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V.
Die deutsche Masseneinwanderung in Amerika


28.
Die Menschenrechte und die angelsächsische Vorherrschaft

Wie es zu einem nicht geringen Teil Amerikaner deutschen Bluts waren, unter einem deutschen Führer, die die letzten entscheidenden Kampfhandlungen des Unabhängigkeitskriegs durchfochten, so war es auch ein Deutscher, der die Kunde hiervon in den nächtlichen Straßen Philadelphias, dem Sitz des Kongresses, ausrief. Der amerikanische Historiker John Fiske berichtet in seiner Geschichte der Amerikanischen Revolution, daß der deutsche Nachtwächter von Philadelphia die dritte Morgenstunde des 24. Oktober 1781 mit den Worten ausrief: »Bascht dree oglock und Corn–val–lis ist da–ken!«

In den folgenden Jahren erreicht das alte amerikanische Deutschtum seinen Höhepunkt: In Pennsylvanien wird ein Deutschstämmiger Gouverneur. Hier wie in Ohio wird die deutsche Sprache in den Schulen eingeführt. Veröffentlichungen der Landesparlamente erscheinen neben englisch auch in deutsch. Der Rückschlag kommt jedoch unerwartet rasch. Als ein halbes Jahrhundert später die deutsche Masseneinwanderung einsetzt, scheint bereits völlig in Vergessenheit geraten, daß sich unter den »eigentlichen« alteingesessenen Amerikanern auch solche deutscher Abstammung befinden. Kein Mensch in Amerika denkt daran, daß die Unabhängigkeit und Freiheit auch von Deutschen mit erkämpft wurde. Im Gegenteil, das Bild hat sich völlig gewandelt. In der Überlieferung erscheinen die Deutschen in Amerika nicht mehr als Kämpfer für Amerikas Freiheit, sondern als ihre Bedrücker. Von Steuben und Kalb, von Herchheimer und Mühlenberg, von den virginischen Schützen und pennsylvanischen Regimentern weiß kein Mensch mehr etwas, sondern nur noch von den hessischen und braunschweigischen Regimentern, die, von schamlosen und ehrvergessenen deutschen Fürsten an England verkauft, gegen die amerikanischen Revolutionäre fochten. Die »Deutschen im Unabhängigkeitskrieg« das sind jetzt die »Hessen«, eine Bezeichnung, die bis auf den heutigen Tag in Amerika einen üblen Beigeschmack behalten hat.

Das gleiche geschieht mit dem gesamten Deutschtum in Pennsylvanien, in Neuyork, in Virginien, es gerät in Vergessenheit, sinkt ins Unbedeutende. Ein Menschenalter nach der Revolution spielt es eine geringere Rolle als vor ihr, als noch der Union Jack über Amerika wehte und die Pfälzer und schwäbischen Bauern noch Untertanen Seiner britischen Majestät waren.

Wieso und warum das erfolgte, ist nicht ganz leicht zu verstehen; nur wenn einem das aber gelingt, vermag man bis an die Wurzel der Frage vorzudringen, warum das nichtangelsächsische Blut in den Vereinigten Staaten, besonders das deutsche, bis heute nicht an den ihm gebührenden Platz gelangen konnte, warum ihm trotz aller seiner Verdienste um Amerika ein leichter Mangel, ein Anflug von Minderwertigkeit und »Unamerikanischem« anhaften blieb. Ich glaube, die Erklärung dafür liegt in dem Vorstellungsinhalt der Worte »Amerika« und »Amerikaner«. Für die Männer und Schichten, die die Vereinigten Staaten schufen und führten, und die sie heute noch führen, war dieser Vorstellungsinhalt rein angelsächsisch. Amerika war selbstverständlich etwas Eigenes, etwas Besonderes, das höchste überhaupt Vorstellbare. Daß es aber nur angelsächsisch sein konnte, das war ebenso selbstverständlich. Diese Vorstellung, die so zwingend ausgedrückt wurde, daß sich die andern Nationalitäten ihr fügten, geht auf die Anfänge Amerikas, auf den Unabhängigkeitskrieg zurück.

Die Führer in diesem Krieg waren, als er begann, noch »Engländer«. Erst in seinem Verlauf wurden sie zu »Amerikanern«. Daraus erklärt sich, daß für sie die Vereinigten Staaten von Amerika naturnotwendigerweise englischen Wesens sein mußten. Da sie dem jungen Staat Form und Prägung gaben, so wirkten diese bis auf den heutigen Tag nach, auch als der Inhalt infolge der fremdvölkischen Masseneinwanderung längst nicht mehr damit übereinstimmte.

Die landläufige Geschichtsauffassung geht dahin, in den Bewohnern der dreizehn Kolonien bereits Amerikaner zu sehen, ehe überhaupt noch der Streit mit England losbrach. Sie ist deshalb überzeugt, daß die Loslösung vom Mutterland in jedem Fall unvermeidlich gewesen wäre, auch wenn sich Georg III. und seine Minister in den strittigen Fragen weniger halsstarrig gezeigt hätten.

Diese Anschauung ist verständlich für eine Zeit, die staunend die außerordentliche Formkraft des amerikanischen Bodens und Klimas erlebte, die mit ansah, wie Menschen der verschiedensten Rassen innerhalb von ein bis zwei Generationen derart zu Amerikanern wurden, daß von ihrer Erbmasse nichts mehr übrig schien, sie jedenfalls keinen andern Ehrgeiz kannten, als sich den Alteingesessenen, den »Hundertprozentigen«, in jeder Hinsicht möglichst anzugleichen.

Nun ist es keine Frage, daß die Angleichungskraft Amerikas außerordentlich stark ist. Augenscheinlich spielen da außer Klima und Umgebung noch eine Reihe von Faktoren mit, die noch viel zuwenig erforscht sind, vielleicht atmosphärische Strömungen, elektrische Spannungen und dergleichen. Jedenfalls weiß jeder, der längere Zeit in Amerika gelebt hat, daß er dort auf viele Dinge anders reagiert als in Europa, ja in manchem ein ganz anderer Mensch ist.

Somit mußten also die britischen »Kolonisten«, die seit hundert, hundertundfünfzig und mehr Jahren auf amerikanischem Boden saßen, längst »Amerikaner« geworden sein, und bis zu einem gewissen Grade waren sie es selbstverständlich auch. Einmal aber ist die Einwirkung der »Ahnengeister« des amerikanischen Bodens augenscheinlich an der atlantischen Küste lange nicht so stark wie im Westen und Mittelwesten, vor allem nicht in ihrem nördlichen Teil, in den Neuenglandstaaten. Zum andern scheint es, als ob fremder Boden, fremde Sonne und fremde luftelektrische Spannungen ihre Formkraft erst voll zur Geltung bringen, wenn sie mit einer Idee, mit einer psychischen Einwirkung zusammenfallen.

Jedenfalls dachten die Neuengländer, die Virginier und auch die Neuyorker und Pennsylvanier, soweit sie britischer Abstammung waren, zunächst gar nicht daran, sich als Amerikaner zu fühlen. Ihre Beschwerden gegen das Mutterland gingen in der ersten Zeit des Aufruhrs lediglich dahin, voll anerkannt zu werden und nicht als Engländer zweiter Klasse zu gelten.

Diese Stimmung hielt noch an, als man bereits mit England im Kampfe lag. Selbst Washington hat zu Beginn des Kampfes den Gedanken der Loslösung von England und der Unabhängigkeit mit Abscheu von sich gewiesen. Der erste in Philadelphia zusammengetretene Kontinentalkongreß richtete noch eine Ergebenheitsadresse an den König, in dem er feierlich jeden Wunsch nach Unabhängigkeit ableugnete. Das gleiche tat noch der zweite Kongreß, der nach Lexington, Concord und nach dem Fall von Fort Ticonderoga zusammentrat. Erst als der König einen Friedensfühler nach dem andern zurückwies und fremde Söldner gegen die aufrührerischen Kolonien anwarb, entschloß man sich zur Unabhängigkeitserklärung.

Wie sehr man sich selbst dann noch als Engländer fühlte, zeigt der erste Entwurf von Jefferson. In ihm wird lebhaft an die »Britischen Brüder« appelliert und darüber Klage geführt, daß sie »nicht nur Soldaten unserer Blutgemeinschaft herübersenden, sondern auch schottische und fremde Söldner«.

Man fühlte sich also noch derart als Engländer, daß man selbst von Schotten als Fremden sprach. Der ganze gekränkte Stolz der nicht für voll genommenen Kolonisten sprach aus dem Satz: »Wir hätten zusammen ein freies und großes Volk sein können, aber eine Vereinigung von Größe und Freiheit scheint unter ihrer Würde. Sei es so, da sie es haben wollen; der Weg zu Glück und Ruhm steht auch uns offen; wir werden ihn beschreiten, getrennt von ihnen.«

In der Unabhängigkeitserklärung war jedoch noch ein anderer Ton angeschlagen, der von der allgemeinen Gleichheit und von den Menschenrechten sprach. Die Stellen, die davon handeln, galten den späteren Generationen als das eigentlich Wesentliche der Unabhängigkeitserklärung, als die große befreiende Tat, der Ruf »In tyrannos«, der Appell an die gesamte Menschheit, mit dem sich Amerika für immer an die Spitze von Freiheit und Fortschritt stellte. Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, daß sie für Jefferson und den Kongreß eine wesentlich andere Bedeutung hatten. Ja, ich wage sogar die ketzerische Behauptung, daß die berühmte Erklärung der Menschenrechte ursprünglich nichts anderes war als die von den Engländern während des Weltkrieges herausgegebene Erklärung vom Selbstbestimmungsrecht der Völker, das heißt eine Propagandaphrase.

Der Mann, der den Anstoß zur Unabhängigkeitserklärung gab, war kein Amerikaner. Es war ein Ausländer, der als Einwanderer nach Amerika kam, noch dazu als einer, den man heute wahrscheinlich als »unerwünscht« bezeichnen und dem man die Einreise verweigern würde. Er war auf einem Freibeuter zur See gefahren, dann in seiner Heimat Schnürbrustmacher gewesen, hatte sein Geschäft aber bald aufgegeben und war Steuerbeamter geworden. Wegen einer Pflichtverletzung wurde er entlassen und brachte sich mühsam durch Unterrichtsstunden durch. Es glückte ihm nochmals bei der Steuer anzukommen, aber dort litt es ihn nicht lange, und so wanderte er, nachdem er sich von seiner Frau hatte scheiden lassen, nach den amerikanischen Kolonien aus. Seiner Gesinnung nach war er ein Internationaler – ja, heute müßte man vielleicht sagen: Bolschewik! Jedenfalls schrieb er von sich: »Mein Vaterland ist die Welt.« Und er machte dieses Wort wahr; denn kaum ein Jahr in Amerika, schrieb er aufrührerische Schmähschriften, und in der Folge war er in nicht weniger als drei Ländern als Revolutionär, zum Teil in führender Stellung tätig.

Dieser Mann war Thomas Paine. Es mag auf den ersten Blick vielleicht wundernehmen, daß ich ihn, der zu Thetford in der Grafschaft Norfolk geboren ist, als Ausländer bezeichne. Aber schließlich bestanden die dreizehn Kolonien immerhin bereits über anderthalb Jahrhunderte. Wenn die Kolonisten auch noch britisch waren und sich selbst zu Beginn des Unabhängigkeitskrieges noch als Briten fühlten, so hatte sich doch eine amerikanische Eigenart herausgebildet. Geborenen Amerikanern gegenüber wie Washington, Jefferson oder Benjamin Franklin wirkte der eben ins Land gekommene ehemalige Schnürbrustmacher und Steuereinnehmer jedenfalls als Ausländer und Einwanderer.

Das ist ja eben die Eigenart Amerikas als eines europäischen Tochterkontinents, daß Europäer sich in der Neuen Welt sofort heimisch fühlen und sich gewissermaßen von heute auf morgen in Amerikaner verwandeln können. Derartig rasch amerikanisierte Europäer, wie auch Carl Schurz einer war, haben mehr als einmal einen entscheidenden politischen Einfluß ausgeübt und die Vereinigten Staaten in einer Richtung vorwärtsgetrieben, vor der Einheimische zunächst zurückschreckten.

Genau so verhielt es sich mit dem Abfall von England. Die Kolonisten wahrten eifersüchtig ihre Selbstverwaltung, die sie ja bereits seit langem besaßen, und sie wollten sich vor allem vom Londoner Parlament nicht besteuern lassen. Aber abfallen, sich vom Mutterland lossagen? – Nein, einen so ketzerischen hochverräterischen Gedanken hatte noch niemand gehabt, geschweige denn ausgesprochen, selbst nach Lexington noch niemand, nachdem bereits Schüsse gefallen und Blut geflossen war. Da organisierte man wohl den Widerstand, aber doch nur um seine verbrieften Rechte und Freiheiten gegen die Übergriffe der Krone zu schützen.

Als nun der König nicht einlenkte, wie man erwartet hatte, sondern wütend auf den Tisch schlug und schleunigst nach altbewährter britischer Art fremde Söldner aufkaufte, um seine aufrührerischen Untertanen mit Gewalt zur Vernunft und Unterwerfung zu bringen, da war die Not groß. Damit hatte man nicht gerechnet, und eine allgemeine Unsicherheit riß ein. Was sollte man jetzt bloß tun!

Da kam dieser Ausländer daher, dieser eben erst gelandete Emigrant und schrieb ein vierzig Seiten starkes Heftchen, das er »Common Sense« nannte. Darin machte er den vor ihrem erzürnten Landesvater zitternden Kolonisten klar, daß sie freie Amerikaner wären, und daß es nur einen Weg für sie gäbe: die Erklärung der Unabhängigkeit.

Dieses Schriftchen vom »Gesunden Menschenverstand« schlug ein wie der Blitz. Es war, als habe der Fremde einen Gedanken ausgesprochen, der in aller Seelen geschlummert, den man aber noch nicht zu fassen gewagt hatte. Im Handumdrehen waren hunderttausend Stück der aufrührerischen Schrift abgesetzt, und aus loyalen Untertanen, die alleruntertänigst ihre Beschwerden vorzubringen gewagt hatten, wurden Revolutionäre, die kühn und verwegen volle Freiheit forderten. Fünf Monate nach dem Erscheinen von Paines Kampfruf wurde die Unabhängigkeit erklärt.

Der Mann, der den Text der Unabhängigkeitserklärung schrieb, war ein geborener Amerikaner, auch er angesteckt von den revolutionären Menschheitsbeglückungsgedanken eines Thomas Paine. Aber im Kongreß saß eine ganze Reihe vorsichtiger, gesetzter Bürger, denen die erste Fassung Jeffersons doch zu revolutionär und aufrührerisch klang. So änderte man die rötesten Stellen ab, ließ aber immerhin so viel stehen, um mit einer lauten Menschheitsfanfare vor die Welt treten zu können.

Es ist überaus fesselnd, die amerikanische Unabhängigkeitserklärung im Original zu lesen, im Jeffersonschen Entwurf mit all den Streichungen und Abänderungen. Jefferson hatte von den angeborenen Menschenrechten geschrieben. Dieses Wort schien den Kaufherren und Pflanzern, die den Kongreß bildeten, nicht unbedenklich. Schließlich mußte man doch darauf sehen, daß die unteren Klassen, die kleinen Gewerbetreibenden, die Käuflinge und Zwangsarbeiter aus dem Dokument nicht etwa Rechte für sich selber ableiteten. Also wurde das Wort »angeboren« gestrichen.

Dann fiel die ganze lange Anklage gegen die Sklaverei. Sie enthielt zwar wunderbare Angriffspunkte gegen den König, aber schließlich war man doch zum Teil selber Sklavenhalter, und an dieser geheiligten Einrichtung wollte man lieber nicht rühren. Auch Jefferson selber gehörte ja dazu, und obgleich er Zeit seines Lebens gegen die Sklaverei war, hat er seinen eigenen nie die Freiheit geschenkt. Er wählte vielmehr einen echt amerikanischen Ausweg. Um durch den Anblick seiner Schwarzen nicht immer wieder an die fluchwürdige Einrichtung der Sklaverei erinnert zu werden, ließ er unterirdische Gänge von den Sklavenquartieren zu den Wirtschaftsräumen wie in das Herrenhaus legen. So vermied er nach Möglichkeit den Anblick seiner farbigen Diener.

Als Jefferson den schönen Satz hinschrieb, daß alle Menschen gleich geschaffen sind, von ihrem Schöpfer mit den gleichen angeborenen und unveräußerlichen Rechten ausgestattet, da dachte er an sich selber, und daß er doch ebensoviel sei wie die eingebildeten Engländer auf den britischen Inseln, die auf ihn als einen »Colonial« herabsahen. Außerdem las sich dieser Satz wunderschön und klang großartig. Daß einer seiner Sklaven, die ihn täglich bedienten, je hätte auf den Gedanken kommen können, den Satz auch auf sich zu beziehen, war viel zu grotesk, als daß man das hätte vermuten können.

Gleichheit, Menschenrechte, Demokratie, das waren Zeitströmungen, Schlagworte, die von Europa hinüber nach den amerikanischen Kolonien gelangt waren. Rousseau und die Enzyklopädisten hatten sie geprägt, aber kein Mensch dachte an ihre Verwirklichung, auch in Amerika nicht, ja dort am allerwenigsten. Die maßgebenden Männer in den dreizehn Kolonien waren selbstverständlich für Selbstverwaltung, aber doch nur für ihre eigene. Sie waren Großgrundbesitzer, Sklavenhalter, reiche Kaufleute und Finanzmänner. Ihnen wäre nicht im Traum der Gedanke gekommen, kleine Handwerker und Farmer an der Regierung zu beteiligen, geschweige denn weiße Zwangsarbeiter oder schwarze Sklaven.

Grundsätzliche Menschheitsfragen lassen sich jedoch nicht durch einen Trick oder Kniff umgehen oder in doppelter Auslegung lösen. So haftet die Zwiespältigkeit der grundlegenden Verfassungsurkunde denn auch der ganzen weiteren Entwicklung der Union an. Hätte man die Menschenrechte nicht nur als revolutionäre Propaganda, sondern wirklich ehrlich und grundsätzlich verkündet und also auch die Sklaverei abgeschafft, so hätte man sich all das Blut und Elend des Bürgerkriegs gespart. Damals wäre die Sklaverei noch verhältnismäßig leicht abzuschaffen gewesen. Ihre wirtschaftliche Bedeutung war im Sinken, wirkliche Bedeutung hatte sie nur in Georgia und den beiden Karolinas; und die waren im Sinn des Unabhängigkeitskampfes ohnehin die unsichersten Kantonisten. Erst durch Baumwollkultur und Cotton-Gin wurde die Sklaverei für den ganzen Süden lebenswichtig.

Gedanken und Ideen in der richtigen Form und zu dem gegebenen Augenblick ausgesprochen, sind jedoch gefährlicher als Feuer, wirksamer als Armeen. So hatte die Erklärung der Menschenrechte Wirkungen, die sich ihre Verfasser nie hätten träumen lassen. Vor allem kam durch sie dieser Widerspruch und diese Heuchelei in das gesamte politische und öffentliche Leben der Vereinigten Staaten, an dem sie noch heute kranken. Man war in den Kreisen, die die Revolution machten, und die sich seitdem an der Führung erhielten, durch und durch aristokratisch, aber man mußte unter der Maske der Demokratie regieren. Man war eben durch und durch englisch, aber da man im Namen der Menschheit gesprochen hatte und die Erklärung, auf der die neuen Staaten ruhten, von der allgemeinen Gleichheit und dem gleichen Recht aller ausging, konnte man nicht gut Einwanderer nichtbritischen Bluts abweisen, als sie an die Tore des neuen Paradieses klopften. Man hatte den Staat ja ausdrücklich als solches erklärt und Münzen schlagen lassen, die die Aufschrift trugen: »Eine Zuflucht für die Unterdrückten aller Völker!«

Machte man bei den Menschenrechten aber eine Ausnahme, so konnten sich auch weitere einschleichen, und so waren der angelsächsischen Vorherrschaft die Tore geöffnet. Die angelsächsischen Kolonisten blieben ja auch nach der Unabhängigkeitserklärung wesens- wie blutmäßig Briten. Sie sahen in den Vereinigten Staaten ein angelsächsisch-protestantisches Land, und amerikanisieren bedeutete für sie ganz selbstverständlicherweise anglisieren. Sie stellten diese Forderung in aller Harmlosigkeit an alle »Amerikaner«, welchen Bluts sie auch sein mochten. Das gute Gewissen für diese Forderung und den nötigen moralischen Hintergrund aber gab ihnen die Verkündigung der Menschenrechte in der Unabhängigkeitserklärung. Danach war es Amerikas Mission, alle Menschen frei und glücklich zu machen. Wie konnte man das anders, als indem man sie amerikanisierte! Das amerikanische, das heißt das angelsächsische Blut konnte man ihnen zwar nicht übermitteln, wohl aber amerikanische Verfassung, Sitten und Einrichtungen. Für solche Gaben durfte man ewigen Dank und willige Unterordnung unter den angloamerikanischen Führungsanspruch wohl mit Recht erwarten.

Indem die führenden Schichten englisch waren und blieben, aber die Menschenrechte als Grundsatz verkündeten, drückten sie die Deutschstämmigen in den Staaten zu Amerikanern zweiter Klasse herab und entzogen ihnen gleichzeitig die Möglichkeit, sich dagegen zu empören.

29.
Der neue Erdteil

Hart am Rand des Chaos und der Anarchie vorbei erreichte der junge amerikanische Staat den rettenden Hafen der Verfassung von 1787 und eine wieder gesicherte gesellschaftliche und staatliche Ordnung. Um den Kampf gegen England durchzuhalten, hatte man Kräfte aufrufen müssen, die man nach Friedensschluß nicht so leicht wieder loswerden konnte. All die großen Worte »gegen Tyrannei«, »für Freiheit und Gleichheit« waren nicht so ernst gemeint gewesen. Die Grenzer, Farmer und Handwerker, die unter dem Sternenbanner gefochten hatten, bildeten eine unbequeme, ja gefährliche Macht. Der Kongreß wollte sie ohne Sold nach Hause schicken. Aber darauf ließen sie sich nicht ein. Ein Trupp Soldaten marschierte nach Philadelphia, bezog Lager vor dem Gebäude, in dem der Kongreß tagte und forderte mit dem Bajonett Erfüllung seiner Forderungen. Der berühmte Marsch der »Veteranen« des Weltkrieges nach Washington zur Erzwingung des »Bonus« hat also in jenem Vorgang sein Vorbild.

Über die endgültige Regierungsform konnte man sich nicht einigen, die Einzelstaaten lagen im ständigen Streit. Außerdem herrschte Inflation; das massenhaft ausgegebene Papiergeld war nichts wert. England sperrte seine Häfen, die bisher für Schiffe und Waren der Kolonien offen gewesen waren. Man kam nahe an den Rand des Zusammenbruchs und des Auseinanderfalls. Die Notlage ermöglichte jedoch den konservativ Gesinnten schließlich, eine viel straffere Zentralgewalt zu schaffen, als gleich nach dem Friedensschluß möglich gewesen wäre. In der Folge mußte man zwar den unteren Volksschichten immer größere Rechte einräumen, insbesondere, als Jackson an die Regierung gelangte, man verstand aber, trotzdem die Macht in der Hand zu behalten, wenn auch die Formen wechselten, unter denen man sie ausübte. Ebenso gelang es, das rein englische Gepräge der amerikanischen Staaten zu bewahren, ja es sogar zunächst zu vertiefen. In den Jahrzehnten von der Anerkennung der Unabhängigkeit bis in die dreißiger und vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts waren die Vereinigten Staaten nahe daran, tatsächlich eine angelsächsische Nation zu werden.

Eine Reihe von Umständen kam da zusammen. Der erste war, daß die Verbindung mit Europa abriß und damit auch die Einwanderung aussetzte. Amerika, das bis dahin ein Anhängsel Europas gewesen, beschritt den Weg zu einem eigenen kontinentalen Dasein.

Bisher hatten alle Vorgänge in Europa auf Amerika zurückgewirkt. Die Kriege europäischer Völker waren auch auf dem amerikanischen Kriegsschauplatz ausgefochten worden. Jetzt hörte dies auf, nicht zum wenigsten durch die kluge Neutralitätspolitik Washingtons. Durch sie enttäuschte er freilich Frankreich schwer. Als die junge französische Republik mit Europa in Krieg geriet, reichte sie bei Amerika die Rechnung für geleistete Waffenhilfe ein. Washington jedoch erklärte, daß der mit der Monarchie geschlossene Vertrag keinerlei Geltung für die Republik hätte. Überhaupt war man in Amerika entsetzt über das, was in Frankreich vorging. So hatte man sich weder Demokratie noch Menschenrechte vorgestellt.

1812 geriet man neuerdings mit England in Krieg. Man hatte ihn erklärt, als Napoleon die Große Armee gegen Rußland zusammenzog und man ihn auf dem Höhepunkt seiner Macht wähnte. Als er dann zusammenbrach, stand man allein, und aus der erhofften Eroberung Kanadas wurde nichts. Man hielt sich aber wenigstens und vermochte den Krieg ohne Gebietsverlust zu beenden.

Danach aber hatte man Ruhe. Man zog sich auf Amerika zurück, und Europa, das an den Wiederaufbau ging, war viel zu sehr mit sich beschäftigt, um es zu stören. So war man sogar in der Lage, erfolgreich zu bluffen. Unter Präsident Monroe rief man Europa zu: »Hände weg von Amerika!« Tatsächlich ließ darauf die Heilige Allianz von dem geplanten Eingreifen in Südamerika ab, und Rußland steckte seine Ansprüche an der kalifornischen Küste zurück.

Die entscheidenden Vorgänge dieser Zeit, die bis auf den heutigen Tag nachwirken, waren jedoch einmal das Aufhören der Einwanderung und zum andern die Erschließung des amerikanischen Erdteils. Wie so oft in der amerikanischen Geschichte hob jedoch schließlich der eine den andern auf, ohne daß Amerika sich zu einer klaren Linie entschließen konnte.

Der Unabhängigkeitskrieg hatte an sich eine Schwächung des englischen Grundstocks der Bevölkerung bedeutet. Außer den Kriegsverlusten hatte man sechzigtausend bis siebzigtausend Anhänger des Königs, die sogenannten Loyalisten, verloren. Sie waren größtenteils nach Kanada gegangen, wo sie den Grund zu einem antiamerikanischen britischen Kanadiertum legten. Statt dessen blieben etliche tausend von den etwa dreißigtausend »Hessen« im Lande, die unter britischer Flagge gegen die Amerikaner gefochten hatten.

Da danach keine Einwanderer mehr kamen außer etwa jährlich einigen tausend Engländern und Schotten, verschob sich das Bevölkerungsverhältnis wieder zugunsten des britischen Charakters der Gesamtbevölkerung. Die Holländer, Hugenotten und Schweden gingen restlos im Angloamerikanertum auf. Auch das Deutschtum wurde langsam aufgesogen. In Pennsylvanien hielt es sich zwar. Da die Deutschen hier aber versäumt hatten, ihre Sprache und ihr Volkstum gesetzlich zu sichern, als sie die Macht dazu gehabt hätten, ging es langsam aber ständig zurück. Die deutschen Städte wurden mit der Zeit eine nach der andern englisch, lediglich auf dem Land hielt sich das Deutschtum.

In Kanada bewahrten die Nachkommen von etwa siebzigtausend Franzosen Sprache und Sitte derart, daß sie heute einen frankokanadischen Staat im britischen Kanada bilden. In Pennsylvanien haben doppelt so viel Deutsche es, außer auf dem Land, nicht erreicht, Sprache und Sitte zu erhalten, geschweige, daß sie verstanden hätten, sich dauernden politischen Einfluß zu sichern. Worin liegt der Grund für diese starke völkische Kraft der Franzosen auf amerikanischem Boden?

Ich glaube, er liegt einmal in der religiösen Einheit der Frankokanadier. Sie waren ausschließlich Katholiken und standen somit, in scharfem Gegensatz zu den protestantischen Briten. Die Pennsylvanier aber waren in zahllose Sekten gespalten, die sich überdies mit den britischen zum Teil deckten oder ihnen mindestens sehr ähnlich waren. Die französischen Kanadier sahen in den britischen ihre Besieger und sonderten sich dementsprechend von ihnen ab, die deutschblütigen Pennsylvanier dagegen hatten sich mit den angelsächsischen gemeinsam Freiheit und Unabhängigkeit erkämpft.

Aus diesem Gefühl des gemeinsamen Vaterlands heraus versäumten es die Führer des pennsylvanischen Deutschtums, ihre völkischen Rechte in dem neuen Staat zu sichern, ja sie waren es sogar zum Teil, die das Deutschtum preisgaben und die Anglisierung der Gemeinden betrieben. Es ist das eine Erscheinung, die wir leider immer wieder antreffen, daß gerade die Deutschstämmigen in Amerika, die es zu Vermögen und Stellung gebracht, auf die angloamerikanische Seite überschwenken.

Dazu kam noch ein weiterer Grund, die Erschließung des Erdteils. In Kanada hatte man die Loyalisten in Ontario angesiedelt, sie damit den Franzosen vorgelagert und diese vom Westen abgeriegelt. Dadurch wurden sie zusammengehalten, und Quebec bewahrte seinen rein französischen Charakter. In Pennsylvanien aber öffneten sich die Tore nach Westen weit, und unter den in das Ungewisse Ziehenden waren nicht wenige Deutsche. Sie verstreuten sich unter den angelsächsischen Pionieren, und da sie überall in der Minderheit waren, mußten sie ihr Deutschtum mit der Zeit verlieren.

Für den angelsächsischen Charakter der Union war es entscheidend, daß der große Zug nach Westen in großen Linien durchgeführt war, ehe der Einwandererstrom einsetzte. In rascher Folge entstand erst östlich des Mississippis, dann auch westlich des großen Stroms ein neuer Staat nach dem andern. Alle wurden sie von Angloamerikanern mit Hilfe von etlichen Pionieren deutschen oder irischen Bluts gegründet. Als daher die nicht angelsächsischen Massen eintrafen, vermochten sie nirgends mehr eigene staatliche Gebilde zu gründen, sondern fanden überall bereits angloamerikanischen Rahmen vor, in dem eine Führerschicht vorhanden war, der sie sich unter- oder bestenfalls beiordnen mußten. So gelang es zwar nicht, eine angloamerikanische Nation ins Leben zu rufen, wohl aber eine unter angelsächsischer Führung.

30.
Der Wille zu Freiheit und Volkstum

Seit der Entdeckung Amerikas durch Europa waren die zwei Erdteile wie zwei Zahnräder ineinandergekuppelt. Dabei erfolgte der Antrieb zunächst immer von dieser Seite des Atlant. Noch den Menschen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erschien es selbstverständlich, daß alle Impulse von der Alten Welt aus erfolgten. Da geriet mit der amerikanischen Revolution der bisher für naturgegeben gehaltene Mechanismus ins Stocken. Es war, als sei Sand zwischen die Räder geraten. Bald zeigte sich allerdings, daß es sich vielmehr um eine Verlagerung des Antriebs handelte; denn es dauerte nicht lange, und das Getriebe begann sich in der entgegengesetzten Richtung zu drehen, die Antriebe gingen nunmehr von Amerika aus.

Das Gedankengut der amerikanischen Revolution war geistiges Eigentum Europas gewesen, ja die europäische »Aufklärung« hatte einen kleinlichen Kolonistenzank, der sich ursprünglich lediglich um bessere Behandlung durch das Mutterland gedreht hatte, zu einer grundsätzlichen Angelegenheit der Menschheit gemacht. Diese Gedanken wirkten dann in ihrer amerikanischen Fassung wieder auf Europa zurück und brachten die große französische Revolution ins Rollen, die seelisch freilich schon lange vorbereitet war.

Seitdem laufen die Entwicklungen von Europa und Amerika parallel, nur mit einem erheblichen Unterschied. In dem raumbeengten Europa muß natürlicherweise immer wieder versucht werden, grundsätzliche Entscheidungen und Lösungen herbeizuführen, während Amerika ihnen stets von neuem ausweichen konnte. Sein Raum erwies sich, obgleich auch er sich ständig verengte, doch immer noch groß genug, um allzu bösartige Reibungen zu vermeiden. Energiegeladene, revolutionäre Naturen hatten immer noch Platz und Möglichkeit, sich zu entladen, ohne das Gleichgewicht der Gesellschaft zu gefährden.

Dies gab Amerika ein scheinbar moralisches Übergewicht. Wegen seiner Weite und Leere konnte es allzu strenger Bindungen entraten und so als das Land der Freiheit erscheinen.

Diese Glorie begann besonders zu leuchten, als sich Europa nach dem Zusammenbruch der großen Revolution eine neue Ordnung zu geben versuchte. Die Revolution war mit Napoleon und dem Wiener Kongreß äußerlich erledigt, aber innerlich wirkten ihre Gedanken selbst in den Männern weiter, die sie zu liquidieren versuchten. So vermochte die Heilige Allianz die Kräfte, die sie für immer zu bändigen geglaubt hatte, nur für ein paar Jahre zu fesseln. In Süd- und Mittelamerika versagte sie zuerst. Die jungen Vereinigten Staaten erwiesen sich als eine erstaunliche Macht, von der sich die ganze großmächtige Heilige Allianz bluffen ließ. Die vereinigten europäischen Großmächte zuckten vor der Monroedoktrin zurück und ließen der Freiheitsbewegung in den spanischen Kolonien ihren Lauf.

Auch in Europa erhob sich alsbald der Sturm gegen eine Ordnung, die ihre Schöpfer für ewige Zeiten errichtet zu haben glaubten. Die Revolutionen von 1830 und 1848 aber, die in ganz Europa auflohten, führten zunächst nur in den wenigsten europäischen Ländern zum Ziel. Der dadurch bedingte Rückschlag und die in den Kreisen der Revolutionäre einreißende Entmutigung kamen Amerika zugute, ja sie schufen erst das Amerika von heute; denn die Enttäuschung, das Verzweifeln an Europa, führte erst zu der Massenauswanderung über den Atlant und damit zu dem märchenhaften Aufstieg der Vereinigten Staaten.

Heute neigt man in Amerika dazu, in dieser Masseneinwanderung ein sehr zweifelhaftes Geschenk zu sehen und spricht es offen aus, daß dieser ungehemmte und unkontrollierte Zustrom die gute amerikanische Rasse hoffnungslos verdorben habe.

An dieser Ansicht ist etwas Wahres dran, und wenn man den furchtbaren Rassenmischmasch in Neuyork erlebt, möchte man ihr unbedingt recht geben. Diese Einwanderung hat Amerika aber auf der andern Seite eine Fülle hervorragender Kräfte, fleißiger Menschen, hingebenden Idealismus gegeben. In jedem Falle wäre es ohne sie nicht Amerika, sondern allenfalls ein besseres »Australien«, das heißt ein untervölkerter Erdteil, der zwar von einer einheitlichen Rasse bewohnt ist, die jedoch allein zahlenmäßig viel zu schwach ist, ihn auszunützen und gegen die Ansprüche anderer, raumbeengter Völker auf die Dauer zu halten.

Einerlei, wie man auch über die europäische Masseneinwanderung der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach Amerika denken mag, sie ist eine Tatsache, die sich ebensowenig rückgängig machen läßt wie die Einführung der Negersklaven. Beide Faktoren bestimmen entscheidend Gestalt und Zukunft der Vereinigten Staaten, und sie lassen sich durch keinerlei angelsächsische Wünsche und Hoffnungen aus der Welt schaffen. Durch die Millionen und Abermillionen von Mittel- und später auch Süd- und Osteuropäern, die ab 1830 in die Vereinigten Staaten einwanderten, ist ihre Rückbildung in eine angelsächsische Nation, die mit dem Abschluß des Unabhängigkeitskriegs so erfolgversprechend einsetzte, endgültig verhindert. Selbst wenn die Vereinigten Staaten von jetzt ab ihre Tore für immer schließen würden, könnten sie diesen Vorgang nicht mehr rückgängig machen, könnten sie zu dem Amerika von 1800 nicht mehr zurück.

Die anfangs Tausende, später Zehntausende und schließlich Hunderttausende von deutschen Menschen, die ab 1830 Jahr für Jahr über den Atlant fuhren und die Prärie zu ihrer zweiten Heimat machten, geben uns Deutschen ein Recht zu sagen »Unser Amerika«, verweben deutsches Erbgut ebenso unauflöslich mit dem amerikanischen Staat und Volk wie das angelsächsische.

Können wir den deutschblütigen Teil Amerikas aber wirklich als »unser« bezeichnen, insbesondere wir nationalsozialistischen Deutschen des Dritten Reiches? Das Recht dazu bestreiten uns ja nicht nur Amerikaner britischen, sondern selbst solche unseres eigenen Bluts. Die Nachkommen des großen Achtundvierzigers Carl Schurz, des erfolgreichsten Amerikaners deutschen Stammes, meinten sogar ausdrücklich erklären zu müssen, daß zwischen ihnen und uns nichts Gemeinsames bestünde, daß Carl Schurz für »Schwarz-Rot-Gold« gefochten und gelitten habe, für die Demokratie, für den Liberalismus, kurz für lauter Dinge, die der Nationalsozialismus mit Stumpf und Stiel ausrottet.

Worte, Symbole, Lieder können ihre innere Bedeutung geradezu ins Gegenteil wandeln. Die Trikolore, die Marseillaise, einst Fahne und Lied der rötesten Revolutionäre, sind heute Symbole des reaktionären Bürgertums geworden. Ähnlich steht es mit Schwarz-Rot-Gold, mit Demokratie, mit Liberalismus. Die deutsche Jugend von heute sieht in all dem den Feind schlechthin. Schwarz-Rot-Gold kennt sie überhaupt nur noch als die »schwarz-rot-gelbe« Judenfahne. Für Carl Schurz aber stand es für die gleichen Ideale wie für uns Heutigen das Hakenkreuz.

Um was ging denn 1848 der Kampf? Wofür stiegen Studenten und Arbeiter auf die Barrikaden? Wofür kämpften, bluteten Männer wie Carl Schurz, Richard Wagner, Fritz Reuter? Wofür wurden sie eingekerkert, verbannt, vertrieben? Für ein freies, einiges Deutsches Reich!

»Rotfront« gab es damals noch nicht, wenigstens war sie in Deutschland erst in den allerersten Anfängen. Aber »Reaktion«! die war reichlich vorhanden, und Carl Schurz und seine Gesinnungsgenossen hätten mit vollem Recht singen können: »Kam'raden, die die Reaktion erschossen, marschiern im Geist in unsern Reihen mit!«

Diesen Geist und diese Erinnerung nahmen alle die mit, die vor der Reaktion über das Meer in die Neue Welt entwichen. Darin liegt der entscheidende Punkt. Sie kamen nach Amerika als Emigranten, die um eines Ideals willen verfolgt worden waren, das sie in Amerika verwirklicht glaubten. Dieses Ideal war das freie einige Volk gewesen. Nachdem sie es in der alten Heimat nicht hatten erreichen können, wollten sie ihm wenigsten in der neuen dienen. Viele erkannten freilich, daß das, was ihnen vorgeschwebt hatte, in der Neuen Welt ebenso fern und unerreichbar war wie in der Alten. Aber was sollten sie machen? Zurück – nachdem sie alles hinter sich abgebrochen? Manche taten es. Die meisten aber blieben und fanden sich mit dem Vorhandenen ab, so gut es eben ging. Gerade aus zunächst enttäuschter Liebe verbissen sich viele geradezu in die amerikanische Demokratie, krampften sich an eine Freiheit fest, die im Grunde gar nicht vorhanden war, oder sich vielmehr ins Gegenteil verzerrte, und stellten sie in Gegensatz zu der »Zwangsherrschaft und Autokratie« des alten Vaterlandes. Wenn in Amerika die Vorstellung von Deutschland als einem Polizeistaat und der Deutschen als eines Volkes, das die Gewalt anbetet, so unausrottbar blieb bis auf den heutigen Tag, so liegt die Schuld daran mit an den deutschen »Emigranten«, gestern und heute.

Dies erkennen, heißt aber gleichzeitig den Punkt erfassen, an dem der Hebel angesetzt werden kann. Verblichene Wortfetzen, die derart ihre Farbe gewechselt haben wie die Begriffe Demokratie und Liberalismus, dürfen nicht mehr zwischen uns und Amerika stehen, am allerwenigsten dem, das unseres Bluts ist. Für das Unvergängliche in diesen Worten, für die ewige Sehnsucht, »auf freiem Grund mit freiem Volk« zu stehen, haben wir neue Namen geprägt, neue Symbole, neue Lieder. Die Saat ist aufgegangen, die die Achtundvierziger gesät haben. Ihre Nachkommen jenseits des Meers werden den wahren Kern des heutigen Deutschlands erkennen, durch all den Nebel gegnerischer Propaganda hindurch, und in ihm die Erfüllung dessen, wofür ihre Väter litten und stritten.

31.
Die Erschließung von Niemandsland

»Ehe ich sterbe, möchte ich einmal doch da durch!« Der alte Tennesseefarmer wies mit dem Kinn auf die großen Wälder.

Endlos zogen sie sich über die Berge, bis an den Horizont. Die Wiesen und Äcker der Farmen waren wie eine kleine verlorene Lichtung in die Unendlichkeit des Urwalds gehauen. Ehe ich hierher in die Great Smoky Mountains gekommen war, hätte ich nicht geglaubt, daß es in den Vereinigten Staaten noch diesen Ozean von Bäumen geben könne.

»Da drinnen gibt es noch Bären, Panther«, fuhr der Weißhaarige fort, »Bäume, die niemand kennt, und Heilpflanzen, wunderbare Heilpflanzen, aber ganz durch ist da noch nie jemand gekommen, kein Bleichgesicht und keine Rothaut.«

Mir war, als rede der Alte irre, als beschwöre er ein Amerika des Lederstrumpfs herauf, das doch lange versunken ist. Er aber ließ sich nicht beirren: »Acht Tage wird es mindestens dauern, es können auch vierzehn werden; vielleicht kommt man überhaupt nicht durch, aber einmal will ich es doch versuchen!«

Als wir dann im Auto von Ashville nach Knoxville über die Smokies auf der neuen Autostraße fuhren, da sah ich, daß der alte Farmer recht hatte. In den Smokies, der südlichsten Kette der Alleghanies, ist noch ein Stück Wildwest erhalten geblieben. Wie ein Ariadnefaden führt die asphaltierte Straße durch die Wildnis. Beiderseits des Weges streift sie den Wagen, uralte Bäume, Balsamtannen, Moose, Farne, Flechten und Rhododendronsträucher, eine blühende Mauer von Rhododendren, aber alles verwachsen, verfilzt, ein dichtes Gewirr. Ein unheimliches Gefühl beschleicht einen bei dem Gedanken, hier zu Fuß seinen Weg suchen, sich erst jeden Schritt durch das Dickicht schlagen zu müssen.

Fährt man durch die Smokies, die »Rauchenden Berge«, die nach den um ihre Gipfel webenden Nebeln so heißen, begreift man, welch kaum übersteigbare Barriere die Alleghanies so lange für die dreizehn Kolonien bilden mußten. Gleichzeitig versteht man, welch ständige Lockung die endlosen schweigenden Wälder für alle Abenteuerernaturen waren. »Ehe ich sterbe, möchte ich einmal da durch!«, so mag mancher von den Grenzern gedacht haben.

Viele Deutsche waren darunter. Einer der ersten, der hinüberzog über das lockende geheimnisvolle Gebirge, Daniel Boone, ist wahrscheinlich deutschen Bluts gewesen. Seine Familie mag ursprünglich Bohne geheißen haben. Jedenfalls stammt er aus einer rein deutschen Gegend Pennsylvaniens, und es steht einwandfrei fest, daß er fließend Pennsylvanian Dutch sprach.

Aber mag die deutsche Abstammung dieses ersten und berühmtesten der Pioniere auch nicht mit Sicherheit nachgewiesen werden können, von vielen andern ist sie verbürgt. Die Deutschen saßen nicht nur an der Grenze, sie hatten auch den richtigen Grenzergeist. Dafür ist kein Geringerer Zeuge als George Washington.

Dieser hatte als Lohn für seine Verdienste in den Franzosen- und Indianerkriegen große Ländereien zugewiesen bekommen, sie lagen aber jenseits der Waldberge im Niemandsland, und er mußte sie sich gewissermaßen erst erobern. Er dachte das mit Hilfe von Pfälzern zu tun und plante, einen Agenten nach Deutschland zu schicken, um Siedler anzuwerben. Das mag damals ähnlich gewesen sein wie die Verhältnisse, die ich nach dem Weltkrieg in Bolivien erlebte. Da ließ mich während meines Aufenthalts in La Paz einer der großen Grundbesitzer zu sich bitten und erklärte mir, daß er einen riesigen Besitz hätte, der sich zur Besiedlung durch Deutsche prachtvoll eigne. Ich sollte doch mal hinausreiten und ihn mir ansehen. Als ich mit Freuden zusagte und ihn fragte, ob er denn nicht mitkäme, antwortete er, das ginge leider nicht. Die Indianer, die auf seinem Grund säßen, ließen ihn leider nicht hinein. Falls er sich zu zeigen wage, würden sie ihn sicher niederknallen, aber mir als Fremden würden sie kaum etwas tun. Als ich dann weiter fragte, wie die Indianer es aber mit den deutschen Kolonisten halten würden, meinte er, die hätten doch eben erst den Weltkrieg hinter sich, da würde es ihnen eine Kleinigkeit sein, mit den Indianern fertig zu werden.

So ähnlich mag sich das Washington mit den Pfälzern und seinen Besitzungen im Niemandsland gedacht haben. Aber dann brach der Unabhängigkeitskrieg aus, und er hatte andere Dinge zu tun.

Der Friedensschluß sprach den jungen Vereinigten Staaten das gesamte Land bis an den Mississippi zu, und dieser rechtliche Anspruch gab der Westwanderung einen mächtigen Ansporn. Sie war auch sonst lockend genug; denn wer sich in dem neuen Land eine Blockhütte erbaute und nur eine einzige Ernte, wie klein auch immer, in die Scheune brachte, der erhielt vierhundert Acker zugeteilt, mit einem Vorkaufsrecht auf weitere tausend. Vielfach waren die Besitzverhältnisse noch einfacher. Da galt noch das sogenannte Tomahawkrecht. Wer die Bäume mit der Axt anschlug und sein Zeichen in die Stämme ritzte, dem gehörte das Land. Freilich ein Preis mußte gezahlt werden, wenn auch nicht in Geld; er hieß unsägliche Mühe, Entbehrung, grenzenlose Einsamkeit und ständige Lebensgefahr. Trotzdem fanden sich genug Männer und Frauen, die bereit waren, ihn zu zahlen, und sie waren es, die Amerika für lange Zeit den Stempel aufdrückten.

Wer die Amerikaner von heute kennt mit ihrer außerordentlichen Verwöhntheit, die sich ein Leben ohne Zentralheizung, elektrisches Licht, Kühlschrank, Auto und Radio überhaupt nicht mehr vorstellen können, dem will es unfaßbar erscheinen, daß die Pionierzeit erst hundertundfünfzig, hundert, ja zum Teil knapp fünfzig Jahre zurückliegt.

Die Pioniere sind die zweiten Gründer Amerikas. Die Puritaner, die virginischen Kolonisten, die Quäker und die Pfälzer begründeten das koloniale Amerika, die Pioniere das kontinentale. Da die Lebensbedingungen für sie alle gleich waren, gleich unerbittlich hart, gleich gefährlich, so legten sie eine viel einheitlichere Grundlage als die Kolonisten der Küste. Obgleich sie verschiedenen Stammes waren, englischen, schottischen, irischen und deutschen Bluts, obgleich sie sich über einen so riesigen Raum verteilten, und obgleich ein breiter Einwandererstrom nachströmte, hatten sie doch ein so festes Gerüst dessen aufgerichtet, was als amerikanisch zu gelten hat, daß sich alle später Kommenden danach richteten, bis auf den heutigen Tag, in dem die amerikanische Idee in eine schwere Krise geraten ist.

Im Westen wurde damals die amerikanische Demokratie geschaffen, die an die Stelle der Aristokratie der Küste trat. Männer in der Wildnis, von denen jeder einzelne auf sich allein gestellt ist, können nichts anderes sein als Demokraten. In kleinen übersichtlichen Verhältnissen, in Gemeinden von ein paar hundert, in Staaten von etlichen tausend Köpfen, in denen jeder jeden kennt, ist noch Demokratie in ihrem alten ursprünglichen Sinn möglich.

Damals wurden fast jedes Jahr neue Staaten gegründet, gleichsam aus Wildnis und Prärie herausgeschnitten. Wo sechstausend Männer zusammen waren, da hatten sie das Recht, als ein neuer Staat zur Union zugelassen zu werden. Im Jahre 1820 gab es bereits acht solcher neuen Staaten, in denen nicht weniger als die Hälfte der gesamten Bevölkerung der Union lebte. Es war klar, daß sich diese hartgeschnitzten Hinterwäldler, die die Büchse nicht aus der Hand ließen, eine etwas klobige Verfassung gaben und ihrem Gouverneur und ihren Beamten nicht allzu viele Rechte einräumten.

Hier im Westen war Freiheit; denn die Menschen waren bereit, den Preis der Freiheit zu bezahlen, der immer der Preis des Lebens ist, und darüber hinaus Härte, Entbehrung und Einsamkeit. Diesen Freiheitsbegriff nahmen die deutschen Einwanderer auf, die als Emigranten und politische Flüchtlinge dem Europa der Heiligen Allianz und dem Deutschland der Restauration und Reaktion entwichen waren, die Burschenschaftler, die Turner und die Achtundvierziger.

Vom Westen sprangen dieser Geist unbändiger Freiheit und das Mißtrauen gegen jede Obrigkeit nach dem Osten über, stürzten die aristokratischen Großgrundbesitzer, die sogenannte »virginische« Dynastie, und verhalfen der Demokratie Jacksons zum Sieg. In den unübersichtlichen Verhältnissen der großen Städte des Ostens und der verwickelten Geldwirtschaft waren die einfachen Formen der Wildwestdemokratie freilich weniger am Platze. Hier führten sie zu der unglückseligen Vorstellung, die heute noch das politische Leben der Vereinigten Staaten beherrscht, daß es weniger auf Fachwissen denn auf Parteizugehörigkeit ankommt. Aus dieser Einstellung ging das verhängnisvolle System hervor, nach dem dem Sieger die Beute gehört, das nach jeder Wahl fast den gesamten Beamtenapparat wechseln läßt und die Posten unter die Parteiangehörigen verteilt. Die Folge war der Ersatz der virginischen Aristokratie durch die Neuyorker Plutokratie.

Aber da das Land grenzenlos war, da die »Grenze« sich immer weiter nach Westen verschob, da sich jede Abenteuererlust, jeder unbändige Freiheitsdrang austoben konnten, so machte das alles nichts, so spürte die Masse der Bevölkerung die Schlinge nicht, die ihr die skrupellosen Besitzer der Geldsäcke umgeworfen hatten.

»Westwärts ho!« tönte der Ruf. Freiheit und Grenzenlosigkeit bedeutete er. In dem engen, von der Reaktion bedrängten Deutschland hörten ihn freiheitsdurstige Männer. In Massen strömten sie über den Atlant.

32.
Der Traum von einem deutschen Amerika

In der großen Villa einer Vorstadt von Chikago hing über dem Kamin ein hölzernes Ochsenjoch.

Die Dame des Hauses folgte meinem fragenden Blick: »Das stammt von meinem Großvater. Der ist noch im Planwagen über die Prärie nach Missouri gezogen.« Dann rückte sie näher ans Feuer und erzählte:

»Der Vater meiner Mutter war der Pfarrer Georg Münch in Homburg an der Ohm. Sein Vorgesetzter war der großherzogliche Oberstallmeister, der ihm jede Woche angab, was er am Sonntag zu predigen habe. Er selber aber war kein großer Redner vor dem Herrn, und als er einmal auf einem Bankett eine Rede zu halten hatte, geriet er ins Stottern. Mein Großvater war begreiflicherweise wenig erbaut davon, daß ein Oberstallmeister ihm jeden Sonntag seine Predigten vorschrieb, und so konnte er sich nicht enthalten, die spöttische Bemerkung über die Tafel zu machen: »Aus unserm Oberstallmeister ist ein Oberlallmeister geworden!«

Daraufhin war's mit dem Predigen natürlich nichts mehr. Er mußte seinen Abschied nehmen und wanderte nach Amerika aus. Der größere Teil der Gruppe, der er sich angeschlossen hatte, fuhr über Neuorleans den Mississippi hinauf, mein Großvater aber landete in Neuyork und zog mit dem Ochsenwagen über Gebirge und Prärie. Am Nordufer des Missouri, nicht weit von seiner Mündung in den Mississippi, kaufte er sich an und gründete die Stadt Augusta.

Meine Mutter hat mir viel von ihren Kindheitstagen auf der Farm erzählt, von dem gräßlich weiten Schulweg, von den vielen Schlangen, von den Sklaven, die sie für die Feldarbeit mieteten. Morgens brachte der Aufseher die Sklaven, abends holte er sie wieder ab und fragte meine Mutter, ob sie mit ihren Leistungen zufrieden gewesen wäre. Das erstemal hatte meine Mutter an einem der schwarzen Arbeiter etwas auszusetzen. Als sie aber erleben mußte, wie der Aufseher den Sklaven daraufhin mit der Peitsche schlug, hat sie nie mehr einen Tadel geäußert.«

Wie kurz liegt das doch alles zurück! muß ich denken, und wie märchenhaft haben sich im Verlauf von zwei Generationen die Lebensverhältnisse geändert. Dieses Haus ist mit allem Luxus eingerichtet, es ist selbstverständlich, daß die Kinder ihre eigenen Autos haben, dabei wuchs die Großmutter noch in der Blockhütte auf!

Der Pfarrer Georg Münch gehörte zu den »lateinischen Farmern«, jenen Geistlichen, Ärzten, Lehrern und Anwälten, die ihrer freiheitlichen Gesinnung wegen das Deutschland der dreißiger und vierziger Jahre verlassen mußten. Zu geistiger Bedrückung trat oft auch wirtschaftliche Not und seelische Enttäuschung. Es war die Zeit der Europamüdigkeit. In den Köpfen spukten Rousseaus Ideen. So lagerten sich drei Wunschbilder übereinander: In dem reichen Amerika suchte man Besserung seiner äußeren Lebensverhältnisse, in dem Amerika der »unverbildeten Natur« seelische Erhebung und Erneuerung, und im freien Amerika eine bessere Heimat.

Eine Flut schwärmerischer Dichtungen und übertriebener Reiseschilderungen steigerte die Auswanderungslust ins Maßlose. Den stärksten Eindruck machte die Schilderung eines Arztes, Gottfried Duden, der sich im Jahre 1829 in Missouri angesiedelt hatte. Da Duden über genügende Mittel verfügte, die Wildnis von andern roden und seine Farm von andern bestellen zu lassen, so fielen seine Schilderungen überaus rosig aus. Sie fanden in Deutschland eine ungeheuere Verbreitung, vor allem bei den Gebildeten. So zogen gerade aus den Bürgerhäusern zahllose Leute in die Neue Welt, von denen die wenigsten eine auch nur halbwegs richtige Vorstellung von dem hatten, was sie in der Prärie erwartete, und auch nur im geringsten darauf vorbereitet und dafür geeignet waren.

Viele kehrten enttäuscht um, viele gingen zugrunde, aber ein großer Teil biß sich durch, und gerade diese »Achtundvierziger« – wie man zusammenfassend die Einwanderer zwischen 1830 und 1860 nennt – gaben nicht nur dem deutschamerikanischen Bevölkerungsteil, sondern Amerika in seiner Gesamtheit eine bestimmte Note.

Diese Achtundvierziger waren nicht religiöse Idealisten wie die im Verlauf des 18. Jahrhunderts ausgewanderten Sektierer, sondern politische. Sie alle hatten den Traum von dem einen und einigen freien Deutschland geträumt, für das der beste Teil der deutschen Jugend in den Befreiungskriegen sein Leben hingab, und sie alle hatte der Polizeiknüttel der nur um ihren Thron besorgten deutschen Fürsten jäh aus ihren Träumen gerissen. Nun dachten manche von ihnen daran, sie wenigstens jenseits des Atlants zu verwirklichen. Dort gab es noch leere Weite, dort herrschte Freiheit, dort mußte es möglich sein, den Traum von der deutschen Republik in die Tat umzusetzen.

Pläne wurden geschmiedet, Gesellschaften gegründet, Leitsätze aufgestellt. Durch Zusammenfassung des Auswandererstromes, durch seine Lenkung in bestimmte vorher sorgfältig ausgewählte Gebiete, mußte es möglich sein, einen Staat zu schaffen, der zwar als Glied der großen amerikanischen Union angehören, aber in Sprache, Sitte und Volkstum rein deutsch bleiben sollte. Ja, manche gingen in ihren Träumen noch weiter. Für sie war dieser deutsche Staat in Amerika nur Mittel zum Zweck. Wenn er stark genug war, so wollte man in ihm ein Heer von etlichen hunderttausend Mann aufbieten und über das Meer fahren, um die reaktionären Fürsten zu schlagen und das einige freie Deutschland doch noch zu verwirklichen!

Phantasien gewiß, die nie Aussicht auf Verwirklichung hatten, aber doch merkwürdig lange in den Köpfen spukten. Die Haltung der überwältigenden Masse der Amerikaner deutschen Bluts wurde jedenfalls bis weit in die Zeit des Kaiserreichs entscheidend durch das Bild von Deutschland bestimmt, das die achtundvierziger Emigranten mitgebracht hatten und auf Kind und Kindeskinder vererbten. Wer das Auslanddeutschtum kennt, weiß, wie fast unausrottbar das Bild der Heimat haftet, das die auswandernde Generation mitgebracht hat. Wer weiß, ob nicht Phantasien der Achtundvierziger von der Wiedereroberung Deutschlands und seiner Gewinnung für die Demokratie noch in den Köpfen jener Amerikaner deutschen Bluts lebendig waren, die 1918 einen so verblüffend starken Hundertsatz des amerikanischen Heeres ausmachten, das uns auf den französischen Schlachtfeldern entgegentrat, und das den Krieg letztlich zu unsern Ungunsten entschied.

Zu den Männern, die dem Traum eines deutschen Staats in Amerika anhingen, gehört auch Friedrich Münch, der Bruder Georgs. Mit Paul Follen gründete er die »Gießener Gesellschaft«. Follen war die treibende Kraft, ein Riese von Gestalt, klug, von sicherem Takt und unbezähmbarem Willen. »Wir dürfen auf keinen Fall von Deutschland fortgehen«, erklärte er Münch, »ohne einen klaren Plan. Wir wollen den Grund zu einem neuen und freien Deutschland innerhalb der großen nordamerikanischen Republik legen. Dazu müssen wir so viele der besten Deutschen wie möglich sammeln, die mit uns gehen, und wir müssen gleichzeitig alle Vorbereitungen dafür treffen, daß uns Jahr für Jahr eine große Schar Auswanderer folgt. So müssen wir es fertigbringen, zum mindesten in einem der amerikanischen Gebiete einen rein deutschen Staat zu gründen, der eine Zuflucht für alle werden soll, die gleich uns die Zustände in der alten Heimat nicht mehr ertragen können, und den wir zu einem Musterstaat der großen Republik machen wollen.«

Paul Follen raffte der Tod mitten aus seinen Plänen und Hoffnungen heraus hinweg. Er starb bereits 1849 am Nervenfieber. Der wesentlich bedächtigere Friedrich Münch und die übrigen Führer der deutschen Auswanderer steckten ihre Ziele niedriger und begnügten sich damit, eine blühende deutsche Kolonie am Nordufer des Missouri zu schaffen.

Ich bin von Chikago an den Missouri gefahren, durch all die Orte, die einst rein deutsch waren, und von denen heute zum Teil nur noch die Namen an ihre Gründer erinnern. Ich sitze im Stammhaus der Münch, in dem ein durch die »Depression« verarmter Enkel eine Fremdenpension betreibt. Ich blicke auf die sich am Fluß hinziehenden Felder, die mit so großen weitschweifenden Hoffnungen angelegt wurden.

Wer vermag zu sagen, ob eine Möglichkeit für ihre Verwirklichung bestand? Wer weiß? Damals war alles möglich! Wenn es gelungen wäre, die Deutschen wirklich in einer Gegend zu sammeln. Allein die Gießener Gesellschaft war ja nicht die einzige, es bestanden deren eine ganze Reihe. Nicht nur Münch und Follen dachten an einen deutschen Staat in Amerika, und jeder wollte ihn woanders gründen. So blieb es bei der alten Zersplitterung. Auch über die Art dieses Staats war man sich nicht klar. Er schwankte von der Adelsrepublik bis zur kommunistischen Gemeinschaft.

Dazu kam, daß die Neueingewanderten sofort mit den Alteingesessenen aneinandergerieten, die »Grünen« mit den »Grauen«. Die Neuen sahen auf die Alten herab und beschimpften sie, weil sie ihr Deutschtum nicht besser gewahrt hätten, und diese sahen in jenen eben nur »Grüne«, Störenfriede, die von nichts eine Ahnung hatten, und die sie durch ihre gefährlichen Pläne nur in der Stellung bedrohten, die sie sich mühsam geschaffen hatten.

Dies ist ein Vorgang, der sich im Verlauf der deutschen Einwanderung nach Amerika immer von neuem wiederholt hat, und der sich auch jetzt vor unsern Augen abspielt. Man darf an dieser Erscheinung nicht vorbeigehen, wenn man sich ein richtiges Bild von der Rolle des deutschen Teils in den Vereinigten Staaten machen will. Wenn diese Rolle niemals seiner Zahl und seinen Leistungen entsprach, so ist dieses eben nicht ganz ohne eigene Schuld.

Welche Bedeutung die Gründung eines Unionstaats mit deutscher Amtssprache gehabt hätte, auch für die Beziehungen Amerikas zu Deutschland, läßt sich kaum abschätzen. Nachdem aber alle daraufhin abzielenden Pläne nicht gelangen, haben sie nur Schaden angestiftet. Wenn bis in unsere Zeit hinein im amerikanischen Volk die uns geradezu lächerlich und aberwitzig anmutenden Vorstellungen von deutschen Eroberungsabsichten auf Amerika spukten, so liegt in den Staatengründungsplänen der »Achtundvierziger« mit der Grund dazu. Sie haben ohne Zweifel zu der Leichtigkeit und Widerspruchslosigkeit beigetragen, mit der sich das amerikanische Volk in den Krieg gegen uns hetzen ließ.

33.
Luther im Mittelwesten

Weil aber der Mensch ge–fa–gefa–alen ist –.

Der Zwölfjährige kam ins Stottern, und der Lehrer wurde böse: »Setz dich, Fritz! Karl, lies du weiter!«

Karl war augenscheinlich die Leuchte der Klasse. Rasch und stoßend, als hacke er die Worte silbenweise vom Satz herunter, kam es von seinen Lippen: »Weil – aber – der – Mensch – gefallen ist –, steht er – unter – dem – Zorn – des – heiligen – Gottes und – bedarf des Erlösers.«

»Sehr gut, Karl! Was heißt das, Lieschen, der Mensch bedarf eines Erlösers?«

Zwei steif gedrehte Zöpfe, zwischen denen ein vor Erstaunen fassungsloses Gesichtchen den fremden Besucher auf der letzten Bank angestarrt hatte, fuhren erschrocken herum, aber dann leierte Lieschen die eingelernte Antwort herunter.

Das Erstaunen war nicht geringer auf unserer Seite. Das gab es also noch in den Vereinigten Staaten: eine Dorfschule, in der deutsch unterrichtet wurde!

Unser Erstaunen war um so größer, als der Besuch von Milwaukee, der Hauptstadt von Wisconsin, eine große Enttäuschung gewesen war. Milwaukee gilt als die deutscheste Stadt Amerikas, eine Stadt, die wegen ihrer Pflege deutscher Kunst, Kultur und Wissenschaft berühmt gewesen ist, und die einmal den Beinamen des »Deutschen Athen« führte.

Heute ist weder von »deutsch« noch von »Athen« etwas zu merken. Hätte ich es nicht gewußt, daß in den vierziger Jahren während des Sommers Woche für Woche tausend bis eintausendvierhundert deutsche Einwanderer in Milwaukee eintrafen, und daß Milwaukee vor dem Krieg als rein deutsche Stadt galt, auf der Straße, in den Geschäften oder Gasthäusern hätte ich nichts davon gemerkt, und auch das Stadtbild ist so amerikanisch wie nur das irgendeiner andern Stadt des Mittelwestens.

Natürlich ist noch ein starkes Deutschtum vorhanden, aber es tritt nicht in Erscheinung, überdies ist es in sich gespalten, und seine einzelnen politischen Richtungen befehden sich in heftigster Weise. Es ist dieselbe Erscheinung wie in Pennsylvanien, wie in Neuyork, in Illinois. Stadtluft scheint das amerikanische Deutschtum nicht zu vertragen. In den großen Städten ist das Deutschtum am stärksten, aber gerade hier amerikanisiert es am raschesten im angelsächsischen Sinn, anstatt seine eigene amerikanische Art auszubilden.

In den kleinen Städten Wisconsins, in Kenosha oder Watertown war das Bild schon anders, und hier in Lebanon war ich auf einem Dorf, in dem die Bauern noch bei den letzten Wahlen einem Parteiredner erklärten, »bei uns mußt du schon deutsch reden, wenn wir dich verstehen sollen«, als er ihnen eine englische Rede halten wollte.

Aber man darf sich nicht täuschen, auch auf dem Land wird die deutsche Sprache nicht zu halten sein, wenn sich nicht die gesamte Einstellung gegenüber den andern Sprachen in Amerika wandelt, und wenn die Amerikaner deutschen Bluts sich nicht bewußt werden, daß um Amerikas willen wenigstens in gewissen Teilen der Union die deutsche Sprache erhalten werden muß, und wenn sie nicht ihre Anstrengungen auf diesem Gebiet vereinen, um hier die deutschen Schulen zu erhalten.

Mit der deutschen Schule steht und fällt die deutsche Sprache. Daran gibt es keinen Zweifel. Einer rein englischen Schule gegenüber dringen auch die energischsten deutschstämmigen Eltern kaum durch. Auf die Dauer sprechen die Kinder dann doch nur englisch.

Der Krieg, während dem ein Vernichtungsfeldzug gegen alles Deutsche geführt wurde, hat furchtbar unter den deutschen Schulen aufgeräumt. Heute wird im allgemeinen deutsch nur noch in jenen Gemeindeschulen unterrichtet, in denen die Kirchensprache deutsch geblieben ist, und auch in ihnen nur in Religion und deutschem Lesen.

Die Kirche hat in Amerika lange am Deutschtum festgehalten. In der katholischen Kirche hat aber schließlich das Deutschtum den Sprachenkampf gegenüber den Iren verloren, und die protestantische geht überall da zu englischem Gottesdienst über, wo die junge Generation es fordert. In dem Zwiespalt, die deutsche Kirchensprache festzuhalten oder Gemeindemitglieder zu verlieren, entscheidet sich die evangelische Kirche in den Vereinigten Staaten überall zuungunsten der deutschen Sprache. Teilweise werden die alten deutschen Gebete noch gesprochen, während die Predigt auf englisch gehalten werden muß.

Man kann es den Gemeinden nicht einmal so sehr verargen, schließlich müssen sie leben. Es gibt ja keine Staatskirchen in den Vereinigten Staaten. Alle Kosten für Kirche, Schulen, Pfarrer und Lehrer werden aus freiwilligen Abgaben der Gemeindemitglieder gedeckt. Freilich muß der Pastor manchmal ein wenig nachhelfen, und ich hörte einmal einen von der Kanzel wettern, er würde alle mit ihren Zahlungen Säumigen in die Hölle senden, und der Herr Jesus Christus hätte ihm als seinem Stellvertreter volle Gewalt dazu verliehen. Darüber sollten sie sich nur ja keinen Täuschungen hingeben. Da die Gemeinden teilweise sehr klein sind und die Lasten daher äußerst hoch, kommt es auf jedes einzelne Mitglied an.

Die Deutschen Wisconsins sind überwiegend Lutheraner. Es gibt eine eigene Wisconsin-Synode, die in Watertown ihre theologische Hochschule hat. Sie ist heute noch überwiegend deutsch und hat ganz den Charakter eines alten deutschen Gymnasiums bewahrt.

Die amerikanischen Lutheraner sind von einer für den Außenstehenden kaum faßbaren Orthodoxie. Nicht nur ein Katholik, auch ein Reformierter, ja selbst ein Lutheraner einer andern Synode als der eignen gilt ihnen glatt als des Teufels. Aus diesem Grund stehen sie auch, wenigstens die Geistlichen, dem Neuen Deutschland fast durchweg ablehnend gegenüber. Auf der andern Seite steckt eine starke Religiosität in diesem starren, alten Luthertum, und wenn es einmal seine Dogmenfesseln sprengen sollte und die tiefe Religiosität begreifen, die im heutigen Deutschland nach neuen Formen ringt, so mag es neuerdings zu einer festen Stütze des Deutschtums werden.

Das kann für Wisconsin von entscheidender Bedeutung werden; denn wenn irgendein Staat der Union in seiner Landschaft, seinem Klima, seinem Charakter deutsch ist, so dieser. Durchquert man ihn im Auto, könnte man auf weiten Strecken meinen, in Deutschland zu sein.

Nach Wisconsin kamen Deutsche auf ihrer großen Ost-West-Wanderung, die sie über Ohio, Indiana, Illinois nach Wisconsin führte, und von da über Iowa und Minnesota bis nach Dakota, überall unter den ersten, doch nicht die ersten, fast überall die zahlreichsten unter den Fremdstämmigen, und doch nirgends in der unbedingten Mehrheit. So war es allerorten ihr Los, in weitestem Maße an der Erschließung des Westens mitzuhelfen und dennoch nirgends dem neuen Land entscheidend ihren Stempel aufdrücken zu können.

34.
Das romantische Abenteuer der Texasdeutschen

Der Verkäufer hinter dem Ladentisch war ein dunkelhäutiger Mexikaner, aber auf meine deutsch vorgebrachte Frage antwortete er, wenn auch gebrochen, deutsch. Er lächelte sich entschuldigend und meinte, er sei noch nicht sehr lange in Neu-Braunfels, mit der Zeit würde er es schon besser lernen.

Mein Versuch ist tatsächlich gelungen: ich habe hier grundsätzlich nur deutsch gesprochen und überall deutsche Antworten bekommen. Ich glaube, die deutschen Kolonien im südlichen Texas sind die einzigen Orte in den ganzen Vereinigten Staaten, wo selbst Amerikaner englischen Bluts deutsch lernen, nach ein paar Jahren Zusammenlebens mit ihren Landsleuten deutscher Abstammung Verständnis für deren Art gewinnen und in Bewahrung von deutscher Sprache und Sitten nicht mehr eine Gefahr, sondern im Gegenteil eine Stärkung und Förderung eines großen einigen Amerikas erblicken.

Neu-Braunfels ist zusammen mit Fredericksburg und einigen kleineren Orten der Überrest eines letzten Versuchs, auf amerikanischem Boden einen deutschen Staat zu gründen. Er wurde sozusagen in letzter Minute unternommen. Nachdem es weder in Missouri noch in Wisconsin gelungen war, den Traum von einem deutschen Amerika auch nur auf einem begrenzten Gebiet zu verwirklichen, erkannte man die Unmöglichkeit, dies überhaupt auf dem Gebiet der Vereinigten Staaten zu erreichen. Man sah sich daher um, wo in Amerika außerhalb der Staaten noch Platz sei.

Viel war nicht mehr da. Mit dem Ankauf von Louisiana waren die Vereinigten Staaten im Süden bis unmittelbar an die spanischen Kolonien herangerückt, im Norden stießen sie an Oregon, das ein Zankapfel zwischen England und Amerika war, nachdem man die Russen glücklich nach Norden zurückgedrängt hatte. Da schienen der Sturz der spanischen Herrschaft, die Unabhängigkeitserklärung Mexikos und die bald darauf erfolgende Erklärung einer unabhängigen Republik Texas den deutschen Kolonisations- und Staatsplänen neue Möglichkeiten zu eröffnen.

Spanien hatte zwar die Grenzen seines amerikanischen Besitzes weit nach Norden vorgeschoben und in Santa Fé den Sitz eines Gouverneurs geschaffen. Es hatte die ganzen riesigen Ländereien nördlich des Rio Grande aber nie ernsthaft besiedelt oder auch nur wirklich in Verwaltung genommen. Wie jetzt die spanische Herrschaft zusammenbrach und in der jungen mexikanischen Republik alles drunter und drüber ging, sah man, daß das ganze ungeheuere Gebiet eigentlich herrenlos war. Das Beispiel von Texas hatte gezeigt, daß es dem gehörte, der es sich nahm. Ein paar entschlossene amerikanische Siedler und Abenteuerer hatten es fertiggebracht, die mexikanischen Truppen zu schlagen, den Präsidenten Mexikos gefangenzunehmen und von ihm die Anerkennung ihrer Unabhängigkeit zu erpressen.

Was in Texas gegangen war, mußte auch anderswo möglich sein. Aber auch Texas selbst schien ein guter Platz für deutsche Kolonisationspläne. Die mexikanische Regierung hatte die Abtretung von Texas nicht anerkannt, und auch der Präsident St. Anna selber hatte sie, in seine Heimat zurückgekehrt, als unter Zwang erfolgt widerrufen. Auf der andern Seite hatte aber auch die amerikanische Union diese neue Republik nicht in ihren Verband aufgenommen. Die Texaner mußten in dieser Lage über jede Verstärkung froh sein, einerlei von wo sie kam, und für etliche zehntausend entschlossene deutsche Männer schien sieh hier eine große Möglichkeit zu ergeben.

Von zwei Seiten suchte man sie zu verwirklichen, einmal von seiten der Deutschen in Amerika, zum andern von Deutschland selbst aus. Es gab in Texas bereits ein paar kleine deutsche Siedlungen, von denen die am Colorado River noch unter mexikanischer Regierung gegründet worden war. Eine andere war das Städtchen »Industry«, das sich sehr erfolgreich zu entwickeln versprach.

So wurde in Neuyork die Gesellschaft Germania gegründet mit der Absicht, in Texas eine deutschamerikanische Kolonie zu errichten. Im Jahre 1834 landeten die ersten Gruppen der von der Germania entsandten Siedler. Doch sie kamen nicht weit, bereits in Houston löste sich die Gesellschaft auf. Die wohlhabenderen Mitglieder kehrten nach Neuyork zurück, die übrigen wurden ihrem Schicksal überlassen.

Das war weiter nichts Ungewöhnliches. Ein derartiges Ende ist von je das Los vieler Kolonisationsversuche in Gesellschaftsform gewesen, bis in unsere Tage. Gerade die Küste des Golfs von Mexiko ist gepflastert mit den Gräbern von Siedlern, die auf Grund falscher Schilderungen und Versprechungen hierher gelockt und dann ihrem Schicksal überlassen worden waren. Um ein Haar hätte der zweite, wesentlich ernsthaftere und im größeren Stil von Deutschland aus unternommene Versuch das gleiche Ende erlitten.

Dieses Kolonisationsunternehmen, der »Mainzer Adelsverein«, unter welchem Namen es in die Geschichte einging, ist eins der seltsamsten, romantischsten und in gewissem Sinn geheimnisvollsten, die je ins Werk gesetzt wurden.

Der Gründer dieses Vereins, der richtiger der »Fürstenverein« hieße – denn es waren in erster Linie Prinzen und Fürsten, die ihm angehörten –, war ein Graf von Castell, der als österreichischer Offizier in der Festung Mainz in Garnison stand. Er hatte viel von Texas gelesen. Gerade um diese Zeit war eine ganze Reihe Bücher erschienen, die in romantischer Weise von dem neuen Staat an dem fernen mexikanischen Golf erzählten und von seinen abenteuerlichen Kämpfen um Unabhängigkeit. Der Offizier, den der ewig gleiche Garnisondienst langweilte, hatte sie mit heißen Augen verschlungen, und ein großartiger Gedanke war in ihm aufgestiegen. Er zögerte nicht lange mit der Ausführung. Am 20. April 1842 lud er den Herzog von Nassau, dessen Adjutant er einmal gewesen war, den Fürsten von Leiningen, den Fürsten von Solms-Braunfels und noch eine ganze Reihe von Fürsten, Prinzen und Grafen zu einer Flasche Wein nach Biebrich ein. Was diese hochadligen Herrn da eigentlich besprochen haben, als sie beim Rheinwein saßen und auf den alten deutschen Strom blickten, das hat niemand erfahren. Nach außen trat das Ergebnis ihrer Beratungen lediglich als Gründung eines neuen Vereins in Erscheinung, der sich den harmlosen und wenig aufregenden Namen beigelegt hatte: »Verein zum Schutze deutscher Einwanderer in Texas.«

Nach außen wurde auch weiterhin der Schein aufrechterhalten, daß es sich um ein Wohltätigkeitsunternehmen handele. Daß man jedoch zum mindesten auch an wirtschaftlichen Gewinn dachte, geht aus den gezeichneten hohen Summen hervor sowie aus der Bestimmung, daß achtzig vom Hundert der zu erwartenden Einnahmen unter die Teilhaber verteilt werden sollten.

Es besteht kaum ein Zweifel, daß man im geheimen viel weitergehende Pläne hatte, auch wenn man öffentlich verkündete, daß jede spekulative oder politische Absicht fernliege. Der Gedanke der Gründung eines deutschen Staates lag damals in der Luft. Warum sollten auch wir Deutsche von den Reichtümern der Neuen Welt ausgeschlossen sein und höchstens unter einer fremden Flagge daran teilnehmen dürfen! Außerdem: warum sollten die Prinzen und Grafen, die kein Fürstentum in Deutschland besaßen, sich nicht ihr eigenes Reich drüben in Amerika gründen! Diese Absicht findet man zwar nirgends ausgesprochen, wenn man aber in der Sofienburg von Neu-Braunfels, die nach der Gattin des Fürsten ihren Namen trägt, alte Erinnerungen und Bilder durchstöbert, so ergibt sich, daß der Fürst von Solms-Braunfels zum mindesten den Versuch gemacht hat, auf texanischen Boden eine fürstliche Hofhaltung und sogar eine fürstliche Leibgarde zu verpflanzen.

Der Fürst von Solms fiel damit in keiner Weise aus dem Rahmen. Seine Mitauswanderer waren, wenn auch nicht so hochadelig, so ebenso hochherrschaftlich. Der alte Farmer, in dessen Haus ich sitze, erzählte mir, daß sein Großvater 80 (achtzig!) feine weiße Oberhemden nach Texas mitgenommen hatte. Seine Großeltern brachten für ihre Kinder eine Gouvernante und einen Musiklehrer sowie einen Flügel mit! Der für die texanische Wildnis gänzlich sinn- und wertlose Plunder häufte sich am Strand von Indianola, an dem die ersten Siedler ausgeladen wurden.

Indianola war ein leerer wüster Fleck. Die unglücklichen Siedler mit den weißen Oberhemden und dem Flügel lagerten da mit all ihren Kisten und Kasten, notdürftig durch Zelte und Hütten vor der Sonne geschützt. Sie waren noch gut dran; denn sie kamen wenigstens innerhalb von drei Monaten an ihren Bestimmungsort. Die späteren Transporte blieben zum Teil überhaupt liegen, ohne Geld, ohne Hilfsmittel, ohne Aussicht weiterzukommen und schließlich ohne irgend etwas zum Essen.

In der Zwischenzeit war der Krieg mit Mexiko ausgebrochen. Die Regierung hatte alle Pferde, Zugtiere und Wagen beschlagnahmt. Der Gesellschaft war das Geld ausgegangen, zum mindesten war es nicht nach Texas gekommen. Selbst die Auswanderer, die von ihrem Vermögen erhebliche Summen überwiesen hatten, sahen sich völlig mittellos an den texanischen Strand geworfen.

Es war mit dem »Mainzer Adelsverein« gegangen, wie es mit den meisten Kolonisationsgesellschaften zu gehen pflegt. Er war auf Schwindler hereingefallen, er hatte sich auf Landversprechen und Konzessionserteilungen verlassen, die dann nicht gehalten wurden. Er war nicht erfolgreich in seinen Käufen gewesen und nicht glücklich in der Wahl der Bevollmächtigten.

Im März 1845 war man am Ufer des Comalflusses, an dem der Fürst Solms-Braunfels schließlich tausend Acker Land gekauft hatte, an die Gründung der neuen Stadt gegangen, die ihm zu Ehren Neu-Braunfels heißen sollte. Ein Teil der Siedler ging sofort ans Werk und bestellte die Felder, um noch im gleichen Jahr die Ernte zu sichern. Die andern hatten es nicht so eilig, sie schienen mit dem fürstlichen Generalkommissar der Gesellschaft die vorhandenen Mittel für unerschöpflich zu halten. Sie waren noch im selben Jahr zu Ende, und der Fürst von Braunfels kehrte nach Europa zurück. Der vom Adelsverein an Stelle des Fürsten von Europa entsandte Nachfolger, ein Herr von Meusebach, war noch nie in Texas gewesen und hatte keinerlei Erfahrung, allein er war wenigstens ein energischer, tüchtiger Mann, der sofort für strengste Sparsamkeit in der Verwaltung sorgte. Er sicherte den Bestand von Neu-Braunfels und legte den Grund zu einer zweiten Siedlung, Friedrichsburg.

Als Meusebach von Friedrichsburg nach Braunfels zurückkam, fand er Nachricht vor, daß der Adelsverein etliche weitere tausend Einwanderer abgesandt hätte. Er eilte nach Galveston, wo sie ankommen sollten, fand sie auch vor, aber ohne Geld und ohne alle Hilfsmittel. Der Verein der Fürsten und Grafen hatte nicht einen Pfennig überwiesen.

Meusebach raste nach Neu-Orleans, um sich irgendwo Geld zu borgen und Transport- sowie Nahrungsmittel zu beschaffen. Ehe ihm aber das gelungen war, riß unter den deutschen Einwanderern die furchtbarste Not ein. Viele verhungerten buchstäblich. Männer, in Deutschland vermögende angesehene Leute, waren glücklich, wenn sie die niederste Arbeit verrichten durften, damit ihre Kinder und Frauen nicht verhungerten. Ein Teil ging zugrunde, ein Teil ließ sich für die Truppen anwerben, die in den mexikanischen Krieg zogen. Einige wenige gelangten bis Neu-Braunfels.

Der Weg dorthin glich der Rückmarschlinie einer geschlagenen Armee. Weggeworfene Ausrüstungsstücke, die die Einwanderer nicht weiter hatten mitschleppen können, säumten den heißen Pfad. Kisten, Kasten, Betten, Kleider und Werkzeuge lagen im Staub. Gerippe und Gebeine bleichten in der heißen Sonne.

In Neu-Braunfels selbst sah es kaum besser aus. Die Indianer waren unruhig geworden und bedrängten die Siedler. Die Ernte hatte nicht den Erwartungen entsprochen, Krankheit herrschte. Der eine Arzt, Dr. Köster, konnte nicht durchkommen. So viele starben ihm unter den Händen, daß man den Friedhof »Köster-Plantage« nannte.

Wie es immer geht, wenn Not und Elend einen bestimmten Grad übersteigen, brach unter den anscheinend doch dem sicheren Tod und Untergang Geweihten eine letzte wilde Lebenslust aus. In einer baufälligen Bude war jeden Abend Tanz, der allmitternächtliche Totentanz. Zu dem schrillen Ton einer einzigen Klarinette tanzten da Gesunde und Kranke, sich einer letzten wilden Lust hingebend. Der Klarinettist war gleichzeitig der Totengräber, unter Tags begrub er die Tänzer, denen er in der vorhergehenden Nacht aufgespielt hatte.

Aber schließlich ließen die Krankheiten nach, die Ernte wurde besser, die überlebenden Siedler konnten sich erholen, zumal der ungeregelte Zustrom immer neuer Kolonisten, für die nichts vorbereitet war, aufhörte. Der »Adelsverein« hatte seine wenig segensreiche Tätigkeit eingestellt und sich aufgelöst. Der Traum von einem deutschen Fürstentum in der texanischen Steppe war ausgeträumt. Die Siedler in Neu-Braunfels und Friedrichsburg aber blieben deutsch bis auf den heutigen Tag. Durchwandert man die hübschen sauberen Straßen dieser beiden Städtchen, will es einem unfaßbar erscheinen, auf wieviel Blut und Leid diese netten Häuschen und blühenden Gärten angelegt sind.

Mein Gastwirt, der mir das alles erzählt, macht jedoch ein sorgenvolles Gesicht. Die Zeiten sind wieder schlecht. Auch in Texas, auch in Neu-Braunfels hat man die Depression gespürt. Aber etwas anderes ist noch schlimmer. Seit Jahr und Tag, seitdem der Krieg begonnen, hat man nur Schlechtes über die alte Heimat gehört, nur Verleumdung und Verdrehungen.

Mein Gastgeber ist noch nie in Deutschland gewesen, noch sein Vater, noch kaum sonst jemand in Neu-Braunfels. Aber er spricht noch einwandfrei deutsch, ebenso seine Kinder, die jetzt in der vierten Generation Amerikaner sind. Und all die lange Zeit, all die Entfernung und Entfremdung, all die Verhetzung und Verleumdung haben das Bild von Deutschland nicht zerstören können, das in dem Herzen des harten, alten Mannes lebt. Als ich ihm erzähle, wie es wirklich in Deutschland ist, treten ihm, weiß Gott, Tränen in die Augen.

Die Texasdeutschen bilden nur einen kleinen Teil der Amerikaner deutschen Bluts. Sie spielen rein zahlenmäßig auch in Texas selbst nur eine geringe Rolle. Von den annähernd vierundeinhalb Millionen weißer Texaner sind nicht mehr als etwa hundertfünfzigtausend deutscher Abstammung. Sie zeigen aber, wie deutsche Einwanderung in der Neuen Welt sich auch hätte entwickeln können. Die Texaner deutschen Bluts sind restlos Amerikaner geworden und haben trotzdem deutsche Sprache, deutsches Fühlen und Denken bewahrt, soweit dies auf fremdem Boden unter einer fremden, heißen Sonne nur möglich ist. Sie haben bewiesen, daß dies nicht zum Schaden ihrer neuen Heimat war. Die Felder, die sie bestellt, die Städte, die sie erbaut, die Gemeinschaften, die sie begründet haben, gehören mit zu dem Besten, innerlich Gesundesten, das es in Amerika gibt. Die Texasdeutschen haben an Liebe und Hingabe zu ihrem neuen Vaterland hinter keinem Texaner anderer Herkunft je zurückgestanden.

Amerika wie Deutschland haben eine schwere Schuld an den deutschblütigen Texanern einzulösen, das erstere, weil es ihre Verdienste, ihre Leistungen nie richtig gewürdigt, das letztere, weil es sie vergessen hat. Im Interesse beider Länder liegt es, daß diese Schuld beglichen wird. Beide sind daran interessiert, daß der Geist der Texaner deutschen Bluts nicht ausstirbt, sondern ganz allgemein der der Amerikaner deutscher Abstammung wird.

35.
Deutsche am Pazifik

Man ist erstaunt, auch über den Mittelwesten Amerikas hinaus noch erstaunlich viel Amerikaner deutscher Abstammung anzutreffen, von Kansas und Nebraska, wo sich zahlreiche Mennoniten niederließen, bis nach den Staaten Washington und Oregon am nördlichen und Kalifornien am südlichen Pazifik. In Nebraska leben über 150 000 Deutschstämmige, was bei etwa 3 300 000 Einwohnern kein geringer Hundertsatz ist, in Kalifornien 325 000. Der Weinbau in Kalifornien geht auf deutsche Winzer zurück. Auch unter den Goldgräbern waren zahlreiche Deutsche, wie überhaupt an der frühesten Erschließung des fernen Westens Deutsche in viel höherem Maß beteiligt sind als gemeinhin bekannt ist.

So ist zum Beispiel der Gründer von Seattle, der Hauptstadt Washingtons, ein Amerikaner deutscher Abstammung mit Namen Gesler aus Leitersburg in Maryland. Dieser Ort ist selbst wieder die Gründung eines gewissen Jakob Leiter. Der früheste Pelzhandel im fernen Nordwesten ist mit dem Namen Johann Jakob Astor aus Waldorf in Baden verknüpft. Wie viele Gäste des weltberühmten Waldorf-Astoria in Neuyork wissen, daß dieses Hotel die Erinnerung an die Herkunft eines der erfolgreichsten deutschen Einwanderer festhält?

Astoria ist aber gleichzeitig der Name einer viel berühmteren Gründung des ersten Astors, und zwar des von Johann Jakob Astor an der Mündung des Kolumbia errichteten Handelspostens, mit dem er das Monopol der britischen Hudson-Bay-Company in jener Gegend zu brechen versuchte.

Das Leben Astors ist eins der erstaunlichsten, selbst für amerikanische Verhältnisse. Er wanderte zuerst nach England aus und lernte dort Instrumentenbau. Dann fuhr er nach Neuyork, wo er sich sogleich auf den Pelzhandel warf. Innerhalb von siebzehn Jahren hatte er eine viertel Million Dollar verdient, innerhalb weiterer elf eine Million, bei seinem Tode besaß er zwanzig Millionen. Er war ein kühner, großzügiger Kaufmann von auch politisch weitreichenden Gedanken.

In den Jahren 1804 bis 1805 hatten Lewis und Clark den Weg an den Pazifik geöffnet. Astor erkannte als erster die ungeheuere Bedeutung eines Festsetzens am Pazifik und zögerte nicht, sein eben erworbenes Vermögen in ein Unternehmen zu stecken, das den Nordwesten für die Vereinigten Staaten gegen England sichern sollte. Er beschloß, eine Station an der Mündung des Kolumbia anzulegen und den Weg dorthin durch eine Reihe befestigter Handelsposten zu sichern.

Er rüstete zwei Expeditionen aus, eine zur See um Kap Horn herum, eine über Land. Beide trafen richtig ein, Astoria wurde gegründet, aber der bald darauf ausbrechende Krieg von 1812 zwischen England und Amerika brachte Astor um alle Früchte. Die Hudson-Bay-Company besetzte den Platz, der erst im Jahre 1846 anläßlich der Regelung der Besitzverhältnisse in Oregon wieder an die Vereinigten Staaten zurückfiel.

Astor jedoch ließ sich dadurch nicht entmutigen und brachte den Verlust bald wieder ein. Das Glück blieb auch seinen Nachkommen hold. Durch geschickte Terrainspekulationen in Neuyork vermehrten die Astors ihr Vermögen derart, daß es beim Tod des Enkels des badischen Auswanderers auf hundert Millionen angewachsen war.

Weniger glücklich als Astor war ein anderer Deutscher, der in Kalifornien ein noch kühneres Unternehmen begonnen hatte. Es war dies Johann August Sutter. Dieser gleichfalls aus Baden stammende unternehmende Deutsche hatte sich einige Jahre erfolgreich an den amerikanischen Handelskarawanen nach Santa Fé in Neu-Mexiko beteiligt. Mit dem dabei verdienten Gelde erwarb er von der mexikanischen Regierung einen Landstreifen am Sacramentofluß. Hier errichtete er eine Kolonie, über die er wie ein Fürst herrschte. Er erbaute seine eigene Festung, das Fort Sutter, das er mit vierzig Geschützen bestückte. Er stellte eine eigene Truppe aus uniformierten Indianern auf, die jeden Abend von einem ehemaligen badischen Offizier bei den Klängen einer Kapelle gedrillt wurde. Die Sutterschen Weizenfelder dehnten sich von Jahr zu Jahr aus, ständig wuchsen seine ungeheueren Viehherden. Im Schutz seines Forts siedelten sich zahlreiche amerikanische Kolonisten an, die das Land gegenüber den englischen Ansprüchen für Amerika sicherten. Als der Krieg gegen Mexiko ausbrach, zog Sutter über seinem Fort die amerikanische Flagge hoch.

Um sein Glück voll zu machen, fand Sutter auf seinem Grund Gold. Das jedoch wurde ihm zum Verderben. Wie ein Heuschreckenschwarm fiel eine Horde Abenteurer und Glückssucher auf seine Felder und Weiden nieder, kaum daß die Kunde von den Goldfunden nach San Franzisko und Monterey gedrungen war. Im Handumdrehen hatten beide Städte drei Viertel ihrer Bevölkerung eingebüßt. Die Goldsucher zerwühlten Sutters noch nicht abgeerntete Felder, zerstörten seine Weiden, töteten und verjagten sein Vieh. Die Regierung gewährte ihm keinen Schutz, ja, es wurden sogar seine Besitzrechte angezweifelt. In kürzester Frist war Sutter um sein Vermögen gebracht. Siebzehn Jahre lang kämpfte er in Washington um seine Rechte, bis ihm schließlich der Staat Kalifornien eine kleine Entschädigung zahlte, als Ersatz für die von ihm entrichtete Grundsteuer für die Ländereien, die ihm die Bundesregierung weggenommen.

Beider Schicksal, das von Astor wie das von Sutter, ist typisch amerikanisch, wobei freilich das Los einer großen Anzahl Amerikaner deutschen Bluts, die sich um ihre neue Heimat Verdienste erworben haben, mehr dem Sutters als dem Astors gleicht.


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