Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Hochzeit im Eispalast.

Anna Iwanowna, die jüngere Tochter des Prinzen Iwan Romanow, Herzogin von Kurland, war Witwe geworden. Sie beeilte sich, das fremde, unwirtliche Land so bald als möglich zu verlassen, und klatschte wie ein Kind vor Vergnügen in die Hände, als sie wieder die Türme ihres geliebten Petersburg erblickte. Anna Iwanowna war auch nicht viel mehr als ein Kind, aber ein großes, launenhaftes und sehr verzogenes Kind; eine echte Russin des achtzehnten Jahrhunderts, hielt sie das Lesen, das ihr Ostermann, der Sohn eines lutherischen Pastors, dann Kanzler des russischen Reiches, gelehrt hatte, für eine gewaltige Wissenschaft und erzählte ihrem Lehrer, als sie ihn wiedersah, mit lebhaftem Stolze, daß sie seitdem auch ihren Namen schreiben gelernt habe. Sie war nun zweiunddreißig Jahre alt, über Mittelgröße, gut gebaut, doch von mehr als stattlichem Körperumfang; ihre formlosen Züge zeigten eine apathische Gutmütigkeit, aber in den spitzen Winkeln ihrer kleinen mongolischen Augen lauerte es wie Tücke, und manchmal blitzte es sogar wie Grausamkeit aus denselben.

Sie hatte sich jetzt in einem kleinen, ihr gehörigen hölzernen Palaste behaglich eingerichtet, denn Bequemlichkeit und ein ruhiges Wohlleben ging ihr über alles, und saß hier in ihrem Salon in einem großen, wohlgepolsterten Fauteuil, gleich einer Pagode, welche da ist, um sich anbeten zu lassen, reichte jedem, der zu ihr kam, zuvorkommend die Hand zum Kusse dar und langweilte sich bald eben so herzlich, als sie sich in ihrem getreuen Herzogtum Kurland gelangweilt hatte.

Sie verlangte täglich mehrmals nach Ostermann; er sollte ihr von den Zeitereignissen erzählen und sie zerstreuen, aber Ostermann war so ungalant, wenig Zeit zu haben, und so bot er ihr denn endlich einen Ersatzmann, den Fürsten Anatolius Galitzin, an.

»Kann er aber auch lesen?« war die erste Frage des großen Kindes.

»Zu welchem Zweck, Hoheit?« erwiderte Ostermann.

»Damit er mir die neuesten Zeitungen vorliest und auch hübsche Geschichten und andere gute Bücher, wie sie jetzt im Ausland geschrieben werden,« sagte die Herzogin, »denn Sie wissen, mein Lieber, daß ich sehr viel auf die Wissenschaften halte.«

Ostermann versicherte, daß der Fürst alle Vorzüge eines Gelehrten mit denen eines vollendeten Edelmannes vereine und zum Ueberflusse noch sehr jung und sehr hübsch sei. Nun zögerte Anna Iwanowna nicht länger, ihre Einwilligung zu geben.

Fürst Anatolius Galatzin hatte in der That durch einen französischen Hofmeister und einen deutschen Lehrer eine für jene Tage seltene Erziehung genossen, war in der französischen Litteratur zu Hause und trotz seiner zwanzig Jahre im stande, jedem mittelmäßigen Gelehrten die Spitze zu bieten.

Als der blutjunge, hochgewachsene schöne Mann bei ihr eintrat und die Fingerspitzen der Herzogin küßte, passierte derselben etwas, das für ihre hohe Stellung ebenso unschicklich, als bei ihrem Körperumfang unbequem war, sie verliebte sich nämlich sterblich in denselben und benahm sich in seiner Gegenwart gleich einem Bauernmädchen, das zum ersten male auf dem Tanzboden ist, sie kicherte, hielt ihr Sacktuch vor, um den Fürsten um so besser verstohlen betrachten zu können, wurde bei jedem noch so unschuldigen Worte, das er sprach, schamrot, und wenn er aus einem der Bücher, die er mitbrachte, etwas Merkwürdiges oder Seltsames las, schlug sie ihn mit ihrer großen Hand nicht eben allzu sanft auf die Backe oder auf die Schulter und lachte wie besessen.

Galitzin, welcher seinen Geschmack an hübschen Nachbildungen antiker Statuen und Kopien italienischer Gemälde gebildet hatte, dachte indes in der Gegenwart der wohlgenährten fürstlichen Dame an alles, nur nicht an Liebe, und wollte ihre Gefühle, welche sie in bald mehr, bald minder zarte Vertraulichkeiten kleidete, durchaus nicht verstehen. Er hatte sein Ziel vor Augen, in der Diplomatie Karriere zu machen, und daher die Gelegenheit benutzt, um dem Reichskanzler einen Dienst zu erweisen.

Da wurde die dicke Schöne kühner und deutlicher.

Eines Abends bemerkte Galitzin, daß sie, welche sonst ungern Toilette machte, mit besonderer Sorgfalt frisiert war und ihre üppigen Reize durch einen Schlafrock von leichtem weißem Stoffe, wie sie glaubte, in sinnbethörender Weise durchschimmern ließ. Er gab sich die Miene, es nicht zu bemerken, und setzte seine Lektüre vom vorigen Tage fort.

Plötzlich schlug ihn Anna Iwanowna das Buch aus der Hand, und da er, um bei der schlechten Beleuchtung von zwei Unschlittkerzen besser zu sehen, dem Tische, an dem sie saß, und so auch ihr, halb den Rücken zugewendet hatte, ergriff sie ihn ohne alle Umstände bei seinem schönen Zopfe und riß so seinen Kopf zu sich herüber.

»Will Er nicht lieber mich ansehen, Musje!« rief sie mit aller Energie, deren sie fähig war, »statt in das dumme Buch hineinzustarren?«

»Ich dachte, Hoheit haben mich zum Vorlesen befohlen,« wagte Galitzin zu bemerken.

»Ja denn,« sagte Anna Iwanowna, noch immer seinen Zopf in der Hand, »jetzt befehle ich Ihm aber, mich anzusehen und mir zu sagen, wie ich Ihm gefalle.«

»Wie sollte ich wagen –,« stammelte der Fürst.

»Er kann schon Einiges wagen,« fiel sie ein, indem sie ihren Gefangenen endlich losließ, »also, wie gefalle ich Ihm, Musje Anatol?«

»Ich finde, daß Hoheit sehr wohl aussehen.«

»Findet Er mich schön?« unterbrach sie ihn, direkt auf ihr Ziel lossteuernd.

»O, gewiß!«

»Sieht Er also,« lächelte sie, »auch ich finde Ihn schön, und wenn Er nur wollte, so könnte ich beinahe schwach werden.«

»Ich beschwöre Hoheit, nicht schwach zu werden,« flehte Galitzin mit erhobenen Händen.

»Ich bin die Herzogin von Kurland,« sagte Anna Iwanowna mit einer Würde, welche ihr sehr komisch stand, »ich kann schwach werden, so oft ich es will, kein Mensch darf sich darüber ein Wort erlauben, oder nur einen Gedanken; sind doch alle nur da, Uns zu dienen, auch Er, Musje, ist so viel als Unser Sklave, aber ich will gnädig gegen Ihn sein, ich erlaube Ihm, hier auf der Stelle vor mir niederzuknien und mir seine Liebe zu erklären.«

»Vergebung, Hoheit,« erwiderte Galitzin, sich erhebend, »aber meine Loyalität verbietet mir, von dieser Erlaubnis Gebrauch zu machen.«

»Eine schöne Loyalität,« sagte Anna Iwanowna mit steigender Lebhaftigkeit, »welche Ihm verbietet, das zu thun, was ich wünsche.«

»Hoheit haben soeben richtig bemerkt, daß ich nur Dero Sklave –«, wandte der Fürst ein, dem der Angstschweiß auf der Stirn stand.

»Mein Sklave ist Er,« rief die Herzogin mit einem Anfluge von Majestät, »sehr richtig, also hat Er mir zu gehorchen. Ich sage Ihm also kurzweg, daß ich Ihn liebe, und Ihm hiermit befehle, mich gleichfalls zu lieben.«

»Ich bin außer stande, diesem Befehle Folge zu leisten,« gab Galatzin zur Antwort, indem er seinen Hut nahm und gegen die Thüre zu retirierte.

»Was, Er will mir nicht gehorchen?« schrie Anna zornig.

»Nein!«

Die Herzogin war außer sich; aber zu bequem, den Lehnstuhl zu verlassen, rief sie: »Zu mir, gleich zu mir, ich muß Ihn beim Ohre nehmen!« Und als Galatzin mit einer tiefen Verbeugung das Zimmer verließ, begann sie wie ein boshaftes Kind mit den Füßen zu stampfen und zu weinen. »Ich will ihn haben, ich will ihn schlagen, ich will ihn schlagen!«

Aber der Fürst war fort, und als er einige Tage nicht kam und sie Ostermann sagen ließ, er möge ihr doch den »hübschen Musje« wieder schicken, erhielt sie die Antwort: Galitzin habe Petersburg verlassen und eine Reise ins Ausland angetreten. Anfangs war sie sprachlos; sie begriff nicht, wie ein Mensch, der nur dazu auf der Welt war, um Ihresgleichen zu dienen und die Zeit zu vertreiben, sie verschmähen konnte; dann begann sie, alles um sich her zu Boden zu werfen und zu zerbrechen, gab der Kammerfrau, welche sie zu Bett brachte, Fußtritte und ließ dem Koch wegen einer versalzenen Suppe fünfzig Knutenhiebe erteilen; endlich löste sich ihr Schmerz in Thränen.

»Was soll ich jetzt anfangen,« sagte sie zu Ostermann, »ich kann kein Buch mehr sehen, es erinnert mich an den Falschen, oh! ich weiß es, er hätte mich geliebt, wenn ich nur nicht so dick wäre, ich bin doch eine schöne Frau und eine Herzogin. Wie soll ich es machen, daß ich wieder schlank werde?«

Ostermann riet Bewegungen an.

»Das Gehen ist zu mühsam,« hieß es.

»Also Reiten.«

»Ja, ich will reiten.«

Ihr Stallmeister suchte ein schweres Holsteiner Roß für sie aus, einen wahren Elefanten, und ritt es zu, dann bestieg sie dasselbe unter vielem Seufzen und versuchte zuerst in der Reitschule ihr Glück. Es ging besser als sie erwartete, und bald fand sie so viel Geschmack daran, daß sie täglich mehrere Stunden in der Umgebung der Residenz umherritt und zusehends agiler und schlanker wurde. Trotzdem war sie viel zu bequem, um sich, selbst mit Hülfe ihres Stallmeisters, vom Boden aus in den Sattel zu schwingen. Wenn sie ausreiten wollte, führte ein Stallknecht das Pferd vor, und ein anderer brachte eine feste hölzerne Bank, auf diese stieg sie, und dann erst auf das Pferd.

Eines Tages mußte der eine ihrer Stallknechte, welcher in der Trunkenheit arge Excesse verübt hatte, auf der Stelle entlassen werden, und sein Nachfolger, der den Dienst noch nicht kannte, versäumte es, die Bank zu bringen.

»Was soll das? Wo ist die Bank?« fragte Anna Iwanowna ärgerlich.

»Wozu eine Bank?« entgegnete der neue Stallknecht, nicht ohne einen gewissen Trotz, welcher der Herzogin gefiel; sie sah ihn erst jetzt genauer an und entdeckte, daß er jung und sehr hübsch war, und daß ihn die knappe Stall-Livree sehr gut kleidete.

»Wozu eine Bank?« wiederholte Anna Iwanowna apathisch, »damit ich auf das Pferd steigen kann.«

»Da steigt lieber gleich auf meinen Rücken,« rief der kecke Bursche und warf sich vor dem Pferde, das wie eine Mauer stand, auf alle Viere nieder. Dies gefiel seiner Gebieterin noch um vieles besser, sie lächelte, setzte den Fuß auf ihn und schwang sich so mit Hülfe des Stallmeisters in den Sattel. Dem hübschen Stallknecht krachte wohl ein wenig die Wirbelsäule unter der fürchterlichen Last, aber er fragte in seiner jugendlichen Kraft nicht darnach und Anna Iwanowna noch weniger.

»Wie heißest Du?« frug sie, die Zügel nehmend.

»Ernst Johann Biron.«

»Du bist kein Russe?«

»Nein, ein Kurländer.«

»Ich bin Dir gewogen, Ernst Biron,« sprach Anna Iwanowna, ihm die Hand zum Kusse reichend, er aber warf sich auf ein Knie nieder und rief: »Das ist nicht für mich!«

»Was ist also für Dich?« lachte Anna Iwanowna.

»Wenn ich küssen soll, so gebt mir Euern Fuß.«

Anna Iwanowna zog langsam den Fuß aus dem Bügel und streckte ihn dem hübschen Burschen hin, der mit graziöser Ehrfurcht seine Lippen auf denselben drückte.

»Nimm ein Pferd und reite mit mir,« gebot dann die schwache Frau, welche in dem Augenblicke bereits eben so sehr in ihren Stallknecht verliebt war, wie vor einem halben Jahre noch in den Fürsten.

Fortan begleitete sie Biron täglich bei ihrem Spazierritt; bald befahl sie ihn zu ihrem Dienste in den Palast, und nach einem neuen halben Jahre war es ein offenes Geheimnis, daß Anna Iwanowna, Herzogin-Witwe von Kurland, ihren Stallknecht zu ihrem Günstling erhoben hatte.


Im Jahre 1730 starb Zar Peter II, Die nächsten Ansprüche an den Thron hatten die Töchter Peters des Großen, dann die ältere Tochter Iwan Romanows; aber Ostermann und die mit ihm alliierten Fürsten Dolgorucki warfen ihr Augenmerk auf die jüngere, Anna Iwanowna. Ostermann, nahm an, daß jene Fürstin, die von ihm lesen gelernt hatte, auch in anderen Dingen seine dankbare Schülerin sein werde. Die Dolgorucki gewannen den Senat. Anna Iwanowna versprach, Biron zu entfernen und die absolute Macht der Krone zu Gunsten des Adels einzuschränken. Um diesen Preis bestieg sie den russischen Thron.

Als Basil Dolgorucki zu ihr kam, um ihr den Beschluß des Senats, der ihr die Krone zuerkannte, zu melden, fand er in dem Zimmer der Herzogin einen gering aussehenden Mann, dem er einen Wink gab, sich zu entfernen.

Dieser geringe Mann war Biron, und der Wink, den ihm Dolgorucki gab, kostete dem letzteren den Kopf.

Biron sah dem mächtigen Führer der russischen Aristokratie frech ins Antlitz und ging nicht; da ergriff Dolgorucki den Unverschämten beim Arme, um ihn mit Gewalt hinauszuweisen, aber Anna Iwanowna eilte mit aller Lebhaftigkeit, die ihr zu Gebote stand, ihrem Günstling zu Hülfe, und Dolgorucki mußte sich damit begnügen, daß sie die Artikel, welche er ihr vorlegte, unterschrieb und beschwor.

Kaum war die feierliche Krönung vollzogen, da zeigte es sich, daß die Frau im kaiserlichen Hermelin die Sklavin des geringen Mannes war, der einst der Schemel ihrer Füße gewesen. Anna Iwanowna erklärte sich, ohne die beschworenen Punkte ferner zu beachten, zur Selbstherrscherin, was so viel hieß, als der Mann an ihrer Seite wolle nicht allein gebieten, sondern unumschränkt gebieten.

Der Senat mahnte die Kaiserin an ihr Versprechen, Biron zu entlassen; sie antwortete damit, daß sie mit ihm durch die Stadt ritt und sich so dem Volke zeigte.

Eine dumpfe Gärung machte sich unter dem Adel bemerkbar, man besorgte eine Umwälzung; das war der Augenblick, den Biron erwartet und erhofft hatte. Der einfache, von den stolzen Bojaren verachtete Mann, der sich jetzt, gleich einem asiatischen Despoten, in einem goldgestickten Prachtpelz auf seidenem Polster wälzte, begann sein Rachewerk und zugleich sein Henkeramt.

Die Kaiserin galt als apathisch und gut, aber eben deshalb war sie ihm gegenüber schwach, ja willenlos, und er war blutgierig wie ein Tiger und grausam wie eine Hyäne.

Er begnügte sich nicht damit, seine Feinde zu töten, nein, er wollte den süßen Kelch der Rache bis zur Neige leeren, er wollte sie mit Füßen treten, sie verhöhnen, sie demütigen, ehe er ihnen die stolzen Köpfe herunterschlagen ließ.

Mit dem Dolgorucki wurde der Anfang gemacht.

Ein Befehl der Kaiserin berief die stolzen Fürsten in den Palast. Ihre Entrüstung kannte keine Grenzen, als sie, statt zu der Monarchin, in einen Saal geführt wurden, in welchem Biron in seinem pelzbesetzten Schlafrock auf einem Ruhebette lag und sie mit spöttischem Lächeln musterte.

»Wo ist die Zarin?« rief Basil Dolgorucki.

»Ich bin hier an ihrer Statt,« sagte Biron.

»Dies ist eine Verletzung unserer Rechte, wie der Würde der Monarchin,« schrie Iwan Dolgorucki.

»Uns durch ihren Stallknecht empfangen lassen!« murrten die anderen.

»Und wie nennt Ihr die Artikel, welche Ihr der Kaiserin vorgelegt habt,« entgegnete Biron mit unheimlicher, lauernder Ruhe, »und die Haltung, welche Ihr einnehmt, seit sie die uneingeschränkte Macht, welche ihr gebühret, wieder hergestellt hat? Ich nenne das erstere die gröbste Beleidigung der Majestät, und das letztere – Rebellion!«

»Du willst uns zur Rede stellen?« schrie Basil Dolgorucki.

»Mehr als das! Ich fordere Euch auf, diese Schrift zu unterzeichnen,« sprach Biron, seinem Sekretär einen Wink erteilend, »in welcher Ihr die Zarin um Vergebung bittet und bedingungslose Unterwerfung unter ihren Willen –«

»Soll wohl heißen, Deinen Willen, Bube,« brach Iwan Dolgorucki los, »nie und niemals werden wir dies unterschreiben!«

»Dann knieet nieder und bittet um Euer Leben. Rebellen!« rief Biron, indem er aufsprang und die Glocke zog. Soldaten der Leibwache drangen von allen Seiten in den Saal und nahmen die Dolgorucki gefangen, welche sich trotzig in das Gefängnis abführen ließen.

Nach einem kurzen Prozesse wurden die Häupter der Familie zum Tode, die anderen zur Verbannung nach Sibirien verurteilt.

Birons Rache war damit nicht gesättigt.

Er ließ den Dolgoruckis einen Wink geben, daß sie auf Begnadigung rechnen könnten, wenn sie sich vor ihm demütigten. Sie baten um eine Unterredung. Biron erschien bei derselben gleich einem Herrscher, in einem mit Hermelin gefütterten Ueberrock, den er, um die Dolgoruckis mit diesem Attribut des Thrones zu höhnen, nachlässig auseinander schlug. Sie warfen sich vor dem allmächtigen Günstling auf die Kniee und baten um Gnade.

»Ich will Euch gern jede Gunst erweisen,« sprach Biron mit einem teuflischen Lächeln, »aber Euer Leben und Eure Freiheit kann ich Euch nicht schenken.«

Den nächsten Tag wurden zwei der Fürsten enthauptet, Die andern in das Exil abgeführt.

Durch den ersten Erfolg kühn gemacht, begann nun Biron, die Reihen des ihm feindlichen russischen Adels mit Hülfe des Henkers in beispielloser Weise zu lichten; nur die Geschichte Iwans des Schrecklichen und einiger römischer Cäsaren verzeichnet ähnliche Vorgänge, wie sie jetzt stattfanden. Nachdem die Feinde niedergeworfen waren, kam die Reihe an die Freunde der Kaiserin; keiner der Einfluß oder Ansehen hatte, sollte am Leben bleiben, das Blut floß in Strömen, in langen Wagenzügen wanderten die Verbannten in das mörderische Klima Sibiriens, nur Ostermann wurde geschont, ja, es gelang ihm, sich zum Liebling Birons zu erheben.

Die Kaiserin unterschrieb die vielen Todesurteile, nur der beispiellosen Gewalt weichend, welche Biron über ihre Seele gewonnen hatte, und jedesmal unter Thränen und Beteurungen, daß sie an all dem Unglück unschuldig sei.

Einmal, als Biron ihr ein paar neue Todesurteile vorlegte und sie unter denselben ihre treuesten Anhänger fand, bat sie die Kreatur ihrer Gunst um Gnade für dieselben, und als Biron unerschütterlich blieb, warf sie, die Zarin, deren Sklave er in der That war, sich zu seinen Füßen und bat ihn schluchzend um das Leben der Verurteilten.

Biron aber riß sie empor, schleppte sie zum Tische hin, auf dem die furchtbaren Dokumente lagen, und zwang sie zu unterzeichnen, indem er ihr selbst die Hand führte.


Die Macht Birons wurde eine unumschränkte, als sich zu der natürlichen Trägheit der Zarin mit den Jahren ein Leiden gesellte, das ihr jede Bewegung, wie jede Anstrengung zur Qual machte, die Gicht. Sie wollte nun von Regierungsgeschäften so wenig als möglich hören und verweigerte oft apathisch, wochenlang sogar, ihre Unterschrift auf die Aktenstücke zu setzen, welche ihr von dem faktischen Regenten Rußlands vorgelegt wurden. Dies reizte seinen Zorn, und sie war nicht selten seinen Mißhandlungen ausgesetzt, begnügte sich aber, dann, vor ihren Kammerfrauen über ihn zu klagen und zu weinen.

Im Jahre 1740 war ein unerhört früher und beispiellos strenger Winter eingetreten. Die Zarin hatte sich erkältet und hatte, von Schmerzen gefoltert, nicht mehr den Mut, ihre Zimmer zu verlassen.

Sie saß, in Pelze eingehüllt, in ihrem Polsterstuhle beim Kamin, in dem das Feuer nie ausgehen durfte, und spielte Karte mit einer alten Hofdame. In dem Zimmer war eine Temperatur zum Ersticken, sie klagte aber immer noch über Kälte und hieß dem Heizer, von neuem anzulegen. Da kam eines Tages Biron herein, in hohen Stiefeln, die Peitsche in der Hand, er kam von einem Ritt.

»Was ist das hier für eine Wirtschaft,« schrie er, »eine Hitze zum wahnsinnig werden.«

»Ich aber friere, mein Kind,« sagte Anna Iwanowna schüchtern.

»Geh' an die Luft, dann wird Dir warm werden,« erwiderte er im Tone des Gebieters.

»Ich kann aber nicht gehen, ich bin krank,« klagte die Zarin.

»Einbildung,« rief er, und begann damit, alle Fenster aufzureißen.

»Er bringt mich um,« schrie Anna Iwanowna.

»Im Gegenteil, ich bringe Dich zum Leben,« sprach er mit einem rohen Gelächter, »fort mit diesen Pelzen, einer genügt, und auf der Stelle hinaus ins Freie.«

»Ich kann nicht stehen,« jammerte die Zarin, »die Gicht –«

Biron faßte sie bei den Händen und stellte sie auf die Füße. »Nun? Einbildung, was habe ich gesagt?« Ohne weiter zu fragen, befahl er die Portechaise der Kaiserin.

»Es ist mein Tod,« klagte Anna Iwanowna und begann zu weinen, aber es half ihr nichts, sie mußte, so schwer es auch ging, allein die Treppe hinabhinken und in die Portechaise steigen; die Träger hatten den Auftrag, sie bis zu den letzten kleinen Häusern an der Newa zu tragen und nicht vor zwei Stunden zurückzukehren. Zwei ihrer Damen folgten gleichfalls in Sänften.

»O, es ist grausam kalt!« seufzte die Kaiserin, als die scharfe Luft sich trotz der geschlossenen Fenster und Pelz und Schleier fühlbar machte, »grausam kalt!« Es herrschte auch in der That eine Kälte, deren sich die ältesten Leute nicht entsinnen konnten; jeden Morgen fand man Menschen in den Straßen, welche in der Nacht erfroren waren, und die Vögel fielen erstarrt von den Bäumen und Dächern herab. Die Träger mußten von Zeit zu Zeit Halt machen und ihre Hände tüchtig in einander schlagen und mit Schnee reiben, wenn sie ihnen nicht erfrieren sollten; jedesmal, wenn dies geschah, fror die arme gichtkranke Frau in der Sänfte erbärmlich und begann zu schluchzen und die Träger zu verwünschen. »Warum bleiben sie stehen, man soll sie vorwärts treiben, man soll sie peitschen, die Hunde,« rief sie.

Endlich war der seltsame Zug in der entferntesten Vorstadt angelangt, wo nur noch einzelne halbverfallene kleine Häuser mit windschiefen Strohdächern am Flusse standen; da schrie die Kaiserin mit einer Art Entsetzen auf.

In dem Eis der Newa war ein Loch ausgehauen und in demselben stand ein großes, kräftiges Weib in einem alten Halbpelz, der ihre bloße Brust sehen ließ und wusch Wäsche.

Die Zarin befahl zu halten und vergaß sich in ihrer Ueberraschung so weit, daß sie das Fenster ihrer Sänfte öffnete und ihren Hofdamen zurief: »Sehen Sie doch die Frau, die dort im Wasser steht, welche robuste Gesundheit, wie beneide ich sie!«

Sie rief die Wäscherin, welche ungern zu gehorchen schien, zu sich und bewunderte sie jetzt, wo sie mit bloßen Füßen und roten Wangen vor ihr im Schnee stand, noch mehr.

»Wie nennst Du Dich?« fragte sie.

»Anna Iwanowna Nullinowna, gnädige Frau; aber es ist kalt, und ich bitte Euch, mich in meiner Arbeit nicht zu unterbrechen,« gab die Wäscherin zur Antwort.

»Nur wenige Worte, Anna Iwanowna,« sprach die Zarin, »auch ich heiße nämlich so, wie fängst Du das an, daß Du im Eise der Newa stehen kannst und nicht erfrierst, im Gegenteil so gesund und stark und hübsch bleibst, denn Du bist eine ganz hübsche Frau, Anna Iwanowna.«

Die Wäscherin lächelte geschmeichelt. »Nun, mit der Gesundheit ist es nicht weit her, Mütterchen,« erwiderte sie, »ich bin wohl ab und zu ganz abscheulich von der Gicht geplagt.«

»Von der Gicht!« schrie die Zarin auf. »Und da gehst Du mit bloßen Füßen in das Eis? Ich leide auch an der Gicht, meine Liebe, aber ich möchte weinen, wenn ich nur aus dem Zimmer soll. Freilich Du bist noch jung, ich aber bin schon siebenundvierzig Jahre alt, da ist das Blut nicht mehr so warm.«

»Erst siebenundvierzig Jahre seid Ihr alt?« rief die Wäscherin, die Hände zusammenschlagend. »Und sitzt da in der Sänfte und laßt Euch tragen wie ein hundertjähriges Mütterchen? Das machen Eure heißen Stuben und Eure Pelze. Ich bin über fünfzig Jahre und laufe Euch rein wie ein Zobel durch den Schnee.«

»Heilige Mutter von Kasan,« seufzte die Zarin, »ich hätte Dich höchstens für vierzig gehalten, Anna Iwanowna. O, wie glücklich Du bist, gieb mir einen guten Rat, wie soll ich es anfangen, so rüstig und hübsch zu werden wie Du?«

»Arbeitet so wie ich im kalten Wasser, dann nehmt etwa ein Dampfbad und wälzt Euch darnach ein wenig im Schnee, und weggeblasen ist die Gicht,« sprach die Wäscherin, »aber jetzt ist es Zeit, daß ich zu meiner Wäsche zurückkehre. Gott schütze Euch, Mütterchen.«

Kaum war die Zarin in den Palast zurückgekehrt, ließ sie sich einen großen Waschtrog in das Zimmer stellen und begann trotz der Qualen, welche es ihr verursachte, zu waschen und mit jener apathischen Beharrlichkeit, welche sie in jeder Beziehung charakterisierte, konnte sie sich durch mehrere Stunden, wie früher von ihren Pelzen und ihrem Fauteuil, jetzt von dieser seltsamen Beschäftigung nicht trennen. Endlich war sie, da das Zimmer sehr warm geheizt war, ganz in Schweiß gekommen und fühlte sich dadurch ein wenig erleichtert.

»Nun aber müssen Majestät in das Dampfbad,« beschworen sie ihre Hofdamen, als Anna Iwanowna sich erschöpft auf ein Ruhebett sinken ließ, »sonst wird es noch schlimmer, als es war.«

»Ja, ja,« stimmte die arme Frau bei, »ich will gesund und hübsch werden wie meine Namensschwester, die Wäscherin.« Und sie ließ sich willig in das Dampfbad führen, mit Ruten streichen und mit Bürsten reiben, bis sie weit mehr einem gekochten Krebs als einer Monarchin glich, und dann im Schnee wälzen und wieder in den Dampf zurückführen, und so fort, bis sie endlich todmüde, in warme Pelze eingehüllt, auf ihrem Ruhebett lag und zum ersten Male seit vier Monaten ruhig und süß schlief.

An den nächsten Tagen wurde die Procedur fortgesetzt, und kaum waren zwei Wochen vergangen konnte die Kaiserin im offenen Schlitten durch Petersburg fahren und vor dem Häuschen der Wäscherin aussteigen und in ihre niedere rauchige Stube treten.

»Ich bin gekommen, Dir zu danken, Anna Iwanowna,« begann sie, nachdem die überraschte Wäscherin ihr den Sitz unter den Heiligenbildern angewiesen; »ich danke Dir meine Gesundheit, bitte Dir eine Gnade aus.«

»Wenn es nur besser geht, Mütterchen,« sagte die Wäscherin verlegen, »mein Verdienst dabei ist gering.«

»Also, was kann ich für Dich thun?« begann die Zarin von neuem.

»Laßt Eure Wäsche bei mir waschen,« gab Anna Iwanowna zur Antwort.

Die Zarin und ihre Damen lachten.

»Ist dies zu viel verlangt?« fragte die Wäscherin betroffen.

»Zu wenig, meine Liebe.«

»Wer seid Ihr denn, daß Ihr so freigebig seid?«

»Anna Iwanowna, Kaiserin von Rußland,« erwiderte die arme gichtkranke Frau stolz.

»Heilige Mutter« – die Wäscherin sank in die Kniee und begann in ihrer Herzensangst zu beten.

»Fürchte Dich nicht,« sprach die Zarin freundlich, »ich bin Dir sehr gnädig gesinnt, denn Du hast mir so gut wie das Leben gerettet. Also verlange selbst, was ich für Dich thun soll.«

»Nichts für mich, gnädigstes Mütterchen Zarewna,« rief die Wäscherin, »aber nehmt Euch meines Kindes an; es ist ein schönes Kind und ein gutes Kind, wert, von einer Zarewna begünstigt zu werden.«

»Laß sehen, wo ist dies Wunderkind?«

Die Wäscherin wagte es nicht, aufzustehen, sondern rutschte auf den Knieen aus der Stube und kehrte in wenig Augenblicken mit einem großen, herrlich gewachsenen Mädchen zurück, dessen Züge zugleich das Gepräge von Intelligenz, Güte und seltener Schönheit trugen. »Das ist meine Tochter,« sagte sie nicht ohne Stolz.

»Nun, Du hast alle Ursache, Dich ihrer zu freuen,« sprach die Kaiserin huldvoll, »wie heißt Du, Kleine?«,

»Anna Iwanowna,« erwiderte die Kleine, welche größer war als die Zarin, ohne Furcht, aber auch ohne jede Zudringlichkeit.

»Du gefällst mir sehr wohl« fuhr die Zarin fort, »ich werde Dich und Deine Mutter nicht vergessen, Ihr sollt bald von mir hören, sehr bald, und wie alt bist Du?«

»Achtzehn Jahre.«

»Mein Gott, mein Gott!« seufzte die Kaiserin. »Wo ist die Zeit, wo ich achtzehn Jahre alt war, wie geht das Leben dahin und die Jugend und die Schönheit! Auch ich war einmal schön, Anna Iwanowna.«

»Gnädigste Zarewna sind noch immer die schönste Frau in Rußland,« beteuerte die Wäscherin.

Die Kaiserin lächelte, sie fühlte sich in diesem Augenblicke in dem niederen rauchigen Stübchen der Wäscherin glücklich, wie seit langer, langer Zeit nicht unter dem goldenen Dache des Zarenpalastes.


Um die Wiedergenesung der Kaiserin würdig zu feiern, kam Biron, der in seinem Wesen, in seiner Lebensweise und seinen Einfällen neben der Grausamkeit auch die an Tausend und eine Nacht mahnende burleske Phantasie orientalischer Despoten besaß, auf die originelle Idee, aus dem Eise der Newa einen Palast zu erbauen und in demselben ein glänzendes Fest zu geben. Es gelang besser, als man erwartete, und der Eispalast, ein gefrorenes Märchen, lockte Tausende und wieder Tausende Neugieriger nicht allein aus Petersburg, sondern auch aus weiter Ferne herbei. Die Eisstücke waren gleich Steinen ausgehauen und nach den Regeln der Baukunst zusammengesetzt worden, so daß die Last des schweren, gleichfalls aus Eis bestehenden Daches von denselben ohne Gefahr getragen wurde. Der Palast war zweiundfünfzig Fuß lang, sechzehn Fuß breit und zwanzig Fuß hoch und mit allerhand architektonischem Zierat, gleichfalls aus Eis, geschmückt. Vor demselben standen sechs Kanonen aus Eis, die auf der Drehbank gearbeitet waren, mit Lafetten und Rädern aus Eis und zwei Mörsern.

Neben dem Palast befand sich eine kleine Kapelle aus Eis, in der auch Altar, Fenster und Betstuhl aus Eis gearbeitet waren.

Die Kaiserin, welche sich jetzt wieder ohne jede Anstrengung bewegte, kam in einem mit vier Rappen bespannten, einen Drachen vorstellenden Schlitten, den Biron selbst lenkte, zu dem Feste, das ihr Günstling gab. Sie saß, vom Kopf bis zum Fuße in schneeweißen köstlichen Hermelin gekleidet, in schwarzen Bärenfellen. Als sie den Eispalast erblickte, blieb sie zuerst vor Erstaunen sprachlos, dann schlug sie gleich einem Kinde in die Hände und eilte auszusteigen und alles genau zu besehen.

Die geladenen Gäste, aus der Blüte der russischen Aristokratie, waren aus Rücksicht für das eigentümliche Lokal von Biron angewiesen worden, in der alten Moskauer Bojarentracht zu erscheinen, welche besonders den Damen, Gelegenheit bot, eine nie gesehene Pracht in edlem Pelzwerk, Goldstickereien und Juwelen zu entwickeln.

Eine glänzende Tafel im Eispalast, dessen Boden mit dreifachen Bärenfellen bedeckt war, eröffnete das Fest. Vor dem märchenhaften Gebäude spielte ein Corps von dreihundert Musikern, und als sich Biron erhob, um auf die Gesundheit der Zarin zu trinken, gaben die Eiskanonen eine Salve. Sie hatten die Größe von Sechspfündern, deren gewöhnliche Ladung aus drei Pfund Pulver bestand. Man nahm aber nur ein viertel Pfund und setzte Kugeln aus gedrehtem Hanf auf. Obwohl das Eis der Geschützröhre nicht über vier Zoll dick war, hielt es die Explosion doch so gut aus, daß man nach der Tafel den Versuch mit eisernen Kugeln wagte.

Die Zarin, von den Gästen umgeben, sah von den Stuben des Eispalastes aus dem nie dagewesenen Schauspiel zu, das eine unabsehbare Menge herbeigelockt hatte.

Es wurden Bretter von zwei Zoll Dicke als Zielscheiben aufgestellt, welche von den Kugeln der Eiskanonen, in einer Entfernung von sechzig Schritten spielend durchbohrt wurden.

Der Kanonade folgte ein Ball.

Während die Kaiserin an Birons Seite die Polonaise tanzte, hörte sie die Gräfin Rostopschim einen Namen nennen, den sie seit beinahe fünfzehn Jahren nicht gehört, und der sogar im stande war, ihr träges Blut in Wallung zu bringen, den Namen des Fürsten Anatol Galitzin.

»Was ist mit ihm?« fragte sie rasch, die Reihen der Tanzenden durchbrechend.

»Man erzählt von ihm eine Geschichte, die sehr unwahrscheinlich klingt,« sagte die Gräfin, »er soll im Auslande zur katholischen Kirche übergetreten und vor wenig Tagen mit einer jungen, reizenden Französin nach Petersburg zurückgekehrt sein, in der Absicht, sich mit derselben zu vermählen.«

»Zu vermählen?« wiederholte Anna Iwanowna, am ganzen Leibe bebend. »Nun, wir wollen sehen.« Dann nahm sie mit einer Heftigkeit, welche Biron an ihr ganz neu war, ihren Günstling bei Seite und sprach: »Ich erfülle Deinen Willen, wie ich nur kann, jetzt habe ich zum ersten Male, seit wir uns kennen, einen Wunsch, dessen Erfüllung ich Dir befehle, verstehst Du, Biron, befehle? Der Fürst Galitzin hat mich vor Jahren beleidigt, er hat unsere heilige Kirche verlassen, ich will meine Rache an ihm haben, und zwar genau so, wie ich es Dir auftrage.« Anna Iwanowna sprach mit geballten Fäusten und fliegender Brust, und ihre kleinen chinesischen Augen funkelten vor Mordlust.

Biron fühlte zum ersten Male etwas wie Respekt, vor ihr. »Deine Befehle werden streng erfüllt werden« erwiderte er.

Eine halbe Stunde später wurden Fürst Anatol Galitzin und seine Braut, eine französische Dame aus bester Familie, in seinem Palast verhaftet.

»Was ist mein Vergehen?« fragte der Fürst.

»Unbekannt,« erwiderte der Polizeioffizier kühl.

»Auf wessen Befehl erfolgt die Verhaftung?«

»Auf besonderen Befehl Ihrer Majestät der Kaiserin.«

Galitzin lachte auf, es war ein unheimliches, bitteres Lachen. Er wurde auf der Stelle von der Geliebten getrennt und in das Gefängnis gebracht, wo er mit dem Leben abschloß und sich allen Ernstes auf einen qualvollen und schimpflichen Tod vorbereitete.

Indes war es vollkommen dunkel geworden, und die Zarin sah aus einem Fenster des Eispalastes dem prachtvollen Feuerwerke zu, das auf dem Eise der Newa abgebrannt wurde und zuletzt in magischer Beleuchtung ihren Namen zeigte. Da trat Biron zu ihr und sprach: »Es ist geschehen.«

»Gut,« sagte Anna Iwanowna mit stolzer Ruhe; sie gefiel sich offenbar sehr in der Rolle der Gebieterin. »Sende jetzt auf der Stelle zu der Wäscherin Anna Iwanowna Nullinowa, welche in einem der letzten Häuser an der Newa wohnt, und zwar einen meiner Schlitten, eines meiner besten Kleider, meinen schönsten Zobelpelz und einen großen dichten Schleier. Alle diese Sachen hat die Wäscherin anzulegen, sich dicht zu verschleiern, so daß sie niemand zu erkennen vermag, und hierher zu kommen, wo sie das weitere erfahren wird.«

»Wie Du befiehlst,« erwiderte Biron.

»Dann entferne die Gäste und ordne alles an, wie ich es Dir gesagt,« fuhr die Zarin fort, »und man soll der Wäscherin mit aller Art begegnen, denn sie hat mir das Leben gerettet, und sie wohl in den Pelz und warme Felle einpacken, denn die Arme leidet sehr an der Gicht.«


Als Galitzin, nachdem er kaum zwei Stunden in seinem Gefängnis zugebracht hatte, von dem Polizeioffizier abgeholt und ihm bedeutet wurde, einen bereitstehenden Schlitten zu besteigen, dachte er nicht anders, als die Zarin habe ihn zur Deportation nach Sibirien begnadigt, und ergab sich mit einer gewissen Heiterkeit in sein Schicksal.

Als er des magisch erleuchteten Eispalastes ansichtig wurde, fragte er erstaunt den ihn begleitenden Offizier: »Was ist das für ein neues Gebäude, ich kenne es nicht.«

Staunend hörte er seinen Begleiter die Entstehung des seltsamen Bauwerkes und das eben abgehaltene Fest schildern. Sein Erstaunen wuchs, als der Schlitten vor dem Eispalaste hielt und der Offizier ihn in die neben demselben stehende Kapelle führte. Vor dem glänzend erleuchteten Altare erwarteten ihn, in Gesellschaft eines Priesters, ein unbekannter Mann mit einem Ordensstern auf der Brust und eine dicht verschleierte Dame in einem prachtvollen Hermelinpelze.

Der Unbekannte winkte ihm, näher zu treten. »Ihr seid hierher beschieden worden, Prinz,« begann er feierlich, »um aus meinem Munde das Urteil zu vernehmen, das Ihre Majestät die Zarin Anna Iwanowna, Gott erhalte sie, über Euch gesprochen. Ihre Majestät wäre im Rechte gewesen, Euch zum Tode zu verurteilen, aber sie läßt Gnade walten und verurteilt Euch bloß dazu, in dieser Kapelle hier Eure Vermählung und in dem danebenstehenden Eispalaste Eure Hochzeit zu feiern.«

»Alles, was Ihre Majestät über mich beschließt, ist mir die höchste Gnade,« erwiderte Galitzin, dem es durchaus nicht an russischer Schlauheit fehlte, »und wenn Ihr, gnädiger Herr, Ernst Biron seid –«

»Ja, der bin ich.«

»Dann bitte ich Euch, an der Stelle Ihrer Majestät meinen unterthänigsten Dank entgegenzunehmen,« schloß Galitzin, indem er sich vor Biron auf ein Knie niederließ und dessen Hand küßte.

In diesem Augenblicke hatte er das Herz des Günstlings für sich gewonnen.

»Wo bleibt nur die Braut?« murmelte die Dame im Hermelin.

»Ich sehe sie eben kommen,« sagte Biron.

Von einem kaiserlichen Kammerherrn geführt, trat jetzt eine hochgewachsene weibliche Gestalt, über einem dunklen Samtkleide in einen kostbaren Zobelpelz gehüllt und dicht verschleiert, ein und näherte sich demütig und bebend der Dame im Hermelin, der sie ehrerbietig den Saum ihres Kleides küßte.

»Sei ruhig, Anna Iwanowna,« sprach diese, »alles was hier geschieht, geschieht zu Deinem Glücke, in wenig Augenblicken bist Du eine der vornehmsten und reichsten Frauen Rußlands.«

Der Priester trat vor den Altar und begann die Ceremonie. Zuerst richtete er die üblichen Fragen an den Fürsten, dann an die verschleierte Braut.

»Anna Iwanowna,« wandte er sich zu ihr.

Da erst erkannte Galitzin, daß es nicht die Französin war, die mit ihm vor den Altar getreten. Er sah das imposante Weib, das neben ihm stand, überrascht an, und zugleich traf ihn ihr Blick zum ersten Male und ruhte lange auf dem schönen, vornehmen Manne. Sie begann am ganzen Leibe zu beben, aber von einer ganz anderen Empfindung als vorher ergriffen.

»Ja,« sprach sie dann fest und vernehmlich.

Anna Iwanowna? Sollte es die Zarin sein? Liebte sie ihn noch immer? schwirrte es in Galitzins Kopfe.

Die Ringe waren gewechselt, die Beiden unauflöslich vereint.

Da winkte die andere Verschleierte, und Biron führte die Gemahlin des Fürsten an seinem Arme aus der Kapelle; der Priester folgte.

Als sie allein waren, näherte sich die Dame im Hermelinpelz rasch dem Fürsten. »Du glaubst wohl, daß Du mit Deiner Französin vermählt bist,« murmelte sie. »Hast Du wohl gehört, Deine Frau heißt Anna Iwanowna; was würdest Du sagen, wenn es dieselbe Anna Iwanowna wäre, die Du vor fünfzehn Jahren so ehrlos verlassen hast und die jetzt Deine Kaiserin ist?«

»Ich wäre der Seligste der Sterblichen,« rief Galitzin, während er sich innerlich bei dem Gedanken entsetzte.

Die Dame schlug eine höhnische Lache auf. »Nein, diese Anna Iwanowna steht vor Dir.« Sie schlug den Schleier zurück und maß den Fürsten mit einem Blick, in dem eben so viel Haß als Eifersucht lag, denn bei dem Anblicke des noch immer jungen und jetzt noch um vieles schöneren Mannes war in der Brust die Liebe neu erwacht.

»Majestät!« stammelte Galitzin, in die Kniee sinkend.

»Ja, das ist Dein Platz, Sklave!« rief die Zarin, »Deine Französin wurde auf meinen Befehl über die Grenze geschafft, und ich habe Dir die Braut erwählt, keine aus fürstlichem Geblüt wie mich, die taugt nicht für Dich, dem Sklaven taugt nur die Sklavin, Deine Anna Iwanowna ist eine – Wäscherin; geh nun in das Brautgemach und grüße das alte Weib, das Dich dort erwartet, als Deine Gemahlin mit dem Hochzeitskuß.«

Mit diesen Worten verließ sie den Fürsten, und der Polizeioffizier erschien, um ihn in den Eispalast zu führen.

Vor dem Thore desselben sagte er zu Galitzin: »Eure Gemahlin erwartet Euch hier: die Zarin hat Befehl gegeben, daß Ihr Beide den Palast nicht vor Sonnenaufgang verlaßt, alle Fenster und Thüren sind bewacht, wer zu entkommen sucht, wird niedergeschossen. Dies sendet Euch Excellenz Biron.« Damit händigte er dem Fürsten einen kostbaren Pelz, ein Paar großer Pelzstiefeln und eine Pelzmütze ein.

»Es thäte ihm leid, wenn Ihr erfrieren würdet, und nun ist meine Mission zu Ende.«

Der Fürst trat in den Eispalast, welcher sofort hinter ihm geschlossen wurde, warf das Pelzwerk Birons auf den Boden und blickte um sich. An der Wand stand ein großes, mit kostbaren Fellen bedecktes Himmelbett, in der Mitte des Gemaches ein Tisch für zwei Personen gedeckt, an demselben zwei Sitze aus Bärenfellen, und Bärenfelle bedeckten auch den Boden. In der Tiefe eines Fensters stand seine Gemahlin.

Der Fürst seufzte auf. »Also hier heißt es die Nacht zubringen,« sagte er wie im Selbstgespräch, »und noch dazu an der Seite eines alten Weibes. Also doppelter Frost. Aber was hilft das, man muß sich in sein unabänderliches Schicksal fügen; das nennt man in Frankreich Philosophie und bei uns gesunden Menschenverstand. Nun, mindestens für Magen und Kehle ist gesorgt. Also komm, meine Liebe, essen wir zur Nacht.«

Seine Frau trat rasch einige Schritte gegen ihn, um dann wieder eben so plötzlich einzuhalten.

»Was hast Du? Wenn ich Dir mißfalle, komm' immerhin näher, wir sind einmal an einander geschmiedet wie zwei Verbrecher bis an das Ende unserer Tage, jetzt heißt es, sich gutwillig vertragen. Komm!«

Sie rührte sich noch immer nicht.

»Vorerst wollen wir aber von der freundlichen Gabe Birons Gebrauch machen.«

Der Fürst zog den Pelz an, setzte die Mütze auf und machte Anstalt, in die Stiefeln zu fahren. Da eilte die verschleierte Frau plötzlich zu ihm, und sich vor ihm niederwerfend, stammelte sie: »Laßt mich Euch bedienen, gnädiger Herr!«

»Was fällt Dir ein?«

»Laßt mich Eure Sklavin sein!«

Der Ton war seltsam, es lag etwas darin, was dem Fürsten so bekannt schien und was er doch nicht verstehen konnte, aber der Ton kam vom Herzen und ging zum Herzen.

»Deine Stimme klingt nicht wie die eines alten Weibes,« sprach der Fürst sie betrachtend, »und wenn der weite Pelz nicht trügt, scheinst Du gut gebaut. Aber ich erinnere mich, daß ich Dir noch nicht den Hochzeitskuß gegeben habe.«

Seine Gemahlin sprang auf und wich scheu einig Schritte zurück. Er folgte ihr.

»Du bist mein Weib,« sprach er, »ich grüße Dich als mein Weib.«

Er hob den Schleier, um sie zu küssen; aber diesmal wich er mit einem Schrei zurück.

Nicht die alte Wäscherin, welche ihm die Zarin angekündigt, stand vor ihm, sondern ein junges, schönes Weib mit reichem blonden Haar und großen blauen Augen voll Ehrlichkeit und Klugheit und Güte und Liebe.

»Du – Du bist mein Weib?« stammelte Galitzin.

»Ja, Herr,« sagte sie ruhig; sie sah die Wirkung, welche sie auf ihn gemacht hatte, und das gab ihr die volle Sicherheit wieder.

»Und Du willst mir dienen?«

»Ja, Herr, weil ich Euer Weib bin vor Gott und weil ich Euch liebe.«

»Nein, nein, Anna Iwanowna,« rief der Fürst, »ich werde Dein Sklave sein!«

Er warf sich vor ihr nieder und bedeckte ihre Hände mit feurigen Küssen.

»Ihr erniedrigt Euch, gnädiger Herr,« rief sie, ihn aufhebend.

»Ich bin nicht Dein Herr!« sagte er.

»Mein Gemahl – ich bin ja doch nur eine Wäscherin; dieses schöne Kleid und dieser stolze Pelz sind nicht mein,« sagte sie verschämt.

»Ich frage nicht darnach, nun bist Du mein Weib,« erwiderte er rasch, »und ich will Dich in Hermelinpelze hüllen wie eine Monarchin. Aber erkläre, wie dies alles kam.«

»Es ist mir selbst noch ein Rätsel,« sagte sie. »Die Kaiserin hatte den Willen, meiner Mutter eine Gnade zu gewähren; meine Mutter aber bat sie, mir, ihrer Tochter, ihre Gunst zuzuwenden, und sie schien einverstanden. Heute kam plötzlich ein Schlitten mit diesen Kleidern; die Kaiserin befehle, die Wäscherin Anna Iwanowna möge auf der Stelle erscheinen, um mit einem reichen Fürsten vermählt zu werden. Da sagte meine Mutter, die seit ein paar Tagen von der Gicht gelähmt im Bette liegt: »Wie sollte ich Hochzeit halten, von mir kann nicht die Rede sein, nimm Du den Pelz und fahre hin.« Und ich gehorchte, doch nicht gern, denn ich dachte, ein reicher Fürst könne nicht anders als alt und häßlich sein. Da erblickte ich Euch, gnädiger Herr, und –«

»Und?«

»Ich gehorchte gern.«

»Mein teures Weib,« rief der Fürst, »nimm diesen Kuß und mit ihm alles, was nur mein ist. Ich gehöre jetzt Dir, sowie Du mein bist, und keine Macht der Erde soll uns trennen.«

Sie bebte, als seine Lippen die ihren berührten.

»Und liebst Du mich?« flüsterte er.

Sie erwiderte kein Wort, aber sie schlang mit der Allgewalt der Liebe die Arme um ihn und gab ihm für den einen Kuß ungezählte andere zurück bis zum Morgen.


Und Gott Amor, der das ewige Feuer heiliger Liebe unsichtbar schürte, sorgte dafür, daß die Neuvermählten nicht erfroren.

Als am Morgen die Verwechselung, welche zu Gunsten des Fürsten stattgefunden hatte, bekannt wurde, lag die Zarin infolge einer heftigen Erkältung, welche sie sich bei dem Feste im Eispalaste zugezogen, von neuem mit einem heftigen Gichtanfall auf ihrem Schmerzenslager. Das Mißlingen ihres Racheplans trug nicht wenig dazu bei, ihre Leiden zu steigern und ihr Ende zu beschleunigen.

Sie starb kurze Zeit darnach im Delirium, bald von dem Eispalaste, bald von den Eisfeldern Sibiriens phantasierend, nachdem sie vorher Biron zum Regenten ernannte.

Dieser wendete dem Fürsten Anatol Galitzin seine Gunst in demselben Maße zu, als die Zarin Anna Iwanowna denselben verfolgt hatte.

Die schöne Gemahlin des Fürsten fand sich mit jener den Frauen überhaupt, und insbesondere jenen der slavischen Race eigentümlichen Bildsamkeit schnell in ihre neue Stellung und den fürstlichen Luxus, der sie umgab. Sie begnügte sich aber nicht damit, sondern suchte sich in jeder Richtung zu unterrichten und Kenntnisse zu sammeln, so daß sie in kurzer Zeit alle Frauen ihres Standes überflügelt hatte.

Ihr Gatte, dem sie zahlreiche Erben schenkte, lebte mit ihr in ungetrübtem Glücke, und jedesmal wurde an dem Jahrestage im Kreise der Familie der glücklichen Idee der Zarin, den »Fürsten« mit einer »Wäscherin« zu verheiraten, gedacht, und der »Hochzeit im Eispalast.«


 << zurück weiter >>