Paul Scheerbart
Immer mutig!
Paul Scheerbart

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Ein stiller Abend

Ich möchte so gerne fort, aber ich weiß nicht – wohin.

Ich möchte weit übers Meer und ferne Länder sehen – aber eigentlich liegt mir auch nichts daran.

Der Abend ist sehr still.

Ein stiller Abend!

Ist das mein stiller Abend?

Mir ist so, als wollte ich noch einem Menschen herzlich die Hand drücken – aber ich kenne die Menschen nicht mehr – und sie kennen mich auch nicht.

Die Luft ist milde und weich.

Und ich fühle, daß ich allein bin.

Ich habe mir das Alleinsein immer gewünscht – aber es ist mir doch nicht so recht.

Wenn der Abend nicht wäre!

Es stirbt was in mir – immer wieder stirbt was in mir – und das schmerzt so sehr.

Eine Hand! Eine Menschenhand! Nur noch ein Mal!

Ich fürchte nur, es ist zu spät.

Die Hand, die ich suche, ist wohl kalt – eine Totenhand.

Nach diesen Geschichten ergriff wieder der Pyramideninspektor Riboddi, der mich gerettet hatte, das Wort.

»Gehen wir,« sagte er, »gleich auf den Kern der ganzen Geschichten los. Ich reizte Dich anfänglich, mir etwas Schmerzliches zum Lesen zu geben. Und dem entsprechend ist das Meiste, was Du uns bisher gegeben hast, wirklich etwas Schmerzliches. Es liegt in allen Deinen Sachen, mein liebes Onkelchen, eine kleine Quantität Schwermut – Unzufriedenheit mit der Welt und mit dem Leben. Und diese Schwermut und diese Unzufriedenheit wollen wir Dir austreiben, denn sie erscheinen uns für einen Menschen, der was von der Welt und vom Leben begreifen möchte, als etwas Unschickliches. Nur Leute, denen es am nötigen Grips mangelt, können schwermütig und unzufrieden sein.«

Ich rauchte schweigend weiter und sagte nichts.

Und der King Thutmosis meinte nun:

»Liebes Onkelchen! Obgleich ich Dich nicht gerettet habe, mußt Du mir schon erlauben, Dich so zu nennen, wie's der Inspektor tut.«

Ich verbeugte mich höflich, aber da riefen alle durcheinander:

»Nu rede mal was!«

»Was fehlt Dir?«

»Wir wollen Dir helfen.«

»Los! Los! Mit Stillschweigen macht man sich hier nicht interessant. «

Mit diesen und ähnlichen Worten stürmten sie auf mich ein, und ich mußte mich ganz deutlich erklären; ausweichen konnte ich nicht, obschon ich's am liebsten getan hätte.

»Wie ich's auch drehen mag,« sagte ich zögernd, »ich komme immer wieder in eine Gemütsverfassung, in der ich der Welt und dem Leben beim besten Willen keinen Geschmack abgewinnen kann. Ich sage nicht mit meinem Weltprotz: ›Ich mag nicht.‹ Ich sage vielmehr ganz deutlich ohne jedes persönliche Ekelgefühl:

›Mir ist die ganze Geschichte unsympathisch.‹ Ich halte mich eben, da ich doch existiere, für berechtigt, der ganzen Existenzkomödie kritisch gegenüberzustehen. Das einfach-persönliche Unbehagen will ich für überwindlich – wohl auch für protzenhaft-blasiert – und jedenfalls für unberechtigt halten.«

»Halt!« rief nun der General Abdmalik, »so kommen wir nicht weiter. Gib uns mal zunächst eine größere Anzahl von Geschichten her, in denen das persönliche Stimmungselement mehr im Hintergrunde bleibt.«

Das setzte mich nun in große Verlegenheit, denn ich wußte nicht recht, welche Geschichten, hier am Platze sein könnten. Außerdem widerstrebte es mir, in dieser Form Rede und Antwort zu stehen.

Aber die Herren, denen ich das auseinandersetzte, wollten in jedem Falle sieben Manuskripte haben.

Und so suchte ich denn sieben Sachen, die mir so beinahe ›unpersönlich‹ zu sein schienen, zusammen – und gab sie heraus.

Dann rauchte ich meine nahrhafte Zigarre ruhig weiter, und die sieben Herren aus dem alten Ägypten schluckten ihre kleinen Sterne – und lasen dazwischen meine sieben Sachen, die nun hier folgen mögen.


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