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Daphne

Foto: Emil Mayer

In einer kleinen Hütte unter den hohen Kastanienbäumen und alten Linden, deren Blüten duftend herniederfallen, wohnt Daphne zusammen mit Flora. Auch Fortuna, die Göttin des Glückes, wohnt hier. Dort sitzen die drei Göttinnen vor der Tür und schauen ins Weite. Von den Auen des Praters herüber trägt die Luft das Rauschen der Bäume. Sie ist frisch vom Frühlingstau der Wiesen. Dort könnte Flora Maienblumen zu bunten Kränzen winden, Daphne dort durch Büsche und Sträucher voll Sehnsucht nach den Rüden der Diana suchen, könnte nach Pfeil und Bogen greifen, wenn ein Reh aus seinem Lager vor ihr aufschreckt. Und Fortuna – man wartet in der ganzen Welt schon lange auf sie. Aber aus den Schießbuden nebenan knallen die Kapselgewehre, stöhnt der Watschenmann sein A! A! – Vom Velozipede-Zirkus herüber kreischt das Jauchzen der Dirnen, und aus dem Gasthausgarten, in dem die Leute beim Bier sitzen, rasselt die Blechmusik der böhmischen Kapelle.

Und Flora nimmt eine Guirlande aus Papierblumen zur Hand; wenn man zehn Kreuzer zahlt, stellt sich Fortuna mit ihrem Füllhorn auf eine weiße Kugel, die eigentlich gar keine Kugel ist, sondern aussieht wie ein riesenhaftes Ei des Kolumbus. Daphne ist ein armes Mädel aus der Vorstadt, das kein Talent hat, sie wird in einen Lorbeerbaum verwandelt, aber nicht weil Apollo sie verfolgt, sondern weil das mit zu der Vorstellung gehört, die zehn Kreuzer kostet. Sie braucht nur ruhig dazustehen, der Ausrufer erzählt die Geschichte, daß jedermann sie begreift: »Daphne, eine Nymphe im Jagdgefolge der Göttin Diana, wurde von Abohlo wegen ihrer Schenheit vafolgt. In ihrer Betränknis wendete sie sich an ihren Fatter, den Flußgott. Mit aufgehobenen Aarmen bat sie ...«. Nun hebt Daphne die Arme empor – und leiert: »Fatter Benëus, hülf mir und verwandle meine Geschdald, in der ich so sehr gefahle«. – Der Ausrufer fährt fort: »Kaum daas sie diese Bitte ausgesprochen, wurden die erhobenen Arme zu Blätter und Blüttä, und der Leibb zum Stammä – und Daphne präsendiert sich als Baum«. Daphne verschwindet, ein abenteuerliches Gestrüpp wird sichtbar, das aus einer Marmorsäule zu wachsen scheint. »Vielleicht gelingt es uns, Daphne wieder zu sehen – Daphne, zeeige dich, und siehe, Daphne wird sichtbar. – In der Sage aber heeißt es, daas Abohlo vergebens um die frühere Gestahlt seinerr Geliebten gefleht habe. Da umschlang er die weadende Rinde, und klagte: ›Gannst du nicht meein wead'n als Gadin, so weade meein als Baum‹ – und seid jeaner Zeit ist der Loabear das Sinnbüld der Unsteablichkeit«. Auch die Loreley kann man sehen. Sie sitzt auf einer Holzbank und hält eine Lyra. Der Direktor tritt herzu und erklärt mir vertraulich: »Das soll eigentlich Thalia sein, aber damit es die Leut' verstehen, sag'n wir immer Loreley!« Dann erzählt er stolz, wie er alles leitet, wie er die Kostüme schneidern läßt, wie er die Mädchen aus dem Chor der Vorstadttheater engagiert, wie er Proben hält und ihre Posen arrangiert, »Ich hab' mir auch Dekorationen malen lassen, – von Huber – das ist der beste Maler, den was wir gegenwärtig in Wien haben – er malt auch die Schilder von Präuscher –«. Jenseits des Viaduktes, wo die Praterstraße beginnt, hört eben Wien für ihn auf. Dort fängt das Wunderbare an, das große Leben. Dort hat er »Daphne« kennen gelernt und »Fortuna, die Göttin des Glückes« und »Thalia«, – aber von der weiß hier unten niemand etwas, und so mußte er sie Loreley nennen. Dorthin unternimmt er manchmal Kunstreisen mit der Tramway, geht ins Museum und sucht nach Bildern, die er brauchen kann. Dann muß der Huber wieder den Hintergrund malen. Die Daphne muß zur Leda werden, oder zum Amor, oder zur Bacchantin, und der Ausrufer fordert die Leute auf, einzutreten, »wenn sie Sinn für das Schöne und Edle haben«.


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