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Viertes Kapitel

Ein wunderbar erfrischender, belebender Lufthauch bewegte kaum bemerkbar die Atmosphäre. Die blühenden Obstbäume dufteten stärker fast als am Morgen, und die Blütensträuße zitterten unter den Berührungen der zu Tausenden umhersummenden Bienen; die noch kurzen, saftgrünen Blätterbüschel der Saatfelder bewegten sich leise, und ein eigentümlicher kräftiger Geruch stieg von ihnen auf; die Wiesen vollends leuchteten im kräftigen Goldgelb, Weiß und Rot ihrer Millionen Blüten. Ein entzückender blauer Duft umhüllte Nähe und Ferne, ohne die Klarheit des Bildes zu trüben. Kleine zarte Wölkchen schwebten über den kräftig sich abzeichnenden Umrissen des Gebirges im reinen Himmelsblau.

Fritz tat diese Ruhe und Stille unendlich wohl; in tiefen Zügen sog er die erquickende Luft ein und empfand bald ihren anregenden Einfluß. Die übergroße Spannung wich einem ruhigeren Gleichmaß. Ruhig ward er deswegen nicht! – In ihm schrie es laut nach Genugtuung, sein Selbstgefühl verlangte gebieterisch Wiederherstellung seiner Ehre, gebührende Abweisung des Angreifers – aber dem stellte sich ein anderes Gefühl entgegen: die Furcht vor der Macht seines Gegners, das mangelnde Selbstvertrauen, was sein Urteil verwirrte. Der alte Zwiespalt seines Wesens! Er konnte Unrecht, Unterdrückung nicht ertragen, eine innere Notwendigkeit trieb ihn zum Widerstand, und doch zagte er vor den Folgen, schwankte haltlos zwischen Beharren und Unterwerfung. So auch jetzt! Und doch flammte wieder der Unmut, der Zorn in seiner Seele auf. Eines klaren Grundes war er sich nicht bewußt, aber er empfand, daß er nicht nachgeben dürfe; er empfand, daß er für immer zerbrochen, innerlich entwertet sei, lasse er sich einmal ohne ernstlichen Kampf niederzwingen.

Müde vom Denken und Zweifeln setzte er sich am sonnigen Hang unter die Schlehdornhecke. – Warum konnte er in sich nicht zur Klarheit und Einheit gelangen? Warum konnte er diesen Zwiespalt nicht überwinden?

»Ach,« seufzte er, »hätte ich jetzt eine Seele, der ich mich anvertrauen könnte!« – Traurig stützte er die Ellbogen auf seine Knie und legte das Gesicht in die Hände.

»Ei, wahrhaftig, es ist der Herr Lehrer!« rief eine tiefe, wohlklingende Männerstimme; und als Fritz den Kopf hob, blickte er in das offene, freie Gesicht des Sülzdorfer Schulbauern Jörg Vorndran, der lächelnd vor ihm stand und freundlich die Hand zum Gruße bot. »Grüß' Gott! Ist Ihnen gewiß auch gegangen wie mir – es trieb Sie auch hinaus in die Gotteswelt! Aber – entschuldigen Sie, Herr Lehrer, wie sehen Sie aus? Fehlt Ihnen was?«

Fritz war aufgesprungen und schüttelte dem Bauer die Hand. »Ja, mich litt es nicht in der Stube, aber die Schönheit des Tages war es nicht, was mich in die Einsamkeit trieb.«

»Hab' es Ihnen bereits angesehen, Herr Lehrer, 's tut mir leid, daß ich Ihnen so ungelegen in den Weg kommen muß – ich will nun auch nicht länger stören.«

Fritz wußte selbst nicht, warum ihn die einfachen Worte so wohltuend anmuteten. »Nein, nein, Sie stören nicht!« sagte er. »Eben habe ich meine Verlassenheit im stillen beklagt, als mich Ihr Anruf traf. Und ich nehme es als einen Wink des Schicksals, daß Sie mich gerade in diesem Augenblick anreden mußten.«

Der Schulbauer schüttelte leise lächelnd den Kopf. »Nichts für ungut, Herr Lehrer, ich bin gar kein Freund von Übernatürlichkeiten, und mit der Verlassenheit wird es auch nicht so schlimm sein! Liegt es nicht ganz allein an Ihnen selbst, daß Sie heute noch in Bergheim so allein stehen? Ich weiß gar wohl, Sie sehen uns Bauern ein bißchen über die Achsel an – mit Unrecht. Glauben Sie mir, Herr Lehrer, es gibt auch im Bauernstand Männer, die ihre eigenen Gedanken haben, trotz der Studierten. Hätten Sie sich nur nicht so gewaltsam von uns abgesperrt, Sie würden jetzt nicht so geklagt haben.«

Fritz schritt mit gesenktem Kopf neben dem Bauer hin und kaute an einer Blütendolde des spanischen Flieders, die er von einer Hecke gerissen. Der Vorwurf hatte ihn getroffen, und doch wollte er es nicht zugestehen. Er war froh, als der Schulbauer das Gespräch wieder aufnahm: »Ich red' offenherzig mit Ihnen, Herr Lehrer, und bitt', mir das nicht übelzunehmen. Ich weiß gar wohl, daß Sie's gut meinen und in allen Dingen nach dem Rechten suchen. Sie wollen noch mit Macht vorwärts. Sie stehen immer auf dem Sprung, uns zu verlassen, wo anders, wahrscheinlich in der Stadt, erst eine Heimat zu gründen; drum rechnen Sie sich gar nicht als im Ernst zu Bergheim gehörig – und doch sind Sie wenigstens für den Augenblick ein Bergheimer, und die Nachbarn haben ein Recht an Sie.«

»Ich werde Ihre Worte im Gedächtnis behalten«, sagte Fritz mit freiem Aufblick. »Ich könnte zu meiner Entschuldigung dies und das anführen, aber da ich Ihnen in der Hauptsache nichts entgegensetzen kann, lasse ich es lieber ganz sein!«

»Ich möchte nicht, daß es den Anschein hätte, als wollte ich mich in Ihr Vertrauen eindrängen!« lächelte der Schulbauer. »Wollen Sie mir aber etwas mitteilen, so darf ich wohl sagen, daß es bei mir gut aufgehoben ist. – Aber im Gehen redet sich schlecht – wir wollen uns setzen!«

Halbwegs zwischen Bergheim und Sülzdorf erhob sich mitten im fruchtbarsten Feldgebreite, mitten aus den im üppigsten Grün stehenden Weizenfeldern, ein niederer, steiniger, nur mit magerem, hartem Gras dürftig bekleideter Hügel. Dafür bedeckten ihn mächtige Hecken von Schlehdorn, und seine Spitze krönte ein uralter, gewaltiger Feldbirnbaum. Baum und Hecken standen in üppigster Blüte, und von weitem leuchtete der Hügel wie beschneit aus der grünen Umgebung hervor.

Dahin lenkten die Männer ihre Schritte und setzten sich auf eine breite, vorstehende Wurzel des Birnbaums. Wie war es herrlich hier oben! Ringsum leuchtete und lachte im Sonnenglanz und Frühlingsgrün die Erde. Tiefe, tiefe Stille! Nur in den Blüten summten die Bienen, droben im Kulm schrie rastlos ein Kuckuck, und leise zitternd sanken die zarten Blütenblättchen zur Erde.

Der Schulbauer stopfte seine Pfeife, schlug Feuer und drückte den brennenden Schwamm auf den Tabak. Gemächlich lehnte er sich hintenüber an den Stamm und blickte hinein in das wechselvolle Spiel von Licht und Schatten droben in der Baumkrone, hinein in das geheimnisvolle Wallen und Weben der Blüten. »Wird ein Obstjahr heuer, kommt nichts drein,« sagte er, »solcher Baumblüte kann ich mich lange nicht erinnern. – Aber jetzt reden Sie, Herr Lehrer, ich werde nicht weiter stören!«

Fritz berichtete die Vorgänge im Pfarrhofe und in der Sakristei. Als er geendet, sagte der Schulbauer: »Bös', bös'! – aber es ist die Art so, wie die Herren Geistlichen gern mit ihren Lehrern umgehen! Besonders die von der schwarzen Sorte! Ja, ja, ich versteh' wohl, wie's Ihnen zumut' sein mag, Herr Lehrer! Man sieht mir's freilich nicht mehr an, aber ich habe drei Jahre das Seminar in X. besucht, mein Examen bestanden und war danach drei Jahre Schullehrer in Sülzdorf. Wär's vielleicht heute noch, allein die Geistlichen haben mir das Schulhalten verleidet, darum bin ich nach dem Tod meines Vaters Bauer geworden. Aber der Schulmeister liegt mir noch immer im Blut, wie meine Lisbeth sagt, und sie hat recht. Ich nehme großen Anteil an den Lehrern, besonders, wenn ich so was von meiner eignen Art an ihnen spüre. Drum freue ich mich auch aufrichtig über Ihre mannhafte Weise – hätt's auch nicht anders von Ihnen erwartet!«

»Freuen? Ich weiß nicht, grade mein Widerstand macht mir Sorge!« entgegnete Fritz. »Bis heute habe ich alles Mögliche aufgeboten, einen offnen Zerfall mit dem Pfarrer zu verhüten – nun ist's vorbei! Er wird mir meine Schroffheit nie verzeihen, und wenn er seine Drohung wahr macht, wenn er Klage führt, was dann?«

»Ist's möglich, so kleinmütig sind Sie, der Lehrer Fritz Reinhardt von Bergheim?« rief der Schulbauer und nahm voller Verwunderung seine Pfeife aus dem Mund. »Wenn der Pfarrer klagt – und es ist erst die Frage, ob er es tut – ei nun, so wehren Sie sich Ihrer Haut, ans Leben wird's nicht gleich gehen!«

»Ans Leben wohl nicht, aber an meine Zukunft! Ich habe mich meinem Vorgesetzten offen widersetzt, das wird man mir, wenn es auch diesmal mit einem gnädigen Ausputzer abgehen sollte, nie vergessen. Von einer Beförderung ist keine Rede mehr.«

»Ei, um so besser, dann bleiben Sie bei uns in Bergheim!«

Fritz schüttelte den Kopf. »Mein Sinn steht nun einmal nach der Stadt; nur dort kann ich mich wohl und glücklich fühlen!«

»Ich streite nicht! Nur fragen möchte ich: Haben Sie denn überhaupt bei uns versucht, einzuwurzeln?«

Fritz blickte betroffen auf und sagte: »Sie sind ein beredter Anwalt Ihrer Heimat! – Doch wir schweifen ab! Das wäre noch der günstigste Fall, es kann auch viel schlimmer kommen. Wenn es dem Pfarrer gelingt, Mißtrauen gegen mich zu erwecken, dann wird man es an Quälereien und Nörgeleien nicht fehlen lassen, bis man mich zu einer Übereilung getrieben – und dann: fahr' wohl, Lehramt!«

»Sie sehen zu schwarz. Das Absetzen geht nicht so schnell! Und wenn auch – was tut's? Ein Mann wie Sie wird überall mit offnen Armen aufgenommen! Und nun unverzagt! Der Pfarrer wirft Sie nicht um, Sie nicht, das sage ich. Stürme wird's wohl setzen, aber nur unverzagt!«

»Ich danke Ihnen!«

Fritz atmete tief auf, eine große Last war ihm vom Herzen genommen. Die Zuversicht des Schulbauern richtete ihn auf, sein Beifall tat ihm unendlich wohl.

Der Schulbauer, der sinnend vor sich geblickt hatte, begann nach einer Weile: »'s ist traurig! Wohin man blickt, nichts als Verwirrung, eigensinniger Trotz, Gewalttat, wo's angeht, Zorn und Haß! Was soll noch aus Bergheim werden, wenn das so fortgeht? – Mir hat heute auch schon das Herz weh getan, vor Kummer konnt' ich's im Haus nicht aushalten. – Was sagen Sie zur heutigen Predigt?«

Fritz zuckte die Achseln und las die Blütenblättchen vom Rock.

Der Schulbauer schüttelte heftig den Kopf. »Warum gehen Sie nicht mit der Farbe heraus? Ich meine, darüber kann es nur ein Urteil geben – das war keine christliche Predigt!«

»So denke auch ich!« sagte der Lehrer leise.

»Ach, Herr Lehrer, ich wollte kein Wort darüber verlieren, daß er die Menschen nicht schlecht und verächtlich genug machen konnte – wenn es sich um mich allein handelte. Aber, bedenken Sie doch, was sollen die armen Leute, die sich mit ihren Gedanken nicht zurechthelfen können, mit solcher Lehre anfangen? Wenn ihnen fort und fort vorgepredigt wird: all euer Tun ist Sünde; ihr könnt gar nichts Rechtes vollbringen, wenn ihr auch wolltet; werden sie es zuletzt nicht aufgeben, was Ordentliches zu vollbringen, da es doch vor Gott nichts gilt? Wo anders möchte das vielleicht auch nicht soviel auf sich haben, aber für Bergheim ist solche Lehre ein Unglück. Haben Sie gesehen, wie sich der Jockenhannes, der Simesschuster, der Wagnerspaule, der Schulz und der Veitenbauer zublinzten? Denen war die Rede wieder Wasser auf die Mühle, nun haben sie wieder Grund, auf die Religion zu lästern. Geben Sie acht, wie es heute abend im Wirtshaus zugehen wird. – Und nun gar noch das Verbot der Musik am Morgen, der Zank mit Ihnen! Sehen Sie sich vor, Herr Lehrer! Die Jockenpartei wird die Gelegenheit auf Ihre Kosten ausbeuten, wird Sie zur Heftigkeit verleiten und für sich gewinnen wollen!«

»Mich? –«

»Haben Sie noch nicht bemerkt, wie der Jockenhannes an Sie zu kommen sucht? – Glauben Sie, das ist aufrichtig gemeint? – Oh, Sie kennen den Jockenhannes nicht! Der tut nichts ohne Absicht; wenn er etwas unternimmt, darf man sicher sein, daß es gilt, entweder ihm Vorteil zu sichern oder einen Menschen zugrunde zu richten.«

»Sie urteilen streng!«

»Nur gerecht!«

»Aber was kann er von mir wollen, was kann ich seiner Partei – wie Sie's nennen – nützen?«

»Sie sind wahrlich noch sehr fremd in Bergheim. Was Sie ihm nützen? – Seiner Sache ein Ansehen geben, das sollen Sie; als Aushängeschild möchte er Sie benützen.«

»Nicht möglich!«

»Was er mit Ihnen selbst vorhat, weiß ich nicht. Manchmal sieht's fast aus, als sollten Sie sein Schwiegersohn werden –«

»Schulbauer!«

»Erzählte er nicht erst neulich mit Lachen im Wirtshaus, Sie gingen auffällig um seine Line herum, ganze halbe Tage begleiteten Sie ihr Geigenspiel auf dem Klavier und seien ganz außer sich über ihre Fertigkeit.«

»Abscheulich!« rief Fritz, rot vor Zorn. »Um dem Drängen ein Ende zu machen, spielte ich einmal mit dem Mädchen! Schändlich!«

»Auf der andern Seite verspottet er die Lehrer, macht sich lustig über die ›Steckenmännle‹, ›Klopfgeister‹ und ›Hungerleider‹ und spricht auch so verächtlich von Ihnen, daß man nicht klug aus ihm werden kann! Gutes hat er nicht im Sinn mit Ihnen, das ist gewiß. Ich meine, er möchte Sie so recht mit dem Pfarrer und den ordentlichen Leuten in der Gemeinde verfeinden, um Sie gänzlich in seine Gewalt zu bringen. Er hat schon allerlei Reden ausgestreut, die von Ihnen herrühren sollten und die böses Blut machten, wenn ihm auch darin noch niemand recht traut. Sehen Sie sich vor, der Hannes ist ein gefährlicher Mensch!«

Fritz war heftig erschrocken; wie beklagte er, daß er sich so wenig um die Vorgänge im Dorf bekümmert. Er habe den Jockenhannes nie leiden mögen, es sei etwas in seinem Wesen, was ihn zurückstoße, allein er habe ihn für einen aufgeweckten Mann gehalten, sein Freisinn habe ihn angesprochen, wenn er gleich seine Ansichten nicht durchweg billigen könne. Besonders unangenehm sei die Art, wie er überall Zweifel und Mißtrauen zu erregen suche, als habe er einen persönlichen Haß gegen alles, was Glaube und Religion heiße.

»Persönlicher Haß – das ist's!« unterbrach ihn der Schulbauer, und Fritz erschrak fast vor soviel leidenschaftlicher Heftigkeit in Ton und Blick. »Ja, er haßt die Religion, und er muß sie hassen! All sein Freisinn ist nichts als die Furcht vor seinem Gewissen! All seine schönen Reden sind nichts als Lug und Trug! Den Teufel kümmert er sich um Aufklärung; seinetwegen möchten die Menschen ewig in Aberglauben und Torheit versunken bleiben, er würde keinen Atemzug daran wenden, ihnen zu helfen. Nichts sucht er als eignen Vorteil, und die Religion muß ihm dazu helfen, seine Anschläge ins Werk zu setzen!«

Heftig atmend stand der Bauer und wischte sich mehrmal die Stirne. Fritz wagte nicht zu fragen, er ahnte, daß sich hier ein alter, tiefgewurzelter Haß gewaltsam Luft gemacht hatte. »Herr Lehrer, entschuldigen Sie meine Heftigkeit!« begann der Schulbauer, sich mühsam zur Ruhe zwingend. »Der Hannes ist mein alter Gegner; er hat mir und meinem Schwager, dem Herrnbauer in Bergheim, das Ärgste angetan, was man Menschen zufügen kann. Und sein Haß gegen uns ruht und rastet nicht; jetzt ist er eben wieder dabei, Jammer und Elend über uns zu bringen. Geben Sie acht, der Beckenkarl wird sich bald öffentlich zum Hannes und seinem Anhang bekennen!«

»Der Beckenkarl? Was hat der Beckenkarl mit dem Haß des Hannes gegen euch zu schaffen?«

»Merken Sie auf: Der Karl ist ein braver Bursch, hat ein schönes Vermögen; er sieht die Herrnbauersmargaret gern, und der Herrnbauer hätte seine Freude, käme die Heirat zustande. Nun aber macht sich der Hannes an den unerfahrenen Burschen, der freilich auch von jeher gegrübelt hat, bringt ihn auf Zweifel und sucht ihn ganz auf seine Seite zu ziehen. Und es wird ihm gelingen, 's ist keine Frage! Und hat er erst den Karl zu seiner Lehre bekehrt, so ist's vorbei mit der Heirat; einen Freigeist, einen Anhänger vom Hannes nimmt der Herrnbauer nicht als Schwiegersohn an, und sollte darüber seine Margaret zugrunde gehen! Das weiß der Hannes, darum allein beschwätzt er den Karl. Wer weiß, vielleicht denkt er dabei auch noch andere Dinge.«

»Wär's möglich?« rief Fritz entsetzt. »Wär's möglich, daß ein Mensch so das Heiligste im Menschen mißbrauchen könnte?«

»Der Hannes hat noch – Doch nein! ich bin sein Feind, ich will ihm nicht hinterrücks Böses nachreden. Es wird noch eine Zeit kommen, da wir Gesicht gegen Gesicht stehen – dann will ich mit ihm abrechnen. – Aber warnen mußte ich Sie. Und nun leben Sie wohl; denken Sie nicht gering von mir, daß ich so wenig an mich halten konnte, die Erinnerung überwältigte mich. Besuchen Sie mich; ich meine, wir sollten öfter zusammenkommen. Grüß' Gott!«

Fritz setzte sich müde auf die Baumwurzel und sah kopfschüttelnd dem Bauer nach. Sollten die Aufregungen kein Ende nehmen? Noch war er der Sorgen nicht ledig wegen der heutigen Vorfälle, und schon wieder tat sich eine neue, größere Gefahr vor ihm auf. Waren die vom Hannes ihm angedichteten Reden dem Pfarrer hinterbracht worden? Stützten sich hierauf seine beleidigenden Anschuldigungen?

Fritz war zornig über sich, daß er bis heute wie blind an seiner nächsten Umgebung vorübergegangen war. Wie oft hatte ihn die einförmige Stille des Dorflebens bedrückt – und dicht neben ihm war Leben und Leidenschaft in höchster Spannung, nur er bemerkte es nicht! Und nun rächte es sich, daß er, wie ihm der Schulbauer mit Recht vorwarf, in Bergheim nicht hatte einwurzeln wollen; vereinsamt, ratlos, stand er zwischen den Parteien.

Droben im Birnbaum summte und brauste es, zahlreicher sanken die Blütenblättchen zu Boden; als sich zwei Raben auf den Gipfeln niederließen, kam der ganze Baum in Bewegung, das Summen ward stärker und eine weiße Wolke wehte langsam über die Saatfelder hin, bis sie im Grün verschwand. Als Fritz eine Bewegung machte, erhoben sich die beiden Vögel mit schwerem Flügelschlag und zogen schreiend hinauf zum Steinschrot.

Fritz verfolgte mit seinen Augen die schwarzen, glänzenden Punkte, bis sie droben auf der weißen Felsklippe der Kanzel verschwanden, und seufzte tief auf. Warum war die weihevolle Erhebung des Morgens nicht festzuhalten? Warum mußte gerade das, was den Menschen zur Erhebung und Stärkung geworden, soviel Verwirrung, Haß und Zorn anrichten? Fritz verfiel in trübes Sinnen, und jetzt erschienen ihm auch die schwarzen Vögel, die schreiend von seinem Ruheplatz geflohen waren, fast wie eine Warnung des Schicksals. Die milde Luft fächelte umsonst seine heiße Stirn, vergebens liefen helle Lichtstreifen über sein Gesicht, als wollten sie ihn erwecken aus seiner Versunkenheit. Er achtete nicht des bunt bewegten Lebens. Sein Herz war verfinstert. Wozu der Glaube, wenn er Zwietracht sät, die Liebe ertötet, statt des Friedens den Krieg bringt?


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