Johannes Scherr
Nemesis
Johannes Scherr

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4. Wer ist der Herr und wer der Knecht?.

Man war beim Nachtisch und saß recht gemütlich beisammen. Die Fenstertüren des Speisezimmers, welche nach der großen Freitreppe hinausgingen, standen offen, und mit der sonnigen Luft kam der Dufthauch der blühenden Bäume herein. Draußen plätscherten die Springbrunnen, und mit leisem Rauschen schlug der See an die Ummauerung des Gartens.

Als der Kaffee gebracht wurde, machte Robert unwillkürlich eine Bewegung, als suchte er etwas.

Die Gräfin, welche ihm gegenüber saß, bemerkte es und flüsterte einem Diener ein paar Worte zu. Der Diener ging und kam sogleich wieder, einen Teller mit Zigarren und eine brennende Kerze vor den jungen Offizier hinstellend.

Robert verbeugte sich vor der Gräfin und sagte:

»Das ist sehr freundlich von Ihnen, gnädige Frau.«

»Ich bemerkte,« erwiderte Thekla unbefangen, »daß Ihnen zu Ihrem Kaffee etwas fehlte, und da mich zu Hause meine Brüder an den Geruch des Tabaks gewöhnt haben, brauchen Sie sich nicht zu genieren.«

»Nun, so greif zu, Robert,« sagte der Graf. »Ihr jungen Leute seid einmal das Geschmauche gewohnt, obzwar es eigentlich ein rein illusorischer Genuß ist.«

»Mag sein, obgleich mein guter alter Lehrer, der Pfarrer, von dem ich das Rauchen besser als nützlichere Dinge lernte, Ihnen mit großer Gelehrsamkeit das Gegenteil beweisen würde. Was macht der liebenswürdige alte Herr?«

»Da mußt du Madame fragen, die ihn häufiger sieht als ich. Meines Wissens ist er noch immer rüstig und arbeitet mit rastloser Ausdauer an seinem unendlichen Werke, worin er den Beweis liefern will, daß unsere Gegend einer der Hauptsitze des altgermanischen Götterdienstes gewesen sei.«

»Ah, ich erinnere mich dessen noch aus meinen Knabenjahren. Es war kein Winkel in unseren Bergen, den er nicht durchkroch, um Spuren vom Kult der alten Götter aufzufinden, und es war weitum kein Greis und keine Greisin, die er nicht aufsuchte, um ihnen halbverschollene Sagen abzufragen.«

»Das tut er noch jetzt,« bemerkte die Gräfin, »und sein Buch, worin er zu ganz neuen, überraschenden Resultaten gekommen sein will, erhält gegenwärtig, wie er mir vor einigen Tagen sagte, die letzte Feile. Übrigens freute es mich zu hören, daß Sie den Trefflichen liebenswürdig nannten. Ich glaube, es gibt wenige Menschen, die ein so rein selbstloses Leben führen und in so hohem Grade Zutrauen erwecken wie der alte Herr.«

»Wie danke ich Ihnen, gnädige Frau,« versetzte Robert mit Lebhaftigkeit. »Denn ich hänge sehr an meinem alten Lehrer.«

»Das macht dir alle Ehre,« sagte der Graf, welcher von dem Pfarrer nicht sehr eingenommen schien und daher dem Gespräche eine andere Wendung geben wollte. »Aber du hast dich vorhin in deiner Schilderung der glorreichen Affäre von Custozza unterbrochen. Wie wäre es, wenn du uns den Schluß zum besten gäbest?«

Es bedurfte keines weiteren Zuredens, um einen jungen Soldaten in Gegenwart einer jungen und schönen Dame von seinen Kriegserlebnissen sprechen zu machen, und Robert wollte eben ansetzen, als der Kammerdiener des Grafen kam und diesem meldete, der Müller Veit sei draußen und lasse den gnädigen Herrn um eine Audienz bitten.

»Sagt ihm, daß er später oder noch besser morgen wieder vorsprechen möchte. Ich bin jetzt nicht zu Geschäften gestimmt.«

Der Diener ging hinaus, kam aber bald wieder zurück mit der Botschaft, der Müller lasse Seine Erlaucht untertänigst um Verzeihung bitten, wenn er eine Störung verursache; allein sein Anliegen sei so dringlicher Natur, daß er es wagen müsse, seine Bitte um sofortiges Gehör zu wiederholen.

»Das hat man davon, wenn man die Leute verzieht,« sagte der Graf verdrießlich, stand aber doch auf, befahl den Müller in sein Kabinett zu führen, und gab seiner Gemahlin und Robert auf, inzwischen zu entscheiden, ob sie später mitsammen einen Gang durch den Park oder lieber eine Fahrt auf dem See machen wollten.

Er fand den Müller bereits in seinem Kabinette, grüßte ihn leichthin, warf sich in einen Fauteuil und sagte ziemlich ungehalten:

»Du hättest eine passendere Stunde zu deinem Besuche wählen können, Veit.«

»Ich bitte noch einmal um Entschuldigung, gnädigster Herr,« entgegnete der Angeredete. »Ich erfuhr erst im Schlosse die Ankunft des gnädigen Herrn Rittmeisters, aber ich fürchte, daß ich, falls mir dieses freudige Ereignis auch früher bekannt geworden, dennoch Euer Gnaden meine Gegenwart hätte aufdringen müssen,«

»So? Und was hast du denn so Pressantes? Ist es wegen der Kleinen im Siggital, wie?«

»Ich habe die Befehle Euer Gnaden in betreff der Kleinen allerdings vollzogen.«

»Nun, und wie steht die Sache?«

»Entschuldigen Sie, gnädigster Herr, wenn ich mir die Freiheit nehme, zuvor von einer unangenehmeren Angelegenheit zu sprechen.«

»Von einer unangenehmen Angelegenheit?«

»Ja, mit Euer Gnaden Erlaubnis, von einer sehr mißlichen, so zu sagen.«

»Was soll es denn? Sprich doch ohne Umschweife!«

Der Müller ging zur Türe und öffnete sie rasch, um sich zu vergewissern, daß kein lauschendes Ohr in der Nähe sei. Dann schloß er sie wieder, schob den Riegel vor, trat dicht an den Grafen heran und sagte halbleise, aber nachdrücklich:

»Twerenbold ist zurückgekommen!«

Die Arme des Grafen lagen auf den Armlehnen seines Stuhles, sein Oberkörper war behaglich in die weiche Rundung der Rücklehne zurückgebeugt. Der Mann sah aus, als wollte er mit philosophischer Fassung irgend eine Widerwärtigkeit untergeordneter Art vernehmen, um sogleich ein diplomatisches Auskunftsmittel vorzuschlagen.

Allein gegen den Namen Twerenbold, den er in seinem Leben nie wieder hören zu müssen geglaubt hatte, hielt die philosophische Fassung keineswegs stand. Er schnellte ordentlich von seinem Sitz empor, als dieser Name an sein Ohr schlug, und wenn er auch schon im nächsten Augenblick wieder scheinbar ruhig dasaß, so zeugte doch die Blässe seines Gesichtes und das Zittern seiner Hände von einer tiefen Erschütterung.

Veits Auge ruhte mit dem Ausdruck des Behagens auf dem gnädigen Herrn.

Es ist für die Gemeinheit so wohltuend, die gedemütigt zu sehen, vor denen sie sonst zu kriechen pflegt, und jede Lakaienseele trägt den Keim zum Despoten in sich.

Graf Nepomuk hatte keine Zeit, das Mienenspiel seines ehemaligen Kammerdieners zu beachten.

»Du hast dir etwas aufbinden lassen, Veit,« sagte er.

»Etwas aufbinden, gnädiger Herr? Bin ich der Mann, welcher sich etwas aufbinden läßt? Diese meine Augen sahen den Kerl, und diesen Morgen – verflucht sei er! – mußten ihm meine Hände Wein einschenken und Zigarren reichen.«

»So ist es also wahr? Er ist zurück? Den heiligsten Eiden zum Trotz!«

»Eide? Er spottet derselben.«

»Der Schurke, der infame Schurke!«

»Das ist er, Erlaucht, sicher ist er das und obendrein ein Mensch, der zu allem fähig. Ich kann es Ihnen nicht verschweigen, er hat mich in Furcht gejagt.«

»In Furcht gejagt, dich?« »Ja, gnädiger Herr. Es ist etwas so Dezidiertes, Verwegenes in ihm, daß ich nicht dagegen aufkommen konnte. Er befahl, und ich mußte mir befehlen lassen. Er würde auch nicht das geringste Bedenken tragen, selbst Ihnen zu befehlen.«

»Mir?«

»Ja, gnädiger Herr, ich darf es weder Ihnen noch mir selbst verhehlen, und ich muß mir die Freiheit nehmen, Sie zu bitten, keine gewaltsamen Mittel gegen diesen verzweifelten Menschen zu versuchen. Er würde Lärm machen, und das soll und darf er nicht, wie Sie wissen.«

Die Blicke des Grafen und des Müllers begegneten sich.

Es waren unheimliche Blicke.

Nach einer Pause sagte der Schloßherr:

»Ich verstehe dich, Veit. Der Schuft soll und darf keinen Lärm schlagen, aber –«

»Man muß ihm bei guter Gelegenheit die Fähigkeit, Lärm zu schlagen, entziehen, nicht?«

Der Graf nickte.

»Das ist auch ganz meine Meinung,« sagte der Müller.

Und wieder sahen sich die beiden mit einem vielsagenden Blick an.

»Und willst du so eine gute Gelegenheit herbeiführen, meiner lieber Veit?«

»Ich war stets Euer Gnaden treuuntertänigster Diener.«

»Das warst du, und ich war dir, wie ich glaube, stets ein gnädiger Herr.«

Veit verbeugte sich tief und sagte dann, seine Stimme zum Flüstern dämpfend:

» Twerenbold zählt, wenn mir recht ist, einige Jahre mehr als ich. In diesem Alter sterben Leute von vollblutiger Komplexion oft plötzlich, wenn sich – gerade eine gute Gelegenheit dazu findet.«

»Du meinst, so eine Gelegenheit lasse sich finden?«

»Allerdings, aber nicht jeden Tag, Twerenbold ist ein zehnfach destillierter Schurke und hat bei unserem heutigen Zusammentreffen mir gegenüber die beleidigendste Vorsicht blicken lassen.«

»Wieso?«

Der Müller nahm von dieser Frage Veranlassung, über den Besuch des Abenteurers einen ausführlichen Bericht abzustatten.

Die sorgenvolle Stirne des Grafen verdüsterte sich bei dieser Erzählung noch mehr. Als sie zu Ende, schwieg er eine Weile nachdenklich, bevor er sagte:

»Höre, Veit, diese Sache erfordert die äußerste Umsicht, und du brauchst mir von gewaltsamem Verfahren nicht mehr abzuraten. Es ist daran nicht im entferntesten zu denken, Amerika scheint für diesen Schuft die hohe Schule zynischer Verworfenheit geworden zu sein. Zwar ich fürchte ihn keineswegs – weswegen auch sollte ich in meiner Stellung einen solchen Armseligen fürchten? Allein er wäre bei alledem imstande, Inkonvenienzen herbeizuführen, die mir und meinem Hause fatal wären. Daher gilt es, leise aufzutreten, lieber Veit, wenigstens vorderhand.«

»Ja, gnädiger Herr, wir müssen ihn sicher machen. Er darf weder an meiner Freundschaft noch an Ihrer – Güte zweifeln. Wenigstens muß er faktische Beweise von der letzteren haben.«

»Was fordert der Kerl?«

»Er hat es mir in die Feder diktiert, Erlaucht,« erwiderte der Müller, das Schriftstück hervorziehend und dem Grafen darreichend.

Der Graf überflog es mit den Augen, schleuderte es dann heftig zu Boden, stampfte mit dem Fuße darauf und rief mit zornheiserer Stimme:

»Welche fabelhafte Impertinenz!«

»Ja, Euer Gnaden, es ist eine fabelhafte Zumutung. Zwölfhundert Taler jährlich, die Rente von vier- bis sechsundzwanzigtausend Talern Silberwährung!«

»Nicht das allein, nicht das allein, obgleich es schon an und für sich unverschämt genug ist, vollends, wenn man bedenkt, welche Summe ich dem Elenden gegeben, damals, als –«

»Als er nach Amerika ging,« ergänzte der Müller den unvollendeten Satz seines Patrons. »Es war eine enorme Summe, und er sollte damit ein reicher Mann geworden sein.«

»Und er hat alles die Gurgel hinabgejagt?«

»Alles, wenigstens wird das meiste diesen Weg gegangen sein.«

»Ein Lump in Folio!«

»Ja, Erlaucht, aber ein gefährlicher. Ich versuchte es anfangs, ihn von oben herab zu behandeln, doch es wollte nicht gehen. Der Mensch hat in seinem Auge einen Blick, gegen welchen ich nicht aufkommen konnte,«

»Der Schändliche mutet mir zu, in einem quasi öffentlichen Dokument ihn nicht nur meinen alten treuen Diener, sondern auch meinen Freund zu nennen. Mich seinen Freund! Es ist monströs!«

»Ohne Zweifel, Euer Gnaden. Aber er hat die anstößigen Worte mit eigener Hand unterstrichen, und sein ganzes Auftreten zeugt von einer Entschlossenheit, die um kein Jota nachgeben wird.«

»Wie, du meinst, der Schuft werde mit seiner Erpressung, mit seinem Raub sich nicht zufriedengeben unter einer mich weniger kompromittierenden Form?« »So meine ich, gnädiger Herr.«

Der Graf sprang mit einem halberstickten Fluch auf.

»Und wenn' sagte er, »wenn ich mich entschlösse, die unverschämte Forderung kurzweg und ein- für allemal von der Hand zu weisen?«

»In diesem Falle, Erlaucht, muß ich meinerseits mich entschließen, Haus und Hof im Stiche zu lassen und noch heute dorthin zu gehen, woher Twerenbold kam.«

»Bah, was könnte der Mensch ausrichten? Die kurze Tollheit, während welcher die Kanaille etwas galt oder wenigstens etwas zu gelten glaubte, ist bereits wieder gründlich beseitigt, und es sollte mir, denk' ich, nicht gar so schwer fallen, dem Kerl ein ganz anderes Los zuteil werden zu lassen, als er sich auf meine Kosten bereiten möchte.«

»Gnädiger Herr,« versetzte Veit mit keineswegs bloß erheuchelter Ängstlichkeit, »bedenken Sie wohl, was Sie tun. Ich will Sie nicht bemühen, auf meine geringe Person Rücksicht zu nehmen – denken Sie nur an sich selbst und an den gnädigen Herrn Rittmeister. Twerenbold ist nicht der Mann, mit dem man so leicht fertig wird. Er steht auch nicht allein, denn vergessen Sie nicht, daß die Lore noch lebt, welche ihm stets angehangen. Er hat sich auch bereits wieder mit ihr in Verbindung gesetzt.«

»Verdammt das! Konntest du es nicht hindern?«

»Wie hätt' ich es gekonnt?«

Der Graf trat ans Fenster und starrte nachdenklich durch die Scheiben. Der Müller bückte sich und hob das zerknitterte Papier vom Boden auf.

Nach einer Weile kehrte sich der Schloßherr um und sagte:

»Für den Augenblick ist nichts zu machen, wie?«

»Nicht als das, Erlaucht,« entgegnete Veit, mit der Rechten auf das Papier in seiner Linken zeigend. »Und du glaubst, der Schuft werde sich wenigstens damit zufrieden geben und sich außerdem in gehöriger Entfernung von mir halten?«

»Ich glaube, sein Vorteil wird ihn alle Rücksichten gegen die Person von Euer Gnaden beobachten lassen.«

»Und wäre er wohl nicht zu bewegen, diese Gegend zu verlassen und seinen Raub anderwärts zu verzehren?«

»Schwerlich. Er hat es sich, wie ich Euer Gnaden zu sagen die Ehre hatte, in den Kopf gesetzt, gerade hier das Leben eines Bummlers zu führen, und sein Kopf ist von Eisen. Wir dürfen auch nicht den leisesten Versuch machen, ihn zum Fortgehen zu bewegen, denn das hieße nur seine Starrköpfigkeit herausfordern. Man muß sich, nach meiner untertänigen Meinung, einstweilen gedulden. Kommt Zeit, kommt Rat.«

»So gib den Wisch her!« sagte der Graf, den Fluch, welcher ihm auf die Zunge kam, nicht mehr verbeißend, sondern voll und ganz herausstoßend.

Während der Schloßherr beschäftigt war, an seinem Schreibtisch eine doppelte Kopie von Twerenbolds Diktat zu fertigen, blieb der Müller in unterwürfigster Haltung hinter ihm stehen. Aber seine dünnen Lippen verzogen sich höhnisch und bewegten sich, als spräche er leise:

»Ich wußte wohl, daß du weichgeben würdest.«

Geschäftig zündete er dann die Kerze auf dem silbernen Leuchter an, welcher auf dem Schreibtisch stand, und legte Lack und Siegel zurecht.

Als die beiden Exemplare der Urkunde geschrieben, unterzeichnet und besiegelt waren, übergab sie der Graf mit vor Unwillen bebender Hand dem Müller und sagte:

»Da, gib das eine Stück dem Kerl und sage ihm, er möge sich wahren, mir vor Augen zu kommen. Das andere überbringe dem Oberrentner und befiehl ihm in meinem Namen, daß nur er mit Twerenbold verkehre und daß die ganze Sache als Amtsgeheimnis behandelt werden soll. So – und jetzt von Angenehmerem. Wie steht der Handel mit der bewußten Kleinen?«

»Befriedigend, gnädiger Herr. Aber es war ein hartes Stück Arbeit, der Mutter ihre Skrupel hinsichtlich der Jugend der schwarzäugigen Hexe auszureden.«

»Und sind ihr diese Skrupel wirklich ausgeredet?«

»Vollständig. Euer Gnaden hatten mich ja in den Stand gesetzt, meine Reden stark zu vergolden.«

»Ja, ja, des bißchen Vergnügen, dessen unsereiner noch bedarf, wird immer kostspieliger. Es ist erstaunlich, wie alles und jedes im Preise gestiegen. Übrigens werde ich meine Reise nach Böhmen früher antreten, als ich ursprünglich im Sinne hatte, wahrscheinlich schon in kommender Woche. Ich will die Kleine mitnehmen. Halte daher alles bereit, damit dieses geschehen könne. Gewährt sie mir wirklich so viel Amüsement, wie ich mir von ihrer naiven Munterkeit verspreche, so will ich ihr auch die Hauptstadt zeigen.«

»Ihre Befehle sollen vollzogen werden, Erlaucht. Aber gestatten Sie mir eine Frage. Wird der gnädige Herr Rittmeister während Ihrer Abwesenheit hier bleiben?«

»Allerdings. Robert versprach mir den ganzen Sommer hier zuzubringen, und da er, wie ich glaube, ein Auge für die Geschäfte hat, kann ich meine Abwesenheit um so beruhigter auf längere Zeit ausdehnen.«

»Und Ihre Gnaden die Frau Gräfin, wird sie auch hier bleiben?«

»Freilich, sie ist ja, wie du weißt, ganz verliebt in unsere Berge und zudem wird sie an Robert einen passenden Gesellschafter haben.«

»So!« Dieses »So!« war sehr gedehnt und mit der seltsamsten Betonung vorgebracht.

»Was willst du damit sagen?« fragte der Graf aufblickend.

»Nichts.«

»Höre, Veit,« sagte darauf der Graf mit dem Ausdruck unbeschreiblicher Verachtung, »du wirst nie wieder einen solchen Ton annehmen, wenn von meinem Sohne oder von meiner Gemahlin die Rede ist. Ich habe Grund, zu glauben, daß du weder dieser noch jenem zugetan, sondern eher abgeneigt bist. Warum, weiß ich nicht und will ich auch gar nicht wissen. Aber merke es dir, diese beiden Wesen leben in einer Sphäre, wohin der Blick von deinesgleichen nicht reicht. Genug davon für heute und für immer.«

So sprechend machte der Graf eine unzweideutige Gebärde, daß er die Unterredung für beendigt ansähe.

Der Müller verbeugte sich bis auf den Boden, machte aber keine Anstalt zum Fortgehen.

»Nun,« sagte der Schloßherr ungeduldig, »was gibt es noch?«

»Gnädiger Herr,« entgegnete der Gefragte, »wenn ich nicht mit Schmerz bemerkte, daß eine nur aus treuester Anhänglichkeit entsprungene Äußerung Euer Gnaden ungnädig gestimmt, mochte ich die Gelegenheit benutzen, Ihnen einen kleinen Wunsch vorzutragen.«

»Sprich!«

»Euer Gnaden wissen vielleicht, daß ein kleines schmales Gehölz, genannt das Ermshölzle, den Wiesengrund, welcher zur Donnerfallmühle gehört, quer durchschneidet. Der Herr Oberförster nun scheint sich eine rechte Freude daraus zu machen, mich mittels dieses Gehölzes oder vielmehr mittels dessen, was er Forstpolizei nennt, auf alle Art und Weise zu molestieren und zu chikanieren.«

»Ah, du willst das Gehölz haben, Veit?«

»Erlaucht nahmen stets die zarteste Rücksicht auf die bescheidenen Wünsche Ihres treuuntertänigsten Dieners.«

»Auf deine Wünsche allerdings, von der Bescheidenheit derselben wußte ich jedoch bis zu dieser Stunde nichts. Ich habe dich reich gemacht, Veit.«

»Erlaucht waren gütig gegen mich, sehr gütig. Ich anerkenne es mit gerührtem Herzen. Aber die Zeiten sind jetzt schwer: ich kam auf den unglücklichen Einfall, meine Ersparnisse in Staatspapieren anzulegen, und Sie wissen –«

»Ich weiß, ich weiß, daß du dir den Schurken Twerenbold zum Exempel genommen.«

»Bitte untertänigst um Entschuldigung, wie mögen Euer Gnaden mich mit diesem faulenzenden Trunkenbold in gleiche Linie stellen?«

»Er plündert mich, um zu vergeuden, du hingegen – doch genug. Ich sehe, dieser Tag, welcher mit Roberts Ankunft so schön begann, sollte für mich zu einem Unglückstag werden. Sag nichts weiter, es ist überflüssig. Du sollst das Gehölz haben, ich werde vor meiner Abreise noch mit dem Oberförster reden und die Sache ins reine bringen. Binnen drei Tagen erwarte ich, daß die Angelegenheit mit der Mutter der Kleinen völlig abgemacht und die letztere zur Abreise bereit sei. Und höre noch, ich verlasse mich darauf, daß du beständig und namentlich während meiner Abwesenheit ein scharfes Auge auf diesen Lump von Twerenbold habest. Verstanden? Gut. Adieu denn.«

Als der Müller mit tiefen Referenzen das Zimmer verlassen hatte, kam der in dem Grafen kochende Ingrimm in leidenschaftlichem Mienenspiel zum Ausbruch. »Die Schurken, die infamen Schurken!« rief er aus. »Mit solcher Canaille mich gemein machen zu müssen! Von ihr abzuhängen! O, Robert,« setzte er hinzu, die Hände über das Gesicht schlagend, »wenn du wüßtest, Robert, wenn du wüßtest!«


Der Sohn des Hauses ging noch ziemlich spät in der Nacht unruhig in seinem Schlafzimmer auf und ab.

Die Spazierfahrt auf dem See hatte abends stattgefunden, und man war recht heiter gewesen. Dessenungeachtet hatte es dem jungen Mann scheinen wollen, das Verhältnis seines Vaters zu der Gräfin sei ein sehr vornehm kühles, fast fremdes, und er sann auch jetzt noch darüber hin und her.

Dabei geschah es wohl ganz mechanisch, daß er, eine Weile am Fenster stillstehend, den Blick nach dem Turmzimmer der Gräfin hinüberrichtete.

Es war noch Licht dort.

»Sie ist sehr schön,« murmelte Robert. »Wahrscheinlich ist es nur das Überraschende des ersten Eindrucks – man macht sich von einer Stiefmutter so dumme Vorstellungen – aber seltsam ist es doch, daß mir vorkommt, ich hätte nie eine Frau von solcher Anmut gesehen.«

Unwillig wandte er sich um, als er die Türe gehen hörte. Er hätte ungestört seiner Träumerei nachhängen mögen und fragte daher den eingetretenen Andres barsch:

»Nun, was willst du noch?«

»Wollte dem Herrn Rittmeister melden,« entgegnete der Alte, »daß ich laut Order den Pferdestand visitiert habe.«

»So?«

»Die Ställe sind in guter Ordnung, das muß ich sagen. Ein Halbdutzend prächtiger Reitpferde da, darunter namentlich ein Goldfuchs – Sapperlost, zum Fressen schön. Kein solches Tier beim ganzen Regiment – Knöchel so sein wie – wie –«

»Schon gut, schon gut,« unterbrach Robert den Alten ungeduldig; allein dieser war sich der Vorrechte alter treuer Diener zu sehr bewußt, um sich so ohne weiteres aus dem Text bringen zu lassen.

»Jedennoch, Herr Rittmeister,« fuhr er fort, »hat mir leidgetan, die schöne braune Stute von englischer Zucht, wissen Sie? nicht mehr zu treffen. Hörte, der gnädige Herr habe sie an den Müller Veit verkauft oder verschenkt.«

»Was, das edle Tier? Was soll das in einer Mühle?«

»Das sagt' ich auch, Sapperlost! Der Meister Veit reitet jetzt auf demselben herum und konnte doch der Kerl sein Lebtag nicht reiten, 's ist 'ne Schande.«

»Ich konnte nie begreifen,« sagte Robert unwillkürlich, »wie mein Vater diesem glatten, schleichenden Schuft, diesem Veit sein Vertrauen schenken mochte. Er hat etwas in seinem Gesicht, das –«

»Akkurat wie der Schatten von einem Galgen aussieht – ja, Sapperlost, so ist es.«

»Er scheint auch noch jetzt im Schlosse häufig aus und ein zu gehen.«

»Freilich, war auch heute da und hatte eine lange Audienz beim gnädigen Herrn.«

»Du spionierst, Andres, schäme dich.«

»Sapperlost, warum? Sind in einem neuen Quartier, sozusagen, warum sollt' ich mich schämen, für den Herrn Rittmeister das Terrain auszukundschaften? Hm, 's hier nicht alles, wie es sein sollte.«

»Was soll das?« sagte Robert mit Strenge und doch zugleich von einer verzeihlichen Neugierde angewandelt.

Der nicht minder schlaue als anhängliche Alte ersah seinen Vorteil und fuhr fort:

»Halten zu Gnaden, Herr Rittmeister, aber wunderte mich doch schier, zu hören, daß der gnädige Herr und die gnädige Frau einander nie sehen, außer bei Tafel. Von der Frau Stiefmama munkelt man unter der Dienerschaft allerlei. Sagen die einen, sie sei gut wie ein Engel, so sagen die andern, sie sei stolz und hochmütig wie der Teufel.«

»Genug, genug!« sagte Robert ungestüm. »Laß dir nie mehr einfallen, mir das Geschwätz der Bedientenstube vorzuleiern. Die Leute täten besser, wenn sie sich mehr um ihren Dienst als um die Angelegenheiten ihrer Dienstherren bekümmerten. Gute Nacht und wecke mich beizeiten. Ich will in der Morgenfrühe den Park durchreiten und den Goldfuchs probieren, von welchem du so ein Wesen machtest.«


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