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Wandlungen

Was kam nun für die Gudel? Äußerst wenig nur für ein ganzes Jahr Stille und Abgeschlossenheit von allem Geschehn, worin es nur eine, sich immer gleichbleibende Bewegung gab: endloses Charpiezupfen. Siegesbotschaften, die alle Welt in Berauschtheit, die Stadt in einen Fahnengarten verwandelten – blau-weiß-grün waren die Landesfarben –, wurden von der Gudel, als ob sie schon eine Sozialistin wäre, mit harter Gleichgültigkeit, wo nicht Feindschaft behandelt, von ihrem Herzen ganz abgewiesen. Aber zwei Briefe bekam sie von Longinus, erstaunt, weil sie ganz darauf eingerichtet war, daß eine blaßrote Rose auf einer schwarzen Brust das Letzte gewesen sei, was sie von ihm gesehn habe, so daß sie sich manchmal zwingen mußte, im Mausoleumsversteck nachzusehn – was sie allwöchentlich zu tun versprochen hatte –, wo die kleine Wirtstochter des Longinus die Briefe unterbrachte.

Im ersten stand, daß er eine große und sehr erlesene Schießerei mitgemacht habe, die nachmals wahrscheinlich ›Bautzen‹ heißen, aber selten genannt werden würde, dieweil alles ausgerissen sei, auch die guten Altenrepener Jungen, nämlich die Freiwilligenkompagnie, die ihrer Batterie zur Bedeckung zuerteilt gewesen, auch er, Longinus, und sein Leutnant auf Gespannspferden, aber erst nachdem ihre ganze schöne Batterie zu vier Haufen Holz und Bronze zusammengeschossen sei, und er und der Leutnant hätten die halbe Nacht geweint. Danach waren sie Beide zu einer Feldbatterie gekommen und nun in eine richtige große Schlacht, in den Ebenen um Leipzig, wo es ihnen aber um kein Haar anders gegangen war als bei Bautzen; sie waren einem glänzend vorgetragenen Angriff gegen ein Stadttor zu weit gefolgt, von zwei französischen Batterien unter Flankenfeuer genommen und zerrissen, alle, diesmal auch der Leutnant, bis auf Longinus und ein Pferd namens Jakob. Auf diesem habe er, den schwerwunden Leutnant im Stich lassen müssend, das Weite gesucht, sei dabei zu seinem Unheil einer zur Attacke anreitenden Schwadron polnischer Ulanen geradeswegs in die Arme geritten, hätte nichts andres tun können als umdrehn, und hätte somit diese glorreiche Attacke mitgeritten, ›waffenlos wie ein Engel‹ auf dem letzten Jakob. Ein Leid hätte er niemand zufügen können, und wohl deshalb auch niemand ihm; jedenfalls habe er sich eine Viertelstunde später an der Stelle gefunden, von wo er ausgeritten war. Sein Leutnant sei noch am Leben gewesen, liege aber nun in den letzten Zügen. Etwas getrockneten Flieder lege er im Auftrage wehmütig ein. – Immerhin habe es den Anschein, als ob er nicht gemeint sei in diesem Krieg, der freilich noch lange dauern könne … Das Ganze, in der, der Gudel gewohnten, gern spöttischen und scherzhaften Art des Longinus abgefaßt, klang ihr so, daß sie nicht wußte, ob es nicht alles erfunden war.

Der zweite Brief kam von der holländischen Grenze und enthielt wenige eilige Zeilen. – Tage und Nächte im Sattel auf Gewaltmärschen. Unter dem Bülowschen Korps sei auch sein Geschütz durch die Dörfer um Altenrepen gerollt, aber es wäre kein Halten gewesen. Nun rücke er glücklich in Holland ein, was eigentlich sie zusammen hätten tun wollen, woll' es Gott ein liebreiches Omen. Im Frühjahr sei er zu Hause.

 

Longinus war im Frühjahr zu Hause, unkenntlich durch einen schwarzen Bartwald von riesigem Umfang, den er freilich nur einmal mitgebracht hatte zum Zeigen, und die Gudel begriff nichts. Sie begann aber, zu glauben, als sie unter dem Goldgebälke der Morgensonne, um kein Haar anders als vormals, auf dem Lotterbett lag, das leichte Klingen des Meißels hörte, wieder seinen prüfenden Blick auffangen konnte mit Brust und Hüfte und das angebetete Dehnen seiner Nüstern sah, mit dem er die Form, wie mit allen Sinnen auch mit dem des Geruchs zu übertragen schien. So war dies ganze ein Abenteuer gewesen? Und nun gab es die gleiche Arbeit wie vorher? – Nein, aber jetzt würden die großen Wandlungen kommen, sagte Longinus, für Deutschland und für sie Beide, Freiheit und schöne Gestaltung der Freiheit. – An diesen Glauben traute die Gudel sich wenig. Aber des Longinus gewachsenen Leibes- und Seelenkräften, gesichertem Vertrauen und maßvollerem Streben nach dem Ende gelang es innerhalb von kaum sechs Wochen mit der Figur und dem ganzen Schmuckwerk der Sarkophage fertig zu werden, und eines Morgens zu Anfang Juni konnte die Gudel mit Staunen und Ergriffenheit vor einer schönen, zarten Schläferin stehn, steinern weiß und kühl, aber wenig tot, sondern widerhallend von leisen Atemzügen einer ungestorbenen Seele.

Als er dann fragte, ob es ihr nicht liebreich vorkomme und ein schönes Symbol, sich daliegend zu wissen anstelle des Leibes, aus dem sie gekommen war, kam ihr die Frage recht gelegen, mit dem Ja der Antwort ein nötiges Geständnis zu verbinden, indem sie sagte: »Und nun bin ich selbst Mutter …«

Hierüber freute sich Longinus über die Maßen. Dieses Kind sollte im freien England auf die Welt kommen. Aber die Frage war, wie dorthin gelangen? Longinus war bar wie ein Spatz, und die Gudula hatte ihre Juwelen bedauerlicherweise dem Vaterlande zum Opfer gebracht. Dies rächte sich nun, aber es fand sich ein Ausweg, der allerdings Zeit kostete. Die fertigen Figuren nämlich standen ein paar Tage, bevor der Raum für seine Bestimmung eingerichtet wurde, zur Besichtigung aus für die vornehme Gesellschaft der Stadt, und namentlich die weibliche Gestalt fand so viel Beifall, daß Longinus augenblicks einen Auftrag bekam – ein Grabmonument für den, den russischen Strapazen in der Stadt erlegenen Sohn eines Kommissionsrats –, dem alsbald mehr und so viele folgten, daß er zur Erledigung Jahre am Ort hätte bleiben müssen. Nun setzten sie sich noch zweieinhalb Monate Frist, Longinus schaffte wie ein Berserker, scharrte dann zusammen, was sich erraffen ließ, und in der letzten und kostbarsten aller Augustnächte saßen sie im riechenden Wachstuch ihrer Entführungskalesche, halbausgestreckt in Angst und Wonne sich in den Armen liegend, fahrend wie mitten zwischen den Sternen, welche die Peitsche des Kutschers hier und da an die Erde zu streifen schien. An den Relaisstationen, in der bebenden Stille nach dem langen Gerassel, hörten sie, die Landstraße ein Stück hinabwandernd, das schlaflose Feilen der Grillen, vereinsamt und nicht sehr zahlreich von den Stoppelfeldern, wo, ein friedlich lagerndes Heer, die Garben standen wie Zelte; hörten aus dunklen Ställen das Brummen der Kühe, standen und zählten die Sterne und strichen sorglos einen ab, wenn sie ihn fallen sahn. Im Grauen des Morgens befiel Rückangst die Gudel, und sie weinte; als sie aber ins morgenstille Emden hineinrollten, ermunterte sie der frische und salzige Lufthauch vom Dollart, über dessen zartblaue Fläche sie bald darauf hinglitten, ungefährdet und gewiegt. Wahrlich, es kamen die Windmühlen von Niederland in Sicht, und bald konnten sie die Schiffersegel blühen sehn, erstaunlich mitten im flachen Land.

Daß sie so davonkamen, erschien ihnen nachmals ein Wunder, bis – Jahre später – die Gudel die Gründe dafür vernahm. Denn mit dem alles gestehenden Briefe, den die Zofe vor dem Toilettenspiegel der Gudel fand, wie beabsichtigt, war die Fürstin, nachdem sie ihn durchgelesen, in vollkommener Hoheit aufgestanden, hatte ihn über dem Rost des kalten Kamins in kleine Fetzen gerissen und dazu, steifen Auges auf die Zofe, gesagt: » Gudule!« unverkennbaren Ausdrucks, daß sie diesen Namen noch einmal gesprochen habe – und niemals wieder. Das tat sie, und was in dem Briefe stand, erfuhr nie eine Seele außer ihr, denn im Kamin ließ sie Feuer anlegen vor ihren Augen. – Nachdenklich meinte die Gudel, als sie, die Fürstin, gestorben war: »Ob sie meinen Namen nun wieder sprechen kann?« »Es soll«, sagte Longinus, »feurige Schwerter da oben geben und Erzengel, die schon andern Drachen die Zähne aufbrachen.«

 

In England blieben die Beiden, weil es da kalt war, keinen Augenblick länger, als nötig war, um verheiratet zu werden; sie fuhren zu Schiff nach Genua, von dort mit der Post nach Florenz, später nach Rom, wo Longinus Freunde antraf, und wo sie zwei Monate blieben. Dann, als der siebente der Gudel sich seinem Ende näherte – zu leiden hatte sie wenig am Tragen, außer daß ihr inwendiges Leben gegen Ende der Schwangerschaft ihr durch Aufführung leidenschaftlicher Tänze und heftige Stöße schlaflose Nächte bereitete, und daß es einen übergroßen und erschreckenden Umfang annahm –, setzte sie ihrem Mann zu, daß er mit ihr nach Weimar führe zu seiner Mutter. Die tiefe Unruhe und Beängstigung wegen der Geburt, von der sie damals befallen wurde, wird in Wahrheit Heimweh gewesen sein, praktische Gründe unterstützten ihr Verlangen, nicht in fremdem Land, unter fremden Händen zu gebären oder zu sterben. Das Geld nämlich, welches Longinus ihr behändigt hatte mit der Bemerkung, er verstünde zu wenig davon – als ob die Gudel verstanden hätte! –, und das von ihr mit einem heiligen Amtseifer verwahrt und gehütet wurde, es ging auf die Neige, und so sehr Longinus den Kopf vollzuhaben behauptete von Plänen, war auf Gewinn keinerlei Aussicht. In Weimar aber war der Herzog, der sich seinerzeit beim Scheiden des Longinus für spätere Aufmerksamkeit verpflichtet hatte.

Von der Gudula ist hier zu sagen, daß ihr Wesen in jenen neun Monaten nicht nur leiblich eine Zeit tiefer Umwälzungen und Wandlungen durchzumachen hatte. Zu ernst angelegt, als daß eine schwere äußere Veränderung wie die ihrer gesellschaftlichen Stellung ohne ebenso starke innere abgehen konnte, mußte sie, ob sie es wollte oder nicht, auf irgendeine Weise auch an ihrem Wesen eine andre werden. Dies würde sich gelassener und langsamer vollzogen haben, wenn sie ein Mensch von weicherem Ebenmaß und von Gleichgewicht gewesen wäre, wie es sie gibt, von einer natürlichen Ausgeglichenheit in ihrer Ebene mit der Ebene der äußeren Welt, und deren Wage jede Belastung bis zur schwersten unschwierig auszubalancieren versteht, um sich, belasteter nur, in die vorherige Form einzustellen. Die Gudel aber mußte jedes Kommende hart in härtester Mühle zerkleinern, und in den letzten zwei Monaten vor ihrer Flucht glaubte sie Gneis zu mahlen. Nicht daß sie den Mut verloren und im letzten Augenblick hätte zurückweichen wollen. Dazu war ihre Liebe allzu umfassend, allzu fest eingebaut in ihr die Erkenntnis, daß ihr Leben mit Longinus durch andere, äußere Schicksale werden könne, wie es wolle, so würde es doch wahrhaft Leben sein, schon deshalb allein, weil sich daran würde mitschaffen, weil es sich würde gestalten, wandeln, immer von vorn würde beginnen und bessern lassen. Dem früheren dagegen war sie so gut wie ausgeliefert. Es war, welche Veränderungen auch innerhalb darin mit ihr vorgenommen wurden, einem alten und bestimmten Gesetz unterworfen, war in eine alte und, wie ihr schien, einfarbige, glänzende und klägliche Form gebildet, an der nicht zu rütteln, die nicht zu übermalen war, und deren Anblick nichts freiließ als Hoffnung und Bestreben nach einem leise immer tiefer nach innen Saugen und Leben.

Desungeachtet aber war noch dies Leben in ihr und hatte seine starke Gewalt der Ererbtheit und der Gewöhnung für sie. Mit gezählten sechsundsechzig Ahnherren und -frauen zu brechen, war keine geringe Leistung, zumal sie sich nicht als abgeschiedene Geister darstellten, sondern sichtlich und körperhaft in Haus und Garten, Wänden und Möbeln. Hier war doch eine Form, und sie ließ sich nicht anpacken und zerschmettern, sondern sie mußte zersprengt werden von innen heraus, so wie der Fesselkünstler die Bande zersprengt, die ihn zwanzigfach umschnüren, durch alleinige Regung und Spannung aller vorhandener Muskeln. Wären auch jene letzten Monate in Altenrepen hingegangen wie die früheren, in alltäglichem Zusammensein mit dem Geliebten, – der freilich hätte helfen können, die Form auch von außen mit Meißel und Hammer zu bearbeiten, daß ihr Hören und Sehen verginge! Aber Longinus, der in Feuer und Flammen seiner tausend Aufträge stand, kam damals selten und nur für Minuten, und völlig mit Rauch umhüllt. Sie konnte ihn sehen darin, aber er nicht sie. Die Gudel hatte demnach alleine an ihrer Mühle zu stehn und ächzend die schweren Steine herumzuwälzen; eine Tartarusaufgabe, denn sie begann jeden Morgen von vorn.

Davon war sie erstlich schwarzseherisch geworden, und so sehr ihr vermeintliches Vorgefühl für ein Kommendes sich als irrtümlich erwiesen hatte, da Longinus zurückkehrte, so sehr behielt doch die Spannung und Überspannung der Jahre 13 und 14 ihr Recht, einfach weil sie so wirklich gewesen, und gleichviel ab sie gut und notwendig gewesen war oder nicht. Zurück blieb fürs ganze Leben der Gudel ein Erschrecktwerden von jeder unbekannten, undeutlichen Erscheinung, auch an sich freundlichen, wenn sie nur ihr Maß von Plötzlichkeit und Gewalt hatte; ein Versinken fürs erste in Mut-, ja in Hoffnungslosigkeit – so lange bis die Erscheinung nahe und wirklich da, und greifbar war, in Angriff genommen zu werden, was die Gudel alsdann nach Kräften besorgte.

Wenn dies eine persönliche Angelegenheit der Gudel war, als bei welcher, wie sie ausging von ihr allein, auch niemand helfen konnte, so gab es eine andere, die, nur am Grunde ihr Eigentum, durchwirkt und verstärkt wurde durch Longinus, durch die Ehe, durch das engere Beisammensein und bessere Kennenlernen.

Denn es stellte sich heraus, daß sie ihn gar nicht recht gekannt hatte bisher. Er war nicht der unaufhörlich, der unermüdlich heitere, schlagfertige, immer zu Scherzen aufgelegte, mit Worten spielende, wie es schien durch und durch fröhliche und lebenssichere Mensch, den sie gesehn hatte. Da er nun wagte, sein ganzes Wesen vor ihren Augen freizulegen, so zeigte es sich, daß sie von einer seltsamen Zerspaltenheit desselben stets nur die eine Hälfte zu Gesicht bekommen hatte; daß er zur andern keineswegs heiter, sondern – was Schnitt und Ausdruck seiner Augen im Zustand der Ruhe kundmachten – erfüllt war mit einer, wie er sagte, unrettbaren, unwandel- und heilbaren Schwermut, die aber so beschaffen war, daß sie verschwand, ihm selber völlig verschwand, sowie er mit einem andern Menschen zusammenkam. Er sagte, es sei wie ein Teich, dessen Oberfläche verfinstert sei von einem Leib an Leib gedrückten Gewimmel von Fischen; erschreckte die der Schlagschatten eines Menschen, so flohen sie blitzschnell zum Grunde hinunter, und der Wasserspiegel lag klar, durchscheinend heiter bis in die Tiefen. Verzog sich der Schatten, kehrte die düstere Herde in Bälde zurück, versammelte sich wie zuvor und lasse nicht einen Strahl der Sonne zum Grunde hinunter. Er hätte es nicht besser darstellen können, insofern die Gudel durch das Gleichnis vor allem die Machtlosigkeit des Longinus selbst über diese, wie magische Erscheinung begreifen konnte. Die Wandlung vollzog sich ohne sein Zutun, war nicht erlernt, nicht künstlich, sondern immer so gewesen; immer hatte jegliche fremde Gegenwart, auch die gleichgültigste, die kleinste, die eines Kindes, einer Katze, ihn gereizt und bewogen, sofort sich heiter, witzig, helle und munter zu bezeigen, nicht immer freilich ohne daß er eine gewisse Krampfhaftigkeit spürte und das Empfinden, wider Willen genötigt zu sein; aber doch wirkte es nicht nur nach außen, sondern ebenso nach innen, und es dauerte keine Weile, daß er selber guten und leichten Muts wurde, die Erde in sonnenheller Ordnung und Sicherheit sah und sie ihm duftete wie eine große Blume. Dann, mit dem Augenblick des Alleinseins, hielt er einen dürren Stengel in der Hand, mit Fetzen von Welkendem, und roch den Moder. Es sei, sagte er, kein Gefühl, sondern ganzes Sein. Es sei darum an sich auch namen- und gestaltlos, aber es könne natürlich auch diese und jene Form annehmen, ihn aus Gelesenem anhauchen und etwa in Ahnungen sich darstellen, trüber Art, wie daß sein Leben von einem großen Unheil bedroht, daß er überhaupt der Glücklosigkeit ausgesetzt sei. Aber Belege für dergleichen hatte er niemals zu fassen bekommen, und er würde auch, wenn sie sich gezeigt hätten, sie kaum als solche angenommen haben, so wenig das einzige Glück, das die Gudel ihm schenkte, ihn hätte irrig machen können in seinem Wesen oder gar heilen von dieser Krankheit. Sie hing, wie gesagt, nicht von ihm ab, also auch nicht von Umständen.

Die Gudel war nun der erste Mensch, der er sich nicht nur mit offenem Geständnis enthüllte, sondern auch preisgab mitunter; dies kaum mit Absicht. Aber die Ehe brachte es mit sich, daß mehr als einmal am Tage der Eine zum Andern kam, ohne daß der es erwartet hätte; daß die Gudel ihn also antraf in seinem Eigentum; daß sie nun oft mit Staunen und leisem Grauen merken konnte, wie unter ihrer Einwirkung die Wandlung sich vollzog; wie er sich, noch verschattet, lichtete, sich aufrollte aus seiner zerdrückten Düsterheit, wie von innen heraus die Haltung seines Wesens leichter wurde und leichter.

So aber ist der Mensch: wenn etwas ihn selber betrifft, so sieht es gleich anders aus als beim Hörensagen, und deshalb, so wahrscheinlich ihr die Unfreiwilligkeit des Longinus erschienen war, als er sie erklärte, bildete sie sich doch ein, er verstelle sich ihr gegenüber, der Gute. Um so mehr also bemühte sie sich aus Leibeskräften um eine natürliche Munterkeit; befliß sich einer übergroßen Neigung zum alleweil Fröhlich- und guter Dinge Sein oder Scheinen, und dieses nun allerdings nicht ohne Antrieb von innen her, unter der Nach- und Gegenwirkung der überstandenen Wochen und Jahre der Angespanntheit und Trübsal. Im Kern ihres Wesens ernsthaft und nicht ohne Schwere, hatte sie ja schon als Kind einen zeitweiligen, jedoch ununterdrückbaren Hang zur Ausgelassenheit gehabt, der vielleicht nur niedergepreßt war und sich so gern wieder aufrichten ließ wie im Frühjahr der Rosenstamm unter seinem Tannengezweig. Nur wars ein Fehler vielleicht, daß, wie immer unsre Angenommenheiten verbildend wirken auf den Charakter, ihr Unbewußtes angesteckt ward vom Bewußten, der innerste Ernst von der äußern Munterkeit, und daß sie zu einem lustigen Menschen ward, weil sie eine heitere Frau sein wollte. Jahre danach jedenfalls hat sie die angestrengte, oft freilich durch scharfen Zwang tieferer Lebensnöte bedingte, allzeitige Bereitschaft zur Heiterkeit als krampfhaft und widerwillig empfunden – wie dies auch Andere taten –, ohne sie jedoch jemals ganz ablegen zu können.

So war ihr Wesen eine nicht alltägliche Mischung geworden von Weiß und Schwarz, Düster und Licht. Was im Kinde sich bruchhafter gezeigt, unwillkürlicher und in jäheren Wechseln gewaltet hatte, das war sie nun eins im andern, wie wenn man sich einen Raum voller Lichter vorstellen will, von denen beständig eine Anzahl am Erlöschen, eine andre am Aufflammen ist, so daß Schatten und Scheinen, Ginster und Dämmernis und volles Leuchten in unaufhörlich gleichförmigem Wechsel begriffen sind.

Und noch eine kleine und mehr nebensächliche Erscheinung: mit dem Augenblick, wo der sorglose Longinus, der sich für unfähig hielt, Geld zusammenzuhalten und Ausgaben zu verrechnen, die Verwaltung des ersten kleinen Kapitals in ihre Hände legte, irrtümlich annehmend, daß sie den Umgang mit Geld ja gewohnt und daher zuverlässig und geschickt sein müsse: mit diesem Augenblick wurde sie sparsam, bedenklich, und nach Urteil der Menschen später geizig. Nun, wie sollte sie die neue Aufgabe anders anfassen, als indem sie erst einmal festzuhalten suchte, was da war? Und freilich hat sie es im Leben nicht reichlich gehabt, sich immerdar zur Sorge um einen Notgroschen verurteilt gesehn und kam daher bald zur Gewohnheit, sich jeden Heller, der ihr abgefordert wurde, von nah oder fern, Händlern oder Mann oder Kindern, vom Leibe reißen zu lassen; oder, wie Longinus sagte, sie beklebte sich mit ihrem Gelde, und kein Stück ging ab ohne Peinen.

 

Desungeachtet und um die sonstigen Flecken ihrer Lebenssonne unbesorgt, fuhr sie mit Longinus im Februar des Jahres 1815 über den Brenner, zur großen Heiterkeit aller Mitreisenden, und mit der gelben Thurn und Taxisschen Postkutsche in das geliebte und schöne, wenn auch kalte Deutschland hinein. Noch im gleichen Monat langten sie in Weimar an, wo sie leider das Herzogspaar verreist fanden und deshalb sogleich zu dem, eine kleine Gehstunde entfernten Heimatsdorf des Longinus weiterfuhren.

Die schwere, aber noch aufrechte, ganz braune, schwarzäugige und schwarzhaarige Frau Drolshagen nahm die Gudel zu deren Erleichterung mit einfacher mütterlicher Freude, im übrigen mit sachlicher Ruhe auf. – Dich als Prinzeß zu behandeln, sagte sie am Abend, als sie allein saßen und sich kennen zu lernen versuchten, würde auf die Weile wohl schwierig werden und dir selber unpassend vorkommen; da läßt du dich lieber gleich als Frau Drolshagen nehmen und als meine liebe Tochter. Vor Töchtern, wenn sie taugen und ihrem Mann zugetan sind, hat man auch seine Ehrfurcht. – Ganz richtig fand sie es kaum, daß so Kostbares und so Schlichtes sich verbunden hatte, aber ihr Sohn war, als der einzige, schon deshalb stets eine besondere Sache gewesen, dessen eigenen Besonderheiten sie vertraute, ohne ihnen nachzuspüren. Im übrigen ließ sie diese Angelegenheit der Zeit und den Händen, in denen sie ruhte. Sie selbst ging daran, das Kindbett zu rüsten, denn nun war es höchste Post.


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