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KArte

Die bundesstaatliche Entwicklung der Vereinigten Staaten. Das Jahr bedeutet die Aufnahme der Einzelstaaten, deren Namen unterstrichen sind. Die 13 alten Staaten (durch Schraffur hervorgehoben) nahmen 1787-1790 die Verfassung an; zu denen zählt auch Maryland, das des kleinen Maßstabes wegen hier nicht eingezeichnet ist.

I.
Unser Anteil an Amerika


1.
Die deutsche Stunde Amerikas

Diesem Buch muß eine Zeile über die Art seiner Entstehung voranstehen. Ich habe jahre-, jahrzehntelang die Vereinigten Staaten für ein angelsächsisches Land gehalten, zum mindesten für ein Land, das sich unaufhaltsam in angloamerikanischer Richtung entwickelt. Ich sah die Bedeutungslosigkeit des deutschen Bevölkerungsteils und glaubte diesen – mit der Mehrzahl der Beurteiler – zum endgültigen Verschwinden verdammt, sobald die deutsche Einwanderung einmal aufhörte. Erst anläßlich meines letzten Aufenthalts kam ich zu einer andern Ansicht. Gerade bei dem heißen Bemühen, Gestalt und innerstes Wesen dieses widerspruchsvollen Landes zu erfassen, gelangte ich zu der Erkenntnis, daß es vom angloamerikanischen Gesichtspunkt aus niemals restlos zu erklären ist. Die nichtbritischen, vor allem die deutschen Volksteile, die scheinbar im angelsächsischen Meer untergegangen sind, haben viel tiefere Spuren eingegraben, als man an der Oberfläche gewahr wird. Die alles überspülende Welle der englischen Sprache trügt. Die Sprache ist nicht alles. Ich habe Amerikaner deutscher Herkunft getroffen, die kein Wort Deutsch mehr sprechen, und die trotzdem »Deutsch-Amerikaner« sind und bleiben, um diese landläufige, wenig glückliche Bezeichnung zu gebrauchen.

Mit der Benützung dieses Worts und der ganzen Idee des Bindestrich-Amerikaners im Gegensatz zum »eigentlichen«, dem »hundertprozentigen«, kommt man überhaupt auf eine falsche Fährte. Mich brachte zuerst auf die richtige eine Amerikanerin aus einer alten deutschen Familie Cincinnatis. Als ich ihr gegenüber das Wort »hundertprozentig« im Sinn von angloamerikanisch gebrauchte, entgegnete sie mir: »Gerade Sie dürfen das nicht sagen. Hundertprozentig, das sind wir, wir alten deutschen Familien, die den Staat Ohio aufgebaut haben!«

Diese Bemerkung hatte mich zuerst stutzig gemacht. Je länger ich in Amerika weilte, je mehr ich erkannte, wie bis aufs tiefste aufgewühlt die Vereinigten Staaten unter einer einstweilen noch ruhig scheinenden Oberfläche sind, wie groß die Schwierigkeit, ja die Unmöglichkeit ist, all der Aufgaben mit den alten Mitteln auf den begangenen Wegen Herr zu werden, desto tiefer wurde meine Überzeugung, daß Amerika neu gedacht werden müsse, und daß es keinen andern Ausgangspunkt für dieses Neudenken geben kann als das Blut seiner Bewohner. Die Hälfte dieses Bluts ist nichtbritisch. Das ist eine Tatsache, um die man nicht herumkommt, und die auch alle Anglisierung der heranwachsenden Generation nicht aus der Welt schafft.

Ich möchte ein paar Einwände vorwegnehmen, die bestimmt gemacht werden. Der erste ist das Aufhören der Einwanderung. Man wird sagen, daß damit alle meine Schlußfolgerungen hinfällig werden, die das Werden eines nichtangelsächsischen Amerikas künden, da die nichtbritischen Volksteile ja keinen Zuzug erhalten.

Ich glaube, das Gegenteil ist richtig. Gerade der Zuzug von »Landsleuten« beförderte die Anglisierung der bereits im Lande Befindlichen. Bei der Mißachtung, mit der die Alteingesessenen auf die Neuankömmlinge herabsahen, war es wünschenswert, sich abzusondern, und dies geschah am wirksamsten durch Anglisierung. Die einwandernden Briten aber konnten sofort als Amerikaner gelten.

Mit dem Aufhören der Einwanderung tritt eine gewisse Beruhigung und Sättigung ein. Erst wenn man ein Glas nicht mehr schüttelt, das eine Lösung enthält, kann sie sich absetzen. Indem die deutschen, die skandinavischen, die polnischen und italienischen Einwanderer Amerikaner werden, kommt ihnen erst ihre Eigenart und ihr Abweichen vom angelsächsischen Vorbild voll zum Bewußtsein.

Der zweite Einwand betrifft den Vorwurf einer Gegnerschaft oder eines Gegensatzes zu Amerika. Allerdings wird ihn kaum erheben, wer meine früheren Bücher kennt oder auch nur dieses sorgfältig liest. Gewiß mache ich stellenweise heftige Vorwürfe, allein leidenschaftlich klagt nur an, wer leidenschaftlich fühlt. Mein Grundgefühl wie das der Meinen, mit denen ich glückliche Jahre in Amerika verlebte, ist das leidenschaftlicher Zuneigung. Gerade weil ich erfühlt habe, was Amerika sein könnte, empört mich, daß es dies nicht ist. Dazu kommt freilich noch ein erbitterter Zorn über die Art und Weise, mit der man von Anfang an den deutschen Volksteil in den Vereinigten Staaten behandelt hat und grundsätzlich und sorgsam alles in Vergessenheit geraten ließ, was er für sein amerikanisches Vaterland getan hat.

Ich habe dieses Buch begonnen mit bewußter Einseitigkeit, als eine Geschichte Amerikas, die, im Gegensatz zu den Dutzenden angelsächsischer, vom rein deutschen Standpunkt aus geschrieben wurde. Aber zum Schluß erlag ich doch dem deutschen »Laster« der Sachlichkeit, dem echt deutschen Bemühen, einer Sache von allen Seiten gerecht zu werden. So vermochte ich auch den deutschen Volksteil in den Vereinigten Staaten nicht mehr als etwas Besonderes zu betrachten, sondern lediglich als einen Teil des ganzen großen Amerikas, in dem und durch das allein es lebensfähig und daseinsberechtigt ist.

Im Zusammenhang damit möchte ich mit allem Ernst und allem Nachdruck betonen, daß ich dieses Buch nie geschrieben hätte, nie so geschrieben, wenn ich nicht im innersten Herzen davon überzeugt wäre, daß die Amerikaner deutschen Bluts um Amerikas willen ihr Volkstum bewahren müssen und die kostbare Gabe, die sie in ihrer Sprache und in den von der alten Heimat mitgebrachten Gefühlswerten besitzen, nicht achtlos vertun dürfen. An Hirn fehlt es Amerika nicht, wohl aber an Herz. Die neue Ordnung wird aber überall auf der Erde mit dem Herzen und aus dem Herzen heraus aufgebaut.

Deutschland hat nichts davon, daß seine über das Meer gezogenen Söhne sich ihres Deutschtums bewußt bleiben; denn sie können es nur als Amerikaner. Ich kann meine eignen Landsleute nicht dringend genug warnen, das nie zu vergessen. Das deutsche Blut, das nach Amerika geflossen ist, ist für die deutsche Heimat endgültig verloren, nicht nur politisch. Selbst wenn es in gewissen Teilen Amerikas gelingen sollte, die deutsche Sprache zu erhalten, so werden diese deutsch sprechenden Amerikaner doch nichts anderes sein als Amerikaner, nicht weniger amerikanisch als ihre englisch redenden Mitbürger.

Das ist für einen Deutschen eine bittere Erkenntnis, und es ist eine, die nicht leicht fällt. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie lange es dauert, ehe man das wirklich zutiefst und ehrlich erfaßt. Ich erinnere mich noch, wie empört ich innerlich war, als ich die Erklärung des alten Ridder las, des Herausgebers der Neuyorker Staatszeitung, den ich noch persönlich gekannt habe. Sie lautete: »Die deutschen Zeitungen in Amerika sind nicht deutsche Zeitungen, sondern amerikanische in deutscher Sprache. Sie vertreten amerikanische Belange genau so ausschließlich wie die in englischer Sprache gedruckten. Es ist selbstverständlich, daß die Deutschen hier ihre alte Heimat lieben, allein ihre erste und letzte Anhänglichkeit gilt dem Lande, in dem sie sich niedergelassen, in dem sie Familien gegründet haben und in dem für immer alle Wünsche und Hoffnungen beschlossen liegen, die sie und ihre Kinder je haben können.«

Erst wenn man diesen Standpunkt begreift und seine Berechtigung anerkennt, ist man als Deutscher in der Lage, sich mit der deutschamerikanischen Frage zu befassen, ohne fürchten zu müssen, mehr Unheil als Gutes zu stiften. Nichts hat uns wie dem deutschen Volksteil in Amerika mehr geschadet als das vielfache Bemühen von deutscher Seite, die nach den Vereinigten Staaten Ausgewanderten als »Deutsche« zu beanspruchen. Jede Anerkennung, jedes Geschenk, jedes Denkmal, das der ehemalige deutsche Kaiser nach Amerika sandte als Anerkennung »für bewiesene deutsche Gesinnung« hat nur uns und den Deutschblütigen drüben geschadet, die daraufhin gar nicht anders konnten, als ihr Amerikanertum im angloamerikanischen Sinn zu betonen. In der gleichen Richtung liegt es auch, wenn ein deutschbegeisterter junger Einwanderer in unsern Tagen den Alteingewanderten beizubringen versucht, daß sie nicht »Deutschamerikaner« seien, sondern »Deutsche in Amerika«, wie mir ein junger Deutscher drüben noch im Jahre 1935 voll Stolz und Eifer verkündete.

Deutsche in Amerika sind lediglich die deutschen Staatsangehörigen. Sie mögen es auch in Zukunft bleiben, weil sich die Heimat heute anders um sie kümmert als ehemals. Alle andern sind Amerikaner. Daß sie Amerika lediglich aus ihrem deutschen Blut heraus erleben und mitgestalten können, das ist für mich ebenso selbstverständlich wie das rein angelsächsische Erfassen Amerikas für einen Engländer.

Damit komme ich zu dem dritten Einwand, der erhoben werden kann: eines Gegensatzes zum Angelsachsentum in Amerika. Ich habe einen solchen Gegensatz nie empfunden, schon des eigenen angelsächsischen Bluts wegen nicht, das in meinen Adern fließt. Gerade das hat mich gelehrt, daß man dem Angelsachsen gegenüber nicht weichen darf. Daher bin ich auch überzeugt davon, daß das deutsche Blut in USA. erst dann zu seinem Recht kommt, wenn es energisch darauf besteht. Darum habe ich in diesem Buch mitunter deutliche Worte gesprochen, wenn es sich darum handelte, den deutschen Anteil an Freiheit und Einheit der Vereinigten Staaten zu sichern.

Ich glaube an die »Deutsche Stunde Amerikas«. Ich habe keine Beweise dafür, und ich gebe offen zu, daß die Entwicklung des deutschen Volksteils in den Vereinigten Staaten eher für das Gegenteil spricht. Trotzdem glaube ich daran. Die großen weltgeschichtlichen Entwicklungen bereiten sich gewöhnlich »unterirdisch« vor, bis sie plötzlich als scheinbare Überraschung auftreten.

Ich wäre nicht so fest davon überzeugt, daß das deutsche Blut in den Vereinigten Staaten noch einmal eine schöpferische und gestaltende Rolle spielen würde, kämen nicht zwei Umstände zusammen: die deutsche Wiedergeburt und der Niederbruch der alten amerikanischen Idee.

Die deutsche Wiedergeburt ist gewaltiger, als die meisten Menschen sich draußen, vielleicht sogar in Deutschland selbst, klarmachen. Sie ist nur eine Teilerscheinung, der Vorläufer einer Weltbewegung. Wer erlebt hat, wie Menschen in Übersee davon erfaßt wurden, die längst nicht mehr gewußt hatten, daß sie deutschen Blutes sind, weiß, welche Kräfte da entfesselt wurden.

Sie würden in Amerika vielleicht trotzdem nutzlos zerschellen, wenn dieser Erdteil nicht augenblicklich in solch schwere Krise träte, in der er an allem zu zweifeln beginnt, an das er bisher geglaubt hat, in der ihm die Natur selber die Grundlagen wegzuziehen scheint. So treffen neue Gedanken auf Äcker, die bereit sind, Saat zu empfangen.

Wir Deutschen in der alten Heimat können dem großen Umwandlungsvorgang, der sich drüben vorbereitet, nur als Zuschauer beiwohnen, allerdings als nicht ganz unbeteiligte; denn unsere Herzen werden immer mit einem Volk schlagen und fühlen, das zu einem Viertel unseres Blutes ist. Wenn dieser deutschstämmige Teil sich den Platz in seiner neuen Heimat sichert, der ihm gebührt, und wenn er in die Geschicke seines neuen Vaterlandes gestaltend eingreift, so wissen wir, daß er dies nicht unserthalben tut, sondern um seinetwillen oder vielmehr um Amerikas willen. Als deutsche Nationalsozialisten können wir das nur begreifen und begrüßen. Wenn wir eine Hoffnung für uns, für die alte Heimat hegen, so ist es lediglich die, daß dieses neue Amerika ein tieferes Verständnis fassen wird für das, was Deutschland erlitten und erstritten hat, und daß es den Einflüsterungen und Verleumdungen von dritter Seite, die Unfrieden zwischen uns und Amerika zu säen bestrebt sind, nicht mehr solch williges Ohr leihen wird.

Wenn wir als Deutsche »Unser« Amerika sagen, so verstehen wir darunter nur das Erb- und Gedankengut, das aus der alten Heimat stammt, und das mitgeholfen hat, Amerika groß und frei zu machen. Wir wissen, daß wir es euch Amerikanern hingegeben haben, bedingungslos, und wir knüpfen nur den einen Wunsch und die eine Hoffnung daran, daß es zu besserem Verstehen zwischen Amerika und Deutschland führen möge.

2.
Deutschlands Söhne über dem Meer

Es war im Frühling 1912, als ich zum ersten Male die Turmhäuser von Manhattan vor mir aus dem Dunst aufsteigen sah. Gemessen an den Wolkenkratzern von heute waren sie noch klein und bescheiden damals; das Empire State Building stand noch nicht, das Chrysler ebensowenig, selbst das Woolworth war noch im Bau. Eins aber erhob sich höher und gewaltiger als die Bauten, die Ehrgeiz und Geldgier nach dem Krieg errichteten: der in die Wolken ragende Turm der Hoffnung, des Glaubens, der Gewißheit, die sich in dem Namen »Amerika« verkörperten.

Damals, in jener heute weit zurückliegenden Zeit vor dem Krieg, war Amerika noch die Hoffnung der Mühseligen und Beladenen, der Trost der Enttäuschten, die Zuflucht der Verfolgten, wenigstens in der Überzeugung aller, die an seiner Küste landeten. Zwar wurden viele in all diesen Hoffnungen und Erwartungen immer wieder enttäuscht, von den ersten Siedlungen in Virginien und Massachusetts angefangen, aber der Glaube blieb, selbst im Herzen jener Einwanderer, die es über die niederste, schlechtestbezahlte Handarbeit nicht hinausbrachten; selbst sie hielten an der Vorstellung fest, in das Land der Freiheit und des Reichtums gelangt zu sein. Wollte die Sonne des Glücks auch ihnen selbst nicht scheinen, so zweifelten sie doch keinen Augenblick, daß sie zum mindesten über das Dasein ihrer Kinder aufsteigen würde.

Dieser unsichtbare, aber doch so gewisse Turm war es, der sich über die Schattensilhouette Manhattans erhob. Er machte sie erst zur Gralsburg, deren Anblick die Herzen aller höher schlagen ließ, die sich ihr zum ersten Male näherten. Auch auf unserm Schiff, einem der neuen schönen Schnelldampfer der Hapag, konnte sich niemand dem Zauber der hoffnungstrunkenen Stadt entziehen, die wie ein Märchen dem über dem Wasser brauenden Dunst entstieg. Der Dampfer war voll Auswanderer, arme Leute, Polen, Slowaken, Ruthenen und Ungarn. Andächtig standen sie auf dem Verdeck. Männer und Frauen hielten sich bei den Händen. Berauscht und benommen blickten sie auf das vor ihnen aufsteigende Wunder, und ihre Herzen waren dem neuen Land, der Neuen Welt, bereits hingegeben, ehe sie noch den Fuß auf den Pier gesetzt hatten.

Auch wir, die wir nicht als Einwanderer kamen, sondern als Besucher, nicht mit der Absicht, eine neue Heimat zu finden, sondern der alten verhaftet, auch wir konnten uns dem Bann nicht entziehen, den das Wort, den der Begriff, die Idee Amerika ausströmten, für die das Wolkenkratzerwunder lediglich Sinnbild und Verheißung bedeutete.

»Wir«, das war damals die Studienkommission des Deutschen Museums von München. Sie stand unter der Leitung Oskar von Millers. Lauter »große Tiere« gehörten zu ihr; außer Miller der berühmte Erfinder Diesel, der Oberbürgermeister von München, der bayrische Ministerpräsident Graf Podewils.

Daß ich als blutjunger Ingenieur mit dabei sein durfte, war ein unwahrscheinlicher Glückszufall.

Unsere Studienkommission wurde mit der ganzen weitherzigen Großzügigkeit amerikanischer Gastlichkeit aufgenommen. Von Morgan und Edison angefangen wetteiferten alle Amerikaner von Namen und Geld, uns alles zu zeigen, was wir nur sehen wollten, und uns fürstlich zu bewirten.

Unter den zahllosen Einladungen, die wir bei unserer Ankunft in Neuyork vorfanden, war auch eine der deutschen Vereine. Als Sekretär der Studiengesellschaft und Reisemarschall arbeitete ich die Tagesprogramme aus und legte sie Oskar von Miller vor. Da es meine erste überseeische Reise war, sind mir alle Einzelheiten im Gedächtnis haftengeblieben, und so erinnere ich mich genau, wie Reichsrat von Miller zu mir sagte: »Eigentlich ist es Zeitverlust, zu den deutschen Vereinen hinzugehen. Ihre Mitglieder sind alles kleine Leute ohne Einfluß. Die können uns nicht viel helfen, aber anstandshalber müssen wir ihre Einladung annehmen.«

Wenn ich diesen Ausspruch hier anführe, so in keiner Weise, um den Gründer des Deutschen Museums herabzusetzen. Als sein ehemaliger Mitarbeiter weiß ich, in welchem Maß das Deutsche Museum restlos sein Werk ist, eine Schöpfung seiner genialen Phantasie und seines fast übermenschlichen Willens. Ich habe ihn zeitlebens bewundert, und es war mir eine große Genugtuung, daß er mir seine freundschaftliche Gesinnung bis an sein Lebensende bewahrt hat. Nein, ich gebe die Anschauung Oskar von Millers über die Masse der Deutschamerikaner wieder, weil sie kennzeichnend für Haltung und Einstellung der Deutschen im Reich gegenüber den Volksgenossen in Amerika war. Auch ein so genialer und weitblickender Mann wie Miller konnte sich dem Geist und den allgemein üblichen Anschauungen seiner Zeit nicht entziehen.

Diese Zeit blickte auf die nach den Vereinigten Staaten ausgewanderten Deutschen herab wie auf verlorene Söhne und ein wenig Deklassierte, soweit sie es nicht zu Vermögen und Ansehen gebracht hatten. In völliger Verkennung der staatsrechtlichen Lage der naturalisierten Deutschamerikaner nahm die alte Heimat es ihnen auf der einen Seite übel, daß sie sich nicht als Deutsche fühlten, sondern als Amerikaner, auf der andern Seite aber tat man nichts, um ihnen das Gefühl blutmäßiger Verbundenheit und kultureller Zugehörigkeit zu geben. Wenn von dem »Versagen« der Deutschamerikaner die Rede war, so war man selber mit der Entschuldigung rasch bei der Hand: »Na ja, es waren ja auch nicht gerade die besten Elemente, die hinübergingen.« Mit der Vorstellung von Deutschamerikanern verband man gern die andere von den »mißratenen Söhnen«, die zu nichts anderm taugten, als nach Amerika abgeschoben zu werden. Weil die über den Atlant gezogenen Volksgenossen die unerfüllbaren Erwartungen politischen Zugehörigkeitsgefühles nicht erfüllten, verzichtete man leichtfertig auch auf die erfüllbare Möglichkeit kultureller Verbundenheit. Wilhelm II. verlieh dieser deutschen Einstellung Ausdruck, als er sagte: »Ich kenne Deutsche, und ich kenne Amerikaner, aber ich kenne keine Deutschamerikaner!«

Wenn das geschah zur Zeit des Zweiten Reiches, als das mächtige deutsche Kaiserreich nach drei siegreichen Kriegen eben wie ein Phönix neu erstanden war, braucht man sich nicht darüber zu wundern, wie rasch das deutsche Blut der alten Heimat verlorenging, das vorher über den Ozean gezogen war, als es kein Deutsches Reich gab, als Deutschland nichts war als ein geographischer Begriff und seine über das Meer ziehenden Söhne ebenso gering geschätzt wurden wie die Slowaken und Polen, die als Zwischendecker mit mir auf dem gleichen Schiff herübergekommen waren, und die von den Einwanderungs- und den Zollbeamten nicht viel besser als Vieh behandelt wurden. Dies zusammen mit dem Zauber, den Idee und Begriff Amerika ausströmten, mußte am raschester völkischer Entwurzelung führen und zu einer Amerikanisierung, die eigentlich eine Anglisierung war. Wer in der Neuen Welt zu Erfolg kommen wollte, mußte so rasch wie möglich die angestammte Sprache, Sitten und Anschauungen ablegen und die maßgebenden angelsächsischen annehmen. Sentimentales Festhalten an der alten Heimat galt als Kennzeichen der Erfolglosen, selbst in den Augen von Reichsdeutschen, die die Vereinigten Staaten besuchten, mochten sie diese Ansicht auch nicht öffentlich äußern. Wenn das Angloamerikanische bis heute als das eigentliche, das »hundertprozentige« Amerikanische gilt, und wenn der Deutschamerikaner ein Amerikaner zweiten Grades blieb, so liegt die Schuld daran in nicht geringem Grade bei uns, bei uns Deutschen, einerlei ob wir über das Meer zogen oder in der alten Heimat blieben. Wenn alle Leistungen der Deutschstämmigen und alle Opfer an Gut und Blut bis heute nicht die gerechte Würdigung des deutschen Anteils an dem Aufbau der Vereinigten Staaten bringen konnten, so müssen wir reuevoll an unsere Brust schlagen. Wenn die Tatsache, daß ein Viertel der amerikanischen Bevölkerung deutscher Abstammung ist, nicht verhindern konnte, daß die Vereinigten Staaten uns den Krieg erklärten, und zwar nicht aus einer staatlichen Notwendigkeit heraus, sondern lediglich um der Geldinteressen einer kleinen Schicht willen, und wenn man trotz all des deutschen Blutes, das in den Adern der Amerikaner fließt, in Amerika für das Neue Deutschland zunächst nichts als Haß hatte, so kann jeder einzelne von uns nur rufen: »Mea culpa, mea maxima culpa!« – »Unsere Schuld, unsere riesengroße Schuld!«

An den Beziehungen der Deutschstämmigen zur alten Heimat ist von beiden Seiten viel gesündigt worden, weniger aus bösem Willen als aus Unverständnis heraus. Ich selber kann mich von dem gleichen Fehler nicht freisprechen. Es hat mich zwei Dutzend Jahre gekostet, vieljährigen Aufenthalt in Übersee, Umgang mit Ausgewanderten in der ganzen Welt, um zum richtigen Verständnis des Deutschstämmigen im Ausland zu kommen, seiner besonderen Lage, seiner Beziehungen zur alten Heimat wie seiner Sorgen und Hoffnungen. Nur aus diesem Verständnis heraus kann man wagen, an die Lösung des schwierigen Problems heranzugehen, das heißt: Deutschland und seine Söhne über dem Meer!

3.
Die deutsche Geschichte Amerikas

»Unser Amerika« – das klingt seltsam im Mund eines Deutschen. Wir haben uns daran gewöhnt, in Amerika einen Tochterstaat Großbritanniens zu sehen. Erst dieser Tage las ich die Abhandlung eines bekannten deutschen Politikers und Geographen, der von England und den Vereinigten Staaten von Amerika als den beiden angelsächsischen Staaten schrieb. Gleichzeitig hörte ich einen Deutschen, der erst im Begriff ist, amerikanischer Staatsbürger zu werden, den Charakter Amerikas als eines angelsächsischen Landes leidenschaftlich verteidigen.

Der angelsächsische Charakter der Vereinigten Staaten ist das fesselndste Beispiel für die zwingende und gestaltende Macht eines folgerichtig verfochtenen Gedankens. Die Kraft der von ihm ausgehenden Beeinflussung ist so stark, daß ihr nicht nur die deutschen Einwanderer, sondern selbst die Mehrzahl der deutschen Besucher unterliegen, falls sie nicht ins volle Gegenteil verfallen und in den Deutschamerikanern eine Kolonie der deutschen Volksgemeinschaft sehen und infolgedessen Ansprüche an sie stellen, die die Stellung des Deutschamerikanertums lediglich schwächen und es noch mehr in das angelsächsische Lager hinübertreiben.

Um nicht in diesen Fehler zu verfallen und um Amerika nicht zu stark durch die deutsche Brille zu sehen, hielt ich mich während eines vollen Jahres von den Deutschstämmigen bewußt fern. Ich versuchte, und es gelang mir, in rein angloamerikanischen Familien und Kreisen Fuß zu fassen. Das Ergebnis war, daß ich vom angelsächsischen aus das deutsche Amerika erkannte, daß ich erfaßte, daß es das Wesen Amerikas ist, eben nicht angelsächsisch zu sein, sondern amerikanisch, also eine Mischung aus allen Völkern Europas auf neuem Boden. Diese Mischung ist allerdings noch nicht blut-, sondern nur gedankenmäßig. Deshalb kann man auch in keiner Weise von einem amerikanischen Volk sprechen, sondern lediglich von einem amerikanischen Staat.

Der Kampf um das Gesicht Amerikas ist bisher in der Hauptsache mit Ideen geführt worden. Und weil es den Deutschen in der Neuen Welt an einer Idee von nur annähernd gleicher Stärke wie die puritanisch-angelsächsisch-demokratische fehlte, ja, weil es ihnen überhaupt an einer einheitlichen zündenden Idee gebrach, deshalb kam das deutsche Blut im Volkskörper der Vereinigten Staaten trotz seiner Masse nicht zur Wirkung.

So ist Amerika angelsächsisch geworden, in der Vorstellung der Welt wie in unserer eigenen. Das politische, sprachliche und kulturelle Beiseiteschieben des deutschen Elements wurde dadurch gefördert, daß man den Anteil der Deutschen am Aufbau Amerikas planmäßig verkleinerte, ja, verheimlichte, wie überhaupt die Bedeutung des deutschen Volkstums und deutschen Geistes in der Welt. Ich habe vor mir ein für die Jugend bestimmtes Buch. »Helden der Weltgeschichte« heißt es. Ich nahm es vom Bücherbord eines deutschamerikanischen Kindes. In diesem Buch befindet sich unter all den aufgezählten Helden des Schwertes, der Feder und der Leier, all den großen Gestalten der Weltgeschichte, Weltreligionen und Weltdichtung nicht ein einziger Deutscher. Karl der Große ist zwar angeführt, aber nicht als Deutscher, sondern als Franzose. Unter all den Helden der amerikanischen Geschichte, die, wie in einem amerikanischen Buch nicht anders zu erwarten, mehr als die gute Hälfte ausmachen, befindet sich nicht ein einziger deutscher Abstammung. Unter den Heroen des Unabhängigkeitskrieges ist wohl Lafayette angeführt, nicht aber Steuben.

Aber können wir den Angloamerikanern einen Vorwurf daraus machen? Als ich in Deutschland zur Schule ging, da hörte ich anläßlich der amerikanischen Revolution wohl eine Menge von Lafayette, aber kein Wort von Steuben, dem friderizianischen General, der aus den Freischärlern und Buschmännern erst eine Armee machte. Ich fürchte, mein Geschichtslehrer hatte selber nie von ihm gehört.

Der Fall Steuben zeigt, was die Schilderung der Vergangenheit für die Gestaltung der Zukunft bedeutet. Steuben ist erst nach dem Weltkrieg von den Deutschamerikanern gewissermaßen neu entdeckt worden. Das historische Gewicht, das man ihm beilegte, hat ihre politische Lage wesentlich gestärkt.

Allein es handelt sich letztlich nicht so sehr darum, angloamerikanische Geschichtsdarstellungen und Geschichtsfälschungen wiedergutzumachen – so wichtig das auch ist –, bedeutsamer ist es, Wesen und Bedeutung der Deutschstämmigen in Amerika von einem Gesichtswinkel aus als einheitliche Idee zu erfassen. Solange das nicht gelingt, bleiben die Deutschen in den Vereinigten Staaten, was sie von jeher waren, »Auch-Amerikaner« im besten Falle. Sie haben auch im Unabhängigkeits- und im Sezessionskrieg gefochten, sie haben auch den Westen mit erschlossen, sie haben die großen und mächtigen Vereinigten Staaten auch mit aufgebaut.

Das alles aber hilft nicht viel. Das bringt die über die ganzen Staaten verstreuten, in unzähligen Parteien, Klüngeln, Vereinen und Gruppen verteilten Deutschen nicht zusammen. Das bringt sie nicht in den Vordergrund und nicht zur Führung. Das vermag nur eine Idee, die sie gleicherweise als Amerikaner wie als Deutsche erfaßt, die ihre deutsche Wesenheit nicht bestenfalls als dem amerikanischen Wesen nicht abträglich duldet, sondern die im Gegenteil ihr deutsches Blut, ihr deutsches Erbgut geradezu zur Vorbedingung ihres Amerikanertums macht, die sie mit der unerschütterlichen Überzeugung erfüllt, daß sie nur dann gute Amerikaner zu sein vermögen, wenn sie gute Deutsche sind.

Eine solche Idee läßt sich nicht künstlich schaffen, sie läßt sich nicht verstandesmäßig erklügeln. Sie erwächst und ist da, und wer sie als erster ausspricht, schafft sie nicht etwa, sondern bringt lediglich in ein Wortkleid, was unbewußt oder halbbewußt in aller Herzen und Hirnen bereits vorhanden ist.

Diese Idee lautet, auf die kürzeste Form gebracht: »Unser Amerika.« Unser Amerika nicht nur weil in mindestens zwanzig bis dreißig Millionen Amerikanern deutsches Blut fließt, nicht nur weil dieses Blut freigebig verströmt wurde für die Freiheit wie die Einheit der Union, sondern weil Amerika in seinen Wurzeln eine Schöpfung deutschen Geistes ist, und weil es über die schwere Krise, in die es heute geraten ist, nur hinweggebracht werden kann, wenn es zu diesen Wurzeln zurückfindet.

Eine solche Behauptung scheint kühn, und die aus ihr gezogenen Folgerungen noch kühner, in einer Zeit, in der die Wogen des Deutschenhasses wieder einmal hochgehen in den Vereinigten Staaten. Man haßt aber nur, was man fürchtet. Von Anfang an haben die Angloamerikaner ihre deutschstämmigen Mitbürger gefürchtet und gehaßt, jedesmal, wenn sie ihnen zu zahlreich und zu mächtig zu werden drohten. Furcht wie Haß waren freilich unnötig; denn die Deutschamerikaner haben ihre Macht nie gebraucht, geschweige denn mißbraucht, ja sie sind sich ihrer wahrscheinlich nie recht bewußt geworden.

So ist es die Frage, ob die Millionen, die aus der deutschen in die amerikanische Erde verpflanzt wurden, ihre Schicksalsstunde erkennen, ob sie sich bewußt werden, daß es sich um einen entscheidenden Augenblick handelt, in dem sie aufstehen und ihren Teil an der Verantwortung für die Zukunft der Vereinigten Staaten auf sich nehmen müssen, nicht um Deutschlands, sondern um Amerikas willen.

Karte

Der »Deutsche Gürtel«. Über 25 Millionen Amerikaner sind deutscher Abstammung (etwa jeder vierte weiße Amerikaner). Etwa 7 Millionen Amerikaner sind in Deutschland oder von deutschen Eltern geboren. Über 6 von diesen 7 Millionen leben im »Deutschen Gürtel«, den nördlichen Staaten vom Atlant bis zu den Rockies. In diesen haben sie folgenden Anteil an der Bevölkerung:

Legende

 

Ein Zeitalter läuft ab. Eine Weltwende hebt an. In Amerika nicht anders als in den übrigen Erdteilen. Die Fragen, vor die dieser Gestaltungs- und Gezeitenwandel ein jedes Land, ein jedes Volk stellt, lassen sich nicht durch verstandesmäßige Überlegungen lösen, sondern nur aus den letzten Tiefen des Blutes und des Herzens heraus. Nur wenn die Amerikaner deutschen Blutes sich bewußt werden, was das heißt »Unser Amerika« – an Rechten, an Pflichten, an letzter Verantwortung –, werden sie ihrer neuen Heimat, die jetzt ihre einzige ist – denn die alte haben sie verloren –, das geben können, was sie von ihnen fordern muß, und was allein sie von dem Fluch erlösen kann, zwischen zwei Ländern, zwei Völkern, zwei Kulturen, zwei Weltanschauungen zerrissenen Herzens hin und her zu pendeln. »Unser Amerika«, das heißt ein Amerika schaffen, das ihnen bis ins letzte Heimat ist, nicht obgleich, sondern weil sie deutschen Blutes sind.

Dieses Amerika der Zukunft kann nur aus der Vergangenheit entstehen. Ihre ihnen entschwundene und entwundene Vergangenheit müssen die Amerikaner deutschen Blutes sich wieder zu eigen machen, nicht als ein Anhängsel an die Geschichte der Vereinigten Staaten, sondern als in sich abgeschlossenes schicksalsmäßiges Erlebnis.

4.
Der deutsche Name Amerika

Es war im Jahre 1507. Seit einem Jahr war Kolumbus tot. Der große Entdecker war in dem Glauben gewesen, Indien auf dem Westweg erreicht zu haben. Mit Erbitterung wandte er sich gegen die auftauchende Vermutung, die von ihm entdeckten Inseln und Küsten gehörten nicht zu Asien. Dieser Verdacht aber wurde immer stärker, und ehe noch der große Genuese starb, war man bereits beinahe sicher, daß es sich bei den neu aufgefundenen Ländern weder um Indien noch um Cipangu, sondern um eine völlig neue Welt handelte, die jenseits des Atlant, märchenhaft, lockend und – namenlos lag.

Was ist ein Name? Ist er nur Schall und Rauch? Ist es gleichgültig, ob ein Mensch, ein Land, ein Ding den oder jenen Namen trägt? Oder bildet er vielmehr einen Teil seines Wesens? Wirkt der Name auf seinen Träger ein wie dieser auf jenen?

Ich bin einmal sehr nachdenklich über diese Frage geworden. Das war auf Yule Island. Das ist eine kleine, paradiesisch schöne Insel an der Südküste von Neuguinea. Sie ist ziemlich abgelegen; nur einmal im Monat läuft ein kleiner Küstendampfer an. Eigentlich ist sie eine Verbrecherkolonie. Die Kannibalen aus dem Bergland im Innern Neuguineas, die auf ihren Menschenjagden dem Machtbereich des Gouverneurs allzu nahe kamen, werden hier für ein, zwei Jahre strafweise gefangengehalten. Dann läßt man sie wieder laufen.

»Was wollen Sie?« sagt mir der Distriktskommissar, »der Gouverneur ist der Ansicht, daß man Menschen nicht für etwas bestrafen darf, was sie für ihr gutes Recht, ja für ihre Pflicht halten. An der Küste müßte er einen Kopfjäger natürlich hängen; wo Europäer leben, muß schließlich Ordnung herrschen. Aber im Innern? Solange wir das nicht tatsächlich besitzen, lassen wir die Stämme am besten so leben, wie sie es nun einmal gewohnt sind, und wie sie es für richtig halten. Eine gewisse neutrale Zone muß es freilich geben. Wer sich in der eines Mordes schuldig macht, den fangen wir und halten ihn auf Yule Island eine Weile fest.«

Wir saßen auf der Veranda des Distriktsgebäudes. Es lag auf einer Art Klippe am Strand, von Hibiskus und Bougainvilla rot und violett umblüht. Über die Kokospalmen, die sich wie demütige Sklavinnen den anrollenden Wogen entgegenbeugten, sah man auf das Meer. Man konnte nicht sagen, ob es blau oder grün war; denn es war ein fast schmerzendes Leuchten. Am Strand standen ein paar »Mörder«. Nackt, finster und verschlossen blickten sie über das Wasser.

Nachdenklich ließ ich den Blick von ihnen zu meinem Gastgeber zurückwandern. »Sie sagten Pflicht zum Mord! Warum Pflicht?«

Der Beamte nahm einen Schluck Whisky und lehnte sich behaglich im Liegestuhl zurück: »Gott, da gibt es viele Gründe, kultische, gesellschaftliche, erotische, schließlich nicht zum wenigsten die Notwendigkeit, sich einen Namen zu beschaffen.«

»Und das geht nur durch Töten eines Menschen?«

»In den Augen der Primitiven, ja. Für die ist der Name ein Teil des Lebewesens, ein Teil seiner Kraft. Nimmt man ihm den Namen, so bemächtigt man sich seiner Lebenskräfte. Aber da die niemand freiwillig hergibt, muß man ihn eben totschlagen. Ehe ein Papuaner einen Feind ganz tötet, sucht er ihm seinen Namen zu erpressen. Was der Feind in der Todesnot stammelt, das eignet sich der Sieger dann als Namen an.«

Diese Unterhaltung in der fernen Südsee fiel mir wieder ein, als ich den seltsamen Umständen nachging, unter denen die Neue Welt ihren Namen erhielt. So sehr wir über die Naivität der Wilden und ihren Namensaberglauben auch lächeln mögen, etwas Wahres ist daran. Sollte mir jemand plötzlich meinen Namen nehmen und als Colin Ross herumlaufen, während ich mich Karl Schulz nennen würde, ich glaube, das bliebe doch nicht ganz ohne seelische und geistige Wirkung auf beide.

Ähnlich verhält es sich mit Ländern. So ist auch die Namensgebung eines neuen Landes etwas mehr als ein bedeutungsloser Zufall. Und es ist mehr als ein bedeutungsloser Zufall, daß es ein Deutscher war, der den Namen für die neu entdeckte Welt prägte. Zum mindesten zeigt es, daß die Deutschen jener Zeit sich geistig und gedanklich in hohem Maße mit den neu aufgefundenen Ländern beschäftigten, vielleicht stärker als jene Völker, die sie eroberten und den unmittelbaren Nutzen aus ihnen zogen.

Die Kosmographen der Entdeckerzeit waren ja zu einem großen Teil Deutsche. Sie waren die Vorläufer der Geographen, und sie trugen ihren Namen vom Kosmos, weil die Erde für damalige Menschen noch in ganz anderer Weise das Weltall darstellte als heute für uns.

Einer dieser Kosmographen war Martin Waldseemüller aus Radolfzell, der eigentlich Waltzemüller hieß. Er hatte an der Freiburger Universität studiert und war dann von dem Herzog René II. von Lothringen, der ein großer Freund der Wissenschaften war, nach Saint-Dié berufen worden. Dort brütete er in seinem stillen Gelehrtenstübchen über der schwierigen Aufgabe, eine neue Karte der Welt zu zeichnen, die sich in den letzten Jahren in einer so phantastischen und unwahrscheinlichen Weise über alle Begriffe und Vorstellungen hinaus ausgedehnt hatte. Vor sich hatte er die Briefe liegen, die der Florentiner Amerigo Vespucci über seine Reisen in der Neuen Welt an Soderini in Florenz und an Lorenzo Pietro Francesco de Medici geschrieben hatte.

Nach diesen Briefen schien es dem deutschen Gelehrten gar kein Zweifel, daß dieser Amerigo Vespucci der eigentliche Entdecker der »Terra firma« sei, des Festlandes hinter den von Kolumbus aufgefundenen Inseln. Wie er so vor seiner Weltkarte saß, auf der sich geheimnisvoll die ersten Umrisse des neuen, noch namenlosen Erdteils abzeichneten, da kam ihm der Gedanke, ob es nicht nur gerecht und billig sei, den neuen Erdteil nach dem Mann zu benennen, den er für seinen Entdecker hielt. So schrieb er in seine »Cosmographiae Introductio«:

»Ich sehe nicht ein, wieso irgend jemand verbieten könne, das neue Land nach seinem Entdecker Americus (als Humanist latinisierte er den Namen Amerigo in seiner lateinisch geschriebenen Kosmographie natürlich sofort) Amerigen zu nennen, das heißt das Land des Americus oder America.«

Befriedigt setzte er die Feder ab und überlegte eine Weile, dann fuhr er fort: »sintemalen und alldieweilen Europa sowohl wie Asien beide ihre Namen nach einem Weibe erhielten.« – Ganz recht, warum sollte nicht endlich einmal ein Erdteil auch nach einem Mann genannt werden, zumal seine Entdeckung und Eroberung doch eine rein männliche Angelegenheit waren. So schrieb Martin Waldseemüller mit fester Hand in die bisher nur angedeuteten Umrisse der Neuen Welt den Namen: »Amerika.«

Die Karte Waldseemüllers wurde im Jahre 1507 veröffentlicht, und von ihr wurde die Bezeichnung Amerika ganz allgemein übernommen. Der badische Gelehrte hatte darunter freilich eigentlich nur den südlichen Teil der Neuen Welt verstehen wollen, zumal man von seinem nördlichen, abgesehen von den Entdeckungen Cabots, noch so gut wie nichts wußte. Als ein anderer deutscher Kosmograph, Mercator, der eigentlich Gerhard Kremer hieß, im Auftrag Kaiser Karls V. daran ging, eine Erd- und eine Himmelskugel zu entwerfen und im Jahre 1569, seine epochemachende Weltkarte zum Gebrauch für Seefahrer schuf, da benannte er mit der von Waldseemüller geprägten Bezeichnung die beiden Amerika.

Wir Deutschen waren es also, die den Bewohnern der Vereinigten Staaten den Namen gaben, aus dem sie später ein Anrecht auf den ganzen Erdteil ableiteten, der eigentlich aus zwei Erdteilen besteht; denn die Nabelschnur von Panama bedeutet natürlich ebensowenig, daß Nord- und Südamerika eine Einheit bilden, wie etwa die Landenge von Suez Asien und Afrika zu einem Kontinent macht.

Daß ein Deutscher der Neuen Welt den Namen gab, schafft natürlich kein deutsches Anrecht auf sie, aber es erinnert doch daran, wie falsch ihre übliche Einteilung in eine angelsächsische und eine lateinische Hälfte ist. Nordamerika ist nicht lediglich eine Schöpfung der Angelsachsen oder Südamerika eine der Spanier und Portugiesen, sondern beide zusammen sind das Werk Europas, ein Tochterkontinent unseres gesamten Erdteiles.

Der deutsche Anteil an der Erschließung und Gestaltung der nördlichen Hälfte Amerikas ist nicht so sehr viel kleiner als der englische. Daß er jedoch so völlig in den Hintergrund gedrängt werden konnte, selbst in unserm eigenen Bewußtsein, so daß sogar wir Deutschen von den Vereinigten Staaten als einem angelsächsischen Land reden, das hat seinen Grund in einem besonderen Umstand. In dem gleichen Jahre 1507, in dem Martin Waldseemüller auf seiner neuen Weltkarte den Namen Amerika eintrug, empfing in dem Erfurter Augustinerkloster ein deutscher Bergmannssohn die Priesterweihe. Damit wurde der Grund zu den späteren religiösen Zweifeln in der Seele des Mönches Martin Luther gelegt, die in der Folge zur Reformation führten, dem Bauernkrieg, dem Schmalkaldischen Krieg, der Gegenreformation und dem Dreißigjährigen Krieg. So wurde das Deutsche Reich, das unter dem deutschen Kaiser Karl V. wieder zur Weltmacht geworden war, gerade in dem Augenblick durch innere Kämpfe um religiöse Streitfragen daran gehindert, sich seinen Anteil an der neuen Märchenwelt jenseits des Atlants zu sichern. Trotz all dem Jammer und Elend, trotz des Fluches religiöser Zerrissenheit, die die Tat des Augustinermönchs auf unser Land herabbeschwor, hat sie in der Folge der Welt nicht nur die evangelische Freiheit gebracht, sondern der Neuen Welt, der wir den Namen gaben, auch ihre geistigen und seelischen Grundlagen. Das aber bildet unsern zweiten Anteil an Amerika.

5.
Die geistigen Grundlagen Amerikas

Eigentlich machen wir es uns ein wenig leicht, die befremdliche und beschämende, im Grund eigentlich durch und durch unverständliche Tatsache zu erklären, daß die gesamte Neue Welt ohne unsere Anteilnahme und Beteiligung erschlossen und erobert wurde. So gut wie alle Völker Europas sandten ihre Söhne als Entdecker und Eroberer über den Atlant: Spanier wie Portugiesen, Italiener und Holländer, Engländer und Franzosen, selbst Dänen und Schweden. Sie alle entdeckten, eroberten, siedelten, und nur die Deutschen hielten sich fern. Sie allein gingen leer aus, blieben ohne Anteil an der weiten Welt und der reichen Beute, die damals verteilt wurde.

Wenn wir uns im allgemeinen damit trösten, daß Deutschland damals kein Reich, sondern nur ein geographischer Begriff war, daß es ohnmächtig, zerrissen und vom Weltmeer abgesperrt war, so gilt das nicht als Entschuldigung. Die Deutschen waren vielmehr im Grund die nächsten dran. Sie hatten die beste Gelegenheit und das erste Anrecht. Mit Karl V. war ein deutscher Fürst König von Spanien geworden, kurz nachdem Kolumbus von seiner vierten Reise zurückgekehrt war, ehe noch Balboa von Panama aus den Pazifischen Ozean entdeckte, ehe Cortez nach Mexiko abgesegelt, lange ehe Pizarro in Peru gelandet und Cartier in den Sankt Lorenz eingefahren war. Dadurch, daß Karl V. die spanische Königs- und die deutsche Kaiserwürde vereinte, schloß er das deutsche Land in das Reich mit ein, in dem die Sonne nicht unterging und das damals das Weltreich war.

Aber gerade durch diese Personalunion war den Deutschen die Möglichkeit zu selbständigen Unternehmungen genommen. In der Neuen Welt hatte der spanische Teil des Reiches Karls V. die Führung. Jene Deutschen, die Abenteuerlust und Unternehmungsgeist in die Ferne lockte, zogen demgemäß in spanischen Diensten in die Weite. Man findet eine ganze Reihe deutscher Namen auf den Entdeckerschiffen und unter den Eroberern. Daß sie nicht zur Geltung kamen, dafür sorgte die spanische Führung, in deren Händen die Verwaltung der Neuen Welt restlos lag. Die Untertanen des Kaisers Karl konnten die Regierung des Königs Karl nicht bekriegen, wie Engländer, Franzosen und Holländer.

Aber noch ein anderes war viel entscheidender und bedeutsamer. Auch damals war eine Zeit des Weltwandels, und wie stets war es ein Wandel in materieller wie in spiritueller Hinsicht. Der Griff in die Welt, den Spanier und Portugiesen, Engländer und Franzosen unternahmen, war erst eine Folge, war erst möglich geworden durch die geistige Revolution der Deutschen. Sie schlug das deutsche Volk derart in ihren Bann, daß es weder Zeit noch Muße hatte, sich um die materielle Weltumwälzung zu kümmern. Damals ist von Deutschland die Welt neu gedacht, das Verhältnis des Menschen zur Gottheit auf eine neue Grundlage gestellt, der Begriff des vor Gott selbstverantwortlichen Menschen geprägt worden. Die geistige Revolution, die Reformation, hat neue Grundlagen geschaffen, auf denen die Welt bis heute ruht, nicht nur die protestantische, sondern auch die katholische; denn erst die Reformation hat die Gegenreformation und die Erneuerung der katholischen Kirche bewirkt. Auf die Thesen Martin Luthers gehen im Grund alle die weittragenden politischen und sozialen Revolutionen der folgenden Jahrhunderte zurück. In jedem Fall aber gilt der Satz: »Zu Anfang des angelsächsisch-protestantischen Amerikas steht Luther.«

Ohne Luthers Entschluß und Tat wäre Amerika, wie es in den Vereinigten Staaten als Idee wie als Wirklichkeit erwuchs, nie entstanden. So gehen die letzten Wurzeln dieses Amerika auf einen Deutschen zurück. Daß freilich das Luthersche Wunschbild einer neuen Welt, die auf Gewissensfreiheit beruhte, zunächst nicht von Deutschen auf den amerikanischen Boden verpflanzt wurde, sondern von Angelsachsen, und nicht in der ursprünglichen, sondern in der abgewandelten und zweckbestimmten Form Calvins, wurde schicksalbestimmend für die Neue Welt, und insbesondere für alle Deutschen, die sie später zu ihrer zweiten Heimat erwählten.

Zunächst kamen Deutsche als Auswanderer für die neu entdeckten Gebiete nicht in Frage. Ganz Deutschland war viel zu mächtig bewegt, allzusehr bis in die tiefsten Tiefen aufgewühlt durch die geistige Erneuerung. Diese führte in der Folge zu Religionswirren und Religionskriegen, die in der Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges endeten; so konnten Deutsche schließlich nur als Bettler und Flüchtlinge in eine Welt ziehen, der sie selbst Idee und geistige Grundlage gegeben hatten.

Aber vielleicht hätte Amerika von lutherischen Deutschen nie gegründet werden können, eben weil sie der geistigen Umwälzung zu nahe standen, weil sie zu tief mit ihr verhaftet waren. Die Reformation war zu geistig, um unangepaßt an die reale Welt aufbauende Formungsfähigkeit zu besitzen. Dazu war die auf das praktische Leben abgestellte Abart Calvins viel geeigneter, zumal in ihrer puritanischen Abwandlung, die Arbeit um der Arbeit, Sparsamkeit um des Gelderwerbs willen zu Vorbedingung und Prüfstein der göttlichen Gnadenwahl macht.

So hat schließlich der puritanische Gedanke in seiner Beschränkung, in seiner engherzigen Zielsetzung auf den materiellen Erfolg hin Amerika geschaffen. Aber ihm zugrunde lag die viel geistigere, viel tiefere und weiter gefaßte Idee der lutherischen Freiheit des Christenmenschen.


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