Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebentes Kapitel

Obgleich es noch hell im Freien war – die Sonne war kaum untergegangen, und das Abendrot stand glühend am Himmel – waren auf dem Tanzplatz schon die Lichter angezündet, und durch die offnen Fenster schallte die Musik und der Lärm einer fröhlichen Menge weit über das stille Dorf. Die Gassen und besonders der Platz vor dem Wirtshaus waren ungewöhnlich belebt; geputzte Mädchen standen lachend zusammen und neckten die vorübergehenden Burschen; auch diese sammelten sich da und dort in stattlichen Gruppen und ließen die silbernen Ketten der Tabakspfeifen klirren, wenn sie mit dem Absatz den Takt zur Musik traten. Lachende fröhliche Gesichter überall!

Auch Fritz und Robert waren unter den Näherkommenden. Auf Reinhardts Gesicht lag ein Schatten; er ging widerwillig, kam sich vor wie auf unrechten Wegen. Desto heller leuchtete Roberts Gesicht; man sah ihm an, wie er sich nur mit Mühe dem langsamen Gang seines Begleiters anbequemte.

Die bunten Gewänder, die wehenden Bänder, die rauschenden Seidenschürzen, die fröhlichen Gesichter und verheißungsvoll lachenden Augen hübscher Mädchen erheiterten Fritz nicht. Mit Bedauern sah er, wie sich da und dort seine Schüler scheu vor ihm versteckten. Sollte er dem Befehl des Pfarrers folgen, seine Schulkinder heimweisen? Nein! das ist Sache der Eltern, der Lehrer ist keine Polizei!

Er fuhr zurück vor dem Dunst, Staub und Tabaksrauch, der ihm schon auf der Treppe entgegenquoll und ihm fast den Atem benahm; widerwillig folgte er dem vorwärts strebenden Robert.

»O du Herrjele! Ihr Leut', ihr Leut'! Guckt an, unser Herr Schulmeister geht wahrlich selber auf den Tanzboden! Ist's auch möglich? Jedich doch, das ist ja aus der Weis'! Ob er wohl gar tanzt? und mit wem?« – »Ei, so frag'! mit wem? mit der Jockenline! mit wem sonst? War sie nicht heut' den ganzen Nachmittag in der Schul', aufgedonnert wie ein Pfau und hat gegeigt wie ein Herrgottle? Paßt auf, heut' wird's fertig!« – »Herrjele, wer hätt's gedacht, die Jockenline Frau Schulmeisterin! Nu, passen tut sie dazu, und 's Maulwerk hat sie auch! Wo wird sie aber nu erst mit ihrem Hochmut hin wollen?« – »Herrjele, ihr Leut', ihr Leut'! Paßt nur recht auf, wie er's anfängt droben und wie er sie karresiert.« So raunte und tuschelte es um ihn, und ein ganzer Haufen alter Weiber drängte nach oben. Fritz kam sich vor wie verraten und verkauft, er lechzte nach Luft und Licht; aber zurück konnte er nicht mehr, die Weiber hatten ihn eingekeilt, er mußte mit.

Im Saal konnte er sich wohl wieder regen und die Glieder zurecht recken, aber der Qualm, Staub und Rauch war noch größer als draußen. Sehen konnte er nichts als einige drehende Körper, die ihm abwechselnd kurze und lange weiße Hemdärmel zukehrten; der ganze Saal schwamm in trüben Dunstwolken, und an seiner Brille sammelten sich dicke Tropfen. Robert war verschwunden, dafür zischelte und raunte es um ihn; Fritz wußte nicht, wohin sich wenden. Ingrimmig putzte er die Augengläser; da legte sich eine Hand auf seine Schulter, und der Beckenkarl sagte: »Das lasse ich mir doch gefallen, daß du Wort hältst. Wärest du nicht gekommen, ich wär dir nicht wieder gut geworden. Komm jetzt!« Willenlos ließ sich Fritz durch die Menge ziehen; die lärmende Musik, das Lachen und Gestampfe betäubten ihn, alles schien sich um ihn zu drehen. Eine lachende Mädchenstimme brachte ihn zu sich selber, er erkannte die Herrnbauersmargaret. »Da bring' ich ihn!« rief Karl triumphierend. »Sagt' ich's nicht, er hält Wort?«

»O du gut's Herrgottle von Vierzehnheiligen!« lachte Margaret. »Und wie sieht er aus? Herr Lehrer, ist Ihnen die Gall' übergelaufen oder hat's Ihre Wicken verhagelt? Solch ein Gesicht hab' ich all mein Lebtag noch nicht auf dem Tanzboden erblickt?«

Fritz wurde verlegen, er wußte nichts zu sagen – und nun erblickte er auch Anna, die sich scheu halb hinter der Schwester verbarg, ihm auch die Hand nicht reichte. Er mußte sich abwenden, der Blick dieser Augen machte ihm Herzklopfen. Musik, Lärm, Qualm und Verdruß waren vergessen; er wußte selbst nicht, wie ihm geschah. Unwillkürlich drückte er die Hand, die er noch hielt, fester, und Margaret lachte: »Herr Lehrer, was ficht Sie an? Lassen Sie meine Hand los, ich muß tanzen!«

Fritz ging zu Anna und führte das erglühende Mädchen in den Reihen.

Groß war das Staunen der Zuschauerinnen, alle Köpfe reckten sich in die Höhe, und ein verwundertes Raunen und Flüstern lief die Wände entlang durch den Saal. Was bedeutete das? Hatte der Schulmeister die Bergheimer zum Narren oder war das Gerede mit der Jockenline wirklich nur ein leeres Gerücht? Die Neugierde war nun vollauf beschäftigt, es galt ja, den Lehrer und die Jockenline zugleich zu beobachten. Vorerst wurde aber niemand klug; der Lehrer machte ein ernstes Gesicht, die Jockenline dagegen lachte mit dem ganzen Gesicht, als sie mit dem Sülzdorfer Lehrer dahinraste.

Fritz war in wunderliche Stimmung geraten. Er konnte das Auge nicht wenden von seiner holden Tänzerin, die so leicht in seinen Armen ruhte, daß er sie kaum spürte; wie pulste es ihm so heiß nach dem Herzen von der Schulter, wo ihre Hand lag. »Was soll das?« zürnte Fritz mit sich selber. »Soll ich mich selber verlieren? Und wenn noch so schön, und wenn noch so lieb und gut – es soll nicht sein und es darf nicht! Sie ist eben doch nur ein Bauernmädchen; wir passen nicht zusammen!«

Ahnte Anna, was in der Seele ihres Tänzers vorging, da sie so wehmütig das Köpfchen hängen ließ? Seinetwegen allein hatte sie sich geschmückt, seinetwegen allein mit hochklopfendem Herzen den Tanzboden betreten. Was sie erwartete – ach, sie wagte es sich nicht zu gestehen! Und doch durchzuckte sie ein stechender Schmerz, als sie die Jockenline so selbstbewußt und siegesstolz im Saal prangen sah. Sie war ja heute nachmittag bei ihm gewesen, hatte mit ihm gespielt! – Ja, die paßte zu dem Lehrer, das war eine Frau für ihn! Anna preßte die Hand aufs Herz – sie wußte jetzt: sie liebte! Jetzt, da sie ihn zu verlieren fürchtete, verstand sie ihre Gefühle! Ein tiefes Weh quoll wie körperlicher Schmerz in ihr auf, sie rang nach Atem; sie fühlte, daß ihr Weinen Erleichterung bringen müsse, und sie mußte sich doch zurückhalten. Sie wollte den Saal verlassen und stand doch wie angewurzelt. Es war wie eine grausame Lust am eignen Schmerz, was sie zwang, auszuharren, mit eignen Augen zu sehen, wie er mit der Line schön tun würde. Und wie nun Viertelstunde um Viertelstunde verging und kein Lehrer erschien, schweiften ihre Gedanken zurück, und ihr wurde klar, daß sie Reinhardt schon lange geliebt, ohne es zu ahnen. Und als er nun kam, die Line nicht bemerkte, sie auch nicht suchte – da flammte es heiß in ihr auf. Aber die Glut sank rasch in sich zusammen. Als sie seine Ruhe sah, da wußte sie: der Line ging er nicht zu Gefallen, aber ihretwegen war er auch nicht gekommen! Und der Tanz bestätigte ihre Vermutung! Sie raffte alle Kraft zusammen, um nicht in Jammer auszubrechen. – – –

Karl sah Fritz zweifelnd an und fragte, als man nach dem Tanz zusammenstand: »Was hast nur?«

»Ich sagt's ja gleich, er sieht aus, als wären ihm die Wicken verhagelt!« lachte Margaret, die ganz ihren Übermut wiedergefunden hatte und vor Glück strahlte.

Etwas verlegen entschuldigte sich Fritz mit dem vielfachen Verdruß, der ihm heute widerfahren. Allein Margaret ließ das nicht gelten und rief: »Ei, das wäre mir 'ne schöne Sach', wenn ein jeder seinen Verdruß mit auf den Tanzboden schleppen wollte. Nichts da, Herr Lehrer! Kommen Sie, tanzen Sie auch einmal mit mir – wenn ich Ihnen gut genug bin, natürlich!«

Fritz mußte Margaret folgen, und sie sorgte dafür, daß er nicht wieder in sein Sinnen verfallen konnte, zuletzt lachte er auch mit. Plötzlich sagte sie: »Herr Lehrer, ich hab' eine rechte Bitt' und nur, um mit Ihnen reden zu können, war ich so frei und hab' Sie zum Tanz gefordert! Ja, sehen Sie, mein Karl hat sich von jeher mehr Gedanken gemacht, als gut ist – Sie verstehen schon, was ich meine. Nun ist in letzter Zeit gar der Jockenhannes über ihn 'kommen, seitdem ist's gar aus mit ihm. Ach, Herr Lehrer, Sie können nicht denken, in welcher Angst ich stehe! Und weil Sie so gut befreundet sind mit dem Beckenkarl, wollt' ich Sie bitten, leiden Sie's nicht, daß ihn der Jockenhannes verdirbt! Nehmen Sie sich seiner an – gelt, Sie versprechen mir das?«

Ohne Antwort abzuwarten, eilte sie zu Mutter und Schwester zurück. Fritz war bewegt durch dieses Vertrauen und ärgerte sich wieder über sich selbst. Sollte er denn mit Gewalt in das Dorfleben hineingezogen werden? Verdrießlich ging er Robert suchen und stand unvermutet vor der Jockenline.

Die Zusammenkunft in der Schule war zwar nicht nach ihrem Wunsch ausgefallen, doch nicht ganz unzufrieden mit dem Erfolg ging Lina heim. Die Begeisterung Roberts war ihr nicht mehr so unangenehm, es war vielleicht grade gut, wenn Fritz an anderen merkte, was sie für ein Mädchen war! Eines stand fest, heute mußte er ihr eigen werden, mochte es kosten, was es wollte.

Aber wieder mußte Robert ihren Plan verderben. Wie ein Pfeil schoß er auf sie los – Fritz stand unentschlossen an der Tür, und wahrscheinlich aus Ärger, daß ihm Robert bei ihr zuvorgekommen, ließ er sich vom Beckenkarl zu den Herrnbauersmädchen ziehen – richtig, nun mußte er auch mit der Anna tanzen. Vor Zorn zerriß sie fast das Seidenband ihrer Schürze und würdigte den in Aufmerksamkeiten zerfließenden Robert keines Wortes. Als er sie zum Tanz forderte, stampfte sie wild mit dem Fuß und kehrte ihm den Rücken zu – da stand Robert, kläglich wie ein Häuflein Unglück. Allein Fritz kam nicht – jetzt trat er sogar mit der Herrnbauersmargaret an! Also wollte er von ihr doch nichts wissen! War's möglich? Eine dunkle Röte stieg ihr ins Gesicht. Noch kämpfte sie mit sich. Da bat Robert abermals um einen Tanz. Zähneknirschend trat sie mit ihm in den Reihen, und so wild und rücksichtslos riß sie ihn herum, als wollte sie an ihm ihren Unmut auslassen. Kaum war der letzte Ton verklungen, so ließ sie Robert stehen.

Plötzlich bekam ihr Unmut eine neue Richtung; ihr fiel ein, daß der Beckenkarl ja sichtlich alles aufbiete, den Lehrer mit der Anna, seiner künftigen Schwägerin, zu verkuppeln. Der Entschluß, Fritz zu fangen, befestigte sich dadurch; ihr galt es jetzt gleichsam als Ehrensache, die gehaßte Herrnbauersanna nicht über sich triumphieren zu lassen. Sie beschloß, ihren Angriffsplan zu ändern. Zog Fritz Annas Sanftmut an, warum sollte sie nicht auch einmal sanftmütig sein? –

Lina kannte Reinhardts Abneigung gegen die Bauern, darum wollte sie sich wenigstens vor seinen Augen nicht mit Burschen einlassen; er sollte merken, daß sie auch nach Höherem trachtete. Roberts Anwesenheit war ihr plötzlich sehr gelegen; wie zufällig wußte sie in seine Nähe zu kommen, strich so dicht an ihm vorbei, daß ihn ihre rauschende Seidenschürze streifte, und mit Blicken, wie sie eben nur Lina zu Gebote standen, fragte sie: »So allein? Sind Sie mir bös', daß Sie mich so plötzlich im Stich ließen?«

Robert riß die Augen auf, eine dunkle Röte überzog sein Gesicht. Bald fand er sich jedoch zurecht; Robert war ein Mann der Gegenwart und vieles Sinnen nicht seine Sache – überglücklich flog er mit Lina durch den Saal.

Anna hatte sich zurückgezogen und starrte sinnend vor sich nieder. Im Herzen war ihr weh; mit trübem Lächeln betrachtete sie das welke Maiglöckchen in ihrer Hand. Sie schrak zusammen, als Reinhardt plötzlich vor ihr stand und sie nochmals zum Tanz forderte. Sie hätte fliehen mögen; und doch – wie hätte sie ihn abweisen können? Wäre Fritz nicht so tief verstimmt, nicht so sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen, der wehmütige Zug um Annas Mund hätte ihm nicht entgehen können. Still tanzte er dahin und war fast erschrocken, als Anna schüchtern begann: »Ich danke Ihnen recht von Herzen, Herr Lehrer, daß – daß Sie so an Ihrem Wort festhalten.«

»Was ist das?« rief Fritz errötend. »Meinst du, ich tanze nicht gern mit dir?«

»Ich will's nicht hoffen!« sagte Anna und blickte zu Boden. »Aber gern sind Sie nicht auf den Tanzboden gegangen – leugnen Sie's nicht! – Ja, was ich sagen wollte: es tut mir recht leid, daß ich heute morgen auf Sie einfuhr, als verachteten Sie uns; verzeihen Sie mir, ich sehe selbst, wir passen nicht für Sie. Und legen Sie sich meinetwegen keinen Zwang auf – ja nicht! Sie haben Ihr Versprechen gehalten, und nun ist's gut!«

»Anna – was ist das? Bist du mir bös'?«

»Ei gar!« sagte Anna, ohne aufzublicken, und ein trübes Lächeln spielte um ihren Mund. »Ja, und ich danke Ihnen auch für den schönen Morgen heute, ach, den werd' ich nicht vergessen, weil ich lebe.«

»Ich verstehe nicht, was das bedeuten soll?«

Annas Lippen zuckten. »Ja, Herr Lehrer, Sie haben Ihr Wort gehalten, bemühen Sie sich nun nicht weiter um mich. Haben Sie viel Dank für Ihre Freundlichkeit, und ich wünsche Ihnen viel Vergnügen!« Sie machte sich sanft los und ging zur Mutter.

Fritz sah ihr erstaunt nach. War das nicht unleidlicher Stolz? Durchschaute sie ihn? Merkte sie, wie er sich Zwang antat, und hielt sie sich dafür zu gut? – Fritz riß sich mit Gewalt aus seinen Gedanken; er merkte, wie ihm das Mädchen gefährlicher wurde. Er ging zu den Musikanten, der Blümlesschuster und der Drechslersludwig hießen ihn mit aufrichtiger Freude willkommen, der Bergkasper aber rühmte ihn, daß er sich gleich das schönste und reichste und bravste Mädchen ausgesucht habe, nun werde er bald in Bergheim daheim sein. Verdrießlich ging Fritz davon.

Sollte er mit Lina tanzen? Eigentlich war er ihr diese Aufmerksamkeit schuldig, ohne Zögern forderte er das Mädchen zum Tanz auf. Lina führte klug ihren Vorsatz durch. Sie war erfreut, daß der Herr Lehrer sich ihrer erinnerte, machte aber sonst kein Aufhebens davon. Von den Herrnbauersmädchen sagte sie gar nichts, ließ nur durchfühlen, daß sie die Kränkung vorhin nicht verdient habe, sie jedoch dem Herrn Lehrer nicht nachtrage. Um sein Unrecht gutzumachen, ward nun auch Fritz lebendiger, und so kam bald eine lebhafte Unterhaltung in Gang, welche Annas Verwunderung und Roberts heftige Eifersucht erweckte.

Zwei Reihen tanzte Fritz mit Lina, dann ließ er sich nicht länger halten, nahm Abschied vom Beckenkarl, der ihm ärgerlich nachblickte, von Robert, der kaum seine Freude verbergen konnte, und schritt die Treppe hinab.


 << zurück weiter >>