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Regentage in Zarskoje Selo. Der Himmel war mit einem einförmig grauen Wolkentuche verhängt und schüttelte unaufhörlich sein trübes Wasser auf die Erde, welches tiefe Rinnen in dieselbe schnitt, Bäche, kleine lehmiggelbe Flüsse bildete und einförmig um das Lustschloß der zweiten Katharina sang und plätscherte. Der Regen schlug in einförmigem Takte griesgrämig auf die Steine der Höfe, auf die Marmorplatten der Vestibüls und Korridore, an die großen Fenster.
Eine bleierne Langeweile halte sich der Kaiserin und ihrer vergnügungssüchtigen Umgebung bemächtigt. Vorbei war es mit den prächtigen Gartenfesten der schimmernden Feeninsel, der dörflichen Rokoko-Idylle welche Orloff mit so viel Verschwendung und Geschmack zur Belustigung seiner launenhaften, phantastischen Herrin in Scene gesetzt hatte. Man tanzte, man spielte mit Karten und Domino, man medisierte, intriguierte, und liebelte aber dies alles war ja an dem Hofe Katharinas so alltäglich, und man langweilte sich also bei dem Klang der Geigen und zu den Füßen der Geliebten. Die Verzweiflung hatte den höchsten Grad erreicht, da trat Graf Orloff mit einer neuen Idee hervor, einem allegorischen Maskenballe. Es war abends im Zirkel der Kaiserin, wo er sein Projekt vortrug, und es war eigentlich kein Projekt mehr, er hatte seit achtundvierzig Stunden beinahe unausgesetzt mit dem Hofdekorateur beraten, und hundert Kostümeurs, Maler Papparbeiter, Vergolder waren im Erdgeschosse thätig, seine bizarren Einfälle zu verwirklichen.
»Ich verkenne Ihre Absicht, Ihren guten Willen, nicht, mein lieber Graf,« sprach Katharina II., mit dem Fächer spielend, »aber dies ist alles schon dagewesen, und ich fürchte, wir werden dabei nicht weniger gähnen, als bei den Witzen, welche Graf Panin mit Aufopferung seiner Gesundheit im Schweiße seines Angesichts ersinnt.«
Die Kaiserin legte hierauf den Fächer vor den Mund, um ihr Gähnen zu maskieren.
»Gestatten mir Eure Majestät nur den Versuch,« bat Orloff.
»Nun es sei,« erwiderte die Monarchin, »aber welche Rolle haben Sie mir dabei zugedacht?«
»Die Rolle der Gottheit,« sprach Orloff, »vor der sich dieses Schauspiel entrollen soll, die göttliche Komödie dieser Welt vor unserem Schöpfer.«
Katharina lächelte.
Orloff verneigte sich und verschwand; er schien für vierundzwanzig Stunden aus der Liste der Lebenden gestrichen.
Aber es wurde wieder Abend, und Zarskoje Selo flammte auf in einem Meere von Lichtern; es regte sich in allen Winkeln des Palastes, und Musik verkündete den Anfang des Festes. Die Säle füllten sich mit den Schönen, den Kavalieren des Hofes. Ein jeder erschien in einem kleidsamen und kostbaren Kostüme, die meisten die Larven vor dem Gesicht. Katharina II. schritt an dem Arme des Grafen Orloff durch die glänzende Gesellschaft; sie trug die malerische Tracht der Kosaken, welche sie so sehr liebte und, indem sie dieselbe mit der französischen Mode zu verschmelzen verstand, sogar hoffähig gemacht hatte. Rote Stiefeln vom feinsten Saffian zeigten unter dem kurzen weißen Atlasrock die kleinen Füße der nordischen Semiramis, auf welche dieselbe eben so stolz war, wie auf ihre Siege über die Türken; eine Jacke aus rotem Samt ohne Aermel, um die Taille mit Gold gegürtet, zeigte die herrlichen, schlank üppigen Formen der Zarin und ihre wunderbar gebildeten, marmorschönen Arme; auf dem rotblonden Haare, welches in zwei großen, golddurchflochtenen Zöpfen über den Rücken fiel, ruhte die cylinderförmige Kosakenmütze, an der eine blitzende Brillantagraffe den kleinen weißen Federbusch hielt.
Katharina II. strahlte wieder einmal in voller Jugend und Schönheit, aber um ihren kleinen, vollen Mund spielte es wie Müdigkeit, wie Verdruß und Langeweile.
Orloff bemerkte es und beeilte sich, die Kaiserin zu dem erhöhten Sitze zu geleiten, den er für sie hatte errichten lassen, dann neigte er sich tief zur Erde und klatschte in die Hände.
Auf das Signal sprangen zwölf Bären herein und machten, während alles lachend und schreiend zurückwich, die Mitte des Saales frei, welcher, mit großen Vierecken aus weißem und schwarzem Holz belegt, ein riesiges Schachbrett bildete.
Und wieder klatschte Orloff in die Hände. Da erklang lärmende Janitscharenmusik und die schwarzen Schachfiguren, als Türken kostümiert, zogen ein. Der schwarze König als Sultan, die Königin als Sultanin, den Turban mit dem Reiherbusch geziert, die Läufer waren Agas mit Roßschweifen in der Hand, die Türme wandelnde Festungen, auf deren Zinnen der Halbmond blinkte und aus deren Luken die Mündungen kleiner Geschütze hervordrohten, die Reiter waren Mameluken auf Papprossen, die Bauern Janitscharen in ihrer vollen Kriegsrüstung.
Sie zogen unter dem Klange ihrer Schlachtmusik durch den Saal und nahmen dann ihre Plätze spielgerecht auf der einen Seite des Schachbrettes ein.
Auf ein neues Zeichen Orloffs ertönten hierauf Trommeln und Pfeifen und die weißen Figuren rückten in den Saal.
In der Königin, welche gleich Katharina II. das Kosakenkostüm trug, war unschwer die Zarin zu erkennen, die Stelle des weißen Königs nahm ein russischer General ein, die Türme erschienen gleichfalls als Festungen, aber mit dem griechischen Kreuz auf den Zinnen, die Läufer als Fahnenjunker, die Pferde als Kosaken, die Bauern als russische Grenadiere mit hohen Blechmützen.
Nachdem die Christen gleichfalls an der Kaiserin vorübergezogen waren, stellten sie sich den Türken gegenüber zum Kampfe, und Orloff lud Katharina II. zum Spiele ein, welche lächelnd mit einem beifälligen Kopfnicken darauf einging und den Grafen Panin zu ihrem Gegner wählte.
Graf Panin war Hofmann genug, um seine Partie mit Anstand zu verlieren; es hatte allen Anschein, daß er mit allem Aufwand seiner Kunst kämpfte und nur dem überlegenen Scharfsinn der Zarin unterlag.
Als endlich Katharina II. Schach und Matt rief, die Zarin des Schachspiels vortrat und der Sultan, sich ihr auf Gnade und Ungnade ergebend, in die Kniee sank, war der Jubel allgemein, und die Freundin Katharinas, die geistvolle Fürstin Daschkoff, beglückwünschte Orloff zu dem gelungenen Einfall.
Die Schachfiguren zogen noch einmal mit klingendem Spiel durch den Saal und räumten dann das Feld.
Orloff klatschte wieder in die Hände.
Auch diesmal erklang auf das Zeichen Musik, aber jetzt waren es Triangel, griechische Flöten und Hörner. Ein wilder, lustiger Chor tanzender und jubelnder Bacchantinnen sprang in den Saal, und der Eindruck der jugendlichen Gestalten mit Sandalen in leichten Gewändern, Pantherfelle um die Schultern, Weinlaub um die Schläfe und im fliegenden schwarzen Haare, im Gegensatz zu den geschminkten, mit Schönpflästerchen besäeten gepuderten Damen in ihren Reifröcken und weit ausgebauschten Roben auf hohen roten Stöckeln, steif in der dritten Position stehend, war unbeschreiblich.
Den schönen ausgelassenen Mädchen folgten Bacchus auf einem von vier Panthern gezogenen Wagen und Silen auf seinem Esel. Hinter ihnen ein Rudel Faune mit Bocksfüßen. Sie machten alle Halt vor dem Throne der Zarin, Bacchus begrüßte sie als die Schöpferin eines neuen goldenen Zeitalters, und die Bacchantinnen und Faune schrieen: Evoë! und legten Getreidegarben, Trauben und Früchte zu ihren Füßen nieder.
Auf Bacchus folgte Apollo, umgeben von den Musen, den Künsten und Wissenschaften; auch diese feierten die Kaiserin, ihre »geniale Freundin«, die Philosophin auf dem Throne; Apollo nahm feinen Lorbeerkranz vom Haupte und reichte ihn Katharina II., sein Gefolge beugte huldigend das Knie vor ihr, und Urania bot ihr die Erdkugel zum Schemel ihrer Füße dar.
Die Kaiserin dankte gnädig nach allen Seiten hin, aber ganz besonders freundlich blieb ihr Auge heute auf Orloff haften. Dieser hatte aber noch lange nicht die letzte Karte ausgespielt.
Der Mythologie folgte die Gegenwart auf dem Fuße.
In langem Zuge kamen alle Völker der Erde, »der Semiramis des Nordens« ihre Huldigungen darzubringen. Franzosen, Deutsche, Spanier, Italiener, Briten, Holländer, Russen, Polen, Türken, die Samojeden auf ihren mit Hunden bespannten Schlitten, Neger mit Papageienfedern bekleidet, in allen Farben bemalte Indianer, chinesische Taschenspieler, welche ihre Künste zeigten, indische Fakirs, welche zur allgemeinen Belustigung gleich Störchen auf einem Beine standen und beim Flötenspiel ihre gezähmten Schlangen tanzen ließen.
Selbst der verwöhnte Hof einer Katharina war von all dem Glanz, all der farbenbunten Mannigfaltigkeit geblendet und die Zarin lächelte.
Beinahe zu gleicher Zeit zerriß ein scharfer Ostwind die Wolkenschleier draußen und trieb sie in weiße Masten zusammengeballt gegen Westen. Es tropfte nur noch, und zahlreiche Sterne funkelten an dem reinen nächtlichen Himmel.
Die Zarin macht Toilette. Die mächtigste Frau der Erde, in deren kleinen, wunderschönen Händen das Schicksal vieler Völker liegt, sitzt, von ihren Hofdamen umgeben, vor ihrem Toilettentisch und läßt ihre Locken durch die feinen, durchsichtigen Finger gleiten. Der Toilettentisch der großen kleinen Frau, von weißem Mull und Spitzen umbauscht, gleicht einer Wolke, welche Venus benutzt, um ihr ambrosisches Haar zu ordnen. Auch der Zarin hält Amor, wie jener, den goldenen Spiegel, aber ein Liebesgott aus Gips.
Die Kaiserin kann trotz dem spitzenbesetzten Pudermantel, welcher sie mit seinem pappsteifen Faltenwurf nicht eben malerisch einhüllt, noch immer mit der Liebesgöttin rivalisieren. Ihre Formen sind zugleich stolz und schön, und ihr herrlicher Kopf zeigt deutlich genug die Gebieterin der Menschen, das schöne, geistvolle, Willensstärke Weib, das auch ohne Hermelin herrschen, das auch außer Rußland Sklaven zu ihren Füßen sehen würde. Jeder, der sie sieht, ist überzeugt, daß sie die schönste Frau ihres Reiches, vielleicht des Weltteils ist, alle Huldigungen, welche ihr dargebracht werden, sind ernst gemeint, nur sie selbst zweifelt daran, sie entdeckt täglich neue Fehler an sich, sie findet, daß sie alt wird, und sucht es durch die feinsten Künste der Toilette zu verbergen.
Wenn die Zarin in den Spiegel blickt und lächelt, dann lächeln die Hofdamen und Kammerfrauen, die Zofen und Adjutanten, ja, der kleine Bologneser zu den Füßen der Kaiserin, und das Lächeln pflanzt sich bis zu den großen, ernsthaften Grenadieren mit den großen schwarzen Schnauzbärten fort, welche an dem Palastthor Wache stehen.
Blickt dagegen die Zarin in den Spiegel und zieht die feinen hochgeschwungenen Brauen zusammen, oder legt gar die hohe, geniale Stirn in Falten, dann zittern die Hofdamen, und der Bologneser heult unter den Fußtritten der Herrin, und die sechs Fuß hohen Grenadiere scheinen noch um eine Elle länger und um einen Schnauzbart ernsthafter geworden zu sein.
»Ich weiß nicht, was es mit den Locken ist,« sagte die Zarin, »sie halten nicht, und ohne Locken kann ich mich gar nicht sehen lassen, sie müssen diese kleinen fatalen Runzeln hier verdecken,« und dabei legte sie die Stirn in böse Falten.
»Aber, Majestät,« wagte Fräulein von Ramiroff zu entgegnen, »diese Runzeln existieren nur in Ihrer Phantasie.«
»In meiner Phantasie!« rief Katharina II. aufflammend. »Blicken Sie her, was ist das?«
»Das sind Falten, Majestät!« stotterte die zu Tode erschrockene Hofdame.
»Also?«
»Aber – diese Falten – sind ein Produkt –,« begann das Fräulein, wieder Mut fassend.
»Ein Produkt? Die Runzeln auf meiner Stirne ein Produkt?« entgegnete die Kaiserin fiebernd, »was wollen Sie damit sagen?«
»Ich wage Eure Majestät aufmerksam zu machen,« erwiderte das Fräulein, »daß diese Runzeln in der Regel nicht vorhanden, daß sie im Augenblicke ein Produkt Ihrer –« Die Arme fand das Wort nicht und zitterte am ganzen Leibe.
»Nur heraus damit!« gebot Katharina II., »ich befehle es Ihnen!«
»In diesem Augenblicke sind die Runzeln ein Produkt Ihrer –«
»Meiner –«
»Ihrer Laune, Majestät!«
In diesem Augenblick klatschte eine kaiserliche Ohrfeige auf die Wange des Fräulein Ramiroff.
»Mein Gott,« rief die Zarin zugleich erschrocken und mitleidig ihre Hand betrachtend, »Sie bluten!«
Die Hand Katharinas war in der That rot aber nicht vom Blute der Ramiroff.
»Ah! es ist nur Schminke,« sprach die Kaiserin und begann zu lachen; die Hofdamen und Kammerfräuleins lachten, und Fräulein Ramiroff stimmte selbst laut in das allgemeine Gelächter ein.
Die beiden Grenadiere unten schritten gerade finster, das schwere Gewehr im Arm, an einander vorbei, als das helle Lachen jugendlicher Frauenstimmen zu ihnen heruntertönte, und als sie einander den Rücken kehrten, begannen sie gleichfalls zu lachen und lachten, daß sich ihre Zöpfe schüttelten.
Nach dem Diner lag Katharina auf einem türkischen Divan von grünem Damast, und die kleine, reizende Fürstin Daschkoff las die ersten Gesänge aus Voltaires Pucelle. Aber für die Zarin ritt Sankt Denis vergebens auf seinem Regenbogen herein, machte der derbe La Hire fruchtlos seine groben Witze, sie blieb unbeweglich, und ein einziges Mal nur kräuselten sich ihre Lippen zu einem Lächeln.
»Sogar Voltaire vermag Sie nicht aufzuheitern,« sprach die Daschkoff, das Buch zuklappend, nachdem sie ihren Finger als Merkzeichen eingelegt. »Seit zwei Jahren beinahe haben Sie sich auf sein neues Werk gefreut, und nun es da ist, der große Dichter Ihnen das erste Exemplar, das aus der Presse kommt, sendet, nun fehlt es beinahe, daß Sie bei den köstlichen Scenen, den Witzen, die einander jagen, den reizenden Versen – gähnen!«
»Nein, nein, Katinka,« erwiderte die Monarchin, »ich bin im Gegenteil entzückt; aber die zärtlichen, flammenden Worte, die König Karl an seine Geliebte Sorel richtet, wollen mir nicht aus dem Sinn, sie haben mich verstimmt, erbittert. Wie lautet die Stelle gleich? Warte nur. »Meine teure Agnes, Idol meiner Seele, die ganze Welt wiegt Deine Reize nicht auf. Siegen und herrschen ist eine Thorheit, mein Parlament legt mich heute in den Bann, dem stolzen Engländer ist Frankreich unterworfen, ah! er sei König und beneide mich, ich besitze Dein Herz, ich bin mehr König als er!« – So, Katinka, spricht die wahre Liebe, die süße Leidenschaft, aber so spricht sie nur zu dem Weibe, das jung und schön ist, und ich, meine Kleine, werde täglich älter und häßlicher.«
»Katharina, was fällt Dir ein?«
»Ja, nenne mich wieder Du,« sprach die Zarin, den Arm um den Hals der Freundin schlingend, »wie damals, wo wir zusammen gegen den Kaiser konspirierten, wo ich noch geliebt, ja angebetet wurde, wo mein bloßes Erscheinen, mein Anblick genügte, um selbst rohe Menschen, gemeine Soldaten hinzureißen, ihr Leben für mich auf das Spiel zu setzen, obwohl ich ihnen nichts zu geben hatte, als höchstens einen dankbaren Blick. O! herrliche Jugendzeit, Du bist dahin!«
»Was hast Du nur?« entgegnete die Daschkoff.
»Ich werde alt.«
»Wer sagt Dir das?«
»Mein Spiegel.«
»Dein Spiegel lügt!« rief die Fürstin lebhaft, »Du bist jung, wie Du es damals warst in jenen schönen, stürmischen Tagen.«
»Aber zähle doch die Jahre!« wendete die Zarin ein.
»Du bist jung, weil Du schön bist!« erwiderte die Daschkoff, »weil Du jeden Mann vor Dir knieen sehen kannst, Du magst im kaiserlichen Schmuck oder im Scharafan der Bäuerin erscheinen.«
»Glaubst Du?«
»Frage Orloff.«
Die Kaiserin zuckte mit unnachahmlicher Verachtung die Achseln. »Orloff, was ist er am Ende? Mein Unterthan. Muß er mir nicht schmeicheln? Wenn ich gnädig bin, so bedeutet das für ihn Ehrenstellen, Orden, Reichtum; wenn ich die Stirn runzle, Ketten, Sibirien, ja, vielleicht das Schaffot. Was ist mir die Huldigung eines Unterthans? Wer sagt mir, ob ich noch schön bin?«
Die Zarin stützte sich auf ihren schönen weißen Arm und sann nach.
Abends saß Katharina mit Orloff in der offenen Gallerie. Vor ihnen lag der schlummernde Park, zahllose Sterne blitzten an dem tiefblauen Himmel. Ein kühler Wind spielte mit den kleinen weißen Löckchen der Zarin und blies den Puder aus ihrem schneeweißen Haare über Orloffs dunkle Uniform. Die Zarin saß in einem Negligee von grünem Atlas mit schwarzem Pelzwerk besetzt auf einem kleinen Sofa und Orloff auf einem Taburett zu ihren Füßen, und sie unterhielt sich damit, seinen großen, schönen Zopf aufzulösen und von neuem zu flechten.
»Nun, wie gefällt Ihnen meine Toilette?«
»Sie wissen, Majestät,« erwiderte der Graf, »daß ich stets nur Sie sehe und nie Ihre Toilette.«
»Diesmal haben Sie unrecht, ihr so wenig Aufmerksamkeit zu schenken,« sprach Katharina II., »denn sie ist ein Resultat der Wissenschaft, und wenn ich heute gut aussehe, danke ich es nur diesem köstlichen Farbenkonzert.«
»Vergeben Sie, Majestät,« gab Orloff naiv zur Antwort, »aber davon verstehe ich nichts.«
»Also geben Sie acht,« sagte Katharina, »das kräftige Grün dieses Atlasses hat die Aufgabe, ein sanftes Rot auf meine Wangen zu zaubern, das weiche schwarze Pelzwerk erhöht die Weiße meiner Büste, der Puder in dem Haare, welcher in demselben ein künstliches und anmutiges Greisenalter hervorruft, läßt dafür mein Gesicht jugendlicher erscheinen, als es wirklich ist, und die Locken verbergen die Falten auf der Stirn.«
»Falten!« rief Orloff, »Sie haben ja gar keine Falten!«
»Doch!«
»Nein!«
»Ich aber sage Ja!«
»Und ich sage Nein!«
»Sie finden mich also wirklich noch schön?« fragte die Kaiserin.
»Schöner als je!«
»Weshalb sind Sie denn seit einiger Zeit so kalt?« warf Katharina II. lauernd ein.
»Kalt? Ich? Bete ich Sie nicht an?«
»Es giebt Beter, welche vor dem Götterbilde knieen, Gebete murmeln und etwas ganz Anderes dabei denken.«
»Ich schwöre, Majestät!« rief Orloff.
»Schwören Sie nicht,« schnitt ihm die Zarin das Wort ab, »ich glaube Ihnen doch nicht! Ja, wenn Sie mir ernste Proben Ihrer Huldigung geben wollten, wie jener französische Ritter, der für seine Dame in den Löwenzwinger hinabstieg, dann – werde ich wieder glauben, daß ich schön bin.«
»Befehlen Sie mir jede Probe!« rief Orloff, »ich bin bereit, mein Blut für Sie zu verspritzen!«
»Ich nehme Sie beim Wort!« sprach Katharina lebhaft.
»Nun, was soll ich thun?« fragte Orloff.
Sein Auge blitzte vor Erregung und Mut.
»Soll ich dem Sultan inmitten seiner Treuen den Bart ausreißen, oder die Bären des Fürsten Radziwill Der polnische Wojewode Radziwill, der bekannte Sonderling, errichtete eine Bärenuniversität, in welcher er seine Lieblingstiere so trefflich abrichten ließ, daß sie sogar an seiner Tafel die Stelle der Lakaien vertraten. zwingen, Spaniol zu schnupfen?«
Die Zarin lachte.
»Ich danke Ihnen, Orloff!« sprach sie, ihm die Hand zum Kusse reichend, »ich bin mit Ihnen zufrieden. Ich sehe, es ist Ihnen Ernst, und will glauben, daß Sie für mich in den Vesuv hinabsteigen.«
»In die Hölle, Majestät!« beteuerte der Graf.
»Wer sagt mir aber, ob dies der Kaiserin gilt, oder der Frau?« rief Katharina II.
»Welch' häßlicher Zweifel!« murmelte Orloff.
»Ich zweifle ja nicht an Ihnen«, sprach die Monarchin mit jener Herzensgüte, welche die Zeitgenossen an ihr so unwiderstehlich fanden, »ich zweifle an mir. Ich werde alt, Orloff, wenden Sie nichts ein, ich werde häßlich. Als ich noch ein Kind war und zu Hause in Deutschland, da erzählte mir meine Aja ein Märchen von einer Königin, die einen Spiegel hatte, einen Zauberspiegel, und wenn sie sagte:
»Spiegel an der Wand,
Wer ist die Schönste im ganzen Land?«
so gab der Spiegel Antwort. – Ich gäbe gern mein halbes Reich für diesen Spiegel.«
Zu unrechter Zeit erhielt die Zarin ein Geschenk aus Italien, eine antike Vase, welche ihre Aufregung noch steigerte. Sie selbst wußte zu wenig von der griechischen Welt, als daß sie im stande gewesen wäre, sich die seltsamen Gebilde, welche das herrliche Gefäß zierten, zu deuten.
Ein Mitglied der Petersburger Akademie, der Philologe Bateux, wurde nach Zarskoje Selo berufen, um vor der Monarchin den Erklärer zu machen. Ein Blick auf die vier Figuren der Vase genügte, um den Gelehrten über den Gegenstand der Darstellung zu unterrichten.
»Es ist das Urteil des Paris,« sprach er gelassen.
»Wenn ich nicht irre,« fiel ihm Katharina II. lebhaft in das Wort, »hatte dieser Paris zu entscheiden, welche Frau die schönste sei.«
»Erlauben Sie mir, Majestät, das Bild zu erklären und zugleich die Geschichte mit wenigen Worten zu erzählen,« erwiderte der Philologe.
»Also!«
»Dieser Mann hier in der phrygischen Mütze ist Paris, der Sohn des Königs von Troja; er weidet, wie es damals Prinzen thaten, während Königstöchter die Wäsche wuschen, die Schafe auf dem Berge Ida. Da erscheinen drei Frauen vor ihm, alle stolz und schön, und verlangen, er soll einer von ihnen den Preis der Schönheit zuerkennen, um den sie in Streit geraten sind. Diese drei Frauen sind Göttinnen des Olymps; diese mit der Krone hier ist Juno, die stolze Gemahlin Jupiters, des obersten der Götter; die mit dem Helm Minerva, die Göttin der Weisheit; die dritte, von Tauben begleitet, Venus, die Göttin der Liebe. Paris soll der schönsten den Apfel reichen, den er eben in der Hand hält.«
»Und wie entschied er?«
»Wie würden Majestät entscheiden?«
»Für Venus!«
»So entschied auch Paris, und die Liebesgöttin belohnte ihn dafür mit dem schönsten Weibe der Erde, der Helena, Gemahlin des Königs Menelaus von Sparta. Paris entführte sie mit Hülfe der Venus und gab so den Anlaß zu dem trojanischen Kriege und dem Untergange Trojas.«
Die Zarin nickte befriedigt und entließ den Gelehrten mit ein paar gnädigen Phrasen, aber in ihrem Herzen saß der Pfeil. Fortan beschäftigte sich ihre Phantasie nur mit dem Urteile des Paris, dem schönen Königssohne, welcher die Schafe auf dem Berge Ida weidete, den drei Göttinnen, die ihn zum Schiedsrichter gewählt hatten, der schönen Frau, um deren willen Troja in Brand gesteckt wurde. Die Vase mit dem Urteile des Paris stand in dem Schlafgemache der Monarchin auf einem Trumeautische, und sie versank in ihre Betrachtung am Morgen, wenn sie ihr üppiges Lager verließ, und nachts, ehe sie zur Ruhe ging, und die Scene auf dem Ida mischte sich noch in ihre Träume.
Es wurde endlich zur fixen Idee bei der Zarin, das Urteil des Paris zu wiederholen. Und wenn sie es recht erwog, wer hinderte sie daran? War sie nicht auch eine Göttin auf Erden, war sie nicht die unumschränkte Herrin eines großen Reiches, eines Volkes von Leibeigenen? War nicht, was sie wünschte, was sie wollte, so gut wie geschehen? Aber wo den Königssohn finden, und wenn es auch kein Königssohn sein mußte, wo den Mann finden, der sie nicht kannte, der nicht ihr Bild, den stolzen Kopf, die olympische Büste, vom Kaisermantel umwallt, mindestens auf einer Münze gesehen hatte, den Mann, welcher ohne Furcht und ohne Schmeichelei sein Urteil frei und unbefangen abgeben konnte, denn nur ein solches hatte Wert für sie.
Andererseits hatte sich Katharina II. so sehr in die Idee hineingelebt, daß sie dieselbe, wenn nicht im Ernste, so doch wenigstens im Spiele verwirklichen wollte.
Die Kaiserin hatte bereits wiederholt an ihrem Hofe dramatische Vorstellungen arrangiert. Sowohl im Winterpalaste in Petersburg, als in dem Lustschlosse von Zarskoje Selo war ein weitläufiger Saal zu einem reizenden kleinen Theater nach französischem Muster eingerichtet. Ebenso wie Friedrich der Große Verse machte und in Konzerten die Flöte blies, schrieb Katharina II., als echte Tochter ihrer Zeit, als Herrscherin des philosophischen Jahrhunderts, für dieses Theaterstücke und spielte, gleich Nero, selbst in der Komödie mit. Die Stücke, welche die Zarin zur Verfasserin hatten, waren meist kleine Allegorien. Aber einzelne derselben trugen den Charakter beißender Satyren. Es fehlte Katharina weder an dem nötigen Geist und Witz, noch an der nötigen Bosheit, um ihr Zeitalter, das ihr so viele Blößen darbot, zu geißeln.
Katharina, der Komödiantin, kam die stolze Schönheit ihrer äußeren Erscheinung, ihr ausdrucksvolles Gesicht, ihr lebhaftes Auge, ihr volltönendes Organ und die ihr in so großem Maße eigene angeborene Verstellungskunst zu statten.
Man könnte sagen, sie war eine geborene Schauspielerin, wenn sie nicht noch weit mehr eine geborene Herrscherin gewesen wäre.
Katharina II. kam also, als sie eines abends wieder die unglückliche Vase, welche ihrem eiteln Herzen schon so viel unnötige Schmerzen bereitet hatte, betrachtete, auf den Einfall, das Urteil des Paris in einem kleinen Stücke auf ihrem Theater in Zarskoje Selo zur Darstellung zu bringen und dieses Stück sofort selbst zu schreiben.
Sie teilte der Fürstin Daschkoff und Orloff den Plan mit. Es versteht sich, daß diese beiden Günstlinge der Kaiserin demselben den wärmsten Beifall spendeten, denn es war eine neue Aussicht geboten, die Kaiserin in jenen Stunden, welche ihr die Staatsgeschäfte, die Korrespondenz mit den größten Geistern ihrer Zeit, einem Friedrich dem Größen, Voltaire, Diderot, und die Toilette frei ließen, auf gute Art zu beschäftigen und zu zerstreuen.
Und mit jener beispiellosen Energie, mit der sich diese geniale Frau den Thron erobert hatte, mit der sie die Zügel der Regierung unbekümmert um äußere und innere Feinde führte, begann sie noch in derselben Stunde die Arbeit, sie schloß sich in ihr Kabinett und schrieb und schrieb, bis der letzte Vers auf dem Papier stand und das rote Frühlicht sich mit dem gelben Schein ihrer Kerzen mischte.
Dann warf sie einen Pelz um die bloßen Schultern und trat auf den Balkon hinaus, um ihr glühendes, übernächtiges Antlitz an der frischen, feuchten Luft zu kühlen.
Alles schlief ringsum, der Palast, der Park, das Dörfchen, die weiten Felder, nur die beiden Grenadiere wachten, welche vor dem Portale Wache standen, und diese unterhielten sich leise, um nicht einzuschlafen.
»Es wird etwas setzen,« sagte der eine, ein alter Bursche mit weißem Schnurrbart.
»Was soll es setzen?« erwiderte der andere, ein rotwangiger Rekrut.
»Einen Krieg, denk' ich.«
»Wieso? Weshalb einen Krieg?«
»Es brannte die ganze Nacht Licht im Kabinett der Zarin.«
»Und was bedeutet das?«
»Das bedeutet, daß die Kaiserin wacht und arbeitet, während alles schläft, und somit, daß ein wichtiges Ereignis bevorsteht.«
»Pst!« machte der Rekrut, »man belauscht uns.«
»Wer?«
»Eine Dame.«
»Es ist die Kaiserin,« sprach der Veteran, nachdem er einen Blick auf den Balkon geworfen.
»Es fröstelt sie, wie es scheint.«
»Das ist immer so nach einer schlaflosen Nacht,« belehrte der alte den jungen Soldaten; »sie sieht auch ganz verteufelt schlecht aus.«
Die beiden ehrlichen Kerle unten ahnten nicht, daß ihre Kaiserin es französischen Jamben dankte, daß sie an dem gelinden Sommermorgen trotz ihrem großen Pelze fror, und daß das wichtige Ereignis eine Komödie war.
Die Kaiserin las ihr Stück zuerst im Kreise ihrer Vertrauten, der Fürstin Daschkoff, Gräfin Saltikoff, Frau von Mellin, den Grafen Orloff und Panin vor, welche sich von Stoff und Form gleich sehr entzückt zeigten. Nachdem die Lobeserhebungen, welche der kaiserlichen Autorin galten und dieselbe gleich Weihrauchwolken umwirbelten, erschöpft waren, kam die Aufführung der kleinen mythologischen Komödie zur Sprache.
»Wie beabsichtigen Majestät die Rollen zu verteilen?« fragte Frau von Mellin, die kühne Amazone, welche das Regiment Tobolsk kommandierte.
»Ich will diesmal von der bei unseren theatralischen Vorstellungen üblichen Art und Weise abgehen,« gab die Zarin zur Antwort, »und will eine förmliche Abstimmung stattfinden lassen, an welcher nicht allein unser Hof, sondern auch der gesamte Adel, die Offiziere, die Mitglieder unserer Akademie der Wissenschaften und die Künstler teilnehmen sollen.«
»Also eine Art Plebiscit,« bemerkte die ebenso gelehrte als reizende Fürstin Daschkoff, die Präsidentin der von Katharina II. gegründeten Petersburger Akademie der Wissenschaften.
»Ganz richtig,« erwiderte die Zarin, »ich habe es mir in den Kopf gesetzt, diesmal dem Schauspiel eine tiefere Bedeutung zu geben. Die schönste Frau unseres Reiches soll die Rolle der Venus, die geistreichste jene der Minerva und die imponierendste jene der Juno spielen.«
»Dann müßten Eure Majestät alle drei olympische Damen zu gleicher Zeit darstellen,« beeilte sich der alternde Geck Graf Panin zu bemerken.
»Diese alberne Schmeichelei habe ich von Ihnen erwartet,« sagte die Kaiserin; »aber zur Sache. Um jedem Mißverständnis vorzubeugen, so soll zuerst darüber abgestimmt werden, wer die schönste Frau Rußlands ist, und zwar ohne Rücksicht auf die sonstigen Eigenschaften derselben. Die Dame, welche auf diese Frage aus der Urne hervorgeht, ist die Liebesgöttin. Die zweite Frage wird dahin gehen: welche unter den übrigen schönen Frauen Rußlands die geistreichste ist. Dies ist offenbar Minerva. Die dritte Frage wird aber lauten: welche unter den übrigen schönen Russinnen ist die imponierendste, die königlichste Erscheinung? Sie soll die Juno unseres Spieles sein.«
»Eine reizende Idee!« rief die Daschkoff.
»Charmant! köstlich!« jubelten die andern.
An dem nächsten Tage schon ergingen die Einladungen zu der originellen Versammlung in Zarskoje Selo, und an dem festgesetzten Abende füllten sich die weiten Säle des Lustschlosses mit Hofleuten, den Herren und Damen des Petersburger Adels, Offizieren der Garde und der anderen in Petersburg und Zarskoje Selo garnisonierenden Regimenter, den Gelehrten der Akademie, Malern, Musikern, Poeten und anderen Artisten. Alle waren in der gespanntesten Erwartung.
Die Kaiserin erschien endlich am Arme des Grafen Panin in einem Kleide von Rosaseide mit Goldstickerei, frische Rosen im schneeweiß gepuderten Haare.
»Wie schön sie ist, wie bezaubernd, wie wahrhaft kaiserlich!« lief es durch die Versammlung, welche die schöne Frau mit aufrichtiger Bewunderung betrachtete; aber Katharina II. selbst war unzufrieden, und ihr Blick schweifte müde und gedankenlos über die Menge hin.
Nachdem die Kaiserin Cour gehalten und mit jenen Mitgliedern des alten Adels, welche selten am Hofe erschienen, einige freundliche Worte gewechselt hatte, brachten auf ihren Wink zwei Pagen die Vase mit dem Urteil des Paris und stellten sie in der Mitte des Saales auf einer Marmorkonsole auf. Die Zarin forderte hierauf den gelehrten Philologen Badeux auf, der Versammlung das Bild zu erklären, und er unterwarf sich dieser Aufgabe mit eben so viel Geschick als Geschmack. Alles drängte sich hierauf zu dem Kunstwerke, um die Scene selbst zu bewundern. Die Meisten hatten bisher weder von Paris, noch von seinem Urteilsspruche auf dem Berge Ida etwas gehört und sahen auch zum ersten Male ein antikes Bildwerk.
Als die Neugierde und Schaulust der großen Kinder und französisch plaudernden Wilden, denn dies waren die Russen zur Zeit der großen Katharina, befriedigt waren, teilte Graf Orloff der Versammlung mit, daß ein Poet, welcher ungenannt bleiben wolle, die auf der Vase vorgestellte Geschichte in einem Stücke behandelt habe, welches auf dem kaiserlichen Theater in Zarskoje Selo zur Aufführung kommen werde. Orloff hatte aber bei Zeiten dafür gesorgt, daß die kaiserliche Verfasserin der kleinen Komödie jedermann bekannt war, und so fand sich Katharina II. in der That nicht wenig geschmeichelt, als sich nach der Vorlesung des Stückchens durch die Fürstin Daschkoff, welche dies vortrefflich verstand, ein wahrer Beifallssturm erhob.
»Das Sujet ist charmant, charmant!« meckerte der alte Woronzow.
»Und die Verse!« schrie Graf Saltikoff. »Diese Jamben könnten den Neid eines Voltaire erregen!«
»Die Worte, welche der Liebesgöttin in den Mund gelegt werden, sind geradezu unwiderstehlich,« lispelte Fürstin Lubina Mentschikoff.
»Die Besetzung der Rollen in diesem Stücke,« nahm Orloff von neuem das Wort, »wird nicht, wie es bisher üblich war, durch Ihre Majestät die Kaiserin, sondern durch die hier versammelten Damen und Herren erfolgen, und zwar so, daß die Wahl in keiner Weise und also am wenigsten auf die hier anwesenden Personen beschränkt ist. Die Abstimmung soll überdies eine geheime bleiben und daher durch Stimmzettel erfolgen«
Pagen verteilten hierauf Papierstreifen und Bleistifte an die Anwesenden.
»Die erste Frage, welche ich an die Versammlung richte,« fuhr Orloff fort, »lautet: »Wer ist die schönste Frau in Rußland?« Die Dame, deren Namen aus der Urne hervorgeht, soll die Venus darstellen.«
Eine längere Pause entstand; ein jeder suchte so rasch als möglich seinen Papierstreifen zu beschreiben und in die Vase mit dem Urteil des Paris zu werfen; aber um diese entstand ein nicht geringes Gedränge, und da über tausend Personen versammelt waren, währte es geraume Zeit, ehe alle ihre Stimmen abgegeben hatten.
Die Kaiserin ließ es sich nicht nehmen, mit dem Fürstin Woronzow und der Gräfin Saltikoff selbst das Skrutinium vorzunehmen, so sehr war sie besorgt, von ihren Hofleuten getäuscht zu werden; aber der erste wie der letzte Zettel enthielt den Namen »Katharina II.,« und als dies Resultat verkündet wurde, begrüßte es die erlesene Versammlung selbstverständlich mit Jubel.
Die Kaiserin dankte lächelnd.
Unterdes war über die drei weiteren Fragen abgestimmt worden:
»Wer ist unter den anderen schönen Frauen Rußlands die geistreichste?«
»Wer soll den Prinzen Paris spielen?«
Als die geistreichste Frau ging beinahe einstimmig die Fürstin Katinka Daschkoff, als die imposanteste die Amazone Gräfin Saltikoff, welche ihren Mut später auf dem Schlachtfelde gegen die Türken bewährte, und als Paris Lagetschnikoff, Mitglied der Akademie und einer der schönsten Männer seiner Zeit, hervor. Der Abstimmung entsprechend wurden die Rollen in der kaiserlichen Komödie »das Urteil des Paris« besetzt: Venus – die Zarin Katharina II., Juno – die Gräfin Iwan Saltikoff, Minerva – Fürstin Katinka Daschkoff, Paris – Lagetschnikoff.
Ein heiteres, glänzendes Gartenfest schloß die originelle Versammlung.
Die Inscenesetzung des »Urteils des Paris« bot eine Reihe der heitersten Scenen.
Die Kaiserin sowohl als die beiden anderen Damen, welche in dem kleinen Stücke spielten, hatten doch eine Ahnung davon, daß die olympischen Göttinnen nicht in Schlafröcken à la Wateaux auf ihren Wolkendivans zu ruhen, und nicht mit Stöckelschuhen, Toupets und spanischen Rohren auf die Erde herab zu steigen pflegten.
Die Zarin berief also das gelehrte Mitglied der Petersburger Akademie, den Philologen Bateux, an ihr Hoflager, um ihr bei der Inscenesetzung mit Rat und That an die Hand zu gehen.
Sofort nach der Ankunft des hochweisen Mannes wurde eine Konferenz gehalten, an der außer Monsieur Bateux die Zarin, die Fürstin Daschkoff, die Gräfin Saltikoff und Lagetschnikoff teilnahmen.
»Ich hoffe, mein lieber gelehrter Bateux,« begann die Kaiserin, nachdem man Platz genommen hatte, »Sie kombinieren uns mit Hülfe Ihrer tiefen Studien ein recht brillantes Kostüm, besonders ich als Göttin der Schönheit und Liebe muß schon in meiner Toilette vor den beiden andern Damen ausgezeichnet werden. Wie ist also Ihre Ansicht darüber, wie pflegte Venus zu erscheinen, wenn sie so zu sagen in pleine parure war?«
»Ich bedaure, Majestät,« erwiderte der alte, schlaue Philologe boshaft lächelnd, »Ihnen keine bessere Auskunft geben zu können, aber gerade die Toilette der Liebesgöttin war sehr einfach.«
»Sehr einfach?« entgegnete die Kaiserin, »ach! was Sie da sagen! Wie also?«
»Es war die einfachste Toilette, welche überhaupt denkbar ist,« fuhr Bateux fort, »wie sich Eure Majestät selbst sofort auf dieser antiken Vase überzeugen können, sie bestand nämlich – aber ich wage es kaum auszusprechen?«
»Aber wir haben ja keine Zeit zu verlieren!« rief Katharina II. lebhaft. »Aus was bestand also diese einfache Toilette?«
»Sie bestand nur aus einem Gürtel,« erwiderte der Philologe.
Anfangs blieben die Damen sprachlos.
Dann brachen alle zugleich in ein schallendes Gelächter aus.
»Wo denken Sie hin,« sagte endlich die Zarin »das ist ja unmöglich!«
»Aber es ist das einzig richtige Kostüm,« sagte der Gelehrte.
»Nun, so müssen Sie mir selbst etwas kombinieren,« entschied Katharina, »und auch den beiden anderen Damen.«
Bateux schlug hierauf das griechische Kostüm vor und meinte, die einzelnen Göttinnen ließen sich genügend durch ihre Embleme, Venus durch ein Taubenpaar, Juno durch die Krone und den Pfau, Minerva durch Panzer, Helm und Lanze und die Eule charakterisieren.
Die Kaiserin ließ sich Zeichnungen vorlegen, rief aber nach dem ersten Blick: »Wie? Wir sollen ohne Puder im Haare erscheinen? Bateux, Unmensch, Sie wollen uns also gleich um zwanzig Jahre altern lassen! Das ist unausführbar!«
»Vergeben, Majestät,« erwiderte Bateux, »aber wir finden weder im Homer, noch Ovid oder Virgil, daß die griechischen Göttinnen oder die römischen gepudert waren.«
»Ah, Ihr Ovid und Homer sind ja reine Barbaren!« seufzte die Saltikoff.
»Und ohne Reifrock schrumpfen wir ja zu Kindern, zu Pygmäen zusammen« wendete die Daschkoff ein. »Historische Treue ist eine sehr schöne Sache, aber man wird uns auslachen.«
»Ja, man wird uns auslachen,« sekundierte die Saltikoff.
»Nein! nein! nein,« riefen die drei schönen Rokokodamen, »Reifrock und Puder können wir nicht ablegen. Unmöglich!«
»Wie es Ihnen beliebt,« erwiderte Bateux lächelnd. »Wenn die allmächtige Beherrscherin aller Reußen es befiehlt, so muß die Liebesgöttin ihre klassischen Formen in einem Reifrock bergen, und wenn ihr dies zu wenig ist, mag sie ihre ambrosischen Locken pudern.«
Schließlich einigte man sich dahin, die drei Göttinnen im Reifrock und weißen Schleppkleide erscheinen zu lassen, und ihnen nur als Oberkleid eine römische Tunika zu geben. Ebenso war es ausgemacht, daß Juno ihre Krone und Minerva ihren Helm auf ein wohlgepudertes Toupet setzen sollten.
Die Wissenschaft streckte ihre Waffen vor der Mode.
Aehnliche komische Anstände gab es mit dem Dekorateur, welcher im Hintergründe des idäischen Haines die Stadt Rom mit der Engelsburg erscheinen lassen wollte.
Endlich war das große Problem gelöst; Maler, Tapezierer, Schneider und Vergolder begannen zu arbeiten, und die Proben nahmen ihren Gang. Bateux fungierte bei denselben als Souffleur, die Zarin selbst als Regisseur; und es ist glaubwürdig, daß, wenn ein Regisseur, Sibirien und die Knute zur Verfügung hat, ein Stück sehr rasch und sehr gut einstudiert wird.
So war denn kaum eine Woche seit jener Nacht vergangen, in welcher Katharina II. das Stück verfaßt hatte, und schon konnte der Hof von Zarskoje Selo und die Petersburger feine Gesellschaft zu der Aufführung desselben geladen werden.
Der Zudrang zu der Vorstellung war ganz außerordentlich, seit langer Zeit hatte kein Hoffest eine so erlesene und glänzende Gesellschaft versammelt, wie an dem Abende, wo in Zarskoje Selo »das Urteil des Paris« gegeben wurde.
Der Zuschauerraum war überfüllt; in den Logen hatten die Damen des hohen Adels, die Würdenträger und Generäle mit ihren Frauen, im Parkett die übrigen Adeligen, die Mitglieder der Akademie Platz genommen, das Parterre war beinahe ausschließlich von den Offizieren besetzt.
Das Auditorium wogte und rauschte wie ein See, so daß die Ouvertüre des Orchesters kaum gehört wurde.
Endlich ertönte die Glocke, der Vorhang erhob sich.
Die Scene stellte den idäischen Hain dar. Im Hintergrunde sah man Troja, vorn unter den Cedern und Palmen lagerten die königlich trojanischen Schafe, aus Pappe und Wolle gefertigt; sanfte Musik kündigte Paris an.
Lagetschnikoff erschien im phygrischen Kostüm mit dem Hirtenstabe, aber wohlgepudert und wohlbezopft, hielt eine idyllische Ansprache an die Natur und seine Schafe und nahm dann unter einem Baume Platz, um ein Solo auf seiner Hirtenflöte zu blasen. Sein Konzert schien ihn jedoch nicht weniger zu langweilen, als das Publikum, denn er schlief dabei ein.
Nun fuhr eine Wolkenequipage heran, auf der Frau Juno, Gräfin Saltikoff, in königlicher Haltung thronte; sie trug über dem olympischen Reifrock ein meergrünes Gewand und eine römische Tunika von derselben Farbe, auf dem schönen Haupte erhob sich ein imposantes Toupet, und auf der weißen Haarburg, welche an ewig beschneite Alpenfirnen mahnte, ruhte die Krone der Götterkönigin; in der Rechten hielt sie ein Scepter, zu ihren Füßen stand ein Pfau mit offenem Rade.
Nachdem Juno ihre Verse aufgesagt hatte und von der Wolke herabgestiegen war, segelte die letztere davon und eine neue fuhr vor.
Diesmal war es Minerva im blauen Gewande, goldenen Brustpanzer und Helm, eine Lanze in der Hand und die Eule zur Seite. Die Daschkoff deklamierte indes ihre Jamben so vorzüglich, daß lauter Beifall ihrer Standrede folgte. Auch sie stieg zuletzt aus ihrer himmlischen Karosse, und nun kam der Knalleffekt.
Musik, bengalische Beleuchtung, und auf einem goldenen Fuhrwerke im Stile römischer Kampfwagen von Tauben gezogen, den geflügelten Amor mit Pfeil und Bogen an der Seite, erschien Venus auf dem Kampfplatze und wurde mit stürmischem Applaus begrüßt.
Katharina II. sah übrigens wirklich bezaubernd aus in dem duftigen weißen Gewande, dessen Bauschen von Rosenguirlanden gehalten wurden, und sprach ihre Verse hinreichend.
Neuer Beifall.
Dann stieg auch sie zur Erde herab und entließ ihr Gespann, sich den beiden andern Göttinnen zugesellend. Vereint unterzogen sich nun die drei Schönen der Aufgabe, den schlafenden Schäfer zu wecken, was endlich gelang.
Paris machte, was leicht begreiflich ist, große Augen, als er der drei himmlischen Damen ansichtig wurde, und sein Erstaunen nahm noch zu, als ihm der Zweck ihrer Anwesenheit und seine Aufgabe erklärt wurde. Nun wetteiferten die Göttinnen, dem schafehütenden Königssohne ihre Vorzüge und Reize zu explizieren, er ließ sich aber weder von Juno, noch von Minerva irre machen und reichte zuletzt knieend »der Schönsten der Schönen,« Venus, den Apfel.
Ungeheurer Jubel, Tusch des Orchesters, die kaiserliche Komödie ist zu Ende. –
»Eine Komödie, nichts mehr,« sagte die Zarin am nächsten Morgen bei ihrem Lever zu der Fürstin Daschkoff, »ein eingebildeter Triumph; wer bürgt mir dafür, daß nicht alles, auch die Abstimmung, Schein und Trug war? Ich will mein »Urteil des Pans« im Ernste haben und ich ruhe nicht, bis es mir gelungen ist, die Scene vom Berge Ida in unseren abstrakten Tagen auf russischem Boden zu wiederholen.«
»Ich zweifle nicht, Majestät, daß Sie alles, was Sie wollen, auch auszuführen im stande sind,« erwiderte die Fürstin »aber es dürfte doch einige Schwierigkeiten bieten, einen Mann zu finden, dessen Geschmack maßgebend sein kann, und der zugleich nicht das schöne, gebietende Antlitz seiner Kaiserin kennt.«
»Schmeichlerin!« rief die Zarin, »aber darin bist Du im Irrtum. Weshalb soll nur der Geschmack eines Gebildeten gelten? Müßte nicht ein naives, von keinen Vorurteilen beherrschtes, von keinen akademischen Regeln irregeleitetes Kind der Natur richtiger, unbefangener urteilen können?«
»Aber unsere Naturkinder riechen nach Knoblauch,« wendete die Daschkoff ein.
»Nun so parfümiert man sie.«
»Und sie sind noch nicht besonders – rein.«
»Nun, so läßt man sie waschen,« lachte die Kaiserin. »Ich habe es mir einmal in den Kopf gesetzt, und ich werde meinen Paris finden.«
»Es ist also Ihr voller Ernst?« fragte die Daschkoff.
»Mein voller ernstester Ernst,« widerholte die Zarin spöttisch, mit komischem Pathos, »und wie ernst es mir ist, sollst Du daraus ersehen, daß ich noch heute Kuriere nach allen Weltgegenden aussenden werde mit der Aufgabe, einen Mann zu suchen, welcher jung, hübsch, naiv und wo möglich – gewaschen ist, und bei allen diesen hochwichtigen Eigenschaften seine Zarin nie gesehen hat, nicht einmal auf einem Silberrubel, geschweige denn von Angesicht zu Angesicht, einen Mann, der, wenn ich vor ihm erscheine, nicht weiß, daß ich die Kaiserin bin, der mich ohne Krone und Kaisermantel schön findet.«
In der That gingen an demselben Tage vier Kuriere mit der gleichlautenden Instruktion, den neuen Paris zu suchen, nach Nord und Süd, Ost und West ab, ohne daß die Kaiserin nur einen Augenblick daran dachte, auf diesem Wege ihr Ziel zu erreichen; es war nur ein wohlerwogener, feiner Schachzug, um die Aufmerksamkeit ihres Hofes, insbesondere ihrer nächsten Umgebung, von denen sie jederzeit einer wohlgemeinten, aber unbequemen Einmischung, ja einer schmeichlerischen Täuschung versehen sein mußte, von sich abzulenken, denn sie war entschlossen, die Auffindung und Wahl des seltenen Jünglings niemand Geringerem als sich selbst anzuvertrauen.
Katharina II. hatte die Gewohnheit, die ersten Abendstunden, jene Dämmerzeit, welche der Franzose »zwischen Hund und Wolf« nennt, allein in dem einsamsten Teile des Parkes von Zarskoje Selo zuzubringen. Der Garten war dann für jedermann abgesperrt, niemand, nicht einmal die vertrautesten Freunde der Zarin, durften ihr nahen.
Womit sie sich in dieser Zurückgezogenheit beschäftigte, darüber sind die Memoiren der Eingeweihtesten aus jenen Tagen sehr verschiedener Meinung, eben so geteilt waren die Ansichten am Hofe. »Sie meditiert,« sagten einige; »sie beschäftigt sich mit einem großen dichterischen Werke,« sagten andere; »sie empfängt geheime Depeschen und diplomatische Agenten, welche mit ihr allein verkehren, und ihr allein bekannt sein sollen,« schlossen wieder andere; und die Kaiserin selbst?
Katharina II. sagt in einem Briefe an den genialen russischen Dichter Derschawin Bodenstedt hat Mehreres von dessen Gedichten, unter anderen seine schöne »Ode an Gott,« in das Deutsche übertragen., sie gebe die einsamen ländlichen Stunden in Zarskoje Selo um nichts in der Welt, sie sei in denselben weder Monarchin noch Philosophin, sie könne dann, was ihr sonst nie vergönnt sei – ausruhen und sich an den einfachen Eindrücken der Natur erbauen.
Diese einsamen Stunden benutzte die Zarin jetzt zur Ausführung ihres olympischen Planes.
Wenn alle Welt sie in einer der schattigen, tiefgrünen Lauben des Parkes in Betrachtungen oder mit einer großen politischen Kombination beschäftigt glaubte, eilte sie im weißen Sommerkleide, eine schwarze Seidenmantille um die Schultern, durch die Laubgänge zu der kleinen Pforte der Außenmauer, welche in das freie Feld führte und zu der sie allein den Schlüssel besaß.
Vorsichtig öffnete sie dieselbe, vorsichtig sich nach allen Seiten umblickend, verließ sie den Park und schloß die Thür ebenso behutsam hinter sich ab. Dann suchte sie rasch das kaum zweihundert Schritt entfernte Wäldchen zu gewinnen. Hatte sie das erreicht, dann war sie vor Überrumpelung sicher. Aus dem Wäldchen machte sie dann ihre Entdeckungsreisen durch die Wiesen, die Felder, bis in die benachbarten Dörfer.
Dieses Spiel trieb sie bereits ein paar Tage, als sie eines Abends auf den Einfall kam, ihre seltsame Streifung in die Nacht hinein auszudehnen, wo die Knaben und Jünglinge in Rußland zur Sommerzeit ihre Pferde auf die Weide zu treiben pflegen.
Der Mond war im Zunehmen und beleuchtete die weite Ebene hell genug, so daß jeder einzelne Gegenstand mindestens in seinen Umrissen deutlich hervortrat. In der Luft war jener den russischen Dörfchen und Landschaften eigentümliche aromatische Duft von Wermut und Thymian.
Katharina hatte auf der Weide nahe dem Gehölz und Zarskoje Selo die Reste eines Hirtenfeuers entdeckt, sie verbarg sich also, als sie auf dem Rückwege das Wäldchen erreichte, in den dichten Gebüschen am Rande desselben und harrte.
Diesmal schien ihr der Zufall günstiger. Denn sie wartete noch keine Viertelstunde, so ertönte das Knallen einer Peitsche, und ein Rudel mit einem Stricke zusammengekoppelter Pferde kam in kurzem Trab heran, von einem Hirten getrieben, welcher ohne Sattel auf einem großen, mutigen Schimmel saß.
An der Stelle, wo noch verkohlte Reste des gestrigen Feuers umherlagen, sprang er herab, trug Reisig zusammen und zündete es an.
Noch kehrte er der Kaiserin den Rücken, aber sie sah sofort an seiner schlanken, elastischen Gestalt, daß er jung war; er trug ein Ueberhemd und eine Hose aus grober Leinwand und einen breiten Strohhut auf dem Kopfe.
Endlich kehrte er sein Gesicht zu ihr und die Flamme des brennenden Reisigs fiel voll und grell darauf.
Er war hübsch – ja, mehr als das – schön – sein regelmäßiges Gesicht mit der geraden Nase, den feinen Brauen, den großen blauen Augen, von hellbraunem Haare eingerahmt, hatte nur ein wenig zu viel von jenem blöden Bauernausdruck, und dann war er wirklich nicht gewaschen. Indes achtete die Kaiserin auch nicht viel darauf, im Gegenteil, ihr klopfte das Herz ein wenig, denn sie sah sich der Erfüllung ihrer seltsamsten Laune gegenüber, sie hatte ihren Paris gefunden.
Der junge Hirt rief hierauf seinen Schimmel, welcher bereits behaglich zu grasen angefangen hatte; er war offenbar sein Liebling, er wußte es, denn er beeilte sich garnicht, dem Rufe zu gehorchen, sondern schnaubte nur etwas und schlug mit dem Schweife. Der Hirt ging hierauf auf das Tier zu und band ihm die Vorderfüße mit dem Stricke zusammen, so daß es sich nur langsam hüpfend fortbewegen konnte, und überhäufte es mit Scheltworten, welche eigentlich eben so viel Liebkosungen waren. Dann löste er die anderen Pferde eines nach dem andern von der Koppel und entließ jedes erst, nachdem er ihm gleichfalls die vorderen Füße gefesselt hatte. Während nun seine Herde ringsum zufrieden schnaubend das Gras brach, schnitt der junge Mensch einen Hollunderast ab und begann sich eine Pfeife daraus zu fertigen.
Die Kaiserin, das verwöhnte, launenhafte Weib das sonst bei den glänzendsten Vergnügungen bald zu gähnen pflegte, sah allem dem, was der hübsche, einfältige Bursche mit großer Wichtigkeit und Bedächtigkeit that, in einer Art Spannung zu, sie hörte das schwermütige Volkslied, dessen Weise er auf seiner Pfeife blies mit mehr Genuß, als die Bravour-Arien der italienischen Opernsänger, und als der junge Hirt Feldblumen zu pflücken und mit Hast zu einem Strauße zu binden begann, brannte sie vor Begier, zu erfahren, wem derselbe bestimmt sei.
Endlich hatte der neue Paris unter einer Linde am Rande des Wäldchens Platz genommen, und während er noch mit seinen Blumen beschäftigt war, näherte sich ihm Venus Katharina II. unbemerkt, im weichen Moose auf den Fußspitzen schleichend, und saß, ohne daß er sich dessen versah, plötzlich an seiner Seite.
»Guten Abend!« sagte sie.
Der Hirt sah sie erstaunt mit großen Augen und offenem Munde an.
Dann rückte er ein wenig zur Seite und machte das Kreuz.
»Fürchtest Du Dich vor mir?« sprach Katharina II.
»Nein,« erwiderte der Bursche, »aber es ist nicht gut für eine Menschenseele, wenn sie mit einer Rusalka Die russische Nixe, welche junge Männer mit ihrer silberhellen Stimme an sich lockt und dann mit ihren goldenen Haaren erwürgt. oder sonst einer Zauberin spricht.«
»Du hältst mich also für eine Zauberin?«
»Ich weiß nicht, für was ich Dich halten soll,« erwiderte der junge Hirt, »aber jedenfalls bist Du aus einer anderen Welt.«
»Vielleicht hast Du Recht,« sprach die Kaiserin, »aber wer sagt Dir, daß ich deshalb böse oder verderblich sein muß? Im Gegenteil, ich bin Dir gut gesinnt.« –
»Das sagen alle bösen Geister,« entgegnete der Hirt.
»Aber ich bin kein böser Geist,« versetzte die Monarchin, »ich will Dein bestes, und Gott sei Dank, habe ich auch die Macht, Dein Glück zu begründen.«
»Da Du den Namen Gottes ausgesprochen hast,« sprach der Hirt, »kannst Du in der That kein gefallener Engel oder böser Geist sein. Ich danke Dir also, daß Du es so gut mit mir meinst; aber wie willst Du mein Glück gründen, und was habe ich dabei zu thun?«
»Du hast nichts zu thun, als mir zu gehorchen Willst Du das?« fragte Katharina II.
»Sofern Du nichts Unrechtes oder Unchristliches von mir verlangst,« antwortete der Hirt.
»Gut. Wie nennst Du Dich also?«
»Wenn Du eine Zauberin bist, solltest Du es wissen.«
»Ich frage auch nicht etwa, weil ich es nicht weiß,« erwiderte Katharina II., welche sich in ihrer überirdischen Rolle gefiel.
»Weshalb also?«
»Um zu sehen, ob Du in allem die Wahrheit sprichst.«
»Mein Name ist Nikolaus,« sagte der junge Hirt.
»Leben Deine Eltern noch?«
»Ja.«
»Hier in der Nähe!«
»Dort im Dorfe.«
»Sind sie arm?«
»Ja, arme Leibeigene.«
»Und Du? fühlst Du Dich sehr unglücklich?«
»Nein,« erwiderte der Hirt, »ich habe, was ich brauche, ich singe, pfeife, höre zu, wenn meine Mutter den jüngeren Kindern Märchen erzählt, und –«
»Sage mir Alles!«
»Nun,« fuhr Nikolaus fort, »ich habe auch ein Mädchen, ein hübsches Mädchen, das mir gut ist und dem ich von Herzen gut bin; was brauche ich noch?«
»Und möchtest Du nicht frei sein?« fragte die Monarchin, »und reich und Dein Mädchen zum Weibe nehmen und sie in ein schönes Haus führen und sie in schöne Gewänder kleiden?«
»Jawohl, das möchte ich,« erwiderte Nikolaus, »für meine Katinka wäre mir nichts gut genug, sie müßte eine Schuba Altrussisches Prunkkleid. tragen, wie die Prinzessinnen in den Märchen.«
»Katharina nennt sich Dein Mädchen?«
»Und ist sie schön?«
»Mir gefällt sie.«
»Und ich,« begann die Kaiserin nach einer kleinen Pause, »wie gefall' ich Dir?«
Der junge Hirt sah sie an, erwiderte jedoch keine Silbe.
»Nun,« fragte Katharina II. noch einmal, »findest Du mich schön? aber sprich die Wahrheit!«
»Für eine Alte geht es an,« erwiderte der neue Paris.
»Du hältst mich für alt?« rief die Monarchin.
»Hast Du doch weißes Haar,« meinte der Hirt.
»Wie alt glaubst Du also, daß ich bin?«
»So etwas bei siebenzig Jahre.«
Die Kaiserin brach in ein schallendes Gelächter aus.
»Aber ich bin ja garnicht alt!« sprach sie dann heiter.
»Ja, das meint jede,« erwiderte Nikolaus, »und jede macht sich jünger, als sie ist; übrigens magst Du für eine Zauberin, die tausend Jahre werden und weit älter noch, immerhin jung sein.«
»Weißt Du was,« sprach Katharina II., »ich bin alt und jung, wie ich gerade will. Nächstens sollst Du mich mit blonden Haaren sehen.«
»Da würdest Du mir schon besser gefallen,« sprach der neue Paris, »ich liebe das blonde Haar sehr, meine Katinka ist auch blond und schön, weit schöner doch als unser Mütterchen, die Zarewna Katharina.«
»Hast Du denn die Zarewna gesehen?« fragte Katharina.
»Nein.«
»Wie kannst Du also urteilen? Du kennst wohl ihr Gesicht nur von den Silberrubeln her?«
»Wie käme ich zu Silberrubeln!« lachte der Hirt. »Wenn ich hier und da ein paar Kopeken habe, bin ich zufrieden, und die sind so schmierig, daß man von der Kaiserin nicht viel mehr sieht.«
»Man hat Dir also von ihr erzählt?«
»Allerdings.«
»Aber es heißt doch, daß sie sehr schön ist?«
»Gewiß, sehr schön,« antwortete der Hirt, »aber meine Katinka ist doch noch schöner. Uebrigens kannst Du selbst urteilen, denn da kommt sie eben.«
Wirklich kam auch ein junges, hübsches Bauernmädchen mit edler Gesichtsbildung, langen blonden Zöpfen und großen blauen Augen im koketten roten Scharafan über die Wiese hergeschritten; als sie ihren Liebsten an der Seite einer fremden Frau erblickte, rief sie mit ihrer hellen, jugendlichen Stimme von weitem schon »Nikolaus, wen hast Du da bei Dir? Was will die Alte?«
»Sie ist eine gute Zauberin,« sprach der Hirt, »sie will uns beschützen und unser Glück begründen.«
»Das ist schön von Ihnen, liebe gnädige Frau Hexe,« sprach die Kleine, machte einen Knix und küßte der Kaiserin, welche sie wohlgefällig betrachtete, die Hand.
»Ja, ich will Euch glücklich machen,« sprach Katharina II.; »jetzt aber verlasse ich Euch, denn Ihr habt Euch gewiß Dinge zu sagen, bei denen ein Drittes und wäre es auch die beste Fee, überflüssig ist.«
Die Kaiserin erhob sich, küßte die hübsche blonde Bäuerin auf die Stirne, nickte Nikolaus, welcher sich vor ihr auf die Knie geworfen hatte und den Saum ihres Kleides küßte, huldvoll zu und verschwand im Wäldchen.
Den nächsten Tag empfingen die beiden Hofdamen, Fürstin Daschkoff und die Gräfin Saltikoff, den Befehl der Monarchin, sich bei Eintritt der Dunkelheit in mythologischen Kostümen, aber ohne Puder im Haare, im Parke von Zarskoje Selo einzufinden.
Sie zerbrachen sich den Kopf über diese neue unerklärliche Laune der Kaiserin und kamen endlich zu dem Resultate, dieselbe habe einen Paris gefunden, aber wie und wo, darüber stellten sie vergebens Nachforschungen an, denn keiner der ausgesandten Kuriere war bis jetzt zurückgekehrt.
Die Neugierde der beiden schönen Frauen wurde jedoch eher noch gesteigert, als die Kaiserin sich bei dem nächtlichen Rendezvous einfand und ihnen lächelnd die Mitteilung machte, sie habe den neuen Paris, einen jungen hübschen Hirten, welcher weder sie noch ihr Bildnis gesehen habe, gefunden und habe die Absicht, heute noch den Schiedsspruch auf dem Berge Ida zu wiederholen.
»Wenn ich auch alles das, was mir über meine Schönheit gesagt wird, für höfische Schmeichelei nehme,« fügte Katharina II. hinzu, »so habe ich dagegen keine Ursache, in die allgemeine Stimme Zweifel zu setzen, welche meine Freundinnen Daschkoff und Saltikoff – nach mir – als die schönsten Frauen Rußlands bezeichnet, und darf mir daher keinen so leichten Sieg versprechen, sondern muß in Ihnen, meine Damen ebenbürtige und gefährliche Rivalinnen begrüßen. Der Kampf um den Preis der Schönheit ist somit ein ernster und sein Ausgang ein sehr zweifelhafter.«
Die drei schönen Frauen schritten hierauf durch den Park dem Wäldchen zu, voran Katharina II. als Venus, die blonden Haare über den vollen weißen Nacken flutend, ihr nachfolgend die Fürstin Daschkoff als Minerva im glänzenden Helm und Panzer, mit der Lanze bewaffnet, und die Gräfin Saltikoff, die goldene Krone auf den blonden Locken.
An dem Rande des Wäldchens lagerten sie sich, von dem grünen Blattwerk versteckt, im Moose, pflückten Blumen, wanden Kränze und scherzten, während der Mond und das Heer der Sterne heraufzog und die Nachtigallen in den Büschen ringsum zu schluchzen begannen.
Endlich ertönte Pferdegelrappel, und der neue Paris kam mit seiner Herde, zündete wieder zuerst ein großes Feuer an und band dann seinen Tieren die Vorderfüße.
Die Damen ließen ihn ruhig verrichten, was er zu verrichten hatte, und erst als er sich mit seiner Hirtenflöte an das Feuer setzte, riefen sie ihn beim Namen.
»Wer ruft mich?« sprach der neue Paris überrascht.
»Nikolaus!« tönte es wieder im Dreiklang durch die Nacht.
Der Hirt bekreuzte sich.
»Nikolaus!« rief es wieder.
»Wer Ihr auch seid,« antwortete jetzt der Pferdehirt, »kommt heraus in Gottes Namen, ich fürchte Euch nicht!«
Ein mutwilliges Gelächter antwortete seiner feierlichen Mahnung, aber es kam niemand zum Vorschein.
»Nun, wenn Ihr Euch nicht zeigen wollt,« rief er hierauf, »dann habt Ihr wohl alle Ursache, Euch zu verstecken, Ihr alten Hexen!«
Wieder dasselbe ausgelassene Lachen.
»Ja, Hexen, alte Hexen seid Ihr,« schimpfte der Pferdehirt, »alte verschrumpfte Weiber mit Katzenbuckel, zahnlosem Munde und Triefaugen, so recht alte, uralte Hexen, tausend Jahre alt!«
»Zweitausend Jahre!« antwortete es.
»Was, zweitausend,« rief der Hirt, »zehntausend!«
»Ja, zehntausend!« spotteten die Stimmen.
»Freilich, so geht Ihr daher mit Euren Krücken,« sprach der Hirt und verspottete sie, indem er ein altes, gebücktes, hinkendes Weib nachahmte.
Ein lautes Lachen begleitete seine drastische Mimik, dann traten auf einmal die drei schönen, jungen Frauen aus dem Dickicht heraus und näherten sich ihm. Das Mondlicht fiel grell auf ihre hellen Gewänder und beleuchtete ihre reizenden Gesichter voll und deutlich.
»Da sind wir, Nikolaus!« rief die Kaiserin.
»Wir alten Hexen!« fügte die Fürstin Daschkoff hinzu.
»Zehntausend Jahre alt!« lachte die Saltikoff.
»Alt, verschrumpft, mit unseren großen Katzenbuckeln!« fiel Katharina II. ein, und die drei Damen begannen eine hinter der anderen, die eine Schulter emporziehend, auf der Wiese herumzuhinken, dann reichten sie sich plötzlich die Hände und tanzten im Kreise um den sprachlosen Hirten herum.
»Bleibt mir vom Leibe!« rief dieser endlich. »Ich bin ein guter Christ, ich will nichts von Euch!«
Die drei Damen lachten und hielten still.
»Erkennst Du mich denn nicht?« fragte die Kaiserin.
Der Hirt betrachtete sie mit einer gewissen frommen Furcht.
»Ja, ich erkenne Dich«, sprach er dann, »Du bist die Zauberin von gestern Abend.«
»Ich versprach Dir jung zu erscheinen,« sagte Katharina II., »gefalle ich Dir so besser?«
Der Hirt kratzte sich hinter den Ohren und schmunzelte. »So gefällst Du mir freilich besser,« murmelte er, »Du hast Dich schön gemacht, schöner noch als meine Katinka, aber deshalb bist Du doch noch eine alte Hexe, und wer sind Deine Begleiterinnen?«
»Es sind gute Zauberinnen, so wie ich,« erwiderte Katharina II.
»Und was begehrt Ihr von mir?« fragte der Hirt.
»Das sollst Du sogleich erfahren,« sprach die Kaiserin, »vor allem sag' mir aber, wie Dir meine Begleiterinnen gefallen.«
»Nun Ihr seid alle drei schön,« begann der Hirt, »da ist nichts zu sagen.«
»Welche würdest Du aber nehmen, wenn Du zwischen uns dreien die Wahl hättest?« fragte die Gräfin Saltikoff.
»Das wäre schwer zu sagen,« meinte der Hirt, »ich würde am liebsten alle drei nehmen.«
Die Damen brachen in ein schallendes Gelächter aus.
»Ihr seid alle schön,« fuhr der Hirt fort; »die da, die Große,« sprach er, auf die Gräfin Saltikoff deutend, »die ist so ein rechtes Mordweib und wäre gar tüchtig ins Haus und zur Arbeit,« dabei faßte er ihren Arm an und prüfte wohlgefällig die kräftigen Muskeln desselben.
Die Damen kamen nicht mehr aus dem Lachen.
»Die Kleine dafür,« er deutete auf die Daschkoff »das ist so ein liebes Schneckchen, ein rechtes Kätzchen, die kann gewiß recht schön thun und Herzen, und die Blonde,« dabei sah er die Kaiserin ganz besonders wohlgefällig an, »die hat eine stolze Figur und feines Angesicht und mutige Augen und ist so hübsch rund, – aber was habt Ihr da zu lachen?«
»Nun höre, um was es sich handelt,« sprach die Kaiserin, »zwischen uns ist ein Streit entstanden, welche wohl die Schönste sei, und wir haben Dich erwählt, in demselben zu entscheiden, weil wir Dich für einen klugen Burschen halten, und Du sollst ohne Furcht ganz nach Deinem Herzen den Schiedsspruch sprechen.«
»Das wollte ich schon,« erwiderte der Hirt, »aber versichert mich dessen, daß, wenn ich sage: Diese ist die Allerschönste unter Euch, mich die zwei andern nicht mit ihrem Haß verfolgen.«
»Wir schwören es Dir, daß wir Dich nicht hassen und verfolgen, sondern beschützen wollen alle drei, Du magst entscheiden wie Du willst!« rief die Kaiserin.
»So schwört!« sagte der Hirt.
»Wir schwören bei Gott dem Allmächtigen!« riefen die drei Damen.
»So ist es recht,« versetzte Nikolaus.
»Wir sind alle drei mächtig, und welcher Du auch den Preis erteilst,« sprach die Kaiserin, »eine jede ist im stande, Dein Glück zu begründen.«
»Du sollst belohnt werden!« rief die Saltikoff.
»Kaiserlich!« fügte die Daschkoff hinzu.
»Werdet Ihr mir Geld geben?« fragte der Hirt.
»Ja,« antworteten die drei.
»Wollt Ihr mir einen Schatz zeigen und heben helfen?« rief der Hirt.
»Ja, einen Schatz.«
»Gut. Also was soll ich thun?« fragte er.
»Hier ist ein Apfel,« sprach die Kaiserin, ihm denselben reichend, »diesen Apfel sollst Du jener von uns dreien geben, welche Du für die Schönste ansiehst.«
Der junge Hirt blieb nun, den Apfel in der Hand, stehen und betrachtete, sich bedächtig am Kopfe kratzend, die drei schönen Frauen. Er überlegte genau, indem er sie immer wieder verglich und von Zeit zu Zeit den Kopf schüttelte und seufzte, endlich reichte er der Kaiserin den Äpfel.
»Die Dicke da,« sprach er, »ist die schönste unter Euch.«
Katharina II. errötete vor Freude, die beiden anderen Damen klatschen vergnügt in die Hände und riefen: »Bravo! das hast Du gut gemacht, Du kluger Hirt.«
Der kluge Hirt schien anfangs über dieses Kompliment ganz verdutzt, dann schlug er mit den flachen Händen auf die Kniee und lachte, daß ihm die Thränen in die Augen traten.
»Weshalb lachst Du?« fragte die Kaiserin.
»Was macht Dich so lustig?« forschte die Gräfin.
»Bist Du von Sinnen?« sagte die Daschkoff
»Nein, ich lache nur,« rief der Bursche »es ist auch zu spaßig, daß Ihr zwei so zufrieden seid mit meinem Schiedsspruch, statt das Maul zu verziehen. Ich dachte, die beiden, welche den Apfel nicht bekommen, würden vor Zorn bersten, und Ihr freut Euch noch, ha! ha! ha!« Er lachte wieder so, daß er sich die Seite halten mußte.
»Nun, was bekomme ich also jetzt von Euch für einen Lohn?« fragte Nikolaus mit einigem Mißtrauen; »ich habe das Meinige nach bestem Wissen und Gewissen gethan, thut Ihr jetzt das Eure! Wo ist der Schatz?«
»Du sollst! ihn haben,« sprach die Kaiserin, »aber das geht nicht so rasch. Zuerst mußt Du drei Tage und drei Nächte beten und fasten, und dann will ich Dich unterweisen, wie Du den Schatz heben kannst.«
»Nichts da,« erwiderte der Hirt ärgerlich, »zuerst war vom Beten und Fasten keine Rede, ich will meinen Schatz auf der Stelle!«
»Aber es geht nicht so ohne weiteres«, beschwichtigte die Daschkoff.
»Das wäre,« sagte der Bursche, »seid mir schöne Zauberinnen, wenn Ihr nicht alles zu Gelde machen könnt, allenfalls so, daß Ihr die Blätter an den Bäumen da berührt mit Eurem Stäbchen, und es werden lauter Rubel daraus.« Er wies dabei auf das vergoldete Holzscepter der Juno Saltikoff.
»Was verstehst Du von unseren Zaubereien,« sagte die Gräfin, »fasse Dich in Geduld!«
»Ich will nicht Geduld haben!« schrie der Hirt erbost. »Ich sehe, Ihr treibt Euren Spaß mit mir.«
»Beruhige Dich,« sprach Katharina II., »wir geben Dir, was wir von Geld bei uns haben, und in drei Tagen sollst Du den Schatz heben.«
»Das läßt sich hören,« meinte der Bursche.
Die drei Damen begannen hierauf in ihren Kleidern nach Geld zu suchen, aber die falschen Göttinnen hatten ebenso wenig, wie die echte Venus, Juno und Minerva, Münze bei sich.
Die Verlegenheit wuchs.
»Aha!« rief der junge Hirt endlich, »Ihr habt kein Geld, Ihr habt nur Euren Spaß mit mir gehabt, wartet, Ihr Weibsbilder, ich will Euch schon das Fell klopfen!«
Auf diese unzweideutige Redewendung ergriffen die drei Damen die Flucht, aber so rasch und leichtfüßig sie waren, der junge Bursche holte sie dennoch ein und riß die Kaiserin beim Aermel zurück; in dem Augenblicke aber, wo er zum Schlage ausholte, warf Katharina ihr stolzes Haupt in den Nacken und heftete ihre großen blauen Augen auf ihn mit jenem ruhigen, gebieterischen Blick, vor dem ihr Gemahl Zar Peter III und Orloff mehr als einmal gezittert hatten.
Nikolaus begann etwas zu stammeln, was niemand verstand, und ließ sie langsam los.
»Was ich verspreche, halte ich,« sagte die Kaiserin, »ist Dir mein Wort nicht genug?«
»Ja, ja, schon, wenn –«, stotterte der Bursche. »Ich habe es ja nicht so gemeint.'
»So laß uns jetzt ruhig unseres Weges gehen!« riefen die beiden anderen Damen.
»Wenn Ihr mir schon kein Silber oder Gold geben wollt,« erwiderte hierauf der galante Hirt, »so müßt Ihr mir doch jede mindestens einen Kuß geben.«
»Was Dir einfällt!« lachten die Damen und liefen rasch dem Parke zu, aber der neue Paris ließ sich nicht so leicht abtrumpfen, er verfolgte sie schreiend bis zu dem Pförtchen, und da sie sich nicht die Zeit nahmen, es hinter sich abzusperren, durch den Park von Zarskoje Selo bis zu dem Palaste und unmittelbar vor dem glänzend erleuchteten Portal desselben, angesichts der beiden ernsthaften Grenadiere, welche das Gewehr präsentierten, ereilte er die Kaiserin, umschlang sie mit seinen kräftigen Armen und preßte einen derben Kuß auf ihre vollen Lippen. Katharina II. schrie auf, brach in lautes Lachen aus und floh, als der neue Paris sie losließ, die Treppe hinauf, von den beiden anderen Damen gefolgt.
Zu gleicher Zeit faßte ein Offizier der Wache den kühnen Burschen und befahl den herbeigeeilten Soldaten, ihn in Gewahrsam zu bringen.
Nikolaus setzte sich zur Wehre, war aber rasch zu Boden geworfen und gebunden.
»Laßt mich los!« lobte er. »Was habe ich denn gethan, ein Kuß ist doch kein Verbrechen!«
»Dieser Kuß ist ein Verbrechen!« schrie der Offizier, »und noch dazu ein Majestätsverbrechen!«
Beim Lever der Kaiserin am nächsten Morgen fragte Graf Orloff, was mit dem Leibeigenen zu geschehen habe, welcher ein so beispielloses, freches Attentat auf seine Herrin und Monarchin verübt habe. Der Graf legte dabei, obwohl er mit Mühe das Lachen verbiß, sein Gesicht in ernste, wichtige Falten.
»Attentat?« entgegnete Katharina II. »Sie meinen doch nicht den einfältigen Burschen, der mir ohne mich zu kennen, einen Kuß geraubt hat? Wenn an diesem Vorfall nach Ihrer Ansicht etwas Strafbares ist, so bin ich allein die Schuldige, denn ich habe den jungen Menschen in Versuchung geführt.«
Orloff wurde rot, das Lachen war ihm vergangen, er bebte vor Zorn. »Wie, Eure Majestät haben –?« mehr brachte er nicht über die Zunge.
»Was ist mit dem Menschen geschehen?« fragte die Kaiserin, ohne Orloff einer Erklärung zu würdigen.
»Er ist im Kerker,« entgegnete dieser.
»Gut, ich werde selbst das Weitere über ihn verfügen,« entschied die Gebieterin in ziemlich ungnädigem Tone.
Unterdes lag der neue Paris in einem engen, finsteren Verließ, an Händen und Füßen schwere Ketten, auf einem Bunde Stroh, überzeugt, daß er sich in der Gewalt böser, rachgieriger Zauberinnen befinde. »Sie werden mich erst recht mißhandeln und quälen,« dachte er bei sich, »und dann in irgend ein Tier verwandeln, allenfalls in einen Hund, und ich muß mein Leben in einer Hundehütte beschließen.«
Nicht lange nach der Unterredung Orloffs mit der Zarin öffnete sich indes die Thüre seines Kerkers, und eine Dame in einem schwarzseidenen Mantel, welcher ihre Gestalt vollkommen einhüllte, eine schwarze Samtlarve vor dem Gesicht, trat herein.
»Nikolaus,« sprach sie, »wie befindest Du Dich?«
»Wie soll ich mich befinden!« erwiderte der Hirt ärgerlich. »Du hast jetzt leicht meiner spotten, verräterisches Frauenzimmer; aber ist das recht, mich vorerst zu bitten, daß ich Einer von Euch Dreien, welche ich für die Schönste holte, den Apfel gebe, und mir nur einen Apfel zu geben, und nachdem ich nach meinem Gewissen entscheide, Rache nehmen? Ich habe es Euch angesehen, daß Ihr alle Drei den Apfel möchtet, und hätte ich ihrer dreie gehabt, so hätte jede ihr Obst bekommen, aber so war es nicht möglich.«
Die maskierte Dame begann zu lachen.
»Wenn ich Dich unter meine Hände bekäme, böse Hexe,« schrie der Hirt, »dann würdest Du bei Gott nicht lachen!«
»Alles dies, mein lieber Nikolaus,« sprach hierauf die Maske, »war nur eine Prüfung, nun wird Dein Unglück bald zu Ende sein und Dein Glück seinen Anfang nehmen, wie willst Du dann Deine Verwünschungen gut machen?«
»Ich glaube Euch nichts mehr,« sagte der Hirt »treibt Eure Späße mit einem andern!«
Die Dame verließ hierauf seinen Kerker und zwei Männer in schwarzen Mänteln, Larven vor dem Gesicht, traten ein, nahmen dem überraschten Burschen die Ketten ab, verbanden ihm die Augen und befahlen ihm, mit ihnen zu gehen. Sie führten ihn durch Gänge, dann viele Stufen empor, dann wieder eben fort.
Endlich fiel die Binde, und Nikolaus der Pferdehirt stand sprachlos mit offenem Munde im Thronsaal der Kaiserin.
Katharina II. saß, die Krone auf dem Haupte, den Kaisermantel um die üppigen Schultern, unter dem rotsamtenen Baldachin, ihr zur Seite standen die Fürstin Daschkoff und die Gräfin Saltikoff in glänzender Toilette, der Hofstaat bildete einen Halbkreis um den am ganzen Leibe zitternden jungen Menschen. Aber der neue Paris faßte sich rasch ein Herz und rief, auf die Zarin zueilend: »Da bist Du ja, wortbrüchige, verräterische Hexe, und da sind auch Deine sauberen Genossinnen –«
»Nikolaus!« schrie in diesem Augenblicke eine ihm wohlbekannte Stimme, »bist Du von Sinnen, es ist unser Mütterchen, die Zarewna!« und Katinka, das hübsche Bauernmädchen, stürzte auf ihren Liebsten zu und riß ihn von den Stufen des Thrones, auf die er bereits den Fuß gesetzt hatte, wieder zurück.
»Was hast Du, bist Du auch eine Hexe?« rief der Bursche, Katinka von sich stoßend.
»Du machst uns unglücklich,« murmelte diese.
»Ah, sie sollen mich gleich in einen Esel oder Hund verwandeln,« fuhr der neue Paris fort, »ich sage es doch heraus, diese da, diese drei, die mit der Goldkrone, und die beiden neben ihr sind zu mir gekommen, nachts, und haben mich bethört –«
Die Kaiserin begann zu lachen. »Genug des Scherzes und der Täuschung!« sprach sie, »wir sind weder gute noch böse Zauberinnen, mein Freund, aber immerhin mächtig genug, Dein Glück zu begründen. Du bist hier in Zarskoje Selo und ich bin Deine Zarin Katharina II.«
»Auf die Kniee!« flüsterte Katinka dem vollständig vernichteten Geliebten zu, und als er wie erstarrt stehen blieb, gab sie ihm einen liebevollen Stoß, so daß er auf einmal, das Antlitz zur Erde, vor der Kaiserin dalag.
»Gnade! Gnade!« flehte er, ihm war in diesem Augenblicke das Weinen nahe.
»Steh auf!« gebot die Kaiserin.
Katinka richtete ihn auf, aber so, daß er vor dem Throne knieen blieb.
»Ich habe Dir Glück und Reichtum verheißen,« fuhr Katharina II. fort, »und Du kannst nun selbst urteilen, ob ich Wort halte Hier ist Dein Freibrief und hier jener Deines Mädchens.«
Die Zarin stieg die Stufen des Thrones herab und übergab dem neuen Paris die Dokumente.
»Dies ist nur der Anfang,« fuhr sie fort. »Nun Du ein freier Mann bist, erhebe ich Dich in den Adelstand mit dem Namen Paris von Idanow, da Du, ein neuer Paris auf einem neuen Ida, den Schiedsspruch gesprochen und den Preis der Schönheit zuerkannt hast, ich schenke Dir und Deinen Nachkommen das Dorf Zolotagora, was so viel heißt als goldener Berg; dies ist der Schatz, den ich Dir versprach; überdies werde ich Katinka auf meine Kosten aussteuern, und sie soll auch die Schuba haben, die Du gewünscht.«
Die beiden jungen Leute begannen nun vor Freude zu schluchzen und die Füße der Kaiserin zu küssen. Katharina II. entzog sich jedoch rasch ihrem Danke und überließ es den Damen Daschkoff und Saltikoff, das glückliche Liebespärchen nach dem Zimmer zu geleiten, welches ihnen die Zarin bis zu ihrer Vermählung im Palaste angewiesen hatte.
Als sich die Nachricht von dem seltsamen Ereignis in der Umgegend verbreitete, kamen die Eltern, Verwandten und Freunde des neuen Paris und seiner Katinka, um ihnen ihre Glückwünsche darzubringen, und Tausende von Landleuten strömten nach Zarskoje Selo, um die Glückskinder anzustaunen.
Die Hochzeit wurde mit großem Prunke gefeiert. Die Kaiserin gab der Braut eine wahrhaft fürstliche Ausstattung, die Fürstin Daschkoff beschenkte sie mit einem Diamantenschmuck, die Gräfin Saltikoff mit einer Schuba, und ein kaiserlicher Hofwagen brachte die Neuvermählten, welche sich stets der besonderen Gunst ihrer Monarchin zu erfreuen hatten, in ihr neues Besitztum.