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Es war im Jahre 1741. Elisabeth, die ihrem Vater nur in seinen Schwächen und seiner Roheit ähnliche Tochter Peters des Großen, hatte sich durch eine beispiellos verwegene Palastrevolution den russischen Thron erobert und begann in ihrer barbarisch-phantastischen Art als eine echte Despotin ihr Leben zu genießen. Natürlich verbreiteten sich unter ihrer Regierung auch im Hofleben immer mehr jene grausamen Excesse, an denen die russische Hofgeschichte so reich ist; einen der bezeichnendsten Fälle dieser Art, welcher einen Einblick in das zügellose Treiben jener Kreise eröffnen soll behandelt unsere folgende Erzählung.
Die Zarin, im Bewußtsein, die schönste Frau ihres Reiches zu sein, was ihr nicht einmal ihre erbittertsten Gegner streitig machen konnten, umgab sich mit einem Kranze der hübschesten Frauen und Mädchen aus der Mitte des russischen Adels, welcher nur dazu diente, einen würdigen Rahmen für den Glanz ihrer majestätischen Reize abzugeben und Elisabeth selbst noch verführerischer und blendender erscheinen zu lassen.
Unter den jungen Damen, welche dem kaiserlichen Palaste Schmuck und Farbe gaben, seine imposanten Säle freundlich belebten, stritten die Prinzessin Gagarin und Fräulein von Olsufiew um den Preis der höchsten Anmut. Es war nicht leicht, zwischen ihnen zu entscheiden, ja, die Aufgabe hätte sogar einen Paris in Verlegenheit versetzt, denn größere Gegensätze, als die beiden Damen, lassen sich nicht mehr denken. Die Prinzessin Kathinka Gagarin war eine hochgewachsene schlanke Blondine mit einem Teint wie Mondlicht und von dem sanftesten Farbenduft der Rose angehaucht. Nadeschda von Olsufiew eine kleine üppige Brünette mit blauschwarzem Haare und einem Paar diabolischer Feueraugen.
Lange schwankte die Wage, bis sich das Zünglein endlich der Prinzessin zuneigte, sie eroberte die Gunst der Kaiserin, und zu gleicher Zeit lag der schönste, eleganteste und gefeiertste Kavalier am russischen Hofe, Graf Dimitri Strogonoff, zu ihren Füßen.
Der Wettkampf der beiden jungen Damen hatte längst in der Brust von beiden eine Art Haß entzündet, derselbe kam jetzt, wo die Prinzessin Siegerin schien, vollends zum Ausbruch und zwar an demselben Tage, wo Graf Strogonoff und Kathinka dem Hofe als Braut und Bräutigam vorgestellt wurden.
Fräulein von Olsufiew war in einem rosanen Atlaskleide mit weißer Spitzengarnitur erschienen, und ihre Gereiztheit hinter einer heiteren Gleichgültigkeit verbergend, schlug sie plötzlich ihrer Nebenbuhlerin auf die Schulter und fragte sie: »Wie gefällt Ihnen meine Toilette?«
»Die Toilette, sehr gut,« erwiderte die Prinzessin, »aber sie kleidet Sie nicht, liebe Nadeschda.«
»Und weshalb nicht, wenn ich bitten darf?« rief die feurige Brünette, dunkelrot vor Zorn.
»Weil das zarte Rosa zu Ihrem maurischen Teint und dem lebhaften Rot Ihrer Wangen durchaus nicht stimmen will,« erwiderte die Prinzessin. »Wenn man eine Schönheit von dem Range unserer Kaiserin ist, dann braucht man allerdings weder auf Schnitt, noch Farbe zu achten, aber wir, die wir nur hübsch sind, wir haben alle Ursache dazu.«
»Ich bin also in Ihren Augen eine Mohrin, eine Bäuerin mit Rotenrübenwangen?« stammelte Fräulein von Olsufiew mit bebenden Lippen.
»Aber was fällt Ihnen ein!« besänftigte die Prinzessin, »wie aufgeregt, liebe Nadeschda, ich wollte Sie ja nicht beleidigen.«
»Sehr gütig von Ihnen,« murmelte Fräulein von Olsufiew, und aus ihren Augen einen vernichtenden Blick auf ihre Nebenbuhlerin werfend, kehrte sie derselben den Rücken. Die Umstehenden lachten, während die Zarin, welche den Lobspruch der Prinzessin gehört hatte, derselben gnädig zunickte.
Nadeschda hatte indes die Cour verlassen und sich auf ihrem Zimmer eingesperrt. Hier riß sie das Rosakleid, das ihr soviel Schmerzen bereitet, in Stücke und warf sich dann weinend auf ihre Ottomane. Als sie nach einer Weile ihre Thränen getrocknet, begann sie mit dem Fuße zu stampfen, Verwünschungen auszustoßen und endlich nachzudenken; plötzlich wurde sie ganz ruhig, ja heiter. Offenbar hatte sie einen Entschluß gefaßt, der ihr besondere Befriedigung gewährte. Sie kleidete sich an, ließ sich ein Pferd satteln und sprengte hinaus ins Freie.
Am nächsten Tage erschien Nadeschda wieder mit der größten Unbefangenheit bei dem Lever der Zarin; ihr Auge schien jedoch jemand zu suchen, zu vermissen. Erst als Graf Strogonoff eintrat, blieb es an seinem schönen Antlitz haften, und fortan schien ihre ganze Umgebung für die beleidigte Schöne nicht mehr zu existieren.
Der eitle Mann bemerkte bald die Herausforderung, welche in Nadeschdas Blick lag, und war schwach genug, auf ihre Koketterie einzugehen. Dadurch ermutigt, ließ Fräulein von Olsufiew keine Gelegenheit unbenutzt, um sich dem Verlobten ihrer Nebenbuhlerin zu nähern, und so offen, so ohne jede Rücksicht auf ihren Ruf zeichnete sie den Grafen aus, daß man von der Leidenschaft des schönen Mädchens für ihn am Hofe zu sprechen begann. Die Rolle, welche Strogonoff dabei spielte, schmeichelte ihm nicht wenig, er ahnte nicht, daß er sich bereits im Netze der rachsüchtigen Schönen befand und sie nur den günstigen Augenblick erwartete, um ihn ganz gefangen zu nehmen. Zuerst fühlte er etwas wie Mitleid für sie, dann begann er sich für sie zu interessieren und endlich liebte er sie und war außer sich vor Seligkeit, als sie ihm gestand, daß sie sein Gefühl teile, ja mehr noch, daß sie ihn vergöttere.
Wohin das Doppelverhältnis, in das er zu den beiden Nebenbuhlerinnen geraten war, führen sollte, Strogonoff wußte es selbst nicht; er spielte nicht mit ihnen, sondern sie spielten um ihn ein seltsames verhängnisvolles Spiel, und Nadeschda gewann in demselben. Die Prinzessin, die Untreue des Grafen nicht ahnend, hatte die Laune, obwohl ihre Eltern längst tot waren, ihre beabsichtigte Hochzeit im Vaterhause, ihre Trauung in der alten, halbverfallenen Kirche ihres Dorfes zu feiern. Sie begab sich, von den Segenswünschen der Kaiserin und des Hofes begleitet, auf ihre Güter und erwartete hier ihren Bräutigam, welcher noch in der Residenz seine Angelegenheiten zu ordnen hatte.
Es kam der Hochzeitstag, schon stand die Prinzessin im Brautkleide vor dem Spiegel, und ihre alte Amme befestigte ihr den Myrtenkranz auf den blonden Locken, als statt des Bräutigams einer seiner Reitknechte mit einem Briefe desselben eintraf.
Als die Prinzessin den Brief gelesen, entfärbte sie sich, begann zu zittern und sank dann ohnmächtig in die Arme ihrer Amme.
Zwei Wochen später erhielt sie die Nachricht von der Vermählung Strogonoffs mit Fräulein von Olsufiew und zugleich durch einen Kosaken ihrer Nebenbuhlerin einen Zettel, der nur das Wort enthielt: »Frauenrache.«
Fünf Jahre waren seit diesem traurigen Tage für die Prinzessin Gagarin verflossen; das unglückliche Mädchen hatte dieselben ferne vom Hofe und der großen Welt auf ihrem Schlosse in Perusow zugebracht. Sie lebte in tiefster Einsamkeit mit allerhand Studien im Geschmacke der Zeit beschäftigt, welche ihr den Beinamen der »Philosophin« eingetragen hatten. Da überraschte sie eines Tages die Botschaft von dem Tode des Grafen Strogonoff. Kurze Zeit darnach erschien die Prinzessin in der Residenz und wurde von der Kaiserin auf das Liebevollste empfangen.
Sie schien in das Grab des einst geliebten Mannes ihren Trübsinn und Menschenhaß versenkt zu haben, denn sie zeigte sich wieder unbefangen und heiter und liebenswürdig wie vordem, und es wurde der Zarin leicht, sie zu bestimmen, wieder in ihrer Nähe zu bleiben. Nadeschda, die Witwe des Grafen Strogonoff, brachte das Trauerjahr auf Reisen in Deutschland, Frankreich und Italien zu und kehrte nach Ablauf desselben gleichfalls an den Hof zurück. Man war auf das Wiedersehen der beiden Nebenbuhlerinnen nicht wenig gespannt. Alles kam indes ganz anders, als man erwartete.
Die Prinzessin schien die ihr zugefügte Kränkung vollkommen vergeben, ja vergessen zu haben, denn bei der ersten Begegnung eilte sie auf Nadeschda zu, schloß dieselbe zärtlich in ihre Arme und küßte sie. Die Gräfin, obwohl nicht wenig überrascht von dem Entgegenkommen der Prinzessin, beeilte sich, dasselbe in herzlichster Weise zu erwidern. Wenige Wochen vergingen, und die beiden Frauen, welche als die erbittertsten Feindinnen galten, waren die intimsten Freundinnen, und ihr Einvernehmen ging so weit, daß sie beschlossen, die heiße Sommerzeit, welche in der Residenz unleidlich war, gemeinschaftlich auf dem Schlosse der Prinzessin zuzubringen. Die große Reisekalesche der Letzteren brachte die beiden Damen nach Perusow.
Es war spät abends, als sie ankamen. Die Freundinnen nahmen noch einen Thee zusammen, dann zog sich die schöne Gräfin Nadeschda in ihren Schloßflügel zurück und die Prinzessin in ihr Schlafgemach, welches an dem entgegengesetzten Ende des Schlosses lag.
Als sie sich überzeugt hatte, daß die Gräfin zur Ruhe gegangen war, empfing Prinzessin Kathinka den Besuch eines jungen Mannes, mit dem sie eine längere Unterredung hatte.
Als er sie verließ, blieben sie noch einen Augenblick in der Thüre stehen.
»Vergiß nichts von allem, was ich Dir aufgetragen habe,« sprach die Prinzessin, »vergiß nicht, Sergius, daß ich es bin, der Du alles dankst, was Du bist, Deine Erziehung, die glückliche Lage, in der Du Dich befindest, und vergiß auch nicht, daß ich Dich belohnen kann, wenn Du mir gehorsam bist, und Dich strafen, Dich zertreten wie einen Wurm, wenn Du wagst, meinen Absichten entgegen zu handeln.«
Sergius verneigte sich tief, ja demütig vor der Prinzessin, küßte ihr die Hand und entfernte sich dann rasch.
Den nächsten Morgen, nachdem die Damen das Frühstück genommen, trat er schüchtern bei ihnen ein.
»Hier stelle ich Dir einen entfernten Verwandten von mir vor,« begann die Prinzessin zu Nadeschda gewendet, »Sergius Iwanowitsch Pauloff, einen ebenso bescheidenen als gut erzogenen und liebenswürdigen jungen Mann.«
Es hätte indes der Empfehlung der Prinzessin gar nicht bedurft, um die Gräfin auf Sergius aufmerksam zu machen. Er war so schön und benahm sich so fein und sprach so reizend französisch, wie nur irgend ein Ideal der Damen jener Tage.
Der Vorschlag der Prinzessin, auszureiten, wurde von Nadeschda dankbar angenommen. Als die Pferde vorgeführt wurden, beeilte sich Sergius, der Gräfin seine Hand zum Aufsteigen darzubieten. Nadeschda errötete, als sie den Fuß auf dieselbe setzte und sich in den Sattel schwang.
Als sie in das Schloß zurückkehrten, hatte das feurige Herz der Gräfin bereits in bedenklicher Weise Interesse für den jungen Mann genommen, und sie fand es gar nicht nötig, dies vor der Prinzessin zu verbergen, ja, sie ließ alle Minen springen, alle Künste der Koketterie spielen, um den Jüngling zu bezaubern und es gelang ihr vortrefflich. Noch in derselben Nacht stand Sergius mit der Guitarre unter ihrem Fenster und sang ihr eine Serenade voll Liebesglut und Poesie gleich einem spanischen Ritter, und die schöne Gräfin erschien, vom Sternenlicht umflossen, im Fenster und lächelte und nickte freundlich zu ihm herab.
Am nächsten Tage ließ die Prinzessin das Liebespaar, das sich so rasch zusammengefunden, nicht ohne Absicht viel allein; sie entschuldigte sich am Morgen mit Geschäften, welche sie an den Schreibtisch bannten, nachmittags mit Besuchen, welche sie in der Nachbarschaft zu machen habe. Nadeschda und Sergius scherzten indes in dem weiten Schloßgarten gleich ausgelassenen Kindern. Die Gräfin im leichten Nymphengewande von weißem Schleierstoff, das dunkle Haar mit roten Rosen geschmückt, verbarg sich bald in einer lauschigen Grotte von Tuffstein, bald hinter den hohen, grünen Taxuswänden, freilich nur, um Sergius im nächsten Augenblicke mit einem mutwilligen Liede an sich zu locken, und sich so immer wieder von ihm entdecken zu lassen. Endlich floh sie in einen kleinen chinesischen Pavillon, welcher einen kleinen Hügel krönte, und vergaß die Thüre zu sperren; hier wurde sie von Sergius gefangen, aber zugleich lag der Sieger zu ihren Füßen und schwur ihr ewige Liebe.
»Sergius,« murmelte das schöne, junge Weib, indem es sich gnadenvoll zu ihm herabbeugte, »ich will Sie nicht unnötig quälen, mein Herz und meine Hand sind frei – sie gehören Ihnen, wenn Sie wollen.«
»Wie kann ich wagen, ein so hohes Ziel anzustreben!« erwiderte Sergius, immer noch auf den Knieen vor ihr, »ja, wie kann ich nur daran denken, eine Frau von Ihrer vornehmen Geburt, Ihrer Stellung, Ihrem Reichtum mein zu nennen? Ich bin ein Mann, dessen Niedrigkeit und Armut schon das Verweilen in Ihrer Nähe als ein Verbrechen erscheinen läßt.«
»Wenn ich Ihnen aber sage, Sergius,« rief die Gräfin lachend, »daß ich mich nicht in einen Geldsack oder in irgend ein gräuliches Wappentier verlieben mag, daß ich Sie zum Gatten nehme, so wie Sie sind, ohne Titel, ohne Vermögen –.«
»Dies wäre Ihr Ernst, Nadeschda?«
»Fragst Du noch, Du Teurer, Vielgeliebter?« rief sie mit einer Leidenschaft, wie sie nur in der Brust einer vornehmen Russin jener Tage entstehen konnte.
»Aber die Prinzessin,« wendete Sergius ein, »sie wird niemals ihre Einwilligung erteilen.«
»Ist sie nicht meine Freundin?« sagte die Gräfin.
»Ich kenne sie, sie wird sich unerschütterlich zeigen,« antwortete Sergius.
»Zugegeben, daß es so wäre,« rief die Gräfin, »nun, dann werden wir sie nicht weiter fragen.«
»Das wäre mir unmöglich,« murmelte Sergius.
»Wie? Sind Sie so sehr abhängig von ihr?«
»Sie ist meine Wohlthäterin.«
»Warten wir also ab, was sie sagt,« schloß die Gräfin.
Denselben Abend noch erklärte die Gräfin ihrer Freundin, daß sie Sergius liebe und ihm die Hand reichen wollte.
»Aber das ist ja ganz unmöglich,« erwiderte die Prinzessin.
»Weshalb unmöglich?« forschte Nadeschda.
»Ich werde es als Deine aufrichtige Freundin niemals zugeben,« sprach die Prinzessin mit einer Strenge, welche keinen Widerspruch aufkommen ließ. Die Gräfin schwieg also für diesmal, als sie aber am nächsten Tage Sergius beim Dejeuner vermißte, fragte sie lebhaft nach ihm.
»Schlage Dir den jungen Menschen aus dem Kopf,« sprach die Prinzessin.
»Du meinst, weil er arm ist?«
»Ja, und dann sein Stand – sprechen wir nicht mehr von ihm.«
»Aber wo ist er?« fragte Nadeschda von neuem.
»Ich habe ihn fortgeschickt.«
»Wohin?«
»Auf eines meiner Güter, weit von hier, wo er Dich vergessen wird und Du ihn,« entgegnete die Prinzessin.
»Niemals!« schrie die Gräfin auf.
»Nun, wir versuchen es eben,« sprach die Prinzessin mit einem seltsamen Lächeln.
Die Gräfin machte in den nächsten Tagen Miene, sich zufrieden zu geben, aber sie forschte dabei ununterbrochen nach dem Aufenthalte des verbannten Sergius. Endlich gelang es ihr, eine Kammerfrau zu gewinnen und durch eine bedeutende Summe das Geheimnis seines Aufenthaltsortes zu erkaufen. Nadeschda schützte jetzt vor, daß eine wichtige Angelegenheit sie für einige Tage nach der Residenz führe. Die Prinzessin, in deren Auftrag jene Kammerfrau die Verräterin gespielt hatte, setzte der Abreise ihrer Freundin keinerlei Widerstand entgegen.
Die Gräfin fuhr wirklich bis in die Residenz, schickte dort die Kalesche der Prinzessin zurück und traf alle Anstalten, um ihren Anbeter aus seiner Gefangenschaft zu befreien.
Sergius spazierte eben auf dem Dorfe, in das ihn die Prinzessin gesendet, zwischen dem hohen Getreide und suchte blaue Kornblumen und roten Mohn, die er zu einem bunten phantastischen Kranze zusammenband, als die Gräfin plötzlich, aber nicht so unerwartet als sie glaubte, vor ihm stand.
»Nadeschda!« rief er, indem er sich zugleich vor ihr niederwerfen wollte – sie aber gab es nicht zu und schloß ihn in ihre Arme.
»Wie kommen Sie hierher?« stammelte Sergius verwirrt.
»Frage nicht, mein Geliebter,« flüsterte die Gräfin, »ich bin gekommen, Dich zu befreien. Dort, von den Bäumen jenes kleinen Haines verborgen, steht mein Wagen – er bringt uns nach der Residenz, wo in der Kapelle meines Palastes der Priester uns erwartet. Sonst ist es freilich üblich, daß der Kavalier seine Dame entführt, wir aber wollen es einmal umgekehrt versuchen.«
»Sie wollten –?«
»Ja, ich will Dich entführen,« lachte Nadeschda, »komm, besinne Dich nicht lange, eilen wir, ehe uns jemand entdeckt!« – Dann zog sie Sergius fort.
Als sie im Wagen saßen, und der Kutscher die Pferde antrieb, sagte die Gräfin: »Jetzt bist Du mein, und keine Gewalt dieser Erde soll Dich mir entreißen, aber was hast Du da für einen Kranz?«
»Ich dachte an Sie, als ich ihn wand,« flüsterte Sergius.
Die Gräfin nahm ihn und drückte ihn auf ihre Locken. »Wie steht er mir?«
»Wunderbar!«
»So – ich danke Dir!«
In dieser Weise scherzten sie, bis der Wagen durch die Einfahrt des gräflichen Palastes rollte und an dem Fuße der breiten Marmortreppe anhielt. Leibeigene in bunten reichen Livreen stürzten herbei die Gebieterin herauszuheben und den Saum ihres Gewandes zu küssen. Diese achtete ihrer indes nicht, sie dachte nicht einmal daran, Toilette zu machen; staubbedeckt, wie sie war, eilte sie mit dem Geliebten zur Kapelle und schien erst dann vollkommen beruhigt, als der Priester sie und Sergius mit dem unauflöslichen Bande der russischen Kirche für immer vereinigt hatte.
Es war seltsam, als das Paar den Altar verließ; die Gräfin glühte vor Erregung, während Sergius bis in die Lippen bleich war.
»Was hast Du, mein Geliebter, mein Gemahl?« sprach Nadeschda zärtlich.
»Nichts, nichts,« murmelte Sergius.
Die Neuvermählten nahmen rasch ein kleines Mahl zusammen ein, dann stiegen sie von neuem in den Wagen und verließen noch in derselben Stunde die Residenz.
Die Vermählung der Gräfin Strogonoff machte ungeheures Aufsehen. Die Zarin zürnte, daß dieselbe ohne ihre Einwilligung stattgefunden, die Verwandten ereiferten sich über die Wahl Nadeschdas, nur eine einzige Person, jene, von welcher der höchste Ausbruch des Unwillens zu erwarten war, die Prinzessin Kathinka Gagarin, brach beim Empfang der Vermählungsbotschaft in wilden Jubel aus.
Wie dies kam? Dies Rätsel wird die Zeit uns bald lösen.
Zwei Monate weilte die Gräfin mit ihrem Gemahle im Auslande, und während dieser Zeit schwelgten sie beide in Liebe und frohem Genuß des Lebens. Mit Beginn des Winters kehrten sie zurück. Gleich nach ihrer Ankunft begannen drohende Wolken für sie heraufzusteigen; die Verwandten, die Freunde zogen sich von ihnen zurück, und als die Gräfin sich der Zarin zu Füßen werfen wollte, um ihre Vergebung zu erflehen, wurde sie von derselben nicht empfangen.
Die Prinzessin Gagarin befand sich, trotz der rauhen Jahreszeit, auf ihrem Schlosse. Zu ihr eilte jetzt Nadeschda in Begleitung ihres Gemahles. Wider Erwarten empfing die Freundin sie herzlich, ja, mit sichtlicher Freude, und bot ihr unaufgefordert ihre Vermittlung bei der Kaiserin an.
Nachdem sie ihren Gästen die besten Zimmer des Schlosses angewiesen, begab sich die Prinzessin nach der Residenz, um die Monarchin zu versöhnen. Nach einigen Tagen schon konnte sie mit den glänzendsten Hoffnungen heimkehren. Die Zarin – so eröffnete sie der Gräfin – hatte zugesagt, an einem Feste teilzunehmen, das die Prinzessin auf ihrem Schlosse veranstalten wollte. Bei dieser Gelegenheit sollte sich Nadeschda der Kaiserin zu Füßen werfen und die letztere werde nicht zögern, sie aufzuheben und ihr zu vergeben.
Die Gräfin dankte der aufopfernden Freundin in den übertriebendsten Ausdrücken; diese lehnte jedoch vorläufig alle Danksagungen ab und beschäftigte sich nur mit dem Arrangement des projektierten Festes.
Endlich war alles bereit. Wagen auf Wagen kamen aus der Residenz und brachten der Prinzessin ihre vornehmen Gäste. Zuletzt stieg aus vergoldeter Karosse die Zarin Elisabeth, die schönen verweichlichten Glieder in einen kostbaren Pelz gehüllt, und hob die Prinzessin, welche sie am Fuße der Treppe knieend empfing, auf und küßte sie liebevoll auf die Stirne.
Nachdem die Monarchin Toilette gemacht, versammelte sich die ganze vornehme Gesellschaft in dem weitläufigen Prachtsaale des Schlosses bei der Tafel. Die Kaiserin, welche eine veilchenblaue Samtrobe mit reichem Hermelinbesatz trug, schien besonders aufgeräumt und unterhielt sich mit ihrer Umgebung in ungezwungenster Weise.
Plötzlich näherte sich ihr die Prinzessin, Nadeschda an der Hand führend. Elisabeth runzelte ein wenig die Stirne, als die Gräfin aber sich vor ihr niederzuwerfen und laut zu weinen begann, reichte sie ihr gnädig die Hand zum Kusse und sprach, während ein eigentümliches, halb spöttisches Lächeln um ihre vollen Lippen spielte: »Ihnen ist vergeben, Nadeschda, – aber wo ist Ihr Gemahl? Ich will ihn kennen lernen!«
Es lag in den Mienen der Zarin, so sehr sie sich in diesem Augenblicke auch zu verstellen suchte, dennoch ein Zug, der es verriet, daß sie in das Geheimnis dessen, was nun erfolgte, eingeweiht sei. Daß sie, die Gekrönte, sich dazu hergab, bei einer solchen Scene mitzuspielen, das beweist am deutlichsten ihre Lust am grausamsten Ränkespiel und ihr verderbtes Gemüt.
»Er wird dem Befehle Eurer Majestät auf der Stelle Folge leisten,« sprach die Prinzessin, während sie zugleich Nadeschda neben sich einen Platz an der Tafel anwies.
In dem Augenblicke trat Sergius mit den Dienern der Prinzessin herein; aber er trug nicht die glänzende Hofkleidung, sondern die Tracht eines russischen Bauern, das Haar wie ein Leibeigener geschnitten. Er näherte sich der Kaiserin, eine Flasche Burgunderweines, den Elisabeth so sehr liebte, in der Hand.
»Was soll das – Sergius?« murmelte Nadeschda.
»Das soll bedeuten«, rief die Prinzessin sich erhebend mit scharfer weithin tönender Stimme, »daß ich im Begriff bin, eine Schlange zu zertreten, die ich lange genug in meinem Hause gehegt habe. Dieser Mensch dort, Sergius Pauloff, der Gemahl der Gräfin Strogonoff, ist mein Leibeigener!«
Die Kaiserin stieß ein kurzes Lachen aus, während die Gräfin mit einem Schrei zusammensank, aber sie raffte sich schnell wieder auf und stürzte auf Sergius zu. »Es ist unmöglich,« rief sie, »Sergius sprich –«
»Es ist so, wie die Prinzessin, meine gnädige Gebieterin, es sagt,« erwiderte Sergius, die Augen niederschlagend.
»Elender!« murmelte die Gräfin, indem sie sich vernichtet abwandte.
»Thu', wie ich Dir befahl!« rief jetzt die Prinzessin.
Sergius näherte sich der Kaiserin, um das Glas derselben zu füllen; aber seine Hand bebte, und der Wein ergoß sich wie ein roter Blutstrom über das schimmernde Pelzwerk ihrer Robe.
»Ungeschickter!« rief die Zarin, und zugleich klatschte die Hand der Prinzessin zweimal auf der Wange des armen Sergius.
»Elender Sklave!« rief sie, »das sollst Du mir büßen. Ergreift ihn und gebt ihm hundert Peitschenhiebe.«
Die Diener stürzten sich auf Sergius, welcher nicht einmal den Versuch machte, sich zur Wehre zu setzen, und führten ihn fort.
»Gnade!« schrie die Gräfin auf, »Gnade für meinen Mann!«
Die Prinzessin schüttelte den Kopf. »Nein, schöne Gräfin, in unserem Wörterbuche ist dieses Wort gestrichen, denn – Sie wissen ja – Frauenrache ist grausam!«
»Erbarmen, Kathinka!« stammelte die Gräfin, indem sie sich vor ihrer Nebenbuhlerin niederwarf und ihre Knie umfaßte.
Die Prinzessin hatte keine andere Antwort für sie als ein gellendes Hohngelächter. Nadeschda versuchte es, sich zu erheben, in der Absicht, Sergius nachzueilen aber sie sank zu Boden und wurde ohnmächtig auf ihr Zimmer gebracht.
»Nun bitte ich Dich aber selbst um Gnade für Sergius,« flüsterte die Zarin der Prinzessin in das Ohr.
»Majestät, ich denke ja gar nicht daran, ihn peitschen zu lassen,« erwiderte diese ebenso leise, »aber sie muß glauben, daß der Mann, den sie liebt, unter der Knute blutet.«
Als die Gäste das Schloß verlassen hatten, saß die Prinzessin in ihrem Boudoir auf einer Ottomane, und vor ihr kniete Sergius.
»Du hast Deine Rolle gut gespielt,« sprach sie huldvoll, »meiner Erziehung alle Ehre gemacht, Du sollst dafür auch belohnt werden und Deine kleine Kascha, die Du schon früher gerne als Braut heimführen wolltest, bekommen!«
Sergius beugte sich demütig zu dem Fuße seiner Herrin nieder und preßte einen dankbaren Kuß auf denselben.
Vergebens bot die Gräfin unerhörte Summen, um ihren Gemahl, den sie mit einer Art Wahnsinn liebte, ja anbetete, aus der Gewalt ihrer Feindin zu befreien. Als sie sah, daß alles an dem Marmorherzen derselben abprallte, Bitten ebenso gut als Drohungen, zog sie sich mit gebrochenem Herzen in ein Kloster zurück, in welchem sie nach kaum einem Jahre starb.
An dem Tage, wo die Prinzessin Kathinka von dem Ende ihrer Nebenbuhlerin Nachricht erhielt, schenkte sie Sergius die Freiheit und vermählte ihn kurze Zeit darnach mit der schon genannten Kaschka, der sie ein hübsches Bauerngut zur Aussteuer gab.