch, der von dem Versuch, mich auf sein Geweih zu spießen, erst abstand, als es mir gelungen, die ganze Wucht meines Knüttels ihm auf die prustende Nase fallen zu lassen. Dieses Argument schlug ihn in die Flucht. Die Lore war sehr dankbar: sie rühmte ihrem Vater meinen Wissensdrang und daß ich ein Hairle werden wolle. Der Förster sprach darüber mit dem Pfarrer. Man kam überein, daß man mich auf die lateinische Schule in die Stadt bringen wollte. Der Förster übernahm es, für Kleider und Bücher zu sorgen, der Pfarrer wirkte mir durch seine Amtsbrüder von barmherzigen Leuten in der Stadt ein Dachkämmerlein und sogenannte Kosttage aus, das heißt die Erlaubnis, jeden Wochentag abwechselnd in einem andern Hause zu Mittag zu essen. So fristeten zu meiner Zeit die sogenannten Bettelstudenten ihr Leben.
Wurde also ein Bettelstudent, der aber ganz glückselig war, als er zum erstenmal Schuhe an den Füßen und ein ganzes Wams auf dem Leibe hatte. Nach und nach freilich ging es bergab mit diesem Gefühle der Glückseligkeit. Je raschere Fortschritte ich machte, je mehr ich infolge meiner Naturfrische und meines eisernen Fleißes die Stadtbuben überflügelte, um so mehr schwoll auch in mir der Grimm über meine bettelhafte Existenz. Herr, die Brocken, welche einem die Mildtätigkeit hinwirft, schmecken bitter. Die Bissen quollen mir im Munde, ich hätte die Hände, welche mir dieselben darreichten, oft lieber anspucken als küssen mögen, und manche lange Nacht hindurch benetzte ich, in meiner Dachkammer frierend, mein armseliges Lager mit Tränen der Wut und Erbitterung. Ich, der Erste in den Klassen an Fleiß und Kenntnissen, mußte mich von parteiischen Lehrern den einfältigen und trägen Söhnen ›guter‹ Familien nachgesetzt sehen, ich mußte den untauglichen Kindern meiner Kostgeber ihre Aufgaben machen und mich von ihnen meiner Bettelstudentenschaft halber verhöhnen lassen. Ei, ja wohl da der Goethe, das Glückskind, hatte gut sagen, nur der, welcher sein Brot mit Tränen salze, kenne die himmlischen Mächte. Kalkuliere, hätte er es mal selber tun müssen, er würde statt von himmlischen von höllischen Mächten gesprochen haben.
Aber meine Mutter hatte doch recht gehabt: ich hatte wirklich nicht das Zeug zu einem Hairle. Als die Zeit gekommen, wo ich die Universität beziehen sollte, war mir das ganz klar geworden. Hatte eine entschiedene Vorliebe für die Naturwissenschaften, auch darin schon viel gearbeitet und beschloß nun, Medizin zu studieren. Mit ein paar Talern, die ich mir durch Stundengeben zusammengespart hatte, machte ich mich nach Wien auf und studierte die Arzneikunst. Durch meinen Eifer für Botanik und Chemie gewann ich mir die Gunst der Professoren dieser Fächer. Sie verschafften mir Privatunterricht, und mit dem Ertrag desselben deckte ich die Kosten meiner eigenen Studien. Zu meiner Erholung machte ich Gedichte, ja, zum Teufel, das tat ich. Jetzt freilich kommt mir das omnipotent lächerlich vor. Endlich hatt' ich absolviert und konnte mich mit einiger Zuversicht den Examinatoren präsentieren. Man machte mich zum Lizentiaten der Arzneikunst – den Doktorhut konnte ich der Kosten wegen nicht erschwingen – und ich ward bevollmächtigt, drauflos zu kurieren.
So kehrte ich in die Heimat zurück, fast so arm, als ich sie verlassen hatte. In der ersten Zeit hatte ich Gelegenheit genug, neben meiner neuen Kunst auch meine alte zu üben, nämlich die, am Hungertuch zu nagen. Nach und nach machte sich jedoch die Sache besser, denn einige glückliche Kuren verschafften mir Ruf in der Umgegend. Wurde auch der Hausarzt im Schlosse, und da traf ich wieder mit meiner Freundin aus der Kinderzeit, mit des Försters Lore zusammen. Ihr Vater war inzwischen gestorben, die Frau Gräfin, Ihres Oheims Kuno Gemahlin, hatte das anstellige, gescheite Mädchen zu sich genommen, hatte für ihre Ausbildung in der Hauptstadt gesorgt und sie dann zu ihrer Gesellschafterin gemacht. Sie galt sehr viel im Schlosse; Ihr Oheim, Herr Graf, und Ihre Tante vertrauten ihr unbedingt. Wer von der Herrschaft etwas erlangen wollte, konnte nichts Gescheiteres tun, als sich an die Lore zu wenden. Im Dorfe jedoch war sie nicht beliebt, obgleich sie ihre einflußreiche Stellung den Leuten gern zugute kommen ließ. Sie galt aber für stolz und hochfahrend, und die Dörfler drückten das so aus, daß sie von ihr sagten: ›Die Forstlore‹ – so hieß man sie damals – ›will oben hinaus.‹ Von Natur sehr begabt, hatte sie sich ein reiches und wohlgeordnetes Wissen erworben und eine gesellschaftliche Haltung, die jeder Dame angestanden wäre. Dabei umgab sie ein eigener poetischer Reiz, eine Nachwirkung der Waldromantik, in welcher sie ihre Kindheit verlebt hatte. Ja – zum Henker, ich werde, vermut' ich, selber wieder poetisch, wenn ich auf das Kapitel komme – sie war in jener Zeit, wo die Romantik so sehr populär, eine Romantikerin an Leib und Seele, und der gute Frieding, welcher damals gerade Pfarrer zu Wippoltstein geworden, war ganz entzückt von der Fülle alter Lieder und Sagen, die sie ihm mitteilen konnte.
Was mich angeht, ich hatte beim ersten Begegnen die Lore gar nicht wiedererkannt. Nicht allein deshalb, weil sie jetzt in städtischer Tracht ging und sich in den modischen Kleidern so leicht und frei bewegte, als hätte sie von klein auf nie andere getragen, sondern mehr darum, weil sie so omnipotent schön geworden. Herr, sie ist jetzt ein alt Weib, und Kummer und Haß haben sie noch mehr entstellt als das Alter, aber, by all the powers! mag ich erschossen werden, wenn ich je in der alten oder neuen Welt ein schöneres Weib gesehen, als die Lore in ihrer Jugendblüte war. Nur Ihre Frau Stiefmutter, Herr Graf, kommt ihr nahe, wenn auch, kalkulier ich, das Genre ihrer Schönheit ein anderes –«
»Bleiben Sie bei der Sache, Herr!« unterbrach hier Robert den Erzähler finster und legte sich dann wieder mit gesenktem Haupte in den Chorstuhl zurück.
Mit einem höhnischen Blick auf den jungen Mann sprach Twerenbold für sich: »Kalkuliere, so geht es, wenn man mit der Sonde plötzlich einen sehr reizbaren Nerv berührt.«
Dann fuhr er fort:
»Lassen Sie, Herr Graf, meine Erzählung immerhin in dem ihr bequemen Geleise sich fortbewegen, wenn sie nicht stocken soll. Ja, also von der Schönheit der Forstlore sprach ich. Sie war überraschend, überwältigend. Wenn einen das große, schlanke, plastisch schön gewachsene Mädchen mit seinen großen, schwarzen, brennenden Augen ansah, wurde einem das Herz närrisch im Leibe und klopfte an die Rippen, als wollt' es heraus. Ist ein Fakt, Herr. War schon manchem von diesen Augen ein Tort angetan worden, rechne ich, und ging es mir auch nicht besser. Wurde verliebt wie ein Maikätzchen, war ein Narr jeder Zoll. Ist ein merkwürdig wunderlich Ding um die Liebe. Ist eine Narrheit, vermut' ich, aber eine allmächtig gloriose, bei Jove! Wird der Mensch recht davon gepackt, tut er, was er sonst nie tut, das heißt, er denkt mehr an eine andere Person als an seine eigene. Ist ein riesiges Wunder, ist es nicht? Kalkuliere, ist es. Sind schon tausend Bücher darüber geschrieben, schon Millionen Lieder darüber gedichtet worden, und ist das Ding doch noch nicht ausgeschrieben und ausgesungen. Remarkabel merkwürdig das, rechne ich. Da ist der Lessing. War ein omnipotent gescheiter Mensch, bei Jove! Aber mit der Liebe kam er doch nicht aufs klare. Meinte, die Liebe sei ein Ding, das erst durch das Christentum aus einem körperlichen Bedürfnis zu einer Art geistiger Vollkommenheit gemacht worden sei. Ist aber nichts damit. Kalkuliere, wußte Lessing so wenig mit der Liebe anzufangen als mit dem Frühling, den er ja auch statt immer und ewig grün zur Abwechslung einmal rot haben wollte. Ist aber, kalkulier' ich, nichts mit so 'nem roten Frühling, und ist die Liebe mit oder ohne Christentum nicht bloß ein körperliches Bedürfnis. Habe die Notion, ist das 'ne rohe Auffassung von einem Dichter und Denker, welcher den Nathan geschaffen, den Nathan, der allein schon hinreichte, Vetter Michel vernünftig zu machen, wenn Vetter Michel von Haus aus nicht ein unverbesserlicher Narr wäre. Doch was geht mich der an? Ja, sehen Sie, mein Herr Graf, ich hatte, bevor ich das Wunder der Liebe an mir selber erfuhr, diesem seltsamlichen Mysterium wissenschaftlich nachgespürt. Über manchen jungen und schönen Kadaver gebeugt, hatte ich, ein passabler Physiolog, mit dem Skalpell in der Hand dem Geheimnis jener Sympathie nachgeforscht, welches man Liebe nennt. Konnt' es aber nicht herauskriegen und kann es, rechne ich, keiner. Es ist nicht allein das Blut, es sind auch nicht die Nerven: es ist, kalkulier' ich, ein ungreifbares, undefinierbares Etwas, ein sinnliches und doch wieder unsinnliches Fluidum, der Jugend eigen, wie der Pfingstzeit die Rosenblüte, kommend und schwindend wie der Duftatem der Mainacht. Doch zum Teufel, entschuldigen Sie, daß ich schon wieder poetisch werde. Jung gewohnt, alt getan. Es kommen mir zuweilen so schnakische Reminiszenzen, namentlich wenn ich so früh aufstehe wie heute und mich nicht durch meinen gewohnten Frühtrunk in die gehörige Werkeltagsstimmung versetze.
Wohl, war also in aller Form verliebt, las Shakespeares Julia und Romeo, machte Spaziergänge beim Mondschein und vernutzte viel gutes Papier mit Sonetten ›An die Erwählte‹. War ein schändlicher, niederträchtiger Zustand! Wurde mager wie ein Windhund, und wollte mir auch der Wein nicht mehr schmecken. Hatte natürlich die tugendhaftesten, reellsten Absichten, spintisierte Tag und Nacht, schaffte und sparte, um der Lore ein anständiges Los an meiner Seite zu bereiten. War aber der Jammer der, daß die Lore nichts von mir wissen wollte, als Liebhaber nämlich, denn die alte Freundschaft hielt sie mir treulich. Als ich endlich kühn genug war – man wurde merkwürdig zahm der Lore gegenüber, war etwas verflucht Vornehmes, Gebieterisches in ihr – ja, als ich endlich kühn genug war, ihr zu sagen, was ich eigentlich von ihr begehrte, blitzte sie mich ordentlich nieder mit ihren schwarzen Augen und sagte mir in einem Tone, welchen so ernst und schnippisch zugleich nur sie annehmen konnte: ›Die Mucken schlagt Euch aus dem Kopf, Achaz, Ihr wißt, wir sind gute alte Freunde; das wollen wir bleiben. Wollt Ihr heiraten, wünsch' ich Euch alles Glück dazu; mich aber laßt dabei aus dem Spiele, ein für allemal.‹ War das ein runder, netter, dezidierter Bescheid, war es nicht? Rechne, war es. Glaubte aber, eines Mädchens ›ein für allemal‹ sei doch nicht so streng wörtlich zu nehmen. Die Weiber sagen oft nein, wenn sie eigentlich ja sagen wollen, aus purem Eigensinn, aus verdammter Trotzköpfigkeit, kalkuliert' ich. Fuhr demnach fort zu schmachten und aufs beflissenste den Hof zu machen und hätte am Ende meine Beharrlichkeit doch vielleicht den Sieg davongetragen, um so mehr, da Ihre Tante, Herr Graf, meiner Bewerbung das Wort redete. Da machte aber der Teufel einen dicken Strich durch meine ganze Rechnung.
Der Teufel zwar, vermut' ich, war es nicht in eigener Person. Ihr Vater, Graf Nepomuk – ich bitte abermals um Entschuldigung, Herr. Ich sehe zwar wohl, die Einführung dieser neuen Person in meine Geschichte wird Sie angreifen, aber diese Einführung ist schlechterdings nötig.«
»Fahren Sie fort,« sagte Robert eintönig. »Sie bedürfen keiner Entschuldigung. Heute kann ich alles hören. Habe ich ja doch das Ärgste schon – gesehen.«
»Nun denn,« begann der Erzähler wieder, seinen Kautabak aus der einen Backenhöhle in die andere rollend, »der Graf Nepomuk, damals noch unverheiratet und ein alerter, feiner Herr von den einnehmendsten Manieren, kam auf das Schloß zum Besuch. Sein Bruder, Ihr Oheim, liebte ihn zärtlich, welches Gefühl zu erwidern er sich den vollsten Anschein zu geben wußte. Kalkuliere, kümmerte mich das wenig. Ging mich das nichts an. Ging mich aber etwas anderes desto mehr an. Die Eifersucht schielt, sagt man, aber scharf sieht sie trotzdem. Wohl, ich bemerkte, daß Graf Nepomuk der Lore gegenüber seine diplomatischen Künste spielen ließ, und ich glaubte zu bemerken, daß ihn das Mädchen mit ganz anderen Augen ansah als mich. ›Lore,‹ sagt' ich zu ihr, ›nehmt Euch in acht! Des Grafen Frau könnt Ihr nicht werden und seine –‹ Sie fiel mir zornig ins Wort, ließ mich nicht weiter reden, und zuletzt lachte sie mich aus. Nun, ich wußte, daß sie ein sittsames Mädchen war, und beruhigte mich, um so mehr, da ich wahrzunehmen meinte, meine Beständigkeit hätte gerade jetzt allmählich einen Eindruck auf sie hervorgebracht, der mich das Beste hoffen ließ. Man hofft, was man wünscht, eine alte dumme Wahrheit. Helfen dem Menschen nicht viel, solche Binsenwahrheiten, kalkulier' ich; je wahrer sie sind, desto weniger glaubt er an sie.
Während ich nun in meiner Verliebtheit so hinduselte, fiel die Wippoltsteiner Kirmes ein. War vorzeiten, rechne ich, ein rares, ergötzliches Ding, so eine Wippoltsteiner Kirmes. Kamen weitum die Leute aus den Bergen im Dorfe zusammen, alt und jung, um ihren Jux zu haben. Hatten ihn auch. Kriegte an so 'nem Tage selbst der ärmste Teufel mal den Mut, mit Singen und Springen, Tanzen und Karessieren sich sehen zu lassen. Rechne, beiläufig gesagt, geht der Jubel der alten Volksfeste immer mehr zum Teufel, und verlieren die Leute in allen Ständen nach und nach die Fähigkeit, sich recht zu freuen. Sieht alles aus wie verzwungenes Zeug, und hat selbst die Jugend nicht mehr den rechten, naturwüchsigen Leichtsinn der Genußfreudigkeit. Will auch sie, kalkulier' ich, schon ihre Genüsse raffinieren, und ist das in der Jugend vom Übel. Habe überhaupt die Notion, daß irgendwo in der Weltmaschine eine Schraube losgegangen, eine Hauptschraube. Daher das Gewackel und Gezitter und Gekrache an allen Ecken und Enden. Lebte der hypochondrische Dänenprinz heutzutage, er hätte doppelten Grund, zu sagen, die Welt sei aus den Fugen. Aber was geht das mich an? Vermute, könnt' ich sie zehnmal einrenken, würde es nicht ein einzigmal tun – ist ein Fakt. Nun wohl, zu meiner Zeit verstanden es die Leute noch, sich zu freuen, und das bewiesen sie namentlich an der Wippoltsteiner Kirmes. Was da für schöne Madel zusammenströmten! Die Mannen und Buben schossen nach der Scheibe oder machten das Preiskegeln um einen stattlichen Hammel mit. War auch ein Glücksrad da und eine Waffelbude und wurde auf einem Puppentheater die grausige Geschichte vom Doktor Faustus tragiert. Ging aber das Hauptvergnügen erst abends an. Spielten da auf dem Rasen unter der Linde hinter dem guten alten Wirtshaus zum Steinbock die Musikanten zum Tanze auf. Habe die Notion, wer nie unter 'ner Dorflinde so 'ne hübsche, frische, quabbelige, von der Freude leidenschaftlich aufgeregte Dirne im rasenden Dreher geschwungen, hat ein rarstes Vergnügen nicht kennen gelernt. Schwang mich an jenem Abend wie toll im Dreher und Hopser und hatte im Arm eine Dirne, frisch, hübsch, quabbelig, daß es 'ne wahre Freude. War das Madel des Guggisrieder Forellenwirts Lizele, Diminutiv- und Schmeichelnamen für Felizitas, wissen Sie? Kannte das Lizele gut, hatte mich stets mit freundlichen Augen angesehen, wenn ich meine Patienten in Guggisried besuchte. War auch der Forellenwirt ein Mann, der Batzen und außer dem Lizele nur noch eine Tochter hatte. Wäre also das Madel in allweg 'ne passende Partie für einen Dorfarzt gewesen, rechne ich. Steckte mir aber die Forstlore in meinem dummen Grind und wollte nicht daraus weichen.
Und aber, daß ich heute, das heißt an selbiger Kirmes mit dem Lizele zusammengeraten, das war so zugegangen. Ihr Oheim, der General, und Ihre Tante pflegten, wenn sie im Schlosse anwesend, die Kirmes jedesmal zu besuchen. Auch diesmal kamen sie. Mit ihnen kam Graf Nepomuk, und auch die Lore war dabei. Den Tanz unter der Linde eröffnete der General mit der jungen Steinbockwirtin, Ihre Tante tanzte mit 'nem Bauerburschen, und ich hätte gern mit der Lore getanzt, aber schon hatte Graf Nepomuk ihr den Arm gegeben. Als ich sah, wie sie sich, strahlend von Schönheit und Stolz, mit ihm herumschwenkte, meinte ich vor Eifersucht bersten zu müssen – so meint' ich, bei Jove! Wie ich nun so grämelte und meinen Grimm hinunterzuwürgen mich bemühte, kam das Lizele mit seiner Base, der Oberförsterin, auf den Platz und sah mich das dundersnette Madel so lieb und gut an wie schon oft zuvor. Wutsch dich, hatt' ich sie am Arm und trat mit ihr in den Reigen und tanzte wie besessen und tat schön mit meiner Tänzerin in bester Manier. War aber das alles nur verbissene Wut, und bemerkte ich wohl, wie die Lore erst verwundert und dann schier ein bißchen unwirsch zu uns herüberschaute. ›Guck du nur,‹ dacht' ich, ›will dir zeigen, daß der Twerenbold noch andere kriegen kann.‹ War mir aber doch nicht wohl dabei zumut. Trat eine Pause in dem Tanz ein, weil die Musikanten vesperten, und da trat ich die Lore an und flüsterte ihr einen hämischen Glückwunsch zu ihrer vornehmen Eroberung zu. ›Ihr seid unverschämt, Achaz,‹ sagte sie mit brennenden Wangen, ›aber ich wünsch' Euch dennoch von ganzem Herzen Glück zu Eurem neuen Schatz.‹ – ›Schatz?‹ fragt' ich. ›Welcher Schatz?‹ – ›Nun,‹ sagte sie, ›des Guggisrieder Forellenwirts Lizele. Ihr seid ja ganz verschossen, und Ihr habt recht, 's ist ein schön Madel und Geld hat es auch‹ –. ›Hört, Lore,‹ sagt' ich darauf, denn ich glaubte zu bemerken, daß die Stimme der Wetterhexe mehr noch ärgerlich als spöttisch klang, ›hört, Lore, Ihr solltet mit mir nicht so sprechen. Redet ein gut und verständig Wort mit mir, und Ihr sollt sehen, daß ich mich um das Lizele nicht mehr kümmere als um seines Alten verschimmelte Taler. Ihr wißt, Lore, was ich für Euch fühle. Sprecht ein herzlich Ja, und heute noch geh' ich mit dem Pfarrer reden. Am nächsten Sonntag soll unser Aufgebot, über vierzehn Tage unsere Hochzeit sein; mein Haus ist eingerichtet und bereit, die Hausfrau zu empfangen, und Ihr sollt es nie bereuen, dasselbe als mein Weib betreten zu haben.‹ – ›Ei, Achaz,‹ versetzte sie schnippisch, ›pressiert's Euch so? Ihr seid so mächtig hitzig. Gut Ding will Weile haben. Horch, da blasen die Musikanten wieder auf, und seht, da kommt mein Tänzer, um mich zu holen. Ihr müht Euch also schon noch gedulden. Nichts für ungut, und amüsiert Euch brav!‹ Und richtig, herbeitänzelte der verd – nun ja, Graf Nepomuk kam und holte die Lore wieder zum Tanz, und ich sah wohl, mit welcher freudigen Hast sie ihre Hand in die seinige legte. Da wurde mir doch so wild und tückisch zu Sinn, so quer im Kopf! ›Foppen willst du mich, du Waldhexe?‹ dacht' ich. ›Das sollst du wohl bleiben lassen.‹ Und stracklich machte ich mich wieder an das Lizele und ließ das Mädchen nicht wieder los und tat mit ihm wie der verliebteste Narr unter der Sonne. Und je böser und spöttischer mich die Lore darum ansah, desto toller trieb ich's und nahm das Lizele leider alles für baren Ernst. Ging es mir aber zuletzt, wie es einem, rechne ich, zu gehen pflegt, wenn man stundenlang ein frisches verliebtes Madel im Arm hat und mit ihm herumspringt, daß das Mieder wallt und Augen und Wangen und Lippen glühen. Hatte noch dazu in meiner Wildheit zwischenhinein diverse Gläser Wein hinuntergestürzt. Wurde also warm und mehr als warm, heiß, heftig, ein wahrer Feuerteufel. War auch damals, kalkulier' ich, ein Kerl, der sich sehen lassen durfte, und hinlänglich Poet, um eines Guggisrieder Forellenwirts Tochter mit glatten Redensarten den Kopf zu verdrehen.
Wohl, verdrehte also dem Lizele den Kopf – ist ein Fakt. Mußte mir aber, vermut' ich, der Schädel tüchtig mitverdreht worden sein. Hätte sonst sehen müssen, daß ein Jägerbursche aus der Försterei, welcher dem Lizele schon lange nachgestrichen, den ganzen Abend um uns herumschlich mit gesträubtem Haar und Bart wie ein eifersüchtiger Kater, und daß der Kerl dann lange abseits mit dem Wichte, dem Veit, flüsterte, welcher jetzt Donnerfallmüller ist und schon damals beim Grafen Nepomuk kammerdienerte. Sah es auch, aber nur so beiläufig. Kümmerte mich den Henker darum. Hatte nur Sinn für das eine, die Lore für ihre Koketterie mit gleicher Münze zu bezahlen.
Das Lizele gestattete mir gegen Mitternacht zu, ihren Heimführer zu machen. Ist aber so ein Heimführen, wissen Sie, nach dem ländlichen Liebeskodex 'ne ernste Sache. Den Burschen, durch welchen sie sich heimführen läßt, erklärt die dörfliche Schöne gleichsam offiziell für ihren Liebhaber, für ihren Schatz, der alle Rechte eines Bräutigams besitzt. Ist demnach dieses Heimführen ein sehr hübsches, oft aber auch ein häkliches Ding, je nach Umständen. Führte also das Lizele heim, welches bei seiner Base in der Försterei übernachten wollte. Dachte zur Stunde nicht im entferntesten daran, daß jedes Ding 'ne Kehrseite hat, denn ließ sich das Abenteuer anfangs omnipotent angenehm an. War ein allerliebstes Madel, das Lizele. Nicht zu spröde und doch wieder nicht zu gefällig, recht so das pikante Mittelmaß im Temperament. Wie ich nun aber nach zahllosen Küssen an der Hintertür der Försterei endlich von dem quabbeligen Ding Abschied genommen und durch den Garten auf die Straße zurückwollte, empfing mich für die Heimführung jenseits des Gartenzauns eine Heimsuchung.
Ja, geriet da, kalkulier' ich, in eine infame Schwulität. Schwelgte noch in der Rückerinnerung an des Lizeles Zärtlichkeit, als plötzlich ein halb Dutzend Kerle mit geschwärzten Gesichtern über mich herfielen. Baumstark, wie ich damals war, hätte ich mich, wenn darauf vorbereitet, dieses ländlich-sittlichen Überfalls vielleicht erwehren können. Kam aber dieser zu plötzlich, als daß ich hätte viel machen können. Schlug zwar einen der Kerle mit der Faust zu Boden, wurde aber im nächsten Augenblick selber zu Boden geschlagen, und nun begann 'ne schnöde Kiltgangkomödie, die in unseren Bergen vorzeiten nicht ganz ungewöhnlich war und es vielleicht jetzt noch nicht ist, jedenfalls aber für den, welcher die Hauptrolle spielen muß, zu den inkonvenabelsten Dingen gehört, die sich denken lassen. Und die Hauptrolle dieser Komödie mußte damals ich spielen, nolens volens. War 'ne bittere Stunde, bei Jove! Die infamen Kerle, welche mich überfallen und übermannt, hielten eine Stange in Bereitschaft, eine Art Hopfenstange, vermut' ich. Die schoben sie mir zum linken Rockärmel hinein und über das Rückgrat hinweg zum rechten heraus. Und wurden vermittelst Strickenden meine Handgelenke an die verfluchte Stange festgeschnürt. Dann klebte man mir ein höllisches Pechpflaster über das Maul und ließ mich laufen. Quer das, sehr quer – ist ein Fakt. Was ich da für 'ne Figur machte? Kalkuliere, 'ne höchst komische für die Kerle, aber für mich selbst 'ne tragischere, als je eine über die Bretter der Bühne gerast. Stand da mit ausgespannten Armen, als wollt' ich Himmel und Erde umarmen. Ja, rechne ich, zermalmen, in Atome zerreiben hätte ich beide mögen.
›He, hist und hott, gradaus und zickzack, Herr Pflasterkasten!‹ So gröhlten die Kaffern und gellten und lachten und höhnten – infam, geradezu infam! – Herr, habe drüben in der neuen Welt Dinge erlebt, die auch einem starknervigen Mann das Haar zu Berge stehen machen können, habe mich mit Goldsuchern und Rothäuten herumgeschlagen und bin haarscharf den Krallen der Lynchjustiz entgangen, die mich fassen wollten, natürlich infolge eines verhenkerten Mißverständnisses, kalkulier ich, aber, by all the powers, in so einer dreimal verfluchten Schmiere, wie damals am Gartenzaune der Försterei, bin ich all mein Lebtag nie gewesen.
Wohl, stand da wie ein lebendiges Kreuz und wurde aus einem stehenden ein wandelndes, denn fort mußt' ich doch, fort wollt' ich. Dachte, das Krakeelen der Kerle konnte am Ende gar noch das Lizele herbeiziehen, und müßte ich ein erbaulich Spektakel für das hübsche Madel gewesen sein. Wurde aber doch so erbost, daß ich meinte, der Schlag müßte mich rühren. Aber was konnt' ich machen? Höchstens mir unter dem höllischen Pflaster vor Ingrimm die Lippen blutig beißen. Ging also, war das aber ein schlimmes Gehen, Herr. Stieß mit den Enden der infamen Stange überall an, blieb rechts und links hangen, mußte mich drehen und winden wie ein Frosch unter der Wirkung einer galvanischen Batterie. Kalkulierte, täte gut, die Dorfstraße zu vermeiden, auf welcher die Leute jetzt johlend und singend vom Tanzplatz unter der Linde heimzogen. Wollte mich durch die Baumgärten am See nach meiner Wohnung hinlotsen. Ja, rechne, das ist das rechte Wort. Recht eigentlich lotsen mußt' ich mich. Kam mir schier vor wie so 'ne gottverdammte schwerfällige holländische Trekschuite. Machte auch 'ne verzweifelte Anstrengung, die satanische Stange auf meinem Rücken entzweizubrechen, ging aber nicht; war das die zäheste Stange von der Welt: meine Gelenke krachten, sie nicht. Und hinter mir her das Gejodel und Gehöhne der lederhosigen Kalibane – eine elende Situation, omnipotent niederträchtig!
Sollte aber noch schlimmer kommen – sollte es nicht? Kalkuliere, sollte. Ließ sich da der alberne Kerl, der Mond, plötzlich einfallen, seine dumme sentimentale Fratze hinter den Wolken, welche ihn bisher bedeckt, hervorzustrecken und mich in meiner Misere ganz unverschämt breit zu bescheinen. Rechne, habe seither eine entschiedene Abneigung gegen allen Mondschein. Ist alles Lug und Trug, was die Poeten von dem blassen Gesellen faseln. Ist ein abgetragener, verbuhlter, heimtückischer Kerl, bei Jove! Spielte mir häßlich mit damals. Denn wie ich so seitlings – en face konnt' ich der Bäume oder vielmehr der höllischen Stange wegen nicht gehen – den Fußweg durch die Gärten hintrippele, kommt mir unversehens 'ne Gesellschaft entgegen. Das fehlte nur noch. Es war der General mit seiner Frau, und hinter ihnen kam die Lore, am Arm des Grafen Nepomuk. Die Herrschaften hatten beim Pfarrer zu Nacht gespeist und waren jetzt auf dem Heimwege begriffen. Ein infernalisches Rencontre! Und ich konnte schlechterdings nicht ausweichen. Sie standen still und schienen sich zuerst über die ungeheuerliche Figur, die ich machte, zu entsetzen. Dann aber brachen sie, den Kiltgangspaß erratend, in ein unauslöschliches Gelächter aus. Lachte aber die Lore am unbändigsten, und machte mich das rasend. Fuhr ganz rabiat vorwärts und rannte mit dem einen Ende der Stange den Grafen zu Boden und kriegte auch die Lore dabei einen derben Rippenstoß ab. Gelangte so furibund, wutschnaubend durch die Nase und mit dem Schweiß des bittersten Ingrimms bedeckt, bis an den Pfarrgarten und traf da den Pfarrer, welcher seine Gäste begleitet hatte und beim Ausbruch des Gelächters stehen geblieben war. Der erlöste mich von meinem Kreuz, aber das Lachen konnt' auch er dabei nicht verhalten. Und das war mein tragikomischer Kirmesjux, zu dem der Mond so hell schien, als hätt' er's, kalkulier ich, recht eigentlich darauf angelegt.«