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Diderot, der Encyclopädist, der Philosoph und Kritiker, der geistvolle Novellist, dessen »Rameau's Neffe« und »Jakob der Fatalist« wir heute noch mit jenem großen Genusse lesen, den uns nur wahrhaft klassische Schöpfungen gewähren, zeigte in seinem alltäglichen Wesen denselben herben kaustischen Humor, denselben stets schlagfertigen Witz, wie in seinen Schriften, welche ihn wenigstens ebenso rasch gefürchtet, wie beliebt gemacht hatten und nicht allein in seinem Vaterlande, sondern beliebt und gefürchtet, so weit damals die französische Sprache in Wissenschaft, Litteratur und Gesellschaft herrschte, und das war so ziemlich in der ganzen gebildeten und halb gebildeten Welt.
Diderot spottete über alles und ganz besonders über seine Freunde, die Poeten, die Philosophen und die Monarchen, mit denen er im Briefwechsel stand. Auch die »Semiramis des Nordens«, wie Voltaire halb schmeichelnd, halb boshaft Katharina II. von Rußland getauft hatte (denn auch Semiramis hatte über die Leiche ihres Gemahls hinweg blutbefleckt den Thron bestiegen), gehörte zu Diderots Freunden und stand mit ihm wie mit Voltaire, Grimm und anderen großen und kleinen Geistern ihrer Zeit in lebhafter Korrespondenz.
Auch an diesem ebenso schönen als genialen »weiblichen Papst«, wie er die Zarin nannte, übte Diderot seinen Witz, und ganz besonders spottete er über die französischen Gelehrten, welche, alle ihre Habe in einem Schnupftuch mit sich tragend, an den Hof Katharinas zogen, um mit Diamanten übersäet von dort heimzukehren und das Lob der großen Frau und des heiligen Rußlands zu singen, und er spottete so lange, bis er sich endlich selbst entschloß, die »Philosophin auf dem Throne« zu besuchen.
Es waren zwei Briefe von weiblicher Hand, welche ihn zu diesem Entschlusse brachten, der Ausdruck von »zarter Hand« wäre bei denselben nicht ganz am Platze gewesen, denn die Hände, von denen hier die Rede ist, hatten kühn den Degen geschwungen, rebellische Soldaten gegen ihren Kaiser geführt, Blut vergossen und die eine hielt jetzt kräftig das Scepter eines großen Reiches, während die andere den goldenen Stab der Akademie der Wissenschaften führte. Die beiden Briefe rührten nämlich von den beiden Katharinas her, von der »großen Katharina,« welche Rußland regierte, und ihrer reizenden Freundin, der »kleinen Katharina,« wie der Hof spöttisch die Fürstin Katinka Daschkoff nannte, welche der Zarin geholfen hatte, ihren Gemahl Peter III. vom Throne zu stoßen, und jetzt als die gelehrteste Russin ausersehen war, der Petersburger Akademie zu präsidieren.
Die Kaiserin schrieb unter anderem: »Wenn Sie nicht bald zu mir kommen, mein lieber Philosoph, so komme ich zu Ihnen, aber nicht allein, sondern gefolgt von meiner Armee, und entführe dann Frankreich mit einem Male alle seine großen Geister. Wollen Sie also vermeiden, daß ich Ihr Vaterland, das ich so lebhaft schätze und liebe, mit Krieg überziehe, so packen Sie augenblicklich Ihre Koffer.«
Und die Fürstin Daschkoff schrieb: »Die Kaiserin, die absolute Herrin von fünfzig Millionen Sklaven, langweilt sich wieder einmal, wissen Sie, was das heißt, eine Zarin langweilt sich? Das bedeutet so viel als: Rußland zittert und erwartet von Ihnen seine Befreiung von dem kaiserlichen Zorne. Allen Ernstes, Sie sind der Einzige, mein genialer Freund, dem wir alle, und vor allen die Kaiserin selbst es zutrauen, daß Sie deren böse Laune, welche nun schon drei Monate währt, zerstreuen. Die Kaiserin brennt vor Begierde, Ihre persönliche Bekanntschaft zu machen, und nicht die Kaiserin allein; Katharina, die Große, erwartet Sie; Katharina, die Kleine, seufzt nach Ihnen; der Hof, das Reich und ganz besonders unsere Akademie der Wissenschaften hofft alles von Ihnen. Kommen Sie also ungesäumt, und wenn Sie grausam genug wären, uns Ihre Person noch länger vorzuenthalten, so senden Sie Ihr Porträt. Wir werden hunderte Miniaturkopien davon anfertigen lassen und es alle auf dem Herzen tragen.«
Das war zu viel Weihrauch selbst für die Philosophie eines Diderot. Und – Diderot war nicht bloß Philosoph, er war auch ein Weltmann – er war galant, er liebte die Frauen, besonders, wenn sie jung und schön waren, und jedem der Petersburger Briefe lag auch ein Bild bei.
Das eine zeigte einen stolzen Kopf mit großen, ausdrucksvollen grauen Augen und dem kleinsten Munde, die herrliche Büste von einem breiten Ordensband umsäumt, das zweite ein feines, leidenschaftliches Gesichtchen mit halbgeschlossenen, dunklen Sametaugen, beide geistvoll, beide schön, beide verlockend.
Diderot stand zwischen den beiden Porträts im vollsten Sinne wie der Esel zwischen den beiden Heubündeln, die sein cynischer Rameau citiert; er hielt in der Rechten das der Kaiserin, in der Linken jenes der reizenden Präsidentin und endlich ging er zu seinem Schneider und bestellte einen neuen Anzug auf Kredit – der Kredit eines Philosophen war damals unermeßlich – und vertauschte seinen Hut, den in ganz Paris berühmten »schäbigen Filz des Diderot,« mit einem neuen modernen Dreispitz und schleifte eigenhändig sein kalbledernes Felleisen herbei, und packte und wickelte sich dann in einen großen blauen Mantel, den er von seinem Vater geerbt, und stieg in den Postwagen.
Paris trauerte, als es Diderots Abreise erfuhr, und Petersburg frohlockte.
So viel bedeutete damals ein Mann von Geist.
Petersburg frohlockte. Das heißt, es frohlockte mit einer kleinen Ausnahme. Diese kleine Ausnahme bildete der große Philosoph und Naturforscher Paul Iwanowitsch Lagetschnikoff.
Lagetschnikoffs hauptsächliche, ja einzige Größe bestand in der grenadiermäßigen Höhe, durch welche eine Gestalt die aller anderen Petersburger Gelehrten überragte. In allem übrigen, was einen wissenschaftlichen Kopf ausmacht, war Lagetschnikoff sehr klein. Wie kam es, daß er dennoch als ein Stern erster Größe an dem Petersburger Himmel leuchten konnte?
Lagetschnikoff war eben Gelehrter geworden, wie man damals in Rußland Minister oder General wurde, durch die Gunst der Kaiserin. Er war in Moskau geboren, der Sohn eines wohlhabenden Kleinbürgers, und hatte nicht mehr und nicht weniger Bildung genossen als jene Männer, welche zu jener Zeit den russischen Staat lenkten, seine Schlachten gewannen, und aus denen die seine Gesellschaft Petersburgs bestand. Bis zu seinem zwanzigsten Jahre half er dem Vater in seinen Geschäften und Arbeiten und beschäftigte sich nebenbei mit dem Ausstopfen von Tieren, und dieses betrieb er mit einem gewissen Geist und Humor und vor allem mit einer Originalität, welche überall so entscheidend ist. Er begnügte sich nicht damit, seinen Bälgen den Schein des Lebens wiederzugeben, er verstand es mit jener dem russischen Volkscharakter eigentümlichen Schalkhaftigkeit, den Charakter, die Lebensweise jeden Tieres anzudeuten und vereinigte wohl auch häufig mehrere derselben zu komischen oder satirischen Gruppen, welche er hinter den Fenstern seines Elternhauses ausstellte, und die stets zahlreiche Schaulustige und Käufer heranlockten.
Als Katharina II. zur Zeit ihrer Krönung in Moskau weilte, ging sie nicht selten, von der Fürstin Daschkoff und anderen Damen und Herren ihres Hofes begleitet, durch die Straßen der uralten Stadt, um sich an den wechselnden, farbenreichen, Scenen russischen Volkslebens zu belustigen.
Eines Tages kam sie an dem Häuschen Lagetschnikoffs vorbei, sah seine ausgestopften Tiere, blieb, von der spaßhaften Seltsamkeit derselben gefesselt, stehen und betrachtete sie mit einem Lächeln, das bald zu einem lauten Gelächter wurde. Da war ein Dompfaff, welcher von einer kleinen Kanzel herab einer bunten und andächtigen Gemeinde von Finken, Zeisigen, Stieglitzen, Meisen, Emmerlingen, Bachstelzen und Sperlingen predigte; ein Adler, eine Kaiserkrone auf dem Kopfe, welcher einen Hahn zerriß, während ihm ein halbes Dutzend Hennen demütig Glück zu diesem Akt landesväterlicher Liebe zu wünschen schien. Am meisten ergötzte jedoch die Kaiserin eine weiße Katze, welche an einem Zaun mit ihrem schwarzen Gatten, einem riesigen Kater, koste, und, während sie echt weiblich demselben schmeichelte, einem hinter dem Zaun verborgenen Anbeter einen Liebesbrief zusteckte.
Auf den Befehl der Monarchin fragte zuerst der sie begleitende Adjutant um den Namen des aparten Künstlers, und endlich trat Katharina selbst in die mit Heiligenbildern beklebte dämmerhafte Stube, um den jungen Lagetschnikoff kennen zu lernen. Der arme Junge stand mehr tot als lebendig vor der schönen, allmächtigen Frau, welche sich an seiner tölpelhaften Demut und an seiner Angst beinahe noch mehr ergötzte, wie vorher an seinen ausgestopften Tieren.
Lagetschnikoff war hoch und schlank gewachsen und von jener glücklichen Gesichtsbildung, welche auf den ersten Blick für sich einnimmt.
Er gefiel der Kaiserin, und damit war sein Schicksal entschieden, sein Glück gemacht. Die Kaiserin verstand es, Talente zu entdecken. Sie entdeckte in Lagetschnikoff den Zoologen, wie sie in Orloff den Staatsmann entdeckt hatte und später in Potemkin den Feldherrn.
Lagetschnikoff wurde auf Kosten der Kaiserin zum Gelehrten herangebildet, zum Philosophen und Naturforscher, denn die Wissenschaften waren damals noch nicht so streng getrennt wie heut zu Tage.
Nachdem er die nötige Vorbildung genossen, wurde er auf ein paar deutsche Universitäten und dann auf ein Jahr nach Paris geschickt.
Von dort kam Lagetschnikoff als vollendeter Weltmann zurück, elegant, galant und vor allem den Frauen gefährlich. Aus dem hübschen jungen Menschen war ein schöner Mann geworden, und aus dem schönen galanten Manne, dem Günstling der Damen, wurde rasch ein gefeierter Gelehrter.
Lagetschnikoff hatte indes im Auslande nur verlernt, was er so eminent gekannt hatte: Tiere ausstopfen und nichts Ordentliches dafür gelernt, aber er hatte sich die Ausdrücke der Wissenschaft geläufig gemacht und führte die Phrasen der Pariser Philosophen im Munde.
Wer wagte noch an seiner wissenschaftlichen Größe zu zweifeln?
Niemand als – er selbst.
Er hatte, wie alle Unwissenden, einen unauslöschlichen Haß auf alle, die Kenntnisse oder Gelehrsamkeit oder gar Genie besaßen, und so erwachte in dem Momente, wo er Diderots bevorstehende Ankunft in Petersburg erfuhr, ein aus Eifersucht und Angst gemischtes Gefühl in ihm, und aus der Furcht, durch den großen Encyclopädisten bloßgestellt zu werden, wurde die Ueberzeugung, daß Diderot nur zu dem Zwecke komme, um ihn lächerlich zu machen, um ihn zu vernichten. Er haßte daher Diderot, ehe er ihn noch kannte, und sann auf Rache, ehe ihn dieser noch beleidigt hatte, ja, ehe Diderot noch von der Existenz Lagetschnikoffs, des großen Ausstopfers und kleinen Naturhistorikers, etwas wußte.
Eine unvorsichtige Aeußerung verriet der Kaiserin seinen Gemütszustand, und Katharina II. war boshaft genug, sich fortan auf Diderots Ankunft doppelt zu freuen.
Wenn der Verfasser von »Rameaus Neffe,« in der eisigen Winterkälte von den schlechten Fuhrwerken hin- und hergeworfen, seinen Entschluß noch so oft bereut hatte, der Empfang, den ihm die Kaiserin in Petersburg bereitete, entschädigte ihn für alles. Die Gilden der Kaufleute, die Zünfte, die Schulen, die Akademie waren ihm entgegen gezogen, er mußte an der Seite des Grafen Orloff in einen sechsspännigen Galawagen steigen, welcher, durchaus aus Glas, ihn sowohl alles sehen ließ, als den berühmten Mann der schaulustigen Menge zeigte. Die Truppen bildeten Spalier. Am Fuße der Treppe im Winterpalaste erwartete ihn Katharina II. mit ihrem ganzen Hofstaate, und jetzt, wo sie im Thronkleide, die Krone auf dem schönen Haupte, leibhaftig vor ihm stand, erschien sie ihm noch weit reizender, noch weit verführerischer als auf dem Bilde, welches er von ihr erhalten hatte.
Entzückt küßte er ihr die Hand, welche sie ihm herzlich entgegenstreckte, und stolperte vor Vergnügen und Begeisterung zweimal, als die Zarin seinen Arm nahm und mit ihm die Marmorstufen emporstieg.
Katharina ließ es sich nicht nehmen, ihm selbst die Gemächer anzuweisen, welche ihm in der Nähe der ihren im Palaste eingerichtet worden waren, sie machte ihn selbst mit den Bequemlichkeiten derselben bekannt und führte ihn zu einem Schrank, welcher die bedeutendsten Werke der französischen Litteratur enthielt. Sie nahm einen Band heraus und schlug den Deckel auf, es waren Diderots Dialoge.
»Ich kann Ihnen garnicht aussprechen, Herr Diderot,« fügte sie mit dem liebenswürdigsten Lächeln hinzu, »wie glücklich ich mich schätze, Sie zu besitzen, ja, Sie sind jetzt mein, und keine Macht der Erde soll Sie mir entreißen.«
»Befehlen Sie über mich,« erwiderte Diderot, »Sie sehen von heute an einen treuen Unterthan mehr zu Ihren Füßen.« Und wirklich kniete der Philosoph in diesem Augenblick vor der schönen Despotin und führte gleich einem russischen Muschik (Bauer) den Zipfel ihres Gewandes an die Lippen.
Katharina II. beeilte sich, ihn aufzuheben und ihm für diese ernst gemeinte Schmeichelei den Ordensstern anzuheften, der bis jetzt auf ihrer eigenen üppigen Brust gefunkelt hatte.
Damit verließ ihn die allmächtige Fee. Diderot wünschte sich nochmals Glück zu seiner Ankunft und warf sich dann in seinen neuen Pariser Anzug. So erschien er eine halbe Stunde später in dem großen Empfangssaal, in welchem der Hof versammelt war.
Hier begrüßte ihn zuerst die graziöse Präsidentin der Akademie, die reizende Fürstin Daschkoff. Auch sie erschien ihm weit bezaubernder als ihr Porträt, ja, sie gewann im Leben noch mehr als die Zarin, denn sie hatte eines jener feinen geistigen Gesichter, welche erst im Gespräche, in der Erregung ihren vollen Reiz gewinnen. Bald kam auch die Kaiserin. Sie hatte gleichfalls die Toilette gewechselt und erschien jetzt in einem schwerseidenen blauen Schleppkleide, nach der Sitte der Zeit dekolletiert, das reiche Haar mit Puder wie mit Schnee bedeckt, eine kleine Krone von Diamanten mit dem griechischen Kreuz auf dem Scheitel, eine Venus im Reifrock.
Sie nahm Diderots Arm und stellte ihm, dem armen Philosophen, die anwesenden Damen, Würdenträger und Kavaliere vor.
Dann entließ sie den Hof und zog sich mit Diderot, der Fürstin Daschkoff, den Grafen Panin und Orloff, der Gräfin Saltikoff und Frau von Mellin in einen im chinesischen Geschmack eingerichteten Salon zurück. Der kleine auserlesene Kreis gruppierte sich um den Kamin, welcher eine behagliche Wärme ausströmte, und plauderte zwanglos, lebhaft wie eine Gesellschaft guter Freunde über Wissenschaft und Litteratur, über die Weltlage, über Frankreich. Diderot war hingerissen, er sprach gut, er sprach glänzend und entzückte alle Anwesenden, vor allem die Kaiserin.
Man wünschte sich gegenseitig Glück zu dieser Acquisition. An der Kaiserin war nichts mehr von jener Abspannung, jener Langweile zu bemerken, welche ihre Umgebung in der letzten Zeit so erschreckt hatten, eher eine gewisse Unruhe, sie schien etwas zu erwarten.
Von Zeit zu Zeit neigte sie sich zu der Fürstin Daschkoff und sprach leise mit ihr. Endlich meldete ein Kammerherr den Herrn Paul Iwanowitsch Lagetschnikoff.
Das Gesicht der Zarin leuchtete auf.
Lagetschnikoff trat im feinsten französischen Hofkleide, frisch gepudert und parfümiert herein, verneigte sich vor der Monarchin, dann vor dem ganzen Kreise und ließ sein glühendes blaues Auge auf Diderot ruhen.
»Herr Diderot, hier stelle ich Ihnen Lagetschnikoff vor,« sprach die Kaiserin, absichtlich seine wissenschaftliche Stellung nicht betonend, »Sie kennen ihn wohl bereits dem Namen nach?«
Diderot, welcher nie etwas von einer wissenschaftlichen Größe Lagetschnikoff gehört hatte, vermutete, durch die athletische Gestalt des Gelehrten verleitet, einen Helden vor sich zu haben, und erwiderte, sich artig verbeugend: »In der That, Herr General, der Ruf Ihrer Tapferkeit, Ihres militärischen Genies ist längst bis nach Frankreich gedrungen.«
Der ganze Kreis begann, nachdem die Kaiserin das Signal dazu gegeben, laut zu lachen, so laut und herzlich zwar, wie an Höfen und ganz besonders am Hofe Katharinas, wo ein jeder die eisige Luft Sibiriens in der Nase hatte, selten gelacht wurde.
Diderot stieg das Blut zu Kopfe und Lagetschnikoff?
Lagetschnikoff wurde bleich bis in die Lippen und drohte umzusinken.
»Daschkoff,« rief die Kaiserin, »geben Sie ihm ein Glas Wasser, der Herr Professor ist einer Ohnmacht nahe.«
Unter den Festlichkeiten, welche in Petersburg zu Ehren Diderots veranstaltet wurden, stand in erster Linie eine feierliche Sitzung der von Katharina gegründeten und reich dotierten Akademie der Wissenschaften, in welcher Diderot als Mitglied proklamiert werden und einen Vortrag halten sollte.
Das Bild, welches diese Sitzung den auf den Gallerten zahlreich versammelten Zusehern aus den höheren Ständen bot, war eigentümlich genug. Während die Akademiker in ihren schwarzen Roben, mit großen Allongeperücken auf dem Kopfe, im Halbkreise sitzend, die eine Seite des Saales einnahmen, sah man auf dem erhöhten Präsidentensitz die Fürstin Daschkoff im langen, rotsamtenen Talar, das jugendliche Gesichtchen nur um so blühender und reizender unter der schweren Lockenperücke hervorblickend, die große goldene Kette um den Hals, den schweren mit der Weltkugel geschmückten Stab ihrer Würde in der kleinen Hand.
Seitwärts stand der Thron der Zarin. Nachdem dieselbe im vollen kaiserlichen Schmuck auf demselben Platz genommen hatte, von ihrem Hofe umgeben, eröffnete der schöne weibliche Präsident mit einer sehr ernsthaften Rede die Sitzung. Er begrüßte die Versammlung, teilte derselben das für die Wissenschaft beglückende Ereignis, die Ankunft Diderots, mit und stellte den Antrag, den gefeierten Philosophen zum Mitgliede der Akademie zu ernennen.
Sämtliche Anwesende, die Kaiserin nicht ausgenommen, erhoben sich zum Zeichen der Zustimmung von ihren Sitzen.
Hieraus forderte die Fürstin Herrn Lagetschnikoff auf, Diderot einzuführen. Dies geschah auf besonderen Befehl der Monarchin.
Lagetschnikoff war noch immer sehr bleich, aber er unterzog sich seiner Aufgabe mit aller Gewandtheit. Als Diderot an seiner Hand im Saale erschien, wurde er von der Versammlung mit Applaus empfangen.
Die schöne Präsidentin stieg von ihrem erhöhten Sitz herab und bat Diderot, die ihm verliehene Würde als ein »geringes Zeichen« der Bewunderung, welche die Akademie für ihn hege, anzunehmen. Diderot dankte. Dann führte ihn die Daschkoff zum Präsidentensitze und bat ihn, seinen Vortrag zu halten, dem das ganze gebildete Petersburg mit größter Spannung entgegensehe.
Zu jener Zeit war der Philosoph zugleich Naturforscher, Historiker, Kritiker, Poet. So unternahm es denn Diderot, über eine Frage zu sprechen, welche damals schon von den in allen Zweigen menschlichen Wissens revolutionären Philosophen Frankreichs angeregt worden war, die Verwandtschaft des Menschen mit den Tieren und seine Abstammung von dem Affen.
Diderots Vortrag erregte begreiflicherweise schon durch seinen Inhalt ungeheure Sensation. Als er zu Ende war, eilten die Akademiker zu seinem Sitze, um ihn mit Schmeicheleien zu überhäufen.
Als sich der Beifallssturm etwas gelegt hatte, rief eine Stimme aus der Tiefe des Saales: »Ausgezeichnet, Herr Diderot, aber wir bitten noch um den Beweis für Ihre geistreiche Theorie, Sie sind uns denselben schuldig geblieben.«
Und diese Stimme war die Stimme Lagetschnikoffs. Seinen Worten folgte eine tiefe peinliche Stille, die Kaiserin suchte mit ihren großen durchdringenden Augen den Frevler zu entdecken, und jetzt hatte sie ihn auch entdeckt.
»Sie, Lagetschnikoff,« sprach sie spöttisch, »was haben Sie einzuwenden?«
»Herr Diderot,« erwiderte der von Eifersucht verzehrte Gelehrte, »hat glänzende Hypothesen aufgestellt, aber er hat nichts von alledem bewiesen.«
»Sie zweifeln also, daß der Mensch vom Affen abstammt?« fragte Diderot mitleidig lächelnd.
»Ja ich wage es, daran zu zweifeln,« rief Lagetschnikoff, »bis Herr Diderot einen Affen zum Reden gebracht hat.«
Neue Sensation.
Diderot war versucht zu sagen: »Aber ich habe ja Sie eben zum Reden gebracht, Herr Lagetschnikoff.« Er unterdrückte indes diesen bösen Witz und entgegnete scheinbar ruhig: »Ich erstaune, daß ein Naturforscher wie Sie nicht weiß, daß es redende Affen giebt.«
»Redende Affen,« sprach Lagetschnikoff, spöttisch die Achseln zuckend, »davon weiß ich in der That nichts. Und wo gäbe es diese redenden Affen?«
»Auf Madagaskar,« erklärte Diderot mit vollkommener Seelenruhe.
In der That war jedoch Diderot von der Existenz seiner redenden Affen ebensowenig überzeugt wie sein Gegner. Stark in Behauptungen, Theorien, Gedankenperspektiven wie alle Matadore des achtzehnten Jahrhunderts nahm er es mit dem Beweise seiner Lehrsätze nicht sehr genau und war wie alle seine Zeitgenossen da, wo ihn die Thatsachen im Stiche ließen, gleich bereit, zu Erfindungen zu greifen.
»Wenn es wirklich redende Affen giebt,« begann Lagetschnikoff von neuem, »dann stelle ich den Antrag, daß die Akademie Herrn Diderot ersucht, ihr einen solchen vorzuführen, bis dahin aber seine Theorie für unbewiesen, unhaltbar und phantastisch erklärt.«
Die Kaiserin warf einen zornigen Blick auf Lagetschnikoff und erhob sich zum Zeichen, daß die Sitzung aufgehoben sei. Die Akademiker folgten ihrem Beispiele, und so kam Lagetschnikoffs Antrag nicht zur Abstimmung, aber die Zuversicht, mit welcher der Letztere gegen Diderot, gegen den berühmten Diderot aufgetreten war, ließ doch in der Brust aller Anwesenden einen kleinen Keim des Zweifels zurück.
Die Kaiserin sogar zeigte von jenem Tage an eine Sehnsucht nach dem redenden Affen, welche bald so groß wurde wie jene, welche sie vorher nach Diderot gehabt.
»Haben Sie Anstalten getroffen, den Affen zu bekommen?« fragte Orloff.
»Ist der Affe unterwegs?« fragte der Graf Panin.
»Wann kommt der Affe?« fragte die Gräfin Saltikoff.
»Diderot, ich weiß, daß Sie uns nächstens überraschen werden,« sagte die Daschkoff.
»Womit, Fürstin?«
»Nun mit dem redenden Affen.«
»Diderot, Sie sind schwermütig,« sprach eines Abends die Fürstin Daschkoff zu dem Philosophen, welcher im Cirkel der Zarin in einer Ecke saß und den Kopf hängen ließ.
»Ja, in der That,« stammelte dieser.
»Und ich weiß auch weshalb,« fuhr die reizende Fürstin fort.
»Sie wissen,« murmelte Diderot immer verwirrter.
»Soll ich es Ihnen sagen?«
»Hm – um Gotteswillen – nein.«
»Der einzige Grund Ihrer Verstimmung,« flüsterte die Fürstin, sich zu seinem Ohre neigend, »ist der redende Affe.«
Diderot sah sie überrascht an. »Der Affe?« sprach er endlich, »nein, der Affe ist es nicht.«
»Was also?«
»Darf ich es Ihnen gestehen,« sagte der Philosoph, die kleine Hand fassend.
»O! jetzt errate ich,« sprach diese liebenswürdig, ohne ihm ihre Hand zu entziehen.
»Wie?«
»Sie sind verliebt.«
»Ja, ich bin verliebt,« erwiderte Diderot leise, aber mit voller Leidenschaft, »nein, verliebt ist nicht das Wort, ich bin wahnsinnig, ich bete an – ich – verzweifle.«
»Sie lieben also ohne Hoffnung?«
»So scheint es.«
»Ah!« rief die Fürstin, »Sie lieben die Kaiserin.«
»Nein, die Kaiserin verehre ich mehr als jede andere Frau,« entgegnete Diderot, »ich bewundere ihren hohen Geist, ihren männlichen Willen, ich betrachte ihre außerordentliche Schönheit, wie man das Bild einer griechischen Göttin betrachtet mit stummem Entzücken, aber ich liebe eine andere.«
»Eine andere?« sprach die Daschkoff, ihre Hand noch immer in der seinen. »Lassen sie mich raten, die Gräfin Saltikoff?«
Diderot schüttelte den Kopf.
»Hedwig Samarin.«
»Auch nicht.«
»Dann kann es nur Frau von Melin sein.«
»Wer könnte es sein,« erwiderte Diderot glühend, »als Sie selbst, reizendste der Frauen, liebenswürdigste Philosophin.«
»Ich? Sie lieben mich,« rief die Daschkoff, »wissen Sie denn nicht, wie eifersüchtig mein Mann ist?«
»O! ich weiß es und ich weiß auch, daß er diesem Talente den Posten eines Gouverneurs im südlichen Rußland dankt.«
Ein Schlag mit dem Fächer strafte den Verwegenen.
In diesem Augenblicke näherte sich Lagetschnikoff dem Pariser Philosophen.
»Ich gratuliere Ihnen,« begann er tückisch lächelnd.
»Wie so, Herr Professor?«
»Nun, man erzählte soeben, daß Sie mich in Grund bohren werden.«
»Sie in den Grund, wie das?« fragte die Daschkoff.
»Nun, Herr Diderot hat einen Affen.«
»Einen Affen,« schrie die Fürstin erstellt auf und auf die Kaiserin zueilend rief sie, die Hände wie ein vergnügtes Kind zusammenschlagend: »Diderot hat einen Affen!«
Als die Fürstin den nächsten Tag erwachte, es war gegen Mittag, denn die Damen jener Zeit hielten ihr Lever ziemlich spät, fand Sie ein duftiges Briefchen auf dem Tischchen, das an ihrem orientalisch üppigen Lager stand. Es lautete:
»Göttin! Unnahbare!
Ich liebe Dich. Ich liebe Dich so wahnsinnig, daß ich alle meine Philosophie um einen Kuß Deiner duftigen Lippen, meine Freiheit, mein Leben um eine glückliche Stunde in Deinen Armen geben würde. Ich spüre eine unbezwingbare Lust in mir, dumme Streiche zu machen. Ich fürchte, daß ich eines Tages vergessen könnte, wie hoch, unerreichbar hoch Du über mir stehst. Eile also, mir Deine süßen Fesseln anzulegen, oder befiehl mir zu fliehen in die Eisfelder des Nordens, wo alles erstarrt und wo vielleicht auch diese Glut verlöschen wird, welche mich zu verzehren droht, verlöschen mit dem letzten Atemzuge Deines Unterthanen
Diderot.«
Als die Fürstin dieses Billetdoux gelesen, lächelte sie zuerst, dann stützte sie den Kopf auf die Hand und sann nach.
Die Kaiserin langweilte sich von neuem.
Diderot war als Unterhaltungsstoff erschöpft, Lagetschnikoff wurde mit seinen Anspielungen auf den »redenden Affen« schließlich auch monoton. Orloff reizte die schöne Despotin längst zum Gähnen.
Was thun?
Diese Frage stellte sich die »kleine Katharina« immer wieder, während sie den Abend nach einer ermüdenden Sitzung des Staatsrates zu den Füßen ihrer einsilbigen gähnenden Freundin, der »großen Katharina« saß.
»Kannst Du denn aber auch garnichts ersinnen, was mir Zerstreuung bieten würde?« rief die Zarin endlich beinahe zornig, »Du fängst an lau, unaufmerksam, unwillig zu werden, Kathinka.«
»Majestät.«
»Arrangiere doch wenigstens eine kleine Verschwörung,« fuhr Katharina II. fort, »das giebt doch einige kleine Emotionen. Man läßt einige knuten, andere schickt man nach Sibirien und die Vornehmsten auf das Schaffot. Es ist pikant, einen Mann, mit dem man heute noch verbindliche Phrasen tauscht, morgen den Kopf auf den Block legen zu sehen.«
Die Daschkoff erschrak. »Aber –«
»Nun, ich finde es pikant,« sprach Katharina, »besonders, wenn ich denke, daß es nur von mir abhängt, diese Menschen, die da in Todesangst vergehen, zu begnadigen, daß ich, ich allein es bin, die sie sterben läßt. Aber Du fürchtest Dich, glaube ich, vor mir.«
»Nun,« begann die Kaiserin von neuem, »fällt Dir denn nichts, gar nichts ein?«
»Doch etwas.« Die Fürstin zog Diderots Brief hervor und reichte ihn der Kaiserin, welche ihn las und zu lächeln begann.
»Und er selbst hat Dir den Brief übergeben?« fragte sie dann.
»Ich fand ihn heute morgen auf meinem Nachttisch.«
»Und Du glaubst, daß er wirklich verliebt ist?«
»Ja.«
»So wahnsinnig verliebt, wie er sich hier ausdrückt?«
»Ich habe keine Ursache, daran zu zweifeln.«
»Du schmeichelst.«
»Wie?« sagte die Fürstin erstaunt.
Katharina erhob sich, trat vor den Spiegel, ordnete ihre weißgepuderten Löckchen und betrachtete sich mit einem seltsamen Blick.
»Nun, warum nicht,« sagte sie endlich, »ich bin noch schön.«
Die Fürstin unterdrückte einen Ausruf.
Die Kaiserin bezog offenbar Diderots Brief wie seine Leidenschaft auf sich.
»Um so besser,« dachte im nächsten Augenblick die Daschkoff.
»Wenn er mich wirklich so sehr liebt –« begann Katharina II.
»Er betet Sie an,« rief die Daschkoff.
»Dann verspricht uns diese Liebesnarrheit eines großen Philosophen einiges Amusement,« sprach die Zarin, »aber wir müssen vorsichtig sein, er scheint kühn, zu allem entschlossen. Wir müssen unseren guten Ruf im Auge behalten.«
Die Daschkoff machte sich an der Robe ihrer kaiserlichen Freundin zu schaffen, so verbarg sie das Lächeln, das ihr mutwilliges Gesichtchen überflog.
»Die Tugend ist die erste Pflicht einer Philosophin,« fuhr Katharina II. fort, »und ich will meinen Unterthanen mit gutem Beispiel vorangehen.«
Die Daschkoff besserte noch immer an der kaiserlichen Robe.
»Nun aber setz Dich zu mir, Kathinka,« sagte die Zarin, »und wir wollen verabreden, was geschehen soll.«
Die beiden Freundinnen ließen sich beim Kamin nieder.
»Wollen Sie Diderot erhören, Majestät?« begann die Fürstin.
»Wie kannst Du nur glauben.«
»Also abweisen?«
»Ebensowenig.«
»Was dann?«
»Vor der Hand – ignorieren.«
»Und?«
»Seiner Glut eine sibirische Kälte entgegensetzen« entschied Katharina II.
»Um sie zu dämpfen oder ganz auszulöschen?« fragte die Daschkoff naiv.
»Nein, Närrchen,« lachte die Kaiserin, »um sie um so mehr anzufachen.«
Diderot wartete vergebens auf Antwort. Wenn er die Daschkoff besuchen wollte, war sie nicht zu Hause, wenn er in den Cirkeln der Kaiserin das Wort an sie richten wollte, verstand sie es jedesmal, einem Gespräche unter vier Augen geschickt auszuweichen – und dabei dieses ewig gleiche kalte Lächeln!
Und die Kaiserin?
War die Fürstin Schnee, so schien Katharina II. Eis.
Diderot begann darüber nachzudenken, ob er unwissend ein Majestätsverbrechen begangen habe. Jetzt hatte er es heraus, es war der Affe, der verdammte Affe.
Er schrieb eine neue Epistel:
»Meine Göttin!
Zürnen Sie? Was bedeutet Ihr Schweigen? Wenn Sie mich töten wollen, so töten Sie mich rasch, und wollen Sie sich nicht einmal die Mühe geben, mein Todesurteil zu unterschreiben, so geben Sie mir gnädigst ein Zeichen, ob ich hoffen darf, ob nicht.
Morgen Abend auf dem Hofballe. Eine rote Kokarde im Haar bedeutet »Ja,« eine weiße »Nein.«
Ihr elender Knecht
Diderot.«
Er gab dem Billet die Aufschrift: »An Katharina« und steckte es in seine Manschette mit der Absicht, es noch denselben Abend der Fürstin persönlich zu übergeben, denn er zweifelte bereits daran, daß sie das erste Briefchen erhalten habe.
Der Abend kam. Der Cirkel bei der Kaiserin war auffallend klein, und dies erschwerte Diderots Manöver nicht wenig. Dennoch gelang es ihm, einen Augenblick einen Fauteuil neben der Daschkoff zu gewinnen.
»Gnade, Fürstin,« murmelte er.
»Für mich.«
»Sie wissen doch.«
»Nehmen Sie wenigstens dieses Billet.« Er versuchte es in ihre Hand gleiten zu lassen.
»Unvorsichtiger, die Kaiserin beobachtet uns,« flüsterte die Daschkoff.
Wirklich ruhten die Augen der Kaiserin auf den beiden.
»Aber ich beschwöre Sie,« fuhr Diderot fort, »wie soll ich?«
»Sehen Sie die Bacchantin dort,« sprach die Fürstin nach kurzem Besinnen.
»Ja.«
»Und die Schale, welche sie hält.«
»Auch diese.«
»Segen Sie Ihr Billet in die Schale, aber so, daß es niemand bemerkt, ich werde indes die Aufmerksamkeit der Kaiserin abzulenken suchen.«
Die Fürstin erhob sich und näherte sich Katharina.
»Nun?« sagte diese gespannt.
»Er hat Ihnen wieder geschrieben,« antwortete die Daschkoff.
»Wo ist der Brief?«
»Er ist eben im Begriffe, ihn in die Weinschale der Bacchantin dort zu legen,« erwiderte die Daschkoff.
»Wir thun, als ob wir es nicht sehen würden,« flüsterte Katharina II., mit dem Fächer spielend.
Jetzt war es gelungen.
Diderot atmete auf.
Auf dem Hofballe, welcher ein wahrhaft märchenhaftes Bild von dem Luxus jener Zeit bot, erschien Diderot einer der ersten. Die Ungeduld malte sich deutlich genug auf seinem Antlitz.
Die Fürstin ließ sehr lange auf sich warten.
Jetzt trat sie in den Saal.
Diderot klopfte das Herz.
Er suchte die Kokarde zu entdecken, aber vergebens – er fand weder die rote noch die weiße. Hatte die Fürstin seinen Brief nicht erhalten? War er in fremde Hände gefallen?
In diesem Augenblicke erschien die Kaiserin, strahlend vor Schönheit, in einer vollkommen weißen Toilette, einer weißen Atlasrobe mit langer Schleppe und mit Volants von weißen Spitzen, einen weißen Fächer in der Hand, Diamanten um den vollen weichen Hals, das Haar in Locken, gepudert, schneeweiß, nein nicht ganz. Was war das? Diderot erschrak bis in die Tiefe seiner Seele.
In dem schneeweißen Haare der Kaiserin, der großen genialen Frau, der schönen Herrin von fünfzig Millionen Sklaven, loderte gleich einer Flamme die Kokarde die rote Kokarde!
Die rote Kokarde! Diderot träumte von ihr die ganze Nacht. Bald stand sie als eine große rote Sonne an dem weißen Petersburger Himmel, bald rollte sie als ein rotes Rad vorbei, auf dem die Glücksgöttin stand. Endlich wurde sie zu einer Zauberblume, welche unter den Fenstern des Winterpalastes mitten im Schnee blühte. Diderot brach die rote Blume mit entschlossener Hand, und wo er jetzt ging, warfen sich die Menschen vor ihm nieder, das Antlitz zur Erde, alle Thüren sprangen auf vor der Zauberblume, und die schönste Prinzessin wachte aus tausendjährigem Schlafe auf und reichte dem armen Philosophen Hand und Scepter und diese Prinzessin hatte die schönen gebietenden Augen und die Züge der Zarin.
»Katharina!« rief Diderot und wachte auf.
Es war heller Tag.
Er klingelte. Der Hofbediente, welcher ihm zur Verfügung gestellt war, trat ein und brachte zwei Schreiben in jenem großen Formate, welches officielle Aktenstücke andeutet.
»Zwei Briefe, Excellenz,« sprach der Lakai, er nannte Diderot stets Excellenz.
»Wer hat sie gebracht?« fragte Diderot.
»Der Diener der Akademie.«
»Gut.«
Der Lakai entfernte sich.
Diderot erbrach die Briefe, welche beide mit dem großen Siegel der Akademie der Wissenschaften verschlossen waren; der eine enthielt die rote Kokarde, der zweite von der Hand der Fürstin Daschkoff die wenigen Worte: »Ungetreuer, ich muß Sie sprechen. Kommen Sie sobald als möglich. Ich erwarte Sie.«
»Flatterhafter!« rief die Fürstin dem verblüfften Philosophen entgegen, als er eine Stunde später in ihr Boudoir trat.
»Ich – wie? Sie spotten meiner noch, Grausame,« entgegnete Diderot.
»Ist das Philosophenart?« fuhr die Daschkoff fort, »zuerst mir ein Geständnis zu machen und dann der Kaiserin?«
»Ich – der Kaiserin – ich errate – mein Brief,« stammelte Diderot, »aber er war für Sie bestimmt, und die rote Kokarde?«
»Bedeutet, daß Ihre Majestät die Kaiserin Katharina II. Ihr Geständnis nicht ungnädig aufgenommen hat.«
»Aber ich liebe ja Sie, Prinzessin, und nicht die Kaiserin,« klagte Diderot.
»Das thut nichts zur Sache,« erwiderte die Daschkoff ruhig, »aber die Kaiserin liebt Sie.«
»Die Kaiserin – mich?«
»Ja, Sie, mein Herr,« sagte die Daschkoff, »und Sie haben mit mir nur ein frivoles Spiel getrieben.«
»Aber Fürstin, ich schwöre Ihnen –«
»Der Schwur eines Philosophen, eines Atheisten,« spottete die Daschkoff.
»Ich liebe nur Sie,« rief Diderot, »ich bete Sie an, kleine Göttin!«
»Also wirklich, mich lieben Sie,« sprach die Fürstin, den Ton verändernd, »armer Diderot, nun, so erfahren Sie denn: Auch ich liebe Sie, aber jetzt ist alles vorbei, Sie haben sich der Kaiserin erklärt –«
»Das habe ich ja eben nicht gethan.«
»Nun sie glaubt es einmal, das ist dasselbe. Wenn Ihnen Ihr Leben, Ihre Freiheit lieb ist,« erwiderte die Daschkoff, »so lassen Sie fortan von Ihrer Liebe für mich nichts merken. Auf diesem Boden hier ist Katharina allmächtig.«
»Was soll aber geschehen?« fragte der Philosoph schüchtern
»Wer weiß?« entgegnete die Daschkoff, welche sich kostbar damit amüsierte, einen so großen Geist zu dupieren, die Kaiserin denkt seit einiger Zeit daran, sich wieder zu vermählen.«
»Mein Gott! Sie halten es für möglich,« schrie Diderot auf; er konnte sein Entzücken nicht verbergen.
»Die Kaiserin beschäftigt sich damit, in Rußland ein Zeitalter der Humanität, der Philosophie zu begründen, antwortete die Fürstin, »es läge also nahe, einen Geist wie Sie –«
»Sie scherzen.«
»Ich scherze nicht,« erwiderte die Daschkoff, »man nennt unser Jahrhundert nicht umsonst das philosophische; Monarchen, Generäle, Staatsmänner sehen in den Philosophen ihre Meister, ihre Lehrer, Sterne, welche sie leiten und deren Glanz den ihren erhöht. Europa würde kaum erstaunen, wenn Katharina II., die Philosophin auf dem Throne, den letzteren mit einem Diderot teilen würde. Ich hoffe daß Sie auch dann noch mein Freund sein werden.«
»Ihr Anbeter bis zum letzten Atemzuge,« rief Diderot, die Hände der Fürstin an seine Lippen pressend.
»Still! Still!« sagte diese, »die Wände haben Ohren und in Petersburg ganz besonders lange Ohren. Sie haben jetzt niemand zu lieben als die Kaiserin.«
»Und die Zarin hat Ihnen vertraut?«
»Alles, sie hat mich Ihren Brief lesen lassen, sie hat mir gestanden, daß sie vom ersten Augenblicke an eine tiefe Sympathie für Sie empfunden habe, sie verlangte von mir das Siegel der Akademie und schloß die rote Kokarde, mit welcher sie Ihnen auf dem Balle ein Zeichen ihrer Gunst gegeben, eigenhändig in ein Couvert, das sie mir zur Besorgung an Sie übergab.«
»Es ist also alles aus,« seufzte Diderot.
»Im Gegenteil, es fängt erst recht an,« rief die Daschkoff, »aber jetzt wissen Sie alles, Sie Glücklichster der Sterblichen, Sie neuer Endymion, dem das Glück im Schlafe kommt. Gehen Sie jetzt und vergessen Sie zu den Füßen der »großen« Katharina nicht ganz die »kleine.«
Nachdem Diderot sie verlassen hatte, brach die Daschkoff in ein helles Gelächter aus, dann setzte sie sich an ihr kleines Sekretär und schrieb an Lagetschnikoff.
Der Professor ließ nicht lange auf sich warten. Eine Wolke von Wohlgeruch ging vor ihm her. Er führte die Hand der Fürstin an die Lippen und nahm auf ihren Wink ihr gegenüber Platz.
»Lagetschnikoff,« rief die Fürstin mit erkünstelter Emphase, »armer, armer Freund, Sie sind verloren.«
Lagetschnikoff entfärbte sich. »Verloren, weshalb, ich habe doch nichts – nichts Schlechtes – kein Verbrechen –«
»Wer spricht davon,« erwiderte die Fürstin, »es ist viel schlimmer, denken Sie, aber Sie geben mir Ihr Ehrenwort, zu schweigen.«
»Mein Ehrenwort.«
»Diderot hat der Kaiserin eine Liebeserklärung gemacht.«
»Der Unverschämte!« schrie Lagetschnikoff.
»Sagen Sie der Beneidenswerte,« antwortete die Daschkoff, »die Kaiserin erwidert seine Leidenschaft und – aber erschrecken Sie nicht zu sehr – sie denkt sogar daran, sich mit Diderot zu vermählen.«
Lagetschnikoff war nahe daran, vom Sessel zu fallen.
»Denken Sie sich nun Diderot als Zaren und Sie als seinen Unterthan,« fuhr die Daschkoff fort, »er ist imstande und läßt Sie an Stelle des »redenden Affen,« mit dem Sie ihm das Leben so sauer gemacht haben, für das Museum ausstopfen.«
Lagetschnikoff sprang auf, eilte wie ein Rasender im Boudoir auf und ab, verwünschte Diderot, die Kaiserin, die Stunde, wo er geboren wurde, und stürzte endlich hinaus, ohne von der Fürstin Abschied zu nehmen.
Er warf sich in seinen Wagen und jagte zu Orloff.
»Graf, die Welt geht unter,« rief er, bei demselben eintretend.
»Ist es Ihr Ernst,« entgegnete Orloff betreten, »haben Sie wissenschaftliche Symptome.«
Lagetschnikoff rang nach Atem.
»Ja wohl, Symptome,« stieß er hervor, »die Kaiserin will sich vermählen.«
»Die Kaiserin,« sagte Orloff starr, »mit wem?«
»Mit Diderot.«
Katharina II. langweilte sich nicht mehr, ja, sie unterhielt sich beinahe zu gut, eine Emotion jagte die andere. Orloff bestürmte sie mit Vorwürfen, Lagetschnikoff lag vor ihr auf den Knien und weinte vor Eifersucht, Diderot reizte sie durch die Art und Weise, wie er sich um ihre Gunst bewarb, unwiderstehlich zum Lachen, und das heiterste Schauspiel boten der, gleich allen geistreichen Frauen, boshaften Zarin die Zirkel, in welchen sich Orloff, Lagetschnikoff und Diderot wie drei in einen Käfig gesperrte Tiger benahmen. Katharina II. amüsierte sich damit, alle drei unbarmherzig zu quälen, und ersann zu diesem Zwecke die tollsten Dinge.
Eines Abends arrangierte sie eine Partie Tarok zwischen den Dreien. Ein anderes Mal bei einem Pfänderspiele mußte Orloff Diderot zehn Küsse geben. Wieder einmal besprach sie allen Ernstes die Errichtung einer Akademie für Affen, auf welcher dieselben zu Menschen herangebildet werden sollten, und ernannte Lagetschnikoff provisorisch zum Rektor derselben.
Und Diderot hörte so lange von seiner Liebe für die Kaiserin sprechen, daß er endlich selbst daran glaubte und mit fieberhafter Ungeduld den Augenblick erwartete, wo er sich ihr zu Füßen werfen konnte.
Katharina II. gab ihm endlich selbst Gelegenheit dazu. Sie bat ihn, mit ihr Plato zu lesen, und sie wählte die erste Abendstunde zu dieser Lektüre.
Diderot war außer sich vor Glück, goldene Phantasien, schimmernde Hoffnungen umtanzten ihn gleich einem Mückenschwarm.
Die erste Lektion kam heran. Diderot befand sich nach langer Zeit wieder einmal der Kaiserin allein gegenüber, und wie schön war sie gerade heute, als sie sich mit ihm an dem flackernden Kamin niederließ, wie zierlich lag ihre kleine Hand in dem Lederbande, aus dem sie den »Staat« von Plato zu lesen begannen. Diderot war seiner Sinne kaum mächtig, und so oft – und es geschah recht oft – die Kaiserin zufällig mit ihrem feinen Finger den seinen streifte, oder mit ihren Locken seine Wange berührte, schrak er zusammen, und als sie endlich, wie es schien, von dem Gegenstande hingerissen, den Arm auf die Lehne seines Stuhles legte und über seine Schulter in das Buch blickte, da verlor er ganz die Besinnung, und ehe er selbst noch wußte, was er that, lag er zu ihren Füßen.
»Aber, Diderot, was fällt Ihnen ein?« rief die Monarchin.
»Majestät, schicken Sie mich nach Sibirien,« erwiderte Diderot, »lassen Sie mich köpfen, rädern oder vierteilen, ich liebe Sie dennoch, ich bete Sie an und ich will keine Minute länger leben, wenn Sie mich von sich stoßen.«
»Lieber Diderot, stehen Sie vor allem auf,« sprach Katharina II., welcher das Lachen nahe war, »es könnte jemand –«
»O! meine Göttin!« seufzte Diderot und bedeckte die Hände der Zarin mit Küssen.
»Sie lieben mich also wirklich,« begann Katharina; sie war so gnädig, ihm ihre Hand zu überlassen.
»Wie ein Wahnsinniger.«
»Nun, mein lieber Diderot,« fuhr die Zarin fort, »unser Jahrhundert ist, wie Sie wissen, ein skeptisches. Erlauben Sie mir daher an Ihrer Liebe zu zweifeln, bis Sie mir Beweise gegeben haben.«
»Fordern Sie, welchen Sie wollen, Majestät,« rief Diderot mit leidenschaftlicher Wärme.
»Nun, so schaffen Sie mir den Affen,« erwiderte Katharina II. rasch.
»Den Affen?« wiederholte Diderot erstaunt, »welchen Affen?«
»Den redenden Affen von Madagaskar,« sagte die Zarin, sich erhebend, »und bis dahin kein Wort mehr von Liebe. Adieu, mein lieber Diderot.«
Damit entschwebte die Kaiserin und ließ den verblüfften Philosophen gleich einem bestraften Schulknaben auf seinen Knieen liegen.
»Ich bin verzweifelt,« sagte Diderot zur Fürstin Daschkoff, welche lächelnd vor ihrem Toilettentisch saß und mit ihrer Frisur beschäftigt war.
»Warum? Die Kaiserin liebt Sie ja,« entgegnete die niedliche Fürstin, welche in ihrem weißen Morgennegligee und dem spitzenbesetzten Pudermantel einem Kinde glich.
»Aber sie glaubt nicht an meine Liebe!«
»Ihre Liebe?« antwortete die Daschkoff, »an die glauben Sie ja selbst nicht.«
»Wer sagt Ihnen –«
»Sie selbst,« rief die Daschkoff, »haben Sie mir nicht vor kurzem noch aufrichtig geschworen, daß Sie mich allein lieben, anbeten?«
»Ja, allerdings,« erwiderte der Philosoph etwas verwirrt, »vor kurzem noch – aber jetzt – jetzt –«
»Jetzt lieben Sie die Kaiserin?«
»Rasend.«
»Vortrefflich. Also was wollen Sie noch?«
»Die Kaiserin verlangt Beweise, daß ich sie liebe, und was für Beweise!«
»Sehr begreiflich.«
»Sie will nicht an meine Liebe glauben, ehe ich nicht – denken Sie, Prinzessin – ehe ich ihr nicht den »redenden Affen« geschafft habe.«
»Nun, so reisen Sie in Gottes Namen nach Madagaskar,« entgegnete die Daschkoff.
»Madagaskar ist weit,« jammerte der verliebte Philosoph, »und ich bin gar nicht sicher, daß ich dort einen redenden Affen finde.«
»Nicht?«
»Ich glaube, es giebt überhaupt keinen,« rief Diderot in seinem Schmerz, »ich wenigstens habe noch keinen gesehen.«
»Dann bedaure ich Sie, mein lieber Diderot,« setzte ihm die Fürstin mit boshaftem Mitleid auseinander, »aber ich kenne die Kaiserin, sie wird sich jetzt nicht zufrieden geben, ehe sie nicht den Affen hat, nur an der Hand dieses Affen können Sie den Thron Rußlands besteigen, nur mit ihm Katharinas Herz erobern.«
»Ich nehme mir das Leben.«
»Welcher Verlust für die Wissenschaft.«
»Ja, was soll ich sonst thun?«
Die Daschkoff stützte das feine schlaue Köpfchen in die Hand und sann nach, dann schwebte ein Lächeln über ihr Gesicht. »Der Einfall ist kostbar,« sagte sie selbst, »und was das Beste ist, ich düpiere alle damit, sogar die Kaiserin.«
»Mein Freund,« wendete sie sich hierauf an den Philosophen, »wenn ich Diderot wäre, würde ich gerade das Hoffnungslose meiner Lage zu einem Geniestreich ausbeuten.«
»Wie? Sagen Sie mir nur wie?«
»Einen redenden Affen,« fuhr die Daschkoff fort, »unter uns können wir es uns ja gestehen, giebt es nicht.«
»Nein, den giebt es nicht,« erklärte Diderot jetzt ganz apodiktisch.
»Die Kaiserin verlangt denselben jedoch als Beweis Ihrer Liebe.«
»Ja.«
»Nun, mein lieber Diderot,« sprach die Fürstin mit Pathos, »wenn Sie auch den Affen nicht herbeischaffen können, so liegt es doch in Ihrer Hand, der Kaiserin einen noch weit größeren Beweis Ihrer Liebe zu geben, der sie rühren muß.«
»Ich bin auf das Aeußerste gespannt.«
»Sie selbst machen sich ihr als redenden Affen zum Geschenk.«
»Ich? – mich? – als Affen?« staunte der Pariser Philosoph.
»Ja, Sie,« entschied die Fürstin, »Sie reisen ab unter dem Vorwande, den Wunsch der Kaiserin zu erfüllen, lassen sich in das Fell eines Affen nähen und durch einen vertrauten Diener der Zarin präsentieren.«
»Eine herrliche Idee,« schrie Diderot, »Prinzessin, ich möchte Sie küssen für diese Idee!« und trotz dem Schreien und Sträuben der kleinen Daschkoff schloß er sie an seine Brust und gab ihr einen herzhaften Kuß.
Abends sprach man am Hofe nur von der plötzlichen Abreise Diderots nach Madagaskar und dem »redenden Affen.«
Eine Woche nach Diderots Abreise wurde der Präsidentin Fürstin Daschkoff unter der Adresse der Petersburger Akademie der Wissenschaft durch einen französischen Zoologen folgendes Schreiben eingehändigt:
»Hochverehrte und Hochgeehrte!
Die Kunde von dem Vortrage und der genialen Theorie unseres großen Diderot ist rasch bis in sein Vaterland gedrungen, zu gleicher Zeit aber zu unserem Bedauern das Gerücht, daß ein gewisser Lagetschnikoff, welcher ein ausgezeichneter Thierausstopfer sein soll, diese Theorie bestritten hat.
Wir beeilen uns, Ihnen jene Beweise in die Hand zu geben, welche in dieser Frage entscheidend sind, und übersenden in aller Ehrfurcht als ein unterthäniges Geschenk für Ihre Majestät, die Kaiserin Katharina II. von Rußland, ein Exemplar des redenden Affen von Madagaskar.
Die Gesellschaft der Zoologen in Paris.«
Die Fürstin Daschkoff hatte von der Gesellschaft der Zoologen in Paris nie etwas gehört, aber sie verstand augenblicklich, daß der Brief von Diderot fingiert sei, und der Ueberbringer desselben gestand auch, daß er ein französischer Sprachmeister sei, welchen Diderot in Reval für seine Komödie gewonnen.
»Und wo ist der Affe? – Herr Diderot – will ich sagen,« fragte die Fürstin.
»In dem Hotel zum Auge Gottes, in welchem wir abgestiegen sind.«
»Gut, sagen Sie Herrn Diderot, daß ich ihn selbst mit meinem Wagen abholen werde.«
»Herr Diderot will sich in seinem Käfig transportieren lassen,« entgegnete der Sprachmeister.
»Um so besser,« sagte die Fürstin, »ich werde also mit den Leuten kommen, welche ihn tragen sollen.«
Die Fürstin bekleidete sich hierauf mit allen Zeichen ihrer Würde, der großen Allonge, dem roten Talar, der Kette und dem Stabe und fuhr zuerst in den Winterpalast, um der Kaiserin das überraschende Ereignis mitzuteilen. Dann eilte sie, von vier Hofbedienten gefolgt, welche eine Sänfte trugen, in den Gasthof zum Auge Gottes.
Indes hatte sich im Winterpalaste der ganze Hof versammelt, um den Affen mit allen diesem Wunder der Natur gebührenden Ehren zu empfangen. Auch Professor Lagetschnikoff war auf besonderen Befehl der Monarchin anwesend.
Der Augenblick, in welchem der Affe in den Saal hineingebracht wurde, war feierlich. Die Kaiserin stand in der Mitte ihrer Damen, die Herren bildeten einen Halbkreis.
Voran schritt die Fürstin mit dem als Doktor gekleideten Sprachmeister, hinter ihr trugen die vier Hoflakaien den Käfig auf ihren Schultern und setzten ihn langsam in die Mitte des Saales nieder.
Die Kaiserin eilte zuerst auf denselben zu, und dies war für alle Anwesenden das Signal, jede Etikette bei Seite zu lassen und den Käfig zu umringen; man drängte und stieß sich ohne Rücksicht, wie es der süße Pöbel macht, wenn er einen Savoyarden oder Bärentreiber anstaunt.
Diderots Maske war so gelungen und er verstand es so vortrefflich, die Haltung und Bewegungen des Affen nachzuahmen, daß alle getäuscht wurden, alle, bis auf Lagetschnikoff, den Ausstopfer.
Sein scharfes Auge erkannte selbst durch die Gitter hindurch sofort die Nähte, welche den Balg zusammenhielten.
»Oho! Ein Mensch im Affenbalg,« dachte er, »wir wollen abwarten, was das zu bedeuten hat.«
Die Kaiserin befahl, nachdem sich alle an dem Wunder satt gesehen, den Käfig in ihre Gemächer zu bringen.
»Ob er auch spricht?« fragte die schöne Gräfin Saltikoff.
»Wie heißt er?« wendete sich Orloff an den Sprachmeister.
»Jaques,« erwiderte dieser.
»Jaques,« rief die Kaiserin in französischer Sprache, »sprichst Du?«
»Ja,« gab der Affe deutlich zur Antwort.
»Er spricht!« schrie Katharina II. auf.
»Er spricht!« verwunderte sich der ganze Hof, »der Affe spricht.«
Der französische Zoologe hatte sich beeilt, das Weite zu suchen; die Kaiserin hatte zuerst die Absicht, ihm die Aufsicht über das Weltwunder zu übertragen, nun wurde ein vertrauter Hoflakai damit beauftragt.
Der Käfig wurde in einem besonderen Appartement aufgestellt, und die Kaiserin selbst fütterte den Affen, welcher mit großer Fertigkeit Früchte und Konfekt aus ihren Händen nahm und sich überhaupt als ein höchst gebildeter Affe erwies.
Bis zum Abend bot derselbe an und für sich durch seine einfache Anwesenheit im Winterpalaste genügenden Unterhaltungsstoff, aber es giebt nichts Unbeständigeres als Frauenlaune, und eine Selbstherrscherin hatte offenbar das Recht, die launenhafteste der Frauen zu sein.
Mittags war Katharina außer sich über ihren Affen, nachmittags machte er ihr noch große Freude, und als der Abend kam, war er ihr gleichgültig. Sie saß mit der Daschkoff in ihrem Boudoir und schnalzte mit den Fingern.
»Was fangen wir an?« rief sie ein wenig ermüdet.
»Lassen wir den Affen kommen,« sagte die Fürstin.
Die Kaiserin machte eine unnachahmlich verächtliche Bewegung mit den Lippen.
»Wo mag jetzt Diderot sein?« begann sie.
»Zu Schiff, Majestät.«
»Schade, wir könnten eine Lektion halten!«
»Aber der Affe,« sagte die Daschkoff.
»Ich kann doch nicht mit dem Affen Plato lesen!«
»Warum nicht,« gab die Fürstin zur Antwort, »es käme nur auf den Versuch an.«
Die Monarchin zuckte die Achseln. »Aber da fällt mir ein, daß wir noch garnicht wissen, ob der Affe auch abgerichtet ist,« sprach sie, »ob er Kunststücke kann.«
Der Fürstin wurde ein wenig bange um Diderot, aber der Mutwille siegte über das Mitleid. »O! gewiß kann er Kunststücke.«
Die Kaiserin machte hierauf, von der Daschkoff begleitet, dem Affen eine Visite, welcher recht trübselig in seinem Käfige dasaß und, als die beiden Damen eintraten, unzweideutige Zeichen von Freude gab.
»Lassen wir ihn heraus,« sagte die Daschkoff.
»Aber er kann uns beißen,« meinte die Zarin und schnell entschlossen, befahl sie dem Hofbedienten, noch vier andere mit Stöcken und Peitschen versehene Lakaien zu holen. Als die Leute zur Stelle waren, wurde der Käfig geöffnet.
Diderot stieg langsam heraus und dehnte seine Glieder, die in der fatalen Affenstellung im engen Käfig ziemlich steif geworden waren.
»He! Kannst Du Kunststücke?« fragte die Zarin.
Der Affe schüttelte, die gefährlichen Utensilien der Lakaien mißtrauisch betrachtend, den Kopf.
»Nein?«
»Nein,« antwortete der Affe.
»Aber ich will, daß Du Kunststücke machst,« entschied die Kaiserin mit der vollen Willkür einer Despotin, »einen Stock her, er muß über den Stock springen.«
Einer der Hoflakaien hielt den Stock, der Affe versuchte zu springen, aber die steifen Füße versagten den Dienst, und er fiel auf die Nase.
»Noch einmal,« gebot die Kaiserin.
Der Affe versuchte noch einmal, noch viermal, aber vergebens.
Katharina II. verlor die Geduld.
»Warte, ich will Dich abrichten,« rief sie mit zornig blitzenden Augen und nahm rasch einem der Diener die Peitsche aus der Hand.
Die Daschkoff war nahe daran, sich die Zunge vor Lachen abzubeißen, aber Diderot war es garnicht lächerlich zu Mute, er schrie auf und flüchtete sich hinter den Käfig, wo er am ganzen Leibe zitternd stehen blieb.
Der jämmerliche Anblick, welchen er bot, reizte endlich auch die Zarin zum Lachen. »Diesmal sei's Dir geschenkt,« rief sie, »Du boshafter Affe, aber Du sollst mir ordentlich dressiert werden. Sperrt ihn in den Käfig.«
Es geschah. Hierauf wurde Lagetschnikoff citiert.
»Herr Professor,« sprach die Kaiserin, »ich will, daß mein Affe Kunststücke lernt, und zwar in der kürzesten Zeit, ich habe Sie dazu ausersehen, ihn abzurichten, ich hoffe, Sie werden meinem Vertrauen entsprechen.«
Lagetschnikoff verbeugte sich lächelnd.
»Er soll sofort zu Ihnen gebracht werden,« fuhr Katharina II. fort, »ordne das Nötige an, Katinka.«
Jetzt war es Ernst, und diesmal war das Mitleid der Daschkoff doch stärker als ihr Mutwille. Als sie mit dem Professor durch die Reihe der Zimmer schritt, sprach sie leise aber dringend zu ihm: »Um Gotteswillen, Lagetschnikoff, thun sie dem Affen nichts zu Leide.«
»Und warum nicht, wenn ich bitten darf?« sagte Lagetschnikoff mit tückischer Demut.
»Weil – weil –,« stammelte die Prinzessin.
»Ich will es Ihnen sagen,« sprach Lagetschnikoff, »diese Komödie kann Laien täuschen, aber nicht das Auge des Gelehrten« – er hätte sagen sollen des Ausstopfers – »dieser redende Affe von Madagaskar ist ein Betrüger.«
»Schweigen Sie doch.«
»Ein Mensch!«
»Nicht so laut,« flehte die Fürstin.
»Ich will ihm schon sein Affenwesen herauspeitschen,« schwor Lagetschnikoff.
»Aber so nehmen Sie doch Vernunft an,« erwiderte die Daschkoff in der höchsten Angst, »es ist ja Diderot!«
»Diderot!« Lagetschnikoff war einen Augenblick starr vor Ueberraschung, aber sein Erstaunen machte schnell einem namenlosen Triumphe Platz, er war ganz rot vor Freude.
»Diderot selbst,« sprach er mit einem feinen Lächeln, »es ist mir sehr lieb, daß Sie mir dies gesagt haben, Prinzessin, und ich gebe Ihnen hiermit mein Ehrenwort, daß ich ihn so behandeln werde, wie er es verdient.«
Der redende Affe war auf Anordnung der Fürstin Daschkoff samt seinem Käfig in eine verdeckte Sänfte gesetzt und zu Lagetschnikoff gebracht worden, ohne daß er ahnte, was eigentlich mit ihm geschah. Die Fürstin vermied es bei dieser Gelegenheit, mit ihm in Berührung zu treten, und auch der Professor war so klug, Diderot die Gefahr zu verbergen, in welcher sich derselbe befand. Er setzte sich in seinen Wagen und fuhr voraus. Seine Wohnung befand sich in dem zoologischen Museum, wo er alleiniger Herr und Gebieter war, ein vollkommener Pascha. Ein halbes Dutzend Kabinettsdiener stand unter seinen Befehlen und war gewohnt, ihm auf den Wink zu gehorchen.
In dem Augenblicke, wo die Lakaien den Käfig im Museum abgesetzt hatten und das Thor hinter ihnen wieder geschlossen worden, war Diderot seinem Nebenbuhler auf Gnade und Ungnade preisgegeben.
Lagetschnikoff erwartete sein Opfer im Museum; das Zimmer, in welchem der mit einem Teppich verhüllte Käfig aufgestellt wurde, war auf seinen Befehl vorher glänzend erleuchtet worden, dann schickte er seine Diener fort und ließ den Teppich eigenhändig fallen. Diderot stieß vor Schreck einen Schrei aus. »He, Affe!« rief Lagetschnikoff, mit seinem Rohrstock durch die Stäbe stoßend, »gieb acht, was ich Dir sage. Die Kaiserin hat Dich mir zur Dressur übergeben und zwar soll ich Dich so rasch wie möglich zu den schwierigsten Kunststücken abrichten, das wird wohl ohne Schläge nicht gehen, nimm Dich also zusammen. Morgen früh ist die erste Lektion.« Der Affe begann zu toben, zu jammern, an dem Gitter zu rütteln.
»Ruhe!« gebot Lagetschnikoff, »reize mich nicht, hier bin ich unumschränkter Herr, und niemand rettet Dich vor meinem Zorn.«
Der Affe zog sich in eine Ecke zurück und fieberte vor Angst und Wut.
Lagetschnikoff verließ hierauf das Museum. Auf seine Anordnung wurden die Lichter verlöscht, und der Affe mußte bis zum nächsten Morgen fasten. Schlafen konnte er auch nicht viel, denn seine Lage in dem engen Käfige war recht unbequem, und seine Aufregung nahm eher zu als ab, und schlief er für kurze Zeit ein, so quälten ihn die entsetzlichsten Träume.
Lagetschnikoff stand am nächsten Vormittag wie immer ziemlich spät auf, dann machte er Toilette und befahl endlich, Diderot, welcher seit Tagesanbruch von Minute zu Minute seinen Peiniger erwartet hatte und bereits mehr tot als lebendig war, vorzuführen.
Während der Käfig herein gebracht, die Thüre desselben geöffnet und der Affe von den Dienern mit Stöcken herausgetrieben wurde, lag Lagetschnikoff im üppigen Schlafpelz behaglich auf einem türkischen Divan und betrachtete Diderot mit grausamem Vergnügen. Sein schönes frisches Gesicht blühte unter der koketten Puderperücke wie eine junge Rose, während sein Gegner, der »künftige Zar,« unter seiner Affenmaske kreideweiß wurde.
»Wie heißt Du?« fragte der Tyrann.
Diderot schwieg.
»Gieb mir die Peitsche,« sagte Lagetschnikoff mit einer leichten Kopfbewegung.
Einer der Diener reichte ihm eine große Peitsche an kurzem Stiel, bei deren Anblick dem armen Affen das Herz bis zum Halse hinauf schlug.
»Jaques, heiße ich,« schrie er, »Jaques.«
»Oho! ich sehe, Du bist bei weitem nicht so dumm wie Du aussiehst,« erwiderte Lagetschnikoff. »Also, Jaques, wir werden mit dem Stockspringen anfangen.«
Der Professor ließ einen der Diener den Stock hallen und rief dann im Tone eines Kunstreiters »Alloh! hopp! hopp!«
Diderot sah die Peitsche in Lagetschnikoffs Hand, die Stöcke der Diener und sprang daher mit allem Aufwand von Kraft und Geschicklichkeit über den Stock hin und zurück, und immer höher hielt man ihm den Stock auf Lagetschnikoffs Befehl, und immer höher sprang er.
»Bravo! Bravo!« rief der Professor, »ich sehe, Du bist gelehrig. Nun wollen wir Dich lehren, ein Frühstück servieren.«
Auf den Wink Lagetschnikoffs wurde ein Schokoladenbrett mit seinem Frühstück hereingebracht.
»Gieb acht, Jaques,« gebot der Professor, »stelle das kleine Tischchen von dort hierher.«
Der Affe beeilte sich zu gehorchen.
»Sehr gut. Jetzt die Schokolade.«
Auch dies gelang vortrefflich.
Lagetschnikoff aß hierauf mit großem Appetit.
»Bist Du hungrig, Jaques,« fragte er tückisch.
»O ja,« erwiderte der Affe.
»Sehr hungrig?«
»Sehr.«
»So ist's recht,« sprach der Professor, » Plenus venter non studet libenter.«
Nachdem er sein Frühstück beendet und der Affe das Service und Tischchen entfernt hatte, begann Lagetschnikoff: »Jetzt zu etwas Schwererem. Kannst Du auf dem Kopfe stehen?«
»Nein.«
»Nun, ich kann es auch nicht,« sprach der Professor, »aber wenn mich einer mit der Peitsche in der Hand unterrichten würde, möchte ich es wohl eben so rasch lernen, als Du es jetzt lernen mußt. Also,« er erhob sich und ließ die Peitsche knallen. Diderot schlug in seiner Angst zwei prächtige Purzelbäume, aber auf dem Kopfe stehen, das ging über sein Affentalent hinaus.
»Jaques, Du giebst nicht acht, auf eins, zwei drei, mußt Du es vollbringen,« rief Lagetschnikoff.
»Eins.«
Diderot setzte sich in Positur.
»zwei – drei –.«
Da lag der Affe platt auf dem Bauche.
»Ah! Du bist ungehorsam, warte nur,« schrie Lagetschnikoff, der diesen Augenblick längst mit wahrer Wollust erwartet hatte. »Ich will Dich lehren,« zugleich schwang er die Peitsche. Diderot machte einen Luftsprung und suchte die Peitsche zu ergreifen und als ihm dies nicht gelang, sich vor seinem Peiniger zu retten, aber Lagetschnikoff verfolgte ihn aus einer Ecke in die andere, bis er atemlos ausrief:
»Halten Sie ein, ich bin ja Diderot.«
Diese unerwartete Wendung brachte Lagetschnikoff zum Senken der Peitsche.
»Ich bin Diderot,« beteuerte der Philosoph noch einmal.
»Das kann jeder Affe sagen,« erwiderte sein Peiniger.
»Hol' Sie der Teufel,« schrie der Affe, »ich bin ja wirklich Diderot, es ist ja alles nur Scherz.«
»Bist Du wirklich Diderot,« erwiderte Lagetschnikoff mit feierlichem Ernste, »so war es der Urteilsspruch, einer höheren Macht, welcher Dich in einen Affen verwandelt und so erbärmlich in meine Hände gegeben hat damit Dein Hochmut, Dein Dünkel gedemütigt werde, und Du in mir Deinen Herrn und Meister erkennst. Erkennst Du das?«
»Ich sage Ihnen ja, lieber Herr Lagetschnikoff,« entgegnete der Affe, »ich bin kein Affe, sondern der wirkliche Diderot, in Affenbälge eingenäht.«
»Ich frage noch einmal: Erkennst Du in mir Deinen Herrn und Meister?« rief Lagetschnikoff.
»Ich in Dir meinen Meister? Du elender Tierausstopfer,« schrie Diderot und sprang seinem verhaßten Gegner an die Kehle. Er hätte ihn in seiner Wut erwürgt, wenn die Diener nicht dazwischen gesprungen wären. So war es aber das Werk weniger Augenblicke, daß er von Lagetschnikoffs Leuten überwältigt und auf seinen Befehl an den massiven Käfig gekettet wurde.
»So mein lieber Diderot,« begann Lagetschnikoff mit einem höhnischen Kopfnicken, »also ein elender Tierausstopfer bin ich. Nun warte nur!« Er streifte den weiten Aermel seines prächtigen Schlafpelzes zurück und begann seinen Nebenbuhler zu peitschen, sein schönes Gesicht strahlte dabei vor Vergnügen, während Diderot erst tobte, dann jammerte und endlich um Gnade bat. »Keine Gnade,« rief Lagetschnikoff fortpeitschend, »ehe Du mich nicht als Deinen Herrn und Meister anerkennst.«
»Ich erkenne Sie an,« schrie Diderot.
»Nicht so,« sprach sein Meister, »auf die Knie.«
Diderot zögerte, da traf ihn noch einmal die Peitsche und schon lag er vor seinem Nebenbuhler auf den, Knieen.
Den nächsten Tag wurden die Exerzitien mit dem Stocke fortgesetzt. Gegen Abend kam Lagetschnikoff in das Museum und verkündigte Diderot den Besuch der Zarin.
»Bei dem geringsten Versuch, den Sie machen, Ihr Affeninkognito zu brechen,« fügte er hinzu, »sind Sie verloren. Halten Sie sich das jederzeit vor Augen.«
Nachmittags erschien Katharina II., begleitet von dem Grafen Orloff.
Lagetschnikoff ließ die Monarchin auf einem Divan Platz nehmen und führte dann, gefolgt von seinen Dienern, deren einer mit einer türkischen Trommel, ein anderer mit Tamtams versehen war, den, wie er sich ausdrückte, »gezähmten« Affen vor.
»Sehen Sie dieses Exemplar einer boshaften, hochmütigen, betrügerischen Race,« sprach er mit Pathos, »nicht unähnlich unseren heutigen Gelehrten, Majestät, von mir binnen vierundzwanzig Stunden gezähmt, dressiert, meinem Willen vollkommen unterworfen.«
Diderot wütete innerlich.
»Nun, Jaques,« fuhr Lagetschnikoff fort, »zeige Deine Künste.«
Er hielt ihm den Stock hin. Hopp!«
Der Affe sprang mit Grazie und immer höher und höher.
»Bravo! Bravo!« rief Katharina II., und klatschte in die Hände.
»Wirklich erstaunlich,« fügte sie nach einer Weile hinzu.
»Nun bringe Ihrer Majestät ein Glas Wassers gebot Lagetschnikoff.
Der Affe goß aus einer auf einem Nebentisch bereit stehenden Karaffe Wasser in ein Glas und reichte es Katharina II. In dem Augenblicke, wo sie es nahm und er ihr also ganz nahe war, schien ihm die Gelegenheit, seinem Peiniger zu entkommen, doch zu günstig; er stürzte plötzlich der Kaiserin zu Füßen und schrie: »Retten Sie mich, Majestät, ich bin Diderot.«
Katharina II. hörte jedoch von seinem Angstschrei kaum mehr als eine Silbe, denn Lagetschnikoff hatte den Fall vorgesehen, und wie Diderot sich vor der Kaiserin niederwarf, fielen seine Leute mit einer ohrenzerreißenden Janitscharenmusik ein, welche seine weiteren Worte verschlang. Zu gleicher Zeit ergriffen andere den unglücklichen Philosophen und schleppten ihn hinaus.
Als dies geschehen war, verstummte die Musik.
»Majestät,« sprach Lagetschnikoff, sich bei der Kaiserin, welche sich die Ohren zugehalten hatte, entschuldigend, »vergeben Sie dieses drastische Mittel, aber es ist das einzige, dieses bösartige Tier, wenn ein Ausbruch seiner Bestialität erfolgt, zu betäuben, einzuschüchtern und zu bewältigen.«
»Aber das Tier schien doch vorher so ruhig, so zahm?« meinte Orloff.
»Das ist eben das Gefährliche seiner Natur, diese Tücke, diese jesuitische Heuchelei, möchte ich sagen. Man ist bei dieser Gattung Affen nie sicher, daß man nicht plötzlich erwürgt oder mindestens erheblich verletzt wird.«
»Sie halten es also nicht für möglich, Professor,« sprach die Kaiserin, »daß dieser Affe hier je ohne Gefahr im Zimmer gehalten werden kann?«
»Unmöglich,« beteuerte Lagetschnikoff, »ich würde für nichts stehen.«
»Was also dann mit ihm anfangen?« meinte Katharina.
»Es ist jedenfalls ein seltenes Exemplar,« erwiderte Lagetschnikoff, »ich würde ihn mir daher für das Museum ausbitten.«
»Sie wollen ihn töten?«
»Ich will ihn ausstopfen, Majestät,« sprach Lagetschnikoff, »vollkommen dressieren läßt er sich einmal nicht.«
»Also Sie wollen, daß ich sein Todesurteil unterschreibe?«
»Nein, Majestät, schenken Sie ihn nur dem Museum.«
»Also gut, lieber Lagetschnikoff,« sprach die Kaiserin, »ich mache Ihnen den Affen zum Geschenk.«
»Mir, Majestät?« rief Lagetschnikoff vor Vergnügen errötend.
»Ja, Ihnen. Nun was ist besonderes daran?«
»Also der Affe gehört mir, ganz mir?«
»Ja.«
»Graf Orloff, Sie sind Zeuge,« sagte Lagetschnikoff lauernd.
»Wozu diese Umstände, Professor,« sprach die Kaiserin, sich zum Fortgehen anschickend.
»Majestät, ich habe Ihr Wort,« rief Lagetschnikoff, »der Affe ist mein. Ich stopfe ihn auf der Stelle aus.«
Lagetschnikoff dachte allen Ernstes daran, seinen unglücklichen Nebenbuhler auszustopfen. Von einem Bedenken oder Mitleid war keine Spur in ihm, er war trotz allem äußeren Schliff, trotz aller Eleganz, ja Feinheit, welche er sich angeeignet hatte, doch ein Barbar und lebte zu einer Zeit, in welcher man noch in den gebildetsten Ländern täglich Menschen auf die grausamste Art foltern und hinrichten sehen konnte, in einem Lande, wo es gleich Tieren behandelte Sklaven gab und das Menschenleben keinen Wert hatte.
Er wollte sich nicht einmal damit begnügen, seinen Gegner zu töten.
Wie die Justiz jener Tage ihrem Opfer erst tagelang die Glieder verrenkte und zerriß, ehe sie dasselbe dem Henker übergab und dieser es auf der Kuhhaut zur Richtstätte schleifte und stundenlang mit dem Rade quälte, ehe er ihm den Gnadenstoß gab, ebenso bereitete sich Lagetschnikoff vor, den unglücklichen Philosophen mit vollem Behagen zu zerfleischen. Nachdem er sich ein lukullisches Souper und einige Flaschen feinen französischen Weines in sein Laboratorium hatte stellen lassen, machte er sich's erst recht bequem, schlüpfte in seine türkischen Pantoffeln und seinen prächtigen weiten Schlafpelz und befahl dann, den Affen hereinzubringen.
Sechs Diener trugen Diderot, welcher vergebens sich zu wehren versucht hatte, in das Laboratorium und schnallten ihn an Armen und Beinen auf den Seciertisch fest.
Lagetschnikoff beschäftigte sich indes kaltblütig mit einer Pastete.
Die Diener entfernten sich.
»Sie werden mich mißhandeln, Herr Lagetschnikoff?« begann Diderot.
»Nein,« erwiderte jener mit einem teuflischen Lächeln, »ich werde Sie ausstopfen.«
»Ausstopfen!« schrie Diderot auf.
»Ja, ausstopfen für mein Museum, wenn Sie nichts dagegen haben.«
»Es kann Ihr Ernst nicht sein.«
»Es ist mein voller Ernst.«
»Sie sind toll?«
»Sie waren toll,« erwiderte Lagetschnikoff, ein Glas Wein schlürfend, »als Sie mich beleidigten.«
»Ich habe mich dafür vor Ihnen gedemütigt.«
»Wie es sich gehört,« sagte sein Peiniger artig, »aber daraus folgt noch nicht, daß ich Sie nicht ausstopfen darf.«
»Wollen Sie einen Mord begehen?« tobte Diderot.
»Was wählen Sie für pöbelhafte Ausdrücke für Experimente der Wissenschaft, mein Herr Philosoph,« höhnte Lagetschnikoff, »nennt man bei Ihnen in Frankreich einen Affen ausstopfen einen Mord begehen?«
»Aber ich bin kein Affe!«
»Sie sind ein Affe,« entgegnete Lagetschnikoff, »für mich sind Sie ein Affe und sind es auch immer gewesen.«
»Vergessen Sie, daß mich das Gesetz schützt?«
»In Rußland giebt es kein Gesetz, als den Willen der Zarin,« antwortete Lagetschnikoff.
»Die Kaiserin wird Sie strafen.«
»Die Kaiserin!« lächelte Lagetschnikoff, »eben die Kaiserin war es, die Sie mir zum Geschenk gemacht hat.«
»Mich!« schrie Diderot auf.
»Ja, Sie.«
»Mich, Diderot?«
»Sie, den Affen von Madagaskar.«
Lagetschnikoff hatte sein Souper beendet, wischte sich den Mund mit der Serviette, schloß die Thür und holte seine Instrumente.
»Herr Lagetschnikoff, haben Sie doch Erbarmen,« begann der Affe zu flehen, als er sah, daß sein Feind Ernst machte.
»Ich habe kein Erbarmen,« lächelte Lagetschnikoff, »ich stopfe Sie aus, gerade so, wie Sie mich ausgestopft hätten, wenn Sie Kaiser von Rußland geworden wären.« Er begann sein Messer zu wählen und zurecht zu legen.
»Um Gotteswillen,« stöhnte Diderot.
»Machen Sie sich doch nicht lächerlich,« höhnte sein Peiniger, »für uns Philosophen giebt es ja keinen Gott.«
»Es giebt einen Gott« schwor Diderot in seiner Todesangst.
»Wenn es einen giebt,« entgegnete Lagetschnikoff, sich, das Messer in der Hand, seinem Opfer nähernd, so hat er Sie in meine Hand gegeben zur Strafe für Ihren Dünkel und Hochmut, und ich werde Sie ohne Erbarmen ausstopfen,« und nachdem er die Aermel seines Schlafpelzes emporgeschlagen, setzte er sein Messer mit einem grausamen Lächeln auf die Brust des winselnden Diderot.
»Nun, hat Lagetschnikoffs Zögling Fortschritte gemacht, Majestät,« fragte die Daschkoff die Zarin, als dieselbe in ihre Gemächer zurückgekehrt war.
»Ah! Es ist ein bösartiges Tier,« erwiderte Katharina II., »wir haben es aufgegeben. Lagetschnikoff stopft ihn aus.«
»Stopft ihn – aus?« stammelte die Daschkoff.
»Warum nicht?« rief Katharina II, »ich habe ihm den Affen zum Geschenk gemacht, und er schien sehr glücklich darüber.«
»Und er will ihn ausstopfen?«
»Ja, allerdings ausstopfen,« entgegnete die Kaiserin ungeduldig, »und zwar sogleich.«
»Mein Gott – der Affe –« schrie die Daschkoff, »es ist ja Diderot!«
»Diderot?«
»Diderot, ja, Diderot,« rief die Daschkoff, »er ist imstande, ihn zu töten.«
»Diderot – ausgestopft – es ist zum Totlachen,« rief die Kaiserin und brach in ein schallendes Gelächter aus. Die Fürstin aber eilte die Treppe hinab in ihren Wagen und jagte zu dem Museum, um Diderot zu retten. Sie war in Todesangst.
Es dauerte einige Zeit, ehe man ihr öffnete, sie flog die Treppe hinauf und an die Thür des Laboratoriums.
»Lagetschnikoff! Oeffnen Sie!«
»Zu welchem Zweck,« erwiderte er, »ich kann nicht öffnen.«
»Im Namen der Kaiserin!«
»Ich stopfe eben im Namen der Kaiserin den Affen aus.«
»Aber es ist ja Diderot,« rief die Fürstin.
»Nun so stopfe ich Diderot aus,« erwiderte Lagetschnikoff ruhig, »ich frage nicht, wen ich ausstopfe, ich gehorche nur dem Befehle der Kaiserin.«
»Die Kaiserin befiehlt Ihnen, bei Gefahr Ihres Lebens, Diderot frei zu lassen.«
Jetzt erst ließ Lagetschnikoff, wenn auch unwillig, von seinem Beginnen ab und öffnete die Thür.
»Lebt er noch?« fragte die Daschkoff.
»Leider.«
»Leider, leider.«
Diderot war gerettet. Die Daschkoff brachte ihn im Triumphe in den Palast zurück, aber den Philosophen brannte fortan das Petersburger Parkett unter den Füßen.
Wenige Tage darnach verließ er Hof und Reich der nordischen Semiramis.
Er kehrte wie alle französischen Gelehrten mit Diamanten beladen nach Paris zurück, aber es ist nicht bekannt, daß er in die Lobeshymnen seiner Vorgänger auf Katharina II. und Rußland mit eingestimmt hätte.