Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Nun war ich wieder in München, zum ersten Mal seit sechs Jahren.
Aber diesmal stand ich auf festen Füßen da.
Die Natur hat mich, als ich ward, aus einer eigentümlichen Mischung von Stärke und Schwäche zusammengebraut, aus ihren Hexenfläschchen spielerisch Atome mischend. Diese Mischung war immer wie ein hochexplosiver Stoff gewesen. Die elende, unerklärliche, geheimnisvolle Schwäche hatte oft genug die Explosion herbeigeführt und mich in die Luft gesprengt. Immer wieder hatte die Schwäche zerstört, was die Stärke erbaute; immer wieder spielend mit dem Wollen in weiter Ferne, dem Hoffen auf das Irgendetwas, dem phantastischen Gegaukle auf Zukunftsregenbogen.
Doch nun schien die Stärke endlich Herr geworden zu sein über die Schwäche.
Ich stand sicher da.
Ich wollte etwas, ganz fest und gerade. Ich brauchte nicht mehr nebelhaftes Glück, des Zufalls Gunst, das Hoffen auf den Erfolg von übermorgen. Ich hatte meine Arbeit. Ich leistete. Ich verdiente Geld. Ich war jemand. Ich hatte sogar einen Namen. Vielleicht überschätzte ich mich. Das war ganz gleichgültig. Der Mann muß das Gefühl haben, wertvoll zu sein und Werte hervorzubringen. Es war etwas Äußerliches, daß meine Arbeiten in vielen Zeitungen und Zeitschriften erschienen; es war äußerlich, daß ich in einem Jahr Summen an Schulden bezahlen konnte, wie ich sie noch in keinem Jahr verdient hatte früher. Doch das gab Selbstgefühl. Das bescherte Ruhe. Ich machte mir keine Flausen vor. Ich sah mich selber genau an. Denn in eines Mannes Leben muß einmal die Zeit kommen, da er es vermag, sich im stillen Kämmerchen vor den Spiegel zu stellen und dem Mann im Spiegel unbarmherzig ins Gesicht zu schauen, Zug um Zug prüfend, Linie auf Linie beobachtend, forschend in Herz und Hirn. Dann ist er erst stark.
Während der letzten Wochen in Innsbruck war es mir bewußt gewesen, daß die Innsbrucker Zeit nicht zu lange ausgedehnt werden durfte. Man durfte als Schriftsteller nicht zu sehr abseits stehen. Oft hatte sich schon der Wunsch in mir geregt, mit anderen Leuten, die wie ich mit der Feder arbeiteten und von der Feder lebten, Zwiesprache zu halten. Dazu war München gerade die rechte Stadt. Jawohl! Und ich gehörte überhaupt unter diese Leute, jawohl! Denn ich war jetzt richtiger deutscher Schriftsteller geworden. Es reckte sich etwas in mir. Donnerwetter, ich fing an, mich zu fühlen. Ich wälzte sogar Romanpläne. Ich schielte selbst nach dem Theater.
Man merke: Es regte sich die verfluchte Eitelkeit!
Doch warum soll man nicht eitel sein? Eitelkeit ist eine Art von Gegenteil von Bescheidenheit. Was andere Menschen an uns eitel nennen, kann kerngesundes Selbstbewußtsein sein. Die wirkliche Eitelkeit, die törichte, löst sich sehr bald in Gelächter auf.
Diese Auflösung war mein erstes Erlebnis in München.
Es drängte mich immer wieder zu der Zeitung hin. Meine Sehnsucht nach München war sehr mitbestimmt gewesen durch die Hoffnung auf die Münchener Neuesten Nachrichten. Die druckten meine lustigen amerikanischen Geschichten ständig. Die mußten sich doch freuen, wenn ich auch einmal reine Zeitungssachen für sie schrieb!
Und richtig: Ich war gerade in den Münchener Fasching hineingekommen. Ein Gespräch von einer Viertelstunde auf den Münchener Neuesten Nachrichten brachte mir den angenehmen Auftrag, die großen Bälle und »Redouten« und überhaupt den ganzen Faschingstrubel zu beschreiben. Das war sehr lustig. Die Arbeit wurde überdies glänzend bezahlt, für jede Beschreibung siebzig Mark, glaube ich; aber schöner noch war das Erleben. Um ein Uhr sauste man schnell weg vom Ball und brachte das Manuskript in die Redaktion, und dann hätte man eigentlich nach Hause gehen können, denn der Zweck war erfüllt. Man ging aber nicht nach Hause, sondern schleunigst wieder auf den Ball. Denn diese Münchener Faschingsbälle haben es in sich.
Ich kam einmal wieder auf solch einen Faschingsball im Deutschen Theater zurück und fand eine rote Teufelin, die holdselig anzuschauen war. Darauf tanzte ich mit der Teufelin einen Walzer. Als der Tanz vorüber war, erklärte ich der Teufelin, daß ich die merkwürdige Ausnahme sei und sie nicht um einen Kuß in einer stillen Ecke plagen würde, aber ich gedächte jetzt, ein Salätchen zu essen, da oben auf der lauschigen Galerie, an einem der unter Tannenzweigen versteckten Tischchen, und dazu einen Schluck Henckell zu trinken. Ob sie mitmache? Sie machte mit. Der Salat war ein Hummersalat. Der Henckell war gar kein Henckell sondern eine Cliquot. Wozu verdiente man denn diese kolossalen Honorare? Die Teufelin nannte mich Bubi. Ich nannte die Teufelin Madonna –
Auf einmal aber kam ein roter Teufel an den Tisch. Er ergriff in teuflischer Ruhe ein Sektglas, erfaßte die Flasche Cliquot – meine Flasche – und schenkte sich ein!
»Prosit!« sagte er.
»Prosit!« sagte ich.
»Das kommt Ihnen wohl komisch vor?« bemerkte er.
»Aber durchaus nicht!« log ich.
»Lieber Mann,« sagte die Teufelin, »setz' dich doch zu uns; ich hab' einen netten Bubi gefunden!«
Und wir drei zusammen tranken noch eine Cliquot, die aber hatte der rote Teufel bestellt. Dann gingen wir zum Donisl, einer Münchener Wirtschaft, in der tagsüber und abends Droschkenkutscher, Dienstmänner, und ähnliche ordentliche Leute verkehrten, die aber so von fünf Uhr bis sieben Uhr morgens im Fasching von unordentlichen Kavalieren bevorzugt zu werden pflegte. Denn es ist Münchener Gesetz, daß ein vernünftiger Mensch nach einem Faschingsball sich morgens in solide Gegenden begibt, allwo man zum Beschluß ein vernünftiges Bier trinkt und die noch viel vernünftigeren »Weißwürscht« ißt. Der Teufel war ein Münchener Architekt. Die Teufelin war seine Frau. Ein holdseliges Wesen ...
Sie hatte mit ihrem Gemahl vereinbart gehabt, daß er ihr eine Stunde bewilligen müsse, auf diesem Ball, für ganz persönliche Abenteuer. Die Stunde nun war gerade abgelaufen, als mir der Herr Gemahl in meine Flasche Cliquot hineinsprang.
Jeden Abend ging es auf irgend einen Faschingsball, und jeden Morgen kam ich um acht Uhr nach Hause und jeden Morgen war ich außerordentlich begeistert über mein gedankenreiches Feuilleton in den Münchener Neuesten Nachrichten. Das dauerte so an die zehn Tage lang. Solch einen Auftrag möchtest du auch bekommen, junger Zeitungsmann, nicht wahr? Als die Bälle vorbei waren, erholte ich mich nicht etwa von meinem Katzenjammer, denn das waren damals die schönen Zeiten, da man ungestraft die Nacht zum Tag machen konnte und vom starken Körper eine Außerordentlichkeit verlangen, ohne daß dieser Leib revolutionäre Gegenmaßregeln ergriff. Frisch war ich!
Ich fühlte nach diesen Faschingsfeuilletons die Verpflichtung, mich doch in München mehr zu zeigen. Die Feuilletons waren glänzend gewesen! Schon vorher hatten mich meine Geschichten berühmt gemacht! Ich mußte da sein! Ich mußte mich sehen lassen!
Zuerst zeigte ich mich bei den Münchener Neuesten Nachrichten. Die pflegten ihre Mitarbeiter gelegentlich zu einem Glase Bier in ihren schönen Räumen einzuladen, und das war eine überaus vernünftige Einrichtung, denn sie gab allen möglichen Schreibersleuten Gelegenheit zum Gedankenaustausch. Wahrscheinlich wäre ich nicht eingeladen worden, aber ich sorgte dafür, mit edler Dreistigkeit, daß ich eingeladen wurde –
Rechts neben mir saß ein Mann mit einem Namen von wahrhaft gutem Klang. Der Mann sagte:
»Wir Deutsche trinken zu viel Bier – Prosit!«
Er vergrub sich in den Maßkrug und blieb sehr lange darin. Ich auch.
»Es wäre interessant,« fuhr er fort, »dem Zusammenhang zwischen übermäßigem Biergenuß und Schwerfälligkeit literarischer Produktion nachzuspüren. Mir fällt da ein wunderbares Beispiel ein: Kennen Sie Verlaine?«
»M – m – m,« murmelte ich.
»Haben wir Deutsche einen Verlaine?«
»M – m – m,« brummte ich, in der ganzen törichten Verlegenheit, die der Mensch erst in einer höheren Entwicklungsstufe los wird.
»Das Dämonische dieses genialischen Triebes ist undenkbar in Gedankenassoziation mit einem Maßkrug. Verlaine ist süß und unschuldig wie die provençalische Novelle der mittleren Periode, und er ist ein Verbrecher von hinreißender Kraft des verruchten Gedankens! Fühlen Sie denn in Ihren Traumgebilden, daß Sie ein genialer Verbrecher sein könnten wie Verlaine?«
»Nein!« sagte ich.
»Ich auch nicht. Sehen Sie, das ist eben das Bier. Prosit!«
»Ja,« fügte er gedankenvoll hinzu, »Verlaine trank Absinth!«
»Prosit!« sagte ich und trank tief, denn mir wurde schwül. Dieser Verlaine mußte offenbar jüngste französische Literatur sein. Den wollte ich aber schleunigst lesen –
»Wir sind zu fett!« sagte behaglich mein Nachbar rechts. »Lesen Sie die Münchener Neuesten Nachrichten? Wahrscheinlich; wir lesen sie ja alle. Von dem Mist, der da manchmal verzapft wird, kann man sich einen Begriff machen, wenn man diese angeblichen Feuilletons über die Münchener Bälle liest. Haben Sie sie gelesen?«
»Ja–a...« stammelte ich.
»Schreibt da so ein Mensch, den der liebe Gott zum Flickschuster geschaffen hat und nicht zum Schreiben, die harmlose Fröhlichkeit des Münchener Faschingstreibens sei charakteristisch für die gemütliche Lebensfreude Münchens! Jawohl, und das Übliche vom goldigen Münchener Mädel und von der unschuldig-leichtsinnigen Luft! Der Münchener Ball im Fasching ist ein Bacchanal! Er ist eine, Gottseidank, polizeiwidrige Poussiererei von der vielversprechendsten Unanständigkeit! Diese Bälle lassen mich hoffen – sie lassen mich hoffen ... Solch ein Trottel –«
Ich aber saß da und kämpfte mit einem grausigen Lachen.
Mein Nachbar zur Linken war der Feuilletonredakteur, ein hochverdienter Mann –
»Nun, bringen Sie uns bald wieder etwas Schönes?« fragte er.
»Es liegen noch drei Geschichten unveröffentlicht bei Ihnen!« sagte ich bissig.
»So, so; da wollen wir aber bald einmal nachsehen. Auf Ihr ganz besonderes Wohl!«
»Prosit!« sagte ich.
Ich zeigte mich weiterhin.
Ich ließ mich von einer Dame, deren Reichtum, denn ihr Gemahl braute vorzügliches Bier, so unbestreitbar war wie ihre fröhliche Neigung zur lustigen jungen Welt, auf eine » Soirée« in ihren Salon einladen, der für höchst literarisch galt; kolossal literarisch. Ich küßte der Hausfrau die Hand. Stand in Ecken herum. Rechts von mir unterhielt man sich über die Bedeutung der himmelblauseidenen Schlafröcke Richard Wagners für die persönliche Erotik des Meisters in Wechselbeziehung zur musikalischen Erotik. Das war mir viel zu hoch! Links von mir sprach man in einer Gruppe über die Bedeutung des Papsttums für die italienische Novelle. Ich hörte hin.
Ich stellte bekümmert fest, daß ich mit meiner mageren Kenntnis Boccaccios da ganz entschieden nicht mitkonnte. Als ich gerade zum Büffet entfliehen wollte, wandte sich eine Dame an mich:
»Finden nicht auch Sie es erstaunlich, daß die ragende Frauengestalt der Borgia keinen italienischen Schilderer gefunden hat?«
Da krümmte ich mich, wie der Wurm sich krümmt, der getreten wird.
»Es ist erstaunlich!« sagte ich. »Kennen Sie Jack London, den Amerikaner?«
»M–m–m,« murmelte die Dame.
»Die Parallele ist offenbar. Borgias gibt es heutzutage nur noch in der Südsee. Jack London hat diese ragenden Frauengestalten hingestellt wie aus Bronze gegossen. Nackt wie Göttinnen, duftenden Blumenkranz auf dem Haar, grausam natürlich im herrlichen Naturinstinkt. Finden Sie nicht auch?«
»M–m–m.« stotterte die Dame.
Da hatte ich einen ausgezeichneten Abgang ...
Aber ich mußte doch auch das künstlerische München erleben!
Da begab ich mich nach Schwabing und hockte mich im Café hin. In entsetzlich verqualmter Luft saßen an Marmortischen eigentümliche Gestalten; Männer mit sehr langen Haaren und Frauen mit sehr kurzem Haar. Ein Jüngling, der so bleich war, daß er lieber Beeftea hätte trinken sollen als den Absinth, der vor ihm stand, brüllte mit einer Ungeniertheit, die mir imponierte, der fetten Blondine neben ihm seine neuesten Verse ins Gesicht:
»In meinem Heizen rasen rote Gluten –
Für dich –
Für dich! In lodernder Lohe wahnsinnstaumelnd –
Glutenumschürt von Seele zu Seele –
Feuergeheiligt ...«
»Die Dicke wird schön sizzeln in der Hitze!« dachte ich.
Und ich war erleichtert und froh überrascht, als ein schlankes Geschöpfchen in Blondgelock mit süßem, frechem Pagenköpfchen sich zu mir an meinen Tisch setzte. Sie sprach in bewegten Tönen von der Liebe. Aber ich machte ein furchtbar dummes Gesicht, als ich zu ahnen vermeinte, daß es sich um die Liebe handelte, die sie zu dem drallen Wassermädel verspürte, das die Wassergläser von Tisch zu Tisch brachte –
»Anscheinend hast du noch nicht die nötige Kulturreife in dir; noch lange nicht!« sagte ich mir betrübt.
Ich ging auch in die Schwabinger Ateliers und studierte mit heißem Bemühen die modernsten Bilder, was mit einigen Schwierigkeiten verknüpft war; weil ich weder Russisch, noch Serbisch, noch Jiddisch verstand. Ich ließ mir von einer Dame, die einen ziemlich abgeschabten Teppich, in dessen Mitte einfach ein Loch geschnitten war, als Bekleidungsstück trug, die Revolution der Farbe erklären. Aber die verrückte Idee mit dem Teppich interessierte mich viel mehr als die ganze Farbenanarchie. Ich ging auch zur Kathi Kobus, der hochberühmten, der Inhaberin der Künstlerkneipe in der Türkenstraße; und fabrizierte um Mitternacht Schnadahüpfl, die meines Erachtens mindestens ebenso schlecht waren wie diejenigen der berufsmäßigen Brettlleute, die mit ihren Knüppelversen die Welt erobern wollten –
Aber die Schwabinger Leute lockten mich doch; die Maler der neuen Farbe, die Dichter des Unerhörten, die Umstürzler kommender Welten. Sie wohnten alle zusammen in Schwabing. Beim Siegestor in München steht in massigem Bau die Kunstakademie. Breite Treppen führen in hohe Hallen, kleinere Treppen steigen empor zu den Einsamkeiten der Werkstätten, allwo die Kunstprofessoren hausen und ihre Schüler. Gleich bei diesem Gebäude fängt Schwabing an. Vom Siegestor aus erstreckt sich eine der schönsten und fürnehmsten Straßen Deutschlands. Es stehen da die kleinen Luftschlösser und Villen der Herrenzeit; mit schön geschorenen Rasenflächen und Baumgruppen von Köstlichkeit. Doch alle siebzig oder achtzig Meter zweigen Sträßchen ab, nach links und nach rechts. Dahin zog die Münchener Kunst; sonderbarerweise immer diejenige Münchener Kunst, die augenblicklich überaus wenig geschätzt wurde und revolutionäre Protesthaltung einnahm zu der Münchener Kunst der Zeit. Aus allen Weltwinkeln strömte es in diese Ateliers hinein.
Der richtige Urmünchener liebte Schwabing nicht besonders. Ein Münchener sagte mir einmal beim gemütlichen Tarok:
»Die Kunst in Ehren! Dabei wär' noch zu bedenken, daß wir Münchner immer künstlerisch g'wesen sind, schon von wegen der Tradition. Aber eine solchene Sauwirtschaft, wie sie da ist bei den Malmännern und den Malweibern in Schwabing, dafür tät' ich mich aber doch bedanken. Da schreien die Malweiber nach dem Kind! Wenn mir die meinige Tochter ein geschrienes Kind ins Haus bringt, nacha brächt' ich sie um. Die Malmänner zahlen auch nicht richtig, ich muß das wissen, ich hab' nämlich zwei Häuser in Schwabing. Und wenn's nicht z'vonwegen der Münchener Kunst wär', dann tät' ich die ganze miserablige Gesellschaft rausschmeißen! No, no! Die Kunst in Ehren! Aber die Schlawiner soll der Teufel holen! Da kommen s' her aus Galizien, und ich kann bloß sagen – aber i' sag' gar nix. Die Kunst in Ehren. Himmelherrgottsackerment! Proscht!«
Das klang ungemein vielversprechend. Ich machte mich an die Untersuchung.
Schlawiner?
Das waren Leute, die, bayrisch gedacht, in Bayern nichts zu suchen hatten. Ein Schlawiner war gewöhnlich ein Russe, oder ein Serbe, oder ein Galizier, und sicher ein unerwünschtes Individuum. Aber sie kamen und waren da. Die Kunst in Ehren. Der Paß war auch in Ordnung. »No. ja. Himmelherrgottsackerment!«
Ein richtiger Schwabinger mußte zum mindesten drei sexuelle Zwischenstufen in sich vereinigen können, ehe er für voll gerechnet wurde: ein Dutzend Bilder hingeschmissen haben, die jedem Farbenbegriff und vor allem jedem zeichnerischen Können revolutionär ins Gesicht schlugen: einen Band Gedichte »erlebt« haben, so titanisch und »abgründig«, daß er sie selber nicht verstand. Aber die anderen verstanden sie. Sonst hätten sie nicht mehr mitgekonnt in Schwabing. Denn Schwabing nahm sich gegenseitig ernsthaft.
Schwabing stellte seine Forderungen. Da kam man nicht darum herum. Nette Mädels mußten sich furchtbar abmühen, die rasende Bestie in sich zu entdecken. Wer militärdiensttauglich war, schlich sich aus Schwabing fort: Er war gerichtet. Die mangelnde Durchgeistigung des Seins war in einem solchen Körper zu offenbar. Es kam auf die Wesenheiten an, die Seinsbedingungen bewußter Ichhoheit, die Stoffdurchgeistigungen, die allerletzten Loslösungen, die Verinnerlichung der Äußerlichkeit, und auf das Reden kam es an. Ein Schwabinger konnte man mit vorgeschrittener Paralyse sein, mit hochgezüchteter Neurasthenie, und sogar als Hermaphrodit – aber taubstumm durfte man nicht sein in dieser beschränkten Gesellschaft ohne Haftung auf gegenseitige Bewunderung.
Dazwischen schrie die Weiblichkeit nach dem Kinde und die Männlichkeit nach der Revolution: nach irgend einer Revolution: in den Farben, in den Worten, in den Begriffen. Das war ganz gleichgültig. Es mußte nur eine Revolution sein. – Dann und wann erstand aus dieser hysterischen Umgebung ein wirklicher Künstler. Meistens aber gingen die Wenigen, die begabt waren, an Schwabing zugrunde. Die Mühsam's, die Gräser's, die Toller's waren verschwabingerte Könner; Opfer ihrer Umgebung, Produkte der gräßlichen Kaffeehausrederei –
Jetzt geht es den Schwabingern schlecht.
Die »Schlawiner« werden hinausgefeuert aus dem bayrischen Schwabing.
In linksradikalen Kreisen nennt man das »die Reaktion«.
Es ist ja auch so jammerschade um diese Schwabinger, die Revolutionen als aufpeitschendes Arzneimittel für ihre kümmerlichen Leiber und Seelen brauchten, die dem Expressionismus jubelnd entgegenheulten, weil er von zeichnerischem Können und schwerem Lernenmüssen entlastete; die Dichtung in Wortstammelei schaffen mußten, weil sie der Sprache nicht Herren waren –
Ich ging später nicht allzu oft in die Schwabinger Kaffeehäuser und ich wurde auch nicht heimisch in den Ateliers bei den verrückten Bildern und den nächtelangen Auseinandersetzungen über das Drama der Zukunft. Ich hörte zwar dem Seelengestöhne über die Qualen des Liebeslebens interessiert zu, aber ich konnte mich der Erkenntnis nicht verschließen, daß die Leutchen das schwierige Problem im Grunde doch auf überaus einfache und althergebrachte Weise lösten. Das war nichts Neues. Diese Sächelchen hatte Boccaccio besser erlebt und viel besser geschildert. Für das Drama der Zukunft war ich einmal entflammt gewesen. Seine Jünger redeten sehr begeistert, und mehr als einmal wurde ich mitgerissen. Aber in nüchterner Stunde dann fragte ich mich doch verwundert, weshalb denn diese Genialitäten das Drama der Zukunft noch nicht geschrieben hatten? Das war doch der Witz! Reden konnte ich es auch, das Drama der Zukunft!
Ich paßte nicht zu den Genies.
Ohne Zweifel ist das meine Schuld gewesen. Ich verspürte in mir nur Abwehr gegen die Schwabinger. Es war etwas ganz Primitives dabei. Ich konnte nun einmal keine Freundschaft aufbringen für ein männliches Wesen, das entzückt Zuckerwasser soff und dabei, als wäre es wirklich im Rausch, seine herrlichen Ideen Krethi und Plethi anpries wie eine Hure dem Freier ihre Liebeskünste. Wenn solch' ein Genius wieder einmal Schiller verhöhnt hatte und achselzuckend zugegeben, daß Goethe immerhin als Vorläufer eingeschätzt werden müsse, dann juckte es mir in den Fäusten. Das Biest hatte lange Haare und sprach laut. Aber es war nichts und hatte nichts und konnte nichts. Sogar sein Mädel machte schlechte Witze über Mißverhältnisse zwischen Wollen und Können, wobei das Mädel übrigens nicht an das Drama der Zukunft dachte, sondern an simple Erdendinge. Auch gefielen mir diese Kaffeehäuser nicht. Saufen ist etwas Schönes und Gutes, so man irgend einen Zweck damit verbindet. Sich Nächte bacchantisch um die Ohren schlagen: das hat manchmal Sinn und Verstand. Aber bei einem einzigen Schnaps, einer Tasse Kaffee, und zehn Gläsern Wasser stundenlang dazuhocken, nur weil das zum guten Ton irrsinniger Lebensführung gehörte, das machte ich nicht mit. Ich reagierte sauer auf die Schwabinger. Wenn mir einer, der plötzlich ein großer Mann geworden war, weil er etwa unter dem Pseudonym »Hermoderma« der Münchener Jugend einen witzigen Vierzeiler angehängt hatte, seine Entdeckung der wesentlichen Bestandteile der Weltseele ausposaunte, wurde ich gewöhnlich grob. Ich setzte dann vielleicht des längeren auseinander, daß ein New Yorker Hafenarbeiter bedeutend mehr von der Weltseele verstehe als alle Literaten miteinander. Es machte mir Spaß, auf solch' einen Seelenerguß eine derbe Geschichte draufzusetzen: Ganz Roheit; gänzlich ohne Seele!
Das gefiel mir! Den Schwabingern nicht!
Denn ich war wieder sieben Kilometer lang und drei Kilometer breit.
Nicht etwa geistig: wie man merkt. Nur so praktisch.
»Ihre Vitalität ist direkt unanständig:« schrie einmal entrüstet ein Jüngling, »Sie kleben auf ekelhafte Weise am alltäglichen Geschehen. Haben Sie keine Seele? Regt sich in Ihnen nicht die Sehnsucht nach Höherem?«
»Nein!« sagte ich. »Übrigens sind Sie ein Hanswurst!«
»Was?«
»Hanswurst!«
»Wollen Sie das zurücknehmen?«
»Nein!«
Sagte der Jüngling: »Das ist eben die unanständige Vitalität.« Und damit war die Sache erledigt –
Die Erklärung dafür, weshalb ich Schwabing nicht in hellichter Begeisterung erleben konnte, ist natürlich sehr einfach. Die Männlein und Weiblein von Schwabing faselten sich die Welt zurecht. Ich aber hatte sie erlebt. Ich wußte genau, daß zweimal zwei vier war. Ich stand auf festen Füßen da. Ich fand keinen Witz darin, mir in einen alten Teppich ein Loch zu schneiden und ihn mir dann als Bekleidungsstück umzuhängen. Ich hatte keine Lust, die Welt durch rasendes Gerede bei Wasser und Sexualabnormitäten zu revolutionieren.
Ich war ein Unwürdiger. In Schwabing. Überdies schrieb ich Geschichten, die normalen Menschen Spaß machten.
Ich gab Schwabing auf. Ich fühlte mich viel wohler beim amerikanischen Zahnarzt. Den hatte ich auf dem peinlichen Umweg über einen kariösen Zahn kennen gelernt. Die Bekanntschaft dehnte sich aus zu zwei Bridge-Abenden in der Woche. Bridge ist unsinnig verfeinerter Whist und kommt gleich nach dem Pferdestehlen. Nach der Bridgepartie pokerten wir. Gegen richtigen Poker ist Pferdestehlen eine harmlose Beschäftigung. Mitspieler waren Herren vom amerikanischen Konsulat. Wir spielten so toll, daß wir uns gegenseitig ganze Berge Geld schuldeten. Eines Abends verglichen wir die Schuldsummen und kamen überein, den ganzen Blödsinn als ungeschehen zu betrachten.
Das war viel schöner als Schwabing.
Wir hatten nämlich schon seit Wochen mit Bons gespielt. Diese Papierstückchen waren zuerst sehr ernsthaft und sehr ehrlich gemeint, aber in der Spielaufregung wurden sie bald zu einem Witz. Man schrieb eben so hundert Mark hin – und so entstand Geld. Mehr: es entstand eine Papierwährung. Denn – das war alles ein unausgesprochener Scherz – es wäre doch keinem von uns eingefallen, ein wirkliches Zwanzigmarkstück aus der Tasche zu holen. Das tat nur ein Neuer, gewöhnlich vom Konsulat, der zum erstenmal mitspielte. Aber er tat das dann nie wieder. Er wurde schon beim erstenmal furchtbar ausgelacht. – Ja, und dann muß ich gestehen, daß ich mich in dieser Zeit so etwa der Hehlerei schuldig machte. Der Zahnarzt nämlich, der viel Geld verdiente und dem es sehr gut ging, hatte den amerikanischen Souvenirrappel. Er hatte mit Vorbedacht in die Tasche seines Sommerüberziehers ein Loch geschnitten, durch das er mit der Hand nach der Innenseite des Überziehers durchgreifen konnte. Diese Vorrichtung war dazu da, um bequem und unauffällig die Bierseidel verbergen zu können, die er beim Weggehen aus Münchener Bierkellern mitlaufen zu lassen pflegte. Er wollte sich nämlich eine Sammlung von »original Munich steins« anlegen. Ich erlebte das mit ihm immer wieder. Aber er machte ein so spitzbübisches und so lustiges Gesicht, wenn er beim Aufbruch das Seidel unter den Mantel praktizierte, daß man nur lachen konnte –
Ich verlor in dieser fröhlichen Runde Unsummen an Papierwährung. Diese Papierschulden wurden aber, wie gesagt, nach Vereinbarung nicht bezahlt. Der wirklich Hereingefallene war der Zahnarzt, denn seine saftige Rechnung für einige Goldplomben gewann ich ihm im Pokern in wirklicher Währung ab – Gold gegen Gold!
Noch immer schrieb ich am liebsten in der Nacht, beim Lampenschein. Eine gute Maschinenschreiberin hatte ich bald gefunden. Jetzt wurden meine Arbeiten immer gleich mit sieben Durchschlägen abgeschrieben, und das sparte viel Zeit. Ich las viel, war oft in Bibliotheken, ging in Kunstausstellungen, besuchte die wichtigen Theater, mich in meinen Bedürfnissen verfeinernd, arbeitete mich in Kenntnis der deutschen Literatur hinein. Ich reckte mich und streckte mich. Ich blieb sparsam. Das Ziel erforderte es. Die verbrannten Finger schmerzten noch. Nichts konnte mich abhalten von der Arbeit. Ich war im Werden und Wachsen.
Auch verdiente ich Geld. Nun waren sie fast ganz bezahlt; die Wucherer. Den Rest, und noch mehr, bezahlte die Ozeanzeitung des Norddeutschen Lloyd. An die war ich durch Zufall geraten. Sie erschien in dem Berliner Verlag Reimar Hobbing & Co. Als die Hobbings hintereinander mehrere meiner Geschichten zu sehr hohem Honorar gekauft hatten, merkte ich etwas und fuhr nach Berlin. Ergebnis: Abschluß für zwanzig Geschichten und viel Honorarvorschuß! Weil das so gut gegangen war, ging ich auch gleich zur Modenwelt: Ergebnis Abschluß und Honorarvorschuß!
Und nun fuhr ich nach Hamburg.
Dort ließ ich die gefälligen Herren, die zuletzt nur noch mit den Händen und den Schultern geredet hatten, antreten, und machte reinen Tisch, bar bezahlend wie ein Lord. Meine Gemütsstimmung war im übrigen: Was kostet Hamburg? Seht ihr wohl, da bin ich wieder! »Zum Erstaunen bin ich da!« Als persönliche Verschwendung erlaubte ich mir einen Panama und zwei kurze Briar-Pfeifen mit Silberbeschlag. Panama und Pfeifen besitze ich noch heute – halli und halloh! Und in Hamburg bin ich seitdem geblieben.