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Sechzehntes Kapitel

Heute blieb das scharf geladene Doppelgewehr unberührt, Hannes schlief bald ein, noch im Schlaf zuckte ein Lächeln über sein Gesicht, wenn der lauter anschwellende Lärm im Pfarrhof bis in seine Kammer drang.

Groß war die Aufregung am nächsten Tag über die nächtlichen Ereignisse; der Unfug im Pfarrhof wurde allerdings scharf getadelt, aber auch mit dem rücksichtslosen Vorgehen des Geistlichen entschuldigt. Außer dem Herrnbauer und dem Uhrmacherle nahm niemand den Pfarrer in Schutz, und ohne Rücksicht auf die religiöse Parteistellung beschlossen die Männer einmütig, ihr gutes Recht zu wahren. Trotz dieser tatkräftigen Entschiedenheit lag dennoch die unbestimmte Ahnung eines hereinbrechenden Unglückes auf allen Gemütern. In den meisten Häusern war es zu ärgerlichen Scenen gekommen; fast überall endete der Streit mit Zorn und gegenseitiger Verbitterung.

Kaum ließ sich der Gendarm am frühen Morgen im Dorfe blicken, als er auch schon von der Pfarrmagd zu dem geistlichen Herrn beschieden wurde. Zwar hatte man allgemein eine polizeiliche Klage des Pfarrers erwartet, dennoch, als endlich der Gendarm ins Schulzenhaus zurückkam und dort vor fast vollzähliger Gemeinde eine weitere Untersuchung anstellte, da brachen sämtliche Nachbarn in einen Schrei der Entrüstung aus.

Daß Walter über alle Vorgänge im Wirtshaus auf das genaueste unterrichtet war, rief einige heftige Bemerkungen über den Uhrmacherle hervor, sonst war die Verwunderung nicht allzu groß. Als sich jedoch zeigte, daß er die jugendlichen Unruhestifter, die ihm die Nachtruhe verdorben, nicht nur bis auf den letzten bei Namen genannt, sondern auch viele Äußerungen, derbe Scherze oder Drohungen, wörtlich kannte – da wurde manches Gesicht vor Zorn bleich. Wer war der Verräter unter dem Jungvolk? – Ein Aufpasser, ein Angeber war im Dorf – nicht einer, wer konnte sagen wie viele? Und der den Verrat ins Dorf gebracht, das war der Geistliche, der Seelsorger der Gemeinde! – – – –

Stürmisch verlief die Versammlung. Daran war nichts zu ändern, den Schuldigen standen schwere Strafen bevor; aber auch einmütig war der Beschluß, alle Strafen auf die Gemeindekasse zu übernehmen und mit allem Ernst dem Pfarrer entgegenzutreten.

Von der Gemeindestube verbreitete sich nach der Sitzung die Verwirrung rasch durch das Dorf. »Wer ist der Spion?« klang es in Stuben, Ställen und Scheunen, am Brunnen und auf den Gassen; Männer machten ihren frommen Weibern kränkende Vorwürfe, besonders eifrige Anhänger des Pfarrers unter dem Jungvolk wurden von ihren Kameraden beschuldigt. –

Wer ist der Angeber? – Diese Frage ruhte nicht, mehr und mehr stieg die Aufregung. Vorübergehende ballten die Fäuste nach dem Uhrmacherlehäuschen, riefen Flüche und Drohungen in die Fenster – schon am Mittag packte der Alte seine Uhren zusammen und verließ Bergheim auf mehrere Tage. Eine ängstliche Schwüle lag über dem Dorf; Gerüchte auf Gerüchte flatterten auf und ab. Bald hieß es, der Pfarrer wollte Militär requirieren, die Männer mit Gewalt in die Kirche treiben, nachts die Gassen säubern lassen; ein anderes Gerücht sagte, die Jesuiten und Freimaurer seien im Anzug, um Bergheim katholisch zu machen. Am hartnäckigsten behauptete sich die Sage, der Pfarrer werde ein frömmeres Gesangbuch, einen orthodoxen Katechismus einführen. Auch bis in die Schule drang dieses Gerücht zugleich mit der Nachricht, wie gerade deswegen die Aufregung wachse. Reinhardt erschrak nicht wenig, als er ganz unerwartet für den Abend zu einer Besprechung in die Pfarre beschieden wurde.

Es mochte gegen drei Uhr sein, als Pfarrer Walter aus dem Baumgang des Pfarrhofes trat und langsam dem Kirchbauernhaus zuschritt. Die Vorübergehenden blieben auf der Straße stehen, in allen Fenstern erschienen neugierig fragende Gesichter; die Kinder verließen ihre Spiele, erkletterten Zäune und Bäume, um einen Blick in die Kirchbauernstube zu gewinnen, da und dort sammelten sich Gruppen Neugieriger – meistens Frauen – alles lauschte in atemloser Spannung nach dem Kirchbauernhaus empor. Zum erstenmal waren die beiden Todfeinde zusammen – wird Hannes nun Ernst machen? Wer wird siegen?

Die Erwartung der meisten wurde getäuscht, im Kirchbauernhaus blieb es still, weder den Pfarrer noch Hannes hörte man reden; nur einmal wurde ein kurzes, höhnisches Lachen der Lina laut. Plötzlich öffnete sich heftig die Stubentür, gleich darauf erschien der Pfarrer in der Haustür – die Bergheimer trauten ihren Augen nicht! – vom Hannes gewaltsam aus dem Haus geführt. Zwei Stufen der hohen steinernen Freitreppe drückte Hannes den Geistlichen hinab, ohne selbst die Türschwelle zu überschreiten; dann erst ließ er ihn los, stellte sich breit in die Türöffnung und rief laut, daß man es die ganze Straße hinab hören mußte: »So, Herr Pfarrer! Tut mir leid, daß ich auf solche Weise mit Ihnen verfahren muß, allein Sie zwingen mich dazu. In meinem Haus und in meiner Familie bin ich Herr, und mein Wille allein gilt. Nochmals sag' ich's: meiner Line ist's erlaubt, nachts im Dorf ihre Kameraden aufzusuchen, wie's Sitte und Brauch ist von alters her. Wer sich untersteht, den Meister in meinem Haus zu spielen, mit dem mache ich kurzen Prozeß. Merken Sie sich das für ein andermal, Herr Pfarrer, und damit holla!«

Auf der untersten Stufe stand der Pfarrer und nagte unentschlossen an den Lippen: »Wohlan, ich weiche! Aber Sie werden einstens dieser Stunde gedenken, wenn –«

»Ich wag's drauf, Herr Pfarrer!« lachte Hannes rauh. »Sparen Sie Ihren Atem und vergessen Sie nicht, Sie stehen noch immer in meinem Hofrecht!«

Ohne Gruß kehrte der Geistliche um und schritt rasch durch die atemlos lauschenden Gruppen, verfolgt von dem schallenden Gelächter des Hannes.

Dadurch aber verdarb sich Hannes selbst den Erfolg seines Sieges, das böse Lachen verdroß die Anhänger des Geistlichen. Hätten sie ihm vielleicht noch die derbe Abfertigung, die ihm im Kirchbauernhof widerfuhr, gegönnt – dieses verächtliche Lachen verletzte sie.

Eben kam der Beckenjörg mit rotem Kopf die Straße herauf. »Hast ihn abgefertigt?« schrie er schon von weitem Hannes zu. »Ist gut – ist gut! Nun komm' ich an die Reihe, und ich werd' auch meinen Mann stehen. Ha, potz Blitz und Hagel! Der Pfaff wird täglich dreister! Jetzt zitiert er mich schon vor das Pfarramt, weil ich als Heiligenpfleger nicht in die Kirche gehe, sondern meinen Knecht den Klingelsäckel umtragen lasse. Aber ich werde fertig mit ihm, ich will ihm ein für allemal die Lust vertreiben, mich ins Pfarramt zu zitieren – potz Donner auch nein!«

»Ja, putz' ihn nur ab – viel hilft viel!« lachte Hannes. »Mir wird er nicht wieder kommen!«

Gestern noch wäre dem Beckenbauer die Vorladung äußerst unangenehm gewesen, nach den gestrigen Vorfällen jedoch, und nachdem der Hannes mit so gutem Beispiel vorangegangen, schritt er mit einem Selbstbewußtsein dem Pfarrhaus zu. Die Zurückbleibenden schieden sich schärfer, während die einen den Beckenjörg lobten, sprachen die andern desto härteren Tadel über ihn aus. Plötzlich wurde die Pfarrhaustür krachend ins Schloß geworfen, gleich darauf kam der Beckenjörg, womöglich noch röter, pustend und schnaubend aus dem Baumgang hervor. »Der hat's!« schrie er Hannes zu, der jetzt gemächlich mit der langen Pfeife im Fenster lag. »Wollt' mir da wegen dem Kirchenbesuch 'ne Vermahnung geben, als wär' ich ein Schulbub! natürlich verbitt' ich mir das. Drauf sagt er: 's ist eine Sünde, wie Sie das Wort Gottes verachten! – Was, sag' ich drauf, Gottes Wort? Vor Gottes Wort habe ich allen Respekt, Ihre Lehre freilich acht' ich allerdings nicht als Gottes Wort! – Das war ihm zu stark; eine Weile sah er mich starr an, dann sagte er: Darauf habe ich Ihnen nichts mehr zu sagen, Sie können gehen! – War's recht so?«

»Geh rein!« sagte Hannes, dem nicht entging, welche Mißstimmung unter dem größten Teil der Zuhörer diese Worte hervorriefen. Der Beckenjörg merkte nunmehr auch, daß er wohl kaum auf allseitigen Beifall rechnen durfte; hurtig benutzte er die Einladung, um seine Verlegenheit zu verbergen.

In der Stube zankte eben der Wagnerspaule: »Von euch darf man auch sagen: und regnet's Brei, fehlt euch der Löffel! Solche Gelegenheit, das ganze Dorf für immer zur Vernunft zu bringen, kommt nimmer wieder. Aber statt nun klug und vorsichtig zu handeln, werft ihr mit Prügeln unter die Spatzen. Da – hört nur, wie ihr unsrer Sache gedient!«

Auf der Gasse war es lebendiger geworden; das laute Gelächter der Jockenpartei ging allmählich unter in dem Murren der Gegner. Eben sagte der Bergbauer: »Wir sind doch wahrlich Narren – sündlich ist's, wie wir uns von den Gottesleugnern an der Nase zerren lassen. Es war wohl nicht schön vom Pfarrer, daß er gestern so hitzig dreinfuhr, aber sollen wir darum den Mann unsern Feinden in die Hände liefern? sollen wir darum die Religion verraten? – Gott behüte und bewahre mich, daß ich zu solchem Frevel die Hand biete. Was die Klage gegen das Jungvolk betrifft, so bleib' ich bei dem stehen, was heute in der Gemeindestube abgemacht wurde. Sonst aber will ich mit dem Hannes und seinem Anhang nichts gemein haben. Ein gutes Wort findet allerwegen einen guten Ort, unser Herr Pfarrer wird unsern Rat nicht verachten; sollte er trotzdem auf seinem Kopf bestehen wollen, sind wir wohl selber Manns genug, unsere Rechte zu wahren. Das ist meine Meinung, und wer mit mir eines Sinnes ist, der geht jetzt an seine Geschäfte.«

Diese Rede fand allgemeinen Beifall, rasch leerte sich die Gasse, und die Freisinnigen, deren Lachen längst verstummt war, sahen ziemlich verblüfft und verlegen ihren Gegnern nach.

So war die Stimmung des Dorfes gegen Abend eine wesentlich andere als am Mittag. Das gänzlich daniederliegende Ansehen des Pfarrers war bei den Frommen gewaltig gestiegen, die Gegner dagegen zeigten sich ziemlich kleinlaut. Die Scheidung zwischen beiden Parteien war fast vollständig geworden. Heute zum erstenmal nahmen im Wirtshaus die Frommen eine Reihe Tische für sich allein in Anspruch, duldeten keinen Ungläubigen in ihrer Mitte – heute zum erstenmal wurden die Anhänger des Pfarrers auf Anstiften der Jockenline schimpflich vom Bauholz verjagt!

Mit Herzklopfen betrat Reinhardt gegen Abend die Studierstube seines Vorgesetzten. Ohne ihn zum Sitzen einzuladen, teilte ihm Walter mit, der in den Händen der Schüler befindliche Katechismus sei ein elendes Machwerk, das nicht länger geduldet werden könne. Mit Genehmigung der Ephorie ordne die Lokalschulinspektion hiermit die Einführung eines neuen, zweckentsprechenderen Katechismus an.

Reinhardt warf einen flüchtigen Blick in das ihm vom Geistlichen überreichte Büchlein. Erbleichend trat er einen Schritt zurück und rief: »Herr Pfarrer, ich beschwöre Sie, lassen Sie ab von ihrem Vorhaben. Schon hat sich das Gerücht von einem neuen Katechismus verbreitet – bewahrheitet sich das, so sind die Folgen bei der herrschenden Aufregung nicht abzusehen!«

»Behalten Sie Ihre Weisheit für sich, bis man Ihren Rat begehrt! Hier ist das Buch. Morgen sogleich werden Sie die nötigen Anordnungen zur Einführung desselben treffen.«

»Nie! – zur Einführung dieses Buches werde ich nie die Hand bieten!« –

»Gut, gut!« fiel ihm Walter ins Wort. »Ich erwartete diese Antwort, werde danach meine Maßregeln treffen. Sie können gehen!«

»Treffen Sie immerhin Ihre Maßnahmen,« rief Reinhardt, »Sie werden mich auf meinem Posten finden. Dieser Katechismus ist vom Ministerium nicht als Schulbuch eingeführt. Sie haben demnach nicht das Recht zu solch gewaltsamem Vorgehen. – Ich kann gehen – und mache Gebrauch von dieser Erlaubnis!«

In großer Aufregung verließ er den Pfarrhof.

Heftig fuhr er zusammen, als in einem halbdunkeln Seitengäßchen sich unerwartet eine schwere Hand auf seine Schulter legte. »Nu, nu!« brummte der Jockenhannes, »bin kein Waldteufel und Menschenfresser, haben nicht nötig, vor mir zu erschrecken. Sah Sie aus der Pfarre kommen, merkte gleich, da ist was nicht in Richtigkeit! Wartete auf Sie, um Ihnen meine guten Dienste noch einmal anzubieten. Was wollte der Pfaff von Ihnen? Wollte er Sie zwingen, einen schwarzen Katechismus einzuführen – he?«

»Wie kommen Sie darauf?« stotterte Fritz überrascht.

»Hab' ich's getroffen? Ei, da soll auch gleich ein Himmeltausendmillionendonnerwetter den Pfaffen gleich in Grund und Boden –! Ei was, leugnen Sie nicht, ich weiß, ich hab' das Rechte getroffen, ist das Gerücht nicht auch schon unter allen Leuten? Herr Lehrer, und Sie haben sich gewehrt, Sie wollen sich das schwarze Teufelsbuch nicht aufhalsen lassen? Die Hand her, Reinhardt, Sie sind mein Mann. Haben Sie sich auch bis heute spröde gegen uns gestellt, jetzt müssen Sie die Verstellung abtun, müssen es frei, öffentlich bekennen, daß Sie zu denen halten, denen es um Fortschritt und Bildung zu tun ist. Schlagen Sie ein, Reinhardt, es soll Ihr Schaden nicht sein. Nicht nur, daß der Pfarrer unterducken muß, wenn wir Ihnen beistehen, Sie werden bald sehen, daß wir keinen Dienst umsonst verlangen! Kommen Sie, bekennen Sie sich öffentlich zu uns. Dafür stehen wir Ihnen bei gegen die Pfaffen und Schwarzen; wir machen's, daß Sie der erste Lehrer der Gegend werden. Und wer kann die Zukunft voraussehen? 's sind wunderliche Zeiten jetzt, die Welt dreht sich, der Reiche wird arm, warum soll nicht auch einmal ein Schulmeister zu Geld und Gut kommen, wenn er vernünftig ist und nicht selber dem Glück den Weg verbaut? – Kommen Sie, Herr Lehrer, schlagen Sie ein, gehen Sie mit in mein Haus, dort –«

»Ich begreife nicht, was Sie von mir wollen!« rief Fritz mit fliegendem Atem und riß sich gewaltsam los.

»Verdammt! – Teufel auch, wer hätte das gedacht?« knirschte Hannes und ballte unwillkürlich die Fäuste nach dem hastig Davoneilenden. »Gift und Pestilenz, ich habe doch mich nicht zu sehr verraten? – Bah! seine Narrheit ist viel zu groß, als daß er seinen Vorteil gegen mich wahrnehmen könnte – von der Seite bin ich sicher! Nur gut ist's, daß der Paule nichts drum weiß! – Fluch und Verdammnis auf den bockbeinigen Schulmeister! Aber bleibt mir das Glück nur noch diesmal treu, so ist er ein verlorner Mensch!«


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