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In der Schloßkapelle brennt ein
Einsam flackernd Lampenlichtlein,
Leuchtet mild auf das Altarbild,
Draus die Königin des Himmels
Gnädiglich herniederschaut.
Vor dem Bilde stehen frische
Rosen und Geraniensträuße,
Betend kniet dort Margareta:
»Schmerzgeprüfte, Gnadenreiche,
Die du unser Haus beschirmtest,
Schirm auch ihn, den böse Wunde
Krank aufs Krankenlager fesselt,
Und verzeihe, so es etwan
Unrecht wäre, daß ich selber
Unablässig sein gedenke.«
Hoffnung und Vertrauen senkten
Sich ins Herz mit dem Gebet.
Heiter stieg der Treppen Stufen
Margareta aufwärts; – an des
Kranken Schwelle stand der graue
Hausarzt, und er winkt' ihr, daß sie
Leisen Schrittes vorwärts gehe.
Ungefähr auch wußt' er, welche
Frag' an ihn gerichtet würde,
Sprach deshalb gedämpfter Stimme:
»Seid getrost, mein gnädig Fräulein,
Frisches Blut und starke Jugend
Krankt nicht lang an solchen Schmarren.
Schon hält der Genesung Bote,
Milder Schlummer ihn umfangen,
Heut noch darf er wieder ausgehn.«
Sprach's und ging; es harrte manche
Schuß- und Hiebwund' seiner Pflege,
Und er mied unnützes Plaudern.
Leise in jung Werners Stube
Eintrat jetzo Margareta,
Scheu, neugierig schauend, ob der
Arzt ihr wahre Kunde gab.
Sanft entschlummert lag jung Werner,
Blaß und jugendschön, gleich einem
Marmorbildnis. Wie im Traume
Hielt er ob der Stirn' und ob der
Frischvernarbten Wund' die Rechte,
So wie einer, der das Aug' vor
Blendend lichter Sonne deckt;
Um die Lippen spielt ein Lächeln.
Lange schaut' ihn Margareta –
Lang und länger – also mocht' einst
In des Ida Wäldern auf den
Süßen Schläfer, den Endymion,
Niederschaun die Götterjungfrau.
Mitleid hielt ihr Aug' gebannet,
Ach! Und Mitleid ist ein fruchtbar
Erdreich für das Pflänzlein Liebe.
Sie entsproßt aus unsichtbarem
Saarkorn diesem reichen Boden
Und durchzieht ihn bald mit tausend
Feinen festen Wurzelfasern.
Dreimal hatte Margareta
Schon den Schritt zur Tür gelenket,
Dreimal kehrte sie zurück, und
Leise trat sie an sein Lager.
Auf dem Tischlein stand ein kühler
Heiltrank, standen Arzeneien.
Doch sie mischte nicht den kühlen
Heiltrank, nicht die Arzeneien:
Beugte scheu sich zu ihm nieder,
Scheu, – sie wagte kaum zu atmen,
Daß kein Hauch den Schlumm'rer störe,
Schaute lang auf das geschlossne
Aug', und unwillkürlich neigten
Sich die Lippen, – doch wer deutet
Mir das seltsam sonderbare
Spiel der ersten Liebesneigung?
Schier vermuten darf der Sang, sie
Wollt' ihn küssen: nein sie tat's nicht,
Schreckte jäh zusammen, – seufzte, –
Schnell sich wendend, einem scheuen
Reh gleich, floh sie aus der Stube.
Wie der Mann, der lang in finstrer
Kerkernacht auf feuchtem Stroh lag,
Schier verwundert auf dem ersten
Freien Gang jetzt in die Welt schaut:
Sonne, scheinst du nicht viel heißer?
Himmel, bist du nicht tiefblauer?
Und sein Aug' zuckt, ungewohnt des
Langentbehrten Tagesscheins,
Also schreitet der Genesne
Wieder ins gesunde Leben.
Frischer, wärmer, zukunftfreud'ger
Liegt's vor dem erstaunten Blicke
Als zuvor, und jubelnd grüßt er's. –
»Welt, wie bist du schön!« so klang es
Auch von Werners Munde, als er
Langsam von des Schlosses Treppe
Zu dem Garten niederstieg.
An den Stab gelehnet stand er
Lange still und sog der Sonne
Strahlen, sog der Blüten Düfte
Hochaufatmend ein, dann schritt er
Langsam vor nach der Terrasse.
Setzt' sich dort in warmen Sonnschein
Auf die Steinbank, – Bienen summten,
Schmetterlinge flogen in den
Blühenden Kastanienzweigen
Aus und ein, als wär's ein Wirtshaus.
Grün durchsichtig, leise rauschend
Trug der Rhein die Fluten weiter,
Wohlbemannet schwamm ein Tannfloß
Schlangengleich stromab gen Basel.
An dem Ufer bis zum Knie im
Wasser stand ein Fischersmann und
Summt's sein Liedel vor sich hin:
»Bauer kommt mit Spieß und Flinten,
Bauer will die Waldstadt stürmen,
Bauer will mit Östreich kriegen:
Bauer, das gibt insgemein
Teure Rechnung hinterdrein,
Greif in Sack und zahl den Spaß!
Sieben Gulden war zuviel dir,
Sind jetzt einundzwanzig worden;
Einquartierung, teure Gäste,
Und das Pflaster beim Chirurgus:
Bauer, das gibt insgemein
Teure Rechnung hinterdrein,
Greif in Sack und zahl den Spaß!«
Freudig sah jung Werner in die
Landschaft und zum Rhein hinunter,
Doch er hemmte die Betrachtung;
An der sonnumglänzten Mauer
Sah er einen Schatten huschen,
Schatten wie von Locken, wie von
Fraungewand, und Werner kannt' ihn.
Durch den Laubgang kam mit Lachen
Margareta, sie besah des
Katers grazioses Spielen:
Der hatt' in dem Gartenhäuslein
Eine weiße Maus gefangen,
Fraß sie nicht, nur mit den Pfoten
Hielt er sie und schaut' mit gnäd'gem
Herrscherblick auf die Gefangne.
Von dem Sitz erhob sich Werner,
Ehrerbietig grüßend, und es
Flog ein flüchtiges Erröten
Über Margaretas Wangen.
»Gott zum Gruß, Herr Werner,« sprach sie,
»Und wie geht's Euch? lang war Euer
Mund verstummt, mit Freuden hör' ich
Kunde von ihm selber jetzt.«
»Seit die Stirne mit des Feindes
Hellebard' Bekanntschaft machte,
Weiß ich kaum« – erwidert' Werner,
»Wo mein Denken und mein Leben
Hingeflogen, dunkle Wolken
Lagen überm Haupt, doch heute
Stieg im Traum ein lichter Engel
Zu mir nieder, und er neigte
Sich zu mir. Steh auf und freue
Dich des jungen Lebens, sprach er.
Und so war es; festen Schrittes
Konnt' ich heute schon hier gehn.«
Abermals auf Margaretas
Wangen flammt's wie Morgenröte,
Als jung Werner von dem Traum sprach,
Und sie schaute rückwärts, – scherzend
Fiel sie dann ihm in die Rede:
»Und Ihr mustert jetzo wohl das
Schlachtfeld. Ja, es war ein heißer
Tag, noch brummt's wie Flintenschuß und
Sturmgetös durch die Erinn'rung.
Wißt Ihr's noch: dort an dem Baume
Standet Ihr, – dort, wo der Flieder
Lustig aufblüht, lag ein Toter,
Hier, wo jetzt der Sommerfäden
Leichtes Spinnweb durch die Luft fliegt,
Blitzten Spieß und Feindeswaffen,
Dort, wo noch den frischen weißen
Kalk die Mauersteine tragen,
Brach die wilde Flut sich Durchgang.
Da, Herr Werner, – und am Schloß dort
Hat der Vater bös gescholten,
Daß man sich so übermütig
Keck in die Gefahr gestürzt.«
»Tod und – doch verzeiht, mein Fräulein,
Daß ich schier geflucht,« sprach Werner.
»Jene haben uns gehöhnet,
Und da bleib' ein andrer ruhig.
Wenn ich solch ein giftig Wort hör',
Flammt das Herz und zuckt die Faust mir,
Kampf, kein ander Mittel weiß ich,
Kampf! und mag die Welt darüber
Krachend auch in Trümmer gehn.
Hab' kein Fischblut in den Adern,
Heute, – jetzt – ein matter Kriegsmann –
Stünd' ich in dem gleichen Falle
Wieder am Kastanienbaum.«
»Böser Mann,« schalt Margareta,
»Daß ein zweiter Hellebardhieb
Euch die erste Narb' durchkreuzte,
Daß – und wißt Ihr auch, wem Euer
Wagnis schweres Herzleid brachte?
Wißt Ihr, wer um Euch geweint hat?
Rief't Ihr wied'rum: Zugbrück nieder!
Wenn ich flehentlich Euch bäte:
Werner bleibt – Herr Werner, denkt auch
An die arme Margareta? –
Wenn ich –« doch nicht weiter spann sich
Der bewegten Rede Faden,
Was der Mund schwieg, sprach das Auge;
Was das Aug' schwieg, sprach das Herze;
Fragend, träumend hob jung Werner
Seinen Blick empor zu ihr:
»Sterb' ich oder find' ich heute
Zwiefach hier mein junges Leben?«
Und sie flog in seine Arme,
Und sie hing an seinen Lippen,
Und es flammte drauf der erste
Schwere, süße Kuß der Liebe.
Purpurgolden durch der dunkeln
Bäume Wipfel fiel der Sonne
Streiflicht auf zwei sel'ge Menschen,
Auf jung Werners blasses Antlitz,
Auf die holderglühte Jungfrau.
Erster süßer Kuß der Liebe!
Dein gedenkend, überschleicht mich
Freud' und Wehmut: Freude, daß auch
Ich ihn einstmals küssen durfte,
Weh mir, daß er schon geküßt ist!
Dein gedenkend, wollt' ich heut der
Worte schönste Blumen pflücken,
Dir zum Kranz und Ehrenstrauß,
Doch statt Worten traten Bilder
Vor mich hin, anschauend flog die
Seele über Zeit und Raum.
Fern in alten Schöpfungsgarten
Sah ich; jung lag dort die Welt im
Zarten Hauch des Erst-Gewordnen,
Noch nach Tagen zählt' ihr Alter;
Abend war's, feinduft'ge Röte
Glänzt' am Himmel, in des Stromes
Fluten taucht' die Sonne nieder,
An dem Ufer, spielend, scherzend
Tummelten sich die Getiere,
Durch der Palmen Schattengänge
Kam das erste Menschenpaar,
Schauten stumm ins Weite, in der
Jungen Schöpfung Abendfrieden,
Schauten stumm dann sich ins Auge,
Und sie küßten sich –.
Wieder sah ich, und es stieg ein
Düster Bild vor meinem Blick auf:
Nacht am Himmel, Sturm und Wetter,
Berge bersten, aus den Tiefen
Schäumen die Gewässer aufwärts;
Überflutet ist die alte
Erde, und sie geht zu sterben.
Nach der Klippe zischt die Brandung,
Nach dem Greis und nach der Greisin,
Nach den beiden letzten Menschen.
Jetzt ein Blitz: ich sah sie lächelnd
Sich umarmen und sich küssen,
Stumm sich küssen; – Nacht dann, – brausend
Riß zur Tiefe sie die Sturmflut.
So ersah ich's, und ich weiß jetzt,
Kuß ist mehr als Sprache, ist das
Stumme hohe Lied der Liebe.
Und wo Wort nicht ausreicht, ziemt dem
Sänger schweigen, darum schweigend
Kehrt der Sang zurück zum Garten.
Dort an der Terrasse Stufen
Lag der würd'ge Hiddigeigei.
Mit gerechtem Staunen sah er,
Wie die Herrin dem Trompeter
In den Arm flog und ihn küßte.
Murrend sprach er zu sich selber:
»Manch ein schwer Problema hab' ich
Prüfend in dem Katerherzen
Schon erwogen und ergründet,
Aber eins bleibt ungelöst mir,
Ungelöst und unbegriffen:
Warum küssen sich die Menschen?
's ist nicht Haß, sie beißen sich nicht,
Hunger nicht, sie fressen sich nicht,
's kann auch kein zweckloser blinder
Unverstand sein, denn sie sind sonst
Klug und selbstbewußt im Handeln;
Warum also, frag' umsonst ich,
Warum küssen sich die Menschen;
Warum meistens nur die jüngern?
Warum diese meist im Frühling?
Über diese Punkte werd' ich
Morgen auf des Daches Giebel
Etwas näher meditieren.«
Rosen brach sich Margareta,
Scherzend nahm sie Werners Hut und
Schmückt' ihn mit den roten Blüten:
»Blasser Mann, bis daß auf Euern
Eignen Wangen sie erblühen,
Müßt Ihr sie am Hute tragen.
Aber sagt mir auch, wie kam es,
Daß Ihr mir so lieb, so lieb seid?
Habt mir nie ein einzig Wörtlein
Anvertraut, daß Ihr mich liebet,
Habt nur manchmal schüchtern Euer
Aug' zu mir emporgehoben,
Habt auch etwas musiziert;
Ist's in Eurer Heimat Brauch, daß
Man sich sonder Worte in der
Frauen Herz hineintrompetet?«
»Margareta, süßes Leben,«
Sprach jung Werner, »konnt' ich reden?
Wie ein Heil'genbild erschient Ihr
Mir im weißen Festgewande
Am Sankt Fridolinitag;
Euer Blick hat mich in Eures
Edlen Vaters Dienst geführt,
Eure Huld, sie war die Sonne,
Die mir durch mein Leben strahlte
Ach, – Ihr habt mir einst am See drauß'
Einen Kranz aufs Haupt gesetzt:
's war der Liebe Dornenkrone.
Schweigend hab' ich sie getragen.
Durft' ich reden? durft' des armen
Heimatlosen Spielmanns Sehnen
Keck vor Margareta treten?
Wie den Engel, der dem Menschen
Schirmend zu der Seite steht,
Wollt' ich Euch verehren, wollte
Dankend hier in Eurem Dienste
Sterben im Kastanienschatten.
Doch Ihr wolltet's nicht, Ihr habt auch
Hier das Leben mir bewahrt,
Schenkt mir's zwiefach, schenkt geschmückt mit
Eurer Liebe mir es wieder.
Nehmt mich denn! seit Euer Kuß mir
Auf den Lippen brannte, leb' ich
Nur durch Euch, bin Euer eigen,
Margareta, – ewig dein!«
»Dein, ja dein!« sprach Margareta.
»Wie baut doch das Wort den Menschen
Dumme Schranken! Euer eigen,
Wie das kalt und fei'rlich klinget.
Dein für immer! so spricht Liebe,
Du und du, und Herz zum Herzen,
Mund zum Mund, das ist die Sprache.
Drum Herr Werner, gib mir einen
Kuß noch!« – und sie neigt sich zu ihm.
Strahlt der Mond erst an dem Himmel,
Kommen bald der Stern' unzähl'ge,
Also nach dem ersten Kusse
Schwirret bald ein ganzes Heer.
Doch wie viel derselben spielend
Dort geraubt und rückerstattet
Wurden, muß der Sang verschweigen,
Dichtung und Statistik stehen
Leider auf gespanntem Fuß.
Auch kam durch den Garten schleunigst
Anton, grüßt' und meldet' ernsthaft:
»Die drei Damen aus dem Stifte,
Die am ersten Mai zum Fischfang
Mitgefahren, lassen sich dem
Gnäd'gen Fräulein schön empfehlen,
Und sie lassen sich erkund'gen,
Wie Herr Werner sich befinde,
Wünschen gute Besserung.« |