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Die Wahrsagerin

Früher war ein alter Mann in der Bude, der den Leuten wahrsagte, originell und witzig, ein heiterer Psychologe, der seine Pappenheimer kannte. Wir fragen nach ihm. »O je,« sagt eine alte Frau, »der is scho' vor an Jahr g'sturb'n.« – »Sind Sie seine Frau?« – »Ja, i bin di Wittib, und jetzt tu' i weissagen ...« – Also schön. Sie geht in einen kleinen Verschlag und läßt sich die Hand hinreichen. Die Sache hat nichts Romantisches an sich, man denkt bei der alten Frau mit der Hornbrille an keine Zigeunerin, an keine dunkeln, unheimlichen Sprüche, viel eher an irgendeine redselige Hausmeisterin oder an jene alten Weiber, die in verborgenen Winkeln sitzen und stricken. Sofort, wie sie die dargereichte Hand ergreift, erkennt man, daß sie nichts von Chiromantik versteht, denn sie deckt mit der ihren alle Linien zu, die ihr etwas sagen könnten. »Sie sind unterr enem glicklichen Stian gebor'n, haben ein heiteres Gemüt, und auch ein guates Herz, natürlich. Sie sind in Gesellschaft seha gean gesehen, besonders die Daamen, ja die Daamen ham Sie halt so viel gern. Sie ham auch Sinn fir das Scheene, fir die Kunst, Sie befassen sich viel mit die ernsthaften Dinge und verstehen auch zu reden. Sie nehmen sich auch kein Blattel vor'n Mund und sagen alles rund heraus, opzwar Ihnen daas schonst geschatet hat, Sie sind leicht bes, uj jegerl, Sie kenen giftig sein, so zurnig, aber glei wieder gut, glei wieder gut. Sie ham auch gute Manieren, die was die Leute gean haben, Ihr Lebben wird ein sehr glickliches sein. Sie werden eine Daame lieben, die was ein reines Hearz hat und ein Engel sein wiard, aber es werden sich Hindernisse ergeben, was sich Ihren Willen und Valangen entgegensetzen, aber Ihre Energie wiard alles besiegen, und die Dame is sehr reich – und eine einflußreiche Peason wiad für Sie sprechen, und Sie weaden mit Ihrer Energie alles besiegen. Sie weaden noch sehr alt werden, dann weaden Sie einen wichtigen Brief erhalten, der Sie sehr aufregen wird und in Erregung versetzen, aber es wiad sich alles aufklären, und dann weaden Sie einmal grang werden, aber wieder gesund ... Sie weaden noch mit viele feine Leite vakehren, mit hochgestellte Persönlichkeiten, ja sogar mit Männern der Wissenschaft.« Mit mir tritt noch einer aus der Bude, dem sie fast wörtlich dasselbe prophezeit hat. Er trägt einen vertepschten braunen Hut, keine Krawatte und hat ein Ohrringel. »Ah was,« sagt er zu mir, »dös is an Oberglauben, da is man vüll zu aufgeklärt dazu, als daß m'r si was d'rzäll'n ließet. Wie kan den dö Olde dös all's wiss'n.« und er beschaut forschend seine Handfläche. »Übrigens,« fährt er plötzlich in gezwungenem Hochdeutsch fort, »der Mensch derf sich sein Glick nicht verschweren – wenn der Zufahl will – ich gahn ja auch mit feine Leide schbrechen – der Mensch derf sich kein Glick nicht verschweeren.«


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