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Der Ausrufer

Foto: Emil Mayer

»Hier weilt die Muse, die Bewunderung dir entringt! Bitte einzutreten, meine Herrschaften, soeben ist Beginn der Vorstellung. Sie sehen hier die Königin der Nacht – mit einem ganz kleinen Flämmchen beleuchtet sie ihre ganze Umgebung, der Mond ist ihr Begleiter – und auf ihrem Haupte trägt sie den Abendstern!« Ein schlanker Bursche ruft das unaufhörlich. Er wird nicht heiser, seine Stimme bleibt hell und rein. Er weiß das mit lebendigen, spannenden Gebärden zu sagen, daß der Mond ihr Begleiter ist, und daß sie auf ihrem Haupte den Abendstern trägt. Er ist so der echte Wiener Taugenichts, der mit der Burgmusik rennt, statt in die Schule zu gehen. Gescheit und keck, aber faul und leichtsinnig, leichtsinnig wie man anderswo nicht sein kann. Wie er so dasteht, stolz auf seinen Lodenhut und auf die nickenden Federn, mit lässigen Gebärden, ein wenig ironisch und dabei liebenswürdig, sieht man ihm an, daß er bei sich denkt: »I brauch nix kenna, i brauch nix lerna, i brauch nix mach'n – und i bin do wer – Gott sei Dank.« Das ist die Raison des jungen Schalanther; der Stolz auf die »blaue Donau«, die Stephansturmbegeisterung und die Lebensanschauung, die er von den Schrammeln gehört hat: »I bin a echter Weana,« »Verkaufts mei G'wand.« Man hört diese Lieder und sie gefallen einem.

Man weiß nicht recht warum, und sagt, es wiege sich die Seele der Wiener in ihnen. Bis man eines Tages so einen Menschen trifft, der wirklich nach diesen Liedern lebt. Nicht wie die anderen, die, wenn Feierabend ist, zum Heurigen gehen und zu den heiteren Lebensregeln »paschen«, nein, einer, der tatsächlich alles befolgt, was diese G'stanzeln anpreisen, er ist stolz: »I bin ja net aus Podiebrad,« und er glaubt fest daran, daß ein Podiebrader, und wenn er ein Genie ist, den letzten Fünfhauser nie erreichen kann; er macht sich keine Sorgen, »Denn der Weana geht net unta!« und das muß wahr sein, weil es alle singen.

Foto: Emil Mayer

Eben ist er mit seinem Spruch fertig: »Auf ihrem Haupte trägt sie den Abendstern und der Mond ist ihr Begleiter.« Wie er mich kommen sieht, geht er mir entgegen: »Aber bitte, treten Sie doch ein. Auf dem Altare der Kunst muß ein jeder sein Schöhrflein beitragen.« Ich lasse mir alles wiederholen, was er ausruft, und versuche es in seinem gespreizten komischen Wienerisch-Hochdeutsch nachzusagen. Er lächelt, und: »Was ham's davon,« fängt er plötzlich an, als kenne er mich sehr genau, und hätte mich nur lange nicht gesehen. »I bin schön parterre.« – »Wieso?« »Na,« redet er weiter und kratzt sich den Kopf und tut so erstaunt, als hätte er das eben erst entdeckt, »weit ist es mit mir 'kommen!« »Aber warum denn?« »I war doch im Zirkus,» fährt er ungeduldig heraus, wie wenn ich das wissen müßte. »Kunstreiter war i – dann bin i g'stürzt, und jetzt kann i nimmer reiten. Nachdem hab i, wie i krank war, meine Kostieme vergitscht, und jetzt hab i dös schöne Geschäft da ang'nummen ... Dös ist a wecher Posten. Sechzig Kreizer per Tag, aneran Sonntag an Gulden fufzig. Davon soll der Mensch essen, trinken, na und ma hat doch Bedürfnisse, man muß auch a Bett hab'n, net ...?« »Warum bleiben Sie denn da?« »Na wie kann i denn furt? Reiten derf i nimmer, Kostieme hab i kane ... I spekulier und spekulier scho die ganze Zeit. I hab scho am Stephansturm auffikraxeln woll'n, aber da war'n schon z'viel oben. Da schaut auch nimmermehr was heraus.« Und er lacht vergnügt. »I möcht' halt do wieder in' Zirkus gehn.« – »Wenn Sie aber nicht mehr reiten dürfen?« – »Dös macht ja nix – i geh in'n Löwenkäfig. I war schon amal Löwenbändiger. – I tua alles, i tua alles, i geh' als Tänzer in'n Löwenkäfig, als Bändiger, meinetwegen geh' i a vermummt hinein, wann's a mei Leben kost' – dös macht nix, was liegt mir denn dran – mei Leben hat sowieso kan Wert net.« Er sagt das so einfach, ohne Sentimentalität, so überzeugt, und doch dabei gar nicht traurig.

Foto: Emil Mayer

»Ah was, i wer' schon was ausspekulieren, wann i nur a Kostiem hätt' – dann war mir scho g'holf'n, dann könnt i mir wieder an Existenz gründen.«

Vielleicht finde ich jemanden, der vom letzten G'schnasfest irgendein passendes »Kostiem« übrig hat, dann kann der strebsame junge Mann sich eine Existenz damit gründen.


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