Erwin Rosen
Allen Gewalten zum Trotz
Erwin Rosen

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Die Flucht aus dem Lande Gottes

Das Land Gottes und des Teufels. – Warum die Amerikaner verrückt sind ... – Was ist echt und was ist Bluff? – Ein Kerl, sieben Kilometer lang und drei Kilometer breit. – Briefe aus München. – Ich bin amerikanisch verrückt. – Das Ochsenschiff. – Die sympathischen Männer der blutigen Verdammtheit. – Allerlei Luftschlösser. – Auf deutschem Boden.

Ich habe Amerika sehr geliebt. Und ich liebte in Amerika nicht nur mein eigenes junges Erleben vergangener Zeit, sondern Land und Menschen; das Land, weil es gesegnet ist mit Größe und Schönheit, die Menschen, weil sie mir eitel Kraft, Wagemut, Begeisterung schienen. Diese Liebe ist elend in Scherben gegangen durch den Großen Krieg. Im Felde hat mich der Zufall nicht gegen Amerikaner geführt, aber ich hätte mit Wonne gegen Amerikaner gekämpft; ich, der ich auf amerikanischer Seite kämpfte in Kuba. Nach dem Kriege trug ich alles in meiner Kraft dazu bei, Amerikas falsches Spiel im Weltkrieg zu schildern und vor Amerika zu warnen. Selber hatte ich am allerliebsten vergessen, was Amerika mir einmal war. Das ist mir jedoch nicht gelungen. Mag es mich wie Eiseskälte anwehen in Haß über die amerikanische Kriegsheuchelei, mag Ekel mich überkommen vor großen Worten, die mir hohl klingen, mag brutale Geldgewalt schreien, die mich empört – immer wieder ertappe ich mich auf dem Bemühen, nach gutem Klang zu horchen aus dem Riesenlande über den Wassern, nach Menschheitstat, nach begeisternder Leistung. Zerbrochener Glaube ist sogar noch in den wertlosen Stücken lebendig geblieben.

Ich empfand das so recht an irgend einem Tag im Anfang des Jahres 1920.

Ich sprach da mit einem Mann von der Wasserkante, einem alten Amerikakenner, der gerade so knallvoll mit Haß gegen Amerika geladen war wie ich selbst:

»Die Amerikaner sind ja immer verrückt gewesen!« sagte er. »Sie sind hysterisch. Sie nennen sich das Land Gottes? Das Land des Teufels, sage ich. Solch ein Amerikaner kam mir immer vor, als stürze er in rasendem Rennen dahin, aber nicht, weil er rennen wollte, sondern weil er rennen mußte, vorwärtsgetrieben von einem anderen Amerikaner, der mit der Peitsche hinter ihm herlief!«

»Hoh!« meinte ich. »Glauben Sie das wirklich?«

Der Wasserkantenmann betonte, daß er das allerdings sehr glaube. Er kenne die Amerikaner doch seit Jahrzehnten, und er kenne vor allem ihre rasende Hetzjagd und ihre verzweifelte Angst vor dem Mißerfolg. Sie stünden immer unter Druck, seien geladen wie ein Explosionsgeschoß: der Mann, das Weib, der Kaufmann, der Angestellte, ja sogar der Pfarrer. Wahre Kraft aber bedeute Ruhe. Da seien zum Beispiel diese berühmten Kraftmenschen von amerikanischen Reportern! Die seien aber nach seiner Erfahrung arme hysterische Luder: aus dem Leim gegangen, verprügelt, verrückt gemacht!

»Na, erlauben Sie mal –« regte sich in mir schon die Erinnerung ...

»Sie können mir gar nichts erzählen!« sagte der Mann von der Wasserkante. »Ich habe diese amerikanischen Reporter mehr als einmal erlebt. Sie sind zum Kotzen. Sie haben gewinselt wie die jungen Hunde. Sie haben geheult wie die alten Weiber. Sie haben mir vorgejammert, daß sie erschlagen wären, und ruiniert, und vernichtet, wenn ich ihnen nicht das Interview für ihre Zeitungen gäbe. Sie haben vor mir Ströme von Tränen vergossen, um mich zu bewegen, auf ihre dummen Fragen eine sensationelle Antwort zu geben. Sonst seien sie erschossen! Sonst würden sie zum Teufel gejagt – und so weiter – die pure Hysterie!«

»Aber da sind Sie ja hereingefallen!« lachte ich entzückt. »Das war Theater. Ein Trick war das. Die Tränen waren Krokodilstränen. Der Kummer war geheuchelt. Ich kenne das.«

»Nein! Die Tränen waren echt! Das Gewinsele war unerträglich. Ich kenne Menschen. Ich habe das erlebt. Und glauben Sie mir, diese Amerikaner sind überhaupt alle verrückt! Die Männer sind hysterisch, die Weiber sind hysterisch, die Politik ist es, die Wirtschaft, das Gesellschaftsleben, die Arbeit, die Erholung ... Die heulende Reporterbande war einfach typisch!«

Dann sprachen wir von etwas anderem.

Doch die Geschichte ging mir im Kopfe herum. Es fiel mir ein, am gleichen Abend noch, daß da einmal irgend ein merkwürdiger amerikanischer Wissenschaftler die Behauptung aufgestellt hatte, die amerikanische Luft enthalte das Nervensystem schwer irritierende Bestandteile. Die Luft über den Vereinigten Staaten von Nordamerika sei eine völlig andere Luft als irgendwo anders auf der Welt. Es handle sich da um eine Art Golfstrom der Luft, der seinen Ursprung wahrscheinlich in einer Vermengung der feindlichen Strömungen über den nördlichen Felsengebirgen und den südlichen Sonnenwüsten habe. Der Professor behauptete dabei allerlei über verschiedenartige elektrische Spannungen und patentiert-amerikanische Teufeleien von Molekülen, aber er kam jedenfalls zu dem Schluß, daß die Besonderheit der amerikanischen Luft den Menschen eben ein wenig verrückt mache. Sie bewirke zwar Steigerung wertvoller Energien, aber sie steigere auch den menschlichen Hang zur Unrast, zur sinnlosen Übertreibung, zum Vordrängen der brutalsten Instinkte. Die Veröffentlichung des Professors hatte ich damals selbst für die Bedürfnisse der Leserschaft einer sensationellen Zeitung zurechtgeschneidert ... Hm, hatte sie nicht wirklich immer etwas Verrücktes an sich gehabt, die amerikanische Luft? Hieß nicht das Wort, das der Amerikaner in jedem zweiten Satz gebrauchte, crazy?

Mir war, als stünde ich wieder inmitten wüster Steinmassen, von Donnergelärme umtost, von hastender, gierig stürzender Menschenflut umbrandet, kämpfend um Luft, Brot, Leben. Ich verspürte wieder den amerikanischen Kampfdrang im Blut, der wild und rücksichtslos um sich schlug; die furchtbare amerikanische Rastlosigkeit, die den Menschen ruhelos von Stadt zu Stadt trieb, von Tun zu Tun, von gieriger Hast zu neuer Hetzjagd. Ich roch hitzegeschwängerten Asphalt, sah unstet wimmelnde Menschenmassen. blickte in harte Gesichter. Sternenbanner flatterten geräuschvoll, brüllende Redner schrien die Göttlichkeit des Landes Gottes in die Welt hinaus, große Worte ertönten durch Megaphone wie schrille Trompeten in wahnwitziger Übertreibung. Da war alles glorreich, unbegrenzt, herrlich, gigantisch, wunderbar: am besten, am edelsten, am freiesten. Da hatten die Maße keine Grenzen. Da wuchsen die Käufer in den Himmel. Da erraffte die Gier Milliarden. Da war auch nichts groß genug, nichts durfte feststehend sein, nichts sollte als unverrückbar gelten; es gab keine Ehrfurcht im Lande Gottes. Die Menschen gingen nicht, sondern sie sprangen. Sie stürmten, polterten, rasten. Ein geheimnisvoller Drang mußte in diesen Seelen wühlen, kraftvoll treibend, aber mit Gier erfüllend, mit Unrast vergiftend; nun göttlich stärkend, jetzt teuflisch schwächend, jetzt mächtig erbrausend wie herrlicher Orgelklang, nun schrill gellend wie das Geheule aller Dampfpfeifen eines Erdteils.

Lärm hörte ich; Lärm, Lärm.

Wirrwarr sah ich; Wirrwarr, Wirrwarr.

Aber erwuchsen da nicht Kräfte riesenhaft aus dem Lärm, dem Wirrwarr, dem Brodeln: Arbeit, Leistung, Tat? Wo war nun das Göttliche? Was war teuflisch?

Was war das Wesentliche?

Bestand das wirkliche Ergebnis aus einer imponierenden, ja fast beispiellosen Steigerung der Kräfte, der Leistungen, des Arbeitens, der Taten – oder wurde das Ergebnis nur vorgetäuscht, durch unverschämt schamloses Reklamegebrüll, durch eine noch nie dagewesene Heuchelei, durch eine absolut groteske Selbstbeschwindelung?

Was war echt, was war Bluff, was war Humbug?

Es überlief einen ja siedendheiß. wenn man an Wilson dachte und an seine 14 Punkte, die zusammen immerdar das prächtigste Beispiel der Vermengung von Göttlichem mit Teuflischem darstellen werden – an den mit Explosivstoffen vollgeladenen Raum der Lusitania – an das Geschrei von Humanität und die gleichzeitige Erraffung des gesamten Goldreichtums der Welt. Man mußte lächeln, wenn man an das Antialkoholgesetz dachte und sich seiner Wirkung erinnerte, die ungeheuerlichste Schiebergeschichte in Alkoholeinfuhr, gegen die die Schiebungen des Europas nach dem Kriege harmlose Waisenkinder sind. Gewiß, die Kräfte steckten auch in dem Gebrüll, im Alkoholschwindel, in der Heuchelei sogar. Aber war vielleicht diese amerikanische Kraft nur um des Erfolges willen da, des Erfolges um jeden Preis, und zwar aus den gewöhnlichst triebhaften, ichsüchtigen Motiven? Ich muß reich werden! Ich muß schneller laufen als der andere! Ich muß recht behalten! Ich muß das Rennen machen!

War diese Art von Kraft gut und nützlich im hohen Sinn?

Aber auf einmal gab ich es auf, nach Lösungen von Rätseln zu suchen, die nicht zu errechnen waren. Ich verspürte nur, daß aus irgend einem geheimnisvollen Grunde in diesem sonderbaren Amerika Kräfte stärker wirkten und Schwächen klarer zutage traten als in irgend einem anderen Lande der Welt. Ich fühlte nur, daß trotz Krieg und Hatz ich immer wieder würde horchen müssen auf die Stimme aus Amerika. Ich wußte nur, daß ich das Erinnern an meine amerikanischen Jahre nicht wegfegen konnte, weil ihr Erleben mich beeinflußt hatte weit in die Zeiten hinein: im Guten und im Bösen.


Im Guten und im Bösen war ich amerikanisch geworden.

Als ich an einem schwülen Sommertag in einem Hotelzimmer in New Orleans stand und auf die heiße, wimmelnde, lärmende Straße hinabschaute, war ich ein sehr starker Mann.

Hätte man mich nach meinen Größenverhältnissen gefragt, so würde ich dreist und überzeugt geantwortet haben: Ich bin sieben Kilometer lang und drei Kilometer breit!

Ich kannte keine Angst. Ich fürchtete nichts. Die ganze Welt gehörte mir. Wenn ich das Meinige noch nicht eingeheimst hatte, so war das nur deshalb nicht geschehen, weil es mir gerade an Zeit fehlte. Oder weil ich etwas anderes, viel Schöneres zu tun hatte. Denn so oder so: Die ganze Welt gehörte mir! Wer sich herumgeschlagen hatte wie ich, auf der Farm, auf der Straße, auf der Eisenbahn, im Kriege, im Fabriksaal, im Geschäft, im Zeitungsgebäude, sich das Leben ertrotzend, der wußte, was die Fäuste wert waren, das Hirn vermochte, der Wille bedeutete. Stark war ich!

Meine Post kam.

Unter den Briefen waren zwei deutsche. Von meiner Mutter in München. Meine Mutter schrieb von Sorgen und veränderten Verhältnissen daheim. Wie mit einem schweren Seufzer schloß der eine Brief: »Hätten wir dich nur hier!« Es klang wie ein ganz hoffnungsloser Wunsch, wie das traurige Erwähnen einer Unmöglichkeit...

Was? Unmöglichkeit?

Grell und blitzschnell schoß mir der Gedanke durch den Kopf:

Ich will heim!

Ich sah ein altes liebes Gesicht. Ich vernahm die Stimme. Ich gehörte nach München hin. Hoffnungslosigkeit? Unmöglichkeit? Das gab es nicht. Ich hatte genügend Geld, nichts hinderte mich, ich war ja stark. Ich fuhr jetzt sofort nach Deutschland.


Und nun wurde ich amerikanisch verrückt.

Ein Fieber schüttelte mich. Ich hätte schreien können vor Ungeduld. Es war Unerträglichkeit, daß sich Meere anmaßten, zwischen mir und meinem Ziel zu liegen. Es war eine Feindseligkeit, daß Zeit vergehen mußte, ehe mein Wunsch erfüllt war. Nur schnell! Keine Zeit verlieren! Ich rannte zur Telegraphenstelle an der Ecke, gab das Telegramm auf, das mir einen Kajütenplatz in New York bestellte, lief zurück zum Hotel, und stellte hastig fest, wann der nächste Zug nach New York abfuhr. In zwei Stunden. Ich packte den Koffer. Es war nicht schwierig: man schleppte nicht viel mit sich herum: Einen zweiten Anzug, die Wäsche, das Bündel Zeitungsausschnitte, ein paar Briefe, Waschzeug ... Man war nicht an Ort oder Menschen gebunden, wodurch denn? Die Plötzlichkeit von Entschluß und Ausführung war nichts Neues. So hatte man es schon hundertmal gemacht.

Auf dem Bahnhof, mitten im Gewühl am Schalter, fiel es mir ein, daß auch von New Orleans aus Dampfer nach Europa fuhren. Halt, das war die Idee! Da schwamm man vielleicht morgen schon auf dem Wasser!

Ich stürzte zum Hafen –

»Nächster Dampfer nach Europa?« antwortete einer. »Wilson-Linie, schätze ich. Schneller Ochsendampfer nach England. Abfahrt heute, glaube ich.«

»Englanddampfer?« sagte der Mann auf dem Wilson- Büro. »Jawohl. Fährt morgen abend sechs Uhr. Auf den Schlag. Ochsendampfer, aber schnell. Sie wünschen?«

»Passage!«

»Passagiere nehmen wir nur in besonderen Fällen –«

»Dies ist ein besonderer Fall!«

In drei Minuten war die Angelegenheit erledigt.

»Ochsenmann?« fragte der Matrose am Steg. »Passagier!« sagte ich. »Wo ist meine Kajüte?« Und da war ich wieder sieben Kilometer lang und drei Kilometer breit. Als eine Riesengestalt von Ochsenmann mich grob anfuhr, ich sollte mich gefälligst aus dem Wege scheren, antwortete ich ihm prompt und süß in so gepfeffertem Texasamerikanisch. daß er erstaunt den Mund aufriß und dann beifällig nickte. Man zeigte mir die Kajüte. Aber bald war ich wieder oben auf Deck. Es wimmelte von Ochsen. Der alte Kasten, es will mir nicht mehr einfallen, wie er hieß, war von oben bis unten vollgepfropft mit Hornvieh für den englischen Markt. Immer noch kamen Ochsenscharen über eine breite Brücke hinaufgetrampelt, um von wilden Männern mit gräßlichem Gefluche in Verschlage hineinbugsiert zu werden. Ich fluchte mit: man konnte doch nicht einfach dastehen und zugucken. Dann pfiff eine Dampfpfeife, Maschinen dröhnten, und der schwimmende Stall dampfte los. Ich setzte mich oben auf der Brücke in einem Winkel hin und saß stundenlang da, bis es anfing, zu dämmern, und der helle Landstreifen dunkel wurde, neblig zerfließend.

Meine fünf Mitpassagiere in der Kajüte waren Amerikaner und Engländer: Vertreter des amerikanischen Verkäufers und des englischen Käufers des Ochsentransports; sehr nette Leute. Wenn wir bei den Mahlzeiten und zu den Trinkzeiten in der engen Kajüte saßen, pflegte es laut und deutlich zuzugehen. Diese überaus sympathischen Männer nannten sich gegenseitig Söhne einer Kanone, rothaarige Pferdediebe, ungehängte Kälberstehler. Wenn sie sich ihre Zuneigung zeigen wollten, verdammten sie gegenseitig ihre Augen oder wünschten ihre Seelen in die Hölle. Die Engländer brachten in diese liebenswürdige Offenheit noch einen feinen Reiz hinein, indem sie bei allen unpassenden Gelegenheiten ihr nationales »blutig« verwendeten. Während der Amerikaner schlicht sagte: »Verdamme deine Augen!« verzierte der Engländer: »Verdamme deine blutigen Augen!« Das Schiff war blutig, der Kapitän war blutig, die Ochsen waren blutig, das Essen war blutig.

Aber es waren sehr ordentliche Leute.

Mir gefielen sie ausgezeichnet. Wenn einer da anfing–

» Well, ich will verdammt sein. Gleich morgen will ich in der Hölle braten, wenn's nicht christlich wahr ist! Trieben die Strich-Quadrat-Strich-Herde des alten Jenkins. Nach Kansas City. Fühlten uns verdammt wohl. Verwette meine Augen, daß der Koch schuld war, denn der Kanonensohn gab uns höllisch gutes Futter. Da kam es uns auf einmal verdammt so vor, als ob uns so an die hundert Stück fehlten. Da steckten wir natürlich die blödsinnigen Köpfe zusammen! Und ich will verdammt sein, wenn wir nicht schon am nächsten Tag die verfluchten Halunken erwischten. Reit' ich da so aufs Geratewohl in eine Senkung hinein, und da seh' ich die gentlemen! Sind eben dabei, ein Prachtstück von einem Ochsen neu zu branden. Machten die Kerle einfach aus unserem Brand Strich-Quadrat-Strich ein Kreuz-Netzquadrat-Kreuz. Ich also 'raus mit dem Schießeisen –«

– dann schwelgte ich in Seligkeit.

Oh, wir tranken so ein bißchen Whisky. Wir pokerten. Desgleichen biederten wir uns an. Ich fühlte mich geschmeichelt, als der rothaarige Pferdedieb mir einmal, als er nicht mehr nüchtern war, freundschaftlich zugestand, daß er mich unter Umständen vielleicht als dritten Gehilfen des Kochs ganz gut verwenden könnte. Es war herrlich. Die verschiedenen Seelen, die in meinem Gemütsbetrieb ständig Hokuspokus trieben, kamen glänzend auf ihre Rechnung. Denn ich verschwand einfach in meine Koje, wenn ich der Verdammtheit müde wurde, und schmökerte wundervoll in englischen Schundromanen, die ich dem zweiten Maschinisten abgeluchst hatte. Den hatte ich kennen gelernt, als er gerade in ein schwirrendes Wespennest von sausenden Stahlstangen und Stahlzylindern hineinspuckte, weil das nach altem Maschinistenglauben reelles Glück brachte. Da er grundsätzlich auf großer Fahrt nur Wasser trank, schätzte er es besonders, daß ich ihn zu einem Schnaps einlud. Und darauf gab er mir die Schmöker. – Dann wieder schlich ich mich aus der Kajüte, wenn es spät nachts war, und die Sterne glitzerten, und das Golfwasser schimmerte. Dann hockte ich in einem dunklen Deckwinkel, und guckte in die Sterne, und betrachtete den Mond. Meine Frau im Mond lächelte mich holdselig an. Es entstanden viele Luftschlösser. Da fuhr ich hin, in mir die neue Zeitung für das alte Deutschland tragend, und wurde machtvoll und reich. Ich warf mit schleudernder Sand das Gold unter die Menschen. Alle sollten sie glücklich sein! Alle sollten sie haben, was sie sich wünschten! – In einer solchen Stunde fiel mir auch einmal die Legende ein vom verlorenen Sohn. Es war doch erstaunlich, daß dieser merkwürdige Kerl Träber gefressen hatte! Doch das war wohl bildlich? Da lachte ich zu meiner Frau im Mond empor. Hörst du? Ich bin kein verlorener Sohn! Ich habe keine Träber gefressen. Ich bin ein Kerl! Stark bin ich! Was ich will, geschieht! Verstehst du?


Die vierzehn Tage auf dem Meer waren sehr schön. Breit stand ich da und stark; jung und froh. Zum letztenmal erlebte ich eine Zeitspanne, in der es keinen Zweifel und keine Unsicherheit gab. Das Leben brachte später unendlich Größeres und unbeschreiblich Schöneres: aber so herrlich töricht jung bin ich nie wieder gewesen und kann es nimmer sein. Nur einmal noch, im schwäbischen Ulm, war ich wirklich ganz jung. Doch da hatte mir schon manches weh getan. Ich will mich immerdar hüten, zu lächeln, wenn Kraftprotzentum der Jugend meinen kühlen Verstand herausfordert, denn nie ist der Mensch gottähnlicher als in dem winzigen Zeitraum, in dem er sich ohne Fehl und sonder Makel erscheint und auch nicht leisester Zweifel ihn überschleicht.


Es war sehr schön!

Verstimmend und ärgerlich wirkte es nur, wenn tote Ochsen, die die Meerfahrt nicht vertragen hatten, über Bord geworfen werden mußten; aber da tröstete immerhin der geringe Prozentsatz dieser Verluste, und überdies waren Ochsen damals weder politisch noch wirtschaftlich so wertvoll wie heutzutage. Und so kamen mir, in glänzender, blutiger, verdammter Laune, in den Kanal, dampften ehrbar nach Hull, wurmten uns durch Hafenschleusen, legten an, gingen mit blutigen, verdammten, herzlichen Segenswünschen auseinander.

Und da war das Ochsenschiff schon vergessen.

Heimwärts ging es jetzt.

Eile hatte ich. Ich raste los. Ein Argodampfer fuhr am gleichen Tag nach Bremen. Und da war ich in Bremen. Als da so irgendwo beim Einfahren in Bremerhaven auf irgend einem Hafengebäude eine mächtige deutsche Flagge straff und stolz dastand im frischen Wind, drückte etwas auf meine Kehle, und es wurde mir ganz merkwürdig zumute. Das war meine Flagge! Und da lag mein Land! Eine große Freude kam über mich. Aber ich hatte furchtbare Eile! Die Tat war erst vollendet, der Wille geschehen, wenn ich im alten München war. Da wechselte ich hastig Geld, merkwürdig klein erscheinende Goldstücke eintauschend für meine Dollarscheine, und eilte zum Bahnhof.


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