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Zweites Kapitel

Eben stieg die Sonne über den Kulm empor, als zwei Mädchen aus den Hecken des Sülzdorfer Kirchsteigs traten und langsam an den taufeuchten Heckenzäunen entlang bergauf wanderten. Mehr an der Gleichheit der Kleidung als an sonstiger Ähnlichkeit erkannte man das Schwesternpaar. Die leichten Jacken waren halb offen und ließen das buntseidne, kreuzweis über die Brust gesteckte und am Hals durch eine goldne Nadel zusammengehaltene Halstuch sichtbar werden. Die faltigen Röcke aus dunkelkariertem, feinem Wollenzeug reichten knapp bis zum Knöchel, darunter leuchteten die schneeweißen Strümpfe, und die kleinen Kommodschuhe waren blank gewichst.

Beide Schwestern waren schlanke, schöne Gestalten; Margaret, die ältere, etwas kleiner, dafür kräftiger, voller als die jüngere Anna. Ihr rundes, etwas gebräuntes Gesicht glühte in Gesundheit und Lebenslust, die frischen Lippen waren fast etwas trotzig aufgeworfen, dafür lachten ihre guten, ehrlichen Augen desto fröhlicher in die Welt. Anna war zarter, feiner gebaut, und dem entsprach auch das reizende Oval ihres Gesichtes, die reine Gesichtsfarbe, der fein geschnittene Mund. Frei stieg die Stirn empor; unter den sanft geschwungenen Brauen glänzten große, dunkle, tiefe Augen; fast waren die sinnenden Blicke dieser Augen ein wenig zu ernst, hätte sie nicht das fröhliche, herzliche Lächeln, das oft den kleinen Mund umspielte, gemildert. Das reiche, dunkelblonde, an der Stirn und den Schläfen leicht gewellte Haar war, in dicken Zöpfen verflochten, wie ein Kranz um den Kopf gesteckt. Fast schien diese Last für den schlanken Hals zu groß, denn Anna trug das Köpfchen unmerklich nach vorn übergebeugt.

Die beiden Mädchen waren die einzigen Kinder der Herrnbauernleute, der größten und wohlhabendsten Bauernfamilie in Bergheim. Da sie obendrein noch die Aussicht hatten, ihren sehr reichen Schulbauernvetter in Sülzdorf zu beerben, so gehörten sie wohl zu den reichsten Erbinnen der Gegend und wurden viel umworben. Margaret hatte aber ihr Herz schon dem Beckenkarl geschenkt; Anna aber lachte, wenn sich die Bursche um sie bemühten, und erklärte, sie habe noch gar lange Zeit zum Heiraten.

Trotz ihrer Freundlichkeit und Herzensgüte standen die Herrnbauersmädchen nicht in dem Ansehen, das man hätte erwarten sollen. Mochte nun sein, daß man ihnen ihren Reichtum und die vielen Liebhaber nicht gönnte, das Übelwollen hatte auch noch andere Gründe. Der Herrnhof war das größte Bauerngut im Dorf, ein sogenanntes Hofgut, oder, wie die amtliche Bezeichnung lautete: ein Fronhof. Solcher Fronhöfe gab es in dem Ländchen, welchem Bergheim angehörte, nur wenige; um so bevorzugter war die Stellung, welche die Besitzer unter der Bauernschaft einnahmen. Nicht von den adeligen Grundbesitzern, wie die übrigen Landleute, hatten sie ihre Höfe zu Lehen empfangen, sondern von der Landesherrschaft selbst. Da die Fronhofbauern nur unter der Gerichtsbarkeit der höchsten Landesbehörde standen, von den adeligen Gerichtsherren und Grundbesitzern keine Bedrückungen und Plackereien erduldeten, waren sie die Edelleute unter den Bauern. Kein Wunder darum, wenn sie sich mit Stolz als »Hofbauern« den gewöhnlichen Bauern entgegensetzten. Da kam die neue Zeit und verwandelte die Lehen in freies Eigentum. Der Name »Hofbauer« war bedeutungslos geworden, jeder Söldenbesitzer stand dem stolzen Hofbauern vollkommen gleich gegenüber. Nur schwer und widerwillig fügte sich der Bauernadel in die neue Ordnung, im Herzen erkannte er die neue Gleichheit nicht an. Jetzt, da ihm sein natürlicher Grund entzogen war, wucherte der Stolz um so üppiger in den Herzen empor. Solchen Stolz warfen auch die Bergheimer dem Herrnbauer vor, und vielleicht nicht ganz mit Unrecht. Seine Familie saß schon über dreihundert Jahre auf dem Hofe, und die Bergheimer mußten oft hören, daß sein Name der älteste im Dorfe und der Gegend sei. Das nahmen sie ihm natürlich gewaltig übel und begannen die Herrnbauersfamilie auf das gehässigste zu beurteilen. Ihr stilles, zurückgezogenes Leben, ihre strenge Frömmigkeit, ja selbst ihre Mildtätigkeit gegen die Armen wurde ihnen zum Vorwurf gemacht; man behauptete, das sei eitel Hoffart und Stolz. Am bittersten mußten Margaret und Anna den Unwillen der Bergheimer empfinden. Ihre Altersgenossen gingen nicht gern mit ihnen um; zeigten sie sich in Gesellschaft, konnten sie sicher auf Hohn und Spott rechnen. Margaret weinte, klagte und geriet zuletzt regelmäßig in heftigen Zorn, durch den sie das Übel nur vermehrte; Anna dagegen blieb ruhig und gleichgültig; sie lachte über die Spöttereien und mied die Gesellschaft, soviel sie konnte.

»Hast dich gestern wieder mit deiner Gesellschaft gezankt, weil du gar so trübselig dreinguckst?« fragte Anna die Schwester. »Bist ein wunderliches Mädle! Hast nichts wie Ärger von dem Umgang, und doch kannst du die Gesellschaft nicht lassen!«

»Bin eben zum Einsiedel verdorben!« war die Antwort. »Möcht' wissen, womit wir's verdient hätten, daß grad' auf uns alles loshacken muß!«

»Ja, wer das wüßte?« sagte Anna sinnend, und ein Schatten zog über ihr Gesicht. »Weißt, Margaret, ich tröste mich damit, daß wir die Garstigkeit der Dorfgesellschaft nicht verdient haben, und darum kann ich mich auch nimmer darüber ärgern. Zuletzt ist's ja lauter Neid und Mißgunst, weswegen sie uns plagen, drum denk' ich: 's ist besser Neider als Mitleider!«

»Was hilft mir das? Ich bin gern lustig, und zum Lustigsein gehört Gesellschaft – aber wie's jetzt steht, darf man sich kaum blicken lassen!«

»Was du doch klagst – hast du nicht den Beckenkarl? Aber jetzt ist's am End' mit dem Lamento, 's ist 'ne Sünde, den Gottesmorgen so zu verderben! Sieh nur, wie die Tautröpfle im Gras und auf den Stauden funkeln – ach, und wie die Beigele riechen, und wie die Vögel singen, 's ist nicht anders, als wollt' heut alles Pfingsten mitfeiern!«

»Ja, die Vögele, die haben freilich leicht lustig sein!« sagte Margaret und verfolgte mit ihren Blicken ein Finkenpärchen, das sich fröhlich von Zweig zu Zweig neckte. »Die haben keine Not und keine Sorgen! Und wenn sich zwei gern haben, gibt's keinen Verdruß, und niemand drängt sich dazwischen und säet Unfrieden! – –«

»Margaret, ja, was ist denn das? ich kenn' dich nicht wieder!« lachte Anna. Als sie aber die Schwester wirklich in Tränen sah, schlang sie die Arme um ihren Hals und rief: »Ach Gott, was bin ich garstig! Margaret, was ist dir passiert?«

Margaret legte den Kopf auf die Schulter der Schwester und ließ ihren Tränen freien Lauf. »Was wird's sein?« schluchzte sie. »Kannst dir's denken!«

»Und was hat's wieder gegeben?« sagte Anna und zog die Brauen zusammen.

»Ja, wenn ich's erst selber wüßt'! Denk' an: Der Karl hat mich auf gestern abend zum Lichtenannedorle bestellt, weil wir da sicher zusammen sein können. Ich geh' auch hin: aber wer nicht kommt, das ist der Beckenkarl. Endlich nach langer Zeit kommt er doch noch angerannt, aber so verstört; ich bin vor ihm erschrocken. Kaum, daß er mich grüßt, setzt er sich hin, guckt grad' 'naus, red't nicht und deut't nicht; was ich ihn auch frag', er tut, als hört' er's nicht. Zuletzt ist mir das doch außer Spaß, ich steck' mein Strickzeug zusammen und sag': ich merk', ich bin heut übrig: drum will ich nicht länger im Weg sein! Da ist er nun freilich aufgefahren, guckt mich an, als war' er aus einem Traum erwacht und bittelt und bettelt so lang', bis ich mich wieder zu ihm setz'! Ich wollt' nun natürlich wissen, was ihm den Kopf verdreht, aber keine verständige Antwort war aus ihm 'rauszubringen. Auf alle Weise sucht er den Kopf durch die Schlinge zu ziehen, und als er mir doch nimmer ausweichen kann, wird er verdrießlich und sagt, ich soll ihn in Ruhe lassen, er sei geschlagen genug: was ihn drücke, könne er mir nicht sagen, ich verstände nichts davon.«

In Annas Augen glühte es auf, und Margaret fuhr fort: »Ja, das hat mich gekränkt. Drum sag' ich: ich weiß wohl, an den Jockenhannes kann ich mich nicht rechnen, ich bin nur ein einfältiges Mädle! Tu dir meinetwegen auch keinen Zwang an, geh wieder hin zu deinem Jockenhannes, der liegt dir doch nur im Sinn! Ach du lieber Gott, hat dir da der Karl aufbegehrt, ich hab' gezittert an allen Gliedern vor Schrecken! Was ich gegen den Jockenhannes hätte? schrie er mich an. Die Schwätzerei und Hetzerei ging ihm nun grad' bis an den Hals. Wenn sich der Hannes auch nicht so fromm stellte, deswegen wäre er doch soviel wert als andere auch! So ging's lange fort, und wie ich mit keinem Wort dazwischen reden konnte, nahm ich mein Tuch über den Kopf und sprang auf und davon. Es war mir wohl, als komme Karl hinter mir drein und als hörte ich meinen Namen rufen, aber ich sah mich nicht um und verriegelte die Haustüre hinter mir. In der Nacht klopfte Karl drei-, viermal an mein Kammerfenster, ich hab' ihm nicht geantwortet!«

»So war's recht!« rief Anna, und ihre kleinen Hände ballten sich im Zorn. »Pfui auch, wie garstig! Dir und uns so was anzutun! Aber ich sag's ja, die Mannsleut' taugen allmit'nander nichts, die meinen, die Mädle wären nur dazu da, daß sie ihren Spott mit ihnen treiben. – Mir soll einmal einer kommen und schön tun wollen, ich will ihm weisen, wo Barthel den Most holt!«

»Du hast gut reden«, weinte Margaret. »Ach, Anna, wenn's Karl verdrossen hätte, daß ich ihm so den Stuhl vor die Tür setzte? Den ganzen Morgen hab' ich mich schon darüber zergrämt! Anna, was sollt' ich anfangen?«

»Ihr seid mir Leut'!« meinte Anna kopfschüttelnd. »Erst quält ihr euch bis aufs Blut und dann reut's euch gleich wieder. Geh, Margaret, von dem Karl möcht' ich nichts mehr wissen, und wenn ich ihn noch so lieb gehabt hätte; solltest froh sein, auf solch gute Art von ihm loszukommen.«

»Wie du auch schwätzest!« rief Margaret und trocknete ihre Tränen. »Was weißt denn du? Nein! vom Karl lass' ich nicht! Du weißt gar nicht, was er für ein braver Mensch ist, und erst sein weiches, gutes Gemüt – –«

»Nun, das ist lustig!« lachte Anna. »Erst klagt sie über den unartigen Buben, und nun ist sie selber die erste, die ihn in Schutz nimmt!«

»Ach, nun ja, ich hätte auch nicht gleich so obenaus sein müssen!« klagte Margaret und zerpflückte ein Veilchen. »Wenn ich ihm nur wenigstens ein gutes Wort gesagt hätte gestern nacht! Anna, ach, du lieber Gott im Himmel, meinst du wirklich, daß er mir im Ernst bös' sein könnte?«

»Närrle! Wenn er dich nur halb so lieb hat als du ihn, muß es ihm elend genug zumut' sein!«

»Ist's wirklich dein Ernst?« rief Margaret freudig.

»Geh, du bist nicht klug!« sagte Anna und bückte sich zum Bettelbrunnen nieder, um aus der hohlen Hand zu trinken. »Und da heißt's in allen Liedern, die Liebe wäre das größte Glück auf der Welt. – Weiß nicht, wie ich das verstehen soll. Seit du und der Beckenkarl zusammengeht, was war da? – nichts als Plag' und Not und Elend! – Nein, da lob' ich mir's ledig sein, das ist doch lustiger!«

»Lustiger vielleicht,« entgegnete Margarete sinnend, und ihre Wangen röteten sich, »aber so schön doch nicht!«

Anna spielte mit einem Veilchen: plötzlich schmiegte sie sich eng an die Schwester, blickte ihr halb verschämt, halb neugierig in das Auge und fragte, während ihre Wangen erglühten: »Und nun sag', warum ist's so schön, wenn sich zwei gern haben?«

»Ja, wenn sich das sagen ließ'! – Das ist eben so – ja, das ist gar nicht zu beschreiben! Das ist ein Glück und eine Herrlichkeit in der Welt und in einem, den lieben langen Tag möcht' man lachen und singen. Und dabei tut's im Herzen so weh, aber 's ist doch kein rechter Schmerz, das Wehleid ist eben auch wieder so schön! Ach, geh doch, was fragst auch so dumm? Wirst schon noch selber erfahren, was die Lieb' ist, du Flattergeist, du! – Aber jetzt sei still, denk', wenn uns eins zugehört hätt'! – Komm, wir wollen Maiblümchen suchen gehn, daß wir zu rechter Zeit heimkommen.«

Stille kletterten beide zwischen die Büsche und Felsen hinan. Anna mußte viel an die Worte der Schwester denken, die ihr so unverständlich waren und dennoch ihr Herz so eigen bewegten. Was war das doch für eine Herrlichkeit allüberall! So süß wie heute hatten die Maiblümchen noch nie geduftet, so hell die Sonne noch nie gestrahlt, so tief und rein der Himmel noch nie geblaut. Es war ihr, als müsse ihr plötzlich ein unendliches, unbegreifliches Glück zufallen; eine unsäglich süße, gestaltlose Erwartung machte sie zu gleicher Zeit glühen und erzittern.

Margaret hatte das Geplauder mit der Schwester beruhigt. Heitere Bilder umgaukelten sie, ein glückliches Lächeln umspielte ihre Lippen, während sie emsig Maiglöckchen und Herrgottsschühlein sammelte. Fast auf der Höhe des Berges meinte Anna: »Wir haben noch Zeit bis zum Heimgehen – komm, wir wollen auf der Kanzel ausruhen und uns einmal ordentlich umsehen!« Margaret war es zufrieden und seufzte: »Ach, du lieber Gott, wenn der Bekenkarl dort wär'!« Anna mußte lachen, brach aber kurz ab, denn als sie um die letzte Felsenecke bog, stand sie wirklich vor ihm.

Karl war aufgesprungen und zog die erschrockne Margaret neben sich auf den moosigen Felsen; Reinhardt, der ebensogut wie Anna empfand, daß die beiden allein sein wollten, gab Anna freundlich die Hand und wußte das schüchterne Mädchen bald zum Reden zu bringen.

Karl legte seinen Arm um Margaret, blickte ihr treuherzig in die Augen und fragte: »Bist noch bös', Margaret?«

Mit Entzücken hörte das Mädchen in diesen Worten die herzlichste Reue hindurchklingen: aber bei allem Glück darüber konnte sie doch nicht umhin, ihren Schatz zu quälen, halb wendete sie das Gesicht von ihm und sagte schmollend: »Geh, was willst von mir?«

»Ach, Margaret, sei nicht so garstig!« bat Karl und hielt ihre Hand mit Gewalt fest. »Was hast nur?«

»Und so fragst du auch noch?« unterbrach ihn Margaret.

»Nu ja, ich war gestern verdrießlich. Ist das solch großes Verbrechen, daß du so arg trotzen mußt? Komm, sei gut!«

»Verdrießlich? Weiter nichts? Nein. Karl, mit solchen Ausflüchten kommst du bei mir nicht durch! Hast du mich nicht eine gute halbe Stunde über die Zeit auf dich warten lassen? Hast du nachher nicht neben mir gesessen, als wär' ich ein Stück Holz oder gar nicht auf der Welt? Und wie du mich angeschrien hast,« – Margaret kamen die Tränen in die Augen und sie mußte den Schürzenzipfel zu Hilfe nehmen – »das war gar drüber 'naus. Und das Anschreien bin ich nicht gewohnt, dafür halt' ich mich doch noch zu gut. Und –«

»Ich hätte dich angeschrien?« unterbrach sie Karl. »Das übertreibst du! Ich war eben ärgerlich, und da mag ich lauter geredet haben, als sonst meine Art ist, von Anschreien weiß ich nichts.«

»So? Und warum darf ich nicht wissen, was dich verdrießlich macht? Paßt sich solche Heimlichtuerei?« Sie verbarg jetzt das ganze Gesicht in der Schürze und schluchzte, als wolle ihr das Herz brechen.

Karl wurde es unheimlich, ängstlich fragte er: »Herrgott, Mädle, was wird noch kommen? Ich – ich weiß gar nicht – sollt's denn möglich sein, daß ich –«

»Ja, leugne nur noch! Ach, du lieber Gott im Himmel! Karl, mit dir ist's weit 'kommen? Ich hätt' nicht gedacht, daß du solch ein Schlimmer wärst! Sei nur still! Läufst du nicht tagtäglich ins Jockenhaus? Führst du nicht Reden, daß einem die Haut schaudert? Hast du mir nicht gestern ins Gesicht gesagt: Der Jockenhannes wär' ein richtiger Mann, wenn er sich auch nicht so scheinheilig stellte als andere?«

Karl lockerte sein Halstuch und meinte kleinlaut: »Das soll ich gesagt haben? Kein Dingle weiß ich davon! – Nu, nu, fahr' nur nicht gleich auf, ich sag' ja nur, ich weiß nichts davon; du sagst's, und so wird's schon auch so gewesen sein. – Höre, Margaret, die Sache ist mir herzlich leid, ich versprech' dir, es soll nicht wieder vorkommen. Nun sei auch vernünftig und guck' mich an!«

Als aber Margaret ihr Gesicht nur fester in die Schürze vergrub, fuhr er fort: »Höre, Margaret, übertreibe nichts! Du hast nun lang' genug getrotzt, hast mich die lange Nacht vergeblich klopfen lassen und mir nun die Ohren grad' genug vollgeheult. Willst jetzt gut sein?«

Margaret empfand, daß sie nun einlenken müsse. Vorwurfsvoll sah sie ihn über die Schürze weg an und fragte: »Wie kann ich denn? Tust du nicht so recht mit Absicht alles, was mich kränken muß?«

»Margaret, jetzt gehst du wieder zu weit! Meinst du denn, mir war's gut zumut' in letzter Zeit? Laß das jetzt ruhn, denk' nicht mehr dran. Hab' ich dich gekränkt, so geschah's nicht mit Absicht und ist mir recht herzlich leid drum. Vergiß das, du sollst nicht mehr über mich zu klagen haben.«

»Ja, wenn's dein Ernst wär'? Karl, sieh mich an! Willst du nimmer solch lästerliche Reden führen? nimmer so arg dem Jockenhannes nachlaufen? Willst du auch wieder beten und in die Kirch' gehen, wie sich's für einen ordentlichen Burschen schickt?«

»Nu, nu – mach' mir nur den Kopf nicht wirbeln!« lächelte Karl und drückte Margaret an sich. »Ich will tun, was ich kann; verlang' nur nicht alles auf einmal, solche Dinge lassen sich nicht erzwingen. – Nichts da, keinen neuen Streit! Ich will tun, was ich kann, was willst mehr?« Damit zog er Margarets Gesicht zu sich nieder und verschloß ihren Mund mit einem Kuß.

Der Lehrer hatte Anna an den Rand des Felsens gezogen, machte sie aufmerksam auf die Herrlichkeit ringsum, und bemerkte mit Freude, daß nicht sein Herz allein höher schlug. Es war aber auch einzig schön, aus dem Schattendunkel des Waldes hinauszublicken in die lichtprangende, maifrische Welt! Tief unten wallte und rauschte der Wald, weiterhin dehnten sich am sanfteren Hang saftgrüne, buntgeblümte Wiesenflächen und wallende Saatfelder. Im Tal, durch welches sich das Silberband der Wertha schlängelte, lagen zerstreut im Grünen gar zierlich und sauber die Höfe und Häuser Sülzdorfs, in der Mitte das stattliche, weißgetünchte Schloß im blitzenden Weiher. Zwischen waldigen Höhen zogen sich tiefe Gründe nach dem Gebirge hin, aus deren Gebüsch Häuser und Mühlen hervorlauschten. Höher hinan, von den Rücken der Vorberge herab, leuchteten die Fenster und Schieferdächer stattlicher Ortschaften; dort wo die Talgründe sich in wilde Schluchten verloren, hütete wohl auch eine alte Ruine den Eingang in das Gebirge. Von blauem Duft umhüllt ragte das Gebirge in ernster Majestät empor, ein Bild der Ruhe, festgegründeten Daseins; weithin zog sich die Kette sanftgeschwungener Bergformen. Und kehrte das Auge in die Nähe zurück, so ruhte es mit Wohlgefallen auf dem schlanken Kirchturm Bergheims, der mit den roten Dächern aus dem Blütenschnee der Obstbäume tief unten nach Süden hin auftauchte. Weit in der Ferne begrenzten Höhenzüge von seltsamen, kühnen Formen die Aussicht; Klöster, Kapellen und Wallfahrtskirchen krönten die Spitzen und leuchteten, von der Morgensonne bestrahlt, hell herauf.

Anna hatte die Hände gefaltet und blickte tief atmend um sich; eine Weile war es still zwischen den beiden. Erst als sie tief seufzte, nahm Fritz das Wort:

»Komm, wir wollen uns auch setzen, es spricht sich besser zusammen; sieh, hier ist gerade Platz für zwei.«

»Ja, warum nicht gar, wo denken Sie hin?« lachte Anna und setzte sich weit von ihm auf einen Felsvorsprung.

»Nun? was soll das heißen? Bin ich dir nicht gut genug oder fürchtest du dich vor mir?«

»Ach, geht doch! Das würde sich schön schicken, so bei Ihnen zu sitzen!« entgegnete Anna verlegen und begann von den Blumen in ihrem Schoß auszuwählen; Maiglöckchen, Veilchen und ein Herrgottsschühlein vereinte sie zu einem Sträußchen, das sie ins Mieder steckte.

Mit Wohlgefallen ruhten des Lehrers Blicke auf dem jungen Mädchen; jetzt bemerkte er erst, wie schön sie war. Endlich begann er: »Deine Maiglöckchen erinnern mich daran, daß auch ich ausging, mir einen Blumenstrauß zu holen. Du könntest mir wohl die Hälfte deiner Blumen ablassen. Bitte, Anna!«

»Die große oder kleine Hälfte?« fragte Anna, ohne aufzublicken.

»Welche Frage!« lachte Fritz. »Und wenn ich nun unbescheiden die größere verlangte?«

»Da!« rief das Mädchen mit neckischem Augenaufschlag und hielt ihm eine Handvoll Blätter entgegen, von denen sie die zierlichen Blütenrispen gesondert hatte.

Fritz zog die schon ausgestreckte Hand hastig zurück, eine leichte Röte überflog seine Wangen, seinen Bart streichend, meinte er lachend: »Du bist mit der Strafe rasch zur Hand: mir geschieht recht; wer alles will, bekommt nichts! – Aber ich will bescheiden sein, Anna, gib mir das kleine Sträußchen und behalte das übrige.«

Anna schüttelte den Kopf. »Sie sind ein wandelbarer Mensch! Warum nun grade das? Das ist ja mein Kirchensträußchen!«

»Eben drum – gib mir's nur, ich habe nun einmal meine Freude daran!«

»Ja, ja doch, Sie sollen's haben!« lächelte Anna, nahm das Sträußchen vom Mieder, ordnete die Blumen besser und fügte noch einige zierliche Grasrispen und zart gegliederte Blätter, die neben ihr in der Felsspalte grünten, hinzu.

Fritz war eigentümlich bewegt; die Schönheit des Mädchens, die sanfte Stimme, die sich so weich in die Seele legte, brachte ihn in Erregung, deren Lebhaftigkeit ihn fast beunruhigte. – Das verlegene Schweigen unterbrach eine lustige Tanzweise, die vom Kulm, auf dem es schon geraume Zeit recht lebendig geworden war, frisch und fröhlich herüberklang. Ein fröhliches Lächeln löste die Spannung in Annas Augen, unwillkürlich markierte sie mit der Fußspitze das Tempo des Tanzes und sagte: »Horcht nur, wie sie drüben lachen! Wenn das unser Herr Pfarrer hört, was wird das wieder geben!«

Fritz wollte entgegnen, aber Karl unterbrach ihn. »Anna, ich habe eine rechte Bitte. Guck', die Margaret will heut abend nur auf den Tanz, wenn du mitgehst. Gelt, Anna, du tust uns den Gefallen?«

Anna runzelte die Stirn und warf die Lippen auf. »Was tu' ich auf der Musik? Mit mir tanzt niemand, und wenn ich den ganzen Abend bloß zusehen soll, wie sich andere vergnügt machen, dafür danke ich!«

»Ich will ja mit dir tanzen, Anna!« bat Karl. »Versprich, daß du mitkommst!«

»Du bist mir der Rechte!« lachte Anna verdrießlich. »Wenn du einen Reihen mit mir tanzest, denkst du wunder, was du getan hast!«

»So tu ihm und deiner Schwester den Gefallen, Anna!« mischte sich auch Fritz ein. »Ich werde auch mit dir tanzen!«

»Sie?« rief Anna und machte große Augen. »Nein, Herr Lehrer, das ist nicht schön von Ihnen, daß Sie Spott mit mir treiben!«

»Spott – ich? Was fällt dir ein?«

»Ach, sei'n Sie still!« sagte das Mädchen gekränkt. »Haben Sie jemals einen Tanzboden betreten oder mit einem Bauernmädchen getanzt?«

»Was schadet das?« entgegnete Fritz leicht errötend. »Dann hole ich eben das Versäumte nach!«

»Ja, wer's glaubt!«

»Warum dieses Mißtrauen?«

»Weil – ach, ich kann's ja sagen! – weil Sie stolz sind und uns Bauernmädchen verachten!« rief Anna aufspringend und die leeren Blattscheiden in die Tiefe verstreuend. Fast wie im Trotz gegen sich selber fuhr sie fort: »Ja, ist's nicht so? Wir Bauernmädchen sind Ihnen zu gering; Sie mögen bloß mit Vornehmen umgehen!«

»Anna!« rief Margaret verweisend. »Schämst du dich nicht, dem Herrn Lehrer so unartig zu kommen?«

»Und ist's nicht die Wahrheit?« entgegnete Anna trotzig.

»So laß es gut sein!« sagte Fritz. »Ich will mich bessern; übe Gnade gegen mich; versprich, daß du heut abend mit mir tanzen willst!«

Eben klang volles, melodisches Geläute von Bergheim herauf. Anna, die sich abgewendet hatte, rief hastig: »Margaret, wahrhaftig es läutet schon das erste – und sieh', von Sülzdorf, Buchbach und Windsberg kommen auch schon Kirchenleute! Komm, wir müssen eilen, daß wir heimkommen!«

»Nun, nun, bis zum Beginn des Gottesdienstes habt ihr noch lange Zeit; warum auf einmal so hastig?« sagte Fritz und trat neben das Mädchen an den Felsenhang.

Anna schlug hastig ein Tuch über den Kopf und huschte zwischen die Büsche.

»Anna – Anna! – was ist das einmal wieder? So warte doch, ich komme ja auch gleich!« rief ihr Margaret nach und machte sich von Karl los. »Ja, und was ich sagen wollte: geht uns nicht gleich nach, die Leute sind so arg schlimm, das gäbe wieder ein Gerede!«

Margaret konnte Anna lange nicht einholen. Wäre nicht ihr eignes Herz so voll gewesen, die Veränderung der Schwester wäre ihr gewiß aufgefallen. Das Köpfchen gesenkt, die sonst so fröhlich in die Welt lachenden Augen auf den Boden geheftet, die frischen Lippen fest geschlossen, schritt Anna nachdenklich dahin. Sie war sich selbst zum Rätsel geworden; warum klopfte doch das Herz so heftig, warum stieg es ihr so heiß in die Wangen, gedachte sie des abendlichen Tanzes? – Plötzlich zuckte sie zusammen. Hier auf dieser Stelle hatte sie vor wenig Minuten Margaret gefragt: was ist das mit der Liebe? Sie gedachte an Margarets Antwort; war das, was sie so mächtig bewegte, am Ende auch Liebe? – In jungfräulicher Scheu verhüllte sie ihr Gesicht tief in ihr Tuch; ihr war, als müsse sie sich vor sich selbst verbergen; ohne ein Wort zu sagen, eilte sie plötzlich leichtfüßig wie ein Reh den Berg hinab.

Margaret rief ihr vergeblich nach und schüttelte den Kopf über das wunderliche Wesen der Schwester.


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