Johannes Scherr
Nemesis
Johannes Scherr

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11. In einem Hohlweg.

»Und wer ist denn der Mensch eigentlich?«

Als die Gräfin diese Frage an Robert richtete, ritt sie ihm zur Seite durch einen weiten Forst, welcher von der Markung der Gemeinde Guggisried bis nahe an die Hügel heraufzieht, die gegen Osten hin den gräflichen Park begrenzen. Guggisried selber liegt weit oben am See. Die eirunde Bucht, in welcher sich die Häuser des Dorfes spiegeln, bildet so ziemlich den östlichsten Ausläufer des schönen Wasserbeckens. Unmittelbar hinter dem Dorfe steigen die weithin gedehnten Gehänge des gewaltigen Guggishorn an, erst sanft geneigte Triften, wechselnd mit Bergtannengruppen, dann baumlose Alpenweideplätze, höher hinauf Granit und zuletzt Schneefelder und von ewigem Eis beglaste Abstürze.

Auf so einem Berge hat vieles Raum: Herden von Kühen und Ziegen und Schafen und das muntere Volk der Sennen. Vor acht Tagen hatten die Guggisrieder mit ihrem Vieh die Bergfahrt gehalten und jetzt war droben in den Sennhütten das Buttern und Käsen bereits in vollem Gange. Heute jedoch hatte die Arbeit gerastet. Es war ein Feiertag, des heiligen Medardus Tag, welchen die Hirten vom Guggishorn mit großer Gewissenhaftigkeit feierten als den eines ihren Herden wohlgeneigten Schutzpatrons, welcher der lokalen Legende zufolge namentlich bei der Käserei nie umsonst angerufen würde.

Im Hintergrunde des sogenannten Seebodens steht die Kapelle des Heiligen, eingebuchtet von bizarr geformten Felskegeln. Dort springt aus einer tiefen Kluft hervor mit lautem Rauschen ein köstlicher Quell, dessen Wasser das Hirtenvolk wunderbare Heilkräfte zuschreibt. Die sanftgeneigte Matte, durch welche hin der reiche Abfluß des Medardusbrunnen talwärts geht, ist von uralters her der Sammelplatz der Guggisrieder und ihrer Nachbarn am Medardustag. Dahin kommen die drallen Mädchen der umliegenden Dörfer in ihrer kleidsamen Sonntagstracht und werden von den jungen Sennen empfangen, die heute ihr reinstes Hirtenhemd und ihre besten Lederhosen anhaben, nicht zu vergessen die breiten grünen Hosenträger und den noch breiteren Leibgurt, welchen den Winter über jedem sein Madel gestickt. Vormittags hält der Pfarrer von Guggisried in der Kapelle Predigt und Messe, und dann treten die Gemeindeältesten in einen Kreis zusammen, um eine Art Schiedsgericht über Weidestreitigkeiten, Holzungsberechtigungen und andere Sennereisachen zu halten. Dann werden auf der Matte die üblichen Hirtenspiele in Gang gesetzt und zeigen die jungen Bursche im Wettlaufen, Steinwerfen, Steinstoßen, Springen, Ringen und Schwingen ihre Kraft und Gelenkigkeit. Inzwischen haben sich auch wohl ein Paar Musikanten eingefunden, und es wird auf dem grünen Rasen getanzt, daß die Mieder wallen und die Röcke fliegen. Bis in die Nacht hinein hört man in den Bergen den Widerhall vom Singen und Jodeln und Juheien der fröhlichen Jugend.

Ein alter Graf von Wippoltstein hatte seinen Nachkommen die Verpflichtung auferlegt, den Siegern in den Hirtenspielen am Medardustag Preise von je einem bis zu drei Dukaten auszuteilen oder austeilen zu lassen. Das hatte Frieding, welcher sich die Erhaltung alter Bräuche sehr angelegen sein ließ, dem wiederhergestellten Robert gestern in Erinnerung gebracht und hatte die Gräfin lebhaft ausgerufen: »Da wollen wir selber hin, und Robert mag den Siegern in diesen olympischen Spielen statt Olivenkränzen gutgeränderte Dukaten zuteilen.«

So waren die beiden in der Morgenfrühe nach Guggisried hinübergeritten und von da auf den Seeboden gegangen und hatten in heiterster Stimmung das Hirtenfest mitgemacht. Die Gräfin hatte in bester Manier von der Welt sich dareingefunden, die Austeilerin der Preise zu machen, und als Robert seine Börse auf den über ihre Knie gebreiteten Schal ausschüttete, da waren ihre schönen Hände im Spenden nicht karg gewesen. Die Sennen wünschten sich nie eine andere Siegesgöttin, um so mehr, da Thekla es mit den Bestimmungen des Ahnherrn nicht sehr genau genommen und es so einzurichten gewußt hatte, daß nicht gerade nur die besten Renner und Springer, Steinstoßer und Schwinger, sondern so ziemlich alle, welche ihre Geschicklichkeit und Stärke versucht, etwas von dem gelben Metall in die Tasche kriegten. Freilich, dort sollte seines Verbleibens nicht lange sein. Denn seit die Stiftung des Grafen bestand, hatte sich wie von selbst daran der Brauch gefügt, daß die bekrönten oder vielmehr bedukateten Burschen die goldenen Dinger ihren Mädeln verehrten, an deren Miedern sie, die Dukaten nämlich, womöglich schon am nächsten Sonntag als »Anhenker« baumelten. Es war in der ganzen Gegend der Stolz der Mädchen, solche Anhenker zu tragen. Die Freigebigkeit der Gräfin hatte heute diesem Stolze mächtig Genüge getan und dafür eine beträchtliche Summe blanker Popularität eingetauscht. Man hatte sich die »stolze«, »leutscheue« gnädige Frau doch ganz anders vorgestellt. »Das war ja 'ne recht tolle und gemeine Herrschaft, Sipperment! Was die für 'ne freisame Ansprache hat und was für Guckerl im Kopf, potz Herrgöttles Donner!« hatte der lange Sepper von der Modereck-Alm drüben gemeint, und der lange Sepper war einer der Hauptmacher der öffentlichen Meinung im Gebirge. Auch Robert, der sich mit unbefangener Munterkeit unter dem Hirtenvolk umherbewegte, hatte sein reichliches Teil von Lob abbekommen. Als die Musikanten aufzublasen anfingen, war er mit des Kirchenbauers Vreneli aus Guggisried zum Steirer angetreten, während die Gräfin mit dem kraushaarigen Xaverie-Patriz von der Scheideck tanzte. Dann hatten sie von den fröhlichen Leuten Abschied genommen, um noch bei guter Zeit drunten im Dorfe die Pferde zu besteigen. Als sie mitsammen den Berg hinabgingen, hatte das Vreneli dem Xaverie-Patriz, der eigentlich sein Schatz war, zugewispert, daß die schöne junge gnädige Frau nicht dem Junker gehörte, sondern dem alten Grafen mit den »ausgestopften« Waden und der »verflixten schwarzen Parrucken«, und das sei doch jammerschade.

Die Abendsonne warf rote Lichter durch die Wipfel der Tannen und Buchen des Schwadriforstes, durch welchen die beiden heimwärts ritten. Im Dickicht schlug die Amsel, fernab in den schattigen Gründen rief der Kuckuck und eine duftige Kühle wehte die Wangen der Heimkehrenden an. Sie ließen die Pferde ihren gemächlichen Schritt gehen: es deuchte sie gar schön, so mitsammen durch den stillen Wald zu reiten. Robert schwieg sinnend. Vielleicht regte sich in ihm der Wunsch, der Forst möchte nie zu Ende gehen. Man hat manchmal so seltsame Wünsche.

Die Gräfin war gesprächiger.

»Das war ein heiterer Tag,« hatte sie gesagt. »Ich habe mich königlich amüsiert und nur bedauert, daß Ihre fröhliche Stimmung beeinträchtigt wurde durch die Zudringlichkeit des Menschen mit der schnakischen Redeweise.« »Unser Freund Frieding,« versetzte Robert, »würde sagen, daß eine kleine Dissonanz nichts schade.«

»Und er hätte recht, lieber Robert. Ich wenigstens habe mich über die Anwesenheit des Mannes nicht zu ärgern vermocht. Es ist wahr, seine Glossen über das alte und junge Volk, über die Spiele und Tänze, über die Predigt des Pfarrers und die Verhandlungen der Gemeindevorsteher klangen recht boshaft höhnisch, aber sie wurden mit einem gewissen Humor vorgebracht, und ich gestehe ganz offen, die Einkleidung seiner mephistophelischen Sarkasmen in barocke Amerikanismen hat mich höchlich ergötzt.«

»Er hat sich an Sie nicht so direkt gewendet wie an mich, Thekla. Sie konnten daher auch nicht deutlich wahrnehmen, was für eine Atmosphäre von Gemeinheit der Mann um sich verbreitete. Die Pest über seine Zudringlichkeit! Aber er wird sich dieselbe wohl vergehen lassen, denn ich habe ihn tüchtig abfahren lassen, wie man zu sagen pflegt.«

»Ich wünschte, Sie wären etwas weniger schroff gegen ihn verfahren.«

»Warum?«

»Ich sah, daß er Ihnen, als Sie ihm den Rücken gewandt, einen bösen Blick nachwarf.«

»Bah!«

»Aber sagen Sie mir, wer ist denn der Mensch eigentlich?«

»Er heißt Twerenbold und war vormals Arzt zu Wippoltstein. Ich kann mich seiner noch aus meiner Kindheit erinnern, aber nur dunkel. Sie wissen, ich wurde von meinem guten Oheim Kuno wie ein eigenes Kind aufgenommen und gepflegt, während mein Vater im Auslande seine diplomatische Laufbahn verfolgte. So verbrachte ich meine früheste Kindheit im Schlosse Wippoltstein, unzertrennlich von meinem Vetter und Altersgenossen Rudolf, dem einzigen Sprößling meines trefflichen Oheims. Der arme Junge, der so früh sterben mußte! Noch steht er vor mir mit den großen blauen Augen und dem blassen, leidenden Gesichtchen. Sein Tod war der erste Schmerz meines Lebens. Er, hatte mich so lieb gehabt und ich ihn. Wir hatten beide keine Mutter, außerdem vereinigte uns das Band einer instinktmäßigen Furcht vor unserer Wärterin, der Lore, welche man jetzt die Traumlore nennt.«

»Wie, dieses Weib war Ihre und Ihres Vetters Wärterin? Man spricht Seltsames von ihr.«

»Daß sie zaubern könne, nicht wahr? Nun wohl, vorzeiten konnte sie das nicht, denn sie vermochte weder meinem Vetter noch mir die Abneigung zu vertreiben, welche wir gegen sie empfanden.«

»Deshalb also lehnten Sie es ab, gemeinschaftlich mit dem Pfarrer und mir die Einsiedelei zu besuchen, deren Bewohnerin so viele alte Lieder und Sagen kennt? Aber was hat Ihnen denn die Traumlore getan?«

»Nichts. Aber es gibt nun einmal nicht nur physische, sondern auch moralische Idiosynkrasien. Die Lore hatte eine große Autorität im Schlosse, als nach dem Tode meines Oheims mein Vater die Vormundschaft über seinen Neffen angetreten hatte. Ich weiß nicht, wie das kam, und will es nicht untersuchen. Rudolf und ich fürchteten sie – sie konnte einen mit furchtbaren Blicken ansehen. Ich erinnere mich, eines Tages war ich in ihre Stube gekommen und sah da über ihrem Bette einen aus Stroh geflochtenen Kranz befestigt. Was ist denn das, Lore? fragte ich mit kindischer Neugier. Das ist mein Ehrenkranz, du süßes Jüngelchen, gab sie zur Antwort und sah mich dabei mit einem ihrer teuflischen Blicke an, daß ich entsetzt davonsprang. Später, als ich dem trefflichen Frieding zur Erziehung übergeben wurde, verließ die Lore das Schloß, und seither hat sie in der Einsiedelei an dem wilden und einsamen Seeufer drüben gelebt. Auch gegen den Doktor Twerenbold, der viel im Schlosse aus und ein ging, hatte ich eine Idiosynkrasie – ja, und da fällt mir auch ein, warum. Mein Vetter Rudolf war etwa zwei Jahre jünger als ich. Er mochte vier, ich sechs Jahre alt sein, als er plötzlich von einer schweren Krankheit befallen wurde. Ich wich nicht von seinem Bette. Der Kranke schien eine große Furcht vor dem Doktor Twerenbold zu haben. Ich kann mich deutlich erinnern, daß mir Rudolf damals einmal ängstlich und heimlich sagte, der Doktor habe ihm wehe getan, o, sehr wehe. Von da an konnte ich den Twerenbold nicht mehr ausstehen. Bald darauf verließ er das Dorf. Es hieß, er sei über das Meer gezogen. Ich beachtete es kaum, als mir der alte Andres vor einigen Wochen sagte, der Teufelskerl, der Twerenbold, sei plötzlich aus Amerika zurückgekommen und habe ein ganzes Fuder kalifornischer Goldklumpen mitgebracht. Als er sich aber heute mit so zutraulicher Unverschämtheit an mich machen wollte, da erwachte die Antipathie meiner Kinderjahre wieder in ihrer vollen Stärke. Doch genug davon, und lassen Sie uns von anderem reden. Wie haben Ihnen heute unsere Bauern und Hirten gefallen?«

»O, sehr gut. Da ist doch noch Frische und Natur.«

»Allerdings, und zum Glück ist es noch keinem Touristen eingefallen, die Schönheiten unserer Berge zu entdecken.«

»Sie meinen damit, es sei ein Glück für die Ursprünglichkeit unserer Bergbewohner, daß ihre Berührung mit der Zivilisation bis dahin immer noch eine spärliche geblieben?«

»Das meine ich. Wer gesehen hat, was die regelmäßig wiederkehrenden Wanderzüge der Touristen aller Länder aus der Bewohnerschaft vielbesuchter Gebirgsgegenden gemacht, wird nicht wünschen, daß der Schwarm der Reisenden auch in unsere Berge gezogen werde. Ist es doch ein wahres Glück, daß es noch Flecke in Deutschland gibt, welche in den molluskenartigen, alle soziale Gliederung vernichtenden, unerquicklich charakterlosen Brei unserer nivellierenden Kultur noch nicht eingerührt wurden.«

»Mir ist es mit unserem Landvolk eigen ergangen. Unmittelbar bevor ich hierher kam, hatte ich mit größter Freude Auerbachs Dorfgeschichten gelesen, und da stellte ich es mir wunder wie leicht vor, mit den Landleuten in ersprießliche Beziehungen zu treten.«

»Ja, da mögen Sie schön angekommen sein! Ich kann es mir vorstellen.« »In der Tat, ich fand die Bauern in der Wirklichkeit ganz anders, als sie sich in der Dorfnovellistik darstellen.«

»Sagen Sie: dargestellt werden. Es war ein ganz hübscher Versuch, in die Abgestandenheit unserer durch das sogenannte junge Deutschland aufgebrachten sozialen Novellistik mittels der Dorfgeschichtschreibung ein frisches Element zu bringen. Nur schade, daß die Herren Dorfhistoriker nicht zu vergessen vermochten, daß sie für ein Salonpublikum schreiben sollten, welches die Natur nur goutiert, wenn sie ihm verschönert, d.h. geschminkt und versentimentalisiert geboten wird. Aber wen haben wir denn da vor uns?«

Der Wald war zu Ende und über das Blachfeld her fielen schräg die letzten Strahlen der untergehenden Sonne auf eine Gestalt, welche vor den Reitern in dem langen Hohlweg herwandelte, der aus dem Forste auf das Plateau hinaufführte. Es war ein tiefes Defilee, angefüllt mit Morast und Wassertümpeln, steile Wände links und rechts. Doch lief rechter Hand ein schmaler, etwas erhöhter Fußpfad durch den Hohlweg, welcher ziemlich fest und trocken aussah.

Auf diesem Pfade ging der Mann, dessen Erscheinung Robert zu seiner Frage veranlaßt hatte, langsam einher. Er schien durchaus keine Eile zu haben. Die Hände, welche lässig einen derben Knotenstock hielten, auf den Rücken gelegt, schlenderte er mit einer Gemächlichkeit dahin, welche vielleicht eine absichtliche war. Er mußte das Getrampel der Pferde hinter ihm gehört haben, schien es aber nicht der Mühe wert zu halten, den Kopf umzuwenden. Wer ihn genauer betrachtet hätte, würde vielleicht wahrgenommen haben, daß sein Gang nicht fest war und seine Beine dann und wann eine Bewegung nach seitwärts machten, als wollten sie sich vom Oberkörper emanzipieren.

»Es ist der Twerenbold«, sagte die Gräfin leise.

»Ja wahrhaftig,« versetzte Robert laut. »Machen wir, daß wir an dem widerlichen Menschen vorüberkommen.«

»Lieber Robert, der Mann scheint betrunken zu sein. Sollten wir nicht unsere Pferde anhalten, bis er aus dem Hohlweg hinaus ist?«

»Warum? Die Dämmerung kommt rasch, und ich möchte nicht, daß Sie erst nach Erlöschen des Tageslichtes durch diese abscheuliche Hohlgasse reiten müßten. Wir wollen den Fußpfad rechter Hand benutzen. Erlauben Sie, daß ich voranreite.«

Er lenkte sein Pferd auf den schmalen Pfad und blickte sich auffordernd nach Thekla um, welche ohne weitere Einrede nachfolgte.

So waren sie bis etwa in die Mitte des Hohlwegs gekommen, als Roberts Pferd stillstand. Das Schnauben seiner Nüstern mußte sich dem bloßen Nacken Twerenbolds fühlbar machen, allein der Bummler nahm keine Notiz davon.

»Platz da vorn!« sagte Robert mit vornehmer Kälte.

Jetzt wandte sich Twerenbold um und blieb stehen. Die Vermutung der Gräfin über seinen Zustand schien begründet, denn sein Gesicht war hochrot und seine Haltung augenscheinlich nicht die festeste. Aber wenn die Masse geistiger Getränke, welche er den Tag über zu sich genommen, auf seine eiserne Konstitution nicht ohne Einfluß bleiben konnte, so war sein Wille an Kraft dem Rausche dennoch überlegen.

»Heda, Platz Ihr da!« wiederholte Robert nachlässig.

Der Bummler wich nicht einen Zoll breit von der Stelle.

»Ihr da!« erwiderte er, und sein kühnes Auge ruhte mit frecher Gleichgültigkeit auf Robert. »Wer Ihr da? Kalkuliere, wenn ein Gentleman zu einem andern spricht, weiß er, welcher Anredeform er sich zu bedienen hat.«

»Was soll das?«

»Was das soll? Rechne, daß ein Bürger der großen Union sich nicht beihrdahen läßt. Kalkuliere, hält ein solcher auf seine Würde. Ist ein Fakt, bei Jove!«

Dem Rittmeister schwoll die Stirnader, aber die Anwesenheit Theklas zwang ihn, sich zu beherrschen. Außerdem, was sollte er sich in Händel mit einem solchen Menschen einlassen?

Mit ironischer Höflichkeit lüftete er den Hut und sagte mit verächtlichem Lächeln: »Herr Doktor Twerenbold, haben Sie die Güte, der Dame hinter mir Platz zu machen.«

Das war nicht die Art und Weise, den Abenteurer zu gewinnen.

»Herr Rittmeister, Graf von und zu Wippoltstein«, entgegnete er auf der Stelle in gleichem Tone, »bemerken Sie gütigst, daß die Hohlgasse hier ein Gemeindeweg ist. Da, wo ich gehe, ist der Weg für Fußgänger. Hier nebenan ist der Weg für Pferde. Gut genug für sie, rechne ich. Ich für meine Person bin nicht mehr jung und galant genug, für nichts und aber nichts durch den Kot zu patschen und mir die Füße zu erkälten.«

»Unverschämter –«

»Halt! Kalkuliere, Sie verschlucken ein zweites solches Wort. Rechne, wir sind jetzt nicht mehr auf der Medardusalm, wo aristokratische Hochnäsigkeit an der stupiden Untertänigkeit jämmerlicher Kaffern einen Rückhalt findet. Stehen hier Mann gegen Mann.«

Roberts Blut kochte auf.

»Canaille!« rief er aus und erhob, seinem Pferde die Sporen gebend, die Reitpeitsche.

Twerenbold wich vor dem Sprunge des Rosses ein paar Schritte zurück, aber auch nur ein paar Schritte.

Dann stellte er sich stramm auf die Füße, seine athletische Gestalt richtete sich hoch auf, er faßte den schweren Knotenstock fest in die Hand, seine grauen Augen funkelten vor Wut.

»Canaille!« wiederholte er knirschend. »Schlagt zu, Jüngelchen, und, by all the powers, Ihr sollt spüren, wie ein plebejischer Knittel auf einem gräflichen Schädel tut. Auf einem gräflichen? Bah! Drei Worte von mir, und Eure gräfliche Herrlichkeit fällt in den Schmutz des Zuchthauses.« »Hund von einem –« schrie Robert außer sich mit erstickter Stimme und trieb sein Pferd gegen Twerenbold an.

»Robert, um's Himmels willen, was wollen Sie tun?«

Dieser Schrei aus dem Munde der Gräfin brachte ihn wieder zur Besinnung.

Sie war an seiner Seite, hatte den Goldfuchs durch den Morast gezwungen und den Zügel seines Pferdes gefaßt.

»Verzeihung, Thekla«, sagte er und ließ den Arm sinken. »Verzeihung, ich war unsinnig.«

Und hochaufatmend raffte er sich zusammen und fuhr fort:

»Erweisen Sie mir den Gefallen, voranzureiten, Thekla. Sie haben nichts zu besorgen, ich bin ganz ruhig jetzt, ganz vernünftig. Aber dieser Mensch soll mir Rede stehen. Bei meinem Wappen, das er beschimpfte, er soll! Bei der Seele meiner Mutter, ich weiche nicht von der Stelle, bis er mir Rede gestanden.«

»Sie wollen es, Herr Rittmeister? Wohlan, fragen Sie mich, ich werde antworten. Aber Sie haben recht, die Frau Gräfin mag voranreiten. Was ich zu sagen habe, paßt nicht für Damenohren.«

Thekla blickte mit brennender Angst von einem der Männer zum andern. Sie wollte sich weigern, den Platz zu verlassen, aber eine ungeduldige Bewegung Roberts verschloß ihr den Mund.

»Sie hörten es, Thekla. Was dieser Mensch mir zu sagen habe, passe nicht für die Ohren einer Dame. Sehen Sie, er macht Ihnen Platz – lassen Sie den Goldfuchs ausschreiten – ich hole Sie wohl noch ein.«

So ließ sie sich denn von ihrem Rosse forttragen und hatte bald den Hohlweg hinter sich. Zurückblickend bemerkte sie, daß Robert abgestiegen war und dem Abenteurer zuhörte, welcher, auf seinen Stock gestützt, eifrig zu ihm redete.

Beruhigt durch die friedlichere Wendung des Abenteuers, ritt sie über die kurze Strecke Heideland, welches den Schwadriforst von der Umzäunung des Parkes trennt. An dem Gittertor stand der Goldfuchs still, und die Gräfin stieg ab, um dasselbe zu öffnen. Da fiel ihr erst ein, daß Robert den Schlüssel bei sich trage. Es war aber nicht nur deshalb, daß sie wartete. Es drängte sie, zurückzureiten, denn Robert war ja allein mit dem Manne, der etwas so Verzweifeltes in seinem Auge hatte.

Schon hatte sie den Fuß im Bügel, da ließ die Scheu, da sich einzudrängen, wo sie so unzweideutig fortgewiesen worden war, sie denselben wieder zurückziehen.

»Was war das?« fragte sie sich. »Was wollte der schreckliche Mensch mit seiner geheimnisvollen Drohung?«

Ein Zittern überlief sie. Ein dunkles Ahnen sagte ihr, daß diese Stunde für Robert eine furchtbare sein müßte.

Und er kam noch immer nicht.

Sie wandte den Kopf nach dem Hohlwege hin, lauschte mit angehaltenem Atem.

Jetzt vernahm sie den Schall von Stimmen, zwei Gestalten tauchten im Dämmerlicht aus der Hohlgasse auf.

Sie erkannte Robert, der sein Pferd am Zügel führte, und den Abenteurer.

Auf der Heide trennten sie sich. Twerenbold schlug den Weg ein, welcher rechtsab nach dem Dorfe zu führte.

Der junge Mann kam auf sie zu, aber er schien sie nicht zu bemerken. Seine Füße wankten unter ihm, fast taumelnd kam er näher, jetzt stand er vor ihr, aber seine Augen starrten gläsern ins Weite.

»Oh, Gott, Gott,« rief sie aus und legte ihm ihre Hände auf die Schultern, »was ist Ihnen, Robert? Was ist geschehen?«

Er sah auf und schauerte zusammen, wie vom Fieber geschüttelt.

»Robert, was haben Sie gehört?«

»Einen Greuel!« erwiderte er tonlos und schlug seine Hände über das fahlbleiche Gesicht.


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