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Die letzten Tage Peter des Großen.


I.

In einem mit herrlichen Gemälden niederländischer Künstler geschmückten und mit asiatischer Pracht eingerichteten Gemache des kaiserlichen Palastes zu Petersburg ging der allmächtige Günstling Peter des Großen, Fürst Mentschikoff, mit seinem Freunde Rumianzoff in vertraulichem Gespräch auf und ab. Der Erstere, ein stattlicher Mann mit hübschem Gesicht, aber gemeinen Zügen, das Haar nach französischem Schnitt und bis auf den volkstümlichen Schnurrbart glatt rasiert, trug die russische Feldmarschallsuniform, grün mit Gold. Sein helles Auge, aus welchem die ganze Schlauheit eines russischen Bauers sprach, war nicht imstande, eine gewisse innere Freude zu verbergen, während er mit offizieller Trauer in Miene und Haltung die wichtigen Mitteilungen seiner ergebenen Kreatur entgegennahm.

»Und ist dies alles verbürgt?« fragte er endlich einen Augenblick innehaltend.

»Verbürgt, sehr wohl verbürgt,« sagte Rumianzoff, »meine Nachrichten kommen von Tolstoi, welcher, wie Eurer Excellenz wohlbekannt sein wird, seit dem Beginn des persischen Krieges sich immer in der unmittelbaren Nähe Seiner kaiserlichen Majestät befindet.«

»Peter ist also wirklich ernsthaft krank?«

»Sehr ernsthaft,« erwiderte Rumianzoff, »sehr gefährlich, ja, wenn man den französischen Aerzten, welche ihn begleiten, glauben darf, unheilbar.«

»Hm! Wir müssen also bei Zeiten unsere Anstalten treffen,« murmelte der Fürst.

»Wer soll, wenn ich wagen darf, die Ansicht Eurer Excellenz einzuholen, wer soll nach dem Tode des Zaren den Thron besteigen?«

»Wer sonst als Katharina!« fiel Mentschikoff beinahe heftig ein.

»Katharina?« staunte der Vertraute, »ich dachte doch –«

»Laß Deine Gedanken bei Seite,« rief Mentschikoff »sie sind überflüssig, Leute wie Du sollen nicht denken, sondern gehorchen, ausführen, was andere wohl bedacht haben.«

»Das versteht sich ja von selbst,« entschuldigte sich Rumianzoff, »Excellenz wissen, daß Sie unbeschränkt über mich gebieten, aber man darf doch Meinungen haben, Vermutungen.«

»Nun, was vermutest Du also?« sprach der Fürst lächelnd.

»Ich vermute, daß Katharina, welche wohl die Gemahlin des Zaren ist, aber nicht von kaiserlichem Blute –«

»Sie war eine Leibeigene, ganz richtig, wie ich – Pastetenbäcker,« unterbrach der Fürst seinen Freund; »wenn man aber, wie Du siehst, vom Pastetenbäcker Fürst, Minister und Feldmarschall werden kann, so sehe ich kein Hindernis, daß eine Leibeigene den Thron besteigen könnte. Uebrigens ist Katharina bereits gekrönt, und, was die Hauptsache ist, Peter hat sie in seinem Testamente zu seiner Nachfolgerin bestimmt.«

»Wirklich,« erwiderte Rumianzoff, »dann gratuliere ich Eurer Excellenz von ganzem Herzen, denn wenn Katharina regiert, so heißt das so viel, Mentschikoff ist Alleinherscher aller Reußen.«

»Du überschätzest meinen Einfluß auf diese herrschsüchtige Frau, die sich ihr ganzes glänzendes Schicksal selbst gemacht hat,« sagte der Fürst.

»Aber man spricht doch davon, daß –« Rumianzoff wagte nicht, seinen Satz zu vollenden.

»Wovon spricht man?« rief der Fürst. »Du weißt, ich höre gern die Wahrheit und die öffentliche Meinung, wenn diese letztere auch nicht immer die Wahrheit, also besorge nichts, sage mir alles.«

»Man spricht so, das dumme Volk nämlich –«

»Und der Hof wohl auch?«

»Ja, auch der Hof,« bestätigte Rumianzoff, »aber Excellenz werden mir wirklich nicht böse werden?«

»Nein, nein, also was spricht der Hof?«

»Man meint, Excellenz hätten mit feiner Absicht Ihre damalige Sklavin und – und –«

»Und Maitresse –«

»Und Maitresse, Katharina, dem Zaren zugeführt, um durch sie denselben um so sicherer zu beherrschen.«

»Was diese Leute nicht alles wissen,« murmelte Mentschikoff, »zugeführt hätte ich sie dem Zaren! Verborgen habe ich sie vor ihm, vergraben, wie man einen Schatz vergräbt, denn ich war rasend in sie verliebt, rasend sag' ich Dir. Hättest Du sie nur gesehen, wie schön sie war, wie munter, immer guter Laune, wie verführerisch, das war ein Leben, als ich sie besaß, ich habe seitdem keine so vergnügten Stunden mehr gehabt. Wie verbarg ich sie vor ihm, aber Peter entdeckte sie doch, oder besser gesagt, sie verstand es, sich von ihm entdecken zu lassen, die Herrschsüchtige, die Kokette, und von dem Augenblick an, wo sie außer Zweifel war, daß sie auf den Kaiser Eindruck gemacht hatte, war ihr Plan fertig, stand ihr großes Ziel deutlich vor ihrem Geiste, nun sie hat es erreicht. Ich aber, ich hätte vor Wut und Eifersucht sterben mögen, als mir Peter sagte: »Sie gefällt mir, ich nehme sie mit.« Als sie für mich verloren war, entzückte sie mich noch weit mehr als damals, wo alle ihre Reize mir zur Verfügung standen, und so spaßhaft es Dir vorkommen mag, ich gäbe heute noch viel darum, dieses Weib, das mich in so schlauer Weise verraten hat, zu besitzen.«

»Katharina ist noch immer ein sehr begehrenswertes Weib,« bemerkte Rumianzoff; »man behauptet übrigens daß auch Eure Excellenz in großer Gunst bei ihr stehen.«

»Gunst?« lachte Mentschikoff, »es fehlte noch, daß meine ehemalige Sklavin mich mit dem Stocke traktieren würde, wie Peter der Große seine Getreuen, wenn er übler Laune ist. Gunst? Sie fühlt, daß sie etwas gut zu machen hat mir gegenüber, und so hat sie stets, soweit es ihr die Klugheit erlaubte, meine Partei ergriffen, das ist nicht zu leugnen.«

»Man spricht aber, daß Katharina in einem näheren Verhältnis –« meinte der Vertraute.

Mentschikoff lachte laut auf. »Sie? – Sie ist zu klug, sich mit mir oder irgend jemand einzulassen. Von dem Augenblicke an, wo sie die Geliebte des Zaren war, durfte ich ihr nur noch als Diener nahen, dann, als sie seine Gemahlin wurde, war ich mit einem Schlage ihr Unterthan, ihr Sklave, verstehst Du, und wenn ich es gewagt hätte, mehr als den Saum ihres Kleides zu küssen, es hätte mir den Kopf gekostet. Sie hätte mich geopfert, ohne nur mit den Wimpern zu zucken, aus Klugheit, verstehst Du?«

»Sonderbar,« sprach Rumianzoff, »sonderbar,« und schüttelte den Kopf.

Der Fürst füllte aus einer Flasche Sauterne, die auf dem Tische stand, sein Glas mit Wein und leerte es auf einen Zug. »Aber sprechen wir von dem persischen Feldzug,« sagte er dann, »wir haben schlimme Nachrichten, sehr schlimme Nachrichten.«

»Wie?«

»Der ganze Troß unserer Armee, somit Proviant und Munition, ist in der Gegend von Astrachan den Elementen zum Opfer gefallen.«

»Die Elemente waren also sehr gefällig gegen den Fürsten Mentschikoff,« meinte der gute Freund.

Der Fürst runzelte ein wenig die Stirn. »Der Kaiser,« fuhr er dann fort, »wird in eine unangenehme Lage kommen, seine Truppen werden nichts zu essen haben, und, was noch weit schlimmer ist, es wird bald an Pulver und Blei fehlen.«

»Eine abscheuliche Geschichte,« seufzte Rumianzoff, »der Kaiser wird sehr zornig werden.«

»Das fürchten wir.«

»Sagen wir lieber: das hoffen wir,« fiel Rumianzoff ein, »denn Zorn ist ungesund, und so wäre bei dem Zustande Peters zu erwarten –«

»Dieser Feldzug gegen Persien war eine wahnsinnige Unternehmung«, fiel Mentschikoff ein, »der Kaiser hat ihn unternommen, und wir werden ihn verantworten müssen.«

»Darum wäre es wohl besser, wenn –«

»Wenn?«

»Wenn der Zar, ehe das Unheil hereinbricht, das Zeitliche segnen würde,« schloß der Vertraute.

»Freilich! Freilich! Aber es wird noch einige Zeit brauchen,« murmelte Mentschikoff, »dieser Peter ist keine Filigranarbeit, sondern eine eiserne, unverwüstliche Russennatur, der Prozeß der Auflösung wird bei ihm nicht so rasch erfolgen.«

»Man könnte ja denselben beschleunigen,« sagte Rumianzoff leise.

»Beschleunigen,« entgegnete Mentschikoff, »ich sehe, Du hast wirklich manchmal Gedanken, gute Gedanken, äußere sie aber keinem andern gegenüber, es könnte Dir den Kopf kosten. Wir wollen die Sache überlegen. Du hast vortreffliche Einfälle, mein Freund.«

»Auf mich können Eure Excellenz in jedem Falle zählen,« sagte der Vertraute, indem er sich tief verneigte.

»Ich zähle auch auf Dich,« entgegnete der Fürst, »ich zähle sehr auf Dich, aber es ist noch nicht an der Zeit. Die wahre Weisheit besteht nicht darin, seine Pläne rücksichtslos zu verfolgen, sondern vielmehr, die Verhältnisse und Thatsachen auszubeuten. Es heißt warten, warten vor allem, wie sich die Dinge in Persien gestalten.«

»Katharinas sind Eure Excellenz doch vollkommen sicher?« forschte Rumianzoff.

»Wie oft soll ich Dir noch sagen, daß ich ihrer gar nicht sicher bin,« schrie der Fürst auf, »ich habe, seitdem der Kaiser sie mir in Livland weggenommen hat, nicht zwei Worte mit ihr unter vier Augen gesprochen.«

»Wäre das möglich?«

»Es ist so.«

»Aber ihrer Neigung sind Sie doch sicher?«

Mentschikoff zuckte die Achseln.

»Es ist bekannt, daß Katharina Sie geliebt hat.«

»Geliebt! – mich!« rief der Fürst, »wer kann sagen, daß ihn dieses Weib geliebt, daß sie überhaupt geliebt hat. Ich weiß nicht, ob sie mich geliebt hat, aber so viel weiß ich, daß sie den Kaiser nicht liebt; sie ist klug genug, sich in ihn zu finden, sich ihm unterzuordnen. Aber ich müßte mich sehr täuschen, wenn sie seiner Tyrannei nicht überdrüssig wäre, wenn sie nicht etwas wie Haß gegen ihn empfände.«

»Das wäre etwas,« meinte Rumianzoff, »da ließe sich anknüpfen.«

Der Fürst war indes an das Fenster getreten. »Da ist sie,« murmelte er.

»Wer?«

»Die Kaiserin, sie macht ihre Promenade im Park.«

»Ist das nicht Frau von Ball, welche sie begleitet?«

»Allerdings.«

»Sie soll seit neuester Zeit sehr in Gunst stehen bei Hofe,« warf Rumianzoff hin.

»Bei Katharina, ja,« erwiderte Mentschikoff, »von niederländischen Eltern in Rußland geboren, besitzt sie die feine französische Bildung, ohne in unseren Sitten fremd zu sein, daher der doppelte Zauber, den sie übt. Aber sieh doch einmal die Zarin an, ist sie nicht noch immer ein reizendes Weib, ein Weib, um dessentwillen man dumme Streiche machen könnte?«

Rumianzoff lächelte. »Sie ist in der That schön, und selbst ihre Körperfülle dient nur dazu, sie noch verführerischer zu machen, aber deshalb werden wir es doch anderen überlassen –«

»Dumme Streiche zu machen?« unterbrach ihn Mentschikoff. »Allerdings, um uns damit zu begnügen, dieselben zu unserem Vorteil auszubeuten.«


II.

Nachdem Katharina mit ihrer Begleiterin die große Allee des Parkes wiederholt hin und zurück gemessen hatte, blieb sie stehen und seufzte. »Es ist genug,« sprach sie dann, »es wird dunkel und kühl, gehen wir hinauf. Aber was fangen wir heute an? Eigentlich ist es doch sehr langwellig, seitdem der Zar fort ist; so rasch und heftig auch sein Wesen ist, wo er ist, ist Leben, Bewegung, man kommt nicht zur Ruhe.«

»Und fühlen sich Majestät wohl bei diesem Leben?« fragte Frau von Ball.

»Mindestens verzweifle ich nicht vor Langweile wie jetzt,« rief Katharina.

»Majestät vermissen den Zaren so sehr, weil Sie ihn lieben,« bemerkte die Begleiterin.

»Weil ich ihn liebe,« wiederholte Katharina und versank in Nachdenken. »Wissen Sie, liebe Ball, daß ich eigentlich nie geliebt habe? Ich muß es mindestens glauben, nach allem, was ich von anderen über dieses süße, trunkene Gefühl höre. Ich habe von der Süßigkeit der Liebe wenig empfunden. Die Schuld mag an mir liegen.«

»Nein, sie liegt an diesen Männern, welche in dem Weibe nicht die Krone der Schöpfung sehen, wie andere gebildete Nationen, sondern die Sklavin ihrer Lüste.«

»Man liebt also in Frankreich anders wie bei uns?« fragte die Kaiserin.

»Ja, meine Mutter hat es mir oft genug erzählt, wie dort der Mann der Sklave der Geliebten ist, welche er knieend anbetet, der er mit Begeisterung dient, ihr Ritter, der jeden Augenblick bereit ist, für ihren Besitz, ihre Ehre sein Leben im Zweikampf hinzugeben.«

»Ich kann nicht leugnen, ich möchte so eine Liebe kennen lernen,« erwiderte Katharina, »aber wie wäre das möglich, für mich möglich?«

»Gerade für Sie,« rief Frau von Ball, »ist nichts unmöglich, sobald Sie nur wollen. Sind Sie die Gemahlin eines mächtigen Monarchen, die Beherrscherin eines großen Reiches geworden, um als Kaiserin Sklavin zu bleiben? Was ist Ihre ganze Macht, wenn sie nicht einmal imstande ist, Ihnen Ihr Leben mit jenen Dingen zu schmücken, nach denen Ihr Herz verlangt?«

Die Zarin begnügte sich zu seufzen.

»Sie liebten den Kaiser nicht,« fuhr die Vertraute fort.

Katharina machte eine abwehrende Bewegung.

»Ich bin lange genug an diesem Hofe,« sprach Frau von Ball, »um alle Verhältnisse zu durchblicken, Sie lieben Peter den Großen nicht. Sie waren ehrgeizig, gut, Ihr Ehrgeiz hat sein Ziel erreicht, wenn Sie aber jetzt auf dem Gipfel Ihrer Macht dieselbe nicht zu genießen wissen, wenn Ihr Leben arm bleibt an allen wirklichen Freuden, wie das Leben einer Sklavin, war dieses Ziel dann dieser Anstrengungen, der Opfer, die Sie gebracht haben, wert?«

»Sie irren sich,« entgegnete Katharina, »wenn Sie glauben, daß Peter mir gleichgültig ist. In der rohen Kraft, ja, in der Tyrannei des Mannes liege ein großer Reiz für das Weib, das nicht zur Herrschaft berufen ist.«

»Nicht zur Herrschaft der Gewalt,« gab Frau von Ball zur Antwort, »aber zu der Herrschaft der Liebe.«

In diesem Augenblicke, die beiden Damen waren bereits nahe dem Palaste, ertönte in einiger Entfernung im Garten zuerst eine Laute und dann eine wunderbare Tenorstimme, welche ein elegisches italienisches Lied sang.

Die Kaiserin horchte und blieb, die Hand auf den Arm ihrer Begleiterin gestützt, stehen, bis die letzten Accorde verklungen waren.

»Ein schönes Lied und eine noch schönere Stimme,« sagte sie dann, zur Freundin gewendet, »wer mag der Sänger sein?«

»Ich habe keine Ahnung,« erwiderte die Vertraute.

»Suchen Sie es zu erfahren, ich gäbe viel, sehr viel darum, ihn zu kennen,« rief Katharina, »es muß eine poetische Natur sein, einer von jenen Rittern, welche Sie mir so verführerisch geschildert haben, welche vor uns knieen und uns anbeten als die Krone der Schöpfung.«

»Ich will ihn aufsuchen,« sprach Frau von Ball.

»Nein, nein,« fiel die Kaiserin ein, »und doch – ja. Gehen Sie, oder noch besser – gehen wir zusammen.«

Die beiden Frauen durcheilten hierauf die Laubgänge des weitläufigen Parkes. Von Zeit zu Zeit tönte leise die Laute und zeigte ihnen so den Weg. Plötzlich hielt Frau von Ball inne und wies auf einen künstlichen Felsen hin, welcher sich neben dem Bassin eines Springbrunnens erhob. »Dort sitzt er,« flüsterte sie, »er hält die Guitarre im Arme, es ist kein Zweifel. Soll ich ihn ansprechen?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Ich will es selbst thun,« sprach die Zarin.

»Um so besser,« ermunterte sie ihre Vertraute, »ich will indes Wache halten, damit uns niemand überrascht.«

Katharina näherte sich rasch dem Bassin. Der Sänger schien sie nicht zu bemerken, bis sie vor ihm stand und ihre kleine, von Malern und Bildhauern so sehr bewunderte Hand auf seine Schulter legte. Jetzt zuckte er zusammen und erhob sich in unbeschreiblicher Verwirrung; er hatte die Kaiserin erkannt, aber nicht das brachte ihn um seine Geistesgegenwart, sondern die gebietende Schönheit des üppigen Weibes, das vor ihm stand, und der tiefe, herrliche Ton ihrer Stimme.

»Ich danke Ihnen,« begann Katharina. »Ihr Lied hat die bösen Geister verscheucht, welche meine Seele gefangen hielten in Trübsinn und Finsternis. Ihre Stimme hat mich erlöst, diese seltsam süße, wehmütige Stimme.«

»Fort, fort,« unterbrach sie in diesem Augenblicke Frau von Ball, »es nahen Schritte vom Palaste her.«

Der Sänger beugte ein Knie vor der Zarin, erhob sich dann und verschwand rasch hinter der Taxuswand des nächsten Laubganges.

Die Kaiserin kehrte hierauf mit ihrer Begleiterin in den Palast zurück, sie zeigte sich den ganzen Abend auffallend zerstreut und ging früh zu Bette.

»Das wäre ein Mann, den ich lieben könnte,« sagte sie beim Auskleiden plötzlich zu Frau von Ball.

»Wer?« fragte diese.

Katharina gab ihre keine Antwort.


III.

»Wissen Sie, daß ich von ihm geträumt habe?« waren die ersten Worte der Kaiserin, welche sie am nächsten Morgen sprach, als Frau von Ball bei ihr eintrat.

»Von dem Sänger?«

»Ja, es war ein komischer Traum,« sagte Katharina.

»Hier in meinem Schlafgemache stand der schöne Jüngling vor mir und schwur mir Liebe. Ich aber wehrte ihn ab und sagte: ›Ich will jene Liebe, welche den Mann zum Sklaven der Geliebten macht, zu ihrem Ritter, der für sie zu sterben versteht? Da nahm er – es ist zu komisch – denken Sie, da nahm er seinen Kopf ab, etwa wie man einen Hut abnimmt, und legte ihn vor meine Füße. Jetzt erst bemerkte ich, daß ein Blutstrom aus demselben floß, welcher sich immer mehr ausbreitete, höher und höher stieg und mich zu verschlingen drohte. Ich schrie auf, da war mit einem Male aus dem Blute, das mich umrieselte ein roter Kaisermantel geworden, welcher majestätisch von meinen Schultern herunterfloß.«

»Ein merkwürdiger Traum,« sprach Frau von Ball.

»Er scheint mir eine Warnung.«

»Wie?«

»Eine Warnung, mich nicht diesem Gefühle hinzugeben, welches seit gestern Abend mein Herz beunruhigt,« entgegnete Katharina II., »und doch, ich muß wissen, wer der Sänger ist, ich will ihn sprechen, forschen Sie nach.«

»Es ist unnötig, Majestät,« flüsterte Frau von Ball. »Ich kenne jetzt den Sänger.«

»Ist es ein Fremder? Nicht?« rief die Zarin.

»Es ist mein Bruder Moens de la Croix,« erwiderte Frau von Ball.

»Ihr Bruder?«

»Ja, Majestät.«

Katharina ging in einer Aufregung, welche ihre Vertraute noch nie an ihr bemerkt hatte, in ihrem Schlafgemache auf und ab. Endlich sagte sie: »Ich vertraue Ihnen. Schweigen Sie über alles, was Sie seit gestern Abend gesehen und gehört haben. Ich will Ihren Bruder in meiner Nähe haben. Ich ernenne ihn zu meinem Pagen, und heute noch soll er sein Amt antreten.«

»Welche Gnade, Majestät,« rief Frau von Ball, sich der Monarchin zu Füßen werfend.

»Zeigen Sie sich derselben würdig,« erwiderte Katharina, »indem Sie dieselbe nicht mißdeuten. Schweigen Sie auch Ihrem Bruder gegenüber, er darf nicht wissen, nicht einmal ahnen, welchen Eindruck er mir gemacht hat, denn ich bin entschlossen, dieses Gefühl, das in mir mächtiger zu werden droht, als meine Einsicht und mein Wille, zu bekämpfen. Würde ich anders handeln, ich würde nicht allein mich, sondern Moens mit mir verderben, und das soll nicht sein. Sie kennen unsern Hof, Sie kennen den Zaren, verletzen Sie unser gefährliches Geheimnis mit keinem Worte, keiner Miene.«

»Majestät können mir in jeder Weise vertrauen,« sagte Frau von Ball.

»Stehen Sie auf,« gebot Katharina. »Staunen Sie auch nicht darüber, daß ich Moens in meiner Nähe haben will; sein liebes Antlitz, seine wunderbare Stimme werden mir den Kampf erleichtern. Er muß mir, jedesmal wenn Trübsinn mich befällt oder mein Herz wankend wird, eines seiner Lieder singen, das wird mich stärken, erheben, mir neue Kraft geben zum Kampfe mit mir selbst. Und endlich, lachen Sie nicht über mich, ich bin kein junges Mädchen mehr, ich weiß es, aber ich liebe dennoch zum ersten Male, dies wird mich vielleicht in Ihren Augen rechtfertigen.«

»O, Majestät!« rief die Vertraute.

»Gehen Sie jetzt und bringen Sie mir Ihren Bruder,« schloß die Zarin.

Frau von Ball suchte auf der Stelle Moens auf. »Die Kaiserin hat Dich zu ihrem Pagen ernannt,« rief sie ihm zu. Der junge bescheidene Mann fand im ersten Augenblick kein Wort der Erwiderung, kein Zeichen der Freude.

»Nun, Du jubelst nicht,« fuhr Frau von Ball fort, »Du machst sogar ein recht einfältiges Gesicht. Mein Kind, Du weißt vielleicht nicht, was diese Ernennung bedeutet? Sie heißt so viel als, die Kaiserin ist Dir gewogen, und Katharina liebt Dich!«

»Katharina!« schrie Moens auf, »Katharina liebt mich?«

»Nun, was ist da so besonders daran,« entgegnete Frau von Ball, »es ist nicht das erste Mal, daß eine Monarchin ihren Unterthan, ihren Diener liebt. Aber vorläufig darfst Du ihr nicht merken lassen, daß Du etwas von ihrer Leidenschaft für Dich weißt, denn sie will sich bezwingen. Sie fürchtet Peter den Großen, das ist alles.«

»Sie hat recht,« murmelte Moens, »ich zittere bei dem Gedanken schon, für – sie, nicht für mich, denn ich würde mein Leben gern für sie hingeben.«

»Dein Leben, und Du zitterst für – sie,« wiederholte Frau von Ball, »Du liebst also Katharina?« Moens blieb stumm.

»Du liebst sie,« murmelte die Schwester, »um so besser. Du wirst also, was ich beabsichtigt habe, gern und freudig thun.«

»Wie?«

»Du mußt die Zarin vollkommen erobern,« flüsterte Frau von Ball; »Peter der Große kann unmöglich lange mehr leben, dann besteigt Katharina den Thron, und wir regieren mit ihr Rußland.«

»Welche tollen Gedanken, welche gefährlichen Pläne,« rief Moens, »nie werde ich mich zu ähnlichen Intriguen mißbrauchen lassen. Ich liebe nicht die Zarin, ich liebe Katharina, das schöne, liebenswürdige Weib.«

»Du bist ein Kind, wir reden noch mehr davon, zieh' Dich schön an, wir gehen zur Kaiserin,« sagte Frau von Ball. Sie dachte jetzt nur daran, ihren Bruder herauszuputzen; der flüchtige Eindruck im Parke mußte erneuert und verstärkt werden, das war ihr vor allem klar. Alles weitere, dachte die ehrgeizige Frau, müßte sich von selbst machen, wenn nur die Kaiserin erst Moens wirklich liebe. Frau von Ball half dem auf das Höchste Verwirrten sein Halstuch binden und machte ihm dann eine kühne Frisur.

Endlich war er fertig und konnte ihr in den Palast folgen. Katharina, die sonst so kluge, kalte Frau, war unfähig, ihre Bewegung zu verbergen, als Frau von Ball mit ihrem Bruder eintrat; flammende Röte bedeckte ihre Wangen und stieg bis zu der gebieterischen Stirn empor, ihr Busen flog heftig auf und ab und ihre Augen flammten dem Geliebten entgegen.

Es wurden nur wenige ceremonielle Worte gewechselt, dann entließ die Zarin ihren neuen Pagen mit einer leichten Handbewegung.

Vom diesem Augenblicke an blieb Moens de la Croix jedoch beinahe ununterbrochen in der Nähe Katharinas, freilich nie, ohne daß seine Schwester Zeuge ihres Beisammenseins gewesen wäre. Um ihn zu sehen, zu sprechen, erfand die Zarin tausend kleine Dienstleistungen, denen sich Moens mit einer Begeisterung unterzog, welche nur aus wahrer Liebe zu ihr entspringen konnte. Nicht zwei Wochen waren vergangen, und es konnte im Hause der Kaiserin, am Hofe nichts geschehen, ohne den Pagen Moens und folglich ohne seine herrschsüchtige Schwester, welche die Zügel immer mehr an sich riß und auf diese Weise bald Anlaß zur allgemeinen Unzufriedenheit gab; aber Katharina hörte nichts, wollte nichts hören. Sie war glücklich zum ersten Male in ihrem so reich bewegten Leben, und doch nahte ihr Moens nur als ergebener Diener und berührte nie mehr als die Spitzen ihrer rosigen Finger, wenn sie ihm ihre schöne kleine Hand zum Kusse reichte.

Wenn der Abend kam, saß der schöne Page auf einem Schemel zu den Füßen seiner Gebieterin und sang ihr italienische und französische Lieder oder las ihr vor. Er begleitete sie zu Pferde, wenn sie ausritt, er mußte ihr das große Portefeuille nachtragen in den Senat. Von Tag zu Tag wurde die Leidenschaft der mächtigen Frau zu dem schönen, edelgesinnten jungen Manne größer und größer, aber noch immer war ihr Wille stärker als ihr Herz, ihr Blut.

Noch immer fürchtete sie ihren Gatten mehr, als sie Moens liebte.


IV.

Das Zimmer, welches Moens seit seiner Ernennung zum Pagen der Zarin im kaiserlichen Palaste bewohnte, machte bei weitem mehr den Eindruck, einem jungen Mädchen als einem jungen Manne zu gehören. Statt Rapieren und Pistolen, welche damals ausschließlich die Wände junger Kavaliere zierten, sah man hier englische Holzschnitte in schwarzen Holzrahmen, allerlei Liebesscenen aus Shakespeare darstellend, Romeo und Julia, Hamlet und Ophelia, Othello und Desdemona, Petruchio und das böse Käthchen. Die Mitte der Stube nahm ein kleines Klavier ein, dessen Tasten im Geschmacke der Zeit mit Perlmutter ausgelegt waren, die Fenster waren mit Blumenstöcken gefüllt und statt eines Jagdhundes oder einer Dogge spazierte ein zärtliches Pärchen rotfüßiger gurrender Turteltauben auf der Diele auf und ab.

Es war früh am Morgen; Moens saß in einem leichten, seidenen Schlafrock, das lange Haar in wirren Locken bis über die Schultern hinab, in einem altväterischen Lehnstuhl und spielte die Laute, welche für ihn zu sprechen schien, denn die Melodien, welche er ihr entlockte, stimmten vollkommen zu dem halb verlorenen, schwermütigen Ausdruck seines bleichen Gesichts.

Plötzlich wurde die Thüre lebhaft geöffnet und mit leichtem, elastischem Schritt, frisch und munter, im koketten Morgennegligee, trat Frau von Ball herein. Sie betrachtete ihren Bruder, der kaum den Kopf zu ihr gewendet hatte, mit spöttischem Erstaunen, trat endlich ganz nahe vor ihn hin und legte ihm die Hände auf die Schultern.

»Verliebter Träumer! Wie befinden wir uns?« begann sie lächelnd.

»Herzlich schlecht,« erwiderte Moens leise, »aber ich hoffe, dieser qualvolle Traum, den wir Leben, und mit ihm der noch weit grausamere, den wir Liebe nennen, wird bald ausgeträumt sein.«

»Moens, Kindl« rief die Schwester mit einem Male ernsthaft. »Bist Du verrückt? Den Kopf hängen lassen, weil man eine Kaiserin liebt und von ihr geliebt wird, das ist zu toll. Einen andern würde sein Glück übermütig machen, und Dich scheint es niederzudrücken.«

»Du nennst Glück, was mich um alle Fröhlichkeit gebracht hat und mir als letztes einziges Ziel ein frühes Grab zeigt,« murmelte Moens.

»Grillen, nichts als Grillen eines jugendlichen Kopfes, in dem noch alles wirr durcheinander sprießt, Blumen des Geistes und abscheuliches Unkraut. Du warst von je ein Schwärmer. Als Kind schon strecktest Du auf den Armen Deiner Amme die Händchen nach dem Mond aus, wenn sein silbernes Antlitz hereinblickte,« erwiderte die Schwester, indem sie sich auf den Schoß des melancholischen Pagen setzte und die Arme um seinen Nacken schlang. »Ich will Euch beide bald von dieser Krankheit, die Euch befallen hat, heilen. Ja, ja, die Zarin seufzt auch von früh bis abends wie ein junges Mädchen, das zum ersten Male einen Schnurrbart auf seinen Lippen gefühlt, und in der Nacht spricht sie aus dem Schlafe: ›Moens, mein teurer Moens.‹ Ich sage Dir, sie ist verliebt, ganz toll ist sie in Dich. Benutze also, was die Gunst des Schicksals –«

»Niemals,« unterbrach Moens seine Schwester, »im Gegenteil, ich leide zu sehr in ihrer Nähe, und wenn ich ihr nicht ganz gleichgültig bin, so wird ihr das Verständnis für meinen Zustand nicht ganz fehlen und sie wird mich entlassen. Ich will fort, weit fort, wo ich sie nicht sehe, wo kaum ihr Name an mein Ohr schlägt, ich will in den Krieg, zur Armee des Zaren.«

»Kind, was fällt Dir ein?« rief Frau von Ball aufspringend.

»Es ist kein Einfall, es ist ein Entschluß.«

»Du willst fort?«

»Du hörst, zur Armee, ich will sehen, ob mir nicht der Pfeil eines Persers das wilde Blut, das Herz zur Ruhe bringt,« erwiderte der schöne Page, indem er aufstand und, die Arme auf der Brust verschränkt, im Gemache auf und ab ging.

»Und wenn Katharina Dich nicht von sich läßt?« fragte Frau von Ball schalkhaft.

»Sie wird mich ziehen lassen.«

»Nein, sag' ich Dir.«

»Dann werde ich fliehen.«

»Es ist nicht zu glauben, Du wärst imstande, Dein Glück mit Füßen zu treten?« rief die Schwester, deren Herrschsucht mit dem Zartgefühl des schönen Pagen nichts gemein hatte.

»Ich habe einen Brief an die Zarin geschrieben, in welchem ich sie um meine Entlassung aus ihrem Dienste und um Einreihung in die Armee bitte,« entgegnete Moens.

Frau von Ball brach in ein lautes Gelächter aus.

»Lache nur,« fuhr Moens fort, »Dir mag es lächerlich erscheinen, die Gunst einer Monarchin, welche zugleich das schönste Weib ihres weiten Reiches ist, zurückzuweisen, aber ich bin noch nicht genug von der Hofluft verdorben, um zu begreifen, daß ich ohne Gewissensbisse die Frau eines andern, die Gemahlin meines Kaisers, lieben darf.«

»Wie moralisch,« rief Frau von Ball noch immer lachend. »Laß mich also Deinen Brief lesen.«

»Hier ist er.«

Frau von Ball entfaltete das Papier, das ihr Bruder ihr eingehändigt hatte, und las:

 

»Majestät!

Die hohe Gunst und Gnade, welche mir Eure Majestät bis jetzt so huldreich gezeigt haben, ermutigt mich, eine demütige Bitte zu den Füßen Eurer Majestät niederzulegen. Die Hofluft beängstigt mich, meine Seele ist krank geworden, seitdem ich dieselbe atmen muß. Ich beschwöre Eure Majestät, mich aus Ihrem persönlichen Dienste zu entlassen und mir gnädigst ein Offizierspatent in der Armee, welche gegen die Perser kämpft, zu verleihen. Dort kann ich zugleich Eurer Majestät und dem Staate dienen. Ueberzeugt, daß meine Bitte ein geneigtes Gehör finden wird, danke ich Eurer Majestät im vorhinein auf meinen Knieen und werde nie aufhören, Eure Majestät zu segnen und zu preisen, als Eurer Majestät treuester Unterthan und ergebenster Sklave

Moens de la Croix.«

 

»Sehr gut,« rief Frau von Ball, nachdem sie das Dokument zu Ende gelesen, »mein aimabler Bruder macht Fortschritte, ein Stil, um den Dich jeder Obersthofmeister beneiden könnte. Willst Du diesen Wisch höchsteigenhändig der Zarin übergeben?«

»Nein, ich wollte Dich bitten –« sprach Moens zögernd.

»Mich?« – ein schelmisches Lächeln umspielte den schönen Mund der jungen Frau, welche sich an einem plötzlichen Einfall zu erheitern schien, – »eigentlich sollte ich es nicht thun, aber ich liebe Dich, Moens, ich liebe Dich wahrhaftig, und so will ich Deinen Brief der Kaiserin übergeben.« Sie steckte ihn zu sich, küßte ihren Bruder auf die Stirne und verließ dann rasch seine Stube, um zu der Zarin zu eilen.


V.

Die Zarin Katharina I. war in ihrem Garderobezimmer damit beschäftigt, vor einem in Gold gefaßten Spiegel französischer Arbeit alle jene kleinen Künste anzuwenden, welche der Schönheit einer Frau eine gewisse Ewigkeit verleihen. Endlich schien sie fertig, sie betrachtete sich mit einem Wohlgefallen, das sie noch reizender machte, als sie schon in der That war. »Ist es nicht sträflich, daß ich mich schön mache,« begann sie, zu ihrer Vertrauten gewendet, »während mein Gemahl im Felde ist und vielleicht Entbehrungen leidet, ist es nicht geradezu verbrecherisch, daß ich mich für einen Mann schön mache, der nicht mein Gatte ist, und von dem ich weiß, daß seine Phantasie sich mehr als erlaubt mit mir beschäftigt?«

»Was wäre da für ein Verbrechen zu suchen,« erwiderte Frau von Ball, »wir Frauen wollen alle und womöglich allen gefallen, nicht allein unserem Anbeter oder Gatten, warum sollte die Krone unseres Geschlechts eine Ausnahme machen?«

»Sie entschuldigen mich, statt mich zurecht zu weisen?«

»Gewiß und noch mehr.«

»Noch mehr,« fiel die Zarin ein, »Sie glauben also, daß ich weniger wage, als ich wagen könnte?«

»Ich würde in Ihrem Falle nicht so bedenklich sein.«

»Sprechen wir offen, liebe Ball, ganz offen,« erwiderte Katharina, »ich mache nur noch für einen Toilette, ich will schön sein wie eine Göttin für Ihren Bruder, Moens will ich gefallen, keinem anderen, und nicht allein gefallen, ich möchte ihn entzücken, ich möcht ihn wahnsinnig machen.«

»Dann Majestät,« fiel Frau von Ball ein, indem sie eine neue, prachtvolle Robe, welche sie auf dem Arme hatte, lächelnd entfaltete, »ist dieses herrliche Kleid überflüssig, denn Moens kennt nur noch einen Gedanken, nur noch eine Empfindung: Katharina!«

»Er liebt mich,« schrie die Kaiserin auf, indem sie sich erhob. »Aber nein, nein, es darf ja nicht sein. Nie darf er wagen, mir von seinen Gefühlen zu sprechen, nie soll er erfahren, wie teuer er mir ist.«

»Warum nicht?«

»Warum?« entgegnete die Kaiserin, »weil es ihm, weil es mir den Kopf kosten könnte.«

»Deshalb nur?« rief Frau von Ball, »dann können Sie unbesorgt sein. Wer soll ein Geheimnis enthüllen, das nur wir drei kennen?«

»Auch wäre es eine große Sünde,« verbesserte sich Katharina.

»Eine Sünde, von der niemand weiß,« lachte die frivole Hofdame, »ist keine Sünde.«

»O! ich bin recht unglücklich,« seufzte die mächtige Frau und war im Begriff, ihre Hände gegen ihr Antlitz zu pressen; da fiel es ihr aber zur rechten Zeit ein, daß sie die kunstvolle Schminke verwischen würde, und sie ließ ihre Arme wieder herabsinken.

»Unglücklich,« wiederholte Frau von Ball, »die Schönste Ihres Geschlechtes, eine Kaiserin, eine Frau, die liebt und von dem Manne, den sie erwählt hat, angebetet wird!«

»Was hilft das alles, ich muß mir doch versagen, was das Beste, Köstlichste im Leben ist« klagte die Zarin, während Thränen in ihre Augen traten. Sie war verliebt wie nur je ein junges Mädchen, eine süße Unruhe, eine ahnungsvolle Sehnsucht hatte sich ihrer Seele bemächtigt. Wenn sie Moens nicht sah, fühlte sie unbeschreibliche Qualen, und war er bei ihr, so befiel sie eine namenlose Angst, sich zu vergessen, sich ganz zu verlieren, und sie atmete für einen Augenblick auf, wenn er sie verließ.

»Ich habe nicht gewußt, ja, nicht einmal geahnt, was Liebe ist,« fuhr die Zarin fort, »es ist zugleich das Seligste und Schmerzlichste, was über den Menschen kommen kann. Ist es möglich, daß ein Mann solche Macht über ein Weib gewinnt, wie dieser Moens über mich? Hören Sie mich und glauben Sie mir, denn es ist mein voller, schmerzlicher Ernst, ich wollte, ich könnte alle diese Abzeichen der Gewalt und des Reichtums von mir werfen, ich möchte wieder die arme Leibeigene sein, aber dafür in seinen Armen liegen, ohne ihn ist das Leben trostlos. Lieber sterben!«

Die Kaiserin weinte.

Frau von Ball wagte es lange Zeit nicht, sie in ihrem Schmerze zu stören. »Majestät,« begann sie endlich, »zweifeln offenbar an Moens' Treue, an meiner Verschwiegenheit.«

»Keinen Augenblick,« gab Katharina zur Antwort, »aber ich täusche mich nicht über die Gefahren, denen ein Einverständnis mit Moens uns alle preisgeben würde.«

»Majestät sind also entschlossen, diese Liebe zu bekämpfen?«

»Fest entschlossen,« erwiderte Katharina, »ich muß das beste Gefühl, das je von meinem Herzen Besitz ergriffen hat, ausrotten um jeden Preis.«

»Dann zögere ich nicht länger, Eurer Majestät diesen Brief meines Bruders zu übergeben, worin er um eine Entlassung als Page und um Entsendung zur Armee bittet,« sprach Frau von Ball, während ihre Augen einen eigentümlichen Glanz von Falschheit annahmen; sie spielte offenbar die letzte Karte aus und berechnete einen bösen Coup. Mit einer tiefen Verbeugung überreichte sie der Monarchin das Schreiben.

»Er will fort,« murmelte Katharina, »ganz fort?«

»Und für immer,« fügte Frau von Ball boshaft hinzu.

»Das steht alles in diesem Brief?« seufzte die Zarin, denselben erbrechend und langsam entfaltend. »Armer Freund! Was schreibt er mir also? Sie wissen, daß ich nicht lesen kann, lesen Sie mir seinen Brief vor.«

Die intriguante Hofdame nahm ehrerbietig das Schreiben aus der Hand der Monarchin und begann es laut zu lesen; aber es lautete ganz anders, als der bescheidene Moens geschrieben; sie las aus dem Papier heraus, was ihr zu ihren Zwecken am dienlichsten schien.

 

»Majestät! Ich weiß, daß es eine Beleidigung Ihrer hohen Würde ist, was ich hier wage, aber ich will lieber sterben, als länger schweigen. Schicken Sie mich auf das Schaffot oder nach Sibirien, wenn ich Ihren Zorn zu sehr errege, aber erfahren Sie vorher, daß ich Sie liebe, Sie anbete, so wahnsinnig, wie nur je ein Mann ein schönes Weib angebetet hat. O! dürfte ich nur ein einziges Mal mich vor Ihnen niederwerfen, Ihre Füße küssen, aber ich weiß, es wäre ein zweites Verbrechen. Schicken Sie mich auf das Schaffot; wollen Sie aber Gnade üben, so senden Sie mich zu unserer glorreichen Armee, welche eben siegreich gegen die Perser kämpft. Dort wird mein Herz Ruhe finden, Erlösung durch den Tod, den ich suchen werde wie eine Geliebte. Ihr verzweifelter Unterthan und Diener

Moens de la Croix.«

 

»Sind Sie zu Ende?«

»Ja, Majestät.«

»Armer Junge, wie er mich liebt,« seufzte Katharina, »aber er hat recht, er soll, er muß fort.«

»Ich darf also sagen, daß Eure Majestät seine Bitte gnädig erfüllen wollen?«

»Ja, er soll ein Patent haben; ehe er aber zur Armee abgeht, könnte ich –« Katharina wagte es nicht, den Gedanken, welcher sich ihrer bemächtigt hatte, auszusprechen.

Die Vertraute schwieg gleichfalls, aber ein unmerkliches Lächeln erhellte ihre Züge.

»Er geht ja fort für immer,« rief die Zarin plötzlich entschlossen, »und wie sagten Sie? Eine Sünde, von der niemand weiß, ist keine Sünde; ich will ihn sehen, ehe er uns verläßt, aber allein und ganz im geheimen, verstehen Sie mich?«

Frau von Ball verneigte sich demütig; das Spiel war gewonnen.


VI.

Eine Stunde später erschien die Hofdame bei ihrem Bruder, dem Pagen, und überreichte ihm schweigend ein versiegeltes Couvert.

»Ist dies für mich?« fragte Moens.

»Für Dich, für wen sonst?« gab Frau von Ball ziemlich barsch zur Antwort.

Moens brach das Siegel; das Couvert enthielt ein Offizierspatent.

»Das Uebrige mündlich,« fuhr die Hofdame fort; »die Kaiserin ist auf das höchste beleidigt und erzürnt darüber, daß Du so ohne weiteres ihren Dienst aufgiebst, sie befiehlt Dir, morgen schon den Hof zu verlassen, und wenn Dir Dein Kopf lieb ist, Dich nie mehr vor ihr blicken zu lassen. Damit ist mein Auftrag erfüllt.« Die Seidenrobe rauschte zornig der Hofdame nach, als dieselbe hierauf mit großen Schritten aus dem Zimmer ihres Bruders eilte.

»Vorbei,« murmelte Moens, »vorbei.«

Er saß kurze Zeit in Gedanken versunken, Thränen glänzten an seinen Wimpern, dann raffte er sich auf und ging in die Stadt, seine Equipierung zu besorgen.

Als er zurückkehrte, fand er auf seinem Tische einen Brief; die Adresse verriet eine Damenhand. In dem Brief lag ein kleiner Schlüssel, Moens betrachtete ihn erstaunt und las dann:

»Eine Dame, welche Sie liebt, wünscht Sie vor Ihrer Abreise zu sprechen. Dieser Schlüssel öffnet die Thür des kleinen, weißen Pavillons, welcher im Parke in der Nähe des Neptunbassins steht. Schlag elf Uhr nachts werden Sie erwartet.«

Der schöne Page lächelte wehmütig, legte den duftigen Brief wieder auf seinen Tisch und beschloß bei sich, von der liebenswürdigen Einladung keinen Gebrauch zu machen. Zum Glück oder eigentlich zum Unglück kam seine Schwester und sah den Brief.

»Was hast Du da?« fragte sie.

»Sieh selbst.«

»Du nimmst das Rendezvous doch an?« sprach sie dann.

»Nein.«

»Bist Du von Sinnen,« schrie Frau von Ball auf, »Du wirst bei dem Rendezvous erscheinen, wenn Dir Dein Leben lieb ist.«

»Wie soll ich das verstehen,« stammelte Moens.

»Die Kaiserin ist ohnehin für Dich verloren,« erwiderte die Hofdame, »laß also die schöne Gelegenheit, eine neue Protektorin zu finden, ja nicht vorübergehen.«

»Ich suche auf dieser Erde nichts mehr als den Tod,« entgegnete Moens.

»Wie es Dir gefällt,« spottete die ehrgeizige Schwester, »aber versäume mir ja nicht das Rendezvous. Oder noch besser, ich hole Dich, wenn es Zeit ist.«

Eine Viertelstunde vor elf Uhr klopfte sie in der That an die Thür ihres Bruders, welche sie von innen versperrt fand. Zuerst gab der Page keine Antwort, dann bat er sie, ihn in seinem Schmerze nicht zu stören; erst auf vieles und dringendes Zureden von ihrer Seite öffnete er und kleidete sich an.

»Ich verlange ja nicht, daß Du Deine geheimnisvolle Beschützerin liebst,« sagte Frau von Ball, »aber es ist doch in der Art, ihr zu danken, und klug sich ihrer Teilnahme für die Zukunft zu versichern.« Sie hing ihrem Bruder den Mantel um die Schultern und setzte ihm den dreieckigen Federhut auf, dann zog sie ihn mit sich fort, durch die dunklen Gänge, eine geheime Treppe hinab und schloß ein ihm unbekanntes Pförtchen auf, das in den Garten führte. Am entgegengesetzten Ende desselben lag der weiße Pavillon. Die zuvorkommende, dienstfertige Schwester stieg rasch die drei kleinen Stufen, welche zu demselben führten, empor und öffnete. Moens trat ein; in dem Augenblicke umfingen ihn zwei volle, weiche Frauenarme und zu gleicher Zeit sperrte Frau von Ball die Thüre hinter ihm.

Er war gefangen.

Es faßte ihn zugleich Angst und Wut, aber nicht zu lange, denn schon beruhigte ihn der süße, wohlbekannte Ton einer tiefen Frauenstimme, welche zu ihm sprach, und der warme, duftige Atem, der seine Wange streifte, berauschte seine Sinne wie Blumenduft.

»Ich danke Ihnen, Moens, daß Sie gekommen sind,« begann die Stimme, »daß Sie mir, wenn auch einmal nur, ein einziges Mal, Gelegenheit geben, unter dem Schutze der Nacht Ihnen zu sagen, daß ich Sie liebe, und wie ich Sie liebe. O! Sie ahnen nicht, von welchen entsetzlichen Qualen mein Herz zerrissen wird; ich soll Sie verlieren, vielleicht für immer, ehe Sie noch mein waren, aber ich will alle Bedenken, alle Pflichten bei Seite werfen, ich kann nicht von Ihnen lassen, mag auch die Welt untergehen.«

Moens stürzte auf die Knie nieder und bedeckte die Hände der verliebten Frau mit Küssen.

»Liebst Du mich?« flüsterte sie.

»Ob ich Dich liebe?« rief Moens, »weshalb fliehe ich Dich, den Hof, ja, das Reich, weshalb suche ich den Tod?«

»Du darfst nicht sterben, Moens,« murmelte sie, »Du mußt leben, für mich.«

»Für Dich? Du sagst das, Du? Und es ist Dein Wunsch, daß ich bleibe?« stammelte der Page.

»Mein Wunsch, mein Wille,« erwiderte sie rasch und gebieterisch, »ich befehle Dir zu bleiben, ich, Deine Herrin, Deine Kaiserin!«


VII.

Moens ging in Folge des Stelldicheins im weißen Pavillon nicht zur Armee, sondern blieb am Hofe und war durchaus nicht böse, anstatt am Wachtfeuer auf feuchter, kalter Erde, in den Armen des herrlichen Weibes zu liegen. Er war so glücklich in dem Besitze Katharinas, daß er nicht im entferntesten daran dachte, die Gunst der Kaiserin in irgend einer Weise für sich auszubeuten, um so mehr nutzte seine herrschsüchtige Schwester die Schwäche der Monarchin aus, sie riß allmählich die Zügel ganz an sich, dominierte bald offen den Hof und begann auch in allen öffentlichen Angelegenheiten ihren Einfluß geltend zu machen. Die Folge war, daß die Geschwister, welche für allmächtig galten, in kurzer Zeit den allgemeinen Haß auf sich geladen hatten, und man den Ursachen nachzuforschen begann, denen sie ihre beispiellose Macht über die Kaiserin zu danken hatten.

Niemand war mehr beunruhigt durch die neuen Günstlinge Katharinas als Mentschikoff; aber äußerlich verstand er es vortrefflich, seine an Gleichgültigkeit grenzende Würde zu bewahren.

Zum ersten Male verlor er seine Fassung Rumianzoff gegenüber, als ihm dieser eine Andeutung darüber machte, daß die Kaiserin Moens liebte und derselbe ihr beglückter Anbeter sei. Da durchmaß er sein Zimmer mit großen Schritten, prügelte seine Diener und zerschlug mit dem Knopf seiner Reitpeitsche einen prachtvollen Venetianischen Trumeauspiegel in Trümmer.

Kaum hatte ihn Rumianzoff verlassen, so berief der Fürst einen Mann, der ihm schon wiederholt große Dienste geleistet hatte, seinen Spion Iwan Golowka. Von leibeigenen Eltern stammend, unter der niedrigsten Hefe des Petersburger Pöbels aufgewachsen, hatte dieser, mit echt russischer Schlauheit, Gewandtheit und Menschenkenntnis begabt, in die Paläste der Vornehmen, ja, bis in die Nähe des Monarchen zu dringen verstanden, es gab in Petersburg keine Person, die ihm fremd war, kein Lebensverhältnis, das er nicht kannte.

Diesem Manne übertrug Mentschikoff die schwierige Aufgabe, in das Geheimnis einzudringen, welches das ungewöhnliche Verhältnis der Geschwister La Croix zur Monarchin umgab.

Nach wenigen Tagen schon kam der Spion und wurde von dem Fürsten in seinem Kabinett empfangen.

»Nun, was bringst Du?« rief ihm Mentschikoff schon von weitem entgegen.

»Wenig, Eure Excellenz, wenig, oder so zu sagen nichts!« erwiderte Iwan schmunzelnd.

»Weshalb kommst Du dann?«

»Nun, man hört so manches, wenn man unter die Leute kommt, und Eure Excellenz wissen, die Stimme des Volkes ist die Stimme Gottes.«

»Was sagt also das Volk, Du Dummkopf,« schrie der Fürst ungeduldig.

»Das Volk meint, Ihre Majestät hätte in Abwesenheit Ihres Herrn, gleich der Zarin in dem alten Liede, einen jungen, schönen Mann in ihren Dienst genommen, um sich mit ihm ein wenig die Zeit zu vertreiben.«

»Ist das alles?« schrie Mentschikoff.

»Für heute wohl,« erwiderte Iwan.

»Dann auf der Stelle aus meinen Augen, Du Hundeseele!« schrie der Fürst, »Du Rabensohn, willst Du mit mir Deinen Scherz treiben?« Und er sprang auf den Spion los und stieß ihn mit Fußtritten zur Thür hinaus.

Schon am nächsten Tage brachte Iwan, durch die Liebesbeweise, welche ihm der Fürst gegeben, sichtlich gehoben, nähere Daten.

»Ich kenne den Ort, wo die Zarin mit dem Pagen ihre Zusammenkünfte hält,« schloß er seinen Bericht, »wenn Sie wollen, Väterchen, sollen Sie sich selbst von allem überzeugen und zwar noch in dieser Nacht.«

»Gut, ich will mit Dir gehen, aber der Teufel soll Dich holen, wenn Du mir einen Streich spielst,« murmelte Mentschikoff. »Ich werde Sie nach zehn Uhr abholen, Väterchen,« lächelte Iwan.

Der Fürst nickte gnädig, damit war der Spion für diesmal entlassen. Mentschikoff befand sich, seitdem er an dem Liebeshandel der Zarin mit Moens nicht mehr zweifeln konnte, in einer grenzenlosen Aufregung, wie ein junger Ehemann, der an der Treue seiner Gattin irre zu werden beginnt, wurde er von den heftigsten Qualen der Eifersucht gefoltert; er nahm weder Speise noch Trank zu sich, und alles, das Unscheinbarste, reizte seine Wut.

So kam die Nacht heran. Als es zehn Uhr schlug, trat Iwan Golowka durch die geheime Thür in das Kabinett des Fürsten.

»So spät,« schrie Mentschikoff, »Du verdienst die Knute, Schurke.«

»Es ist zehn Uhr, Eure Excellenz,« erwiderte der Spion.

»Hättest Du nicht um neun Uhr kommen sollen?« »Nein, um zehn,« gab Iwan ruhig zur Antwort.

»Ja, ja, Du hast recht,« entgegnete Mentschikoff, »aber jetzt ist es zehn, was zögerst Du noch, sie entkommen uns.«

»Sie entkommen uns nicht,« sprach Iwan. »Die Kaiserin kommt um elf Uhr zu dem Stelldichein, der Page ein wenig früher. Wir werden um halb elf Uhr zur Stelle sein und alle Zeit haben, unseren Posten, von dem aus wir sie belauschen, gut zu wählen.«

»Also vorwärts,« gebot Mentschikoff.

»Noch nicht, Väterchen,« sprach der Spion, »diese Kleider mit dem vielen glitzernden Golde würden Sie verraten.« Er packte den schlichten Anzug eines russischen Muschik aus, den er in einem Tuche mitgebracht hatte, und half dem Fürsten denselben anlegen. Dann drückte Mentschikoff die Ottermütze tief in die Stirne, hüllte sich in einen dunklen Mantel und verließ mit Iwan auf geheimen Wegen den Palast.

Der Spion führte ihn um denselben herum in eine finstere, schmutzige Straße, welche den rückwärtigen Teil des kaiserlichen Gartens einsäumte. An der Mauer desselben lag ein großer Steinhaufen, da gegenüber das Haus eines reichen Kaufmannes gebaut wurde. Die beiden erkletterten denselben und konnten nun bequem in den Garten blicken, den kleinen weißen Pavillon sowohl als die beiden Wege, welche zu demselben führten, übersehen.

»Wie spät ist es,« begann Mentschikoff nach einer Weile, »die Zeit verstreicht entsetzlich langsam.«

»Eure Excellenz würden einen sehr schlechten Späher abgeben,« erwiderte Iwan; »denn es fehlt Ihnen an dem wichtigsten, an Geduld.«

»Wenn Dir so zu Mute wäre, wie mir, Zigeunersohn,« fluchte der Fürst, »Du würdest auch die Minuten zählen.«

Träge schlich Viertelstunde auf Viertelstunde dahin, endlich nahten Schritte, der Kies knisterte verräterisch unter dem Fuße des schönen Pagen. Er war in einen dunklen Mantel eingewickelt, der Hut bedeckte die Stirne und warf einen tiefen Schatten über die Augen. Dennoch erkannte ihn Mentschikoff auf der Stelle. Moens stieg die Stufen des Pavillons empor, öffnete leise die Thür und verschwand in demselben.

Wieder einige Minuten ängstlichen Harrens, dann knisterte der Kies von neuem.

Diesmal war es eine Dame, in einen großen Pelz gehüllt, den Kopf von einem Schleier umgeben. Mentschikoff konnte nicht zweifeln, er kannte die Umrisse dieser Gestalt, diesen etwas schwankenden Gang nur zu genau, es war Katharina. Auch sie betrat den Pavillon, dann war lange Zeit alles still.

»Gehen wir,« begann der Spion, »Eure Excellenz scheinen zu frieren.«

»Was fällt Dir ein?«

»Sie zittern ja am ganzen Leibe und klappern mit den Zähnen,« meinte Iwan.

Der Fürst antwortete ihm mit einem Faustschlag ins Genick.

»Ich will bleiben, bis sie den Pavillon verlassen,« sagte er nach einer Weile.

Iwan schwieg.

Es schlug Mitternacht, es schlug ein Uhr morgens, zwei Uhr.

»Die zwei scheinen sich sehr gut zu unterhalten,« flüsterte der Spion.

Diesmal schwieg Mentschikoff.

Es war nahe an drei Uhr morgens, als die Kaiserin, diesmal an dem Arme des Pagen, den Pavillon verließ. Nachdem sie einige Schritte gethan, legte sie ihre kleine weiche Hand auf die Schulter des Glücklichen und sprach: »Moens, gute Nacht!«

Mentschikoff seufzte tief auf und preßte die glühende Stirn an die eiskalte Gartenwand.


VIII.

Je mehr die Liebe in den Herzen der beiden wuchs, die sich auf den Stufen des Thrones, wo sonst nur kalte Berechnung und üppige Herrschsucht herrscht, gefunden hatten, um so mehr vernachlässigten sie jede Vorsicht. Es schien in ihnen eine Ahnung rege, daß ein so leidenschaftsvolles, übermenschliches Glück, wie sie es sich gegenseitig gaben, nicht von Dauer sein könne und es trieb sie eine innere, wunderbare Gewalt, die Spanne Zeit, die ihnen und ihren Wonnen zugemessen war, auszunutzen, den Kelch der Freuden auszuleeren bis zur Neige, ehe er gewaltsam von ihren Lippen weggezogen würde. Moens ging unangemeldet bei der Kaiserin ein und aus, und der ganze Hof, der neidisch zischelte und grollte, warf ihm süße Schmeicheleien zu gleich Bonbons, und beugte sich vor dem erklärten Günstling Katharinas und seiner Schwester, welche, während die beiden träumten und schwelgten, mit starker Hand die Zügel der Herrschaft im Palaste wie im Reiche an sich gerissen hatte. Frau von Ball war klug genug, den Vorteil, den ihr die Liebe der Monarchin zu ihrem Bruder gab, auszubeuten, aber nicht klug genug, ihre Macht zu verbergen. Offen vor aller Welt, mit schamloser Stirne übte sie ihre Protektionen und sie ging noch weiter, sie begann Offizierspatente und Aemter sowie Orden zu verkaufen.

Die Zarin, von Personen, die es ehrlich mit ihr meinten, gewarnt und von dem Unfug, den die Schwester ihres schönen Pagen trieb, unterrichtet, schien denselben nicht bemerken zu wollen. Die sonst so kluge, nüchterne Frau hatte alle Besinnung verloren. Sie ging wie eine, die im Schlafe wandelt, durch die Säle des Zarenpalastes, wenn Moens nicht in ihrer Nähe weilte; sie lebte nur noch, wenn er zu ihren Füßen lag, dann hielt sie mit ihm ihre Welt in den Armen.

Es war an einem trüben Herbstmorgen. Die Bäume begannen ihr rot und gelbes Laub abzuwerfen und die Krähen zogen in schwarzen Scharen den Städten zu und umflatterten gleich düsteren Boten des Unheils den Palast.

Die Zarin hatte kaum ihr von asiatischer Pracht schwellendes Lager verlassen, ihr noch durch keinen Puder entstelltes rotblondes Haar mit einem himmelblauen Seidenbande in einen herrlichen goldschimmernden Knoten geschlungen und ein leichtes weißes, mit Spitzen besetztes Morgengewand umgeworfen, als sie Moens zu sich kommen ließ. Der schöne Page war bereits im vollen Staate, ja, mit sorgfältiger Eleganz gekleidet; aber er sah aus, als sei er vor kurzem von einem wüsten Gelage aufgestanden, so bleich, verstört und übernächtig war sein Gesicht und so düster loderten seine schwärmerischen Augen in demselben. Er ließ sich vor der Kaiserin auf ein Knie nieder und führte ihre schöne, weiße Hand an die Lippen, nicht mit der Ehrfurcht des Unterthans oder gar mit der Demut des Sklaven, welche an dem barbarischen Hofe Peter des Großen den guten Ton und die Etikette ersetzte, sondern mit der Galanterie eines französischen Chevaliers aus der Zeit Ludwig XIV.

»Was befiehlt meine Herrin?« begann er.

»Nicht so förmlich, Moens,« sprach die Zarin, »ich bedarf heute mehr als je Deiner Liebe. Entsetzliche Träume haben mir den Schlaf dieser Nacht gestört, einmal bin ich sogar mit einem gellenden Schrei erwacht, der alle meine Frauen aufgeschreckt hat. Komm zu mir, mein Freund, lege Deine sanfte Hand auf mein Herz und beruhige es.« Sie zog ihn an ihre volle, herrliche Brust empor, küßte ihn mit dein ganzen Wahnsinn heimlicher, verbotener Liebe und setzte sich dann mit ihm auf einen Divan, der auf kostbaren persischen Teppichen stand.

»Seltsam,« murmelte Moens, »auch ich habe geträumt und nicht so angenehm wie sonst. Wie von Furien wurde meine Seele von wilden Phantasien mit Schlangen gepeitscht bis zum Morgen. Ich erinnere mich nur, daß Du plötzlich vor mir standest, bräutlich geschmückt im weißen, schimmernden Seidenkleide, ein Diadem von Perlen über der herrlichen Stirne, Perlenschnüre um Hals und Arme geschlungen.«

»Perlen bedeuten Thränen,« seufzte Katharina.

»Ich hielt Deine Hand,« fuhr Moens fort, »und so traten wir vor den Altar. Aber statt der Orgel ertönten jetzt Trommeln im gellenden Wirbel, und vor uns öffnete sich ein Grab. »Du mußt hinab, Moens,« riefst Du, »um meinetwillen,« und ich sprang hinab und tanzte gleich einem Rasenden in dem Grabe umher und Du standest oben und lachtest und warfst Deine Perlen, eine nach der andern, zu mir herab; plötzlich stand Peter der Große, Dein Gemahl, Dir zur Seite und ich hörte ihn sagen: »Was zitterst Du Katharina?« – »Ach! Das Grab ist so kalt!« gabst Du zur Antwort. Da hing der Zar einen prachtvollen Zobelpelz um Deine Schultern, und Du hülltest Dich fröstelnd in denselben. Plötzlich fiel aber, wie ich so tanzte, mein Kopf von meinen Schultern und gerade vor Deine Füße hin, Du brachst in ein tolles Lachen aus, und Peter hob ihn rasch auf und sprach: »Komm, Kathinka, wir wollen Ball spielen mit dem Kopfe des Moens', damit Dir warm wird.«

»Ein entsetzlicher Traum,« sagte die Zarin sinnend, »eine böse Vorbedeutung. Gieb Acht, Moens, daß uns kein Unglück widerfährt.« Sie lehnte ihr Haupt leise an seine Brust und blieb, den Arm um ihn geschlungen, lange stumm in finsteren, traurigen Gedanken, bis Moens sich mit einem Male losmachte und vor ihr niederwarf.

»Aengstige Dich nicht, angebetete Frau,« rief er mit einem Enthusiasmus, der selbst ein häßliches Gesicht verklärt hätte und das seine doppelt verführerisch erscheinen ließ, »was kann dies alles bedeuten, als daß ich vielleicht mein Leben für Dich geben muß. Sollte dies uns erschrecken, uns die Stunden verbittern, wo wir Brust an Brust die Seligkeit der Himmel trinken! Nein, Katharina, laß mich sterben für Dich, wie ich nur für Dich allein lebe und atme, wirf mir dann Deine Thränen, diese kostbarsten aller Perlen, nach in das Grab, und ich werde keinen Augenblick mein Schicksal beklagen. Ja, oft weine ich, wenn mir die Sprache den Ausdruck versagt für die Unendlichkeit meiner Liebe; ich könnte Dir nur im Tode mit dem letzten Blicke meiner Seele sagen, was Du mir bist und welches Glück Du mir bereitet, ein Glück ohne Grenzen und ohne Ende.«

»O! Moens, das ist es eben, was ich fürchte,« erwiderte Katharina, »daß es endet, daß es enden muß. Mir schauert vor den Dingen, die mein Herz ahnt, vor dem nächsten Tage, ja, vor der nächsten Stunde.« Während sie den schönen Pagen von neuem umschlang, rauschte der Thürvorhang.

Moens erhob sich rasch und blieb einige Schritte vor der Monarchin in ehrerbietiger Haltung stehen. Eine Kammerfrau trat ein und meldete den Fürsten Mentschikoff, welcher auf den Wink der Zarin in das Zimmer trat, sich tief verbeugte und dann mit einem süßen Lächeln nach dem Befinden der Kaiserin fragte Nachdem sie ihm ziemlich kühl und unwillig gedankt hatte, verneigte er sich von neuem und überreichte ihr dann ein großes Schreiben, welches auf grobem blaugrauem Papier das Siegel des Zaren zeigte. »Ein Courier hat dies für Eure Kaiserliche Majestät überbracht,« sprach er, die Zarin fest ins Auge fassend. »Seine Majestät der Zar hat den Krieg mit Persien glücklich beendet und einen vorteilhaften Frieden geschlossen.«

»Der Zar kehrt zurück?« rief Katharina, bis in die Lippen erbleichend.

»Er ist unterwegs,« entgegnete Mentschikoff. Er sah die Bestürzung der Kaiserin, und ihm entging auch nicht der Blick, den sie und der Page Moens rasch wechselten. Er fühlte diesen Blick wie Feuer auf seinem Herzen brennen, die wütendste Eifersucht in seinen Eingeweiden wühlen; aber er bezwang sich und konnte sogar lächeln, als die Zarin den Brief ihres Gemahls eröffnet hatte und von den Anstalten zu seinem Empfange sprach.

Peter der Große wünschte im Triumphe in seiner Hauptstadt einzuziehen, gleich den römischen Cäsaren, die er nachzuahmen suchte, als nach seinem Siege über Karl XII. zwölftausend gefangene Schweden vor seinem Wagen marschierten.

Die Zarin übertrug es dem Fürsten, die Befehle des Kaisers auszuführen, und entließ dann Mentschikoff mit einer kurzen Handbewegung. Als er aber das Zimmer verlassen hatte, war ihre Kraft zu Ende, und sie warf sich weinend an die treue Brust des Moens

An dem Tage, wo die Sieger von Derbent in der Hauptstadt einzogen, strömte das Volk von vielen Meilen in der Runde herbei, um sie zu begrüßen und das Gepränge des seltenen Schauspiels anzustaunen. Die Straßen waren mit Menschen gefüllt, alle Balkone, alle Fenster, ja sogar Dächer und Räume, die eine Aussicht boten, dicht besetzt.

Die Kaiserin war ihrem Gemahl im vollen Pompe ihrer Würde in einem vergoldeten Glaswagen, in welchem man sie von allen Seiten sehen konnte, entgegen gefahren. Frau von Ball saß an ihrer Seite, während der Page Moens neben dem Schlage ritt. Fürst Mentschikoff kommandierte die Truppen, welche zu beiden Seiten der Straßen Spalier bildeten.

Der Zar war in einem leichten Wagen seinen Soldaten vorangeeilt. Als er Katharina erblickte, ließ er halten und sprang mit jener ihm eigentümlichen Behendigkeit heraus, um sie zu umarmen. Sie hatte gleichfalls ihre Karosse verlassen und streckte ihm beide Hände entgegen, während er sie, ohne viele Umstände zu machen, beim Kopfe nahm und zuerst auf die Stirn, dann auf den Mund küßte. Dann sprach er in seiner, bei aller Roheit gewinnenden, leutseligen Weise mit den vornehmsten Personen ihres Gefolges, und als Mentschikoff heransprengte und, nachdem er den Kaiser militärisch begrüßt, sich vom Pferde herab zu seinen Füßen warf, küßte er ihn auf die Wange und hob ihn rasch auf.

Als seine Suite herankam, warf der Zar den einfachen Kosakenmantel, den er trug, ab und stand in der Uniform eines Generals mit allen seinen Orden da. Er war noch immer eine imponierende Erscheinung voll Kraft und Behendigkeit; aber sein Gesicht trug neben dem Stempel eines großen Geistes einen abstoßenden Zug von Härte und Grausamkeit, ja Bestialität. Im raschen Schritt kamen die siegreichen Regimenter heran, von tausendstimmigem Zuruf begrüßt.

Jetzt stieg der Zar zu Pferde und winkte Katharina, das Gleiche zu thun. Der Stallmeister führte ihren weißen Zelter vor, und Moens, der rasch abgesprungen war, hielt ihr den Bügel. Jetzt erst bemerkte Peter der Große den Jüngling und seine seltene Schönheit.

»Wer ist der junge Mensch?« fragte er, während sein Auge mit einer Art Feindseligkeit auf ihm ruhte.

»Moens de la Croix, mein Page,« gab die Zarin zur Antwort.

Peter der Große nickte und setzte sich dann schweigend an die Spitze seiner Truppen. Vor ihm zogen zweitausend vornehme Perser aus den eroberten Provinzen Daghestan, Schirwan, Mazanderan und Usterabad, in ihrer prachtvollen orientalischen Tracht. Dann folgten Elefanten und Kamele mit Schätzen beladen, eroberte Fahnen und Waffen. An der Tête des Regimentes der Preobraschenskischen Garde ritt Peter der Große, den Degen in der Hand, den Hut mit Lorbeer bekränzt. Neben ihm die Kaiserin im weißen goldgestickten Thronkleide, einen rotsamtenen Hermelinmantel von den Schultern niederwallend, die Krone auf dem Haupte.

Hinter ihnen kam das Gefolge zu Pferde, dann folgten die Truppen in Paradeuniform, die Hüte mit Tannenreisern geschmückt. Die Hauptstadt brauste wie ein Meer in dem wilden Jubel des Volkes, Fahnen und Tücher wurden geschwenkt, tausende von Kränzen und Reifen fielen gleich einem grünen Regen auf die Soldaten hinab, welche mit lauten Hurras antworteten und mit der fröhlichen Beute ihre Gewehre und Rüstungen schmückten.

Vor dem Palaste erwartete der Senat den Kaiser, und die Vorstände der Hauptstadt und die Kaufleute begrüßten ihn mit Salz und Brot und brachten ihm und der Kaiserin reiche Geschenke.

Dem Triumphzuge folgte ein prunkvolles Mahl, bei dem Fürst Mentschikoff einen Toast auf den Kaiser, Peter der Große auf die Armee, und Fürst Repnin auf die Kaiserin ausbrachte.

Es war spät, als der Kaiser aufbrach und sich mit seiner Gemahlin in seine Gemächer zurückzog. Er ging zuerst in seine Garderobe, um sich umzukleiden. Als er dann in einem grünen Seidenschlafrock in ihr Schlafgemach trat, rief er erstaunt: »Was soll das Kathinka, was fangen wir mit diesen Fetzen an?«

Katharina saß nämlich, wie sie den Festsaal verlassen, im vollen kaiserlichen Schmuck auf einem Stuhle, in tiefe Gedanken versunken, und blickte befremdet, beinahe erschreckt auf den Zar. Dieser nahm ihr rasch den Mantel ab und reichte ihn der Kammerfrau, die auf seinen Ruf erschienen war. »Hilf der Zarin, sich auskleiden!« schrie er, »rasch! rasch!« und eine zweite, die herbeigerannt kam, stieß er unsanft in die Seite und befahl einen Schlafrock für seine Gemahlin. Als diese ihre Toilette beendet, und die Kammerfrauen sich entfernt hatten, zog er sie rasch auf seinen Schoß und sprach, ihren vollen Nacken streichelnd: »So gefällst Du mir, Kathinka; aber was hast Du, Du benimmst Dich wie eine Bauernbraut, die sich ziert, um für einen Ausbund von Tugend zu gelten. Was soll das? Ich kenne Dich nicht mehr. Behandelst mich wie einen Fremden, mich, den Peter, Deinen Kaiser, Deinen Mann? Was hat sich in meiner Abwesenheit verändert?«

»Ich wüßte nicht,« flüsterte Katharina.

»Aber ich weiß,« rief Peter, »warum küssest Du mich nicht? Ha! Was sollen diese feierlichen Fratzen, das Schauspiel ist zu Ende, den Degen haben wir – so Gott will – für lange in die Ecke gestellt zu dem Spinnrocken der alten Weiber, jetzt ist der Zar bei der Zarin, der Mann bei seinem Weibe, auf das er sich so sehr gefreut hat, in seinem Zelte mitten unter dem Lärm des Kriegslagers und in der Schlacht, wenn die Kugeln ringsum einschlugen. Ja, ich weiß jetzt wieder so recht, Kathinka, wie ich Dich liebe, und Du, Du blickst drein, als hättest Du zu viel Kwas (saure Suppe der Russen) gegessen.«

Katharina lächelte. »Du warst so lange fort von mir, und ich muß mich erst wieder an Dich gewöhnen,« sprach sie, indem sie den Arm sanft um seinen Nacken legte, »das ist alles, und das ist nicht meine, sondern Deine Schuld.«

»Da hast Du wieder recht,« murmelte Peter, sie mit einer Art andächtigem Entzücken betrachtend, »wie klug Du bist und wie schön! Ich habe noch kein schöneres Weib gesehen als Du bist, Kathinka, wo ich auch war, weder in Holland, noch in Deutschland, noch jetzt in Asien. Ich bin stolz, Dich zu besitzen, aber auch Du kannst auf mich stolz sein, denke ich, was?«

»Ich bin es auch,« erwiderte die Zarin, und jetzt endlich begannen ihre Augen zu leuchten, wie einst in schöneren Tagen.

»Nun, dann küsse mich,« rief der Zar, und sie, von dem Momente hingerissen, alles andere vergessend, ein echtes Weib, warf sich an seine Brust und begann ihn zu küssen mit jener Zärtlichkeit, welche dem großen rohen Manne mehr als eine schwere Stunde versüßt und mehr als einmal seine wilden Leidenschaften gebändigt hatte.


IX.

So glücklich sich auch Peter der Große nach so langer Trennung in den Armen seiner Gemahlin fühlte, so viel Erquickung er auch aus dem Gespräche mit dieser seltenen Frau schöpfte, welche, ohne lesen oder nur ihren Namen schreiben zu können, alle Staatsmänner ihres Reiches an Klugheit und Weitsicht übertraf, die Veränderung, welche im Wesen Katharinas vorgegangen war, entging ihm doch nicht. Da er aber mit allen anderen Eigenschaften eines echten Russen auch die Schlauheit seines Volkes besaß, verbarg er diese Entdeckung sorgfältig vor jedermann, wohl bedacht, eine zweite größere zu machen, der Ursache dieser Veränderung auf die Spur zu kommen. So liebevoll und unbefangen sein Benehmen gegen Katharina war, so beobachtete er sie doch unaufhörlich, und endlich bemerkte er den seltsamen, wehmütigen Ausdruck, mit dem ihr Auge, wenn auch nur selten und vorsichtig, jenem des Pagen begegnete.

Er richtete nun sein Augenmerk auf Moens und seine bleichen Wangen; sein unheimlich glühendes Auge, sein ruheloses, unstetes Wesen bestärkten Peters Verdacht. Daß der Page die Zarin liebe, darüber war er bald nicht mehr im Zweifel. Aber sie? Erwiderte sie diese Leidenschaft eines jungen, schwärmerischen Herzens? Spielte sie nur – wie es Frauen ihres Alters lieben – mutwillig mit den Flammen, die ihr entgegen loderten, oder ließ sie sich gnädig seine Huldigungen gefallen, wie man sich im Winter doppelt an den Blumen freut, die einem hinter Glas und Mauer aufblühen? Oder hatte seine Leidenschaft sie gerührt, fühlte sie für ihn ebenso warm, wie er für sie, und wie weit war sie dann gegangen? Hatte sie ihre Pflichten, die Würde einer Herrscherin ganz vergessen?

Diese Gedanken beschäftigten den Kaiser, dessen Mißtrauen grenzenlos war, unaufhörlich und erregten furchtbare Qualen in seiner Brust.

Eines Tages, er ging eben, wie er es liebte, in unscheinbaren Kleidern mit Mentschikoff in den mit Schnee bedeckten Straßen spazieren, fragte der letztere in einem Tone, der dem Kaiser nicht auffallen sollte: »Finden Majestät die Zarin nicht verändert?«

Peter blieb stehen, seine Augen bohrten sich in das Antlitz des Fürsten, und in seiner Weise geradezu auf die Sache losgehend, begann er mit rauher, gepreßter Stimme: »Verändert, sagst Du, Du weißt etwas, Sascha (Alexander), was weißt Du, sprich, ohne Umschweife. Ich befehle es Dir.«

»Wie sollte ich wagen,« stotterte Mentschikoff, der eine unangenehme Wendung voraussah.

»Spiele mir nicht den Diplomaten, Sascha,« fuhr der Zar mit erhobener Stimme fort, »ich rate Dir gut. –«

»Majestät, eine unbesonnene Frage, nichts weiter –«

»Nichts weiter?« schrie der Zar aufgebracht, faßte Mentschikoff bei der Brust und begann ihn zu schütteln; »Du weißt etwas, sprich, oder ich erwürge Dich.«

»Nichts weiß ich, nichts,« stöhnte der Fürst.

Schon hatte sich ein Haufe Neugieriger um die beiden versammelt, welche sie für nichts weiter als Kaufleute hielt, welche bei einem Handel in Streit geraten waren, und Stimmen wurden laut, welche sie zu begütigen und andere, welche sie noch besser auf einander zu hetzen suchten, während die übrigen gafften und lachten. Als Peter der Große endlich dem am ganzen Leibe bebenden Fürsten bei den Haaren zu Boden riß und ihm eine schallende Ohrfeige gab, jubelte die Menge und ein kräftiger Kutscher trat näher, legte dem Zaren eine Hand auf die Schulter und rief: »Du bist ein rechter Kerl, hau ihn nur recht, den feigen Spitzbuben.«

Jetzt erst bemerkte Peter der Große die Menge, die ihn umstand, und sofort wandte sich der Zorn gegen dieselbe. Er ergriff den Kutscher beim Rock und schleuderte ihn mit einem Fußtritt mitten unter die Gaffer, dann hob er seinen Stock und begann fluchend auf sie loszudreschen. Im Nu hatte er den ganzen Knäuel auseinander getrieben; aber es wäre ihm zuletzt doch schlecht gegangen, wenn nicht ein paar Soldaten dazu gekommen wären, die ihn erkannten.

In dem Augenblicke, wo der Kutscher, der sich aufgerafft hatte, ihn von hinten beim Kragen ergriff, riefen die Soldaten: »Es ist der Zar! Um Gotteswillen, laßt los, es ist der Zar!«

Im Augenblick lag die Menge vor ihm auf den Knieen.

»Das ist der Elende,« riefen die Soldaten, den Kutscher ergreifend, »der Hand legen wollte an den Zar.«

»Was wolltest Du?« fragte Peter der Große, ihn aus seinen grauen Augen anblitzend.

»Den Schlag wollt' ich Dir zurückgeben, Väterchen, was weiter,« erwiderte der Kutscher, die Achsel zuckend.

»Nun – da warst Du im Rechte –,« sagte der Zar, »laßt ihn los, und hier für die gute Meinung.« Er ließ einige Silbermünzen in seine Hand gleiten.

»Gott segne den Zar!« rief der Kutscher, seine Mütze in die Luft werfend, und die Menge stimmte jubelnd ein, während Peter der Große mit Mentschikoff, der sich totenbleich aufgerafft hatte, in eine Seitenstraße bog.

»Nun, willst Du jetzt reden?« begann der Zar, indem er seinen Stock hob.

»Soll ich alles sagen, was auch daraus entstehen mag?« entgegnete Menschikoff, dessen Lippen von Wut und Bosheit zuckten.

»Ich befehle es Dir, ich, der Zar.«

»Nun denn, Katharina liebt –«

»Den Pagen!« schrie Peter der Große auf.

Mentschikoff nickte.

»Und Du weißt, wie weit sie gekommen sind?«

»Ich weiß es.«

»Sprich, Sprich!«

»Sie hat mit ihm Zusammenkünfte gehabt.«

»Zusammenkünfte?« raste Peter.

»Heimlich – in tiefer Nacht.«

»Du lügst, Sascha,« rief der Zar plötzlich heiter. »Ich vergesse, wie sehr Du selbst in dieses Weib verliebt warst. Du hast sie mir ungern überlassen, ich erinnere mich noch jedes Umstandes, und ich wette, jetzt, wo sie aus Deiner Sklavin Deine Gebieterin geworden ist, gefällt sie Dir noch viel besser. Der hübsche Knabe ist natürlich auch in sie verliebt, warum nicht, es wäre eine Kunst, sie nicht zu lieben, das weißt Du am besten, und von Eifersucht verblendet, weißt Du nichts Besseres anzufangen, als zu lügen und sie zu verleumden.« Peter der Große brach in ein lautes, schallendes Gelächter aus.

Mentschikoff sagte ihm nichts, als was er selbst seit seiner Rückkunft ahnte; aber als der Zweifel, der ihn folterte, durch die Bestätigung eines andern zur Gewißheit werden sollte, jetzt wollte er es nicht glauben jetzt wies er die entsetzliche Wahrheit von sich.

»Majestät, ich lüge nicht!« rief der Fürst nach einer kleinen Pause

»Mentschikoff,« sprach der Zar mit einer kalten Ruhe, welche zugleich etwas Großartiges und Grauenerregendes an sich hatte, »Du klagst Deine Kaiserin eines schweren Verbrechens, des Treubruches an. Beweise, was Du mir angedeutet hast und wovon Du Wissenschaft zu haben vorgiebst. Ein Hofgeschwätz überzeugt mich nicht. Ich will wirkliche Beweise haben, und lieferst Du sie mir nicht und zwar in kürzester Zeit, so hast Du gelogen, und ich lasse Dich vor den Augen Katharinas totpeitschen, verstehst Du, und nun genug davon.«

Mentschikoff, der seinen Herrn kannte, war entsetzlich bleich geworden. Er verneigte sich stumm, und sie gingen dann weiter, ohne mehr ein Wort zusammen zu sprechen. – –

Seit der Rückkehr des Zars war es den Liebenden nur äußerst selten gegönnt gewesen, sich zu sprechen. Nur wenn der Zar, von Staatsgeschäften ermüdet oder nach einem festlichen Mahle, früher zur Ruhe ging, und alles im Palaste schlief, durfte es der Page wagen, das Schlafgemach Katharinas zu betreten. Seine Schwester hielt dann im Vorsaal Wache; aber es waren doch immer ängstliche Stunden, ein ruheloses Glück, und nicht einmal die berauschenden Küsse des schönsten Weibes, wie der Zar Katharina genannt hatte, waren imstande, die bösen Ahnungen zu verscheuchen, welche die sonst so klare Stirn des Jünglings umdüsterten.

Es war eine stürmische Mitternacht; der Schnee pochte an die Fenster, und der Wind heulte in den Kaminen. Peter hatte sich am Abend mit Mentschikoff in sein Kabinett eingeschlossen, um zu arbeiten, dann war er plötzlich zu der Zarin gekommen und hatte ihr befohlen, zu Bett zu gehen, auch er sei müde und wolle ruhen. Als die Lichter in seinem Flügel längst erloschen waren, kein Mensch mehr im Palaste zu wachen schien, standen zwei Männer in kurzen Pelzröcken, den Hut in die Stirne gedrückt, mit Pistolen und Stöcken bewaffnet, unter den dicht beschneiten Bäumen des Gartens, unbekümmert um den Sturm, der oben in den Wipfeln und unten in ihrem Haare wütete und sie mit den eisigen Flocken ins Gesicht schlug.

»Es ist genau eine Stunde,« sagte der eine im grünsamtenen mit dunklem Zobel gefütterten und ausgeschlagenen und mit Gold verschnürtem Rocke, »genau eine Stunde, daß ich sie schlafen geschickt habe. Noch ist nichts zu bemerken. Nicht einmal der Schimmer eines Lichtes. Weh' Dir Mentschikoff, wenn Du gelogen hast.«

»Ich bitte Eure Majestät, sich für eine Viertelstunde ganz meiner Leitung anzuvertrauen,« sagte der Fürst, der einen Fuchspelz von schwarzem Tuge trug und sehr bleich war.

»Gut, ich will thun, was Du verlangst; aber ich gebe Dir nun die Viertelstunde, die Du selbst verlangt hast,« entgegnete der Zar, »dann will ich Gericht halten über sie oder über Dich, Schurke.«

Plötzlich knisterten Schritte im Schnee, und ein vermummter Mann kam ebenso rasch als leise auf die beiden zu. Der Fürst ging ihm entgegen, wechselte einige Worte mit ihm und wendete sich dann zu dem Kaiser. »Es ist Zeit,« sagte er. Peter der Große seufzte auf und folgte ihm. Sie traten durch eine geheime Thüre in den Palast, stiegen, von niemandem bemerkt und ohne nur das geringste Geräusch zu verursachen, die mit Teppichen belegte Treppe empor und standen jetzt vor dem Vorsaal der Kaiserin. Frau von Ball hatte die Thür desselben von innen gesperrt.

Mentschikoff versuchte leise die Klinke, dann klopfte er.

»Wer ist da?« fragte eine weibliche Stimme.

»Euch droht Gefahr, öffnet,« erwiderte Mentschikoff mit verstellter Stimme.

Er erhielt keine Antwort; aber man hörte deutlich ein Frauengewand rauschen, eine Thüre öffnen und zuschlagen. Jetzt verlor Peter der Große, vor Wut und Eifersucht sinnlos, die Geduld und rief: »Brechen wir die Thüre ein, Sascha.« Sie stemmten sich beide mit voller Gewalt an dieselbe, nach kurzem Widerstand flog sie auseinander, und der Zar stürzte, von seinem Vertrauten gefolgt, durch den finsteren Vorsaal in das Schlafgemach seiner Frau, welches er gleichfalls ohne Licht fand.

»Wer ist da?« fragte Katharina mit dem Tone tiefen Erstaunens; sie lag in ihrem Himmelbette und hatte die Gardinen zugezogen.

»Mach' Licht,« gebot der Zar dem Fürsten. In wenig Augenblicken hatte dieser die Kerzen des Armleuchters, der auf dem Nachttisch der Kaiserin stand, angezündet und wies stumm auf das Fenster, welches offen stand.

»Ei, Kathinka,« begann Peter der Große, »bist Du krank, seit wann leidest Du so sehr an Hitze, wer hat das Fenster geöffnet und zu welchem Zweck?«

»Ich habe es geöffnet, weil man zu stark geheizt hat,« erwiderte die Zarin mit zitternder Stimme.

»Zu stark geheizt!« Peter der Große eilte zum Kamin hin und kehrte dann eben so rasch zu dem Bette zurück, dessen Vorhänge er heftig auseinanderriß. Er sah die Kaiserin, mit ihrem Schlafpelz bekleidet, mit verwirrtem Haare in den seidenen Kissen ausgestreckt. »Es ist nicht einmal mehr warme Asche im Kamin,« rief er, »das Feuer ist seit mindestens zwei Stunden abgebrannt, und hier im Zimmer ist es so heiß, daß Du im Pelze schläfst.« Er ergriff den Arm Katharinas und riß sie mit einem einzigen Ruck seiner Eisenfaust aus dem Bette, so daß sie mit einem Male auf dem Boden zu seinen Füßen lag. »Wer war bei Dir, Elende, und hat Dich durch jenes Fenster dort verlassen?« murmelte er mit von Wut erstickter Stimme.

»Niemand war bei mir,« entgegnete Katharina ruhig.

»Du willst nichts gestehen?«

»Ich habe nichts zu gestehen.«

Der Zar ließ sie los und begann das Zimmer zu durchsuchen; der schwere dunkle Vorhang des zweiten Fensters war zugezogen; er teilte ihn mit einer zornigen Bewegung und zerrte Frau von Ball, welche sich hier verborgen hatte, hervor. »Ah! da ist ja die saubere Kupplerin dieses Liebeshandels,« schrie er, »die leidet wohl nicht an Hitze, sondern an Kälte, wollte sich einen schönen Kuppelpelz verdienen, die arme Haut, nun, ich will Dir schon warm machen.« Er schlug sie wiederholt ins Gesicht und schleuderte sie dann auf den Boden hin. Dann setzte er seine Untersuchung fort.

Die Kaiserin hatte sich indes erhoben und stand ihm furchtlos gegenüber. »Was soll dieser Auftritt, der meine Ehre kränkt,« begann sie, »und noch dazu vor Zeugen. Die Arme, die Deine Roheit ebenso kennt und fürchtet, wie alle anderen an diesem Hofe, hat sich, um Deiner bösen Laune zu entgehen, versteckt, das ist ihr ganzes Verbrechen.«

In diesem Augenblicke befand sich Peter der Große in der Nähe des Fensters; er bückte sich, um etwas aufzuheben, und näherte sich dann langsam mit einem furchtbaren Blick seinem Weibe.

»Ihr ganzes Verbrechen, wirklich?« begann er mit einem Hohne, der alle Anwesenden schauern machte, »ich aber sage Dir, sie hat sich ihren Kuppelpelz wohl verdient und soll belohnt werden. Gieb ihr den Deinen und auf der Stelle.« So barock und spaßhaft war dieser große Wilde noch in seinem höchsten Zorne. Als Katharina zögerte, wendete er sich zu Mentschikoff.

»Schließe das Fenster, sie erhitzt sich sonst zu sehr, wenn sie ihn abwirft. Nun aber rasch, sie verdient ihn, und ich will Dich entblößt sehen, ich liebe das, Du weißt es. Gieb ihr den Pelz.«

Die Kaiserin ließ ihn von ihren Schultern herabgleiten und Frau von Ball, welche sich inzwischen aufgerafft hatte, zog ihn bebend an. »Ein prächtiger Pelz, ein kaiserlicher Pelz, nicht wahr?« spottete der Zar, »und wie gut er dem sanften Täubchen läßt, nur ihre blassen Wangen entstellen sie ein wenig, warte, ich will Dich schminken.« Mit diesen Worten schlug er Frau von Ball, welche in ein lautes Schluchzen ausbrach, rechts und links ins Gesicht. Dann trat er rasch vor Katharina hin, welche jetzt im leichten, durchsichtigen Nachtgewande, wie der Zar es in böser Absicht verlangt hatte, vor ihm stand.

»Was ist denn das hier, Kathinka,« fragte er mit einem kalten grausamen Lächeln ihr ein kleines glänzendes Ding entgegen haltend.

Katharina fand keine Antwort.

»Soll ich es Dir sagen?« schrie Peter der Große plötzlich, von seiner ganzen barbarischen Wildheit erfaßt, »eine Schuhschnalle ist das, und Dein Anbeter hat sie hier verloren, als er durch jenes Fenster dort entfloh. Du elendes, treuloses, verbrecherisches Weib!« Zugleich hob er seinen Stock und begann sie zu schlagen.

Als Peter der Große seine Gemahlin verlassen hatte, warf sich Frau von Ball schluchzend zu den Füßen derselben nieder. »Wir sind verloren,« rief sie.

»Noch nicht,« erwiderte Katharina, welche keinen Augenblick ihre Geistesgegenwart verloren hatte, »der erste Zorn des Zars ist jetzt verrauscht. Wenn nur Dein Bruder nicht die Unbesonnenheit begeht, zu fliehen. Dann freilich wäre unsere Schuld erwiesen. Eile zu ihm Er soll sich nicht entfernen, er soll alles dulden, was der Zar über ihn verhängt, er leidet für mich, sag' ihm das. Mit Peter werde ich schon selbst fertig werden.«

Frau von Ball verließ rasch das Gemach, um den Befehl der Kaiserin zu vollführen; aber im Vorsaale fand sie zwei Grenadiere, welche sie zurückwiesen. Händeringend kehrte sie zurück. »Wir sind von Wachen umgeben,« sprach sie, »man behandelt uns als Gefangene.«

Katharina erwiderte nichts; sie öffnete das Fenster, auch unten blitzten Gewehrläufe. »Vorderhand können wir freilich nichts thun,« sagte sie dann; »aber ich gebe die Hoffnung nicht auf.« Sie ging auf und ab. »Er hat mich furchtbar mißhandelt,« begann sie nach einer Weile, »sieh doch.« Sie entblößte ihre Schultern und zeigte sie ihrer Vertrauten. »Und wie gut er in seiner Wut noch alles überlegt; als er mir befahl, Dir meinen Pelz zu geben, hatte er bereits die Absicht, mich zu schlagen, und wollte mir nicht einmal den geringen Schutz gönnen, den mir das dichte Pelzwerk gewährte.« Und mitten in ihrem Entsetzen begannen die beiden Frauen herzlich zu lachen. –

Peter der Große hatte sich indes in sein Kabinett zurückgezogen, wo er zuerst wie ein Rasender tobte, Stühle und Geräte zerbrach und sich dann gleich einem zornigen Kinde zu Boden warf und laut weinte.

So traf ihn Fürst Repnin, der einzige, welcher außer Mentschikoff einigen Einfluß auf seine starke Seele besaß, und der auf die Kunde von dem furchtbaren Vorfall, der sich blitzschnell verbreitet hatte, herbeigeeilt war, um den Zar, von dessen Wildheit das Aeußerste zu besorgen war, so viel als möglich zu besänftigen.

»Wer ist hier?« fragte Peter der Große mit matter Stimme.

»Ich – Majestät.«

»Wer?«

»Repnin.«

»Du, mein Freund.« – Der Zar erhob sich und strich sein wirres Haar aus der Stirne. »Es steht schlecht um uns. Ein großes Unglück ist geschehen.«

»Ich weiß, Majestät.«

»Weißt Du auch alles?«

»Alles.«

»Und was hast Du mir zu sagen?«

»Ich zittere für meinen Kaiser,« sagte Repnin.

»Für mich?«

»Ja, für Eure Majestät; die Schuldigen werden der Strafe, welche sie wohl verdient haben, nicht entgehen,« fuhr der Fürst fort; »aber ich fürchte, daß mein Herr und Zar sich von seinem gerechten Zorne zu weit hinreißen läßt.«

»Zu weit?« rief Peter der Große, »als gäbe es hier ein zu weit! Sie müssen beide sterben, auf dem Blutgerüste vor allem Volke ihre Sünden büßen, das ist beschlossen.«

»Nein, Majestät, es ist unmöglich, daß Sie die Kaiserin auf diese Weise strafen.«

»Unmöglich?«

»Ich denke nicht daran, die Kaiserin in Schutz zu nehmen,« erwiderte Repnin; »aber mein großer Kaiser darf sogar in dieser unglücklichen Stunde, darf, selbst auf das Tiefste beleidigt, seine große Aufgabe nicht ganz vergessen. Er hat sich das erhabene Ziel gesteckt, Rußland in die Reihe der gebildeten Staaten von Europa einzuführen. Mit staunender Bewunderung blickte die Welt auf ihn, auf die großen Kriegsthaten wie auf die unsterblichen Werke des Friedens, die er vollführt, aber unser Land und unser Volk betrachtet man noch mit gerechtem Zweifel und will nicht an den Bestand desselben glauben, was ein seltener Riesengeist auf diesem unwirtlichen Boden unter halbwilden Barbaren geschaffen. Peter der Große darf der Welt kein Schauspiel geben, das dieselbe entsetzen würde, und seinem Volke kein so blutiges Beispiel von Grausamkeit und Barbarei, er, von dem bisher nur Licht ausgegangen ist und Veredlung. Nein, das darf nicht sein. Unsere Feinde würden sonst den größten Triumph feiern und unsere Freunde und die Freunde der Menschheit würden trauernd ihr Antlitz verhüllen.«

Peter der Große gab dem Fürsten keine Antwort; er schritt langsam auf und ab, den Kopf auf die Brust gesenkt, aber er begann nachzudenken, und damit war schon etwas gewonnen. »Soll ich sie also heimlich töten lassen,« begann er nach einer Weile.

»Nein, das wäre noch entsetzlicher,« sprach der Fürst. »Die Kaiserin muß in jedem Falle geschont werden, damit die Welt sich überzeugt, daß der Monarch, welcher die Sitten Europas zu uns verpflanzt hat, dieselbe nicht in seinem eigenen Hause mit Füßen tritt.«

»Du hast recht,« sagte Peter der Große, »aber er?«

»Er muß sein Verbrechen mit dem Tode büßen,« entgegnete Repnin. »Vor ein paar Jahren ist ein Gesetz erschienen, das auf Unterschleife und Bestechlichkeit den Tod setzt. Frau von Ball hat sich in dieser Richtung schwerer Vergehen schuldig gemacht. Es wäre vielleicht das Beste, ihren Bruder nur als Mitschuldigen derselben vor Gericht zu ziehen.«

»Er wird leugnen.«

Er wird nicht leugnen,« gab Repnin zur Antwort; »wenn er sich in jedem Falle verloren sieht und durch sein Geständnis die Kaiserin retten kann.«

»Gut,« sprach der Zar, »ich will in diesem Falle, so schwer es mir kommt, nicht russisch, sondern europäisch vorgehen. Der Page Moens soll auf der Stelle vor mir erscheinen, Du aber führe die Zarin hierher, sie soll Zeuge der Liebkosungen sein, welche ich ihm erweisen will.« – –

Als Moens in das Kabinett des Kaisers trat, stand derselbe in der Fenstertiefe mit dem Fürsten Repnin, während die Zarin in einiger Entfernung auf einem Lehnstuhle saß. Sie war noch immer im Nachtkleide, über das sie ihren dunklen Schlafpelz geworfen hatte, aber ihr Haar war wieder geordnet, und sie hatte ihre Ruhe, sowie die blühende Farbe ihrer. Wangen vollkommen wieder gewonnen. Als sie den Geliebten erblickte, zuckte sie nur unmerklich mit den Augen, behielt aber vollkommen ihre Fassung.

Der Zar trat vor Moens hin, maß ihn mit einem vernichtenden Blicke von oben bis unten und ließ endlich sein Auge auf seinem rechten Fuße haften.

»Man hat Dich wohl in süßen Träumen gestört, Moens de la Croix,« begann er höhnisch, »und so hast Du Dich in der Elle nicht so sorgfältig angezogen, als man es sonst von einem Pagen der Kaiserin und einem Liebling der Damen erwarten sollte. Sieh doch, da fehlt die Schnalle an Deinem rechten Schuh.«

Moens blickte erschrocken hinab, er ahnte den Zusammenhang.

»Aber der Kaiserin mißfällt es, wenn ihre Pagen ohne Schuhschnallen umhergehen,« fuhr Peter der Große fort, »und so hat sie mir diese Schnalle hier für Dich gegeben, die sich in ihrem Zimmer gefunden hat.« Mit diesen Worten warf er sie ihm vor die Füße.

Moens war blutrot geworden, er wollte sprechen, aber er vermochte nur zu lallen,

»Nun aber zur Sache,« sprach der Zar mit imposanter Ruhe, »die Kaiserin hat Dich und Deine Schwester eines schweren Vergehens angeklagt und die strengste Bestrafung desselben verlangt. Du bist beschuldigt, Aemter und Offizierspatente verkauft zu haben, Du hast Dich von fremden Mächten bezahlen lassen; weißt Du wohl, daß auf Bestechlichkeit und Unehrlichkeit von Staatsdienern der Tod gesetzt ist? Du hast Dein Leben verwirkt, und die Kaiserin ist durchaus nicht gesonnen, es Dir zu schenken.«

Moens schwieg, Peter der Große aber sprang plötzlich, in neu erwachender Wut, wie ein Tiger auf ihn los und begann ihn mit den Fäusten zu schlagen, dann warf er ihn zu Boden und trat ihn mit den Füßen. Er hätte ihn erwürgt, wenn Fürst Repnin ihn nicht gehindert hätte.

»Elender Schurke,« schrie er dabei, »ich werde Dich lehren, so das Vertrauen der Zarin zu mißbrauchen, Geschenke anzunehmen, Stellen zu verschachern; was soll ich mit solchen käuflichen, ehrlosen Dienern anfangen, in den tiefsten Kerker mit ihm, man soll ihm den Prozeß machen auf der Stelle.«

Die Kaiserin sah, wie es schien, ihren Günstling ohne nur die geringste Regung des Mitleids in dieser brutalen Weise mißhandeln.

»Wirf Dich der Zarin zu Füßen,« sagte endlich Peter der Große, »bitte sie um Gnade. Sie allein ist es, die Deinen Tod will. Bitte sie recht inständig, vielleicht vergiebt sie Dir.«

Moens erhob sich nur, um vor Katharina in die Kniee zu sinken. Die Sprache versagte ihm, er hob flehend die Hände zu ihr empor, die ihm, ohne nur die mindeste Bewegung zu verraten, ihr kaltes Marmorantlitz zuwendete.

»Ich begebe mich in diesem Falle ganz meines Richteramtes,« fuhr der Zar mit einem höhnischen Blicke auf Katharina fort. »Verurteile ihn oder begnadige ihn, wie Du es für gut findest.«

Die Zarin schwieg.

»O! ich kenne sie,« wendete sich der Kaiser zu Moens, »wenn sie beleidigt ist, kennt sie kein Erbarmen. Also Du willst ihm nicht das Leben schenken? Sieh ihn doch an, er ist noch so jung. Bist Du unerbittlich? Soll er sein Vergehen wirklich mit dem Leben büßen?«

Katharina nickte.

»Du verurteilst ihn zum Tode?«

»Ja,« sprach sie mit eisiger Ruhe.

Der arme Moens verstand von dem allen nur so viel, daß das Weib, das ihn liebte, und das er mit dem ganzen Wahnsinn seines jungen Herzens anbetete ihn preisgegeben hatte, um sich selbst zu retten.

»Da die Kaiserin nichts von Gnade wissen will,« sagte der Zar kalt, »so führen Sie den Verbrecher ab, Fürst Repnin, und verhaften Sie auch auf der Stelle seine Schwester, sie hat gleichfalls schwere Schuld auf sich geladen.«

»Sie ist unschuldig,« rief Katharina sich lebhaft erhebend, »ich bitte um Gnade für sie.«

»Nein,« schrie der Zar, »keine Gnade. Du hast mir das Leben dieses Jünglings verweigert, ich werde dafür Deine Kreatur, dieses schändliche, treulose Weib ebenso erbarmungslos strafen. Kein Wort mehr von dieser Angelegenheit!«

»Ich wiederhole,« rief die Zarin.

Da zerschmetterte Peter der Große mit einem einzigen Schlage seiner Eisenfaust einen prachtvollen Venetianischen Spiegel, der die Wand zierte, so daß er in tausend Stücke auseinanderstob. »Du siehst,« rief er, »daß es nur einer Bewegung meiner Hand bedarf, um diesen Spiegel in Staub zu verwandeln, aus dem er entstanden ist.«

»Nun, und was hast Du damit gethan? Den Schmuck Deines Palastes verachtet; glaubst Du, daß er dadurch schöner wird?« sagte Katharina und brach in Thränen aus. Dieser Vorgang, sowie die Wut sind vollkommen historisch.

Dies schien Peter den Großen zu besänftigen.

»Die Elende soll mit dem Leben davon kommen,« sagte er nach einer Pause; »aber ich werde sie knuten lassen.«

»Erbarmen, mein Gemahl!« flehte die Kaiserin.

»Fünfzig Hiebe,« murmelte er.

»Sie stirbt beim zehnten,« beteuerte Katharina.

»Sterben soll sie nicht,« entgegnete der Zar, »also zehn Hiebe.«

»Verbanne sie.«

»Nein, zehn Hiebe, dabei bleibt's.«

Auf einen Wink des Kaisers entfernte sich die Zarin. Dann ließ Fürst Repnin den unglücklichen Pagen in das Gefängnis abführen und Frau von Ball, welche sich noch immer in dem Schlafgemach Katharinas, von Grenadieren bewacht, befand, gleichfalls verhaften.

Als die Zarin sich nach dieser Nacht des Schreckens endlich allein sah, stürzte sie bei ihrem Bette nieder, und ihr Schmerz löste sich in einem Strome heißer Thränen.

Am Morgen fanden sie ihre Frauen auf dem Boden liegen, den Kopf an die Säule ihres Himmelbettes gelehnt, so hatte der Schlaf sie übermannt.

Sie konnte doch schlafen, aber der Zar in seinem Kabinett und der unglückliche Moens in seinem feuchten Kerker hatten die ganze Nacht kein Auge geschlossen.


Am folgenden Tage erschien Fürst Repnin in dem Gefängnis, in der Absicht, Moens auf den bevorstehenden Prozeß vorzubereiten. Als er eintrat, lag der Page mit seinem Mantel zugedeckt, mit Ketten beladen, auf einem Lager von Stroh und schlief. Die Natur hatte ihr Recht gefordert und endlich über Verzweiflung und Todesangst den Sieg davon getragen.

Der Fürst stand lange in den Anblick des schönen, unglücklichen jungen Mannes vertieft, ehe er denselben durch den Kerkermeister wecken ließ. Als Moens die Augen aufschlug, starrte er zuerst die kahlen Wände, an denen das Wasser heruntersickerte, dann den Fürsten erstaunt an; endlich begriff er seine Lage, erhob sich und begrüßte den Fürsten. Nachdem dieser durch einen Wink den Kerkermeister entfernt hatte, ergriff er die Hand des Pagen und begann: »Moens de la Croix, ich halte Sie trotz des Vergehens, das Sie sich haben zu Schulden kommen lassen, für einen jungen Mann von edlem Charakter und nobler Gesinnung, deshalb bin ich zu Ihnen gekommen, in der Absicht, Sie darüber aufzuklären, welchen Einfluß Sie auf das Schicksal Ihrer Mitschuldigen üben können. Der Zar kennt die Beziehungen, in denen Sie zu seiner Gemahlin gestanden haben, und es giebt nichts in der Welt, was ihn bestimmen könnte, Ihnen dieselben zu vergeben. Ich will offen gegen Sie sein. Hoffen Sie nicht auf Gnade. Sie sind verloren in jedem Falle; aber es liegt ganz in Ihrer Macht, die Kaiserin zu retten. Wollen Sie sich für die Frau, welche Sie lieben, welche Sie mit ihrer Gunst zu dem glücklichsten, beneidenswertesten Menschen gemacht hat, opfern?«

»Ja, das will ich,« erwiderte Moens mit dem warmen Tone echter Begeisterung, »ich will für sie leiden, ja, für sie sterben, wenn es sein muß. Sagen Sie mir nur, was ich zu thun habe.«

»Der Zar ist geneigt, seine Gemahlin zu schonen, wenn er Sie strafen kann, ohne Ihr sträfliches Verhältnis zu ihr überhaupt zur Sprache zu bringen,« fuhr Fürst Repnin fort; »Sie wissen, daß im Jahre 1714 ein Gesetz erlassen und seitdem wiederholt erneuert wurde, das auf Bestechung und Bestechlichkeit die Strafe der Infamie und des Todes durch das Schwert setzt. Ihre Schwester, Frau von Ball, hat sich wiederholt gegen dieses Gesetz versündigt. Wir wissen, daß Sie an ihren Verbrechen keinen Teil haben, aber wenn Sie Mut und Begeisterung besitzen und einer edlen Aufopferung fähig sind, werden Sie die Vergehen Ihrer Schwester auf sich nehmen. Der Zar wird Sie dann für diese verurteilen und nicht allein die Zarin, sondern auch Ihre Schwester, so weit es möglich ist, schonen.«

Moens hatte, das Haupt traurig gesenkt, dem Fürsten zugehört. »Ich bin bereit, zu thun, was man von mir verlangt,« sagte er, »und habe nur noch einen Wunsch.«

»Welchen?« fragte Repnin, als er den Satz zu vollenden zögerte.

»Ich möchte, daß Katharina weiß, daß ich mich opfere, um sie zu retten, daß ich für sie das Blutgerüst besteige, es wird mir mein schweres, trauriges Geschick erleichtern und mich über die Todesschauer der letzten Augenblicke erheben, denn es ist entsetzlich, zu sterben, wenn man so jung ist wie ich und so glücklich war, ach, so namenlos glücklich.«

»Die Kaiserin erwartet dieses Opfer von Ihnen,« sprach Repnin, »sie hat mir aufgetragen, Sie zu grüßen und Ihnen zu sagen, daß sie Ihr Andenken treu bewahren wird bis zum Ende ihrer Tage.«

»Das hat sie Ihnen aufgetragen,« rief Moens erregt, »o! daran erkenne ich sie, diese herrliche, einzige Frau. Ja! ich will für sie sterben und mit Freude, mit Entzücken sogar mein Blut für sie verspritzen. Sagen Sie ihr das.«

Gerührt reichte der Fürst dem unglücklichen Jüngling die Hände, und als er seinen Kerker verließ, glänzten Thränen in seinen Augen. Unmittelbar aus seinem Gefängnis begab er sich zu der Kaiserin, welche ihn in dem kleinen Empfangssaal ihres Flügels erwartete.

»Nun, was bringen Sie, Fürst,« rief sie ihm entgegen.

»Wie ich erwartet – Rettung, vollkommene Sicherheit,« erwiderte der Fürst, »Moens ist entschlossen, ein Geständnis abzulegen, das ihn der vollen Strenge des Gesetzes, der Schärfe des Schwertes preisgiebt. Damit wird sich der Zar zufrieden geben, er wird Moens enthaupten lassen und Sie schonen.«

»Gott sei Dank,« murmelte Katharina. Sie, die noch vor kurzem für Moens gezittert, atmete jetzt bei dem Gedanken auf, ihr Leben gleichsam durch das seine loszukaufen. »Ich bin Ihnen zu großem Danke verpflichtet, Fürst Repnin, und ich wünsche nur Gelegenheit zu finden, Ihnen zu beweisen, wie sehr ich mich als Ihre Schuldnerin betrachte.« Sie reichte dem Fürsten ihre kleine zitternde Hand, welche dieser ehrerbietig an die Lippen führte.

»Und wie haben Sie ihn gefunden?« fragte sie endlich, »ist er gefaßt, klagt er mich nicht an, macht er es mir nicht zum Vorwurf, daß ich ihn aufopfere?«

»Er denkt nicht daran.«

»Armer Moens,« seufzte sie, dann gab sie dem Gespräch eine andere Wendung und hatte ihren unglücklichen Geliebten für den Augenblick vollkommen vergessen.

Der Prozeß gegen die Geschwister de la Croix begann noch an demselben Tage und nahm, da beide gleich in dem ersten Verhör vor ihren Richtern ein umfassendes Geständnis ablegten, einen raschen Fortgang. Der Page Moens zeigte sich bemüht, jeden Vorwurf, den man seiner Schwester machte, dadurch zu entkräften, daß er denselben auf sich nahm, und der Gerichtshof ließ ihn gewähren. Es wurde als bewiesen angenommen, daß Moens, dessen Uneigennützigkeit allbekannt war, Geschenke angenommen hatte, um die Heirat des Prinzen von Holstein zu stande zu bringen, daß er Stellen in der Armee und bei verschiedenen Aemtern an die Meistbietenden verkauft und sich in jeder Richtung der Bestechlichkeit im höchsten Grade schuldig gemacht habe.

Seine Schwester erschien nur als Mitwisserin seiner Verbrechen in jenen Fällen, wo sie ihre Teilnahme absolut nicht leugnen konnte.

Am vierten Tage wurde das Urteil verkündet; es lautete bei Frau von Ball auf zehn Knutenhiebe und Deportation nach Sibirien, bei ihrem Bruder Moens auf Tod durch das Schwert. Er hörte es vollkommen gefaßt, ja, gleichgültig an, während sie in krampfhaftes Schluchzen ausbrach und ohnmächtig weggetragen werden mußte.

Zuerst wurde das Urteil an Frau von Ball vollzogen. Die feine, verwöhnte Dame mußte, die Hände auf dem Rücken gefesselt, in leichten Kleidern, von dem Scharfrichter und seinen Knechten geleitet, in einem Spalier von Grenadieren zu Fuße zur Richtstätte ziehen, von der Menge begafft und verhöhnt. An Ort und Stelle angekommen, wurde sie, nachdem ihr nochmals das Urteil vorgelesen worden, bis zu den Hüften entblößt und an Händen und Füßen festgebunden. Einer der Henkersknechte nahm sie auf seinen Rücken, während ein zweiter sie bei den Füßen hielt, so daß sie sich nicht rühren konnte.

»Herr, erbarme Dich meiner,« murmelte sie unaufhörlich, während der Scharfrichter sein furchtbares Instrument ergriff und sich vier Schritte hinter sie stellte. Dann ging er zwei Schritte vor, schwang die Knute und traf sie auf die Schultern, jeder Hieb zog tiefe Furchen in den üppigen Leib der Unglücklichen, das Blut floß in Strömen herab, beim fünften Hiebe begann sie zu schreien. Es war ein grauenhafter, herzzerreißender Ton, beim achten konnte sie nur noch seufzen, beim zehnten hatte sie die Besinnung verloren. Sie wurde nun losgebunden, in einen Karren gebracht und an dem folgenden Tage nach Sibirien transportiert.

Am folgenden Morgen sollte das Urteil an dem Pagen Moens de la Croix vollzogen werden. Auf demselben Platze, wo seine Schwester geknutet worden war, wurde ein hohes hölzernes Schaffot aufgeschlagen, auf dem der Richtblock stand.

Moens hatte die Nacht ruhig geschlafen. Als am frühen Morgen der Priester kam, um mit ihm zu beten, war er bereits angekleidet und hatte Kaffee und etwas Wein zu sich genommen.

Er ließ sich mit einer gewissen Heiterkeit die Ketten abnehmen, von dem Henker das lange, schöne Haar abschneiden und die Hände auf den Rücken binden.

Fürst Repnin trat ein und fragte um die letzten Wünsche des zum Tode Verurteilten.

»Sagen Sie dem Zar und seiner Gemahlin, daß ich beiden meinen Tod vergebe, und der letzteren, daß ich gern sterbe, wenn sie damit ihre Ruhe und ihr Glück erkaufen kann,« sprach der Unglückliche mit edler Haltung und ohne jede Bitterkeit in Ton und Ausdruck. »Auch meiner Schwester vergebe ich; sie bedarf am meisten meiner Verzeihung, und nun gehen wir mit Gott.«

Er verließ festen Schrittes das Gefängnis und legte den Weg zur Richtstätte in aufrechter, stolzer Haltung zurück, sein Blick suchte unter der unabsehbaren Menge, welche die Straßen füllte, Bekannte zu entdecken, und gelang es ihm, grüßte er sie mit eleganter Nachlässigkeit. Die furchtbare Kälte, welche herrschte, machte ihn von Zeit zu Zeit frösteln, aber er bezwang sich, um nicht den Eindruck zu machen, daß es Todesschauer waren, die ihn schüttelten.

Endlich sah man über den Köpfen der vielen Tausende, welche dasselbe umstanden, das Schaffot düster in den Weißen Winterhimmel emporragen. Moens wies mit dem Kopfe auf dasselbe und lächelte dem Fürsten Repnin, welcher das Exekutionskommando führte, zu.

Ein Garderegiment bildete ein großes Karree um das furchtbare Gerüst und öffnete seine Glieder nur, um den Verurteilten und sein Geleite einzulassen. Von den Henkern geführt, stieg Moens rasch die Stufen empor und blickte, oben angelangt, zuerst gegen den Himmel, dann auf die Menge. Fürst Repnin las ihm das Urteil vor, zerbrach das Stäbchen und übergab ihn dann dem Henker.

Schon kniete Moens vor dem Richtblock, schon lag sein Haupt auf demselben; aber der Scharfrichter zögerte, den Streich zu führen. Er schien etwas zu erwarten. Die Menge wurde unruhig.

Moens wendete sich zu dem Scharfrichter und sprach leise einige Worte mit demselben. Er bat ihn, ein Bild der Kaiserin, das er, in Brillanten gefaßt, auf seiner Brust trug, nach seinem Tode unbemerkt zu sich zu nehmen; die kostbare Einfassung sollte sein Lohn werden, wenn er das Porträt vernichte.

Der Scharfrichter versprach, den Wunsch des Unglücklichen, dessen letzter Gedanke noch der Rettung des von ihm angebeteten Weibes galt, zu erfüllen. – –

Wenige Augenblicke, nachdem er die Meldung erhalten, daß der Zug zur Richtstätte sich in Bewegung gesetzt hatte, trat Peter der Große in das Schlafgemach seiner Gemahlin, riß die Gardinen ihres Bettes auseinander und schrie, sie derb beim Arme rüttelnd: »Steh auf, wir wollen ausfahren.«

»Ausfahren? So früh?« fragte sie erstaunt.

»Frage nicht lange, sondern thue, was ich Dir sage,« herrschte ihr der Zar zu, dann riß er an der Glocke. Die Kammerfrauen eilten herbei und halfen Katharina Toilette machen. »Was haben wir für Wetter?« fragte sie, während ihr Haar frisiert wurde.

»Herrliches Wetter,« gab der Zar zur Antwort.

»Ja wohl, herrliches Wetter,« bestätigte die alte Kammerfrau, welche mit der Robe der Kaiserin hereintrat, »die Sonne scheint fast wie im Sommer, aber es ist doch kalt.«

»Kalt?« fragte die Zarin schüchtern, sie war sehr empfindlich und zitterte vor den Forcetouren ihres Gemahls.

»Ja wohl, grimmig kalt,« murmelte der Zar; »aber eben deshalb fahren wir aus.«

»Willst Du, daß ich erfriere,« rief Katharina.

»Du wirst nicht erfrieren, ich habe dafür gesorgt,« entgegnete Peter der Große, trat in die Thüre und winkte seinem Leibkosaken, welcher, einen Pelz von nie gesehener Pracht auf dem Arme, eintrat und denselben vor der Kaiserin entfaltete.

Diese stieß in freudiger Ueberraschung einen Schrei aus. »Das ist ja blauer Fuchs,« stammelte sie.

Die alte Kammerfrau nickte. »Das Kostbarste, was es auf der Welt giebt,« murmelte sie.

Die Kaiserin sprang auf, um ihrem Gemahl mit einem Kusse zu danken; er stieß sie aber zurück. »Später,« sagte er, »es ist nicht die einzige Ueberraschung heute, Du hast Dir lange so einen Pelz gewünscht, nun sollst Du ihn würdig einweihen und zwar auf der Stelle.« Der Pelz war von Penseesamt, auf dem der Silberschimmer des blauen Fuchses einen wunderbaren Effekt machte. Die Frauen berieten, welche von den Roben der Zarin wohl am besten dazu stimmen würde, und wählten zuletzt eine von mattgelbem Atlas. »Beeile Dich,« rief Peter der Große, mit dem Fuße stampfend, aber Katharina konnte es sich nicht versagen, nachdem sie vollkommen angezogen und in ihren Prachtpelz geschlüpft war, noch einen Augenblick vor den großen Wandspiegel zu treten. So stand sie denn in sorgloser Eitelkeit, mit einem stolzen Lächeln, ganz nur in das Anschauen ihrer majestätischen Schönheit versunken, während der Mann, der sie anbetete wie eine Gottheit, für sie den schweren Weg zum Tode ging.

Endlich nahm sie den Arm ihres Gemahls und stieg mit ihm die Treppe hinab und in den mit vier milchweißen Pferden bespannten, vergoldeten Schlitten, welcher, nachdem sie sich zurecht gesetzt, mit Windeseile über den festgetretenen Schnee dahinflog.

Der Zar saß schweigend neben ihr, während sie gleich einem beschenkten Kinde unaufhörlich schwatzte und lachte; erst als sie sich der Richtstätte näherten und sie die schwarzen Wogen der zahllosen Volksmenge hin und her schwanken sah, begann sie das Entsetzliche zu ahnen; sie sollte den Geliebten sterben sehen.

Jetzt sah sie deutlich das Blutgerüste, den Block, sie sah ihn knieen, noch wenige Minuten, und das Schwert des Scharfrichters blitzte hoch oben in der Luft – ein dumpfer Schrei entrang sich der Menge

Der kaiserliche Schlitten kam in dem Augenblicke an, wo der Henker das blutige Haupt des schönen Moens mit den halbgeschlossenen gebrochenen Augen auf den Pfahl gesteckt und aufgepflanzt hatte. Peter der Große hatte kein Auge von Katharina gewandt, aber an diesem Weibe scheiterte das Raffinement seiner Grausamkeit. Nicht der leiseste Seufzer verriet, was in ihrer Seele vorging, sie saß unbeweglich mit wahrhaft antiker, imposanter Ruhe neben ihm. Und als er bei der Rückfahrt in seiner rohen Weise mit einigen Worten ihrer Schönheit huldigte, konnte sie sogar lächeln.


X.

So lange Katharina Ursache hatte, für ihr eigenes Leben zu zittern, hatte ihre Selbstsucht die Teilnahme an dem Schicksal des Geliebten zurückgedrängt. Als sie sich aber in Sicherheit sah, kehrte mit dem ruhigen, monotonen Gang ihres Lebens auch die Erinnerung des verlorenen Glückes, der genossenen Freuden, und mit diesen der Schmerz um den edlen, schönen Mann mit verdoppelter Gewalt wieder. Sie konnte lachen in dem Augenblicke, wo sie ihren Vertrauten die blutigen Striemen zeigte, welche ihr der Zar geschlagen, sie konnte sogar lächeln, nachdem sie das Haupt des Geliebten auf dem Pfahl gesehen, aber jetzt kam eine tiefe, stumme, unendliche Trauer über sie, jene Trauer, welche das Herz versteinert und die Thränen versiegen macht. Peter der Große sah, was in der Seele dieses Weibes vorging, das mehr als jedes andere rätselhaft und unberechenbar war, und eine finstere Ahnung flatterte unaufhörlich mit Fledermausflügeln um sein Haupt. Er fühlte etwas wie Furcht, wenn er dem eisigen, teilnahmslosen Blick seiner Frau begegnete, und wie alle Menschen, die ihre Angst übertäuben wollen, begann er die, von der er das Schlimmste besorgte, zu demütigen und herauszufordern.

Er wußte, daß er sie am empfindlichsten traf, wenn er ihren Stolz, ihre Herrschsucht verletzte. Bisher hatte sie einen entscheidenden Einfluß auf seine Regierung genommen, kein noch so geringfügiges Staatsgeschäft wurde ohne sie erledigt, und es schien beinahe, als sei Peter der Große unfähig, einen Entschluß zu fassen, ohne sich vorher mit ihr zu beraten. Jetzt blieb sie aus seinem Kabinett verbannt, und ebenso ängstlich mied er ihr Schlafgemach, denn dort fürchtete er, daß sie neue unzerreißbare Schlingen um ihn legen und ihn gegen seinen Willen wieder zu ihren Füßen niederziehen könne. Erschien sie bei großen Tafeln, Hoffesten oder öffentlichen Anlässen an seiner Seite, so richtete er, wenn es nicht zu vermeiden war, einige Worte an sie, aber stets in einer trockenen, kurzen Weise, welche das Herz der eitlen Frau jedesmal bluten machte. Sonst sprach er nie mit ihr, und wenn sie fragte, erhielt sie keine Antwort.

Vor einem Jahre hatte er sie noch so sehr geliebt, war ihre Macht über ihn noch eine so unbegrenzte, daß er sie, das Bauernmädchen von Marienburg, die ehemalige Leibeigene und Maitresse Mentschikoffs, zur Zarin krönen ließ und sie, nachdem er früher schon, von dem unversöhnlichsten Hasse gegen seinen Sohn Alexis getrieben, das Erbfolgegesetz umgestoßen hatte, in seinem Testamente feierlich zu seiner Nachfolgerin ernannte.

Jetzt trat er einmal gegen Abend in ihr Boudoir, während sie, in Gedanken versunken, an dem ausgekühlten Kamine saß, in dem es nur noch unter der weißen Asche ein wenig glimmte. Kein Licht brannte. Eine tiefe Dämmerung füllte das kleine Gemach mit grauem gespenstischen Nebel, aus dem sich von Zeit zu Zeit Gestalten loszulösen und dem in seinem Schmerze erstarrten, unseligen Weibe zu winken schienen.

Katharina schrie auf, als Peter der Große unerwartet vor ihr stand; aber sie faßte sich im nächsten Augenblicke und schob ihm einen Stuhl zu dem Kamine hin.

»Du scheinst nicht erfreut über meinen Besuch,« begann er rauh und spöttisch.

»Ich war verloren in Erinnerungen, als Du eintratest,« sagte sie gleichgültig, »und so geschah es –«

»Daß mein teures Antlitz Dich erschreckte,« rief Peter lachend, »es müssen schöne, wunderbare Erinnerungen gewesen sein, in denen ich Dich störte. Es ist heute die Stunde der Erinnerung. Auch mir ist manches in den Sinn gekommen, woran ich lange nicht gedacht. Auch dieses Dokument hier.« Er reichte der Zarin ein zusammengefaltetes Papier.

»Was soll ich damit?« fragte sie.

»Lesen.«

»Wie soll ich lesen –«

»Aha! es ist dunkel, ich vergaß, mach' also Licht.«

Katharina zündete die Kerzen an.

»So,« fuhr Peter mit einem bösen Lächeln um die vollen, wulstigen Lippen fort, »jetzt lies.«

»Du weißt ja, daß ich nicht lesen kann,« entgegnete Katharina kalt.

Der Zar schlug mit der Faust auf den Sims des Kamins, daß das Porzellan auf demselben zu tanzen begann, und brach in ein lautes, bäuerisches Gelächter aus. »Eine Kaiserin, die nicht lesen kann,« schrie er, »das ist doch zu komisch, Du hättest bei der Spindel und dem Butterfasse bleiben sollen, Kathinka, es wäre besser gewesen für uns beide.«

Katharina war bis in die Lippen erbleicht; aber sie erwiderte nichts.

»Also muß ich Dir sagen, was Du da in Händen hältst,« fuhr Peter der Große fort, »es ist mein Testament, in dem ich Dich zu meiner Nachfolgerin ernannt habe, verstehst Du?«

Die Zarin sah ihn erstaunt an.

»Aber hier ist es kalt, mein Täubchen, heize ein,« sagte er rasch.

»Ich werde der Kammerfrau klingeln,« antwortete Katharina, welche in der Zumutung ihres Gemahls eine neue Demütigung sah.

»Nein, Du selbst wirst heizen, Zarewna,« rief Peter, »und damit Deine hohe Würde nicht zu sehr darunter leidet, werde ich Dir dabei behilflich sein.«

Er nahm Späne, die bereit lagen, und Holz, trug es herbei und schichtete es im Kamine zu einem ansehnlichen Scheiterhaufen auf. »Nun, zünde an,« sagte er mit dem gleichgültigsten Tone.

»Womit?« fragte Katharina.

»Nun, mit dem ersten besten,« gab Peter zur Antwort, »mit dem Papier, das Du in Händen hältst.«

»Peter!« schrie sie auf; sie verstand jetzt erst sein seltsames Beginnen.

»Nun – wird es?« schrie er, und da sie zögerte, nahm er sein Testament, riß es in Stücke und reichte ihr dieselben. »Zünde an!«

Sie zündete die Stücke über dem Lichte an, kniete dann ruhig vor dem Kamine nieder und machte Feuer.

»So, jetzt wird es warm, und wir können angenehm mit einander plaudern, Kathinka,« sagte der Zar.

Sie aber erhob sich mit einem Lächeln, das jedem anderen das Blut in den Adern erstarrend gemacht hätte, und setzte sich ihm gegenüber. »Ja wir wollen plaudern,« und sie begann, wie er es in früheren, besseren Tagen liebte, allerhand Geschichten und Schnurren zu erzählen, und je weniger er lachen zu wollen schien, um so toller und ausgelassener wurde ihre Laune.

Als er sie endlich verlassen hatte, rief sie ihre Kammerfrauen, ließ sich entkleiden und ging zu Bett; aber nur, um mit offenen Augen zu träumen, denn sie konnte nicht schlafen.

Seitwärts von ihrem prachtvollen Lager brannte ein Nachtlicht, dessen kleine rote Flamme, wenn sie von Zeit zu Zeit angstvoll aufflackerte, seltsame Linien und Gestalten in die Dunkelheit zeichnete. Katharina verfolgte sie mit wehmütiger Aufmerksamkeit, und bald begann ihre schmerzlich fiebernde Phantasie dieselben zu ergänzen und um die Wette mit dem kläglichen Lämpchen immer neue Bilder vor ihr geistiges Auge zu zaubern. Wenn die Fenstergardine sich leise regte, da war es ihr, als sei der geliebte Mann heimlich hereingestiegen und näherte sich ihr, um sie plötzlich in seine Arme zu schließen und mit Küssen zu ersticken, und dann sah sie wieder plötzlich sein blutiges Haupt mit den halbgeschlossenen Augen vom Pfahle herab winken, und die bleichen Lippen sich bewegen, sie anzuklagen und Rache von ihr zu fordern an seinem Mörder. Und mit neuer, furchtbarer Gewalt ergriff sie der Gedanke, der in ihr ausgedämmert war, als sie an der Seite ihres Gemahls an dem Blutgerüst vorbeifuhr; alle Dämonen ihrer Brust waren mit einem Male entfesselt, ihre Rechte ballte sich wie um den Griff eines Dolches. Er, den sie jetzt ebenso wütend haßte, als sie sein Opfer unsäglich geliebt hatte, mußte sterben, von ihrer Hand sterben, sie wollte mit einem Male den Geliebten rächen und die Zügel der Herrschaft an sich reißen, die er ihr immer zu entziehen drohte. Immer toller wurde der Wirbel, Furien erhoben sich ringsum aus der Erde, Schlangen in den Händen, Rachegeister umschwebten sie auf nächtlichen Fittichen, da löste es sich mit einem Male von der Wand, teilte die Vorhänge ihres Himmelbettes und stand vor ihr – im weißen Mantel.

»Moens,« schrie sie auf.

»Lassen wir die Toten ruhen,« erwiderte eine wohlbekannte Stimme.

Sie starrte die Erscheinung an und erkannte endlich Mentschikoff, den ihre vertraute alte Kammerfrau eingeführt hatte.

»Ich bin ein lebendiger Mann,« fuhr der Fürst fort, »und dieser nützt Ihnen in Ihrer gegenwärtigen Lage um vieles mehr, als jener, den die Würmer essen.«

»Sie, Mentschikoff,« murmelte die Kaiserin, »was wollen Sie hier, wollen Sie mich morden, wie Sie den armen Moens gemordet haben?«

Mentschikoff schüttelte den Kopf; nachdem sein Wink die Vertraute entfernt hatte, ließ er seinen Mantel fallen und warf seinen Hut auf denselben.

»Waren Sie es nicht, der uns dem Kaiser verraten hat?« rief die schöne Frau, deren Brust zornig wogte und deren Augen den Fürsten zu durchbohren schien.

»Ja, Katharina,« entgegnete Mentschikoff finster, »ich habe Sie verraten.«

»O! ich wußte es,« murmelte sie, in die Polster zurücksinkend.

»Ich habe Sie verraten,« fuhr er fort, »und mein Werk war es, daß der Kopf des schönen Pagen unter dem Beil des Henkers gefallen ist. Darin haben Sie sich nicht geirrt; aber haben Sie sich auch die Frage beantwortet, weshalb ich dies alles gethan habe?«

Die Zarin schwieg.

»Um Ihretwillen, Katharina,« sprach der Fürst.

»Um meinetwillen, Elender?«

»Ja.«

»Hassen Sie mich denn so sehr?«

»Nein, ich liebe Sie nur so sehr,« erwiderte Mentschikoff. »Haben Sie denn nie geahnt, was ich leide? Ich habe Sie geliebt, als sie nur ein armes Bauernmädchen, als diese herrlichen Schultern noch nicht mit dem Hermelin geschmückt waren, ich lag zu den Füßen meiner Leibeigenen und war glücklich, wenn sie mir ein Lächeln schenkte. Da kam der Zar. O! wenn Sie wüßten, was ich für Höllenqualen gelitten habe, als er Sie entdeckte, als Sie ihn zu ermuntern schienen, als er Sie mir endlich entriß. Alle Ehren, die er über mich gehäuft, alle Reichtümer, welche ich in seinem Dienste erwarb, waren nicht imstande, mich diesen Raub an meinem Herzen vergessen zu machen. Damals dachte ich, Sie seien nicht fähig zu lieben, ich sah Sie nur vom Ehrgeiz, von der Herrschsucht getrieben und ich fand es endlich natürlich, als das Schicksal Sie zur Gebieterin Rußlands und mich, den einstigen Herrn Ihrer Person und Ihrer Reize, zu Ihrem Sklaven machte. Da kam jene Stunde, welche mir Ihr Geheimnis entdeckte; ich sah plötzlich, daß Sie ein Herz haben, und sah dieses Herz für einen andern schlagen. Das vermochte ich nicht zu ertragen, Neid und Eifersucht brachten mich von Sinnen, und ich wurde zu dem Teufel, der Ihr Paradies zertrat, nicht, weil ich Ihr Feind bin, Katharina, sondern weil ich Sie heute noch anbete wie damals.« Er warf sich vor ihr nieder, ergriff ihre Hand und preßte sie an seine Lippen, und Katharina, das Weib, dessen Geliebten er dem Henker überliefert, das jetzt aber wie von einem einzigen diabolischen Gedanken beherrscht war, überließ ihm diese kleine, schöne, fiebernde Hand und sagte endlich leise: »Und der Zar? Wenn Sie mich lieben, Mentschikoff, müssen Sie ihn noch viel mehr hassen, als jenen Unglücklichen.«

»Sie blicken in die Tiefe meines Herzens,« entgegnete der Fürst leise, »ich hasse ihn, wie vielleicht noch nie ein Mensch einen anderen gehaßt hat.«

»Dann rächen Sie mich,« sagte die schöne Frau rasch.

»Das will ich auch,« gab der Fürst lebhaft zur Antwort, »deshalb bin ich unter dem Schutze der Nacht zu Ihnen gekommen; ich stelle mich zu Ihrer Verfügung, machen Sie mich zu Ihrem Werkzeug, Sie werden kein treueres, kein gehorsameres finden und keines, auf das Sie so bis zum Aeußersten zählen können, wie auf mich. Befehlen Sie über mich.«

Katharina schwieg einige Zeit, dann schlang sie ihre weichen Arme um seinen Hals, zog sein Haupt an ihre Brust und flüsterte ihm in das Ohr: »Peter muß sterben.«

Mentschikoff nickte.

»Ich selbst will ihm den Tod geben, verstehen Sie,« fuhr die Zarin fort, »und in dem Augenblicke, wo er seinen Atem aufgiebt, muß er wissen, daß ich es bin, die ihn gemordet. Aber jetzt stehen Sie auf.«

Der Fürst erhob sich, und sie stieg aus ihrem Himmelbette gleich der Liebesgöttin.

Rasend vor Leidenschaft stürzte Mentschikoff, von ihren üppigen Reizen berauscht, von Neuem zu ihren Füßen nieder und umfaßte ihre Knie wie ein Verurteilter, der um sein Leben bittet.

Sie lächelte. »Was beginnen Sie,« sagte sie spöttisch, »wollen Sie, daß ich mich erkälte, reichen Sie mir lieber meinen Schlafpelz.«

Der Fürst beeilte sich, den grünsamtenen mit goldig schimmerndem Zobelpelz gefütterten und besetzten Schlafrock von der Lehne des Stuhles zu nehmen und ihr in denselben hinein zu helfen. Die herrlichen Glieder weich in das schwellende Pelzwerk geschmiegt, ließ sich das schöne, verführerische Weib auf einen Divan nieder, welcher in der Nähe des Kamins stand, und zog den Fürsten an ihre Seite.

»Ich kann also unbedingt auf Sie rechnen,« begann sie.

»Ich bin bereit, wenn es nötig ist, mein Blut für Sie zu verspritzen,« erwiderte Mentschikoff mit der Begeisterung der Leidenschaft.

»Ich will ja nicht Ihr Blut, sondern jenes meines Gatten,« sagte sie mit einem teuflischen Lachen, »aber ich verlange, daß Sie mir gehorchen.«

»Und was wird mein Lohn sein?« fragte Mentschikoff.

»Wer wird jetzt schon vom Lohne sprechen,« erwiderte Katharina, indem sie ihm einen leichten Schlag auf die Wange gab, »Sie wissen, daß es dann in meiner Hand liegt, Sie zu beglücken, wie es vielleicht kein anderes Weib auf dieser Erde vermag.«

»Wer zweifelt daran,« seufzte der Fürst. »O! wie schön sind Sie, Katharina.«

»Ja, Mentschikoff, ich weiß, daß ich schön bin,« lächelte sie, »und ich weiß, daß meine Reize ein Sporn sind, mit dem ich Sie treiben kann, wohin ich will. So lange ich Sie zu meinen Füßen schmachten lasse, bin ich Ihrer sicher. Ich werde von jetzt an alle Künste der Toilette und alle Grausamkeit der Koketterie in Bewegung setzen, um Sie rasend zu machen, und ich bin überzeugt, daß Sie dann – wenn ich es befehle – Ihren eigenen Vater morden würden.«

Sie drapierte ihre marmorgleiche herrliche Büste mit dem dunklen Pelzwerk und legte sich dann vertraulich an die Brust Mentschikoffs zurück, ihre Füße auf den Divan ausstreckend.

»So wollen wir mit einander reden,« sagte sie.

Der Fürst seufzte und verschlang das schöne Weib mit seinen Blicken, während sie ihm mit kaltblütiger Berechnung ihren verbrecherischen Plan zu entwickeln begann.


XI.

Zwei Wochen waren vergangen, seitdem sich die Kaiserin mit dem Fürsten Mentschikoff zu dem Untergange ihres Gemahls verschworen hatte; da kam ein unseliger Zufall ihren Absichten entgegen. Der Zar wurde, als er mit seinem Sekretär in seinem Kabinette arbeitete, plötzlich von einem heftigen Unwohlsein befallen.

Man brachte ihn zu Bett und berief die geschicktesten Aerzte, aber Peter der Große, ein echter Natursohn, verabscheute die Arzneien und verachtete die Medizin. Er ließ alle Mittel, die man ihm verschrieb, mit beispiellosem Starrsinn unberührt und drohte jenen, die ihn mit Bitten bestürmten, der Meinung der Aerzte nachzugeben, mit dem Stocke. Sein Leiden verschlimmerte sich von Tag zu Tag, um so mehr, als er, von der Unruhe des Fiebers getrieben, sein Lager verließ und sich aus einem Zimmer in das andere schleppte, vom Lehnstuhl auf den Divan, vom Divan an das offene Fenster, von hier auf den Balkon, auf dem der Schnee lag, und vom Frost geschüttelt wieder zurück unter seine Decken und Bärenfelle.

Endlich sagte er eines Tages mit einem tiefen Seufzer: »Mir kann niemand helfen als Katharina. Sie hat mit ihren Mitteln immer Wunder bei mir gewirkt, so oft ich auch krank war, sie versteht mehr als alle Fakultäten Europas und kennt meine Natur genau. Sie könnte helfen, aber sie wird nicht wollen.«

Graf Tolstoi, der Mentschikoff blind ergeben war, und dem dieser den Dienst bei dem kranken Zaren anvertraut hatte, sprach die Ueberzeugung aus, daß der ausdrückliche Wunsch des Monarchen genügen werde, die Zarin an sein Krankenlager zu rufen.

»Glaubst Du?« sagte Peter der Große, »Du weißt nicht, wie ich sie behandelt habe, seit – seit damals. Aber es sei. Versuche Dein Glück bei ihr.«

Tolstoi ging, und Peter der Große schwankte von seinem Lager zu einem großen Lehnstuhl, in den er sich fallen ließ.

Wenige Minuten und Tolstoi kehrte mit der Nachricht zurück, daß die Kaiserin erscheinen werde. Der Zar atmete auf.

Unterdes hatte Katharina Mentschikoff zu sich berufen, und die beiden trafen ihre Anstalten, die Stunde der Vergeltung, welche das von Rachelust erfüllte Weib seit Monaten ersehnt, nahte, und sie war nicht allein entschlossen, sich zu rächen, sondern sich mit dem ganzen Behagen gesättigten Hasses und befriedigter Grausamkeit an den Zuckungen ihres Opfers, das ihr nicht mehr entgehen konnte, zu werden.

Sie trat, ihre Hausapotheke in der Hand, in das Schlafzimmer des Kaisers, welcher einen Versuch machte sich zu erheben und ihr entgegen zu gehen, aber durch einen neuen heftigen Anfall daran verhindert wurde. »Ich danke Dir, meine Geliebte, daß Du gekommen bist,« sprach er mit rauher, gepreßter Stimme, »ich habe mich in meinen Leiden sehr nach Dir gesehnt. Deine Nähe thut mir wohl, Dein Blick, Deine Hand sind eben so viele Arzneien für mich. Ich habe sie ja so lange entbehrt.«

Die Kaiserin packte ihr Fläschchen aus und prüfte sie, indem sie dieselben gegen das Licht hielt.

»Gieb mir Deine Hand, Kathinka,« begann der Zar von neuem, und als sie ihm dieselbe reichte, küßte er sie und streichelte sie zärtlich. »Wie kalt sie ist,« murmelte er, »aber ich will Dir vor allem meinen Zustand schildern.«

Während Katharina ihm zuhörte und ihm dann mit der ernsten Miene eines Arztes den Puls befühlte, hatte der Fürst alle Anwesenden entfernt und die Thüren gesperrt. Seine Kreaturen Tolstoi und Rumianzoff hielten die Ausgänge besetzt. Es war niemand im Gemach, als Peter der Große, Katharina und Mentschikoff.

Jetzt nahm Katharina ein Glas, füllte es mit Wasser, träufelte aus einem dunklen Fläschchen einen braunen Saft in dasselbe und reichte es dem Kaiser, der es mißtrauisch betrachtete, gleich einem Kinde, das sich vor einer bitteren Medizin fürchtet.

»Muß ich das trinken?« fragte er naiv.

»Ja, Du mußt, und zwar auf einmal,« erwiderte Katharina.

Peter der Große setzte das Glas an die Lippen und leerte es auf einen Zug. Katharina bemächtigte sich in demselben Augenblicke des Glases und des Fläschchens, aus dem sie ihm den Trunk gemischt, und verließ rasch das Gemach.

»Wohin geht sie,« fragte Peter.

»Sie wird sogleich wieder hier sein,« gab Mentschikoff zur Antwort.

Wirklich kehrte Katharina sehr rasch zurück und stellte sich ihrem Gemahl gegenüber, ihn scharf in das Auge fassend. Er bemerkte plötzlich, daß sie jetzt dasselbe Kleid und denselben Prachtpelz trug, in welchem er sie vor das Schaffot ihres Geliebten geführt hatte.

»Was soll das?« fragte er, »diese Kleider sind mir unangenehm, sie erwecken mir Erinnerungen –.«

»Erinnerungen, welche mir in diesem Augenblicke ganz besonders wertvoll sind,« unterbrach ihn Katharina laut und höhnisch, »erinnerst Du Dich jenes kalten, sonnigen Wintermorgens, wo Du mich im Schlitten vor jenes blutbesprengte Gerüst führtest, auf dem das Haupt des unglücklichen Moens aufgepflanzt war?«

»Was willst Du damit,« fragte Peter der Große, zugleich faßte ihn aber ein tiefer Schauer, und ein wütender Schmerz begann in seinen Eingeweiden zu wühlen. »Wie wird mir,« stöhnte er, »es ist, als wollten meine Sinne schwinden – was hast Du mir gegeben, Katharina? – mein Gott! mein Gott!« – Von entsetzlichen Qualen gepeinigt wollte er sich erheben, aber er sank matt und gebrochen in seinen Stuhl zurück. »Mentschikoff, Katharina, Ihr – Ihr ahnt nicht, was ich leide – ist so etwas möglich in einer Welt, die ein allmächtiger und gütiger Gott regiert! Hilf mir, Du dort oben, oder ich verfluche Dich und das Leben, das Du mir gegeben hast!«

Er schrie in seinem Schmerze wie ein Wahnsinniger und fuhr fort, während ihm der Angstschweiß auf die Stirne trat, die unerhörtesten Blasphemien auszustoßen. Katharina stand vor ihm, stumm und regungslos und ließ ihren kalten Blick auf ihm haften.

»Es geht mit mir zu Ende,« stöhnte er plötzlich, »ich will – ich – will – schreiben. Ich will ein – ein Testament machen. Papier! Papier!«

Katharina reichte ihm ruhig ein Blatt Papier.

»Eine Feder!« brüllte er jetzt in seiner wahnsinnigen Pein.

Mentschikoff blickte auf Katharina, und erst als sie ihm zunickte, brachte er das Schreibzeug. Sie selbst nahm jetzt die Feder, tauchte sie in Tinte und reichte sie dem Zar.

Peter der Große begann, seine rechte, zitternde Hand mit der linken unterstützend und führend, zu schreiben. Nur wenige Zeilen konnte er mühevoll auf das Papier bringen.

»Ich sterbe bei vollkommener Besinnung. Mein Weib, Katharina, klage ich des Ehebruches an und erkläre sie des Thrones verlustig, der durch ihre Laster nur beschmutzt würde. Uebergebt alles meiner Tochter Anna –,« weiter kam er nicht. Die Hand und das Auge versagten den Dienst. Er sank weinend zurück. »Muß ich denn sterben?« stöhnte er in den fürchterlichsten Konvulsionen, »ich will nicht, will nicht sterben!«

»Du bist verloren,« erwiderte Katharina, »nichts auf dieser Welt vermag Dich zu retten.«

»Wer sagt Dir das?« schrie der Zar auf, seine Hand suchte zitternd seinen Stock; aber sie fand ihn nicht. Todesangst erfaßte ihn wie einen Verbrecher.

»Ich sehe nichts mehr, was um mich ist,« murmelte er, »Nebel, nichts als Nebel, ich fürchte mich, denn aus dem Nebel kommen die Gespenster, da – da sind sie schon – Alexis – was winkst Du mir, mein Sohn – und dort der Page ohne Kopf – mein Gott! mein Gott!«

Die Geister aller jener, deren Blut er vergossen, schienen vor ihm aus der Erde zu steigen und ihn drohend zu umgeben. So roh und gewaltthätig seine Natur war, so feige und mutlos zeigte er sich jedesmal, wenn eine ernste Gefahr an ihn herantrat; so in jener verzweifelten Lage am Pruth, wo er in seinem Lager von den Türken eingeschlossen war und ihn nur die List und Schönheit Katharinas und die Bestechlichkeit des Großveziers gerettet hatten, so jetzt, wo er die Schauer des Todes fühlte. Seine letzten Augenblicke waren nicht die eines großen Mannes, sondern jene eines grausamen Tyrannen. Und wie seine Verzweiflung auf das Höchste gestiegen war, kehrte – zu neuer Qual – für wenige Minuten sein Bewußtsein zurück.

Die Schmerzen schienen nachzulassen, er blickte scheu um sich und winkte Katharina, näher zu treten. »Es geht besser,« murmelte er, das Haupt an ihre Brust gelehnt, und begann den Pelz an ihrem Aermel glatt zu streichen. »Deine Arznei wirkt.«

»Ja, Peter, sie wirkt,« rief das schöne Weib mit einem gellenden Gelächter, während ihre Augen von Mordlust funkelten, »und eben deshalb stirbst Du.«

Der Zar starrte sie an, er schien sie nicht zu verstehen.

»Rache für Moens!« fuhr sie fort, »Du stirbst durch mich!«

»Gift! Gift!« schrie Peter der Große noch mit der letzten Kraft auf, »laß sie verhaften, Mentschikoff, wirf ihr den Kopf vor die Füße.« Er ballte die Fäuste, um sie zu schlagen, aber sie lachte seiner Ohnmacht und stieß ihn mit aller Kraft vor die Brust, so daß er vor Wut weinend in den Sessel zurück sank.

»Mentschikoff gehört mir,« sprach sie dann mit eisiger Ruhe, »Du stirbst verlassen von allen, ohne Freund, von Deinem Weibe verflucht.«

»Das Testament,« murmelte der Zar.

Katharina ergriff es und riß es in Stücke. »O damit wollen wir heizen, wie mit jenem, in dem Du mich zu Deiner Nachfolgerin ernannt hast,« sagte sie mit vernichtendem Hohne. »Elender! sieh jetzt, wie Du ganz in meine Hand gegeben bist. Stirb und erfahre, daß Du stirbst, damit ich herrsche, denn ich werde Deinen Thron besteigen.«

Peter der Große bäumte sich noch einmal auf, seine Augen drehten, seine Lippen bewegten sich, er hob die geballten Fäuste gegen Katharina, welche vor ihm stand, und eine Lache aufschlug, und während sie ihn verlachte, brach er zusammen. –

Sein Auge verglaste.

Er war tot.

So starb der größte Herrscher Rußlands am 8. Februar 1725, 52 Jahre alt, auf dem Höhepunkte seines Glückes und seiner Macht.

Einen Augenblick blieben die beiden Zeugen seines furchtbaren Endes sprachlos. Dann sagte Mentschikoff: »Ich glaube, er ist tot.«

Katharina legte die Hand an seinen Kopf, dann das Ohr an seine Brust und horchte.

»Er ist tot,« sagte sie nach einer Weile, »ich bin gerächt Und jetzt rasch ans Werk!«


XII.

Verstört, aber zum Aeußersten entschlossen, traten die Mörder Peter des Großen aus dem Gemache, in welchem der tote Kaiser lag. Katharina sperrte die Thüre hinter sich ab und nahm den Schlüssel zu sich.

Rumianzoff und Tolstoi näherten sich, ohne ein Wort zu sprechen und knieten vor dem blutbefleckten kühnen Weibe nieder. »Wir grüßen Dich, Gebieterin Rußlands,« sagte der erstere »und erwarten Deine Befehle.«

Katharina winkte ihnen, sich zu erheben, und traf rasch und mit sicherer Berechnung ihre Anordnungen. Sie entsendete Tolstoi, um den Senat auf der Stelle in den kaiserlichen Palast zu berufen. Rumianzoff eilte in die Kasernen der Regimenter Preobrajenski und Semenowski, während Mentschikoff zu dem Erzbischof von Nowgorod fuhr.

Katharina ging in unbeschreiblicher Aufregung in ihrem kleinen Empfangssaal auf und ab. Der Erste, welcher zurückkehrte, war Mentschikoff. Der Erzbischof trat mit ihm ein und begrüßte die Zarin ehrerbietig.

»Der Kaiser ist soeben plötzlich gestorben,« begann Katharina.

Der Erzbischof erschrak sichtlich, aber faßte sich schnell. »Ein großes Unglück für das Reich,« sagte er, den Kopf schüttelnd.

»Noch größeres abzuwenden,« fiel die Zarin ein, »muß unsere nächste Sorge sein, der Staat muß ein Haupt haben, ehe die Parteien sich erheben und Zwietracht säen, welche das stolze Gebäude des Dahingeschiedenen gefährden könnte.«

»So viel ich weiß,« sagte der Erzbischof mit einem lauernden Blick, »ist ein Testament da.«

»Es ist keins da,« unterbrach ihn Katharina; »aber der Zar hat mich sterbend im Beisein Mentschikoffs zu seiner Nachfolgerin ernannt. Ich bin entschlossen, die Zügel der Herrschaft zu ergreifen, und rechne auf Euere Unterstützung dabei. Die Stunde ist gekommen, wo ich meine Freunde kennen lernen werde und meine Feinde. Ihr kennt nun meine Absicht und meinen unerschütterlichen Willen. Richtet Euch danach.«

Ohne ihm weiter ein Wort zu gönnen, entließ ihn die schöne Frau im Vollgefühl ihrer Majestät mit einem leichten Kopfnicken.

Unterdessen hatte Rumianzoff den Regimentern die entsetzliche Nachricht gebracht, alle Soldaten, welche furchtlos den Schweden, Türken und Persern die Stirne geboten, weinten gleich Kindern, und als der Abgesandte Katharinas ihnen sagte, Peter der Große habe seine Gemahlin schon bei Lebzeiten gekrönt, damit sie nach ihm den Thron besteige, es gäbe aber Leute, die den letzten Willen des großen Toten nicht achteten und umzustoßen suchten, da riefen Hunderte von Stimmen: »Nieder mit den Rebellen, es lebe Katharina, unser Zar!«

Als Rumianzoff hierauf noch Geld und Branntwein an die Garden verteilte, stieg die Begeisterung auf das Höchste. Es wurde Alarm geschlagen, und die beiden Regimenter sammelten sich um ihre Fahnen, bereit, für Katharina zu siegen oder zu sterben.

Während dies in den Kasernen geschah, versammelte sich der Senat in dem großen Thronsaal. Die Kunde von dem unerwarteten Ableben des Zaren hatte sich blitzschnell verbreitet, Volksmassen umlagerten den Palast und harrten mit Spannung der Beschlüsse, welche die Kirchenfürsten und die Großen des Reiches fassen würden. Die Spione Mentschikoffs, als biedere Landleute und Kaufleute verkleidet, hatten vollauf zu thun, die rechte Stimmung in dieselbe zu bringen. Die beste Wirkung machte einer, der unter der Maske eines Branntweinhändlers den süßen Pöbel mit Schnaps begeisterte und dabei die gute Eigenschaft hatte, das Geld für etwas Ueberflüssiges anzusehen und daher keine Zahlung anzunehmen.

Während unten das Volk in seiner Art über die Thronfolge stritt und lärmte, begann oben die glänzende Versammlung ihre Beratung. Der Erzbischof von Nowgorod führte den Vorsitz.

Mentschikoff erschien zuerst allein vor dem Senal

»Peter I., unser erhabener Kaiser, ist vor einer Stunde einer kurzen Krankheit erlegen,« begann er, »ein unberechenbarer Verlust hat uns, das treue Volk der Russen, das Reich und die ganze Mitwelt getroffen, denn der Name des Dahingeschiedenen war für Europa gleichbedeutend mit Bildung, Humanität und Fortschritt.«

Der Erzbischof erhob sich, um der offiziellen Trauer und Rührung Worte zu leihen. Viele Senatoren brachen in allem Ernste in Thränen aus, denn es war von jeher ein nationaler Charakter der Russen, ihre größten Despoten am meisten zu lieben; so wurden Iwan der Schreckliche, Peter der Große und später Katharina II. von ihnen gleich vergöttert.

Nachdem der Senat durch Aufstehen von den Sitzen sein tiefes Beileid ausgedrückt, ergriff Fürst Alexander Mentschikoff von neuem das Wort. »Der Kaiser,« sagte er, »hat in keiner Weise schriftliche Verfügungen über die Nachfolge getroffen, mir jedoch in vertraulichen Stunden zu wiederholten Malen den Wunsch ausgesprochen, im Falle seines Absterbens seine Gemahlin Katharina, welche er in dieser Absicht vor etwa einem Jahre krönen ließ, den Thron besteigen zu sehen.«

Nun entstand ein ungeheurer Tumult.

Ein Teil erhob sich und schrie: »Wir wollen uns von keinem Weibe regieren lassen, wir wollen einen Zaren, einen Mann, der rechtmäßige Erbe ist Prinz Peter, der Sohn des Großfürsten Alexis, es lebe Peter II.!«

»Alexis ist ausdrücklich enterbt,« rief Fürst Repnin, »und somit auch sein Sohn der Thronfolge verlustig. Soweit ich die Absichten meines unvergeßlichen Herrn und Kaisers kenne, hatte er die Krone seiner Tochter, der Prinzessin Anna, zugedacht.«

Viele stimmten freudig bei. »Ja, ihr gebührt der Thron,« rief einer. »Sie hat den Geist ihres Vaters geerbt und ist dabei die Güte selbst,« beteuerte ein anderer. »Hoch, Anna! Hoch Peter II.!« tönte es durcheinander.

»Uebereilen wir uns nicht,« begann Fürst Basil Dolgorucki, »denken wir zuerst an uns und dann erst an den Thron. Wählen wir jenen, der unsere alten Rechte und Freiheiten herstellt und uns neue gewährt. Setzen wir einen Ausschuß nieder, welcher eine Konstitution, etwa nach dem Muster der schwedischen, zu entwerfen hat, beraten wir dann über dieselbe und legen wir sie den Bewerbern um den Thron vor. Derjenige, der sie unterzeichnet und beschwört, soll unser Herrscher sein.«

Die Worte Dolgoruckis erregten einen Sturm von Beifall und Widerspruch. Die Sache schien eine für die Mörder Peter des Großen unheilvolle Wendung zu nehmen, da – mitten in der größten Verwirrung und der leidenschaftlichen Debatte ertönten plötzlich die Trommeln der Regimenter Preobrajenski und Semenowski.

Rumianzoff hatte mit denselben den Palast umzingelt und alle Ausgänge desselben besetzt.

Jetzt erst begannen die Senatoren den ganzen furchtbaren Ernst der Sachlage zu begreifen. Es war plötzlich still geworden im Saale und mitten unter dem Trommelwirbel und Geklirr der Waffen trat Katharina ein, in Trauerkleidern, das bleiche Gesicht von einem schwarzen Schleier verhüllt.

Sie blieb mitten unter ihren Gegnern stehen, indem sie dieselben furchtlos in das Auge faßte.

»So viel ich vernommen, haben sich die meisten Stimmen in dieser erhabenen Versammlung auf den Großfürsten Peter vereinigt,« begann sie; »wenn ich je daran gedacht habe, die Zügel der Regierung zu ergreifen, so war es nur in der Absicht, den Thron dem Sohn eines Prinzen zu erhalten, dessen unglückliches Ende ich vor allen anderen stets beweint habe.«

Sie berührte diesen Punkt absichtlich mit unerhörter Frechheit, denn sie wußte nur zu gut, daß man sie beschuldigte, seinen Tod verschuldet und ihm, im Einverständnis mit seinem Vater, Peter dem Großen, Gift gereicht zu haben.

»Ich wäre jedoch zurückgetreten, wenn Aussicht in dieser Frage vorhanden gewesen wäre,« fuhr sie fort, »aber schon sehe ich den hohen Senat vom Parteigeist ergriffen, schon höre ich die Stimmen, welche die Rechte des Thrones anzutasten wagen, und dies erinnert mich an die Pflichten, welche mir die Krönung auferlegt, das Reich vor Zwietracht zu bewahren, und an die Rechte, welche mir dieselbe verleiht. Ich bin entschlossen, von denselben Gebrauch zu machen und den letzten Willen des Kaisers zu erfüllen, indem ich das seiner Hand entsunkene Scepter ergreife. Ich verspreche, den Großfürsten Peter so zu erziehen, daß er würdig wird, dem großen Monarchen in der Regierung nachzufolgen, dessen Verlust wir alle so schmerzlich beweinen.«

Wieder ertönten Trommeln, und vor den Thüren des Versammlungsaales rasselten die Kolben der Grenadiere nieder. Jetzt erhob sich der Erzbischof von Nowgorod und erklärte, daß der verstorbene große Zar ihm gegenüber bei verschiedenen Gelegenheiten den Willen ausgesprochen habe, nach seinem Tode alle Rechte der Souveränität seiner Gemahlin zu übertragen und zwar mit den Worten, daß sie, die das Reich an den Ufern des Pruth gerettet, es auch wohl zu regieren verdient. Er schloß damit, daß er Katharina als Alleinherrscherin und Kaiserin aller Russen anerkannte.

Dies Beispiel wirkte.

Die ganze Versammlung erhob sich mit lebhaftem Zuruf. »Es lebe die Kaiserin Katharina I.!« schrie Mentschikoff, indem er das Fenster öffnete. Tausende von Stimmen im Palaste und um denselben stimmten ein, und der Ruf: »Es lebe Katharina I.!« pflanzte sich durch die ganze Hauptstadt fort.

So eroberte sich das Bauernmädchen von Marienburg, die Sklavin Mentschikoffs, den alten Thron der Zaren.

Katharina nahm huldreich die Glückwünsche der Senatoren entgegen und eilte dann in ihre Gemächer, wo sie die Trauerkleider herabriß. »Genug der Heuchelei,« sprach sie, »wir stehen am Ziele.«

Eine Viertelstunde später trat sie, von Schönheit strahlend, das funkelnde, an den katholischen Heiligenschein mahnende Diadem der Zarewna auf dem Haupte, über der fließenden weißen Atlasschleppe den rotsamtenen Hermelinpelz, heraus und zeigte sich zuerst vom Balkone den Soldaten und dem Volke. Dann schritt sie, in stolzer Haltung gnädig lächelnd, die Marmortreppe hinab, von den Garden mit begeisterten Hurras begrüßt, stieg zu Pferde und ritt, von Mentschikoff und einer glänzenden Suite begleitet, durch ihre Hauptstadt, überall vom Volke umdrängt und mit Jubel empfangen.

Spät am Abend kehrte sie in den Palast zurück und so wie sie war, im vollen Glanze der Schönheit und der Herrschaft, befahl sie Mentschikoff, vor ihr zu erscheinen.

Er trat ein und ließ sich auf ein Knie vor ihr nieder.

»So ist er recht, Du findest Dich schnell in Deine neue Stellung,« sprach sie mit einem feinen Lächeln, »vergiß nie, daß Du nur der erste meiner Unterthanen bist.«

»Dein Sklave,« erwiderte Mentschikoff und führte mit der Demut eines russischen Leibeigenen den Zipfel ihres Hermelinpelzes an die Lippen.

»Und Dein Lohn? Frägst Du nicht mehr danach,« spottete sie.

»Ich sehe Dich im Hermelin und bin belohnt genug,« erwiderte er begeistert.

»Wirklich,« sagte sie, indem sie die Hand auf seine Schulter legte, »aber mir ist wohl erlaubt, ein wenig daran zu zweifeln. Komm, mein Freund, ich werde Dir nicht sagen, daß ich Dich liebe, ich habe nur einmal geliebt in meinem Leben, aber ich bin Dir dankbar. Komm, wir wollen zu vergessen suchen, was hinter uns liegt.« Sie hob ihn auf, und er schlang, vor Seligkeit halb von Sinnen, die Arme um sie.


Die Mörder Peter des Großen genossen die Früchte ihrer Verbrechen nicht lange. Die Nemesis ereilte sie nur zu bald.

Katharina I. regierte nur zwei Jahre, dann starb sie, von Gewissensbissen gefoltert, unter schrecklichen Qualen in der Blüte des Lebens, achtunddreißig Jahre alt.

Peter II. folgte ihr. Obwohl er mit der Tochter Mentschikoffs verlobt war, gelang es doch dem Dolgorucki, den letzteren zu stürzen, und zwar gerade in dem Augenblick, wo seine Macht eine unumschränkte schien. Er wurde aller seiner Würden und seiner Vermögens für verlustig erklärt und nach Sibirien verbannt, wo seine Frau sich die Augen blind weinte und er selbst nach zwei Jahren kummervollen Daseins in tiefster Schwermut starb.


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