Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Wieder war es ein Sonntagnachmittag. Klarblau wölbte sich der Himmel über die grüne Erde. Ein leichter Wind kühlte angenehm die Glut des Nachmittags und trug von den Wiesen um Sülzdorf den Duft des Herbstheues, von den frischgestürzten Brachäckern kräftigen Erdgeruch herüber.
Fritz schritt auf dem Sülzdorfer Kirchsteig durch die sonntagsstillen Fluren dahin. Als er von der Höhe des Königsbühels das Sülzdorfer Schulbauernhaus so freundlich aus dem Grün seiner Obstbäume hervorleuchten sah, da ging ein Leuchten über sein Angesicht.
Er blieb nicht lange unter dem alten, grausam heimgesuchten Birnbaum, eine sehnsüchtige Ungeduld trieb ihn weiter. Dennoch entging ihm nicht, wie die unverwüstliche Lebenskraft der Natur die ärgsten Spuren der so unvermutet hereingebrochenen Zerstörung bereits verwischt hatte. Der Baum freilich stand noch kahl, zersplitterte Aststumpen starrten traurig in die Luft, aber überall brachen neue Zweige hervor, zartes junges Laub schmückte wie ein Goldschimmer die mächtigen Glieder. Die Schleh- und Kreuzdornhecken standen bereits wieder in vollem Laub. Ein üppiger Rasenteppich schmückte den Hügel, die Äcker waren frisch gepflügt, und ein grüner Schimmer, der wie ein zarter Duft vom braunen Grund sich abhob, kündete das fröhliche Gedeihen der Notsaaten, die dem Futtermangel abhelfen sollten.
Fritz eilte nach Sülzdorf hinab. Der Schulbauernhof war, wie er befürchtet, leer; etwas enttäuscht trat er in die Stube. Die Bäuerin, die matt und angegriffen auf dem Sofa lag, mußte ihn schon lange erwartet haben, denn sie winkte ihn zu sich, hielt seine beiden Hände fest zwischen den ihren und sagte: »Ach bitte, Herr Lehrer, entschuldigen Sie, daß Sie meinen Jörg und die Anna nicht mehr zu Hause antreffen. – Ich weiß nicht, was mit dem Kind ist, nicht wiederzuerkennen ist sie, so hat sie sich verändert, seit sie bei uns ist. Müde und bleich schleicht sie herum, oft sind die Augen verweint, an nichts nimmt sie Anteil, nichts macht ihr mehr Freude. In den letzten Tagen wurde es immer schlimmer; gestern abend blieb sie bis lang nach zehn Uhr in der Stube, danach hörte ich sie lange in ihrer Kammer weinen, und heute kam sie ganz verstört und verblaßt herab. Und doch, wie ich auch bat, gesteht sie nicht, was sie drückt; das einzige, was man aus ihr herausbringt, ist: laßt mich und quält mich nicht! – Da ich das Leid nicht mehr ansehen konnte, ruhte ich nicht, bis mein Jörg einspannte, um mit ihr ein Stück in den Wald hineinzufahren, vielleicht heitert sie das auf. Abends werden sie dann zum Konzert kommen. Gelt, Herr Lehrer, Sie nehmen es nicht übel, daß Jörg nun Ihnen sein Wort nicht gehalten hat, und Sie nach Schottendorf zu Fuß gehen müssen? – Ach, Sie glauben nicht, wie uns das Kind so viele Sorgen macht!«
Fritz brachten diese Worte in nicht geringe Aufregung. Er kannte den Grund von Annas Kummer. Auf ein Zeichen seiner Liebe hatte das arme Kind gewartet, und da es ausblieb, verzehrte sie sich in Sehnsucht und Jammer. Alles Blut trieb ihm dieser Gedanke nach dem Herzen, mühsam behauptete er seine Fassung, hastig eilte er davon. Wirre Gedanken durchkreuzten sein Hirn; Angst und Sorge, Kummer und Selbstanklage, daneben auch wieder selige Hoffnungen durchfluteten sein Gemüt. An fröhlichen, geputzten Menschen rannte er ohne Gruß vorüber.
Je näher er Schottendorf kam, desto belebter wurde die Straße. Geputzte Landleute zogen von allen Seiten dem Marktflecken zu; es lockte das angekündigte Konzert zum Besten der durch den Hagel geschädigten Bergheimer, vielleicht mehr noch der darauffolgende Ball. Viele Bekannte grüßten Reinhardt, und da man wußte, daß er bei dem Konzert mitwirken werde, hatte er viele Fragen zu beantworten. Er antwortete heute kürzer als gewöhnlich, mit guter Art wußte er sich von den Begleitern loszumachen, heute mußte er allein sein. Heute sollte sich ja sein Geschick für alle Zeiten entscheiden!
Im großen Saal des Ratswirtshauses war er schon lange mit Schmerzen erwartet worden; von den Musikfreunden, die das Konzert veranstalteten, wurde er so in Anspruch genommen, daß er Unmut und Sehnsucht gänzlich vergaß. Erst in der Pause zwischen Probe und Konzert kam er zu sich selber, aber auch sogleich in neue Unruhe. Der Schulbauer und Anna waren nicht angekommen. Schon füllte sich der Saal – der Schulbauer kam nicht. Sollte Anna etwas zugestoßen sein? Wollte sie ihm nicht begegnen? Der Saal füllte sich mehr und mehr; fröhliche Gesichter glänzten unter den hellstrahlenden Lichtern; weiße Ballkleider leuchteten, daneben schimmerten die buntfarbigen Anzüge der Landmädchen. Ein erwartungsvolles Summen lief durch den Saal. Reinhardt merkte von dem allen nichts, er wußte und empfand nur: Anna fehlte. Mit jeder Minute wuchs seine Unruhe, sein Herz schlug fast hörbar; er fühlte, daß es ihm ganz unmöglich sein würde, seine Solopartien durchzuführen, wenn Anna wegblieb.
Der Dirigent rief den gemischten Chor zum Eröffnungschor zusammen, schon hob er Ruhe gebietend den Stab, da entstand an der Türe eine Bewegung. Während die ersten Akkorde durch den Saal brausten, drängten sich der Schulbauer und Anna durch die Menge und fanden endlich ziemlich in der Mitte des Saales ihre Sitze. Singen konnte Reinhardt nicht, überhaupt war die ganze Welt um ihn versunken, er sah nur die eine, die Schönste unter allen.– Alles in ihm drängte nach der Geliebten – und er mußte ausharren mitten unter den eifrig singenden, ängstlich taktierenden Männern, er konnte sie nicht begrüßen, ja, er wußte nicht einmal, ob ihre Blicke, die ernst und sinnend auf den Sängern ruhten, ihm galten.
Doppelt verdrießlich war ihm nach beendigtem Gesang das Zudrängen der jungen Damen, die es darauf angelegt zu haben schienen, seine Aufmerksamkeit zu fesseln. Fast ein wenig unhöflich verabschiedete er sich rasch und verschwand in dem dunkelsten Hintergrunde. Erst als er mit der geliebten Geige vor das Publikum trat, quoll es ihm warm im Gemüt auf; was er spielte, galt ja nur allein ihr. Freilich aufblicken durfte er nicht, wollte er nicht Gefahr laufen, daß sich vor seinen Augen Decke und Wände in Bewegung setzten und der Saal mit all den Lichtern, blitzenden Augen und fröhlichen Gesichtern in ein gestaltloses Chaos zusammenschmolz, in dem er rettungslos untergehen mußte! Reinhardt begann sein Solo, schon beim ersten Ton wurde es ihm hell und frei im Gemüt; auf leuchtenden Lichtwellen schwamm seine Seele! Er übertraf sich selbst, rauschender Applaus belohnte sein Spiel. – Jetzt hob er das Auge, er sehnte sich nach einem Blick des Einverständnisses, des stillen Dankes – vergebens! Anna, noch bleicher als zuvor, hatte das Köpfchen tief gesenkt, sie schien ihn gar nicht zu bemerken, ihr Geist weit in der Ferne zu schweifen. – Fritz verbeugte sich leicht, schloß seine Geige still in den Kasten und setzte sich, des Lobes seiner Freunde nicht achtend, in die dunkelste Ecke.
Und Anna?
Mit glühender Sehnsucht hatte sie nach jenem Abend, der ihr die Liebe Reinhardts zu enthüllen schien, auf Bestätigung ihrer Ahnung gehofft. Dazwischen kam allerdings ihre Übersiedlung nach Sülzdorf; und die Geschäftigkeit des Schulvetters, der täglich nach Bergheim eilte und meistens erst spät in der Nacht heimkehrte, sagte ihr, daß Reinhardt unmöglich jetzt kommen könne. Als dann aber Tag um Tag verging und Reinhardt noch immer fernblieb, ja nicht das kleinste Lebens- und Liebeszeichen ihr zukommen ließ, da erfaßte sie eine namenlose Angst; schlaflos verbrachte sie die Nächte, in heißen Kämpfen verzehrten sich ihre Kräfte; sie fühlte, wie eine zweite Entsagung ihr an das Leben greifen werde. Ihre Hoffnung blieb das Konzert in Schottendorf. Reinhardt hatte sie eingeladen, gewiß kam er zuvor noch einmal. Allein es verging der Freitag, es ward Nacht am Sonnabend – Reinhardt blieb aus. – Ach, wie dehnte sich der Tag so endlos, und dennoch wie zitterte sie vor der Entscheidung, als nun endlich der Abend herabsank und der Wagen über das holperige Pflaster Schottendorfs rumpelte.
Schon begann der erste Gesang, als sie mit dem Vetter den Saal betrat. Ihr Auge suchte Reinhardt – dort stand er unter den Sängern und Sängerinnen – ob er sie wohl bemerkte? Als sie ihn nun aber von jungen Damen umringt sah, da wurde es dunkel vor ihren Blicken, sie merkte nicht mehr, was um sie vorging; krampfhaft ballte sie die Hände, die Zähne biß sie zusammen, um sich aufrecht zu erhalten. Endlich war das Konzert zu Ende. »Fort – hinaus, ich ersticke!« flüsterte sie dem erschrockenen Schulbauer zu; auf seinen Arm gestützt, wankte sie in ein stilles Zimmer des Gasthofes, dort sank sie auf das Sofa und weinte.
Der Schulbauer war ratlos. Anna duldete nicht, daß er den Arzt rief, nur allein wollte sie sein und dann – nach Hause!
Fritz stand inzwischen teilnahmlos unter Freunden und Bekannten, die ihn beglückwünschend umdrängten. Er achtete nicht auf ihre Lobeserhebungen, seine Augen suchten Anna und den Schulbauer, die plötzlich verschwunden waren. Da legte sich eine Hand auf die Schulter, der Schulbauer stand neben ihm und sagte: »Grüß' Gott, Reinhardt! Komme nur, um Abschied zu nehmen – aber wie sehen Sie aus? Was ist Ihnen?«
»Wo ist Anna?« fragte Fritz tonlos.
»Nicht weit, und meine Pferde warten schon vor dem Wagen auf uns.« –
»Führen Sie mich zu ihr! Und nicht wahr, Sie lassen uns auf wenige Minuten allein?«
Wortlos schob der Schulbauer den Lehrer in Annas Zimmer, schloß sachte die Türe hinter ihm und kehrte in den Saal zurück. Ihm war so wunderlich zumute; er gedachte seiner verstorbenen Kinder, ihre Gestalten tauchten vor ihm auf und schienen ihm still selig zuzuwinken, als wollten sie sagen: wir sind nicht mehr tot, dein Alter soll nicht einsam und freudlos enden! Es wurde ihm weich um das Herz – sachte ging er nach Annas Zimmer zurück, leise fragte er durch die Türspalte: »Darf ich?«
Und nun wußte er selbst nicht, wie ihm geschah. Von weichen Armen fühlte er sich umschlungen, warme Lippen ruhten auf den seinen, heiße Tränen brannten auf Stirn und Wangen; dazwischen hörte er sich Vater nennen, um seinen Segen bitten. »Meine Kinder! – meine geliebten Kinder!« schluchzte er. »Anna – Herzensanna, ist's nun gut?«
»Alles – alles!« war die leise Antwort.
»So seid gesegnet! – Und nun zur Mutter!«
Nach wenigen Minuten schon rollte das Gefährt durch die stillen Gassen Schottendorfs. Weithin schimmerten die hellerleuchteten Fenster des Tanzsaals, und die fröhlichen Tanzweisen übertönten sogar dann und wann den Hufschlag und das Wagenrasseln. Doch achtete niemand von den Insassen darauf; der Schulbauer blickte oft hinauf zu den hellstrahlenden Sternen und wischte sich manchmal die Augen. Reinhardt und Anna aber hatten die ganze Welt vergessen.
Bei der Einfahrt ins Dorf ließ der Schulbauer die Pferde in raschesten Lauf fallen, gewaltig klatschte er mit der Peitsche. Die Wirtshausgäste fuhren an die Fenster; obgleich er nicht gesehen werden konnte, nickte ihnen der Schulbauer zu und flüsterte: ja, ja, guckt nur! Der Schulbauernhof ist nimmer verödet, dreierlei bring' ich ihm: Kinder und Erben, ein Brautpaar – ach, und vielleicht das Glück!
Aus dem Schulbauernhaus schimmerte ihnen Licht entgegen. Ein Knecht nahm dem Bauer die Pferde ab. – »Lisbeth,« sagte er mit bewegter Stimme, »ich bringe ein Brautpaar! – Freue dich, wir haben wieder einen Fritz und eine Anna!«
Der Leuchter in ihrer Hand begann zu klirren; aber in Annas Armen fand sie mit den Tränen auch die Fassung. Fest drückte sie auch Fritz an ihr Herz, dann schob sie die beiden etwas von sich und sagte leise: »Herr, mein Gott, ich danke dir, mein Herz ist voll Lobens und Preisens. – Herr Lehrer – Fritz, ist's denn wahr? haben Sie wirklich das Kind, meine Anna, gern? – Willst du wirklich unser Sohn sein?« – – – – – – –
Es war weit nach Mitternacht, als Fritz endlich nach einem langen Kuß Anna von sich drängte und rasch das Haus verließ. Am Hoftor erwartete ihn der Schulbauer, drückte ihm nochmals die Hand: »Also bleibt's dabei – morgen ist Freierei in Bergheim. Hast recht! halbe Zustände taugen nichts; der Herrnbauer soll wissen, wie es steht, sich in die Ordnung fügen und dich gleich von vornherein als seinen Schwiegersohn anerkennen. Es wird ihn schwer ankommen, ist ihm aber nicht zu ersparen. Sei nur ganz ruhig, so toll er sich stellen mag, ich bring' ihn zahm! Und nun, Fritz, mein Herzensfreund, mein Bruder – nun auch mein Sohn: vergiß nicht und halte alle Zeit daran fest: hier stehst du auf deinem Erbe und dereinstigem Eigentum – hier, ganz allein hier ist deine Heimat!«
Am nächsten Tage warf sich Fritz nach der Schule mit Herzklopfen in die besten Kleider; der schlimmste Augenblick rückte näher. Selbst das zuversichtliche Lächeln des Schulbauern, der ihn nach dem Herrnhof abholte, vermochte ihn nicht zu erheitern.
Die Bäuerin kam ihnen in Sonntagskleidern entgegen, drückte Fritz heftig weinend die Hand, schob die Männer in die Stube und schloß leise die Türe hinter ihnen. Der Bauer saß in Hemdärmeln, die Weste weit geöffnet, blasend und schnaubend am Tisch; die eine Hand lag krampfhaft geballt schwer auf seinem Knie, in der anderen zitterte die kurze Tabakspfeife so heftig, daß die silbernen Ketten klirrten. Den Gruß seines Schwagers beantwortete er durch ein unmerkliches Kopfnicken; den Lehrer schien er nicht zu bemerken. Reinhardt war sehr bleich geworden, unschlüssig, ob er gehen oder bleiben solle, folgte er zögernd dem Schulbauer, der unbefangen, als sei diese Aufnahme ganz in der Ordnung, dem Tisch zuschritt. Grade diese Bestimmtheit reizte den Herrnbauer, plötzlich schlug er mit der Faust auf den Tisch und schrie: »Ha, potz Schockschwerenot auch 'nein! Was soll's? Ist noch nicht genug Komödie gspielt? Soll ich im eignen Haus noch zum Narren gehalten werden? Oha! – uff!« stöhnte er und riß auch den letzten Westenknopf auf, während ihm der Schweiß in dicken Tropfen auf der Stirn stand. »Also darum mußt' das Mädle aus dem Haus? Darum mußt' sich meine Schwester krank stellen und sie an sich locken? Herrgott's ein Donner auch! Und du hast noch das Herz, mir unter die Augen zu treten? Meinst du wirklich, der Herrnbauer ist kindisch 'worden, daß er sich jede Affenschande, die man ihm antut, ruhig muß gefallen lassen? Oha – noch bin ich Manns genug, selber meine Kinder unterzubringen. Ich bin der Vater, ich! Und da sitz' ich, sag': aus ist's mit der Dummheit! Ich will keinen Schulmeister in meiner Familie, die Hungerleider sollen sich zu ihresgleichen halten, eine Herrenbauerstochter ist für solche Lumpen nicht gewachsen. Und den Reinhardt vor allem will ich nicht, den erst recht nicht! – He, Sie,« fuhr er Reinhardt an, »was wollen Sie in meinem Haus? was stehen Sie noch da? – Soll ich deutlich reden, he?«
Der Schulbauer faßte Reinhardt am Arm, zog ihn zum Tisch und drückte ihn auf die Bank nieder. »So!« sagte er, »hier ist dein Platz, und hier bleibst du! An das Poltern meines Schwagers mußt du dich nicht kehren, der Verstand wird ihm schon wiederkommen, hat er sich erst ausgetobt. – Hör', Schwager, es könnt' mir fast leid werden um dich, daß du so sinnlos plappern magst. Für Schulmeister sind Herrnbauerstöchter nicht gewachsen? was? War ich nicht auch Schulmeister? Und habt ihr's euch nicht zur besondern Ehr' gerechnet, daß ich um die Herrnbauerstochter freite? – Schäm' dich, Valtin! hast du ein Bedenken gegen den Herrn Lehrer Reinhardt, der durch mich in allen Ehren um deine Tochter Anna anhält, so rede vernünftig, und es wird sich alles finden!«
»Alles finden – oha!« schrie der Herrnbauer dagegen. »Mit mir sollt ihr nicht so leichtes Spiel haben als mit dem dummen Ding, meiner Anna! Herrgotts ein Donner auch! Schändlich, niederträchtig bin ich betrogen worden. Erst verdirbt mir der eigne Schwager mein Kind, macht mir's abtrünnig vom wahren Glauben, und nun will er's auch noch verkuppeln an einen hergelaufenen Kerl, den kein Mensch kennt, von dem man weder weiß, wem er angehört, noch was er eigentlich ist und hat! – Aber oha! – Ich bin der Vater, ich! Heute noch muß die Anne heim; und hab' ich sie erst wieder unter meiner Fuchtel, will ich ihr die Dummheiten bald ausgetrieben haben!«
»Halt da – was ist das?« rief der Schulbauer und horchte nach dem Hausflur, wo eben die Bäuerin weinend bat: »Ich bitt' Sie um Gottes willen, Herr Pfarrer, reden Sie zum Guten, machen Sie meine Kinder nicht unglücklich!« – Eine klagende Mädchenstimme mischte sich ein, ihre Worte machte jedoch der Herrnbauern unverständlich, der tief aufatmend sagte: »Meinst, Schulbauer, ich bin so dumm und geb' mich wehrlos in deine und meiner Weiber Hände, wie früher wohl? Oha – die Zeiten sind vorbei! Daß du's und dein Schulmeister nur weißt: bestellt hab' ich mir den Pfarrer zum Beistand gegen euch – und nun will ich sehen, wer recht behält!«
Damit stand er schwerfällig auf und ging nach der Tür. Der Schulbauer war nun auch bleich geworden; aber seine Augen blitzten, und während er heftig mit den Fingern auf den Tisch trommelte, sagte er: »Gut, daß ich die Weiber zurückhielt; die Geschichte wird ernsthafter, als ich dachte. Nun den Kopf hoch, Fritz, jetzt mußt du selber ins Feuer.«
Auf der Schwelle erschien eben Pfarrer Walter; vom Hausherrn ehrfürchtig begrüßt, wechselte er mit diesem einige leise Worte, dann nahm er im großen Lehnstuhl Platz, den der Herrnbauer diensteifrig an den Tisch schob.
Die Augen der Bäuerin waren vom Weinen gerötet, aber völlig trocken und klar; ihre Wangen glühten, der Mund war schmerzlich verzogen, zeigte aber einen Zug tatkräftiger Entschlossenheit, der ihre Ähnlichkeit mit dem Schulbauer scharf hervorhob. Fest drückte sie die in Tränen aufgelöste Margaret an sich, strich ihr sanft über Stirn und Augen und sagte weich: »Beruhige dich, Margaret! ich, deine Mutter, verlasse dich nicht; ehe ich zugebe, daß du an den Schäfersfrieder verhandelt wirst, eher lasse ich's aufs äußerste ankommen. Auch vor dem Pfarrer mußt du nicht erschrecken, er wird ja wissen, was seines Amtes ist!«
»Herrgotts ein Donner auch!« schrie der Herrnbauer. Walter fuhr halb vom Sessel auf, sich besinnend ließ er sich jedoch wieder zurückfallen, faltete die Hände und schlug salbungsvoll die Augen zur Decke auf. Ohne im geringsten darauf zu achten, öffnete die Bäuerin nochmals die Tür und rief in den Hausflur: »Hansmichel und Annedorle – wer von Knechten und Mägden im Haus ist, kommt 'rein in die Stube, ihr sollt mit anhören, was da verhandelt wird. Weil denn einmal der Pfarrer dabei sein muß, soll's auch gleich richtig öffentlich werden!«
Diesmal fuhr Pfarrer Walter in die Höhe: »Herr Schubert, ich muß energischen Protest erheben gegen solche Profanation der heiligsten Angelegenheiten!«
Der Herrnbauer bedurfte dieser Anreizung nicht, er brüllte die schüchtern eintretenden Dienstboten an und hieß sie zum Teufel gehen. Als sich darauf die Dienstboten unentschlossen anblickten, sagte der Schulbauer: »Nichts – ihr bleibt da! Was der Herr Pfarrer da von Entweihung der heiligsten Angelegenheiten sagt, ist dummes Zeug. Nein, ihr bleibt, verstanden? Jagt euch euer Herr deswegen aus dem Dienst, so kommt zu mir; ich werde euch versorgen!«
»Ist nicht nötig, bei mir wenigstens nicht!« fiel ihm Hansmichel, der Hausmann, der sehr gealtert aussah, ins Wort. »Ich bleib' ganz für mich selber und werd' die Folgen tragen – die Geschicht' da geht mich näher an, als Ihr denkt!«
»Gut, gut, Hansmichel!« nickte der Schulbauer, während der Herrnbauer wieder, blies und schnaubte. »Setzt Euch und gebt acht; man kann nicht wissen, ob wir nicht Euer Gedächtnis in Anspruch nehmen müssen!«
Der Blick, der bei diesen Worten zornig und drohend auf dem Geistlichen ruhte, jagte diesen abermals aus dem Sessel auf. Schon öffnete er den Mund, da legten sich plötzlich die Lider langsam über die funkelnden Augen, der Kopf senkte sich, und nur die blutlosen Lippen bewegten sich. Der Mann rang gewaltsam mit seiner Heftigkeit, aber nur äußerlich bezwang er sich; wie der Zorn in ihm fortkochte, kündete nur allzu deutlich das Anschwellen seiner Stirnadern. So stand er, die Hände fest vor die Brust gedrückt, mehrere Sekunden; wie er jedoch fühlen mochte, daß alle Blicke auf ihm ruhten, hob er langsam den Kopf, schlug die Augen zur Decke und begann: »Zu rechter Zeit haben Sie mich gerufen, Herr Schubert, und mit der Hilfe unsres hochgelobten Herrn und Heilandes soll es unsren vereinten Mühen wohl gelingen, die schwerbedrohte Ordnung Ihres Hauses aufrechtzuerhalten. – Wehe dem Haus, wenn darin verloren wird das eine, was not tut! Wehe – dreimal wehe aber dem Haus, in dem unter der Maske der Freundschaft oder gar auf die Rechte der Blutsverwandtschaft sich stützend der offenbare Irr- und Wirrgeist sich eindrängt und den frommen Kindesglauben zu untergraben sucht durch seinen Aufkläricht!«
»Halt da, Herr Pastor!« rief der Schulbauer. »Wir sind nicht gekommen, Sie schimpfen zu hören. Was mich insbesondere betrifft, so ist mir sehr gleichgültig, was Sie über mich denken. – Ich rede jetzt zu dir, Schwager, und zu dir, Schwester! Eure jüngste Tochter Anna und der Herr Lehrer Reinhardt haben sich gern und wünschen in den Ehestand zu treten, dazu erbitten sie euren Segen! Ich denke, wenn ihr gerecht sein wollt, werdet ihr gegen die Wahl eurer Tochter nichts einwenden können, zumal ich – –«
»Rede nicht weiter, Bruder!« fiel ihm die Bäuerin ins Wort und faßte Reinhardts Rechte. »Man soll nicht sagen, die Herrnbäuerin hat erst auf das Drängen ihres Bruders eingewilligt. Nein! ich geb' meiner Anna völlig recht; ich hab' den Herrn Lehrer lang in der Stille beobachtet, er ist brav und wird mein Kind in Ehren halten. Frei und offen bekenn' ich: keinen bessern Schwiegersohn wüßt' ich mir zu wünschen!«
»Herrgotts ein Donner! da soll doch auch gleich! Steht's so? steckst du auch unter einer Decke mit der Schulbauernsippschaft? Hast vielleicht gar kuppeln helfen? he?« schrie der Herrnbauer auffahrend und beugte sich, kirschbraun im Gesicht, mit erhobener Hand über den Tisch.
»Mäßigung, Mäßigung!« sagte Walter leise und legte seine Hand auf die Schulter des Bauern, der sofort an sich hielt, schnaubend und blasend auf seinen Stuhl zurücksank. Walter dagegen trat einen Schritt vor, richtete seine Augen durchbohrend auf die fassungslos weinende Bäuerin, schlug sie dann fromm zur Decke empor, legte die Fingerspitzen vor der Brust zusammen und begann: »Der Herr wird Ihnen, geliebter Freund, die Sünde nicht anrechnen; hat doch nur der Schmerz Ihnen die harten, unchristlichen Worte ausgepreßt! Und der Schmerz – ist nur allzu gerecht! Im Namen des Herrn, der mich unwürdigen Knecht zu seinem Diener berufen, sage ich Ihnen, Sie tun recht, sich mit aller Kraft gegen die Verlockungen einer glaubenslosen Welt zu stemmen. Es gilt die unsterbliche Seele Ihres verirrten Kindes, ach, daß ich es aussprechen muß – Ihrer beiden verlornen Kinder unsterbliche Seelen gilt es zu retten! Was wollen vor solcher Aufgabe alle irdischen Rücksichten besagen? Und wenn in diesem Kampf die trotzigen Herzen Ihrer Töchter gänzlich gebrochen werden, daß es für sie kein Aufstehen im alten Wesen mehr gibt – desto besser. Besser die Kinder dem Fleische nach verloren und ihre unsterblichen Seelen gerettet wissen!«
Margaret hatte längst zu weinen aufgehört; mit trocknen, unheimlich glänzenden Augen starrte sie auf den Geistlichen; die Bäuerin rang fassungslos die Hände: »Meine Kinder, meine Kinder!« jammerte sie, wie zerbrochen sank sie mit dem Oberkörper auf den Tisch, krampfhaftes Schluchzen erschütterte ihren Körper. Der Schulbauer knirschte mit den Zähnen, und seine Augen funkelten; eben wollte er aufspringen. Reinhardt hielt ihn zurück und sagte zornbebend: »Laß ihn – er wird jetzt an mich kommen!«
Ohne auf das zu achten, was um ihn vorging, fuhr der Pfarrer mit stärker anschwellender Stimme fort: »Ja, geliebter Freund, Sie tun recht, wenn Sie Ihre Tochter – sei es selbst mit Gewalt – von einer Verbindung mit diesem Menschen, diesem Reinhardt, abhalten, der längst der Hölle verfallen ist.«
»Endlich – endlich höre ich mich nennen!« rief Reinhardt am ganzen Körper zitternd. »Im Namen Gottes fordern Sie Herrn Schubert auf, mir die Hand seiner Tochter Anna zu verweigern, da ich, längst der Hölle verfallen bin. Wollen Sie, Herr Pfarrer, sogleich vor diesen Zeugen erklären, was Sie mit diesem unklaren Ausdruck eigentlich sagen wollen?«
Der Hausmann war aufgestanden, näher getreten, seine funkelnden Augen ruhten durchdringend auf dem Geistlichen. Walter war unwillkürlich einen Schritt zurückgetreten; langsam, jedes Wort abwägend, begann er endlich: »Was ich aussprach, ist meine innerste Überzeugung. Sie sind vom rechten Glauben abgefallen, sind versunken in Wahnwitz und Irrtum. Darum kann ich nicht anders, ich muß meine Beichtkinder, soviel in meinen Kräften steht, vor den Gefahren Ihres Umganges behüten.«
Ein bitteres Lächeln spielte um Reinhardts Lippen, als er entgegnete: »Abgefallen vom rechten Glauben! – Vor Zeugen frage ich Sie: haben Sie außer meiner Ihnen mißfälligen, freieren religiösen Richtung noch andere Gründe, die Sie bestimmen könnten, als ehrlicher Mann vor einer ehelichen Verbindung mit mir zu warnen? – Sie schweigen?« –
Dem Pfarrer brach der Schweiß hervor, wie abwehrend streckte er die Hände gegen den nun ebenfalls sich erhebenden Schulbauern aus. Nach einem wilden Blick auf den Hausherrn, der sich nicht rührte noch regte, rief er: »Ich protestiere gegen die Art, mit der Sie alle auf mich einstürzen! Vergessen Sie nicht, in meiner Person steht ein geweihter Priester vor Ihnen. Und Kraft meines Amtes –«
»Halt da! –« unterbrach ihn der Schulbauer. »Mit dem Pfarrer sind wir fertig! Jetzt verlangen wir nur noch von dem ehrlichen Mann die Beantwortung einer Frage, die so bestimmt gefaßt ist, daß sie nicht mißverstanden werden kann. Werden Sie reden?«
Atemlos lauschten die Anwesenden. Der Pfarrer hatte den Kopf gesenkt, die ineinandergefalteten Finger zuckten krampfhaft. Erst nach einer Pause sagte er langsam und leise: »Außer seiner religiösen Verirrung vermag ich bis heute nichts aufzuführen, das gegen ihn spräche, aber –«
»Aber?« fuhr jetzt der Schulbauer auf. »Nach solch einer Erklärung noch ein Aber? Herr, glauben Sie mit Männern Ihr Spiel treiben zu dürfen? Mit Ihnen sind wir fertig! – Und nun frage ich dich, Schwager, ernstlich, ob du einwilligst in die Verlobung der jungen Leute? Merke auf, Valtin, und denke daran, daß ich niemals mit leeren Drohungen um mich werfe. – Seitdem uns Gott die eigenen Kinder genommen, haben wir immer die Anne als unser Kind geachtet, und in der Stille stand fest, daß sie einmal den Schulbauernhof erben und uns im Alter pflegen sollte. Ich und meine Lisbeth hielten es darum auch für selbstverständlich, daß wir bei Annas Verheiratung einmal das erste Wort dreinzureden hätten. Ich kann dich natürlich nicht zwingen, in Annas Verlobung mit Reinhardt zu willigen; aber die beiden lieben sich, sie passen zusammen, beide sind rechtschaffen – es ist alles vorhanden, was nach menschlicher Voraussicht eine Ehe glücklich machen kann, darum sollen sie um leidigen Geldes und Gutes willen – denn Reinhardts Armut ist doch dein Hauptgrund gegen ihn – nicht getrennt werden. Bleibst du auf deinem Trotz – gut, dann nehmen ich und meine Lisbeth den Lehrer an Kindes Statt an und setzen ihn als unsern Erben ein. Wenn ich sodann für den künftigen Besitzer des Sülzdorfer Schulbauernhofes um meine Pate anhalte – ich meine, dann wirst du mir nicht zum zweitenmal einen Korb geben. – Brauchst nicht aufzufahren, dein Blasen und Schnauben ficht mich nicht im geringsten an. Setzest du mir und deiner ganzen Familie deinen Starrkopf entgegen, was soll ich große Rücksichten auf dich nehmen? – So, Valtin, entscheide dich nun, ich möchte der Sache ein Ende gemacht sehen, ehe meine Weiber ankommen. Rede jetzt – ja oder nein!«
Mit schwer aufgestützten Fäusten, kirschbraun im Gesicht, in ohnmächtiger Wut die Augen rollend, saß der Herrnbauer am Tisch. Als er nicht redete, trat ihm der Pfarrer näher und sagte feierlich: »Herr Schubert! Der versuchende Satan tritt an Sie heran, seien Sie stark, daß Sie seinen Lockungen widerstehen. Bedenken Sie – –«
»Herrgotts ein Donner auch – soll man ganz verrückt werden?« schrie plötzlich der Herrnbauer den verblüfften Geistlichen an. »Hol' Sie der Geier mit Ihrem Gefasel! Habe ich Sie deswegen holen lassen, daß Sie mir noch die Ohren vollwinseln? – Ha, Potz Schockschwerenot! bleiben Sie mir vom Hals, sag' ich! Was verstehen Sie, was für mich auf dem Spiel steht? Grad' satt hab' ich Ihr Gewinsel! 's ist auch dumm von dir, Schulbauer, daß du nicht gleich mit der Farbe 'rausgingst, der ganze Lärm war zu ersparen. Was will ich machen, die Händ' sind mir völlig gebunden, – so mag's in Kuckucks Namen sein – der Reinhardt soll Verspruch mit der Anna halten, ich sag' nicht nein. Aber macht mir auch keine Weitläuftigkeiten, bleibt mir vom Leib mit feierlichen Geschichten. Ich geb' meine Einwilligung, damit Punktum! – Hätt' ich's hintertreiben können, ich wollt's an nichts haben fehlen lassen!«
Reinhardt biß sich die Lippen, der Schulbauer trat kopfschüttelnd ans Fenster. Völlig verblüfft und ratlos starrte der Pfarrer vor sich nieder. Weinend ging die Herrnbäuerin zu Reinhardt, schlang ihre Arme um seinen Hals und schluchzte: »Von ganzem Herzen heiße ich dich willkommen als meinen lieben Sohn. Dir gönne ich meine Anna; du bist sie wert, sie verdient auch einen Mann, wie du bist. Bleibet brav, das Glück wird dann nicht ausbleiben, und kommt Unglück, ist's zu tragen. Ich kenn' die Herzensnot meiner Anna um dich, sie hat schwer gelitten deinetwegen, gedenke ihr das, wenn böse Stunden kommen; vergiß nicht, solche Liebe, wie ihre, wird man selten finden.«
»Wird's endlich ein Ende nehmen?« schnaubte der Herrnbauer. »Ich dächt', 's wär' Zeit, daß man wieder zur Ruhe käm', und hab' ich mir nicht derartige Herrlichkeiten ausdrücklich verbeten? – Heut' habt ihr mich überrumpelt, dafür sage ich: am Sonntag hält die Margaret Verspruch mit dem Ditterswinder Schäfersfrieder. – Nicht gemuckt dagegen, sonst tret' ich anders auf. So, nun sind wir, denk' ich, fertig – ich wüßt' nicht, was die Herren noch hier zurückhielte. – Marsch an die Arbeit, ihr da vorne! Ich werde sorgen, daß ihr die Versäumnisse doppelt und dreifach einbringt!«
»Ja, geht jetzt!« wendete sich nun auch die Bäuerin an die Dienstboten. »Nur Ihr, Hausmann, Ihr bleibt! – Nein, Valtin, wir sind noch nicht fertig. Der liebe Gott weiß, wie hart mir's ankommt, gegen meinen Valtin, mit dem ich seit dreißig Jahren in Frieden gelebt, nun im Alter noch aufzutreten. Aber ich kann nicht anders, ich weiß nirgends mehr Hilfe. – Fast auf den Knien hab' ich meinen Alten gebeten, er soll von seinem Willen lassen und die Margaret nicht an den Schäfersfrieder zwingen. – Ich habe sonst nichts gegen den Schäfersfrieder und gegen seine Eltern; aber wenn auch meine Margaret ihn besser leiden könnte, ich möchte ihn nicht zum Schwiegersohn. Wer so gleichmütig wie der von einem Mädle, dem er jahrelang zu Gefallen ging, lassen kann und hernach um jedes Mädle freit, das ihm seine Eltern vorschlagen, dem vertraue ich mein Kind nicht an. – All meine Bitten und meine Vorstellungen waren bei meinem Alten vergebens, täglich quält er mich und mein Kind; und wenn er nun auf seinem Willen bleibt, wie es das Ansehen hat – dann bleibt mir auch keine Wahl: ich geh' mit meinen Kindern zu meinem Bruder! Brauchst nicht aufzufahren, Valtin, ich hab's wohl überlegt, was ich tun will.«
Rasch verließ sie mit Margaret die Stube.
Dem Herrnbauer traten die Adern an Stirn und Hals wie Stränge hervor, gurgelnd und blasend schlug er mit der Faust auf den Tisch und wollte auffahren. »Bleib sitzen und red' kein Wort!« schrie jetzt der Schulbauer. »Das sind ja heillose Geschichten! O mein Gott, was muß geschehen sein, bis mein Mariebärble in solche Verzweiflung gejagt wurde! – Gehen Sie, Herr, ich meine, Sie müßten selbst fühlen, daß Ihre Rolle in diesem Haus ausgespielt ist. – Und nun, Valtin, höre du mich! Ich will den Verhältnissen vorläufig nicht weiter nachgehen; aber wenn ich nur die geringste neue Klage von meiner Schwester oder der Margaret höre, dann nehme ich beide unfehlbar zu mir, und, Valtin, habe ich erst die Frauen in Sicherheit, dann rede ich anders mit dir, verlaß dich darauf! – Valtin, Valtin, mußte es so weit kommen? Denke nur, die Schande, die du über dich und uns gebracht!«
Der Herrnbauer hatte den Kopf sinken lassen und antwortete nicht. Plötzlich wendete sich der Hausmann, der bisher stille durchs Fenster geblickt, nach ihm um und sagte mit steigender Heftigkeit: »Ja, Herr, Ehre habt Ihr Euch samt dem Pfarrer in meinen Augen nicht erworben. Pfui Teufel auch, sind das unsaubere Händel! Da wird um des Glaubens willen das ganze Dorf auseinandergerissen; um des Glaubens willen mußte ich meinen Hans, mein einziges Kind, den braven Jungen, verstoßen! Mein Fluch komme über mich – und über Euch! – Ja, über Euch, Herr! Denn Ihr und der Pfarrer war't es, die mich zu der Untat getrieben! – Daß Ihr's wißt, Herr, heut' noch such' ich Aussöhnung mit meinem Hans, und mit Euch will ich nichts mehr zu schaffen haben. Der Hohensteiner Pachter hat mir einen Dienst angeboten: noch in der Woche ziehe ich nach Hohenstein. – Ihr könnt mich verklagen, daß ich unter der Zeit aus dem Dienst geh' – ich laß es drauf ankommen; tut Ihr's, dann nehmt Euch auch vor mir in acht! Morgen halten wir Abrechnung!«
Ohne Gruß verließ er das Zimmer; der Herrnbauer saß mit tiefgesenktem Kopf regungslos, und der Schulbauer sagte schmerzlich: »So, mit dem geht ein großes Stück unserer Ehre!«
Näherkommendes Wagenrassel unterbrach die peinliche Stille, und Fritz eilte hinaus, der Schulbäuerin und seiner Braut vom Wagen zu helfen. Wie war ihm das Herz so schwer, als er das holde Mädchen erblickte, die nun sein war vor Gott und der Welt, als ihre Augen fragend auf ihm ruhten, als sie ihm sehnsüchtig die Arme entgegenbreitete. Fest drückte er sie an sich. »Seid stark und gefaßt!« flüsterte er dann den Frauen zu. »Dein Vater willigt in unsre Verbindung, Anna, aber sonst steht es schlimm!«
Während auf dem Hausflur die Mutter weinend ihre Tochter in die Arme schloß, weinend die Hände des Brautpaares ineinanderlegte, während Margaret so kurz als möglich der heftig erschrockenen Base die Vorgänge im Hause berichtete, saß der Herrnbauer unbeweglich, nicht einmal hatte er seine Stellung verändert. Noch immer traten die Hals- und Stirnadern wie Stränge hervor, seine geröteten Augen irrten unstet umher, durch die Finger der festgeschlossenen Fäuste lief ein Zucken, als wolle er einen Gegner zermalmen. Der Zorn glühte in seinen Adern, bittrer Haß fraß sich in sein Herz. Er haßte den Pfarrer, daß er ihm nicht geholfen, er haßte den Schulbauer und Reinhardt, und ging seine Bitterkeit gegen Weib und Kind auch noch nicht bis zum Haß, weit davon entfernt war sie nicht.
So saß der eigensüchtige, gewalttätige Mann noch immer blasend und schnaubend auf seinem Platze, als nun wirklich der gehaßte Schullehrer mit Anna Hand in Hand eintrat, gefolgt von den übrigen Frauen. Als fürchte er, es könne ihn ein trügerisches Schattenbild äffen, rieb und wischte er sich die Augen, und als er sich nun doch von der Wirklichkeit des Gesehenen überzeugen mußte, da schlossen sich seine Fäuste wieder, und das krampfige Zucken wetterleuchtete durch die Finger. Anna war vor ihm niedergekniet, aber ob sie gleich die harten Hände mit heißen Tränen überströmte, sie vermochte die Fäuste nicht zu öffnen, ihr Bitten und Flehen um seinen Segen verhallte ungehört. Aufspringend stieß er sein Kind zurück und schrie mit dumpfer, heiserer Stimme: »Zum Teufel mit dem Gewinsel! Wozu die Verstellung? Mich betrügst du doch nicht! – Meinen Segen willst du? – Haha, das macht mich lachen! Bleibt mir vom Leib mit euren Faxen und laßt mich in Ruh' fürderhin! – Der Verspruch ist geschehen, ich erkenne ihn an – damit basta! Alle Sperenzen verbitt' ich mir, und je eher mein Haus wieder leer wird, desto lieber soll mir's sein!«
Krachend schmetterte er die Türe hinter sich ins Schloß, bald hörte man ihn drunten im Hof unter den Dienstleuten herumwettern und fluchen. Weinend saßen die Frauen zusammen, besonders Anna war ganz fassungslos, sie verbarg das Gesicht im Schoß der Mutter, ihre heiße Hand zuckte in den Händen Margarets, die sie fest umschlungen hielt. Reinhardt blickte finster vor sich hin. Der Schulbauer, der hinter dem Tisch saß und das Gesicht lange in beide Hände verborgen hatte, stand plötzlich auf und sagte: »Hört, so ist das nichts! Eine schwere Prüfung ist über uns 'kommen, und größere werden uns noch bevorstehen! Hoffen wir aber, daß die Zeit Klarheit schaffen wird! Laßt das Weinen! Wer wird so arg kleinmütig tun? Wir haben alle getan, was wir mußten – und vergeht doch nicht, wir haben auch in allen Stücken unsern Willen erreicht. Eine festliche Verlobung wäre mir freilich lieber, aber was uns heute abgeht, holen wir an der Hochzeit nach! – Kümmert euch nicht zu sehr, du, Schwester, und du, Margaret; ihr seid nicht verlassen; braucht ihr Beistand, habt ihr den Fritz ganz in der Nähe und ich bin ja auch nicht weit! – Seid unverzagt, ihr habt vorerst doch wenigstens vor dem Pfarrer Ruh', so wird's im übrigen auch wieder besser werden. Kommt jetzt, Lisbeth, Anna und Fritz – wir wollen heim, in der Stube wird mir's eng und heiß!«
Der Herrnbauer war verschwunden, das verbitterte den ohnedies schweren Abschied noch mehr. Und auch die Heimfahrt blieb traurig. Anna und Fritz sahen nicht aus wie ein glückliches Brautpaar. Fritz duldete es nicht lange in Sülzdorf, beim Abschied sagte er: »Fasse dich, Lieb! – sei stark, vertraue deiner Liebe und mir – hoffe und glaube, es muß doch endlich alles gut werden!«
Anna schlang ihre Arme um seinen Hals, mit Küssen schloß sie seinen Mund. – – – –
Leise rauschte der Nachtwind in den Erlen der Wertha, in den Haselsträuchern des Weges; leise murmelnd zogen die Wellen des Flusses talab und sendeten weiße Nebel über den Grund, als er langsam in schweigender Nacht dahinschritt.