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Das Märchen Potemkins.


I.

Potemkin, der allmächtige Günstling der Zarin Katharina II., der glückliche Eroberer der Krim, hatte sich als Generalgouverneur der neueinverleibten Provinzen und Großadmiral des schwarzen Meeres eine Stadt an dem Ausflusse des Dniepr erbaut, die er Cherson nannte, und in welcher er von fabelhaftem Glanz umgeben residierte. Im Jahre 1778 erbaut, zählte die Stadt kaum acht Jahre später bereits 40,000 Einwohner, welche der, wo es eine seiner Lieblingsideen auszuführen galt, rücksichtslos energische Potemkin zum Teil mit Gewalt dorthin verpflanzt hatte. Zuerst wollte er eine Stadt haben, und in kaum einem Jahre stand sie da; dann beschloß er, daß diese Stadt sich durch eine große Bevölkerung auszeichnen solle, und die Menschen strömten zu, wie es sein Wunsch war; endlich befahl er, daß Cherson ein großer Handelsplatz werde, und als man 1786 zählte, blühte der Handel in Cherson wie in keiner anderen Stadt des südlichen Rußlands.

Mitten auf dem Quai, welcher den Hafen umsäumte, lag der Palast, den sich Potemkin erbaut hatte, auf einem großen, freien Platze. Den Schiffen, welche aus dem schwarzen Meere zum ersten Male in Cherson einliefen, erschien er, aus großen Quadern von einem genialen Baumeister erbaut, an die herrlichen Bauten Italiens, den wie von Titanen ausgerichteten Palazzo Pitti in Florenz oder jenen der Pesaro an dem Canal grande der Bella Venezia mahnend, und doch war das Ganze nur ein bescheidener Holzbau; wie alles Russische, dem noch immer vorherrschenden Nomadencharakter der größten europäischen Nation entsprechend, nur für den Augenblick erbaut, um in dem nächsten abgerissen zu werden, wie ein Zelt, wie die Laubhütte des Zigeuners.

Aber die äußere Verkleidung des armseligen hölzernen Baues suchte an Reichtum unter den Palästen Asiens und an künstlerischer Schönheit unter jenen Europas ihresgleichen. Mit noch größerer Verschwendung aller Mittel der Kunst und Industrie war das Innere dieses wahrhaft fürstlichen Sitzes eingerichtet, denn Potemkin liebte die Künste leidenschaftlich, vor allem die Musik, so daß sein Palast ein Orchester von nicht weniger als achtzig Musikern und einen Chor von beinahe ebenso viel Sängern beherbergte.

Der Palast des Generalgouverneurs war von einem großen Park im englischen Geschmack umgeben, der gegen die Stadt zu den Charakter eines Obstgartens annahm.

Hier war im Spätsommer des Jahres 1786 am frühen Morgen schon ein junges Mädchen damit beschäftigt, herrliche Pflaumen in ein Körbchen zu pflücken, das eigentlich schon den Namen eines Korbes verdiente.

Das Mädchen war ganz in hellem geblümtem Musselin im Geschmacke der Rokokozeit gekleidet, was zu ihrem goldblonden Haare sehr gut ließ; der kleine Schäferhut, der auf ihrem Köpfchen saß, ließ zwei himmelblaue Bänder auf ihrem Nacken hinabflattern; sie stand auf den Fußspitzen und in dem Bemühen, die Zweige abzulesen, wiegte sie sich mit Anmut in den Hüften. Ihr kleines, zierliches Figürchen stimmte vortrefflich zu dem reizenden Gesichtchen mit dem eigenwilligen Stumpfnäschen und dem vollen, roten Mund.

Von Zeit zu Zeit summte sie ein französisches Liedchen, dessen ausgelassene Melodie hell und herausfordernd in den Garten hinausklang. Offenbar hatte sie keine Ahnung davon, daß sie beobachtet wurde und noch dazu von einem sehr hübschen, jungen Kavalier, der in dem feinsten roten Atlasanzug, den mit Goldborten benähten dreieckigen Hut auf dem milchweißen Toupet, den blitzenden Galanteriedegen an der Seite, kaum fünfzig Schritte weit von ihr in einem Boskett stand.

Die blonde Schöne aber pflückte unbekümmert ihre Pflaumen fort und trillerte gleich einer Lerche, bis sie sich plötzlich von einem kräftigen Arm umschlungen fühlte und der hübsche Kavalier aus dem Boskett ihr die Lippen, denen eben ein Angstschrei entschlüpfen wollte, mit einem feurigen Kusse schloß. Aber beinahe in demselben Augenblick hatte sich auch das Mädchen wieder losgerissen und maß den allzu kühnen Liebeswerber mit einem vernichtenden Blick.

»Sind Sie mir böse, Natalie?« fragte der junge Kavalier.

»Herr Graf –«

»Nicht so fremd, mein Fräulein,« fiel der Liebende ein. »Sie wissen, wie sehr ich Sie verehre, – anbete.«

»Wie soll ich das wissen?«

»Sie haben es wohl in meinen Augen gelesen.«

»Ich habe das bis heute nicht bemerkt, mein Herr Graf!«

»O, Sie finden Vergnügen daran, mich zu quälen!« rief der Graf. »Aber ich lasse mich nicht durch Ihre kleinen Malicen täuschen. Ich liebe Sie mit aller Innigkeit und Glut meines Herzens, das noch nicht geliebt hat, und es ist mir unmöglich, ferner ohne Sie zu leben.«

»Armer Graf,« spöttelte das Fräulein. »So jung und schon dem Tode geweiht.«

»Sie weisen mich also zurück?« murmelte der Graf, vor Aufregung bebend.

Die Kleine lächelte und reichte ihm mit der reizendsten Schalkhaftigkeit den Korb mit den Pflaumen.

»Soll das Ihre Antwort sein?«

»Ja.«

»Ein Korb?«

»Ja, ein Korb.«

»Sie fügen also zu der Vernichtung aller meiner Hoffnungen, meines Lebensglückes, noch den Spott?« stammelte der arme Junge. »Sie haben indes Recht, mein Fräulein; Natalie von Engelhardt, die Nichte des mächtigen Potemkin, weiß wohl einen glänzenderen Gatten zu finden, als den bescheidenen Branizki.« Damit stellte der Graf den Korb zu den Füßen der grausamen Schönen nieder und nahm mit einer ehrerbietigen Verneigung Abschied.

»Nein, Branizki,« rief Natalie, ihn zurückhaltend, »so dürfen Sie nicht gehen, nicht mein Hochmut ist es, der uns trennt, aber mein Oheim würde es nie zugeben, daß ich Ihnen meine Hand reiche.«

»Sind nicht die Grafen von Branizki eine der ersten Familien Polens?« entgegnete der junge Kavalier rasch.

»Gewiß,« besänftigte das Fräulein, »aber ich glaube –«

»Sie lieben mich nicht, das ist es.«

»Das ist es nicht« – die Worte entschlüpften der jungen Schönen halb gegen ihren Willen, so daß sie nicht wenig erschrack, als Branizki sich zu ihren Füßen niederwarf und ihre Hand an seine Lippen preßte.

»Stehen Sie auf,« flehte sie, »wenn Potemkin –«

»Er soll kommen, ich fürchte ihn nicht.«

»Aber ich,« sprach Natalie; »ich glaube, er ist – aber lachen Sie mich nicht aus – er ist selbst, ohne es zu wissen, ein wenig in mich verliebt und wird niemals seine Einwilligung geben.«

»Dann soll er Sie in ein Kloster sperren!« rief der Pole empört.

»Dieser Palast, die Höhle des taurischen Löwen, ist schlimmer als ein Kloster,« versicherte Natalie; »aber ich will Ihnen beweisen, daß ich Sie nicht geringschätze, daß Sie mir wert sind, und ich erlaube Ihnen daher, mit meinem Oheim zu sprechen.«

Jetzt kannte das Entzücken des feurigen Polen keine Grenzen, er schloß Natalie in seine Arme und hätte sie mit Küssen erstickt, wenn nicht eine beiden wohlbekannte gebieterische Stimme vom Palaste her wie ein Blitz zwischen sie gefahren wäre.

»Natalie!« rief die Stimme.

Das mit Purpurröte übergossene Fräulein raffte schnell ihr Körbchen zusammen und eilte davon, während der Graf langsam in einem weiten Bogen um den Palast herumging und sich dann dem vorderen Portal desselben näherte.

Hier spielte eine eigentümliche Scene. Menschen der verschiedensten Nationen und Stände: Tartaren, die spitze Kegelmütze auf dem Kopfe, Kosaken in weiten Pluderhosen, Juden in langen schwarzen Kaftanen, Muhamedaner, kleinrussische Bauern, das Haar in die Stirne geschnitten, vornehme Damen in bauschigen Damastroben, ihre geschminkten, mit Schönheitspflästerchen bedeckten Wangen fächelnd, Popen, Soldaten, und Matrosen lagerten vor dem Palaste des mächtigen Generalgouverneurs oder standen, Bittschriften in den Händen, umher. Zwei Grenadiere, das Gewehr im Arm, hielten Wache.

Auf einmal trat ein hoher Mann mit schönen gebieterischen Zügen aus dem Palaste, das eine Auge durch eine schwarze Binde bedeckt, in einem ungewöhnlichen Aufzuge, barfuß, über dem groben Hemde einen türkischen Schlafrock von seltener Pracht, das unbedeckte Haupt der Sonne preisgebend, eine höchst seltsame Erscheinung, halb Sultan, halb Philosoph.

»Nun, was habt Ihr?« rief er mit starker Stimme, »hierher mit Euren Bittschriften und Klagen!«

Ein Teil der Anwesenden warf sich auf die Kniee, andere näherten sich barhaupt in tiefster Demut.

Jetzt erblickte der bloßfüßige Mann in kostbarem Schlafrocke den Polen.

» Bon jour, Monsieur Branizki,« begann er, »was führt Sie zu mir?«

»Ein Anliegen, daß ich Eurer Excellenz nur unter vier Augen vortragen kann,« entgegnete der Graf.

» Bon, also warten!« rief der Bloßfüßige, die Schriften in Empfang nehmend; als er fertig war, winkte er Branizki und trat mit ihm in ein mit Trophäen, Fahnen und Waffen geschmücktes Zimmer des Erdgeschosses.

»Was sucht man bei Potemkin?« begann er, als sie allein waren.

»Ich will ohne Umschweife reden, Excellenz,« sprach der Pole.

»Sehr verbunden, also?«

»Ich liebe die Nichte Eurer Excellenz, Fräulein von Engelhardt, und bitte um Ihre Einwilligung zu meiner Vermählung.«

Potemkin räusperte sich heftig. »Sie sind also der Gegenliebe meiner Natalie ganz sicher?«

»Nicht im mindesten,« beeilte sich Branizki zu erklären.

»So? – nun, Sie können sie ja selbst fragen,« sagte Potemkin und zog die Glocke. Zuerst kam ein Kosak, dem der General-Gouverneur flüsternd einen Befehl erteilte, worauf derselbe verschwand.

Wenige Minuten und Natalie trat in das Zimmer.

»Da ist sie,« sprach Potemkin; »mein gutes Kind, der Herr Graf, ein junger Mann, den ich sehr schätze, hält um Deine Hand bei mir an, wir haben Dich bitten lassen, um vor allem Deine Meinung einzuholen.«

»Sie wissen, mein teurer Oheim, daß Ihr Wille in allem der meine ist,« erwiderte Natalie mit einem schelmischen Seitenblicke auf Branizki durch die langen Wimpern.

»Das heißt also, Du bist sehr erfreut über die Ehre, welche Dir der Herr Graf zugedacht hat,« erklärte Potemkin, »aber da Dein Herz keine Liebe für ihn fühlt –«

»Das habe ich nicht gesagt,« fiel die Kleine ein.

»Was hast Du denn gesagt?« brauste Potemkin auf: »Sie haben gehört, lieber Graf, wir haben keine Hoffnung auf dieses Feenkind, dessen Launen zahllos sind, wie die Sterne am Himmel. Vergeben Sie daher, wenn ich Sie nicht länger aufhalte, aber Sie sehen, ich bin sehr beschäftigt.« Er nahm rasch die Schriften unter den Arm und die kleine Blondine bei der Hand und zog dieselbe aus dem Gemach.

Branizki blieb sprachlos zurück.


II.

In den nächsten Tagen fand der verliebte Pole keine Gelegenheit, sich der Dame seines Herzens zu nähern, er durchstreifte den englischen Park, welcher Potemkins Residenz umgab, nach allen Richtungen, lag Stunden lang am Morgen unter irgend einem Baume oder stand halbe Nächte unter den Fenstern des Palastes, alles vergeblich; er sah die Tartaren, Kosaken, Juden und Bauern mit ihren Bittschriften, er sah Potemkin bloßfüßig in seinem türkischen Schlafrock erscheinen und dieselben in Empfang nehmen, er sah, wenn alles zu schlafen schien, nur da und dort ein Fenster erleuchtet war, wohl einmal einen Schatten vorüber schweben, den er für Natalie hielt, aber sie selbst schien verschwunden. Endlich gefiel ihm die Rolle des seufzenden Schäfers nicht mehr und er begann auf einem halbwilden Rosse aus der Ukraine die menschenleere, baumlose Steppe um Cherson zu durchstreifen, nur von ein paar schlanken, englischen Windhunden von gelber Farbe begleitet.

Eines Abends, als er wieder in dieser Weise durch das hohe Gras strich, das ihm um die Kniee spielte, und den Trappen zusah, welche von Zeit zu Zeit aus dem grünen Ocean, der ihn umgab, emporstiegen und sich gleich Silhouetten auf dem blaßroten Himmel abzeichneten, hörte er auf einmal in weiter Ferne eine wohlbekannte liebe Stimme. Er wendet sich rasch im Sattel, kein Zweifel, es war das Fräulein von Engelhardt, das in einem grünsamtenen Reitkleide, ein Hütchen mit weißen Straußfedern auf dem wohlgepuderten Toupet, sich anmutig im Sattel schaukelnd, auf milchweißem Pferde daher kam.

»Was machen Sie denn hier?« rief sie ihm jetzt zu, »wissen Sie nicht, daß hier mein Reich ist?«, und ihr Pferd parierend, ergriff sie das seine bei den Zügeln. »Ich mache Sie zu meinem Gefangenen, mein Herr,« schloß sie mit allem Ernste, der ihr zu Gebote stand.

»Ach! ich trage Ihre Fesseln ohnehin mehr mir lieb ist,« erwiderte der Pole.

»Wer wird denn gleich seufzen?« spottete sie, »es giebt noch genug hübsche Mädchen auf der Welt. Ein Mann darf unter keinen Umständen den Kopf hängen lassen.«

»Das thu' ich auch nicht,« sprach Branizki, »ich habe mich nur in diese Einsamkeit geflüchtet, um auf Rache zu sinnen.«

»An mir?« fragte Natalie mit einem reizenden Lächeln.

»Nein – an Potemkin.« Die beiden jungen Leute ritten jetzt neben einander der Gouvernementsstadt zu.

»O! ich werde ihn lehren, ich werde ihn vernichten.«

»Ich bin neugierig, wie Sie das anfangen wollen,« fiel Natalie ein.

»Direkt nach Petersburg zur Zarin will ich mich begeben,« rief Branizki, dessen Augen zornig funkelten. »Ich werde ihr über ihren Liebling die Augen öffnen, parole d'honneur, ich werde ihr erzählen, wie dieser Herr Potemkin die Krim erobert hat, welche schändlichen Intriguen er spielen ließ, wie viel Blut er ohne Not vergoß, ich werde ihr erzählen, wie er dem von den Türken abhängigen rechtmäßigen Khan dieses Landes, Dewlet Gherai, in einem seiner Verwandten, Sahim Gherai, einen Prätendenten entgegengestellt hat. Majestät, werde ich fortfahren, er hat diesem neuen Khan auch eine Leibgarde aus russischen Soldaten gegeben, dieser saubere Herr Potemkin, aber nicht etwa, um denselben zu bewachen, sondern zu keinem anderen Zwecke, als um sie von den Tartaren massakrieren zu lassen. Und als die einfältigen Tartaren dem sauberen Herrn seinen Willen thaten und diese Leibgarde wirklich niederhieben, da war der Vorwand, den er lange gesucht hatte, gegeben, um in die Krim einzurücken, da trieb er die unglücklichen Tartaren wie eine Herde Schafe vor sich hin, und was nicht im Kampfe fiel und sich dem Scepter Eurer Majestät gutwillig unterwerfen wollte, mußte über die Klinge springen. Sie werden staunen, Majestät, daß Ihre Generäle solche blutgierige Tiger sind. O! es fand sich unter denselben doch einer, der Anspruch auf den Ehrentitel »Mensch« erheben kann, er erklärte dem großen Würger kaltblütig: »ich bin kein Scharfrichter«, aber Potemkin lächelte, denn ihm standen ja genug andere Henkersknechte zu Gebote, und sie schlachteten, seinem Befehle gehorchend, dreißigtausend Menschen, Mann und Weib, Greis und Kind, Tausende anderer wurden in Leibeigenschaft nach Rußland geschleppt.«

»Fügen Sie aber auch hinzu,« fiel Natalie ein, »daß durch diesen Krieg die Krim, die Insel Tauris und der Kouban dem russischen Reiche einverleibt worden sind, daß den Russen das schwarze Meer und die Schlüssel des Orients in die Hände geliefert, daß in den eroberten Ländern durch diesen verruchten Potemkin wie mit einem Zauberstabe große Städte wie Cherson, Mariapol, Katharinoslav aus der Erde gezaubert wurden, Handel, Manufakturen zu blühen beginnen, daß selbst die Fruchtbäume, deren sich der Bewohner der Krim jetzt erfreut, von seiner Hand gepflanzt sind.«

»Ja, so liest man es in den offiziellen Berichten, die jeden Montag nach Petersburg gesendet werden,« unterbrach Branizki die Geliebte; »ich werde aber Katharina die ungeschminkte Wahrheit sagen, ich werde ihr schildern, wie ihr Liebling in den mit so viel Blut bezahlten Ländern regiert, wie er sie mit einem prahlerischen Namen des Altertums Taurien nennt, um die Welt zu blenden, wie aber dies berühmte Cherson die Hauptstadt einer Wüste ist und eine zweite Wüste »Ruhm Katharinas« (Slava Jekatherina) getauft wurde, scheinbar eine wohlerdachte Schmeichelei, in Wirklichkeit eine freche beispiellose Satire; ich werde der Kaiserin schildern, wie dieser große Eroberer die ihm anvertrauten Provinzen entvölkert und plündert, wie er das Volk und den Staat in gleich schamloser Weise bestiehlt, Sahim Gherai's, des abgedankten Chans Jahrgeld unterschlägt und ihm – als er sich zu beklagen wagte – in die Verbannung schickte; ich werde die Vergangenheit dieses schönen klassischen Bodens und seine Gegenwart gegen einander halten, werde diese Tartaren vorführen, wie sie vor kurzem noch in kostbare Seide gekleidet, in Palästen, großen Städten oder prächtigen Zeltlagern wohnten und jetzt in Lumpen gehüllt gleich Zigeunern durch Sumpf und Steppe irren.«

»So, thun Sie das,« murmelte Natalie, deren Miene sich während Branizki's Erzählung immer mehr verfinstert hatte, »leider kann ich Sie nicht Lügen strafen, eilen Sie zur Kaiserin, öffnen Sie ihr die Augen, es ist der sicherste Weg, sich an Potemkin zu rächen und an mir.«

»An Ihnen?« fragte Branizki bestürzt.

»Auch an mir,« flüsterte das Fräulein, »denn es wird uns für immer trennen.«

»Und das würde Sie schmerzen?« rief der Pole.

»Ja, denn ich liebe Sie,« entgegnete Natalie, diesmal mit aller Einfachheit der Wahrheit.

Branizki schlang rasch seinen Arm um sie, und ein feuriger Kuß schloß die schalkhaften Lippen Nataliens.

»Und Sie wollen mein sein, ganz mein?« stammelte er, als sie sich endlich sanft losgemacht hatte.

»Sie müssen mir vor allem versprechen, klug zu sein, mein Freund,« sagte Natalie, die Hand leicht auf seine Schulter gestützt, »dann wird alles nach Wunsch gehen, vertrauen Sie nur mir. Ich habe es mir einmal in den Kopf gesetzt, Sie für Ihre Vermessenheit, mich heiraten zu wollen, zu bestrafen, indem ich wirklich Ihre Frau werde, und wenn ich mir etwas in meinen kleinen Kopf gesetzt habe, so ist dies wenigstens ebensoviel, als wenn Potemkin seinen großen Kopf aufsetzt.«


III.

Noch nie hatte Natalie ihren Oheim in solcher Aufregung gesehen, als wie er heute zum Frühstück kam; sein noch ungepudertes und unfrisiertes Haar hing in verworrenen Strängen in die Stirne und über die Schultern herab, den persischen Schlafrock hatte er rückwärts mit beiden Händen zusammengeballt und ohne den lukullisch gedeckten Tisch zu beachten, schritt er heftig im Zimmer auf und ab, bis die Diener auf seinen gebieterischen Wink dasselbe verlassen hatten.

»Gregor Alexandrowitsch, was ist Ihnen?« begann Natalie, indem sie rasch die Kaffeekanne, aus der sie den duftenden Mokka in zwei Schalen von Porzellan de Sevres geschüttet hatte, wegstellte, »Sie sehen aus, als wäre der jüngste Tag hereingebrochen«.

»Es ist auch etwas dergleichen vor der Thür,« entgegnete der Allmächtige, mit bebender Hand ein Papier entfaltend; »soeben bringt mir ein Kurier dieses Handschreiben der Zarin, sie kündigt mir in demselben an, daß sie mich in allernächster Zeit besuchen werde.«

»Und dies regt Sie auf, mein Oheim,« rief Natalie, »war das nicht das Ziel Ihrer Berechnungen?«

»Ja, ja,« schrie Potemkin, »aber sie kommt mir zu früh, viel zu früh. Du weißt, mein Kind, wie mein Einfluß auf dies herrschsüchtige, wie es schien unbändige Weib mit dem Tage begann, wo ich ihren Schwächen, dieselben klug benutzend, die Zügel schießen ließ Potemkin, der Liebende, verzichtete auf die Gunst der Katharina, damit Potemkin, der Staatsmann, um so mehr Gewalt über sie erringe. Seit Panin's und Orloff's Tode hatte ich auf diesem Gebiete keinen Nebenbuhler, und jene, welche ihre Laune zwischen mich und das Herz der Frau stellte, verstand ich – so oft einer die Hand nach den Attributen der Macht ausstreckte – zu rechter Zeit in die Dunkelheit hinabzustoßen, aus der sie emporgestiegen.«

»Der erste, der Dir ernstlich gefährlich zu werden drohte, war Lanskoi,« bemerkte Natalie; »Du wolltest durch Großthaten im Dienste des Reiches und durch eine freiwillige Verbannung der Macht, welche er über die Zarin gewann, ein Gegengewicht geben.«

»So ist es,« bekräftigte Potemkin, »deshalb eroberte ich mir die Krim und ging hierher als Gouverneur, ich war der Kaiserin mehr als einmal dadurch, daß ich ihre Nähe für einige Zeit mied, wieder interessant und lieb geworden, es war ein glückliches Manöver, das auch diesmal die besten Früchte getragen hatte, aber da mußte dieser Lanskoi sterben. Die Zarin, dieses selbstsüchtige Weib, das ein Herz von Stein in der Brust zu tragen scheint, weint um ihn wie ein kleines Mädchen, das seinen Hänfling begraben hat, drei volle Monate sperrt sie sich von der Welt ab, lebt wie eine Eremitin, trauert und sucht Trost in der Philosophie. Nach drei Monaten wünscht sie mich zu sehen, sie ist es, die mich einladet, und ich wage es, nicht zu kommen. Nun kommt sie zu mir, und das ist eben der jüngste Tag, der über uns alle hereinbricht.«

»Wie?« fragte Natalie erstaunt.

»Hast Du nicht meine Berichte an die Zarin gelesen?«

Natalie nickte.

»Habe ich Katharina nicht oft genug die Länder, die ich in ihrem Namen verwalte, als ein Paradies geschildert, das unter meiner sorgsamen Hand aufgeblüht ist?« sprach Potemkin; »was wird dieses Weib, das jeden Anlaß, mich zu demütigen, mit Jubel ergreifen wird, dazu sagen, wenn es statt dieses Paradieses eine Wüste findet? Woher soll ich die Straßen, die Städte, die Dörfer, die herdenreichen Triften, die wohlgenährte und hübschgekleidete Bevölkerung, den regen Handel, die Flotten nehmen, von denen ich in meinen Relationen sprach. Du siehst, ich stehe vor einem furchtbaren Gerichte, und hieße es, der tiefste Sturz erwartet mich von meiner schwindelnden Höhe, ja, der Tod, ich würde diesem Schicksal der Großen ruhig in das Auge sehen, aber daß ich vor diesem Weibe, dessen Tyrann ich bis jetzt war, wie ein Sklave stehen, zittern, ja vielleicht auf meinen Knieen um Vergebung betteln soll, und dann als gefallener Stern in irgend einem Sumpf verächtlicher Unthätigkeit auslöschen, das frißt mir das Herz. Nein, so darf ich nicht enden, so will ich nicht enden. Ehe ich dies über mich hereinbrechen lasse, will ich lieber alles kühn auf eine Karte setzen, ich lasse sie hierher kommen, wo ich Herr bin, und zwinge sie, mir Hand und Scepter zu reichen, oder – wenn ich unterliege – mich auf das Schaffot zu senden.«

Fräulein von Engelhardt brach in ein lautes, mutwilliges Lachen aus.

»Du kannst in diesem Augenblicke lachen?« rief Potemkin starr vor Empörung.

»Warum nicht?« entgegnete Natalie, »muß es nicht unwiderstehlich zum Lachen reizen, wenn man einen Mann wie Sie, Gregor Alexandrowitsch, so ganz den Kopf verlieren sieht, um Dinge willen, die es kaum wert sind, diesen köstlichen Mokka kalt werden zu lassen?«

»Wie?«

» Tant de bruit pour une Omelette!«

»Bist Du von Sinnen, kleines Frauenzimmer?« schrie Potemkin und stampfte mit den Füßen.

»Stille! Stille!« flüsterte Natalie, indem sie vor den brüllenden Löwen hintrat und, sich auf die Fußspitzen erhebend, beide Hände begütigend auf dessen Schultern legte, »man erzählt nicht allein Kindern Märchen, und nicht allein Kinder finden an Märchen Gefallen.«

»Wie meinst Du das?« erwiderte Potemkin ruhiger, er ahnte, daß seine kluge Nichte gleich dem Mäuschen in der Fabel in dem Netze, in das der Löwe hineingeraten war, ein Loch zu nagen unternehmen wollte.

»Das kleine Frauenzimmer meint, daß auch Potemkin den Versuch machen soll, der Zarin ein Märchen zu erzählen, und daß die große Kaiserin genau so viel Vergnügen daran finden wird, als ein kleines Kind.«

»Ein Märchen?« staunte der Gewaltige, der von dem allen nichts verstand.

»Ja, ein Märchen,« lachte Natalie, »in dem es eine Straße giebt, aus purem Wasser aufgebaut, und Städte, die gleich der Fata Morgana der Steppe für einen Tag am Horizonte erscheinen, um von der nächsten Nacht verschlungen zu werden, und Menschen, die, Flüche auf den Lippen, sich im Tanze drehen und fröhliche Lieder singen.«


IV.

Wenige Tage, nachdem das kleine Frauenzimmer dem großen Potemkin seinen guten Einfall mitgeteilt hatte, begann derselbe mit all' der titanischen Kraft und Energie, die ihm zu Gebote stand, denselben zu verwirklichen.

Tausende von Händen arbeiteten daran, die Felsen zu sprengen und zu entfernen, welche den Lauf des grünen Dniepr hemmten und einengten, tausend andere richteten phantastische Gerüste auf, wie zu einem großen Spektakelstück auf dem Theater, und wieder Tausende zogen mit schwergeladenen Saumtieren von Moskau und Warschau gegen Cherson. Hier schien ein neuer Turm von Babel zu entstehen, dort glaubte man die hängenden Gärten der Semiramis aufblühen zu sehen.

Die Zarin Katharina II. hatte indes mit einem großen Gefolge, in dem sich auch die Gesandten sämtlicher europäischer Mächte befanden, Petersburg verlassen und den Weg nach Kiew eingeschlagen. Nicht weniger als fünfhundertundsechzig Pferde mußten auf jeder Station bereit gehalten werden, um diese unerhörte Reisegesellschaft weiterbefördern zu können. In Kiew machte die mächtige Gebieterin von Europa und Asien Halt. Die Weiterreise sollte auf dem Dniepr gemacht werden, und noch hielt das Eis die Fluten desselben gefangen. Die Zarin hielt in der alten Zarenstadt durch einige Monate ihr Hoflager, ein Fest folgte dem andern, die russisch gesinnten Polen Branizki, Lubomirski, Sapieha, Potozki kamen hierher, um ihr zu huldigen.

Endlich machte der Frühling Potemkin's grüne Wasserstraße frei, und Katharina II. konnte sich mit ihrem Gefolge auf fünfzig Galeeren einschiffen und den Strom hinabrudern.

Ein wunderbares Schauspiel entfaltete sich jetzt längs beider Ufer vor den Augen der Zarin und ihrer staunenden Begleiter. Wo die Gegner Potemkin's, vor allem der vor ihrer Abreise aus den Reihen der Garde zum Dienste der Kaiserin als Adjutant berufene, von ihr begünstigte Mamanoff, eine menschenleere Wüste, eine zweite Sahara erwartet hatten, zeigten sich nah und ferne große Städte, deren vergoldete Türme im Sonnenlicht erglänzten, Dörfer aus hübsch gebauten, weißgetünchten und mit roten Ziegeln gedeckten Häusern, wie sie damals den meisten Ländern des Ostens vollkommen fremd waren, auf grünen Triften weideten große Herden von Rindern, Pferden und Schafen bester Race, hier zogen Landleute, hinter dem Pfluge gehend, Furchen in den schwarzen fetten Boden, dort saßen die Alten vergnügt bei mächtigen Krügen vor einer Schenke, deren grüner Kranz freundlich winkte, während jüdische Musikanten dem schmucken jungen Volke, das sich jauchzend im Kosak drehte, zum Tanze aufspielten.

Die verschiedensten Nationen in ihren seltsamen bunten Trachten hatten sich zur Begrüßung ihrer Gebieterin eingefunden und schwenkten ihre Mützen und jauchzten ihr zu, wenn sie vorbeikam, sie sah Griechen, Armenier, Kleinrussen, Kosaken, Tartaren, Juden, Karaiten, Lipowaner und Zigeuner. Mit einem Gefühle erlaubten Stolzes saß sie in kaiserlicher Toilette auf dem Verdeck ihrer vergoldeten Galeere und fragte Potemkin, der kalt und selbstbewußt ihr zur Seite stand, bald um den Namen einer Stadt, deren weiße Mauern am Horizonte schimmerten, bald um die Völker, welche sich zu ihrer Begrüßung herandrängten, und Potemkin kam keinen Augenblick in Verlegenheit, er nannte Namen, die man vergebens auf der besten Karte gesucht hätte und welche – wie er gut wußte – dem Gedächtnis der Zarin beinahe ebenso rasch entschwanden als sie in ihrem Ohr verklangen.

Mamanoff benutzte eine kleine Pause, in der der Wojewode Potozki Potemkin in sein Gespräch zog, um Katharina einzuflüstern, dies alles sei nur ein Gaukelspiel, mit dem Einbruche der Nacht beginne die öde Steppe.

Aber die Nacht kam und die Zarin, welche absichtlich auf dem Verdecke blieb, sah von fünfzig zu fünfzig Ruten riesige Holzstöße brennen, welche weithin Tageshelle verbreiteten und sah beim Schein derselben, wie früher im Sonnenlicht, Städte, Dörfer fröhliche, gut gekleidete Menschen wie die bunten Bilder einer Laterna magica ununterbrochen vorüberziehen.

»Nun, Mamanoff,« sprach sie, die Stirne spöttisch runzelnd.

Mamanoff biß sich in die Lippen und schwieg.

»Wo werden wir übernachten, Potemkin?« wendete sich Katharina mit einem Blicke voll Befriedigung an den Generalgouverneur.

»Wenn es Eurer Majestät genehm ist, in Ihrem Palaste zu Katharinenburg,« erwiderte der Gefragte

»Katharinenburg? Ich höre den Ort zum ersten Male nennen,« staunte die Zarin, »und habe bis heute nicht gewußt, daß ich in demselben einen Palast besitze.«

»Das, was Seine Excellenz so euphemistisch einen Palast nennt, dürfte wohl ein artiges Holzhaus im Stile kleinrussischer Edelhöfe sein,« spottete Mamanoff.

»Es ist ein Palast, den Eurer Majestät demütiger Sklave Potemkin für Sie erbaut hat,« erwiderte Potemkin, den jungen Günstling keiner Antwort, ja nicht einmal eines Blickes würdigend, zur Zarin gewendet. »Majestät werden sich überzeugen.« –

Eine Stunde später landete die Galeere Katharinas vor einem feenhaft beleuchteten Gebäude, von dem mit persischen Teppichen belegte und mit Blumen geschmückte Stufen bis zu dem Flusse herabstiegen; die an einen griechischen Tempel mahnende, mit herrlichen Kolonnaden umgebene Fassade zeigte im Giebel das Brustbild Katharinas, Lampions in allen Farben bedeckten, von Rosenguirlanden umgeben, die Außenwände, während das Innere, das Katharina an Potemkins Arm betrat, mit asiatischer Pracht und europäischem Komfort geschmückt war; niederländische Tapeten, italienischer Marmor wetteiferten mit venetianischem Glas und chinesischem Porzellan, die Räume, welche die Zarin für eine einzige Nacht beherbergen sollten, würdig zu schmücken.

Als die von allen Genüssen übersättigte Frau vor dem mit duftendem Sandelholz geheizten Kamin ihres Schlafgemaches Platz genommen hatte, blickte sie durch ihre Lorgnette mit Geringschätzung auf Mamanoff und sprach dann zu Potemkin, ihm die Hand zum Kusse reichend: »Ich bin zufrieden, Gregor Alexandrowitsch, ja, mehr als das, ich bin überrascht – gute Nacht!«

Und doch hatte Mamanoff recht, und alles war nur ein Blendwerk, das die Zarin bis nach Cherson begleitete, nichts mehr als in der Wüste hervorgezauberte Dekorationen eines nie dagewesenen Spektakelstückes, dessen Maschinist Potemkin hieß und in welchem Katharina selbst wider Willen mitspielen mußte.

Die Feenschlösser, welche sie nachts aufnahmen, waren elende Holzgerüste, welche, nachdem sie ihren Dienst gethan, wieder abgerissen wurden; von den Städten, welche sie sah, standen nur die Mauern und die Türme, die Dörfer, welche sie in der Nähe sah, waren aus Pappe aufgerichtet, jene in der Ferne auf Leinwand gemalte Theatercoulissen, alles erbaut, um sie zu entzücken und am nächsten Tage wieder vom Erdboden zu verschwinden, Menschen und Tiere, welche von vierzig Meilen in der Runde von den Kosaken mit ihren langen Peitschen zusammen getrieben und in hübsche Kleider gesteckt worden waren, wurden, während die Zarin schlief, nachts weiter getrieben, um am folgenden Tage an neuen Orten und in neuen Kleidern die Staffage der von Potemkin hervorgezauberten reichen Landschaften zu bilden.

Es war der echte Triumphzug einer Despotin, ein Märchen von Macht und Glück des Volkes, wo sie ihren Fuß hinsetzte, Reichtum und Jubel vor ihr und nach ihr die Wüste und das Schweigen des Todes.


V.

In Kanew hatte sich der König von Polen, einst als einfacher Edelmann Poniatowski dem Herzen der Großfürstin Katharina nahe stehend, zur Begrüßung der jetzt allmächtigen Zarin eingefunden, in Katharinoslav erwartete sie der Kaiser Joseph II., um ihr seine Huldigungen darzubringen, und begleitete sie nach der taurischen Hauptstadt. Im Triumph zog Katharina II. hier ein, an dem Ostthor von der bedeutungsvollen Inschrift: »Hier geht der Weg nach Byzanz« begrüßt. Cherson wimmelte von Fremden aller Nationen, welche das nie dagewesene Schauspiel mit ansehen wollten. Die Zarin besuchte den Bazar, in dem von Potemkin aus Moskau und Warschau herbeigeschaffte Waren aller Art aufgestapelt lagen, und den Hafen, überall empfing sie den Eindruck, daß sie sich in einer großen und reichen Handelsstadt befinde.

Kaum war die eitle, machtstolze Frau in dem Palaste Potemkins, in dem sie wohnen sollte, angekommen und hatte sich der Prachtgewänder, welche sie beim Einzuge trug, entledigt, um sich in einem behaglichen türkischen Schlafrock auf einer Polsterottomane auszustrecken, trat ihr Günstling Mamanoff unangemeldet herein und erhob von neuem die heftigsten Anklagen gegen Potemkin. Er behauptete, der Generalgouverneur von Taurien habe die Monarchin nur hierher gelockt um sie zur Ehe zu zwingen, schon sei Cherson und die Umgegend nur ein großes Heerlager der ihm blind ergebenen Truppen, neue Corps seien von allen Seiten im Anzug, der entscheidende Schlag in wenigen Stunden zu gewärtigen.

Katharina II. verlor keinen Augenblick ihre Ruhe, ja Gleichgültigkeit.

»Begieb Dich auf der Stelle zu Potemkin,« sprach sie endlich, »und sage ihm, daß ich ihm befehle, sich sofort bei mir einzufinden.«

»Aber, Majestät, Sie kennen doch Potemkins rohes Naturell.«

»Ich fürchte nichts in dieser Welt,« unterbrach die majestätische Frau Mamanoff, »also auch diesen Potemkin nicht, den Ihr alle fürchtet.«

»So lassen Sie mich wenigstens in Ihrer Nähe sein,« bat Mamanoff, sich der Zarin zu Füßen werfend.

»Nein, mein Freund, ich will mit ihm allein sein. Thun Sie, wie ich gesagt,« gebot Katharina.

Mamanoff verließ die Monarchin in der höchsten Aufregung.

Wenige Minuten später stand Katharina II. Potemkin gegenüber.

Katharina schien den Mann, der über sie eine Gewalt hatte, wie kein anderer, zuerst mit ihrem Blick durchdringen zu wollen, ehe sie das Wort an ihn richtete, aber keine Miene verriet die Absichten, welche er in seiner Brust verbarg.

»Weißt Du, Gregor Alexandrowitsch,« begann die Zarin endlich, »daß man Dich schlimmer Dinge, hochverräterischer Pläne anklagt?«

»Und meine Gebieterin schenkt diesen Anklagen Glauben?« erwiderte Potemkin mit kalter Würde.

»Nein, Gregor Alexandrowitsch«, sprach Katharina II., »denn man beschuldigt Dich, daß Du mich treulos hierher gelockt habest, um mit Gewalt meine Hand und den Thron von Rußland zu usurpieren, und dies halte ich für unmöglich. Ich kenne Deine Ergebenheit, wie Du mein Wesen kennst, das, zur Herrschaft geschaffen, keinen Mann über sich, ja nicht einmal neben sich duldet.«

Potemkin lächelte. »Meine Kaiserin,« entgegnete er nach einer kleinen Pause, »kann ruhiger unter diesem Dache schlafen, als in ihren Palästen zu Petersburg und Zarskoje Selo. Nie wird es ihrem Diener in den Sinn kommen, sie ihrer Freiheit oder Macht berauben zu wollen.«

»Was hast Du also für Pläne mit mir?« murmelte Katharina II., indem sie, die Arme auf der Brust gekreuzt, rasch auf Potemkin zutrat, »denn ich sehe es Dir an, daß Du etwas im Hinterhalte hast.«

»Darf ich offen sprechen?«

»Ich befehle es Dir.«

»Nun denn, ja, ich habe geheime Absichten,« erwiderte Potemkin, »welche ich nur meiner großen Monarchin eröffnen kann. Ich habe Dich hierher geführt, um Dir den Weg nach Byzanz zu zeigen. Du hast Dich überzeugt, daß diese Länder, die mein Schwert für Dich erobert hat, in wenigen Jahren zu den blühendsten Deines Reiches geworden sind, wir sind nun stark genug an eine neue, größere Aufgabe zu denken.«

»Und diese wäre?«

»Die Vertreibung der Türken aus Europa«

»Ein großer Gedanke!« sprach die Zarin.

»Ein Gedanke, wert, von einer großen Regentin wie Du es bist, ausgeführt zu werden,« fuhr Potemkin fort. »Du hast ihn längst erfaßt, alle Deine ruhmreichen Thaten, Deine weltgeschichtlichen Unternehmungen haben in den letzten Jahren diese Richtung genommen, erfülle die Aufgabe, die Dir das Schicksal gab, als es Dich auf den alten Thron der Zaren rief, das große orientalische Reich des griechischen Kreuzes neu aufzurichten.«

»Und ist dies alles, was Du mir zu sagen hast, Gregor Alexandrowitsch?« fragte Katharina II. nach einigem Nachdenken.

»Nein, Gebieterin –.«

Eine stolze Bewegung der noch immer mißtrauischen Despotin schien Potemkin in seine Schranken weisen zu wollen.

»Was noch?«

»Es fehlt nicht an Unzufriedenen in Deinem Reiche, die nur auf den Augenblick warten, wo Dein Sohn volljährig ist, um Dich zu zwingen, ihm den Thron einzuräumen, der ihm dann nach dem Gesetz gebührt –«

»O, ich kenne sie, diese Elenden!« murmelte Katharina.

»Aber kennst Du auch die falschen Freunde in Deiner Umgebung, diese Kreaturen, die wie Hunde vor Dir kriechen und doch keinen Moment zögern werden, Dich preiszugeben, wenn ihnen ein Vorteil winkt?« fuhr Potemkin fort; »ich allein diene Dir in unwandelbarer Treue, nicht aus Selbstsucht, nein, aus Liebe, aus Liebe zu Dir und dem Vaterlande. Dieses Auge,« – er deutete auf die schwarze Binde – »das ich um Deinetwillen im Zweikampf mit Alexis Orloff durch einen Pistolenschuß verlor, es zeugt besser für mich und die Reinheit meiner Absichten, als die Phrasen der Mamanoffs und wie die anderen Geschöpfe Deiner Laune heißen.«

»Du willst, daß ich Mamanoff entlasse?« begann Katharina, von Potemkins Worten sichtlich ergriffen.

»Nein, Gebieterin, wie sollte ich es wagen,« entgegnete Potemkin lebhaft, »ich will Dich nur überzeugen, daß der Zeitpunkt da ist, den wir beide seit so viel Jahren ersehnt haben, die Türken nach Asien zu jagen.«

»Sind wir auch stark genug, diesen Riesenplan auszuführen, mein Freund?« sagte Katharina, mit großen Schritten auf- und abgehend.

»Wir sind nur schwach, wenn wir Frieden halten,« erklärte Potemkin; »dann erhebt die Verschwörung, die Intrigue im Innern ihr Schlangenhaupt, wir brauchen einen Krieg, um die Armee zu beschäftigen, mit ihr die unzufriedenen Elemente den Feuerschlünden der Osmanen entgegen zu führen.«

»Du hast recht, aber wir brauchen Verbündete –.« warf die Zarin ein.

»Von Deinen geheimsten Absichten seit Jahren unterrichtet,« sprach Potemkin leise, »habe ich mit dem Kaiser Joseph II. unterhandelt.«

»Und er ist geneigt?«

»Mehr als das. Er ist entschlossen, mit uns gegen den Halbmond in das Feld zu ziehen.«

»Das hast Du vollbracht, Gregor, Du, den man mir als Rebellen schildert?« rief Katharina II. mit leuchtenden Augen.

Potemkin neigte sich stumm vor der mächtigen Frau, diese aber streckte ihm herzlich beide Hände entgegen, und als er, von der Größe des Moments überwältigt, sich vor ihr auf die Kniee warf, legte sie sanft die Rechte auf seine Schulter und sprach: »Jetzt sind wir einig, Gregor Alexandrowitsch, und nichts in der Welt soll uns mehr entzweien!«


Zu Cherson wurde im Mai 1787 der denkwürdige Vertrag zwischen Katharina II. und Joseph II. geschlossen, in welchem sie sich zum Kriege gegen den Sultan und zur Teilung der Türkei verbanden. In diesem siegreichen Kriege errang sich insbesondere Suwarow, der Feldherr Potemkins, seine schönsten Lorbeeren: von österreichischer Seite wurde der Kampf mit wechselndem Glücke geführt, und Joseph erlebte das Ende desselben nicht. –

Die Zarin besuchte nach dem Abschied von Potemkin noch Sebastopol und genoß von dem Kastell aus den Anblick ihrer mit bengalischem Feuer beleuchteten Kriegsflotte, dann kehrte sie auf einem anderen Wege in ihre Residenz zurück.

Von Petersburg aus verlieh sie Potemkin den stolzen Beinamen des »Tauriers« und befahl dem Senat, eine Ruhmschrift auf den Eroberer der Krim aufzusetzen und im ganzen Reiche zu publizieren.

An dem Tage, wo Potemkin freudestrahlend seiner Nichte die große Botschaft brachte, sagte diese mit einem schelmischen Lächeln: »Nun, Gregor Alexandrowitsch, wem danken Sie denn eigentlich dies alles, so viel Gnade statt der befürchteten Ungnade und Verbannung?«

»Dir, mein Kind wem sonst?« erwiderte der Taurier, das hübsche Mädchen streichelnd.

»Und mein Lohn?« rief die Kleine.

»Du selbst sollst ihn bestimmen,« sagte Potemkin.

»Ist dies Dein Ernst?«

»Ja.«

»Gut – dann verlange ich die Hand Branizkis.«

»Branizkis Hand? Wie kann ich Dir geben, was nicht mir gehört?«

»Aber mir gehört er lange schon,« rief Natalie »ich liebe ihn, und er liebt mich, also fehlt nur Ihr Segen, Oheim!« –

Potemkin drehte wohl ein wenig wild an seinem Schnurrbart, aber eine Viertelstunde später segnete er doch das Liebespaar, das von seinem Glücke trunken vor ihm kniete.

Nur eine Bedingung stellte er: die Gräfin Branizki durfte ihn eben so wenig verlassen, als das Fräulein von Engelhardt, und wenn dann die jungen Eheleute mit ihrem berühmten Oheim abends beim flackernden Kamine saßen, war mehr als einmal von dem Einfall Nataliens die Rede, dem sie ihr Glück dankten, und von dem gelungenen » Märchen Potemkins


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