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Im Wirtshaus hatte sich eine zahlreiche Gesellschaft zusammengefunden, außer dem Jockenhannes und seinem Anhang auch die übrigen Bauern, natürlich von jenen getrennt. Einsam in einer Ecke saß der Sülzdorfer Schulbauer, winkte heimlich den eben eintretenden Lehrer zu sich, der sich auch rasch – um dem lästigen Zutrinken zu entgehen – zu ihm setzte.
Der Jockenhannes winkte heimlich nach seinen Kumpanen, der Herrnbauer stieß schon wieder zornig sein Glas auf den Tisch, und der Schulbauer flüsterte Reinhardt zu: »Kommen grade recht! Können was hören! Geben Sie acht, es ist was im Werk!«
Hannes tat einen tiefen Zug, legte sich behaglich in seinen Stuhl zurück, strich sich über den Mund und setzte seine unterbrochene Rede fort: »Beweise wollt ihr? habt ihr denn nicht Augen und Ohren? Gibt's denn nicht die Erfahrung an unsern eignen Pfaffen, was das geistliche Wesen zu bedeuten hat? Daß es bloß da ist, das Volk in der Dummheit zu erhalten, damit's die großen Herren leichter regieren können? Drum bleib' ich dabei: Fort mit dem ganzen Geniste, wir brauchen keine Pfaffen mehr!«
Tiefe Stille folgte diesem kühnen Wort. Sekundenlang tauchte der Uhrmacherle im trüben Nebel des Tabaksdampfes über den Köpfen seiner Nachbarn auf, verschwand aber wieder lautlos. Ehe der angetrunkene Holsteiner ins Fluchen kam, sagte der Herrnbauer: »Die Pfarrer mögen irren, will's zugeben meinetwegen. Deswegen steht der Grund fest, die Bibel bleibt immer die Bibel!«
»So – also Pfarrer irren?« sagte Paule, und seine Augen funkelten wie die einer Katze, die zum Sprung auf ihr Opfer ansetzt. »Willst nicht sagen, welche Pfarrer irren, oder meinetwegen, wie viele?«
»Ist das auch 'ne Frage? – Kann ich das wissen?« schrie der Herrnbauer erhitzt.
»Ich halt' mich an die Bibel, an Gottes Wort, da bin ich wohl geborgen, und die Geistlichen, die das gleiche tun wie unser Herr, das sind die rechten?«
»Ist nur wunderlich,« entgegnete Paule gleichmütig, »was die Pfaffen auch für eine Lehr' vorbringen, sie begründen sie allemal aus der Bibel, ein jeder behauptet auch, grade nur, wie er lehre, so und nicht anders sei die Bibel zu verstehen. Geht mir mit dem ganzen Schwamm! Ist eitel Menschenwerk, die Bibel, man spürt's, wo man sie auch anguckt. Sollen wir Bauern ewig die Narren bleiben und uns von den Geistlichen, von den Stadtherren an der Nase herumzerren und auslachen lassen? Ihr Bergheimer, wacht endlich auf! Seht euch um, wie man überall mit dem alten Gerümpel aufräumt. Überall entstehen freie Gemeinden, in denen es aus ist mit Pfaffentrug und Gewalt. – Holla, laßt mich nur ausreden! Sind keine Hottentotten, die Freigemeindler, sind tüchtige, ehrenbrave Leute, die vorwärts wollen. Pfaffen haben sie freilich nimmer, aber gelehrte Männer ziehen umher und halten Vorträge, aus denen man was Rechtes lernen kann. Sollt nicht sagen, ich binde euch was auf, habe ein Büchlein mitgebracht, stehen Reden drin, die in freien Gemeinden gehalten worden sind, hier ist's, kann's jeder lesen. Ehe ihr nun lärmt und tobt, seht, was an der Sach' ist. Ich bleib' dabei: freie Gemeinden, das ist das Wahre! Und es wär' ein Glück, wenn wir auch eine hätten!«
Weiter kam er nicht, heftiger Lärm unterbrach ihn. Die eignen Anhänger waren bestürzt, fürchteten solche Kühnheit und dachten an zeitigen Rückzug. So saßen die Freigesinnten wie auf Kohlen, waren in bitterer Verlegenheit über ihr ferneres Verhalten. Solche Rücksichten hinderten die Frommen nicht. Durch seine versteckte Aufforderung zum Abfall von der Kirche, mehr noch durch seine Angriffe auf die Bibel hatte Paule ihre wundeste Stelle berührt. Schaudernd waren sie erst verstummt vor solch unerhörtem Frevel, dann aber brach der Zorn und die Erbitterung desto gewaltsamer los. Die Freisinnigen saßen still, wußten oder wagten nichts zu entgegnen, mancher der sonst so Kecken wurde bleich. Als zuletzt der Uhrmacherle gar einen Tisch inmitten der Stube bestieg und seine schauerlichen Flüche und Verwünschungen in das Toben und Schreien hinabheulte, verfärbte sich selbst der Jockenhannes. Mit Recht begann er um die Standhaftigkeit seiner Anhänger zu sorgen, deren wachsendes Verzagen sich nur allzu deutlich auf den bleichen, verstörten Gesichtern abspiegelte.
Auch der Lehrer und der Schulbauer verfolgten mit wachsender Besorgnis den immer gefährlicher anschwellenden Tumult, dessen Ende sich nicht absehen ließ. Fritz beobachtete sorgenvoll den Beckenkarl; finster die Arme auf der Brust gekreuzt, saß er regungslos in einer Ecke, nur die jagende Röte und Blässe seiner Wangen, die glühenden Augen bekundeten den inneren Kampf.
Wie teilnahmlos hatte der Wagnerspaule den Kopf wieder gesenkt, das gewöhnliche, verächtliche Lächeln zog seine blutleeren Lippen auseinander, allein wie Kohlen glühten seine Augen durch die borstigen Brauen. Auf alle heimlichen Winke des nun wirklich verlegenen Jockenhannes antwortete er mit unmerklichem Kopfschütteln; erst als da und dort Anhänger nun ernstlich fahnenflüchtig zu werden drohten, sprang er auf und rief ein lautes »Halt!« über die Erregten hin. Augenblicklich folgte tiefes Schweigen diesem gebietenden Ruf, und jetzt das Gesicht frei erhebend, begann er: »Habt uns oft den Lärm, das Schimpfen vorgeworfen, braucht euch nun nicht mehr eurer Ruhe zu rühmen, habt gezeigt, daß ihr im Toben unsre Meister seid! Halt, sag' ich! – Wollt' euch euren Zorn zugut halten, wenn ich für mich allein die Bibel antastete, aber ich nehme das nicht allein aus mir, grundgescheite, tiefgelehrte Männer stehen hinter mir. Da hat schon vor langen Jahren ein gewisser Strauß ein Buch geschrieben, worin er haarscharf nachweist, daß die wunderlichen Geschichten in der Bibel über den Jesus von Nazareth für eitel Märlein und Fabeln zu halten sind. – Schreit nur, das Buch schreit ihr nicht aus der Welt, und fragt euren Pfarrer, ob ich euch damit belogen! – Das Buch kann ich nicht beibringen, ist zu teuer, soll auch für unsereins zu hoch gegeben sein. Aber da hab' ich ein paar andre Schriften mitgebracht. Da hab' ich eins, enthält einen wahrhaftigen Bericht der Jesusgeschichte, wie er seinerzeit von Augen- und Ohrenzeugen ist aufgesetzt worden. Haben ihn damals die Geistlichen unterdrückt, ist erst neuerlich in einem Kloster in Syrien aufgefunden und übersetzt worden. Wem das Büchle die Augen nicht auftut, dem ist überhaupt nicht zu helfen. Auch das Büchle von Renan: ›Das Leben Jesu!‹, über das soviel Lärm in den Zeitungen gemacht wurde, hab' ich mitgebracht. Hier habt ihr die Schriften; statt zu lärmen und zu toben, steckt die Nasen hinein, findet's drin schwarz auf weiß, was wir so oft schon euch vergeblich vorgepredigt. Meine nicht, daß den Büchlein wegen einer von euch seinen Glauben ändern solle. Jeder ist allein Herr seines Glaubens. Ihr sollt nur daraus ersehen, daß wir wissen, was wir reden und was wir wollen. So – das ist's, was ich sagen wollte, hinfort kann sich jeder selber helfen!«
Betreten schwiegen die Frommen, erst nach und nach fanden sie ihre Fassung wieder, schimpften und wetterten über die Schandschriften und Lumpenbücher, die, von verdorbenen Advokaten und abgesetzten Pfarrern ausgeheckt, nur den Leuten die Köpfe verwirren sollten und von der Obrigkeit gar nicht geduldet werden dürften. Diesmal trafen sie jedoch auf heftigen Widerstand. Das Selbstbewußtsein der Jockenpartei war durch die Schriften, auf welche sie sich stützen konnten, bedeutend gewachsen, das Vertrauen auf ihren Führer größer denn je. Wenn solche Bücher geschrieben, gedruckt und verkauft werden durften, wer konnte sie nun um ihrer Meinung willen anfechten oder bestrafen? Zwar dachte außer den Führern keiner an ernstliche Schritte, vor einem entscheidenden Entweder-Oder wären gewiß sämtliche Maulhelden wie geprügelte Hunde zu Kreuze gekrochen. Nur das Gefühl der Sicherheit und Straflosigkeit ihren Gegnern gegenüber machte sie übermütig, erweckte ihre Streitlust und reizte sie zum gefährlichen Spiel. Und das war es ja auch, was Hannes und Paule wollten.
Der Streit wendete sich bald den besonderen Verhältnissen des Dorfes zu. Scharfer Tadel traf den Pfarrer über sein Vorgehen in der Schule, Fritz erntete viel Lob, daß er die Ränke und Umtriebe des Pfarrers vernichtet hatte. Zu fernerem Ausharren wurde er ermahnt, ihm eifriger Beistand verheißen. Wie sich die Köpfe erwärmten, wurde der Eifer, die Kühnheit um so größer. Der Beckenjörg schlug endlich mit der Faust auf den Tisch und schrie von Bier und Aufregung glühend: »Die Schule ist die Hauptsach', darüber müssen wir die Hände halten, dort können wir dem Pfarrer ans Leben greifen! Werden erst einmal die Kinder nicht mehr zum Aberglauben erzogen, dann hört die Pfaffenherrschaft von selber auf. Drum müssen wir den Pfarrer aus der Schule werfen um jeden Preis. Öffentlich sag' ich's: Ich will nimmer leiden, daß meine Kinder mit den Bibelsprüchen, Gesangbuchsliedern und biblischen Geschichten geplagt, ich will's nicht leiden, daß sie mit Absicht verdummt und verdorben werden. Lehrt sie rechnen, lesen und schreiben, macht ihre Köpfe hell und klar, da gibt's genug zu tun. – Dank sind wir dem Herrn Schulmeister schuldig, daß er sich so tapfer seiner Haut gegen den Pfarrer gewehrt, aber noch ist lang' nicht genug geschehen. Ich sag' Ihnen, Herr Schullehrer, noch ganz anders müssen Sie dem Walter den Meister zeigen. Können's getrost wagen, wir alle stehen hinter Ihnen und leiden nicht, daß Ihnen ein Haar gekrümmt wird. Wie gesagt, mit den Bibelsprüchen und Liederversen muß es ein Ende haben, ich leid's nimmer, daß meine Buben damit geplagt werden!«
»Potz Mordsapperment!« fiel der Schulz ein. »Ist die blanke Wahrheit, stimm' in allen Stücken bei. Und ich sag' Ihnen als Schulz, Herr Lehrer, das dumme Zeug darf nimmer gelehrt werden! Ja, das sag' ich als Schulz!«
Heftiger Lärm folgte diesen Worten, legte sich aber sogleich wieder, als Fritz, der unterdessen seine Zeche bezahlt, aufstand, nach seinem Hut griff und gleichmütig sagte: »Ich bitte Sie, die Schule und mich mit Ihrem Parteihader zu verschonen. Ich versichere Sie, daß ich weder von der einen, noch von der andern Seite Eingriffe in meinen Berufskreis dulden werde!« Mit erhobenem Haupte verließ er die Stube. Noch auf dem Hausflur vernahm er das Hohngelächter, das ihm die Jockenpartei nachsendete. Plötzlich wurde es wieder still; der Schäfersbauer sagte mit tiefer Bruststimme: »Mög't über euren Schulmeister schimpfen, so sehr ihr wollt, ich acht' den Mann, der weiß, was er will; weiß es vielleicht besser, als ihr all' miteinander. Weit ist's mit Bergheim gekommen; muß sagen, so schlimm hätt' ich mir's doch nicht gedacht. Nu nu, fahrt nur fort, macht nur zu, werden euch die Augen aufgehen! Ich aber will mit Leuten, die ernstlich damit umgehen, die Religion abzuschaffen, keine Gemeinschaft haben. Hab' zu meinem Herrgott gebetet an die sechzig Jahr', soll nunmehr auch dabei bleiben; hab' auch immerdar in meinem Haus auf Frömmigkeit und Ehrbarkeit gehalten; will's nicht erleben, daß es anders werde. Drum sag' ich dir, Schulz: Der Verspruch zwischen meinem Frieder und deiner Marie ist aus, null und nichtig ist er! Nimmermehr soll mir die Tochter eines Gottesleugners als Schnur ins Haus kommen. Kannst das Handgeld morgen zurückschicken!«