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Nacht, wie bist du lang und bange,
Wenn sich auf den müden Mann nicht
Mit dem Schatten auch der Schlummer
Und der Traum herniedersenkt.
Rastlos graben die Gedanken
In dem Schutte des vergangnen,
Alten Lebens Trümmer wühlen
Sie hervor, doch nirgends fröhlich
Haftet drauf der Blick, er schaut nur
Dunkle, trübgespenst'ge Bilder,
Ihnen fehlt des Tages Sonnlicht.
Unerquickt dann in die Ferne
Schweift der Geist dess', dem der Schlaf fehlt,
Schmiedet Pläne, faßt Entschlüsse,
Baut sich stolze, luft'ge Schlösser,
Doch wie Fledermäus' und Eulen
Schwirrt um sie der Schwarm der Zweifel
Und verscheucht ihm Mut und Hoffnung.
Mitternacht schlug's auf der Turmuhr,
Ruhlos saß auf seinem Lager
Werner in der Erkerstube.
Durch die Fenster glänzt in feinem,
Schmalem Streif der Mondesschimmer,
Fernher rauscht des Rheines Flut.
Traumgestalten wogten vor den
Wachen Blicken auf und nieder.
Einmal war's ihm, 's wäre Sonntag,
Glockenläuten, Pferdewiehern,
Schwarzwaldaufwärts zieht ein Brautzug!
Er voraus in stolzem Festschmuck,
Ihm zur Seite Margareta,
Myrtenkranz in blonden Locken.
Und im Dörflein oben lauter
Hochzeitsjubel, Pfad und Gassen
Sind mit Blumen überstreut.
Im Ornate steht sein alter
Pfarrherr an der Kirchenpforte,
Segnend winkt er einzutreten –
Doch das Bild kam nicht zum Schlusse,
Die Gedanken schwenkten; – 's war ihm
Drauf, als klopft es an die Türe,
Und herein trat krummen Gangs sein
Heidelberger Freund Perkêo.
Funkelnd durch der Stube Dunkel
Leuchtete die rote Nase,
Und er sprach mit heisrer Stimme:
»Bürschlein, Bürschlein, laß die Liebe!
Liebe ist ein schlimmes Feuer,
Frißt den, so es angeblasen,
Und du bist kein Kohlenbrenner!
Komm nach Haus zum grünen Neckar,
Komm zu mir zum großen Fasse,
's birgt noch Stoffs genug, du magst drin
Löschen deiner Liebe Glut!«
Wied'rum war es ihm, als wär' er
In die Türkenschlacht geritten:
Allah ruft's, die Säbel sausen,
Einen Pascha haut er von dem
Schimmel, und er bringt den Halbmond
Vor den Feldherrn Prinz Eugen;
Dieser klopft ihm auf die Schulter:
»Brav, mein kaiserlicher Hauptmann!«
Jetzt vom Schlachtfeld flog sein Sinnen
Rückwärts in der Kindheit Tage,
Und im Garten sang die Amme:
Eichhorn klettern übern Schlehdorn,
Eichhorn will zum Wipfel steigen,
Eichhorn fällt ins Gras herab.
Wär' es nicht so hoch gestiegen,
Wär' es nicht so tief gefallen,
Bräch's sein Füßlein nicht entzwei.« |
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Also schlaflos saß jung Werner.
Endlich sprang er von dem Lager
Und durchmaß mit großen Schritten
Seine Stub', doch dräuend schwer stand
Stets vor ihm die gleiche Frage:
»Werb' ich um das Kind des Freiherrn?«
's war ihm schier, als sei die Lieb' ein
Unrecht Gut, als sollt' er eiligst
Wie ein Dieb vor Tagesgrauen
Reißaus nehmen, – aber jetzo
Hob in alter Jugendschöne
Sich die Sonne aus der lichten
Dämmerung des frühen Morgens.
»Schäme dich, verzagtes Herze,
Ja, ich werbe!« rief jung Werner.
Bei dem Morgenimbiß saß der
Freiherr, einen Brief studierend,
Der ihm tags zuvor gebracht war.
Weit aus Schwaben kam der Bote,
Von der Donau, wo in engem
Tal der junge Strom einherfließt;
Schroffe Kalksteinwände ragen
In die Flut, mit ihnen spiegelt
Drin des Buchwalds lichtes Grün sich;
Dorther kam der Mann geritten.
Doch im Briefe stand geschrieben:
»Alter Kriegsfreund, denkt Ihr auch noch
An den Hans von Wildenstein?
's ist schon mancher Tropfen Wasser
Rhein- und Donauab geflossen,
Seit wir drauß in der Campagne
An dem Beiwachtfeuer lagen;
Und ich merk's an meinem Buben.
Hab' just jetzt so einen Bengel,
Vierundzwanzig Jahre zählt er,
Page war er an des Herzogs
Hof in Stuttgart, nachher schickt' ich
Ihn nach Tübingen zur Hochschul'.
Wenn ich nach den Schulden rechne,
Die ich für ihn zahlen mußte,
Hat er vieles dort gelernt.
Jetzo sitzt er bei mir auf dem
Wildenstein und birscht den Damhirsch,
Birscht den Fuchs und birscht den Hasen.
Doch mitunter jagt der Schlingel
Auch nach schmucken Bauerntöchtern,
Und 's wär' Zeit, ihn balde durch das
Joch der Ehe zahm zu machen.
Irr' ich nicht, so habt Ihr just ein
Töchterlein, das für ihn recht wär':
Unter alten Kameraden
Macht man nicht viel Umschweif, darum
Fall' ich mit der Tür ins Haus und
Frag': Wie schien's Euch, wenn ich meinen
Damian auf die Brautfahrt schickte,
Auf die Brautfahrt nach dem Rhein?
Gebt mir bald Bericht, es grüßt Euch
Hans von Wildenstein, der Alte.«
»Nachschrift: Denkt Ihr auch noch an die
Große Rauferei zu Augsburg
Mit den bair'schen Kavalieren?
An den Zorn des reichen Fugger,
Und die Ungnad' seiner Damen?
– 's sind jetzt zweiunddreißig Jahr!« –
Mühsam an des Kriegsfreunds krauser
Handschrift zifferte der Freiherr,
's mocht wohl eine halbe Stunde
Währen, eh' er an den Schluß kam.
Lächelnd sprach er dann: »Es sind doch
Teufelskerle, diese Schwaben.
Ungehobelt sind sie alle
Und von grobem Schrot und Korn.
Aber in den eck'gen Köpfen
Liegt viel Klugheit aufgespeichert,
Mancher geistesdürre Schlucker
Könnt' sich dran verproviantieren.
Kalkuliert mein wackrer Hans doch
Noch in seinen alten Tagen
Wie ein Diplomatikus:
Seinem pfandbeschwerten, morschen
Eulenneste an der Donau
Wär' mit einer reichen Mitgift
Gar nicht übel aufgeholfen.
Doch, es läßt der Plan sich hören,
Guten Klang im deutschen Reiche
Hat der Wildensteiner Name,
Seit sie mit dem Kaiser Rotbart
In das heil'ge Land gezogen.
Mag's der Junker denn probieren!«
Jetzt zum Freiherr trat jung Werner
Ernsten Gangs, im schwarzen Festkleid,
Schwermut auf dem blassen Antlitz.
Scherzend rief ihm der entgegen:
»Wollt Euch just zu mir bescheiden,
Euch ersuchen, daß Ihr Eure
Feder spitzt und als mein treuer
Sekretarius einen Brief schreibt,
Einen Brief gewicht'gen Inhalts.
's frägt im Schwabenland ein Ritter
Nach dem Fräulein, meiner Tochter,
Freit auch unverblümt um sie für
Seinen Sohn, den Junker Damian.
Schreibt ihm denn, wie Margareta
Groß und schön itzt in die Welt schaut,
Wie sie – doch Ihr wißt das alles, –
Denkt, Ihr seid ein Maler, malt ihm
Schwarz auf weiß ein leibhaft treues
Kontrafei, vergeßt kein Pünktlein.
Schreibt ihm ferner auch, ich hätte
Nichts dagegen einzuwenden,
Wenn der Junge seinen Klepper
Satteln wollt' und selber kommen.«
– »Satteln wollt' und selber kommen« –
Sprach jung Werner wie im Traume
Vor sich hin, und brummig sprach der
Freiherr: »Doch was ist, Ihr tragt ja
Ein Gesicht mit Euch herum als
Wie ein protestant'scher Pred'ger
Am Karfreitag; – ist das Fieber
Wie über Euch gekommen?«
Ernst erwidert ihm jung Werner:
»Herr, den Brief werd' ich nicht schreiben,
Sucht Euch eine andre Feder,
Denn ich selber komme heut und
Werb' bei Euch um Eure Tochter.«
»Werb' – bei Euch – um Eure Tochter?«
Sprach nun seinerseits der Freiherr
Vor sich hin – ein schiefer Zug flog
Um den Mund ihm, so wie einem
Mann, der die Maultrommel spielet,
Und den linken Fuß durchfuhr ein
Böser Stich des Zipperleins:
»Junger Freund, Euch brennt wahrhaft noch
Heiße Fieberglut im Kopfe,
Geht hinunter in den Garten,
Dorten steht ein schatt'ger Brunnen,
Dort fließt klares Quellenwasser,
So man dort das Haupt sich dreimal
Eintaucht, wird man abgekühlt.«
»Edler Herr« – erwidert' Werner,
»Spart den Spott, Ihr mögt vielleicht ihn
Besser brauchen, wenn der Junker
Aus dem Schwabenlande kommt:
Klar und sonder Fieber bin ich
Einen schweren Gang gegangen,
Und dem Vater Margaretas
Wiederhol' ich meine Werbung.«
Finster schauend sprach der Freiherr:
»Drängt's Euch denn, von mir zu hören,
Was Ihr selbst Euch sagen solltet?
Ungern nur begegn' ich Euch mit
Rauhem Ernst, ich hab' die Wunde,
Die Euch, kaum vernarbt, die Stirn ziert,
Nicht vergessen, und ich weiß, in
Wessen Dienst Ihr sie geholt.
Doch nach meinem Kinde soll nur
Der die Augen heben, dem ein
Adlig Blut dazu das Recht gibt.
Die Natur hat feste Linien
Weislich um uns all gezogen,
Jedem ist der Kreis gewiesen,
Drin gedeihlich er mag walten.
Seit das heil'ge röm'sche Reich steht,
Steht in ihm der Stände Ordnung:
Adel, Bürgersmann und Bauer.
In sich selber abgeschlossen,
Aus sich selber sich erneuend,
Bleiben sie gesund und kräftig,
Jeder ist alsdann ein Pfeiler,
Der das Ganze stützt, doch nimmer
Frommt ein Durcheinanderschütteln.
Wißt Ihr, was daraus hervorsprießt?
Enkel, die von allem etwas
Haben und im Ganzen nichts sind;
Flaches, inhaltsloses Mischvolk,
Schwankend, losgerissen von der
Überlief'rung festem Boden!
Ganz, scharfkantig muß der Mensch sein,
Seine Lebensrichtung muß ihm
Schon im Blute liegen als ein
Erbteil früherer Geschlechter.
Drum verlanget für die Heirat
Standesgleichheit unsre Sitte,
Und die Sitte ist Gesetz mir,
Über seine feste Mauer
Soll kein fremder Mann mir klettern,
Item, drum soll kein Trompeter
Um ein Edelfräulein frei'n!«
So der Freiherr; mühsam hatten
Zu der ernsten, ungewohnten
Theoretischen Entwicklung
Sich die Worte ihm gefügt.
Hinterm Ofen lag der Kater
Hiddigeigei, sorglich lauschend:
Nickt' auch mit dem Haupte Beifall
An dem Schluß, doch sinnend fuhr er
Mit der Pfote an die Stirn',
Sinnend dacht' er bei sich selber:
»Warum küssen sich die Menschen?
Alte Frage, neuer Skrupel!
Dacht' ich doch, ich hätt's gefunden:
Dacht', es sei der Kuß ein Mittel,
Schnell des andern Mund zu schließen,
Daß gewappnet nicht der bittern
Wahrheit Wort daraus hervorspringt';
Doch auch diese Lösung scheint mir
Jetzo eine ganz verfehlte,
Denn sonst hätt' mein junger Freund hier
Längst den alten Herrn geküßt!«
Zu dem Freiherrn sprach jung Werner,
Sprach's mit klanglos leiser Stimme:
»Herr, ich dank' Euch für die Lehre.
In der Berge Tannendunkel,
An des Stromes grünen Fluten
Und im Schein der Maiensonne
Hat mein Aug' der Menschensatzung
Starre Mauer übersehen;
Dank, daß Ihr mich dran erinnert.
Dank auch für die guten Tage,
Die ich hier am Rhein verlebt.
Meine Zeit ist um; nach Eurem
Letzten Wort heißt das Kommando:
›Rechtsumkehrt!‹ Ich folg' ihm gerne,
Als ein ebenbürt'ger Freier
Oder niemals kehr' ich wieder,
Lebet wohl und zürnt mir nicht!«
Sprach's, und aus dem Saale schritt er,
Und er wußte, was zu tun war.
Schier betrübten Blickes schaute
Nach der Tür noch lang der Freiherr.
»'s geht mir selber nah',« so brummt er,
»Warum heißt der brave Bursch nicht
Damian von Wildenstein? –«
– Abschied, Abschied, böse Stunde!
Wer hat dich zuerst ersonnen?
Sicher war's ein böser Mann am
Fernen Eismeer; frierend blies der
Nordpolwind ihm um die Nase,
Zottig eifersüchtig Ehweib
Plagte ihn, es schmeckte nimmer
Ihm des Walfischs süßer Tran.
Übers Haupt zog er ein gelbes
Seehundsfell, und mit dem Stock in
Pelzhandschuhgeschützter Rechte
Seiner Ylalayka winkend,
Sprach zuerst das rauhe Wort er:
»Lebe wohl, ich nehme Abschied!«
Abschied, Abschied, böse Stunde!
In der Erkerstube schnürte
Werner seine sieben Sachen,
Schnürt den leichten Reisebündel;
Grüßt zum letztenmal des Stübchens
Weiße Wände, 's war ihm schier als
Wären's alte gute Freunde.
Nur bei ihnen nahm er Abschied,
Margaretas Augen hätt' er
Nimmermehr begegnen mögen.
Drauf zum Schloßhof stieg er nieder,
Sattelte sein treues Rößlein, –
Hufschlag dann, – es ritt ein trüber
Reiter aus des Schlosses Frieden.
In der Niederung am Rheine
Steht ein Nußbaum, dort noch einmal
Hielt er an mit seinem Roß,
Nahm noch einmal die Trompete;
Aus gepreßter Seele klang sein
Abschiedsgruß zum Schloß hinüber.
Klang – kennt ihr das Lied des Schwanen,
Der, im Herz die Todesahnung,
Einmal noch zum See hinausschwimmt?
Durch die Rosen, durch die weißen
Wasserlilien tönt die Klage:
»Schöne Welt, ich muß dich lassen,
Schöne Welt, wie sterb' ich ungern!«
Also blies er; war's die Träne,
Die auf der Trompete glänzte,
Oder war's ein Regentropfen?
Vorwärts jetzt; die scharfen Sporen
Preßt er in des Rosses Weichen,
Und in sausendem Galoppe
Flog er um den Waldesrand. |