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Man mag den Gründen des Eintritts der Vereinigten Staaten in den Krieg noch so sorgfältig nachgehen, man mag die Ursache des bereits im Juli 1914 aufflammenden Hasses gegen alles Deutsche noch so genau prüfen – ein unerklärlicher Rest bleibt.
Auch ich weiß, daß ich selber für alle Gründe, die ich anführen mag, genau so triftige Gegengründe ins Treffen führen kann. Wie ich schon schrieb, war ich vor dem Weltkrieg zweimal in den Vereinigten Staaten – das zweitemal bis kurz vor Ausbruch des Krieges – und habe von deutschfeindlicher Stimmung nichts gemerkt. Ich habe mir das mit meiner damaligen Jugend und Unerfahrenheit zu erklären versucht. Als ich aber in England weilte, war ich auch nicht älter und erfahrener, und dort fiel mir die feindselige oder zum mindesten argwöhnische Haltung gegen uns sofort auf. Andere Leute waren gleichzeitig mit mir in den Vereinigten Staaten, sehr viel ältere, sehr viel erfahrenere, ihnen entging gleichfalls völlig, welch furchtbarer Stimmungsumschlag sich gegen Deutschland und alles Deutsche vorbereitete. Es gibt Deutsche, die als Journalisten, als Beamte, als Kaufleute, als Lehrer, seit zehn, zwanzig, dreißig und vierzig Jahren in den Vereinigten Staaten lebten, die längst Amerikaner geworden waren, englisch so gut, wenn nicht besser, als deutsch sprachen, die auf Grund ihrer Stellung, ihrer Beziehungen, ihrer Erfahrungen überzeugt waren, Amerika und die Amerikaner genau zu kennen, und die trotzdem von dem plötzlichen Ausbruch von Deutschenhaß und Deutschenhetze genau so überrascht wurden wie Volk und Regierung in Deutschland. Erinnern wir uns: anläßlich der japanischen Kriegserklärung haben viele von uns sogar gehofft, jetzt würden die Vereinigten Staaten mit uns gehen!
Nach dem Zusammenbruch mußten wir weiterleben. Von unsern Gegnern schienen die Amerikaner noch am wenigsten grausam und unerbittlich. In unserer Not klammerten sich unsere Hoffnungen sogar an sie. Die Amerikaner schickten uns Lebensmittel, die Deutschen in Amerika ließen uns Millionen und Millionen an Unterstützungen zukommen. Die amerikanischen Anleihen halfen uns, weiterzuleben und unsere Industrie wieder aufzubauen. Die amerikanischen Besatzungstruppen am Rhein stachen von den englischen und erst recht den französischen derart günstig ab, daß die Bevölkerung sie nach kurzer Zeit kaum noch als Feind ansah, und daß sich Freundschaftsbande zwischen Besatzung und Bevölkerung anknüpften. Noch heute kann man es in den Staaten immer wieder erleben, daß ein Kriegsteilnehmer über das ganze Gesicht strahlt, wenn die Unterhaltung auf den Rhein kommt.
So haben wir es zwar nicht vergessen, aber doch in unserm Bewußtsein zurückgedrängt, daß wir Zusammenbruch und Niederlage in erster Linie den Vereinigten Staaten verdanken: ihrer Haltung, die von Anfang an nicht neutral war, der unbegrenzten Unterstützung mit Geld, Munition und Lebensmitteln, die sie den Alliierten angedeihen ließen, den zwei Millionen frischer Truppen, die sie im Sommer und Herbst 1918 unserm erschöpften Heer an der Westfront entgegenwarfen, und nicht zum wenigsten den berüchtigten vierzehn Punkten Wilsons und dem schändlichen Streich, den er gegen die Widerstandskraft von Heer und Heimat führte, als er einen gerechten Frieden versprach, wenn das deutsche Volk nur die Demokratie einführen wollte.
Die deutschblütigen Amerikaner aber mußten erst recht mit ihren angelsächsischen Landsleuten weiterleben. Nach Deutschland zurück konnten und wollten sie meist auch nicht, schließlich waren sie keine Deutschen, sondern Amerikaner, viele seit zwei und mehr Generationen. Außerdem verschwand die Haßwelle so rasch, wie sie aufgetaucht war. Die Verhafteten wurden wieder entlassen, die Ausnahmegesetze und Beschränkungen aufgehoben. Was man während der Kriegszeit durchgemacht hatte, deuchte bald nur noch ein böser Traum. Eine schwer oder auch kaum zu heilende Wunde blieb zurück. Aber man sprach nicht davon, um ihre Vernarbung nicht zu stören, und bald schien alles wieder wie vorher.
Man hat sich hier wie drüben auf ein paar Formeln und Redensarten geeinigt, die zur Erklärung einer an sich unerklärlichen Erscheinung dienen sollen: die angloamerikanische Sympathie für England wie die allgemein amerikanische für die Sache der Demokratie, das Mitleid mit »poor little Belgium«, die einseitige Propaganda, die Haltung der Presse, die Greuelhetze und schließlich die Finanzinteressen des Großkapitals. All diese Hetze entstand, weil sich die ursprüngliche Freundschaft zwischen Deutschland und Amerika allmählich in Gegnerschaft verwandelt hatte, weil man auf dem Weltmeer und im Welthandel zusammenstieß, und weil Amerika die deutsche Weltherrschaft fürchtete.
Das ist alles ganz gut und schön. Ich kenne alle diese Gründe, und ich habe sie ja alle selber angeführt. Aber wenn man ehrlich gegen sich ist, muß man zugeben, daß sie gar nichts beweisen. Schön, man fürchtete die deutsche Weltherrschaft, aber einstweilen war die britische Weltherrschaft immer noch eine sehr viel wirklichere Drohung. Im Konflikt mit Venezuela hatte Deutschland die Monroedoktrin bedroht, aber Großbritannien hatte es in noch stärkerem Maß getan, da es nicht nur Geld von der südamerikanischen Republik forderte, sondern sogar Land.
Die monarchische Staatsform soll den Amerikanern ein Dorn im Auge gewesen sein und der Kaiser verhaßt. Das erstere stimmt sicher, aber die Monarchie und besonders die deutsche war den Amerikanern in den Jahren vor Kriegsausbruch ziemlich gleichgültig, und sie tat jedenfalls den starken Sympathien, die man damals für Deutschland hegte, keinen Abbruch. Der Kaiser aber war geradezu populär. Ich erinnere mich genau, wie Amerikaner, und zwar gerade rein angelsächsische von ihm schwärmten. Als Mitstreiter für die Demokratie aber war das zaristische Rußland doch reichlich anrüchig. Außerdem war die Bundesgenossenschaft Japans nicht sehr angenehm, und ebensowenig waren es die farbigen Truppen, die England und Frankreich ins Feld führten.
Presse und Propaganda? – Nun, man kann sehr viel damit machen, aber doch nicht alles. Außerdem flammte der Deutschenhaß gleich mit Kriegsbeginn auf, ehe die Propaganda hatte wirken können, ganz abgesehen davon, daß es so viel Geld gar nicht gibt, um alle amerikanischen Zeitungen zu kaufen, daß die großen Pressekonzerne auch nicht käuflich sind.
Man mag noch so viele Gründe anführen, immer bleiben noch genug Vorgänge, die unerklärlich sind. Wie war es möglich, daß ein Volk, das selbst zu einem Viertel aus deutschem Blut bestand, das die engsten kulturellen, wirtschaftlichen und privaten Beziehungen zu Deutschland unterhielt, das Deutschland bis zum Tag des Kriegsausbruchs als das Musterland der Humanität, der Sozialversorgung, des Unterrichts gepriesen hatte, dem man auf allen diesen Gebieten nacheiferte, daß ein solches Volk auf eine so augenfällige und niederträchtige Greuellüge wie die von den abgehackten Kinderhänden oder den gekreuzigten Gefangenen hereinfiel? Wie war es möglich, daß ein Mann wie Theodore Roosevelt, der Deutschland und den deutschen Kaiser in den höchsten Tönen gelobt hatte, gleichsam von heute auf morgen beide in der heftigsten Weise angriff und zum Krieg hetzte? Wie war es möglich, daß Amerikaner deutsche Mitbürger, die gleich ihnen in Amerika geboren waren, deren Loyalität dem Sternenbanner gegenüber sie genau kannten, mit denen sie nachbarlich befreundet waren, verleumdeten, denunzierten, verhaften ließen?
Man hat in Amerika, besonders in deutschen Kreisen, aus verständlichen Gründen, aus Scham und Stolz, so rasch wie möglich zu vergessen gesucht, was den Deutschen in den Staaten während des Krieges angetan worden ist. So hört man nichts davon, wenn man nicht nachforscht. Tut man das aber, so stößt man auf erschreckende Dinge. Wer in jener Zeit in der Öffentlichkeit eine deutschgeschriebene Zeitung las, eine der deutschen Zeitungen, die in Amerika erschienen und ausnahmslos loyal und patriotisch waren, dem konnte es geschehen, daß sie ihm aus der Hand geschlagen, daß darauf getreten und gespuckt wurde. Wer ein deutsches Wort sprach, lief Gefahr, mißhandelt zu werden. Zahlreiche Lehrer und Pfarrer hat man geteert, gefedert, gepeitscht, mißhandelt, nur weil sie Deutsche waren. Ungezählte hat man aus Amt und Würden gejagt, zur Polizei gerufen, in Gewahrsam genommen, verhört, verhaftet. Dabei waren alle Deutschamerikaner trotz aller Anfeindungen loyal. Selbst in Deutschland geborene amerikanische Staatsbürger, die immer für Deutschland eingetreten waren, versicherten bei der Kriegserklärung, wenn auch mit gebrochenem Herzen, daß jetzt nichts anderes übrigbleibe, als die Waffen für das Adoptivvaterland zu ergreifen und gegen die alte Heimat zu Felde zu ziehen, auch wenn diese im Recht, die neue aber im Unrecht sei.
Man mag der Ansicht sein, man solle heute die alten Geschichten ruhen lassen. Was geschehen ist, sei doch nicht ungeschehen zu machen, und grübe man sie aus, so laufe man lediglich Gefahr, das Verhältnis zwischen uns und den Vereinigten Staaten, zwischen Amerikanern deutschen und englischen Bluts neuerdings zu trüben. Diese Ansicht hat überaus viel für sich, schon weil es wesentlicher bequemer ist, die Dinge auf sich beruhen zu lassen. Wer jedoch die Rolle des deutschen Anteils in den Vereinigten Staaten verstehen will, der kommt nicht darum herum, sich mit der amerikanischen Kriegspsychose auseinanderzusetzen.
Die Geschichte des amerikanischen Deutschtums ist überaus einfach bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Pastorius, Steuben, Bürgerkrieg, das sind alles Marksteine, an denen man sich weiterhelfen kann. Carl Schurz ist der letzte von ihnen. Damit hört es auf, damit ist bei Gedenktagen und in Festschriften Geschichte und Rolle des amerikanischen Deutschtums zu Ende. Gelingt es jedoch nicht, sie als lebendiges Erlebnis mit schicksalhafter Notwendigkeit über den Weltkrieg hinaus bis auf den heutigen Tag und an die Tore der Zukunft zu führen, dann haben jene recht, die vom amerikanischen Deutschtum lediglich in der Vergangenheitsform reden. Dann sind Pastorius, Steuben und Schurz wirklich nur gut genug, gelegentlich bei Kegel- oder Sängerbundesfesten als Schaustücke aus dem Staub der Vergangenheit herausgeholt und am nächsten Tage wieder vergessen zu werden. Das amerikanische Deutschtum steht heute in der entscheidenden Krise. Gelingt es ihm nicht, über den Abgrund des Kriegserlebnisses hinweg die Brücke von der Vergangenheit in die Gegenwart zu schlagen und einen neuen festen Stand einzunehmen, so ist seine Rolle als bewußt mitgestaltender und mitbestimmender Faktor des amerikanischen Schicksals endgültig zu Ende.
Geht man den letzten Gründen des Eintritts Amerikas in den Weltkrieg nach, so kommt man immer weiter zurück, bis man schließlich bei der Unabhängigkeitserklärung landet. Von einem genügend entfernten Standpunkt der geschichtlichen Betrachtung aus verschwindet der Schnitt des Bürgerkriegs, der gewöhnlich als so entscheidend und einschneidend empfunden wird, und die ganze, anscheinend so bunte und vielgestaltige Zeitenfolge von 1776 bis 1917 fließt in einen einzigen, in sich geschlossenen und logisch sich entfaltenden Geschichtsabschnitt zusammen.
Nun ist selbstverständlich alle Einteilung willkürlich. Den Fluß oder vielmehr Ozean des weltgeschichtlichen Geschehens in Abschnitte einteilen, bedeutet im Grund nichts anderes als das künstliche Netz von Längen- und Breitengraden, das wir über die Erde gelegt haben. Es ist ein Hilfsmittel zur Standortsbestimmung, das keinerlei Wert an sich besitzt.
Die Geschichte Amerikas als eines eigenen, politischen Lebewesens hatte genau so bereits lange vor der Unabhängigkeitserklärung begonnen, wie ihr Dasein als englische Kolonie auch mit dem Frieden von Paris noch nicht beendet war, der den dreizehn Kolonien ihre staatliche Selbständigkeit verbriefte und versiegelte. Genau so aber, wie ein Kapitän auf hoher See jeden Mittag an der Sonne den Standort seines Schiffs bestimmt und auf der Karte einträgt, muß der Historiker in gewissen Abständen Standorte des Weltablaufs in der Zeit setzen.
Es ist klar, daß in der verkürzenden Rückschau des vergangenheitwärts gerichteten Blicks diese Marksteine sehr viel bestimmter und berechtigter erscheinen als die inmitten des wildbewegten Zeitgeschehens. So mag es reichlich willkürlich dünken, mit Woodrow Wilson und dem Weltkrieg den ersten Abschnitt der amerikanischen Geschichte abzuschließen. Ob eine solche Einteilung richtig ist, wird erst eine sehr viel spätere Zeit zu entscheiden vermögen, wie umgekehrt Jefferson sich wahrscheinlich nicht bewußt war, daß er mit seiner Unabhängigkeitserklärung den Meilenstein Nr. 1 der amerikanischen Geschichte setzte.
Die Geschichte der Vereinigten Staaten ist tatsächlich in bemerkenswerter Weise durch die besondere Art der Abfassung der Unabhängigkeitserklärung geprägt und in ihrem Ablauf beeinflußt worden. Ja, man kann beinahe sagen, sie hätte einen andern Verlauf genommen, wären gewisse Sätze, die im ursprünglichen Entwurf stehen, nicht später abgeändert oder gestrichen worden.
Weiter ist wesentlich, daß alle großen Worte der Unabhängigkeitserklärung die einfache Tatsache nicht aus der Welt schaffen konnten, daß der junge Staat auch weiterhin in kultureller, literarischer und gesellschaftlicher, ja bis zu einem gewissen Grad selbst in politischer Hinsicht eine englische Kolonie blieb.
Die allumfassende Menschheitsbeglückung der Unabhängigkeitserklärung und das Verhaftetbleiben mit dem britischen Mutterland auch nach der Lostrennung haben das amerikanische Schicksal bis auf den heutigen Tag bestimmt, wo es in einen neuen Abschnitt eintritt. Der Gegensatz zwischen diesen beiden Faktoren, die die Grundlage des amerikanischen staatlichen Bestehens bilden, erklärt die plötzlichen Schwankungen wie die Unberechenbarkeit der amerikanischen Politik.
Die Unabhängigkeitserklärung war einmal, wie bereits ausgeführt, eine politische Propagandamaßnahme, zum andern aber bildete sie die Fanfare für revolutionäre Schwärmer und Weltverbesserer, denen der Kongreß, der dreizehn Kolonien in Philadelphia eine wunderbare Plattform für die Verkündigung ihrer Ideen gab. Von diesen Propagandisten der Weltrevolution stammt die Verkündigung der Menschenrechte und die Verankerung jenes missionierenden Geistes und des demokratischen Kreuzrittertums in den Grundlagen der amerikanischen Verfassung, die freilich auch in der puritanischen Unduldsamkeit wie dem Glaubenseifer der Pilgerväter begründet sind.
Die Väter der Verfassung hatten bei Stellung dieser Missionsaufgabe zunächst nur an den eigenen Erdteil gedacht. Als der Pazifik aber erreicht war, als man, getragen und getrieben von der imperialistischen Zeitströmung, über die Grenzen des eigenen Erdteils hinauszudringen begann, da wurde die amerikanische Aufgabe zur Weltmission, da entstand der Gedanke, die ganze Erde mit der amerikanischen Demokratie zu beglücken, »to make the world safe for democracy!«.
Damit sind wir bereits bei den Wurzeln von Amerikas Eintritt in den Weltkrieg wie dem Haßfeldzug und Kreuzzug gegen alles Deutsche. Der weltrevolutionäre Missions- und Beglückungsgedanke war in den angelsächsischen Amerikanern lebendig geblieben, verkoppelt mit ihrem Überlegenheitsgefühl und Herrschaftsanspruch über ganz Amerika. Was die andern Völker, besonders die Deutschen, für die Union getan, hatte man mit sehr gemischten Gefühlen hingenommen. Der Haßausbruch gegen die Deutschstämmigen nach der Schlacht bei Chancellorsville entsprang den gleichen Quellen wie die Deutschenhetze bei Ausbruch des Weltkriegs.
Es wäre nun durchaus falsch, die Gründe nur in Neid und Mißgunst gegen den erfolgreichen deutschen Konkurrenten zu sehen. Es war auch viel echter Glaube und Fanatismus dabei. Wären nicht die Massen des amerikanischen Volks und im Grund Wilson selbst davon durchdrungen gewesen, im Recht zu sein und für eine heilige Sache zu streiten, dann hätten die Deutschenverfolgung wie die Kriegsbegeisterung nie einen derartigen Grad erreicht, ja, den Interessenten und bewußten Kriegshetzern wäre es wahrscheinlich gar nicht gelungen, die Vereinigten Staaten in den Krieg zu treiben.
Die beiden amerikanischen Grundströmungen, die des eroberungssüchtigen Weltverbesserungswahns und die des in seinem unbedingten Herrschaftsanspruch bedrohten Angelsachsentums, trafen sich bei Kriegsausbruch und stießen vereint auf Deutschland und das Deutschtum. Daß der Umschwung so kraß und plötzlich war, daß man von heute auf morgen seine Ansichten und Urteile änderte, findet seine Erklärung in dem gefährlichen Schwanken des amerikanischen Charakters. Außerdem war es leicht, Deutschland gegenüber die Front zu wechseln. In dem Augenblick, wo man es als Gegner empfand, schaltete man der Monarchie und dem Kaiser gegenüber wieder auf die anfänglichen und einfachsten Empfindungen aus der Zeit des Unabhängigkeitskriegs um: der Kaiser wurde zum blutigen Tyrannen und die Monarchie zur Zwangsknechtschaft, von der man das deutsche Volk befreien mußte. Mit dem Schlag gegen das Deutschtum im eigenen Land aber wollte man gleichzeitig auch die andern viel zu zahlreich und einflußreich gewordenen Nationen treffen und die alte angloamerikanische Überlegenheit und Führung ein für allemal wieder aufrichten und sichern.
So wurde der Eintritt der Vereinigten Staaten in den Krieg zum Kreuzzug Amerikas für die Weltdemokratie. Gleichzeitig wurde der Krieg damit aber auch zu einem Höhepunkt der ganzen amerikanischen Geschichte, zur Krönung einer Entwicklung, die auf dieses Ziel von der Verkündigung der Unabhängigkeit und der Ausrufung der Menschenrechte an hingearbeitet zu haben schien: die Befreiung der Welt von aller Tyrannei durch amerikanische Waffen, die Gründung des Weltbunds der Nationen durch den amerikanischen Präsidenten, die Verwirklichung der Verkündigung der Menschenrechte in der Unabhängigkeitserklärung: Leben, Freiheit und Glück für die gesamte Menschheit.
Die äußerste Hochspannung der Erwartung und die Weite des gesteckten Ziels mußten naturgemäß zu einem entsprechenden Rückschlag führen, sobald dieses nicht oder nicht annähernd erreicht wurde. Das Versagen Wilsons in der Durchsetzung seiner Grundsätze gegenüber den Staatsmännern der Entente in Paris bedeutete nicht nur den Prestigeverlust eines amerikanischen Präsidenten, der seine Ehre für einen gerechten Frieden ohne Sieger und Besiegte verpfändet hatte, sondern viel mehr, als man im ersten Augenblick übersehen konnte. Die Weigerung des amerikanischen Senats, dem von Wilson geschaffenen Völkerbund beizutreten, war nicht nur eine Niederlage des Präsidenten, sondern mehr, der Zusammenbruch der großen revolutionären Idee, die in der Unabhängigkeitserklärung niedergelegt worden war, und die trotz aller Zwiespältigkeit und Kuhhandel neben den unbegrenzten Möglichkeiten des unerschlossenen Landes doch die Grundlage zu dem traumhaften Aufstieg einiger armseliger kleiner Kolonien zur stärksten Weltmacht gelegt hatte. Diese Idee von Amerika als dem Land der Freiheit, der Gleichheit, der Gerechtigkeit, der gleichen Möglichkeiten für alle, hatte eine ungeheure Triebkraft bedeutet, auch nachdem sie nicht mehr stimmte, ja, obgleich sie nie gestimmt hatte. Jetzt aber lag der Mißerfolg, das Versagen der Idee, zu klar vor aller Augen. Amerika hatte einen ungeheuren Anlauf genommen, die demokratische Weltidee zu verwirklichen und eine neue gerechte Weltordnung einzuführen. Es hatte diesen unter weithin tönenden Verkündigungen unternommenen Versuch wieder aufgegeben, ohne sich auch nur ernsthaft darum zu bemühen, aus kleinlichen, eigennützigen Interessen, aus Verantwortungsscheu, aus Feigheit oder Unfähigkeit. Es war einerlei, aus welchen Beweggründen es geschah, die Wirkung war jedenfalls vernichtend. Die Vereinigten Staaten waren als Führer in viel weitergehendem Maß erledigt, als sie es sich selber klarmachten. Die von ihnen fallengelassene Idee der »Menschheitsbeglückung und Weltverbesserung« wurde von den Bolschewiken aufgenommen, die damit das weltrevolutionäre Erbe der Demokratie antraten.
Damit hatte der demokratische Gedanke die Stoßkraft und Überzeugungsgewalt verloren, die ihm bisher innewohnte. Als ganz natürliche Folge mußten die Demokratien, die auf Grund der Versprechungen von Wilson entstanden waren, eine nach der andern zusammenbrechen. Völlig neue staatliche und gesellschaftliche Ideen sprangen auf. Ihnen wie den kommunistischen gegenüber geriet die Demokratie alsbald überall in die Verteidigung. Von einer Weltdemokratie war sehr bald keine Rede mehr, ja, in dem Stamm- und Ursprungsland der Demokratie selbst, in den Vereinigten Staaten, entstanden Gegenkräfte.
Damit ist eine vollkommen neue Lage in der Welt wie besonders in den Vereinigten Staaten entstanden, dort derart, daß man wohl von dem Ende des Abschnitts reden kann, der mit der Unabhängigkeitserklärung begann.
Da geschichtliche Epochen im Leben aber nie so plötzlich anfangen und enden wie in Geschichtsbüchern, da sie immer allmählich vor sich gehen, so ist man sich in Amerika des schicksalvollen Wandels im allgemeinen noch nicht bewußt. Man hat zwar eine dumpfe Ahnung und zieht sich deshalb aus Europa wie aus Asien zurück. Ja, auch die Aufgabe aller imperialistischen Politik in Amerika selbst, der Rückzug aus Mittamerika und Westindien, hat hier ihre Wurzeln.
Mit dem Rückzug allein ist es jedoch nicht getan. Selbst auf dem so verkleinerten Raum ist mit der zerbrochenen alten Idee nichts anzufangen. Es bleibt nichts anderes übrig, als sich darüber klarzuwerden, daß die Menschenrechte, so wie man bisher an sie geglaubt oder doch zu glauben vorgegeben hat, zusammengebrochen sind, und daß die Unabhängigkeitserklärung neu geschrieben werden muß.
Es ist ganz klar, daß Amerika ein Versagen der Idee der Menschenrechte nicht zugeben kann – noch nicht! Kein Staat vermag zu dulden, daß ihm die Grundlage entzogen wird, auf der er ruht, ehe er sich eine neue geschaffen hat, und die Vereinigten Staaten beruhen einstweilen immer noch auf der Unabhängigkeitserklärung und der Verfassung. Gerade weil Amerika als Staat so überaus jung ist und als Volk überhaupt noch nicht besteht, müssen die Amerikaner darauf bedacht sein, das wenige, was sie als gemeinsame Überlieferung und Geschichte besitzen, eifersüchtig zu hüten. Aus diesem Grund ist es in den Vereinigten Staaten schwerer als in irgendeinem andern Land, die Verfassung zu ändern. Im Grunde ist sich jedermann darüber einig, daß sie in vielen Punkten den modernen Anforderungen nicht mehr entspricht. Trotzdem konnte selbst ein Roosevelt nicht wagen, offen ihre Änderung zu verlangen, obgleich sein ganzes Reformwerk an ihren veralteten Bestimmungen zu scheitern drohte. Beide Parteien, Republikaner wie Demokraten, deuten heute vorsichtig an, daß die Verfassung vielleicht doch nicht ganz so heilig und unverletzlich sein könnte, wie sie im allgemeinen hingestellt wird. Trotzdem sind die einen bereit, sofort über die andern herzufallen und sie als Verräter an der Grundlage Amerikas hinzustellen, sobald sie sich in Hinsicht Verfassungsänderungen zu weit vorwagen sollten.
Die Lage ist ähnlich wie nach dem Gefecht von Lexington. Ein zweiter Thomas Paine tut not, einer, der von draußen kommt und klar und offen ausspricht, was im Grund jeder Amerikaner fühlt, aber nicht zu sagen, ja kaum zu denken wagt.
Genau wie damals, in jener Übergangszeit vom alten zum neuen Amerika, zwischen dem Aufgeben der letzten Abhängigkeit von der britischen Krone und dem Bekenntnis zur völligen Unabhängigkeit, kann der gegenwärtige Schwebezustand noch eine Weile andauern, aber doch nicht unbegrenzt. Setzt man nicht bewußt freiwillig und rechtzeitig das Neue an die Stelle des Alten, so besteht die Gefahr, daß sich ein luftleerer Raum bildet, in den dann etwas einströmen kann, was man sich durchaus nicht gewünscht hat. Läßt man einen solchen Raum entstehen, so ist es durchaus möglich, daß dies »etwas«, das dann einströmt, der Kommunismus ist.
Die allgemeine, man möchte beinahe sagen, die grundsätzliche Einstellung gegenüber dem Kommunismus war in den Staaten bis in die jüngste Zeit ein »It can't happen here!« Man hielt Kommunismus und Bolschewismus für etwas, das nur auf dem Hunger- und Elendsfeld des alten Europa entstehen könne. Aus dieser Einstellung heraus liebäugelte man eine Zeitlang in bestimmten Kreisen sogar mit kommunistischen und bolschewistischen Ideen, insbesondere so lange die Sowjetunion ein guter Abnehmer amerikanischer Maschinen schien und man in ihr einen guten Bundesgenossen gegenüber einem allzu angriffslustigen Japan sah.
In beiderlei Hinsicht hat das Reich Stalins jedoch enttäuscht. Außerdem beginnt man in allerjüngster Zeit in der bisher so unerschütterlichen Überzeugung wankend zu werden, daß der Kommunismus nicht die geringste Gefahr für Amerika bedeute. Man hat an Europa gesehen, wie Demokratie in kommunistische und bolschewistische Formen absinken kann. Das war das Schicksal des demokratischen Rußland der Kerenski-Regierung, und nicht anders erging es in Spanien.
Man versuchte sich mit dem Gedanken zu trösten, daß solch Absinken demokratischer Regierungs- und Gesellschaftsformen ins Kommunistische nur in Europa möglich sei, niemals jedoch in USA.; mit dem Auftauchen der Sitzstreiks und der plötzlich in Erscheinung tretenden Macht radikaler Gedanken wie radikaler Organisationen, begannen jedoch Kreise aufzuhorchen, die sich bisher vollkommen sicher gefühlt hatten. Jedenfalls konnte ich in den Jahren 1937-39 in den Vereinigten Staaten feststellen, daß man dort in manchen Schichten sehr viel nervöser war und sich wesentlich unbehaglicher fühlte als noch vor kurzem; und dies trotz wirtschaftlicher Blüte, trotzdem »prosperity« nunmehr wirklich »around the corner« war. Heute gibt es in USA. tatsächlich Leute, die ernsthaft eine faschistische Diktatur Roosevelts fürchten (die Niederlage des Präsidenten in der Frage der Umbesetzung des Obersten Gerichtes beruhte mit auf dieser Furcht), und es gibt andere, die meinen, es wäre an der Zeit, sich gegen die wachsende kommunistische Drohung zu wappnen.
Die Möglichkeit des einen wie des andern mag noch in weiter Zukunft liegen, aber sie ist doch da, sie ist nicht mehr völlig ausgeschlossen. Damit ist der Weltanschauungskampf, der die Alte Welt durchtobt, auch in die Neue hineingetragen.
Nun ist es ganz klar, daß man – insbesondere nach den Erfahrungen des spanischen Bürgerkrieges – nicht einmal den Gedanken an die bloße Möglichkeit eines kommunistisch-faschistischen Entscheidungskampfes in USA. aufkommen lassen möchte. Deshalb sucht man die demokratische Idee mit allen Mitteln zu stützen und neu zu beleben. Davon ganz abgesehen, ist es nur natürlich, daß sich der Staat, der den demokratischen Gedanken als erster verkündete und verwirklichte, am heftigsten sträubt, ihn aufzugeben, zumal er noch vor wenigen Jahren glaubte und hoffte, ihn auf der ganzen Welt verwirklichen zu können.
Natürlich sind auch die Vereinigten Staaten längst keine Demokratie im ursprünglichen Sinn mehr. Die Art von Demokratie, wie sie sich in den britisch-amerikanischen Selbstverwaltungskolonien ausbildete, paßt ja überhaupt nur für kleine Gemeinwesen, in denen jeder jeden kennt und öffentliche Angelegenheiten noch in der Volksversammlung auf dem Markt erledigt werden können, wie heute noch in den kleinen Schweizer Kantonen. Je größer die Vereinigten Staaten wurden, desto mehr mußte die Demokratie zum Zerrbild werden; die wirkliche Macht mußte aus den Händen der Allgemeinheit mehr und mehr in die einer kleinen Gruppe übergehen, die über die gesamten Bodenschätze und Produktionsmittel willkürlich verfügt.
Wenn diese Herrschaft der Wenigen nicht als solche empfunden wurde, so lag der Grund dafür in der Größe des Landes und den Möglichkeiten, die es infolgedessen dem einzelnen bot. Es gab keine soziale Frage, weil dem Lohnarbeiter der Aufstieg zum selbständigen Unternehmer oder Farmer offenstand oder wenigstens offenzustehen schien. Die soziale Frage spielte bereits in den Unabhängigkeits- und dann in den Sezessionskrieg hinein. Beide Male gelang es, sie abzubiegen. Amerika wich der sozialen Revolution aus, das erstemal in die Breite, durch die immer weitere Erschließung des Westens, dann, als es kein Freiland mehr gab, in die Höhe, durch eine schier unbegrenzte industrielle Ausweitung. Jetzt aber ist auch hier die Grenze erreicht.
Heute hat sich erfüllt, was Bismarck Carl Schurz im Jahre 1868 voraussagte. Der Kanzler meinte zu dem alten Achtundvierziger, der ihm von den demokratischen Einrichtungen der Neuen Welt vorschwärmte, daß diese ihre wahre Probe erst zu bestehen haben würden, sobald die wunderbaren natürlichen Hilfsmittel, die in gewissem Sinn Gemeineigentum seien, aufgehört haben würden zu bestehen. Dann würde der Kampf zwischen Arm und Reich entbrennen, zwischen den Wenigen, die besitzen, und den Vielen, die entbehren.
Dieser Fall ist jetzt eingetreten. Die Massen fordern ihren Anteil. Sie fangen an, unbeherrschbar zu werden, der herrschenden Schicht zu entgleiten. Die Schuld daran liegt nicht an der Demokratie als solcher, als vielmehr an den »Piraten der Demokratie«. »Freibeuter der Freiheit« machten sich in bedenkenlosem Geschäftssinn die unbegrenzten Möglichkeiten einer liberalen Wirtschaftsauffassung zunutze, ohne die moralischen und ethischen Verpflichtungen einzuhalten, die doch ihre stillschweigende Voraussetzung waren. Sie trieben Raubbau am Land wie an seinen Menschen. Sie sind schuld, wenn ein großer Teil der Bevölkerung wurzellos wurde oder nie Wurzel zu fassen vermochte, wenn bodenständige Menschen, wie die Neger des Südens, zu Hunderttausenden nach dem Norden verpflanzt wurden, wo sie gefährliche Unruheherde bilden. Mit der Verwüstung weiter Strecken des Landes ging eine Verwüstung des Menschen Hand in Hand. Warum sollte dies entwurzelte städtische und ländliche Proletariat, dem man alle seelischen Bindungen genommen hat, das nichts mehr ist als »Hands«, nicht hemmungslos den kommunistischen Agitatoren folgen, wenn es die Hoffnung auf eine Besserung seiner wirtschaftlichen Lage verliert, die einzige, die es bisher hegte!
Gleichzeitig erweisen sich jetzt furchtbar die Folgen einer »Rassenpolitik«, die sich zwischen zwei Polen bewegte: der Leugnung des Rassenbegriffs überhaupt und der Idee eines von Gott auserwählten Volkes. In der Theorie und vor der Welt trieb man den Gleichheitsfanatismus so weit, daß man beinahe das Vorhandensein von Rasse verneinte; man vereinfachte die ganze Rassenfrage zu einer Erziehungsaufgabe. Im geheimen aber und in der Praxis hielten die herrschenden Kreise an der Idee des auserwählten Volkes fest, die die Pilgerväter beseelt hatte.
Diese doppelte Moral in der Rassenfrage führte zu den seltsamsten Erscheinungen. So wurde ein berühmter Negertenor im größten Konzertsaal Chikagos von einer weißen Zuhörerschaft wild beklatscht, aber er hatte Schwierigkeiten, für die Nacht nach dem Konzert ein Unterkommen zu finden, weil kein Hotel ihn aufnahm. Die gleichen Leute, die sich weigern, sich mit jemandem, der auch nur einen Tropfen Negerblut in den Adern hat, an einen Tisch zu setzen, auch wenn er Universitätsprofessor ist, erklären einem im Tone heiligster Überzeugung, die ganze Negerfrage sei lediglich eine Erziehungssache.
Das Erstaunlichste an naiver, wahrscheinlich unbewußter Heuchelei in der Rassenfrage erlebte ich bei einem Tee, der von einem Damenkomitee veranstaltet wurde, das sich die soziale Hebung der Schwarzen zur besonderen Aufgabe gemacht hatte. Der Vortrag eines Professors über die Lage in den Südstaaten war angekündigt. Ein leicht milchkaffeefarbener Herr erschien, worauf meine Nachbarin mir entsetzt und empört zuflüsterte: »Aber der ist ja schwarz!«
Eine ähnliche Haltung nimmt das angelsächsische Amerikanertum gegenüber den Juden ein. Kein Klub, keine Studentenverbindung, die etwas auf sich halten, nehmen einen Juden auf. Leute mit jüdischem Namen oder jüdischem Aussehen werden in vielen Hotels vergeblich nach Zimmern fragen. Es gibt ganze Straßenzüge und Stadtviertel, in denen nicht an Juden vermietet wird. Man kann auch in manchen Badeorten und Sommerfrischen ein Schild hängen sehen »Gentiles only« – »Nur für Nichtjuden«. Manche Universitäten und Schulen haben einen Numerus clausus für jüdische Professoren und Studenten eingeführt.
Über all die Dinge spricht man nicht, und man muß schon eine ganze Weile im Land sein, um sie überhaupt in Erfahrung zu bringen. Wenn man in der Öffentlichkeit jede Benachteiligung der Neger abstreitet, so natürlich erst recht jeden Antisemitismus. Ja, man kann sich gar nicht genug tun in der Verurteilung Deutschlands wegen seiner Haltung in der Judenfrage. Dabei spielt natürlich die außerordentliche Macht mit, über die das Judentum in den Vereinigten Staaten gebietet, und die unbedingte Kontrolle, die es über Presse, Theater, Kino, Rundfunk, Vortragswesen und überhaupt alle Äußerungsformen der öffentlichen Meinung ausübt.
Im Grund verhält sich das alteingesessene Angloamerikanertum allen Einwanderern und allen nicht angelsächsischen Bevölkerungsteilen gegenüber ähnlich. Man betont ihre Gleichberechtigung laut, schließt sich jedoch nach Möglichkeit ab und sucht ebenso die Führer- und Schlüsselstellungen in Staat, Wirtschaft und Kultur nach Möglichkeit für sich zu behalten.
Nur zögernd, und wenn es nicht anders geht, öffnet man Außenseitern, die es zu Geld und Einfluß gebracht haben, die eigenen Kreise.
Auf der andern Seite sucht man diese fremden Volksteile, auf die man als unamerikanisch mit einem gewissen Mißtrauen blickt, so rasch wie möglich zu amerikanisieren, also zu anglisieren. Man sucht dies durch eine, ich möchte beinahe sagen, gewaltsame Assimilierung zu erreichen. Man stürzte sich auf die Kinder der Eingewanderten, entriß sie gleichsam ihren Eltern und suchte sie in ein paar Jahren zu »hundertprozentigen« Amerikanern zu machen. Man tat alles, um sie ihre Muttersprache so rasch wie möglich vergessen zu lassen und wähnte dadurch ihre vollkommene Amerikanisierung gesichert. Man glaubte ihnen die Größe Amerikas beizubringen, indem man sie auf die alte Heimat und die Art der Eltern als etwas Zweitklassiges und Minderwertiges herabsehen lehrte. Das Ergebnis dieser Erziehung war jedoch nicht der vollkommene Amerikaner, sondern – der Gangster. Von altamerikanischer Seite wird immer wieder entrüstet darauf hingewiesen, daß das Verbrechertum aus den Kreisen der Eingewanderten stammt. Das stimmt, man vergißt nur hinzuzufügen, daß es sich nicht um die erste Generation handelt, sondern fast durchweg um die zweite, die auf so gewaltsame Weise amerikanisiert worden ist.
Durch eine Erziehung, die glaubte, auf Gemütswerte verzichten zu können, und wähnte, lediglich durch Vermittlung von Kenntnissen vorbildliche Amerikaner erziehen zu können, hat man »Triebsand« geschaffen, eine Bevölkerungsschicht ohne inneren Halt, ohne seelische Bindungen, ohne Vaterlandsgefühl, ohne Verwurzelung mit dem Land, in dem sie lebt.
Die jüngsten Einwanderungsschichten aber haben sich zu einem erheblichen Teil überhaupt nicht mehr »amerikanisieren« lassen, weder im guten noch im schlechten Sinne. Als sie nach Amerika kamen, waren sie bereits von dem Rassegedanken und dem völkischen Gefühl erfaßt, die heute die ganze Erde aufwühlen. Noch vor einem Menschenalter, noch vor wenigen Jahrzehnten mag es im Bann der herrschenden Zeitströmungen möglich gewesen sein, sein Volkstum mit verhältnismäßiger Leichtigkeit abzustreifen, heute ist das nicht mehr der Fall. Heute sind selbst die Angehörigen der kleinsten und unbedeutendsten Nationen stolz auf ihr Volkstum. Damit entsteht für die Vereinigten Staaten eine völlig neue, ungeheuer schwierige Lage. Es ist begreiflich, daß der bisher herrschenden angloamerikanischen Schicht diese Entwicklung unerwünscht, daß sie nicht gerade gut zu sprechen ist auf die Verkünder des Rassegedankens. Sie sieht, und von ihrem Standpunkt nicht einmal ganz mit Unrecht, im Rassegedanken für Amerika Dynamit, und hält deshalb völkische Propaganda für eine viel ernstere Bedrohung der Sicherheit und des Gefüges Amerikas als kommunistische.
Niemand jedoch, kein Staat und keine Regierung, kann sich einer geistig-seelischen Strömung, die die Menschheit zu erfassen beginnt, in den Weg stellen. Der Rassegedanke, die Idee der Neuordnung der Welt auf völkischer Grundlage, ist heute eine genau so gewaltige, letzten Endes die ganze Welt mitreißende Triebkraft wie vor ein bis anderthalb Jahrhunderten der einst berauschende, heute verklingende Gedanke von der Gleichheit alles dessen, was Menschenantlitz trägt.
In einem feudalen Zeitalter vermochte das Wort von der Gleichheit aller Menschen eine ungeheuere Kraft zu entfalten, die schließlich eine Feudalherrschaft nach der andern zertrümmerte. Die Praxis der Demokratie ließ leider erkennen, daß es mit der bloßen Verkündigung der Gleichheit nicht getan war, und daß gerade sie die größte Ungleichheit schuf, weil sie den Schwachen nicht vor dem Starken, den Gewissenhaften nicht vor dem Skrupellosen schützte. Wenn man in Amerika einmal das leere, selbstgerechte Spiel mit den Worten Demokratie und Diktatur aufgibt, wird man erkennen, daß die neuen Staaten, die aus früher demokratischen Regierungsformen entstanden sind, dem Willen des Volks entsprossen sind, die einen aus ihrer Mitte – in Italien einen Schmied, in Deutschland den Gefreiten des Weltkriegs – beauftragten, eine neue Gesellschaftsordnung zu schaffen, die der ganzen Volksgemeinschaft gerecht wird.
»Um allen Menschen die gleichen Möglichkeiten zu verschaffen, den möglichst gleichen Anteil am Glück zu sichern, muß man von ihrer Ungleichheit ausgehen!« Das ist das Grundgesetz einer neuen Gesellschafts- und Lebensform, die über die »Diktatur« eines »Volksbeauftragten« eine neue und wahre Demokratie zu schaffen versucht, weil die alte auf der angeblichen Gleichheit beruhende Form versagte.
Dieser Gedanke ist im Grunde gar nicht so »unamerikanisch«, wie er heute vielleicht klingt. Es wurde bereits an früherer Stelle dieses Buchs darauf hingewiesen, daß auch die Väter der Verfassung ihren neuen Staat auf eben diesem Grundgesetz aufbauten. Wie Thomas Jefferson, der Verfasser der Unabhängigkeitserklärung und Verkünder der Menschenrechte, diese in der Praxis verstand, geht aus seiner Haltung in der Erziehungsfrage hervor. Noch kein Jahr nach der Verkündigung der Grundsätze von der Gleichheit aller Menschen unterbreitete Jefferson der gesetzgebenden Versammlung Virginiens, des damals führenden Staates, einen Entwurf für allgemeinen öffentlichen Unterricht, der nach den geistigen Fähigkeiten der einzelnen Schüler abgestuft sein sollte! Dieser Schulplan Jeffersons blieb freilich in der Folge fast unbekannt. Begreiflicherweise, es kam ihm ja auch keinerlei Propagandawirkung zu!
Heute beginnt man sich in Amerika auch auf diesen Gedanken Jeffersons zu besinnen, nachdem die Überspitzung der Gleichheitsidee zu absurden Verhältnissen geführt hat, jedenfalls zu dem krassesten Zerrbild auch nur annähernder Gleichheit. Findet man also in USA. – wenn nicht heute, so doch morgen – zu dem wirklichen Thomas Jefferson zurück, so wird man auch hier die staatliche und völkische Gemeinschaft in dem Riesenraum zwischen den beiden Weltmeeren auf der natürlichen Ungleichheit der Menschen neu aufbauen.
Dies ist ja in den USA. noch wichtiger als in den meisten andern Staaten, da hierein solch buntes Völkergemisch in einem Staat zusammenlebt. Es ist ganz klar, daß für jeden vaterländisch empfindenden Amerikaner das letzte Ziel ist und immer sein wird, aus diesem Völkergemisch einmal ein großes einheitliches amerikanisches Volk zu machen. Die Frage ist nur, wie dieses Ziel am besten zu erreichen ist. Daß es durch eine möglichst hemmungslose allgemeine Vermischung nicht geht, selbst wenn man Afrikaner und Asiaten von vornherein ausscheidet, ist heute ziemlich allgemein anerkannt. Der Weg der Assimilierung durch Anglisierung hat versagt. Was bleibt? –
Der Rassegedanke ist keine deutsche Erfindung, aber deutschen Hirnen und Herzen erwuchs als ersten die Überzeugung, die etwas von einem heiligen Glauben an sich hat, daß man nicht durch Verwischung und Unterdrückung, sondern im Gegenteil durch Betonung und Förderung der völkischen Eigenart die Menschen besser und glücklicher machen wird, und daß man schließlich auf diesem Weg auch zu einer besseren und glücklicheren Weltordnung gelangen kann, die alle Völker zu ihrem Rechte kommen läßt.
Dieser Gedanke lebt auch im Blute jener, die einst, teilweise vor Generationen, aus Deutschland nach der Neuen Welt auswanderten. Sie mögen es ableugnen, sie mögen sich dagegen wehren, deswegen bleibt ihr Erbteil doch unverloren, wenn es sich auch wandelt und andere Formen annehmen mag auf einem fremden Boden und unter einer andern Sonne.
Menschen angelsächsischen Bluts haben vor anderthalb Jahrhunderten den ungeheueren Gedanken von der Gleichheit aller Menschen in der Neuen Welt zu verwirklichen, auf ihm das allgemeine Menschenglück aufzubauen versucht. Deutsche haben ihnen dabei getreulich und selbstlos geholfen, auch wenn sie dabei selber im Schatten stehen mußten.
Heute läuft der alte Gedanke ab, ein neuer hebt an. Vor Amerikanern deutschen Bluts erhebt sich die Aufgabe, ihn zu verwirklichen, nicht gegen, sondern mit ihren Landsleuten angelsächsischen Bluts. Immer sind die Deutschstämmigen in Amerika in der zweiten Reihe marschiert. Jetzt ergeht vom Schicksal der Ruf an sie: »Germans to the front!« Aber wie dieses Wort, als es zum erstenmal während der Boxerunruhen von einem britischen Admiral ausgerufen, nicht höheren Lohn, sondern höhere Leistung bedeutete, so auch dieses Mal. Die Deutschen müssen an die Front, nicht um ihrer selbst, sondern um Amerikas willen, um des Landes, dem sie sich ergeben und geweiht, und das jetzt nicht nur Geld und Gut von ihnen fordert, nicht nur Schweiß und Blut, sondern schöpferische Mitarbeit am Neuaufbau Amerikas, um das zu verwirklichen, was ihnen und ihren Ahnen vorschwebte, als sie sich nach der Neuen Welt einschifften.
Ein Deutscher, Hanns Johst, dichtete die hinreißendste Hymne auf Amerika, die ich kenne, das Lied, das anhebt: »Was wäre das Meer – Wenn es die Flüsse nicht speisten – Die Flüsse Amerikas?«
Die Flüsse Amerikas! – Ich sehe sie strömen. Ich höre sie rauschen. Wieder lasse ich mich tragen auf ihrem Rücken. Ich gleite auf weißem Schiff den Mississippi hinab, den Strom der Ströme, den Vater der Gewässer. Weit breitet er seine Arme und nimmt sie alle auf, den Missouri und den Ohio, den Arkansas und den Tennessee, alles, was hinabfließt von den Rockies und den Appalachen, hinunter in die unendliche Ebene.
Sie alle nimmt er auf, sich weitend und ausbreitend, anschwellend und über seine Ufer tretend, befruchtend und verderbend, immer wieder sich ein neues Bett grabend, ohne Rücksicht auf Grenzen, die der Mensch gezogen. Bis er schließlich seinen Reichtum nicht mehr zu halten vermag, bis er in seinem Mündungsdelta aufbrechend und sich teilend in verschwenderischer Fülle dem Meer darbringt, was er auf seinem langen Lauf durch einen ganzen Erdteil in sich aufgenommen. Längst schwimmt unser weißes Schiff bereits auf dem Meer, aber noch immer tragen es die lehmgelben Fluten des »Vaters der Gewässer!«.
Was wäre das Meer – Wenn es die Flüsse nicht speisten – Die Flüsse Amerikas?
Immer waren es die breiten Ströme, an deren Ufern die Menschen ihre hunderttorigen Städte bauten, ihre Tempel der tausend Säulen. Aus dem Fruchtland der Flüsse erwuchsen die alten Kulturen. In China war es so längs des Laufs von Huangho und Jangtsekiang, im Zweistromland des Euphrat und Tigris, in Ägypten, dem »Geschenk des Nils«. Die gesegnete Erde, die befruchtendes Wasser netzte, gab reiche Frucht und damit den Menschen Muße, den Lauf der Gestirne zu erforschen, über den Sinn des Lebens nachzugrübeln und Denkmale zu setzen, die Jahrtausende überdauerten.
Die Flußkulturen Asiens und Afrikas sind uralt, die Amerikas gehören der Zukunft an. Hier mag einmal das größte und gewaltigste Reich der Erde entstehen. Es wird an das Eismeer grenzen; denn die niederen Geländewellen, die die Wasserscheide zwischen der arktischen See und dem warmen Mexikanischen Golf bilden, bedeuten keine Trennung. Sie sind so niedrig, daß man sie durchstechen und den Lauf der Flüsse umkehren kann, wie man es mit dem Chikagoriver bereits getan hat. Im Grund ist es ein einziges, unermeßliches Becken, das vom Rand des ewigen Eises bis in die Gefilde des unvergänglichen Sommers reicht. Das Klima in dem riesigen Gebiet wechselt von bitterer Kälte bis zu unerträglicher Hitze, und trotzdem geht eine gemeinsame Linie von den Tundren der Hudsonbucht bis in die Sümpfe Louisianas. Den Sommer über greift die sengende Hitze bis in die Nähe des Polarkreises, und die eisigen Winde, die wintersüber vom Pol herunterwehen, streichen über die ungeschützte Ebene, fühlbar bis weit hinunter nach Süden. Im Norden wie im Süden sind es Menschen starker Triebe und rasch wechselnder Gemütsart, die das amerikanische Stromland bewohnen.
Zu beiden Seiten wird es von Gebirgszügen eingefaßt wie von Mauern, denen Meere gleich unüberschreitbaren Gräben vorgelagert sind. So bildet Amerika eine Festung, eine geschlossene Einheit, die in sich trotzdem von unendlicher Vielfalt ist. Ja, hier wird einmal das gewaltigste Reich der Erde entstehen, vorausgesetzt, daß die Menschen, die es bewohnen, es in seiner ganzen Größe erfassen, vorausgesetzt, daß sie imstande sind, seine Seele zu gestalten, aus seinem Boden und ihrem Blut heraus. Dann werden sie das Wort des deutschen Dichters wahrmachen: »Was wäre der Himmel – Wenn ihn nicht überstrahlten – Die Sterne Amerikas!«
Die Sterne Amerikas! Die Menschen dieses Landes setzten sie in ein buntes Tuch und ließen sie über sich flattern. Sie ließen sie aufleuchten über Erde und Menschheit hin und ließen sie wieder erlöschen. Wer heute durch Amerika wandert, wird vergeblich nach ihrem Glanz Ausschau halten. Nur der grelle Strahl der Lichtreklame wird seine Augen blenden.
Ein Geschlecht, das nach den Sternen griff, schuf Amerika. Aber was wurde aus Amerika, da die Nachfahren die letzte Strophe des Lieds vergaßen, die da lautet: »Nichts wäre Amerika – Wären wir Amerikaner nicht – Wir Kameraden, wir!« –
Wie sagte der Kamerad, der Amerikaner, der vor mir im Kanu kniet, gestern abend, als wir am verlöschenden Feuer vor unserm Zelte saßen und nach den Sternen blickten? »Wir Amerikaner haben alles erreicht und eins vergessen. Ich fürchte, an uns wird das Bibelwort wahr: Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele!«
Mein Kamerad im Boot war früher Pfarrer, und er kann es nicht lassen, aus der Bibel zu zitieren. Wir fahren zusammen über das Seengewirr des nördlichen Minnesota, durch das der Mississippi sich seinen Weg sucht, nachdem ihn der Itascasee als unbedeutendes Rinnsal geboren, als ein so kleines und kümmerliches Bächlein, daß man wähnen könnte, es müsse bereits nach ein paar hundert Metern versickern.
Die großen Wälder sind noch wie am ersten Tag, wie zu der Zeit, als die Indianer hier Elche und Biber jagten und den wilden Reis ernteten, dessen Halme unser Kanu streifen, und dessen reife Ähren ihre Körner in unser Boot fallen lassen. Der wilde Reis überwuchert fast den ganzen Fluß. Nur eine schmale Fahrrinne bleibt frei. Schildkröten sitzen daran auf abfaulenden Baumstümpfen. Mit aufmerksamen Augen sehen sie uns entgegen, lassen uns herankommen, daß man glaubt, sie greifen zu können, um im letzten Augenblick behend und lautlos ins Wasser zu gleiten.
An einer trocknen Stelle des Ufers ziehen wir das Kanu an Land, schlagen unser Zelt auf und zünden unser abendliches Feuer an. Dann sitzen wir lange, endlos lange wie jeden Abend. Es ist schon Herbst, die Nächte sind kalt, so haben wir Ruhe vor den Moskitos. Wir haben Ruhe vor den Menschen und Ruhe in uns.
»Siehst du«, sagt mein Freund, nachdem wir lange schweigend nebeneinander gehockt haben, »siehst du, ich bin in Amerika geboren, und mein Vater ist in Amerika geboren, ich habe nie gedacht, daß ich etwas anderes wäre als ein Amerikaner. Ich bin Pastor geworden, weil mein Vater Pastor war, und weil weder ich noch irgend jemand in der Familie je gedacht hat, ich könnte irgend etwas anderes werden als Theologe. So besuchte ich die Schule und die Ausbildungsanstalt unserer Synode und bekam mit dreiundzwanzig Jahren eine Pfarre. Meine Pfarrkinder waren alte, erfahrene Farmer, Männer von dreißig und vierzig, von fünfzig und sechzig Jahren. Trotzdem nahmen sie es als ganz selbstverständlich, daß ich sie das Wort Gottes lehrte; denn ich hatte es ja gelernt und war dazu berufen.
Wir sprachen über weltliche Dinge in der Regel englisch, über kirchliche deutsch. Die Eltern hielten darauf, daß die Kinder zu Hause deutsch sprachen. Englisch lernten sie ja ohnehin früh genug und vergaßen es nie. Deutsch aber hätten sie leicht vergessen können, und wie hätten sie dann der Predigt folgen oder die Bibel des Dr. Martin Luther lesen können. Die hatte der Großvater mitgebracht, als er in dies Land eingewandert war.
Dann brach der Krieg aus. Die Unruhe drang bis in unsere abgelegene Gemeinde, und Männer kamen in Autos, die erklärten, es sei unamerikanisch und unpatriotisch, deutsch zu sprechen, und ich dürfe nicht mehr deutsch predigen.
Ich habe nie verstanden, was es mit Patriotismus zu tun haben könne und mit der Treue zu meiner Heimat Amerika, ob man sie deutsch oder englisch bekennt, aber mit meinem lutherischen Herrgott konnte ich mich nur auf deutsch verständigen und meine Gemeinde auch. Das sagte ich den Herren von auswärts und fuhr ruhig fort, deutsch zu predigen. Da wurde ich eines Nachts aus dem Haus geschleppt, gebunden und geschlagen. Man drückte mich auf die Knie und preßte mir den Mund auf das Sternenbanner.«
Die letzten Worte waren so leise gesprochen, daß ich sie mehr erriet als verstand. Dann schwieg mein Freund ganz, und wir starrten gemeinsam auf das Wasser. Der Widerschein unseres Feuers flackerte darauf, und seine zuckenden Flammen griffen nach den Sternen, die vom Himmel in seine schwarze Tiefe gefallen zu sein schienen.
Ich stieß einen der glimmenden Stämme kräftig in die Glut, daß die Funken aufstoben und die Lohe hochschlug. Sie spiegelte sich in den grauen Augen meines Freundes und spielte über seine harten, knochigen Züge. Als habe ihn die Flamme aus seinem trüben Sinnen aufgescheucht, fuhr er fort:
»Ich kam eine Weile ins Gefängnis, wartete vergeblich auf ein Verhör, wurde dann freigelassen, um kurz darauf zum Militär eingezogen zu werden. Amtsgenossen von mir hatten die Dienstpflicht verweigert. Man hatte sie zu Zwangsarbeit verurteilt. Ich hatte sie in Ketten an der Straße arbeiten sehen. Ich wurde nach Frankreich verschifft und kam gerade noch zurecht zu der Schlacht in den großen Wäldern, die unsern heimatlichen hier in Minnesota gleichen. Wir schossen und stachen Menschen nieder, die in Kampfeswut wie in Todesnot in der gleichen Sprache aufschrien, in der ich mit meiner Gemeinde zu Gott betete und um derentwillen man mich mißhandelt und erniedrigt hatte.
Als ich entlassen wurde, kehrte ich nicht in mein Amt und zu meiner Gemeinde zurück. Ich konnte nicht mehr einen Gott verkünden, der dies alles zugelassen hatte. Oder ich hatte seine Ziele und seine Gebote nicht verstanden, und dann war ich meines Amtes nicht wert.
Außerdem hatte mir all das, was ich erlebt, gezeigt, daß es noch eine andere Welt gab als die meiner Gemeinde und unserer Wälder. Vielleicht hatten die Männer sogar recht, die mich weggeschleppt hatten. Vielleicht war ihr Amerika das richtige und meins das falsche.
Ich reiste, und ich arbeitete, bei den Baldwin-Lokomotivwerken, bei Gary, als Farmhand, an einer Stanze bei General Motors. Ich wurde Reisender in Automobilen und Damenstrümpfen. Dann gab ich Lateinstunden an einem College, wurde Professor, kam an ein Institut nach Neuyork, das sich mit statistischen Forschungen befaßte. Dort stellte ich fest, daß in Neuyork alljährlich sechstausend Ehemänner ins Gefängnis kommen, weil sie ihren geschiedenen Frauen keinen Unterhalt zahlen wollen oder können. Ich rechnete aus, daß in den Staaten Jahr für Jahr eine Milliarde Dollar Unterhaltskosten an geschiedene Frauen gezahlt werden und die doppelte Summe an Anwälte und Gerichte in Scheidungssachen. Hunderttausend Kinder werden in jedem Jahr von den Scheidungen ihrer Eltern betroffen, und jede dritte Minute wird eine Ehe geschieden. Von hundert Paaren, die getraut werden, haben nur fünfundsechzig Aussicht, länger als ein Jahr beieinander zu bleiben.
Als ich das alles mit hatte feststellen helfen, hatte ich genug von Amerika und fuhr nach Europa. Ich war in England, in Deutschland, in Frankreich. Ich fuhr über Rußland nach China und kam über Japan und den Pazifik wieder zu Hause an. Ich brachte eine Erfahrung mit, daß ich Amerikaner war und trotz allem in keinem andern Land leben wollte. Ich brachte noch eine zweite Erkenntnis mit: wenn Amerika nicht so war, wie ich es mir erträumt hatte, nun, dann mußte ich eben das Meine dazu tun, es zu ändern, um es wirklich zu ›God's own country‹ zu machen, ›Gottes ureigenstem Land‹, das es von Rechts wegen sein sollte.
Ich bin deshalb nach Minnesota zurückgekommen, aber nicht in meine Gemeinde, sondern habe mir mein Blockhaus am Moose Lake gebaut. Ich brauchte Ruhe und Einsamkeit, um alles zu überdenken. Jetzt, glaube ich, weiß ich, warum die Unruhe, die Unrast und der Unfrieden in diesem Lande immer größer werden, obgleich wir reicher sind und über weiteren Raum verfügen als irgendein anderes Volk. Ich glaube, der Grund liegt darin, daß wir uns von unsern Maschinen haben überwältigen lassen. In der Heiligen Schrift steht: Wer das Schwert nimmt, soll durch das Schwert umkommen. Vielleicht würde Christus heute predigen: Wer sich der Maschine bemächtigt, soll von ihr überwältigt werden. Ich will gar nichts gegen die Maschine sagen, ich könnte auf mein Auto und mein Radio selbst in der Wildnis nicht verzichten. Aber wir sind in den Wahn verfallen, alles maschinenmäßig zu erzeugen, selbst Menschen.
Ich habe ein Jahr lang bei General Motors Kotflügel aus Blech gestanzt. Nicht anders stanzen wir in diesem Land Menschen, einen wie den andern. Wir haben nur eins übersehen, daß das Material nicht immer dasselbe ist. Die Bleche, die ich in der Autofabrik stanzte, waren sorgfältig geprüft. In einem Dutzend Laboratorien wurden regelmäßig Proben genommen. Was nicht dem Standard der Qualitätsanforderungen entsprach, wurde rücksichtslos ausgeschieden, auch wenn es sie übertraf. Fragen wir nach der Herkunft der Menschen, die wir in unsern öffentlichen Schulen, auf die wir so stolz sind, am laufenden Band zu Amerikanern stanzen? Kinder britischen oder deutschen Bluts, irischen oder schwedischen, polnischen und italienischen, das kommt alles in die gleiche Stanze. Nachher wundern wir uns, wenn die Ergebnisse verschieden ausfallen, und wenn Amerika nicht das wird, was wir erhofft haben. Dann kommen die Nachtreiter, der Ku-Klux-Klan, die patriotischen Gesellschaften und glauben durch Zureden oder Gewalt, durch Peitsche oder mit Teer und Federn hundertprozentige Amerikaner erziehen zu können!«
Mein Freund verstummte wieder und warf neues Holz auf das Feuer, das zu verlöschen drohte. Es fing an kühl zu werden. Ich wickelte mich in die Decke. Vom Fluß herauf quakten die Frösche. Es klang, als töne das sumpfige Wasser.
Als das Feuer wieder auflohte, fuhr der alte Amerikaner fort: »Ich erzähle das alles nicht so sehr dir als mir selber. Ich muß einmal hören, wie das klingt, wenn man es ausspricht. Es muß einmal ausgesprochen werden. Es ist Zeit, daß wir das neue Amerika aufbauen, ehe das alte zusammengebrochen ist.
Du weißt, meine Frau ist aus Boston. In ihrer Familie ist man davon überzeugt, mit der ›Mayflower‹ herübergekommen zu sein. Seit dem Krieg ist es in ihren Kreisen üblich, mit Bedauern davon zu sprechen, daß der Unabhängigkeitskrieg zur Abtrennung von England geführt hat. Dies Land hätte ihrer Ansicht nach britisch bleiben sollen, wenn schon nicht politisch, so wenigstens blutmäßig. All die spätere Einwanderung gilt ihnen als des Teufels.
Mag sein, daß sie von ihrem Standpunkt aus recht haben, obgleich ich nicht glaube, daß es richtig ist, wenn ein Volk, dem die halbe Welt gehört, auch noch diesen leeren, reichen Erdteil für sich beansprucht. Es ist schon gerecht, daß Menschen aller europäischen Völker Amerika besiedelten. Jedenfalls ist es eine Tatsache, die wir nicht rückgängig machen können, mit der wir uns abfinden müssen. Es kann sich lediglich darum handeln ›to make the best out of it‹, das Beste daraus zu machen, für Amerika natürlich.
Ich kenne Amerika. Ich habe sämtliche Staaten durchwandert. Ich glaube, ich weiß, woran es fehlt, warum wir Amerikaner zwar lärmendere, aber nicht so gute Patrioten sind wie etwa die Deutschen oder die Briten. Jedermann muß einen besonderen Fleck Erde haben, an dem er sein Heimatgefühl festklammert, in dem er es verwurzelt, selbst wenn es nur der Asphalt einer Großstadtstraße ist. Ganz Amerika ist zu groß, als daß man es ohne solchen Stützpunkt mit leidenschaftlicher Liebe im Herzen tragen könnte.
Wir aber haben alles getan, ein solches besonderes Heimatgefühl nicht aufkommen zu lassen, und wo es keimte, es zu zerstören. Wir glaubten, die Wurzeln ausrotten und auch das Erinnern daran zerstören zu müssen, das ein großer Teil unserer Bevölkerung noch mit der alten Heimat in Europa verbindet. Wir glauben, alles Amerikanische gleich ins allgemein Menschliche übersteigern zu müssen. Die Weite unseres Erdteils tritt hinzu, das Erbe, das wir von den Indianern übernommen haben. Wir sind drauf und dran, wurzellose Nomaden zu werden, anstatt das Werk zu vollenden, das Mayas und Azteken begonnen – die allumfassende amerikanische Kultur zu schaffen.
Wir haben uns einen Ersatz besorgt in dem künstlichen Lokalpatriotismus für die Städte und Staaten, in denen wir wohnen. Aber auch diese Heimatliebe ist serienmäßig geliefert. Sie ist austauschbar, wie alles in diesem Land. Wer heute in Begeisterung über Peoria in Illinois ausbricht, kann sich morgen mit dem gleichen Enthusiasmus für Iola in Kansas ereifern, wenn er Geschäft und Wohnsitz dorthin verlegt. Wir verkrampfen uns in die künstlichen staatlichen Besonderheiten, die nur dazu dienen, einem Haufen berufsmäßiger Politiker ihre dunklen Geschäfte auf unsere Kosten zu ermöglichen, und die immer wieder die großen einheitlichen Maßnahmen für das ganze Land verhindern.
Aber, wie ich dir sagte, es ist höchste Zeit, daß Amerika neu gebaut wird, gebaut aus seinem Boden und seiner Seele heraus. Sein Boden gibt ihm in seiner unendlichen gleichförmigen Weite die Einheitlichkeit, unser Blut die Vielfalt.
Wir Amerikaner deutscher Herkunft können an der Schaffung der gesamtamerikanischen Seele nur aus unserm Blut heraus mitwirken. Wir haben bisher gewähnt, aus Loyalität der neuen Heimat gegenüber müßten wir uns möglichst anglisieren. Dabei übersahen wir das Unrecht, das wir nicht nur uns, sondern auch Amerika damit antaten. Mir ist es heute klar, warum die Deutschen politisch nie eine Rolle spielten, warum das ›German Vote‹ nichts anderes als Stimmvieh bedeutete. Wie konnten Menschen etwas anderes als Stimmvieh sein, wenn sie an grundlegende Fragen des Lebens, des Staats, der Gemeinde nicht auf Grund ihrer innersten Empfindungen herantreten durften, sondern nur auf dem Umweg einer andern Sprache, einer ihnen fremden Denkart.«
Mein Gefährte rückte näher an mich heran und legte mir die Hand auf die Schulter: »Ich sage das nicht leichtfertig hin. Ich habe das alles bedacht. Ich bin einer der nicht allzu vielen in diesem Land, die beide Sprachen gleich gut beherrschen, die auf deutsch wie auf englisch ihre innersten Gedanken auszudrücken vermögen. Aber selbst ich kann manches nur englisch denken und manches nur deutsch. Daher weiß ich, daß etwas verlorengeht, wenn wir auf die eine oder andere Sprache ganz verzichten, solange wir noch nicht unsere eigene Sprache haben. Sie ist im Werden, und jeder, der schlechtes Englisch spricht, der Worte seiner Muttersprache hineinmischt, ist ein Bildner an ihr.
Meine Bostoner Verwandten sind immer entsetzt, wenn sie zu uns in den Westen kommen. Ich glaube aber, daß jeder deutsche Einwanderer, der sich am ›th‹ nicht die Zunge bricht, sondern es einfach als ›d‹ ausspricht, dem werdenden ›Amerikanisch‹ einen Dienst erweist. Das gleiche tut jeder Mexikaner, jeder Frankokanadier, jeder Pole und Italiener, der unsere, im Entstehen begriffene gemeinsame Muttersprache seiner Zunge und seinem Gaumen gemäß formt und aus seinem Sprachschatz heraus bereichert. Man hat viele Versuche unternommen, eine Weltsprache zu schaffen. Sie sind alle fehlgeschlagen; denn so etwas läßt sich nicht künstlich schaffen. Wir aber, wir Amerikaner, sind am Werk, der Menschheit das wiederzugeben, was ihr die Sprachenverwirrung von Babel nahm: das allgemeine Verständigungsmittel. Um diesen Werdegang nicht zu stören, um ihn langsam ausreifen zu lassen, müssen wir all die verschiedenen Sprachen, die wir Amerikaner aus Europa mit herübergebracht haben, sorgfältig bewahren, schon weil sie allein die Schätze erschließen, die ein jedes Volk in seinen Werken niederlegt.
Eine Sprache, ein Gott, ein Volk! – Wir werden eins nach dem andern erringen, wenn wir warten können. Zu dem einen Gott wird heute in Amerika in zweihundert verschiedenen Bekenntnissen gebetet. Als die Pilgerväter ins Land kamen, da hingen sie noch jeden, der den alleinigen Gott mit Worten bekannte, die nicht die ihrigen waren. Heute wissen wir, daß es immer der eine ewige Gott ist, auf welchen Wegen man auch zu ihm gelangt, mit welchen Worten man ihn auch bekennt.
Ich glaube, wir Amerikaner müssen in der Volkwerdung den gleichen Weg gehen wie in der Religion. Wie wir den nicht mehr hängen, der Gott nicht auf die eine vorgeschriebene Weise bekennen kann, so darf der nicht mehr mißachtet oder verfolgt werden, der für sein Amerikanertum andere Worte und andere Formen anwendet.
Es kommt eine Zeit, sie ist vielmehr schon da, wo es nicht mehr auf das Geld ankommt, auf die Massen, die Maschinen, sondern auf die letzten Seelenkräfte jedes einzelnen. Um dem Unwetter standzuhalten, das sich über unserm Land zusammenbraut, genügt es nicht mehr, die Flagge zu schwingen und das ›Sternenbanner‹ zu singen, von dem die meisten knapp den ersten Vers können, sondern dazu ist ein Vaterlandsgefühl nötig, das aus der tiefsten Seele kommt. All die Menschen verschiedenster Abstammung und Herkunft, die dieses Land bewohnen, müssen die Möglichkeit haben, es aus innerster Seele zu bejahen. Sie müssen nicht nur um des eigenen Wohlergehens willen, sondern mit jedem Blutstropfen erfühlen und bekennen ›Unser Amerika‹; sie müssen in ihrer Muttersprache voll Stolz sagen können ›Wir Amerikaner!‹ –«
»Wir Amerikaner, wir!« sagte nicht so ein deutscher Dichter? Und ist es nicht seltsam, daß man als Deutscher, der nur als Gast in Amerika weilt, diese Worte aussprechen kann und den ganzen mitreißenden Zauber nachzufühlen vermag, der in ihnen schwingt. Wie wäre das möglich, hätten wir nicht so viel von unserm Wesen in diesen Boden gesenkt?
Schiff auf Schiff landete an der atlantischen Küste, Welle auf Welle spülte über den Erdteil. Sie alle, die aus der Alten Welt herüberkamen, brachten ihre Wünsche und Hoffnungen mit, ihren Zweifel wie ihren Glauben, und pflanzten sie in die neue Erde. An aller Anfang aber steht der deutsche Mönch, der vor nun bald einem halben Jahrtausend geboren wurde, und der die gewaltige geistige Revolution entfesselte, die heute noch nachzittert. Luthers Gedanken, von Calvin aufgenommen, von den Pilgervätern abgewandelt, legten den Grund zu Amerika.
Amerika ging einen Weg, den vor dreihundert Jahren, ja noch vor hundert Jahren niemand ahnen konnte. Es nahm einen rasend raschen Aufstieg, um heute von einem nicht weniger raschen Sturz bedroht zu sein.
Ich sitze hier geborgen und geschützt in den Wäldern des nördlichen Minnesota, unweit der kanadischen Grenze. Es ist der letzte Rest einst endloser Waldungen, die der gierigen Axt entgingen. Die Waldverwüstung störte den Wasserhaushalt der Natur. Die Prärie verdorrte. Und die Menschen machten es noch schlimmer, indem sie um des Geldes willen mit dem Pflug nicht weniger gierig über die großen Ebenen herfielen wie zuerst mit der Axt über die großen Wälder.
Hier am Turtle River sitze ich sicher, aber draußen, außerhalb der Wälder ziehen die Staubfahnen, die schwarzen Todesstürme von Montana bis Missouri. Sie führen mit sich in den Lüften, was einst Farmland war, und lassen den Farmern nichts zurück als die nackte Verzweiflung.
Anfangs tröstete man sich mit einem Witz und sagte in der Stadt: »Onkel wird gleich hier sein. Da kommt schon seine Farm daher!«, und in den nicht unmittelbar von der Katastrophe betroffenen Gebieten macht man sich heute noch nicht die ganze Größe der Gefahr klar, die Amerika bedroht. Noch vor ein paar Jahren wußte Amerika nicht, wohin mit seinem Überfluß an Lebensmitteln. Da ließ es einen großen Teil seiner Landbevölkerung zugrunde gehen, weil die Städte, die das Land beherrschten, sich nicht entschließen konnten, den Farmern einen Preis für ihre Erzeugnisse zu zahlen, der auch nur die Unkosten deckte. Beauftragte der Banken trieben Männer als Bettler von ihren Feldern, die sie durch die Arbeit eines langen Lebens der Wildnis abgerungen hatten. Jetzt muß das einst reichste Agrarland der Welt zeitweilig vom Ausland Weizen und Korn kaufen.
Als furchtbare Mahnung steigt das Schicksal des Mayareiches in Yukatan auf. Amerikanische Forscher haben dessen märchenhafte Tempel und Paläste freigelegt und den Grund für den raschen Sturz dieser unerhörten altamerikanischen Kultur entschleiert. Die Mayas in Yukatan hatten Raubbau am Boden getrieben, wie heute die Amerikaner an ihren Wäldern und Prärien. Im Verlauf weniger Generationen war die gute Erde erschöpft, das Ende war Hunger und Tod eines Volks, vor dessen Bauten wir heute staunend stehen.
Zu dieser Verwüstung des Bodens kommt die Verwüstung der Seelen. Wie man um des Geldes willen Raubbau trieb, wie der Bergbau, die Forstwirtschaft und schließlich selbst die Landwirtschaft nach wenigen Jahren oder Jahrzehnten hastigen unbegrenzten Gewinns schließlich nur Wüste hinterließen, so verwirtschaftete man in gleich bedenkenloser Weise die Seelenkräfte, den Glauben des Volks. Die dunklen Banner, die den seelischen Bestand Amerikas bedrohen, sind nicht weniger gefährlich als die schwarzen Staubfahnen, die es mit wirtschaftlicher Vernichtung überziehen. Amerika hat Glauben und Idee verloren und ist in Gefahr, zum Tummelplatz vager Weltideen zu werden.
Die Amerikaner britischen Bluts sehen das nicht, können es nicht sehen, wollen es nicht sehen. Sie sind immer Individualisten gewesen, Optimisten, Glückskinder. Sie sind an raschen Gewinn gewöhnt und nehmen auch raschen Verlust nicht tragisch. Kommen einmal schlechte Zeiten, so ist die Wiederkehr von guten nur um so gewisser.
Mit den Amerikanern deutschen Bluts steht es anders. Der Einfluß des reichen amerikanischen Bodens, der strahlenden amerikanischen Sonne hat ihnen zwar viel von der ursprünglichen Schwere und Tiefe genommen. Das Leid, durch das sie im Krieg und nach dem Krieg hindurchschreiten mußten, hat sie aber gelehrt, wieder auf die Stimme ihres Herzens zu horchen, und sie an die unverlierbaren gewaltigen Kräfte erinnert, die in ihm schlummern. Auch die Deutschen in Amerika haben ihr »Versailles« erlebt und die ganze Schwere und Demütigung der Niederlage. Gleich den Deutschen in der alten Heimat, wird ihnen daraus einmal ungeheurer Stolz erwachsen und eine unbesiegbare Kraft.
Es wird einer aufstehen und sie sammeln, ein deutscher Thomas Paine. Er wird keine neue Partei gründen, keinen Verein, keinen Bund, sondern alle in einer selbstverständlichen Gemeinschaft zusammenfassen, die deutschen Bluts sind. Sie werden alle kommen, sobald sie sich der einfachen Wahrheit bewußt werden, daß sie nicht »Americans« sind, sondern »Amerikaner«, Menschen deutschen Bluts und amerikanischen Bodens. Sie werden den Bindestrich fallen lassen, den man ihnen anhängen wollte, und sich nicht mehr Deutsch-Amerikaner nennen, sondern einfach »Amerikaner« mit einem unübersetzbaren Wort.
Werden diese »Amerikaner« sich bewußt, daß sie um Amerikas willen Volkstum und Muttersprache nicht preisgeben dürfen, so legen sie den Grund zu der natürlichen völkischen Ordnung, aus der heraus das amerikanische Volk der Zukunft erwachsen wird oder vielmehr die amerikanische Völkerfamilie. Diese wird Amerika zum ersten »Kontinentstaat« machen, zum ersten unter einer einheitlichen Idee friedlich geeinten Erdteil, dem großen Vorbild für alle übrigen.
Wenn den Menschen deutschen Bluts diese gewaltige Aufgabe gelingt, dieser größte Dienst, den sie ihrer neuen Heimat erweisen können, dann mögen sie mit leichter Abwandlung der Worte des deutschen Dichters rufen: »Nichts wäre Amerika – Wären wir Amerikaner nicht – Wir Amerikaner, wir!«
Wir Deutschen in der alten Heimat aber werden dann das bittere Gefühl verlieren, das uns bisher so leicht bei dem Gedanken überkam, daß wir Millionen und Millionen unseres besten Volkstums an die Fremde verloren. Dann werden sie nicht mehr verloren sein, sondern lediglich auf neuem Boden in neuer Form an der uns beseelenden großen Idee mitarbeiten, eine bessere, friedlich geordnete Welt zu schaffen, in der ein jedes Volk gemäß seinen Gaben und Kräften zu seinem Rechte kommt und ihm keine wesensfremde Gedanken aufgezwungen werden.
Und wie ein Vater von seinem zu Ruf und Ruhm gelangten Kind stolz als »Mein Sohn« spricht, ohne mit diesen Worten Besitzansprüche an dessen Reichtum zu stellen, so mögen wir dann zu der von uns mit geschaffenen Neuen Welt jenseits des Atlant, mit Recht, und ohne daß es uns jemand verargen kann, sagen: