Erwin Rosen
Allen Gewalten zum Trotz
Erwin Rosen

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Vom Lokomotivführer, den Schwammerln und der Lebenskunst

Die große Kunst der Freude. – Von Renaissancemenschen, Bismarck, Bleichröder und anderen gescheiten Leuten. – Die Wechselwirkung von Arbeit und Spiel. – Die Innsbrucker Hausleute. – Im Reich der Pilze. – Von der Weisheit des k. k. pensionierten Lokomotivführers. – Wie man am angenehmsten für den Staat arbeitet. – Das Glück der Genügsamkeit. – Nach München. – »Alsdann – das ist eine Gemeinheit!«

Damals verstand ich sie, die große Kunst.

Ich habe sie verlernt seitdem, die Kunst, mitten in schwerer Arbeit die Fröhlichkeit der Stunde unbefangen zu genießen. Geistesarbeit wird so leicht zum Joch. Wenn ich heute arbeite, wage ich es nicht, die lustige Stunde einzuschieben, weil ich mich fürchte, hinauszutreten aus dem Arbeitskreis; weil mich der Arbeitsgedanke im Bann hält, mich unterjocht, mich restlos erfüllt. Ich fürchte mich vor der eilenden Zeit. Ich trauere heute: »Der Tag ist so kurz!« Ich freute mich damals: »Der Tag ist so lang!« Die Renaissancemenschen stopften eine Ungeheuerlichkeit von Erleben, Lust, Trauer. Gier, Freude, Leistung in ihren Tag hinein – die Menschen der Biedermeierzeit hatten niemals Eile und leisteten doch – nur wir sind gehetzt, geschunden, geplagt, überhastet – wir haben niemals Zeit – in uns keucht es immer wie rasselnder Motor. Wir schreiten nicht, sondern wir rennen. Wir sind Maschinen. Wir sind wie Geschosse. Wir pfeifen heulend, schwirrend, sausend dahin. Irgendwo irgendwann platzen mir dann einmal: Herzschlag, Hirnschlag. Ebenso rennen, rasen wir – dem Schlag zu entgehen. Wir erlustieren uns im Flugzeugtempo! Der Motor muß keuchen! Schnell – schnell – leisten – schnell, sich freuen – schnell, das verdammte Geld – –

Denn der Tag ist kurz.

In diesen Tagen starb ein deutscher Gelehrter von Rang. Es ist mir entfallen, wie er hieß und was er war. In dem Nachruf hieß es: Er lebte nur seiner Wissenschaft. Er verheiratete sich nicht, weil er ausgerechnet hatte, daß die Ehe ihn mindestens drei Stunden im Tag kosten würde. Ihm aber waren sie unentbehrlich, diese drei Stunden. Er wollte kein Glück. Das Glück kostete Zeit. Ihm war der Tag zu kurz. Vielleicht ist es ihm einmal aufgedämmert in stiller Stunde im einsamen Laboratorium, ihm, dem alten Mann, mit den zitternden Händen, daß sein Leben närrisch war, und vielleicht ist die Ahnung aufgestiegen in ihm, daß seine Arbeit noch größer, tiefer, erkennender gewesen wäre, hätte er der Freude ihren Platz gegönnt, das Glück erfaßt, das Lebensspiel fröhlich gespielt. Wir sind verdammte Narren; wir Menschen von heutzutage.

Dem Kraftwagen gebühren achtzig Kilometer in der Stunde.

Das Flugzeug muß zweihundert Kilometer stündlich bewältigen.

Wir Menschen aber sollen schreiten. Schritt für Schritt. Wir suchen immer den Wert in der Qual, in dem verfluchten Gehaste. Der Wert aber ist verborgen in der Freude. In stiller Glücksstunde wird der Wert geboren, der Menschen Gutes bringt. Glücklich muß der Mensch sein, der Glück geben will. Still muß es sein um ihn. Leise. Leise. Laßt Maschinen rennen:

Der Mensch soll schreiten.


Der Mensch muß zu spielen verstehen.

Man vergißt das immer wieder und kommt sich dabei in seiner eiligen Torheit auch noch weise vor; ungemein pflichtgetreu und eifrig jedenfalls. Aber dabei wissen wir doch alle im Grunde recht gut, daß gewöhnlich nichts hinter einem Menschen steckt, der niemals Zeit hat und immer verhetzt durch das Leben läuft. Die Strampelnden leisten nichts. Die Leistenden schreiten. Bismarck hatte immer sehr viel Zeit übrig für riesenhaftes Essen und gewaltiges Trinken; er ließ sich seinen Morgenritt nicht entgehen, versäumte den Spaziergang nicht, fand immer Zeit zu Geselligkeit und Plauderei. Benvenuto Cellini, der Goldschmied der Renaissance, schuf ein Lebenswerk in seiner Kunst, das schon durch seine Fülle wie ein Wunder erscheint; aber wenn man seine Memoiren liest, in denen Tollheit auf Tollheit folgt, dann kommt es einem wie ein Wunder vor, daß dieser Sausewind überhaupt zum Arbeiten kam. Er verstand eben die Kunst. Lenbach mit seinem Riesenwerk trieb immer im Trubel des Münchener Lebens. Ballin, der Mann der Pläne und des Organisierens, verzichtete niemals auf die langen Kraftwagenfahrten in sausender Hetzfahrt, die ihm bessere Erholung dünkten als lange Schlafstunden. Bleichröder hätte seine geruhige Kartenpartie im Klub nicht aufgegeben, und wenn auch alle Banken der Welt zusammengekracht wären. Aber man braucht gar nicht zu berühmten Männern um Rat zu gehen oder gar in die Weltgeschichte hineinzusteigen: man muß nur um sich schauen. Wer sind denn die Gehetzten? Immer die, die ihrer selbst nicht sicher sind. Oft diejenigen, die mit viel Lärm die Winzigkeit ihrer Aufgabe kaum zu bewältigen vermögen. Hamburger Kaufleute pflegen ihre Söhne zu lehren, sie müßten sich hüten vor den Übereifrigen, den Zappeligen, den »Niemals-Zeithabenden«, den Verhetzten. Das seien bestenfalls ganz brauchbare kleine Leute. Die wirklichen Könner machten das Geschäft im Spielen. Solch' einer finge zum Beispiel zugleich mit dem Tennisball die gute Idee zu der Geschäftsverbindung mit Buenos Aires. Bei der zweiten Pulle Rotwein im Klub käme ihm so ganz von ungefähr die Erleuchtung, wie dieses verzwickte Geschäft mit Japan »geschmissen« werden müsse. Das seien die richtigen Leute. Den Büfflern und den Hockern gebe ein kluger Kaufmann nur anständige Durchschnittsgehälter –

Wir alle wissen auch, daß geistige Leistung um so stärker wird, je kürzer und zugleich konzentrierter wir an ihr arbeiten. Das haben wir erlebt. Wenn wir vier Stunden hochgespannt arbeiteten, mit völliger Hingabe, in starker Luft; wenn wir dann aufhörten und spielten zwei Stunden lang – dann zitterte in das Spiel die Freude am Geschaffenen hinein, und mitten ins Spiel kamen, nicht mühevoll oder gar quälend, sondern fröhlich, Gedanken und Vorsätze für die nächsten Arbeitsstunden.

Wir wissen, daß wir das Spiel brauchen zur Kräftigung!

Eine verlorene Stunde der Freude ist oft noch viel kostbarer als eine verlorene Stunde der Arbeit. Und dennoch sind wir immer wieder töricht und setzen von neuem an zu neuem Hetzlauf. Auch mich packt immer wieder die Sorge, daß die Spielstunde mir etwas wegstehlen könnte von der Schaffensstunde, und immer habe ich es noch nicht begriffen, daß die Spielstunde es sein muß, die Schaffensstunde zu erzeugen hat. Wechselwirkung. Sie versperren oft unseren Weg, die Dummheitsbalken. Man kann sie wegräumen, diese Balken; aber nicht mit bravem Schieben und Rütteln! Man muß eine geballte Handgranatenladung unter die Balken schmeißen. Die Aufschrift auf der Ladung lautet:

Ich will!


Damals war ich gescheit. Ich verstand etwas von der Wechselwirkung von Arbeit und Spiel. Ich stieg auf Berge. Ich kletterte in Felskaminen. Ich ging mitten in der Nacht mit Bergstock, Rucksack, Laterne los, wenn es mir gefiel. Ich hatte immer Zeit. Ich lachte mit dem Lenerl, war onkelhaft mit dem Seppl, trank in stillen grünen Gärten roten Tiroler mit dem pensionierten Lokomotivführer, der ein weiser Mann war. Nerven hatte ich keine – Ach, diese Luders von Nerven; aber das ist eine andere Geschichte ... Es störte mich keineswegs, wenn das Lenerl mir in die Arbeit reinrutschte. Vierzehn Jahre alt war das Mädel –

»Einen geruhsamen guten Morgen, Herr Schriftgelehrter!«

»Fahr' ab, Leni!« sagte ich.

»I' fahr' gar net ab. Ich hab' grad' eine Viertelstund' Zeit. Erzählen S' mir was! Der Vatter hat g'sagt, Sie hätten es in sich, mit dem Erzählen. – Sie, der Erzherzog, der soll furchtbar verliebt sein in die wunderschöne Schauspielerin, wissen S', die Hampelmayer, die immer die großen Toiletten hat und die wundervollen Brillanten – Sie, Brillanten! – und d' Mutter hat g'sagt, daß der Erzherzog abends in seinem fürstlichen Schlafgemach ruhelos auf und ab geht und stöhnt, weil die Hampelmayer seiner Liebe nicht ebenbürtig ist! Sie, weil Sie doch ein Schriftgelehrter sind, da wollt' ich Ihnen noch 'was fragen: Da hat mir halt in der Kirch' der Obermoserhansl ein' Edelweißbuschen zug'schoben, und den hab' i' g'nommen, und draußen vor der Kirch' hab' i' ihn so a bisseil ang'lacht. Jetzt sagen S' doch, weil Sie ein Schriftgelehrter sind, wenn i' a net viel geb' drauf, war das eine Sünd' und muß i's beichten –?«

»Fahr' ab, Lenerl!« sagte ich. »Raus!«

»Ja – Ihr' Ruah müssen S' ham – i weiß scho' – Sie, wollen S' mit G'walt reich werden mit der Schriftgelehrtenschreiberei?«

Dann kam wohl die Frau Lokomotivführern:

»Wie kann der Mensch nur so blutsakramentisch viel schreiben? Sie, verziehen S' mir 's Lenerl net; die hat ein Mundwerk, dös is' schon ganz was Schlimm's. Sagen S' ihr die Meinung, wenn s' wieder frech wird. I' möcht' nur wissen, von wem das Mäderl die Goschen hat; von mir hat sie's g'wiß net! Und tun S' dem Seppl net immer Zigaretten geben! Der Lausbub soll a Pfeifen rauchen, und wenn er überhaupt net rauchen tät', wär's no' viel g'scheiter. Aber so is' halt mit die Mannsbilder! Rauchen tun's die ganze Zeit, und saufen tun s' alleweil! – Jesses, i muß in d' Kuchel – meine Knödeln!«

Dann kam auch der Herr K. K. pensionierte Lokomotivführer:

»Geh'n S' mit in die Schwammerl heut'?«

»Ja. Um drei. Aber um neun müssen wir z' Haus sein!« sagte ich.

»San mir auch. Mir geh'n zur Mooserhütten und nacha in die Kieferneck' 'rein – da stehen s'. Das is das Pilzfleckerl! Sie, haben S' net no' a bisserl an Roten im Krügerl, mich dürst' heut' morgen so viel? Sie, aber Steinpilz' weiß ich –«

Dann kam der Seppl!

»Heil! Also, am Sonntag müssen wir unbedingt auf den Bettelwurf. Im Verein haben s' berichtet, daß sich im Südkamin ein Gesteinstück losg'löst hat, und dadurch der Kamin praktikabel geworden ist. Das müssen wir unbedingt ausprobieren. Gehen S' mit? Ja? – Heil!«


Bei Gott, und ich hatte Zeit! Ich verstand die Kunst.

Die meiste Zeit hatte ich für den pensionierten Lokomotivführer. Das war ein Mordskerl. Der war der Inbegriff der kaiserlich-königlichen Ruhe und Wurstigkeit. Vor allem verdanke ich ihm meine Freude an den Pilzen und meine Kenntnisse der Pilze. Wir beide gingen mindestens einmal in der Woche in die Schwammerl.

Mir waren gute Gesellen.

Ich ging immer sechs Schritte voraus. Ich sprach stundenlang kein Wort.

Da war ein Käfer, der blauschwarz schillerte, dort huschte erschreckt raschelnd ein Mäuschen, hier sah ein Baum aus, als sei er ein Mensch, der sich sehnsüchtig zum Weibe neigt, der schlanken Buche im grünen frohen Sommerkleid. Wir sprachen erst recht nicht miteinander, wenn wir auf die dunklen Hänge kamen, in die einsamen Wälder, fast tausend Meter hoch über dem Tal. Dort lebte im dunklen Moos in geheimnisvoll versteckten Winkeln das Volk der Pilze. Da schwiegen wir erst recht und waren eifersüchtig, wie der Jäger eifersüchtig ist, und spähten nach Anzeichen, und jagten mit scharfen Augen. Es war Jägerwonne, wenn da auf einmal der Blick auf dem uralten Boden unter der Riesentanne den König der Pilze erspähte, den Steinpilz. Wenn ich so einen Gesellen sah, mit dem braunen Heinzelmännchenkopf über dem dicken weißen Leib, dann mußte ich immer an die Märchen der Kinderzeit denken; an die Gnomen, die im Walde hausen, an die Zwerge, an die verwunschenen Prinzen. Denn solch ein Edelpilz ist märchenhaft und geheimnisvoll königlich. Stolz steht er da, herausleuchtend aus der Kleinwelt von Moosfasern, Gräserchen, dürrem Laub; den schönen Körper reckend. Da bückte man sich fast ehrfürchtig, und schnitt den Königspilz mit scharfem Messer, damit der Keimboden nicht herausgerissen würde, und neue Pilzgeschlechter wachsen konnten aus ihm. So kletterten wir lange Nachmittagsstunden an dunklen Berghängen. Wir jagten auf Steinpilze. Wir nahmen ein paar Pfifferlinge mit, denn Pfifferlinge sind edel, wenn auch nicht selten, und heimsten dann auf der Bergwiese am Waldrand den Goldchampignon ein, der ein großer Herr im Lande der Pilze ist. Beim Abstieg erbarmten wir uns auch der Täublinge, obwohl sie gar nicht edel waren, aber die gaben eine gute Suppe. Auch freuten wir uns am Reizker, der von der Vorsehung dazu bestimmt ist, in einem wohlschmeckenden Salat zu sterben –

»Jetzt gehn mir über den schwarzen Grund!« sagte bei Lokomotivführer prustend. »Und dann trinken mir ein Viertele beim Görgele am Berg. Nachher putz' i' z' Haus die Schwammerl. Die essen mir noch heut' abend: denn, wissen S', wenn man die Schwammerl über Nacht stehen läßt, dann sind s' wie eine überständige Jungfer: 's is halt nix recht's mehr daran!«

Im Wald war das Sprechen verpönt. Beim Viertele war es erlaubt.

»I' hab' halt in meinem Leben noch keinen Menschen gefunden,« sagte der Herr Lokomotivführer im stillen Gartenwinkel beim roten Tiroler, »der so wunderschön 's Maul halten kann wie Sie. Da draußen im Wald, wissen S', da muß der Mensch die Pappen zumachen und die Augen auf – damit einem der Wald sagen kann, was das Richtige ist bei der G'schicht' – und wo 's net stimmt – und so –«

Aber jetzt wurde geredet. Das Reden fing immer mit irgend einer Weisheit an, die der Augenblick erzeugte. So ungefähr:

»Sie! I' bin ein alter Mann!« – Langer Zug aus dem Glas mit dem guten, roten Saft – »Und Sie san was ganz anders. Aber jetzt haben S' wieder dem Holzknecht da einen Wein spendiert, und Sie derfen mir's glauben: Der Holzknecht lacht sich den Ranzen voll, daß er ein solchenes Rindviech g'funden hat. Das Verarbeiten, dös verstehen S', aber 's Z'sammenhalten, dös verstehen S' net. Meinswegen können S' mi' ja für an saudummen Slowaken halten, aber z'sammenhalten, das is die Sach' im Leben! Wann's dein Geldbeutel nur ein Bisserl aufmachst, nacha fliegen s' nur so raus, die Guldenzettel. Wanns dem Mädel an Finger gibst, dann packt sie di' glei' bei die Haxen!«

»Ja, ja,« sagte ich.

»Ja, ja,« sagte er. »Das is wenigstens noch a Weinerl! G'sundheit!«

»Ja, die Mäderl! Dös waren noch die Zeiten! Da fallt mir ein –« Er lachte dröhnend und trank tief. »Das waren die Zeiten in Innschpruck, ischt viele Jahr' her, da hat man so mannige Nacht seine drei Liter getrunken, und seine drei Mädels busselt, und seine drei Frechling' z'sammg'schlagen. 's is nix mehr heutzutag'! Sie mit demselbigen Schreiben, schreiben, schreiben – und mit drei Liter liegen S' unter'm Tisch – und i' will nix g'sagt haben. I' sag' gar nix, aber wenn i' Sie wär', mir müschten s' auf die Knie nachrutschen, d' Innschprucker Mädel! Aber a jeder nach sei'm Guschto! Alsdann will i' derzählen, wie i' annodazumal der Minderg'scheite g'wesen bin und der G'spöttelte. Es war die G'schicht mit die Katzen. Druntendrunter is' Eifersucht g'wesen und Brotneid von gute Freund', no ja. Also, i' hab' meine zwei Liter, nix Busserl, an ganz an milden Schkandal beim Karteln – den, der zweifelt hat, hab' i' ganz sanft 'rausg'schmissen – wisch' mir's Maul, und geh' solid hoam ...

Alsdann: I' hab' d' Katzen nie mögen!

D' Katzen san wie die Weiberleut! Da bischt gansch – no ja, leutselig – und auf einmal hascht d' Krallen in der Nasen! No ja, brauchst ja net leutselig sein! Aber wenn d' net leutselig bischt, dann sollen sie's Maul halten, sag' i'! Alsdann hab' i' annodazumal bei einem Bäcker g'wohnt – und – aber das ist eine ganz andere G'schicht'. Heilige Genovefa. gib' dem alten Kerl die jungen Tag' wieder!

Proscht!

D' Katzen! Da is' unter mein' Fenster a Schuppen g'standen. Auf dem Dachel ham ständig alle Katzenviecher von ganz Innschpruck rumpoussiert; i' will glei' hin sein, wenn's net wahr is. Soll aber ein K. K. schwer arbeitender Staatsbeamter etwa nicht sei' bisserl Nachtruh' ham? No ja – i' hab' immer mit Kohlenbrocken g'schmissen. Also, an demselbigen Abend komm' i' hoam. D' Katzen schrei'n verrückt.

I' mach' gewohnheitsmäßig 's Fenster auf und schmeiß' Kohlenbröckeln. Aus 'm Korb beim Ofen.

D' Katzen schrei'n wahn–sinnig!

I' ans Fenster und g'schaut! Da! Da hocken s'! Zwoa! Eine solchene Frechheit!

G'sehen hab' i' d' Viecher, deut–lich!

Also, i' hol mir der Bequemlichkeit halber den Kohlenkorb zum Fenster und schmeiß'! D' Katzen schreien ganz – gemein – und bleiben hocken! I' denk: Bist du b'soffen, oder sind d' Katzen b'soffen? No ja. 's Tintenfassel hab' i' 'runterg'schmissen und d' Sonntagsschuh, und drei Stuhl', und eine Flaschen mit Schnaps, wo noch was drin war, das tut mir heut noch leid – –

Sie! Ausg'stopft waren die Viecher!

Sie! G'schrien ham, genau wie d' Katzen, so zwoa Auchtiroler, die mi' ha'm ärgern wollen, weil ich zu denselbigen Mäderl leutselig g'wesen bin –

Alsdann bm i' grad no' mit einer Geldstrafe davongekommen. I' sag' Ihnen: Hüten S' Ihnen vor die Weibsleut! Und alle Katzen san Mistviecher! Ja, ja – G'sundheit!«

An diesem Abend kamen wir sehr spät heim.

»Tun S' mi' so ein bisserl einhäkeln,« sagte der Herr K. K. pensionierte Lokomotivführer. »I' wackel immer und Sie geh'n g'rad – dös paßt nicht zusammen.«

Ein Mordskerl war er, der Herr pensionierte Lokomotivführer. Warum er eigentlich pensioniert wurde, konnte ich nie herausbekommen. Das war der dunkle Punkt, den er nicht beleuchtete. Vielleicht hatte er einmal eine Lokomotive bei einem K. K. Pfandleihamt verpfändet und sie nicht rechtzeitig auslösen können. Denn er mußte einmal eine böse Nummer gewesen sein, nach seinem Erzählen; der Herr Lokomotivführer. So fing's an –

»Also. Das waren Ihnen noch Zeiten ...«

Und dann berichtete er schmunzelnd, was das für eine nette Sache gewesen sei mit den Fischkästen vom Gardasee für das K. K. Eisenbahnpersonal. Steine hätten sie halt 'reingelegt und das entsprechende Gewicht an Hechten »hoamtragen«. Denn Hechte seien Götterspeise: »Anderthalb Pfund, nicht mehr, und nur blau abg'sotten und recht viel Butter dazu!« Dann lachte er das dröhnende Lachen eines Pantagruel. »Schön war's!« Schultern hatte er, in deren Breite mein Rücken zweimal hineingegangen wäre. Saufen konnte er erstaunlich. »Jesses, Sie können a nix! Alsdann – als ich noch jung war, da haben mir beim vierten Liter so langsam ang'fangen!« Er war reiner Lebenskünstler, instinktiver Genießer, völlig unbeschwert von moralischen Hemmungen. Er war der Vorläufer von Nachfolgern: Außer seiner schmalen Pension hatte er ein Schreiberämtchen bei der Landeskanzlei –

»Plagen? Aber wer wird sich denn plagen im guten alten Österreich-Ungarn! Das war' ja eine ganz neue Mode!«

Und dann schilderte er seinen Dienst: Morgens um neun war er da. Nun wurde die Morgenzeitung gelesen, hierauf aß man das erste der sechs mitgebrachten Butterbrote zur Stärkung, und dann klappte man den Pultdeckel auf. Jetzt guckte man sich lange die ärarische Schreibfeder an und entschloß sich nach vielem Überlegen zur Entscheidung, ob eine neue Feder nötig war. Und nun setzte man sich hin und betrachtete sich das »Konzept« des »Konzipienten«, das zur Abschrift dalag. So 'was! Sechs Seiten! Die Zeiten werden doch immer schlechter! Sechs – Seiten – no ja; mir werden sie schon kriegen, die sechs Seiten. Dann wurden erst einmal die Schnörkel probiert. No ja! Denn wenn so etwas nicht richtig geschrieben wurde, dann wackelte die ganze Regierung, jawohl! Das mußte man gelernt haben: Die richtigen Abstände, und die korrekten Zwischenräume, hoh, und die Überschriften und die Anfangsschnörkel, die sich unterscheiden wie Feuer und Wasser von den Endschnörkeln. Das war eine Verantwortung! Um halb zwölf Uhr kam die Stärkung; jetzt wurde das Viertele Wein gebracht, vom jüngsten K. K. Landeskanzleischreiberanwärter geholt, und dazu wurden die noch restierenden Butterbrote verzehrt.

»Und dazwischen muß doch was derzählt werden! Mir sind doch keine Arbeitsviecher!« erklärte der Herr Lokomotivführer und Landeskanzlist.

Dann wieder setzte die kummervolle Arbeit ein – bei der vierten Seite des Konzepts des Konzipienten. Um drei Uhr aber ging man erlöst nach Hause. Denn die K. K. Innsbrucker Landeskanzlei hatte die praktische und arbeitssteigernde englische Arbeitszeit eingeführt. Als mir das erzählt wurde, pries ich die Güte der Götter. Denn das war absolut der beste Witz, der mir jemals in meinem Leben beschert worden war – Wenn ich heute an diesen guten Witz denke, dann vergeht mir das Lachen. Bei Gott, er hat wahrlich seine Nachfolger gefunden, der Vorläufer von da unten in Innsbruck, in der humorvollen Auffassung des Wesens der Arbeitsleistung für den Staat –

Doch man konnte dem Herrn Lokomotivführer nicht böse sein. Kann man einem Weisen böse sein?

»Wissen S', da erzählt die Bibel von so einem Kerl, der tausend Jahr' alt geworden ist! Und da hab' i' mir halt immer denkt, dös muss eine grausige Sach' g'wesen sein! Und i' mein' halt, der muss g'nug g'habt haben, das arme Luder. Der muss saufroh g'wesen sein, als ihn der Teifi g'holt hat. So schön is' halt doch net, 's Leben!«

Oder:

»Lachen muss mer, wann die andern heulen wie die Schlosshund'!«

Oder:

»Warum ärgern sich alsdann die Menschen untereinander, solang' 's 'n Wein gibt, und Berg' mit Schwammerl, und Speckknödel? So 'was Saudumm's!«

Doch er schien auch unfreundliche Erfahrungen gemacht zu haben:

»Wanns dem Weib merken lässt, dass d' ein guter Kerl bist, nacha bist im Handumdrehen das saudummste Trottelviech von einem Bullen, der im Stall eing'sperrt ist – aber die Kuh geht auf d' Wiesen spazieren!«

Und:

»Unter alle' Viecher san die Menschen doch die mordsgrößten Viecher!«

Ja, so war der Herr Lokomotivführer. Seine besondere Spezialität war noch, dass er die italienischen Katzelmacher auf den Tod nicht ausstehen konnte. Wenn er noch lebt, so wünsche ich ihm, dass der »Rote« ihm nicht gar zu unerschwinglich geworden ist und dass seine Schwammerl noch immer wachsen. Auch soll das Zipperlein ihn nicht allzu arg zwicken.

Denn er war ein Mordskerl.

Und er lehrte mich die Kunst der Freude an den Pilzmännlein im Märchenwald. Wer solche Kunst zu lehren vermag, ist weise und gut. Er mag dabei ruhig ein wenig saufen, und ludern, und lästern.


Ich spielte. In die Berge kletterte ich am liebsten nachts. Die niederen Kiefern sahen im flackernden Laternenschein aus wie Menschengestalten. Im dünnen gelben Licht glitzerte der nackte Fels wie lauter Gold und Silber. Frischer Wind pfiff scharf daher. Die Lungen weiteten sich. Das Herz arbeitete lustig. Auf breiter Felsenplatte machte man Halt zu kurzem Schlaf. Ich lag immer auf dem Rücken, ein Steinstück mit dem weichen Hut darauf als Kissen unter dem Kopf, die Arme ausgebreitet, die Hände flach auf dem nackten, kühlen Gestein. So habe ich die schönsten Träume geträumt. Nun wachte man auf in der eisigen Morgenkälte, und im grauen Dämmerlicht ragten Felsmassen und Bergriesen, gewaltig, düster, nebelumflossen. Auf einmal aber kam heller Schein in die wogenden, fließenden Nebel, die zerflatternd eilig wichen. Leuchtend in feuerglühendem Rot ergoß sich, wo Steingestalt an Steingestalt und Schneegipfel an Schneegipfel die fernen Bergriesen thronten, der erste warme Lichtstrahl. Der Schnee strahlte rosig auf. Die Wolkenränder jubelten golden. Feurig stand der Sonnenball da. Weich und warm übergoß die rosenrote Flut die Welt aus Stein –


Auch war ich genügsam; und ich konnte sparsam sein. Meine Freuden hatten nichts zu schaffen mit Guldenstücken und Kronenscheinen. Auch diese Kunst habe ich verlernt; leider verlernt. Es war kein Verdienst dabei. Es war alles so unendlich einfach. Das Mittagessen zuhause, oder im Lamm, oder im Breinössel, oder im Grauen Bären war billig. Ein Päckchen Tabak kostete sechsundzwanzig Heller. Der rote Tiroler im grünen Krug kostete sechsunddreißig Heller.

Ich entbehrte nichts.

Sie ist verlernt, diese Kunst. Es macht mir heute noch Freude, das Geld zu verlachen und gegen seine Macht meine Kraft einzusetzen. Aber das Gesicht zieht sich doch ein klein bisschen schief dabei. Er ist etwas Schönes, der Kampf mit dem Geld. Doch immer ist da das Erinnern an die alten Wunden, die tief bissen und böse schmerzten. Ich wünsche mir, ich könnte noch so lustig sparsam sein wie in der alten Kiebachgasse im alten Innsbruck. Das würde mir manchen Kampf ersparen, manches Schwere. Nun, mein Weg ist ein anderer. Der Mensch muss seine Stärken haben und

234 seine Schwächen. Aber schön war es; so schön! Der wahre Herr ist der Bedürfnislose. Das ist philosophische Erkenntnis und tiefgründige Theorie. Im praktischen Leben machen mir es anders – du – und ich ... Nicht wahr?

Wir Narren in dieser Narrenwelt!

Knapp ein Jahr war verflogen. Es war ein gescheites Jahr gewesen, ein frohes Jahr, und ein praktisches Jahr.

Ich war gesundet.

Auch konnte ich jetzt sagen: »Da! Da habt ihr den Kram. Ich bezahle meine Schulden. In bar!« So denken zu müssen ist roh, aber ungemein wohltuend.

Die Pilze schliefen unter tiefem Schnee. Die Steinberge waren den Menschen entrückt, in Eis erstarrt. Im stillen Zimmer glühten im Kachelofen duftende Buchenscheite. Der Vorfrühling kam. Der trägt in den Bergen ein Kleid von Schnee und Eis. Aber in der Luft ist auf einmal etwas, das ins Blut schlägt und klingt und singt und rauscht in den Adern. Die Augen werden einem hell und die Gedanken leicht. In der Seele regt sich Drang nach Tat.

Eines Tages, als ich auf der gewaltigen Schneehalde des Bettelwurfs dahinstapfte auf Schneereifen, kam es mir in den Sinn, dass es jetzt an der Zeit sei, nach München überzusiedeln.

Ich entschloss mich sofort und führte den Entschluß sofort aus.

»Alsdann – das ist eine Gemeinheit!« sagte der Herr Lokomotivführer. »Mit wem soll denn i' jetzt in d' Schwammerln geh'n? Hah! Unter alle Viecher san halt die Menschen doch die saudummsten Viecher – Himmikruzikrizikraxen! Aber heut' Abend trinken wir noch ein Schlückerl Terlaner zusammen im Lamm – na, zum Schimmeleder gehn mir rauf; der hat so an guaten Spezial!«

»Schenken S' mir Ihren Spiegel!« sagte das Lenerl. »Denselbigen, der vergrößert, den Rasierspiegel. Und denken S' Ihnen nix dabei, dass i' mal frech g'wesen bin! I' bin nämlich so von Natur!«

»Heil! Heil – Heil!!« sagte der Seppl.

»Und jetzt muss Ihnen schon wer anders die Zwetschgenknödel machen!« sagte die Frau Lokomotivführerin ..


Das wirbelt nun alles durcheinander: Die Geschichten, die stillen Nächte, die Schwammerln – die rote Nase des Herrn Lokomotivführers, der Wein im grünen Krüglein – das Streben, das Erreichen, das Erfüllen – das Lenerl, der Sepp, und die Zwetschgenknödel – die Bergluft, die Jugendkraft.

Übrigens – die Innsbrucker Zwetschgenknödel waren ausgezeichnet. Die waren weich wie eines Jüngferleins Herz, sauber und appetitlich in knusperig braunem Semmelbröselkleid wie ein frischer Bursch, süß in ihrem verborgenen Zwetschgenschatz wie die Johannisbrot-Erinnerungen der Kindheit. Ein gar gesund und nahrhaft und köstlich Essen! Und da hat man dann später die Feinheiten der Trüffel zu begreifen gesucht!


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