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Irgendwo im Kopf des Menschen muß eine kleine Zelle sein, in der alle wichtigen Meldungen über Geschehnisse in Geist und Seele, Herz und Gemüt sofort ausgewertet werden. In dieser Zelle steht der Apparat, der die Meldungen prüft und dann bestimmt, was zu tun und zu lassen ist. Da ist auch ein unbarmherziger Zähler, der jeden Gedanken registriert; da sind Ehrlichkeitsmesser, Wahrheitsbarometer, Lügenanzeiger; sehr feine Instrumente. Eines mißt den Selbstbetrug. In einem dünnen feinen Glasröhrchen steigt und fällt die leuchtendrote Begeisterungssäule. Und da ist der glitzernd weiße Spiegel, der in günstiger Stunde untrüglich zeigt, was gut und böse ist, was recht und falsch. Diese Zelle ist das große Geheimnis des Menschen. Niemand vermag in sie hineinzublicken als er selbst, und er nicht immer. In dieser Zelle spielt sich der Kampf des Menschen mit sich selbst ab.
In meiner Zelle wurde gekämpft.
Nur den gröbsten Störungen waren die feinen Instrumente nicht mehr unterworfen.
Wer ein rechter Sausewind gewesen ist, der braucht neben allerlei anderem auch Zeit, um sich die Windigkeit und das Gesause abzugewöhnen. Das geht alles nicht so schnell. Ich weiß das. Es führen so viele verlockende und bequeme Wege abseits. Dort lacht so vergnügt ein Rosenbusch. Hier plätschert so fröhlich ein Bach, in dem man überaus gern baden möchte, weil das Baden in ihm so überaus verboten ist. Auch sind die geraden Wege manchmal so absonderlich langweilig. Und das Leben scheint immer wieder so hervorragend lustig, daß man sich mit ernsten Erwägungen keineswegs aufhalten kann. Es ist das alles nicht so einfach. Ich weiß das – Die Apparate in der Zelle registrierten doch immer wieder:
Leichtsinn! Verführenlassen durch die Lockung der Stunde. Abenteuerlust!
Und ich hoffe und wünsche, daß auch in Zukunft die Zeiger meiner verschiedenen Instrumente wenigstens von Zeit zu Zeit gelegentlich zu anstrengenden Sprüngen genötigt werden; durch den leichten Sinn, die Freude an neuen unbekannten Pfaden, die Lust am Abenteuerlichen. Nur Druck aber erzeugt Gegendruck. Nur wer kämpft, vermag zu siegen. Der Mensch darf sein Leben nicht tragen wie einen bequem sitzenden alten Flauschrock. Auch scheint es mir, daß der Mensch arm ist, der nichts mehr zu fürchten hat von sich selber. Er wird wahrscheinlich von sich selber auch nichts mehr zu hoffen haben. Fließen muß der Strom des Lebens.
Ich hatte verflucht viel mit mir selber zu tun. Mein Spiegelbild gefiel mir durchaus nicht immer. Aber das geht nur mich an. Es hieß immer wieder erkennen und begreifen, und immer wieder bessermachen und lernen. Die innerliche Entwicklung ging, wie das immer gut und folgerichtig ist, Hand in Hand mit der äußerlichen. Es war ein Schreiten zu Zweien. Manchmal freilich blieb der Eine zurück und der Andere zerrte vorwärts; ein andermal machte der Andere einen Satz nach vorne und riß den Einen mit.
Gut an beiden aber war das Wollen.
Voll war der Tag in Hamburg und emsig. Bücher las ich, gescheite Menschen lernte ich kennen, in Zeitfragen stürzte ich mich hinein; Bücher schrieb ich, Geschichten schrieb ich, die Zeitfragen beleuchtete ich, so wie ich es verstand. Die Leute haben manchmal ganz komische Vorstellungen von Schriftstellern. Sie meinen, der sonderbare Kauz müsse in einer Dachkammer hausen und die Einfälle bedächtig von den kahlen Wänden wegfangen, so etwa, wie man Fliegen fängt. Das ist ein überaus hübscher Gedanke. Doch in der reizvolleren Wirklichkeit wird die Fliege von der Wange einer schönen Frau weggefangen; sie wird erwischt im Lärmen und Tosen einer Volksversammlung; sie ist zu suchen spät nach Mitternacht unter starken Männern in kräftigen Weinstuben. Sie schwirrt über dem tosenden Lärm einer großen Werft. Sie klettert bedächtig an der Lehmwand eines Schützenlochs, über das der Wahnsinn des Trommelfeuers hinbraust. Sie ist eingepuppt in der Sorge. Sie schwirrt in hochzeitlichem Mückentanz in der Freude. Denn wer schreiben will, muß vorher erleben. Zwar gibt es Dichter, so höre ich und sehe ich, die des Erlebens nicht bedürfen, sondern hausen wie die Buchwürmer. Sie fressen sich zäh und hungrig in bedrucktes Papier hinein; in die Bücher aller Völker, in die Literaturen aller Jahrhunderte. Mir sind diese Literaten immer vorgekommen wie die Kannibalen; denn der Kannibale verzehrt bekanntlich Gehirne Anderer, weil er durch diese Maßnahme sein eigenes Gehirn zu ergänzen und zu erneuern hofft. Ich mag sie nicht, die Literaten –
Zuerst kommt das Erleben!
Ich schrieb einmal ein Drama. Das Drama hieß Cafard. Das Wort bedeutet etwas Ähnliches wie Tropenkoller; es ist der Legionsausdruck für eine unerklärliche Art von Wahnsinn, von dem Fremdenlegionäre befallen werden. Das Drama war eigentlich gar kein Drama, sondern ein von Bühnen zu spielender Leitartikel. Das wußte ich aber damals nicht. Ich wußte nur, daß ich die französische Schande auf die Bühne bringen mußte. Das Müssen wurde mir klar bei einem Gespräch in einer Weinstube in München, verfolgte mich nach Venedig, wurde gebändigt in rascher und begeisterter Arbeit oben auf dem Arlberg.
Ich erlebte aber nicht nur die Arbeit, sondern auch das Theater –
Die Erstaufführung fand im Hamburger Thaliatheater statt. Ein Buch hatte ich in der Arbeit, Geschichten mußte ich schreiben für die Zeitungen. Trotzdem war ich wochenlang da bei den Proben von zehn Uhr morgens bis vier Uhr nachmittags. Mein Stück? Das war mir schon fremd. Aber wie Bozenhard den Kapitän herausbrachte, wie die Bozenhard Mutter war als Kantiniere, wie Roberts meinen weisen Juden spielte – das lockte mich. Ich erstarrte vor Erstaunen, als die Centa Bré als afrikanische Hure auf die Bühne kam; halbnackt, von zerfetztem Seidengeflittere umhüllt, die Lasterlinien im Gesicht, die Stimme heiser, die Hände krallend vor Gier. Mitten drin war ich. Ich machte die Striche, polterte bei den Bühnenmalern herum, studierte Beleuchtungseffekte. Ich erlebte. Aufführung. Klatschen! Autor gerufen. Verbeugungen. Ich glaube, dümmer kann man sich nicht vorkommen, als wenn man sich vor einem Theaterpublikum hilflos verbeugt. Man hört dabei nämlich genau, wie hinter und neben einem ein gerissener Mann kommandiert: »Runter mit dem Vorhang!«
»Rauf!«
»Schnell runter!«
»Autor dableiben – da – blei – ben!«
»Rauf!«
»Autor weiter nach vorne! Runter!«
Und die Hamburger Kritiken waren gut. Vor allem aber wurde wieder über die Fremdenlegion gesprochen und geschrieben, und das war mein Zweck gewesen.
Die Berliner Aufführung war im Künstlertheater.
Emanuel Reicher spielte den weisen Juden Salomon. Else Lehmann die Kantiniere. Ich erlebte mit Staunen, wie diese großen Künstler sich hineinstürzten in das Stück. Else Lehmann sah damals aus wie eine recht gemütliche, höchst bürgerliche, nicht mehr junge Berlinerin von altem Schrot und Korn. Sobald sie aber auf der Bühne stand, war sie verwandelt. Das war nicht Else Lehmann, sondern Madame, die Kantiniere; das Weib, die Mutter. Da merkte ich erst, was meine Kantiniere war. Ich war doch abgebrüht nach der Hamburger Aufführung und kam mir klug und wissend vor. Aber wenn Else Lehmann flehte, erschütterte es mich in tiefster Seele. Wenn sie weinte da droben, hätte ich mitheulen können wie ein Schloßhund. – Ich saß in der zweiten Orchesterreihe bei der Probe und horchte gespannt auf fehlerhaften Klang. Da setzte sich die Lehmann neben mich. Ein Kopfnicken. Und plötzlich legt sie mir die Hand auf die Schulter und weint, schluchzt, schreit. Ich fahre auf, als hätte mich eine Tarantel gestochen. Um Gotteswillen! Einen Arzt! Wasser! Hilfe! – Aber, Unsinn! Die Else Lehmann war gar nicht die Else Lehmann, sondern Madame, die Kantiniere, und sie lebte schon bis zum Weinen und Schreien in der Szene, die sie in zehn Minuten spielen sollte –
»Ein großer Erfolg!« sagte der Direktor. Wenn damals, am nächsten Tag nämlich, der Wortschatz des Krieges schon mein eigen gewesen wäre, so würde ich unbedingt gesagt haben: Scheibenhonig! Ich wohnte sehr fürnehm im Edenhotel. Die Morgenzeitungen brachte mir der Hotelpage ans Bett und dann schickte ich mich an, zu lesen. Was? Was war denn das? Heh, meinten sie etwa mich? Pfui Teufel! Na aber, das geht denn doch über die Hutschnur! Ich war anscheinend, nach den Kritiken zu schließen, ein Nichts, besten Falles ein Macher, ein Fabrikant von Hintertreppenstücken. Der Cafard war ein Schmarren. Sein Verfasser – nun, das wurde nur angedeutet. Als ich hinunterging in die Hotelhalle, wichen die Angestellten mir aus; offenbar aus Mitleid –
Nun, der Cafard ist über viele deutsche Bühnen gegangen und hat vielleicht etliche junge deutsche Menschen vor der Fremdenlegion bewahrt. Und darauf kam es mir an. Er war ein Leitartikel. Sein erster Akt aber war Kunst. Das weiß ich heute.
So erlebte man.
Um diese Zeit, nein, einige Jahre vorher, hatten die Menschen das Fliegen gelernt. Nach Hamburg kamen zuerst zwei Voisin-Apparate; Zweidecker. Auf der Großborsteler Rennbahn sausten die großen gelben Vögel wie wahnsinnig herum, aber fliegen taten sie nicht. Nur manchmal erhoben sie sich wenige Meter hoch auf ganz kurze Strecken. Da – jetzt war es dem einen gelungen. Ich schrie begeistert. Er flog! Einmal herum flog er, zweimal herum, und dann setzte er sich sanft hin – in die Wipfel eines Baumes. Die Feuerwehr holte den Piloten herunter. Dann kam Grade, mit seinem winzigen Eindeckerchen, in dem er höchst unbequem in einer Art von Segeltuchgestell hockte; in einer Hängematte. Nun setzte eine rasend schnelle Entwicklung ein. Zeppelin und Flugzeug stritten sich um den Vorrang. Es war alles noch im Werden und Wachsen; aber ich ließ alles liegen, wenn irgendwo in der Nähe geflogen wurde. Sie waren das ganz große Märchen der Wirklichkeit: diese ungeheuren Luftschiffe, diese zerbrechlichen Flugzeuggebilde aus Maschine und Holz und dünnen Holzstäben und lackierter gelber Leinwand.
Ich flog. Ich schrieb über mein Fliegen.
In dieser ersten Zeit machte ich einmal ein Flugzeug kaput. Das tut mir in der Erinnerung sehr leid. Es war da, wiederum auf der Großborsteler Rennbahn in Hamburg, irgend eine bescheidene Konkurrenz ausgeschrieben. Die Fliegerleute, die damals sehr wenig Geld hatten und alle Reklame und jeden kleinsten Preis furchtbar notwendig brauchten, hatten sich in Scharen eingefunden. Es war so eine Art Kinderstube der Fliegerei. Am schönsten fand ich einen Wright-Doppeldecker. Das waren noch die Zeiten, als die beiden Führersitze, der Wright-Doppeldecker hatte immer zwei Führersitze, schlicht aus zwei angebundenen Stühlen bestanden. Der Pilot freute sich, als ich mitfliegen wollte. Wir machten uns fertig. Der Motor sprang an. Ich saß auf meinem Stühlchen da. Ich hatte genaue Instruktionen bekommen, daß ich zum Halten zwei Drähte anfassen durfte, die vor dem Stühlchen hinliefen; aber um Gotteswillen nichts anderes. Denn alles andere stand irgendwie im Zusammenhang mit dem Flugzeug und der Maschine, und wenn ich an irgend einem anderen Draht gezogen hätte, dann wäre der Teufel los gewesen. Ich saß da. Da sprang einer vor das Flugzeug und hob die Hände in die Höhe. Der Motor stoppte ab.
Es stellte sich heraus, daß soeben irgend eine kleine Zwischenveranstaltung eingeschaltet worden war, deren Preis, es können zweihundert Mark gewesen sein, sich mein Wright-Doppeldecker gern verdienen wollte.
Ich kletterte also herunter. Beim Fliegen um Preise durften Passagiere nicht mitgeführt werden. Der Wright-Doppeldecker ging los, ging zögernd in die Luft, flog in einigen Metern Höhe ein paar hundert Meter weit – und dann ging er herunter und stieß mit einer Hecke zusammen, sich überkugelnd. Viel war gerade nicht passiert. Die Piloten und die Mechaniker suchten herum. Plötzlich kam der eine Pilot auf mich zugestürzt:
»Sie sind daran schuld!«
»Heh?«
»Sie sind's gewesen! Sie müssen sich zurückgelehnt haben und irgendwie mit dem Ärmel oder mit dem Arm oder mit dem Rücken an das Ölventil gekommen sein. Sie sehen doch! Es ist offen; mit einem offenen Ölventil kann man doch nicht fliegen! Sie haben uns das Flugzeug kaput gemacht!«
Darauf tranken wir alle miteinander zum Trost einen Schnaps. –
Wenige Wochen später flog ich in dem gleichen Flugzeug über das Häusermeer von Hamburg und Altona, und dann die Elbe hinunter und zurück ... Am gleichen Tag noch war ich in der Luft mit Bayerlein, dem Münchener. Und wenn je einer in schamlosester Weise für die Fliegerleute Reklame gemacht hat, dann bin ich es gewesen. Ich beschrieb das Flugzeug, und ich beschrieb den Piloten, und ich beschrieb die Fabrik, und ich beschrieb die Fliegerei; und ich schalt entrüstet darüber, daß diese Märchenmenschen die notwendigen Gelder nicht bekommen konnten. Ich schrie nach der Hilfe des Staates und der Öffentlichkeit, und ich wunderte mich immer wieder darüber, daß man bei uns in Deutschland nicht verstehen wollte, welche Zukunftsmöglichkeiten in der Luft lagen!
So erlebte ich die Anfänge der deutschen Fliegerei mit.
Es wurde einmal in Hamburg wiederum geflogen. Ich flog bei drei Flügen mit. Ich raste im Kraftwagen zu der Unglücksstelle; denn ein Mensch hatte sein Leben hingeben müssen für den Flugtraum. Ich jagte im Kraftwagen in die Redaktionsräume der Zeitung. Da schrieb ich in fliegender Eile die ganze Nacht hindurch. Um fünf Uhr morgens hatte ich vier verschiedene Artikel und Plaudereien geschrieben; über den Flugtag. Zusammen waren das so an die tausend Zeilen. Wenn mir heute einer zumuten wollte, ich sollte in einer einzigen Nacht tausend Zeilen schreiben, mit eigener Hand, dann würde ich – aber ich weiß doch nicht recht; es gibt schon noch Dinge, die mich begeistern könnten, sie wiederum zu schreiben; die tausend Zeilen in einer einzigen Nacht. Das Fliegen entwickelte sich. Das Taubenflugzeug war auf einmal da. Der Zeppelinkreuzer war praktische Wirklichkeit geworden. Ich war wohl ein dutzendmal Fahrgast auf den Zeppelinen. Nun war es eine Fahrt mitten in der Nacht über das nächtliche Hamburg, dann der Flug nach Helgoland, mit der erstaunlichen Landung auf dem Elbstrom, auf dem das Luftschiff hinfuhr wie ein Dampfer.
Die Luft war erobert. Der uralte Menschheitstraum war erfüllt.
Das erlebte ich mit.
Wer wird denn Geschichten erdenken, wenn die schönsten Geschichten im herrlichen Erleben des Tages zu greifen sind?
Arbeit war es und Erleben. Der inhaltlosen und der trägen Stunden sind es wahrlich nur wenige gewesen. Und stumpfes Werkeln gar, verdrossenes Herunterarbeiten eines nun einmal auferzwungenen Arbeitsmüssens, hab' ich mir vom Leib gehalten.
Freude war mir die Arbeit.
Das stürmte ein und drang, und verlangte, und lockte. Geld, Existenzkampf, Verpflichtung haben sicher ihr gewichtig Wörtlein mitgeredet im Arbeitstag, und ich will im Rückblicken dieser äußeren Zwangsmächte gewiß nicht spotten, denn sie waren und sind in meinem Leben genau so wichtig wie im Leben jedes anderen Menschen. Aber ich weiß, daß noch viel stärkerer, geistiger Zwang es war, der mich trieb: Rühr' dich, rege dich, schaffe! Stürz' dich hinein, kämpfe, leiste, damit du von dir selber und den anderen das Herrenrecht verlangen kannst, das nur dem gebührt und von dem erzwungen wird, der alles hergibt im Lebenstag, was in ihm ist an Kraft, Können und Wollen. Und ich verspüre endlich, daß auch dieser starke Trieb nicht ausschlaggebend war. Größeres, Besseres bestimmte:
Ich stand unter dem Bann jenes schönsten, jenes geheimnisvollsten Zwangs zum Tun, der auf der köstlichen Freude, der herrlichen Genugtuung, dem Erzeugerstolz beruht, die uns Menschen nur Leistung bescheren kann –
Ich schmiede die besten Nägel!
Ich schreibe die schönsten Geschichten!
Ich reite das wildeste Pferd!
Ach, es brauchen noch lange nicht die besten Nägel zu sein und die schönsten Geschichten, und die wildesten Pferde – aber man muß glauben und lieben. Wehe dem Menschen, der, mag er nun schmieden, oder schreiben, oder reiten, nicht mit allen Fasern seines Seins sein Tun zu lieben vermag! Die Arbeit, das Schaffen, die Leistung wird nur geedelt und geadelt durch das mächtige Hingerissensein, den zeugungskräftigen Trieb, das große Aufgehen in einer Aufgabe des Menschleins, das da schmiedet, schreibt... Denn dann ist Arbeit überstrahlt von dem hellen Licht der Begeisterung. Lieben muß der Mensch! Ausstrahlen in Liebe muß er, nicht zu anderen Menschen nur, sondern auch zu seiner Arbeit...
Ich liebte.
Ich liebte meine Arbeit und mein Erleben. Es ist mir im Rückblicken gleichgültig, ob das Erleben immer gut war und die Arbeit von Wert. Man hat da so manche Torheit begangen. In der Zelle im Kopf registrierten die Instrumente noch manches absonderliche Ereignis. Das war recht so. Auch über Menschen muß von Zeit zu Zeit der Sturm brausen, wie er immer wieder, im Frühjahr, im Herbst, im Winter über die Lande fegt. Meine Arbeit mag mir wichtiger und wertvoller gewesen sein, als ihre Bedeutung rechtfertigte. Umso besser für mich. So ich einmal siebenzig oder achtzig Jahre alt werden sollte, dann möchte ich auf mein viertes Lebensviertel so zurückblicken können, wie ich heute auf meines Lebens Sommerzeit zurückschaue. Möge ich dann sagen können, was ich jetzt sage: Nichts möchte ich missen: Die Sorgen nicht, die Torheiten nicht, den Geldkampf nicht, die Verzweiflung nicht. Auch keine einzige Geschichte würde ich hingeben, und wäre es die schlechteste. Kein Buch will ich ungeschrieben haben. Kein Zeitungsartikel, der im Tag verrann, tut mir leid. Keinen falschen Standpunkt, den ich einnahm, bereue ich.
Denn diese Sorgen, diese Torheiten, diese Geschichten, diese Bücher, diese Zeitungsartikel, diese falschen Standpunkte, sind mein Leben, in das ich hineinsteckte, was in mir war.
Was ich nicht erreichte, das konnte ich wohl nicht erreichen.
Aber, bei Gott: Was in mir war, das herauszuholen, das habe ich mit der mir gegebenen Kraft versucht. Das war Freude. Verspüre ich diese Freude nicht mehr, dann verliert mein Leben seinen Sinn.
Stark will ich sein!
Frei will ich sein!
Selber helfen will ich mir!
So freute ich mich und arbeitete. So freute ich mich und arbeitete, als das Geschehen mich vom Schreibtisch wegriß und mich zum Kämpfer für mein Vaterland machte, die Jahre hindurch im großen Krieg –
»Wie geht's Ihnen?« fragte mich einmal wieder der Kommandeur meines Kampfregiments.
»Famos!« sagte ich.
»Famos, Herr Oberstleutnant!«
»Na ja, vielleicht ist es gar nicht so töricht, immer ›famos‹ zu sagen....«
Und so will ich mich freuen und arbeiten bis zum letzten Tag. Wozu lebt man denn sonst?
Ich bin sehr befreundet mit mir selbst und durchaus geneigt, überaus wohlwollend zu sein, wenn ich mir diesen lieben Freund betrachte. Seine mannigfachen Fehler bedecke ich manchmal mit dem bewußten Mantel und aus seinen Schattenseiten praktiziere ich gelegentlich, wenn wir beide bei altem Burgunder in ausgezeichneter junger Laune sind, durch geheimnisvolle Zauberkünste noch recht nette Lichteffekte hervor. Es handelt sich da gewöhnlich um unbehaglich schlechtes Gewissen in irgend einer praktischen Tagessache oder um kleine Eitelkeiten, die nach rosenroter Beleuchtung drängen. Aber im Großen mache ich mir nichts vor; auch beim Burgunder nicht. Der soll mich nur, wenn Kleines zerrt und klein macht, daran erinnern, was groß ist: Das Erleben! Die Arbeit!
Eine der widerwärtigsten Errungenschaften unserer Zeit ist mir der gesetzliche Achtstundentag. Nicht deshalb, weil ich dem Arbeiter neben seinen acht Stunden Schlaf nicht auch seine acht Stunden Muße zu Sport und Spiel, zum Ergehen in der Natur und zu freier, selbstgewählter Betätigung gönne, sondern weil der Achtstundentag und die Art, wie unsere Gewerbeordnung seine Durchführung verlangt, aus der Arbeit so etwas wie ein häßliches Gift macht, das höchstens in der Achtstundendosis ohne schwere Schädigungen vertragen werden kann. Es gibt heute Millionen von traurigen Existenzen, denen fast nichts mehr heilig, jedenfalls nichts heiliger ist, als die staatlich normierte Arbeitsscheu. Diese Millionen, die nicht mehr den primitiven menschlichen Ehrgeiz haben, etwas zu leisten nach dem Maß ihrer Kräfte, sondern deren negerhaftes Streben sich auf die Erpressung von tariflichen Feierabendstunden beschränkt. Ekelhafter noch ist mir der gesetzliche Arbeitslose mit den Pfründneransprüchen, wie ihn Deutschland in wenigen Jahren herangezüchtet hat. Es gab Aristokratien, die an der Arbeitsscheu zugrunde gegangen sind; auch Demokratien können an ihren »Privilegien« zugrunde gehen.
Die Arbeit ist nichts, womit man sich beschmutzen oder vergiften könnte! Die Arbeit ist etwas Schönes, Herrliches, Göttliches!
An der Arbeit ist noch nie ein Mensch gestorben. Aber wertvolle Menschen, denen eine grausame Strafe die Arbeit entzog, haben sich zu allen Zeiten das Leben genommen.
Die Arbeit adelt.
Die Arbeit gibt dem Leben Inhalt.
Die Arbeit tröstet.
Sie kann vor Verzweiflung bewahren. In einem Ort bei München kam ich einmal vor ein Häuschen. Da mußte ein Mann wohnen, der Schweres durchgemacht hatte und dem einmal der Segen der Arbeit das Leben wieder lebenswert gemacht hatte. Denn über seine Tür hatte er geschrieben: »Arbeit bringt Frieden.«
Die Arbeit ist eine Lust; daß sie allenfalls auch Geld einbringt, ist eine Nebensächlichkeit, jedenfalls etwas, das erst in zweiter Linie steht. Ich habe die Arbeit stets geliebt, heißt geliebt habe ich sie, um ihrer selbst willen. Immer bin ich glücklich gewesen, wenn die Arbeit wie ein Rausch mich ergriff und sich die Aufgabe mir bot, um meine Kraft daran zu messen. Ich war glücklich beim Schwellenlegen im qualvollen Sonnenbrand Arizonas, ich war glücklich, wenn ich meine Geschichten und Bücher schrieb und mit den Schwierigkeiten kämpfte, die das Ringen um die Form und das Wort mit sich bringen.
Wenn ich in ganz stillen Stunden mein Leben überdenke, so finde ich, daß nicht die Zeiten die schönsten waren, wo der äußere Erfolg sich einstellte, sondern die, wo ich mit all meiner Kraft, mit Herz und Hirn und Seele und mit meinem ganzen Sein mich hineinwarf in meine Aufgabe, in meine Arbeit. Sei es als Zeitungsmann oder als Soldat, als »Lausbub« oder als gereifter Mann. Wie eine heftige Liebe hat sie mich allemal wieder ergriffen, die Arbeit, und blind gemacht für alles andere. Ich und meine Arbeit – daneben versank mir die Welt in Nichts. Und ich begehre sie heute noch ebenso, diese Liebestrunkenheit, die in dem tollen Schaffen liegt, in der großen Kraftanstrengung. in der Lust zur Tat und dem seligen Erkennen: ich zwing's, ich schaff's, es wird.
Mein ganzes Leben zeigt mir: Man darf leichtsinnig sein und dumme Streiche machen – ach, nicht einen möchte ich missen – wenn man dafür mit ehrlicher, begeisterter und hingebender Arbeit wieder ehrlich bezahlt. Und mein ganzes Leben zeigt mir: Man kann nicht untergehen, so lange man arbeitet. Das gilt auch für mein Volk.
Arbeit macht frei.
Die Arbeit macht uns zu Herren. Ich brauche keine Untergebenen, um mich als Herr zu fühlen. Aber eine Aufgabe brauche ich, mit der ich ringen kann, und wenn ich sie gezwungen habe, mit der letzten und allerletzten Kraft – dieses gottähnliche Herrengefühl ließe ich mir für alles Gold der Welt nicht abkaufen. Wer arbeitet, der ist etwas. Wer mehr arbeitet, als er müßte und brauchte, der ist mehr. Leute, die stets kalkulieren oder mit ihrem Tarifzollstab messen, die mögen ihn für einen Narren halten. Sei er es in den Augen solcher Menschen! Für mich ist er ein Narr von jener königlichen Narrheit, die zu den Stufen des Himmels führt. Ich liebe sie, diese Bacchanten der Arbeit, diese Evoëschreier, die trunken sind vom Wein des Schaffens, diese Besessenen, die ihr Letztes hingeben, ohne zu rechnen.
Ich bedauere jeden, der dieses Göttergefühl nicht kennt. Ich bedauere ihn ob seiner entsetzlichen Armut.
Rastlos durchwandert' ich die Welt wohl viele Male,
Zu suchen nach Dschemschids weltspiegelndem Pokale.
Doch als der Meister mir den Kelch genau beschrieb,
Merkt' ich, ich selber war Dschemschids berühmte Schale.
Omar der Zeltmacher.