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Bis jetzt hatte ich nur für die Tagespresse gearbeitet. Mein ganzes Dasein stand auf der Zeitung. Ich war Journalist, oder wie die Großkopfigen unter den Literaten lagen, nur Journalist; Zeitungsschreiber.
Nun aber kam der Buchverleger in mein Leben.
Er schrieb kurz und sachlich, er habe im Schwäbischen Merkur eine Skizze aus meiner Feder über Erlebnisse in der Fremdenlegion gelesen. Er bäte um Mitteilung, ob ich für ihn ein Memoirenwerk über die Fremdenlegion schreiben könne und wolle. Als ich den Brief aus Stuttgart gelesen hatte, legte ich ihn schleunigst weg.
»Ein Buch über die Fremdenlegion soll ich dir schreiben?« lachte ich. »Mann, ich danke ja allen Göttern, daß ich es endlich halbwegs fertig gebracht habe, die Fremdenlegion zu vergessen!«
Ich hatte mich schon darüber geärgert, daß ich damals in der ersten Zeit in Innsbruck diese Schilderungen aus meinem Erleben in der Fremdenlegion geschrieben hatte, und jetzt erwachte der alte Ärger aufs neue. Das war töricht gewesen. Ich hätte nicht die Ichform gebrauchen dürfen in diesen Schilderungen. Ich hätte mir das überlegen müssen. Was zum Kuckuck ging es andere Leute an, daß es mir einmal beliebt hatte, Fremdenlegionär zu sein? Nun, die Dummheit war einmal gemacht. Aber auch noch ein Buch schreiben über diese Gräßlichkeit? Das alles wieder aufwühlen, von neuem durchleben; das alles erzählen müssen, schildern, entblößen? Nein! Ich fing an zu schreiben: »Ich bedaure, Ihren Wunsch nicht erfüllen zu können –« und warf den Briefbogen weg. Der Verlegerbrief konnte auch in einigen Tagen noch beantwortet werden –
Es schien auf einmal düster geworden zu sein im Arbeitszimmer, obgleich die helle Sonne hineinschien durch die Fenster. Ich lief auf und ab. Dann nahm ich Hut und Stock und fuhr mit dem Vorortszug nach Hamburg. Wäre ich im Zimmer im Ahrensburger Gartenhäuschen sitzen geblieben, dann hätte ich den ganzen Tag lang an die verfluchte Fremdenlegion denken müssen...
Aber das half nichts. Jetzt waren sie wieder da, die halbvergessenen Erinnerungen. Sie zerrten und rissen an mir. Was ich begraben zu haben glaubte, wurde wieder lebendig. Mitten in irgend einer lustigen Geschichte mußte ich an die armen Teufel denken, die im Wüstensand keuchten. In den Nächten träumte ich von der Fremdenlegion. Hunderte und Aberhunderte von Händen streckten sich aus zu mir: Schreib' über uns! Hilf uns! Sag' endlich den Menschen, wie es aussieht bei uns! Und ich merkte, daß ich ein Buch über die Legion nicht nur schreiben sollte, sondern daß ich es schreiben mußte. Ich schrieb ein Ja hin nach Stuttgart. Ein Briefwechsel folgte. In den Zeilen und zwischen den Zeilen der Verlegerbriefe verwunderte mich manches. Es wurde da von Geschäft gar nichts gesagt. Von der Hoffnung auf Erfolg im äußeren Sinne erst recht nicht. Aber sie schrien, fast fanatisch, nach Ehrlichkeit für jede Zeile, die geschrieben werden sollte, diese Briefe: nach Schilderung, nach Aufklärung, nach wirklichem Wert. Sie wühlten mich auf. Ich kannte den Mann nicht, der sie geschrieben hatte, aber das war einer, das spürte ich, mit dem zusammen zu arbeiten der Mühe wert war. Der erfaßte eine Aufgabe, setzte sich ein für diese Aufgabe, und konnte begeistern für die Aufgabe.
Ich fuhr nach Stuttgart.
Wir saßen die besten Stunden eines Tages zusammen und die längeren Stunden einer Nacht. Wir tranken Burgunder dazu. Er ließ mich erzählen. Selten stellte er eine Frage: aber dann lockte diese Frage etwas heraus. Sie brachte mich auf Wesentliches. Als ich zurückfuhr nach Hamburg, wußte ich: Du mußt es schreiben, dieses Buch: und wenn du verrückt wirst dabei, und wenn du dich zu Tode quälst, und wenn du auch nicht willst, nicht magst, nicht zu können glaubst – du mußt dieses Buch über die Fremdenlegion schreiben!
Ich war wieder in der Fremdenlegion: in dem Gartenhäuschen in dem Hamburger Vorort. Stunde auf Stunde der Legion erlebte ich wiederum. Wüstenmärsche marschierte ich. Mit den Menschen, die links und rechts neben mir in den Legionsbetten geschlafen hatten, hielt ich Zwiesprache. Der Teppich da im Zimmer war Wüstensand. Der schmale Streifen zwischen Teppich und Wand war die afrikanische Heeresstraße. Auf ihr marschierten gebückt die Menschen der Kolonnen des Regiments. Nun kamen die Wagen, und an diese Wagen waren Legionäre angebunden, die im Marsch zusammengebrochen waren. Jetzt mußten sie laufen, sie mußten, oder geschleift werden. Wenn ich in einer Wirtshausecke im schlichten Ahrensburg ein Glas Bier trank, dann war der Raum gar bald verzaubert. Nicht Bier trank ich. Ich trank den algerischen Rotwein der Legion. Nicht Ahrensburger Bürger waren es, die an den Tischen dasaßen, sondern Legionäre in der Kantine zu Sidi-bel-Abbès. Sonderbarer noch: Ich war noch mehr Fremdenlegionär jetzt, als ich es in Wirklichkeit gewesen war. Lebendiger stand das alte Erleben da, als es mir geschienen hatte im Erleben selbst. Ich war oft abwehrend über das Grauen hinweggeglitten. Ich wollte nichts sehen; ich wollte nichts hören. Jetzt hörte ich mit hellen Ohren sie weinen, diese Legionäre; hörte sie fluchen, lästern, verzweifelnd schreien. In dem Stuhl dort neben meinem Arbeitstisch saß mein Freund der Trommler und betete halb betrunken Koransuren herunter. Ich stand wieder auf Wache im stinkenden Gefängniseingang, und aus den Zellen drangen nun wimmernde Männerstimmen, die mich um ein Stück Brot anflehten, das ich nicht hatte – und jetzt ertönten grell entsetzliche Flüche, die alles lästerten, was diesen Gequälten einmal heilig gewesen war.
In später Nacht drängten sie sich in Scharen zu mir herein, die Legionäre:
»Was, dir geht es gut? Und wir verrecken! Her zu uns, Legionär! Du bist unsereiner!«
Die Angst überkam mich. Diese Zeiten mußte ich zu neuem Leben erstehen lassen? Mich selbst sollte ich hinstellen mitten hinein? Es schien unmöglich. Doch in einer einzigen Stunde kam über mich die Erlösung. In rasender Eile warf ich sie hin aufs Papier, die Kapitelüberschriften, die Inhaltsstichworte für die Kapitel, den ganzen Arbeitsplan. Klar umrissen lag das Buch vor mir, das entstehen sollte.
So ist es mir bei allen meinen Büchern ergangen. Es war immer eine ganz kurze Zeitspanne, in der aus einem wirren Gewoge von Erinnerungen und Eindrücken Form und Gestalt des Buches sich entwickelten. Es mag sein, daß solche Schöpfungsstunde nur das Endergebnis langer Qual und mühseligster innerer Vorbereitung ist, das in natürlicher Folge plötzlich einmal da sein muß. Mir aber, der ich doch mählich mein Handwerk wirklich verstehe, erscheint es immer noch wie ein Wunder, wenn hundert Minuten mir bescheren, ohne daß ich weiß, warum und woher, was ich in hundert Stunden vergeblich zu finden mich bemüht hatte. Und diese hundert Minuten sind immer wieder die köstlichsten Augenblicke des Lebens gewesen! Ein fertiges Buch? Das bedeutet nur die Erlösung aus Qual; die Erschlaffung nach dem Gebären. Nur der in das Hirn jäh hineingeblitzte Schaffensplan, wenn man auf einmal alles handgreiflich vor sich sieht, ist höchstes Schöpferglück –
Nun schrieb ich. Ich durchkostete die Qualen, Wort auf Wort und Satz auf Satz in ordentlicher Reihenfolge hinmalen zu müssen, was an Erinnerungen wirbelte, und ich erlebte die köstlichen Freuden, in den schmalen Morgenstunden mich glückselig zu begeistern an dem, was ich geschrieben hatte in langer Nacht. Denn dann verhüllen gnädige Schleier die Unwerte. Es müssen Wochen, oft Monate vergehen, bis der Schreiber dem Geschriebenen kühl ins Gesicht sehen kann und zu entscheiden vermag, was schlecht ist, was gut, was wesentlich und was überflüssig. Vielleicht ist die Entfernung des Überflüssigen eine schwerere Probe für das Können als das Schaffen des Wesentlichen. Man arbeitet stärker und schöpferischer, so scheint es mir, wenn man in harter Selbstkritik und mit scharfem Hinhorchen nach Sinn und Klang fertig geschriebene Seiten überarbeitet.
Das Buch war fertig.
Ich fuhr mit dem Manuskript nach Stuttgart. Tagelang saßen der Verleger und ich am Schreibtisch und prüften das Gebilde Zeile um Zeile. Da wurde nicht von Geschäften gesprochen. Da dachte keiner von beiden an Ehren oder Geld. Ein jeder mühte sich nur mit allen Kräften des Hirnes und der Seele, geschaffene Arbeit besser zu machen, ihr hineinzublicken in alle Geheimnisse, ihre Vorzüge zu vergrößern, ihre Fehler auszumerzen, soweit Menschenkönnen das vermochte. Dann war das geschehen. Der alte Burgunder kam zu seinen heiligen Rechten. Ich bin damals aus Stuttgart weggefahren als glückseliger Mensch.
Es schien mir überaus gut, daß der Verleger in mein Leben gekommen war.
Es ist betrüblich, daß zwischen Schriftsteller und Verleger sich so häufig Gegensätze eindrängen, die darin begründet sind, daß der Verleger Kaufmann sein muß und der Schriftsteller gewöhnlich kein Kaufmann ist. Diese Gegensätze durchaus natürlicher Art verlocken den Schriftsteller manchmal, von dem Verleger zu denken, daß er nur so eine Art von kaufmännischem Verwerter sei, dem der Schriftsteller den Wert erst gegeben hat, auf dem des Verlegers kleinere Leistung beruht. Auch der Verleger wird verlockt, sich selbst zu überschätzen, wenn er weiß, daß seinem Können und seinem Einsetzen für das Buch der Erfolg zum großen Teile mitzuverdanken ist. Diese Gegensätze müssen überbrückt werden. Ein unerfreulicher Geselle muß der Verleger sein, der in dem Buch des Schriftstellers nur eine Ware sieht, mit der Geschäfte zu machen sind. Ein nicht minder unerfreulicher Geselle muß der Schriftsteller sein, der im Verleger nur den buchhandelnden Kaufmann sieht. Es ist schön und gut, daß Schriftsteller in Verbänden sich zusammenschließen, um ihre Rechte zu wahren und dem Verlagsbuchhandel gegenüber berechtigte Forderungen durchzudrücken. Aber das alte Problem kann sicher nicht gelöst werden durch schematische Festlegung von Mindesthonoraren und Normalverträgen. Denn dem tüchtigen Verleger ist sein Buch mehr als eine Ware. Er hat es genau so lieb wie der Verfasser.
Er steckt in dem Buch drin und wendet seinen ganzen Ehrgeiz und alle seine Kräfte auf, um von dem Wert zu überzeugen, an den er glaubt. Solche Verleger braucht der Schriftsteller. Aber selbst die besten unter ihnen versagen manchmal erzürnt, wenn die flatterigen kaufmännischen Vorstellungen des Schriftstellers die notwendige kühle Ruhe im Geschäftssanktum des Verlags allzusehr stören. Noch seltener sind die Schriftsteller, wie der Verleger sie als Idealgestalten sich vorstellt. Das Werk ist natürlich die erste und letzte Hauptsache. Aber auch auf den Verleger einzugehen, seine Leistung zu würdigen, seine Mühen richtig einzuschätzen, seine Nöte zu begreifen: das verstehen sehr Wenige.
Normalvertrag? Tarifhonorare? Gewerkschaftsforderungen?
Wer sonst nichts vom Verleger verlangt und erlangt, der hat eine Niete in der deutschen Buchlotterie erworben. Freilich müssen ein tüchtiger Schriftsteller und sein tüchtiger Verleger auch Geduld miteinander haben, wenn sie aneinander vorbei denken und reden. Dann müssen sie sich gegenseitig suchen und finden. Sonst passiert das, was Josef Ruederer, der geistreiche Münchener, einmal so ausgedrückt hat: »Es fängt an mit ›Hochverehrter Meister!‹ dann geht es weiter mit ›Lieber Freund!‹ und endlich hört es auf mit ›Euer Hochwohlgeboren!‹.« Und dann ist wieder einmal ein Verleger wütend und ein Schriftsteller schimpft...
Ich und der Verleger hatten Geduld miteinander. Gemeinsame Arbeit verband uns. Er hatte ein unheimlich scharfes Auge für Mängel. Manchmal kam das Grauen über mich, wenn er mit zwei, drei kaustischen Sätzen wie mit Sezierschnitten in mein Geschriebenes hineinfuhr. Dann aber arbeitete es gewaltig in mir. Nun kam Rede und Gegenrede, die beleuchtete und zu neuen Gedanken und Gesichtspunkten führte. Der Verleger hatte auch den sicheren Blick im Erkennen nicht ausgenutzter Möglichkeiten. Ich danke ihm manche fruchtbare Anregung. Wir konnten arbeiten zusammen. Wir drückten das einmal so aus: Wir können ein jeder denken mit dem Gehirn des anderen!
Meiner Seele aber kam es zugute, daß ich bei ihm lernte, was Burgunderwein bedeutet und wie man Burgunder trinken muß. Mit seinem alten Volnay und Chambertin trieb er eine Art Gottesdienst. Da lernte ich, wie man mit heiliger Andacht den braunroten Saft schlürft, weltentrückt und hingegeben in Frömmigkeit. Wenn die staubige Flasche im Weidenkörbchen auf dem Tische stand, in einer dämmerigen Ecke, und der Verleger das Glas ans Licht hielt, mit geschlossenen Augen den Duft einsaugend und dann in kleinen Schlückchen die kostbaren Tropfen mit der Zunge zerdrückend, dann schwieg er. Er hielt Zwiesprache mit seinem Wein. Stumm füllte er mein Glas auf: stumm drehte er mir eine Zigarette, stumm schnupperte er und trank. Weit weg wanderte seine Seele, in irgend ein fern leuchtendes Land Orplid, wo besonnter Meeresdampf der Götter Wangen feuchtet. Beim dritten Glase erst sprach er, bedächtig nun, oft traumdunkel wie Rembrandtische Hintergründe, oft Worte voll farbigen Feuers, als zeigte er mir in der hohlen Hand Amethyste, Türkise, Perlen und Opale, aus denen es geheimnisvoll schimmerte, lockte, geisterte.
Und dann wieder lachten seine Augen. Dann wurden wir weise, und erzählten einander von Sinn und Unsinn des Lebens ...
So lernte ich, wie man Burgunder trinkt.
In vielen Jahren sind nur wenige Wochen vergangen, da nicht Briefe gewechselt wurden hin und her. Meine Amerikabücher sind herausgewachsen aus Burgundertrinken und Erzählen in langen Nächten, und der Verleger kannte sie schon, noch ehe eine einzige Zeile geschrieben war. Er hat nicht nur meine Arbeit miterlebt, der Verleger, sondern auch mein ganzes Leben und meine Sorgen. Ich habe den Verlag miterlebt oft in den winzigsten Einzelheiten und in allen Nöten, die eine so gefährliche Ware bedeutet wie ein Buch, sie ist. Einmal hatte er recht: dann wieder hatte ich recht. Es ist mir eine liebliche Erinnerung, daß ich dem Verleger so um den ersten Monat des Jahres 1913 herum eine ganze Kiste Burgunder abgewann. Er hatte nämlich gewettet, daß der Weihnachtsverkauf des neuen Buches eine bestimmte Ziffer nicht erreichen würde, und ich hatte dagegen gewettet. Ich hatte Recht behalten. Er hat später im Großen und Ganzen öfters recht behalten als ich, aber er war nicht klug genug, jedesmal eine Kiste Burgunder zu wetten. Sonst hätte er einen ganzen Keller voll des allerschönsten Weins –
Auch wurden wir manchmal grob.
Er schrieb:
»Nur ein grüngebeizter Narr kann doch ...«
Ich telegraphierte:
»Lex mihi ars!«
Aber das wäre ja noch schöner, wenn vernünftige Leute sich nicht einmal vernünftig die Meinung sagen sollten.
Als das schön gebundene und sauber gedruckte Fremdenlegionsbuch vor mir lag, freute ich mich. Ich betrachtete es von allen Seiten. Sehr schön: ausgezeichnet. Dann blätterte ich in den Kapiteln, die mich am schwersten gequält hatten, als ich sie schrieb. Ja! So war es gewesen! Hierauf las ich das ganze Buch von der ersten bis zur letzten Zeile in einem Zug. Und da kam es mir auf einmal fremd vor. Es war mir, als hätte dieses Gebilde aus Papier und Druckerschwärze mir ein Stück von meinem Erleben weggestohlen, um anderen Menschen, die mich gar nichts angingen, meine Qualen vorzuführen wie in einem Theater. Aber dann begriff ich: Der Mann da, der ich war, in dem Buch da, der stellte nur das Bindeglied dar, das hineingestellt worden war zwischen deutschen Leser und französische Fremdenlegion. Es handelte sich gar nicht um mich. Um die Fremdenlegion handelte es sich.
Über den Fremdenlegionär mochten sich die Menschen wundern; meinetwegen. Was ging mich das an? Ich war längst ein anderer. Und wiederum füllte sich das nächtliche Zimmer mit Legionärsgestalten.
»Recht hascht g'habt!« sagte der Trommler. »Mir kannst d' net helfen damit; denn es steht geschrieben, daß der Guttinger Trommler in der Legion sein soll – Inschallah! Ich muß Legionär bleibe'! Aber die andere' – Vielleicht kriege' mer jetzt statt die Deutsche' Schwarze' und Chinese'!«
»Jut!« sagte Herr von Rader. »Die Fremdenlegion ist keen Geschäft nich'! Reinjelegt bin ich geworden; jeneppt haben sie mir!«
»Rache, Rache!« schrie der kleine Dubois, am Verrecken im Strafbataillon ...
Jawohl, es war gut und richtig gewesen, daß ich dieses Buch geschrieben hatte. Aber nie wieder – nie, niemals! – schrieb ich über mich selbst. Hatte ich etwas zu sagen, so wurde das gesagt in einem Leitartikel. Mußte ich Menschen und Wege schildern, so waren dafür meine Geschichten da. Drängte es mich, mir eigenes Erleben von der Seele zu schreiben, so geschah das im Roman.
Es dauerte auch gar nicht lange, da fing es schon an.
»Sie sind Fremdenlegionär gewesen? Ach, wie interessant!«
»Oh Gott, haben Sie das wirklich selber erlebt?«
»Wie war es nur möglich, daß Sie in die Fremdenlegion gingen?«
Pfui Teufel!
Nie wieder!
Nie wieder! Das ist eine lustige Erinnerung.
Denn es war kaum ein Jahr vergangen, da lebte ich schon wieder in der Qual, ein Erinnerungsbuch schreiben zu müssen. Zu müssen! Man schreibt Bücher weder zum Vergnügen noch von Geschäfts wegen. Das Geschäft ist gewöhnlich sehr mäßig – man würde sich als tüchtiger und gescheiter Mensch bei anderer Arbeit weit besser stellen – und von Vergnügen kann keine Rede sein. Praktisch: 's ist eine Schinderei, eine Höllenqual. Man erwirbt sich Nerven dabei. Aber ich mußte. Ich mußte über meine Erlebnisse in Amerika schreiben, weil mich ein einziger Begriff maßlos lockte: der Leichtsinn des Tüchtigen.
Was wußten die Leute von dieser Art Leichtsinn?
Nichts wußten sie. Sie zuckten mit den Achseln und redeten Moralität.
Da schrieb ich über meine leichtsinnigen Amerikajahre: erzählte herunter, wie es solch' einem leichtfertigen Lausbub' ergangen war und wie der Leichtsinn wirklich ausgesehen hatte. Mir kam's gar nicht auf Amerikaschilderungen an: der liebe, schöne, herrliche, jugendfrohe Leichtsinn – das war es. Ich mußte erzählen, wie solcher Leichtsinn sogar Werte schaffen konnte; wie Begeisterung, Erlebenssehnsucht, Arbeitswut und fröhliche Unbekümmertheit meinem Leben Kern und Inhalt gaben. Das schrieb ich. Dann sagte ich abermals:
»Nie wieder!«
Und ein Jahr später mußte ich wieder ein Buch schreiben, denn hatte schon ein Deutscher den Krieg Amerikas mit Spanien aus eigenem Erleben geschildert? Nein. Und diesen Krieg hatte ich doch mitgemacht! Ich mußte! Da fing das Ringen um die Form zum drittenmal von vorne an. Zwei Jahre später war es unbedingt notwendig, daß Leichtsinn und Krieg der Amerikajahre ihre Ergänzung in einem dritten Erinnerungsbuch fanden. Dieses Mal lockte mich mächtig die Schilderung des amerikanischen Reportertums .... Was wußte man in Deutschland vom amerikanischen Reporter?
Das mußte geschrieben werden!
Nun war es aber aus! Endgültig.
Ehe dieses Buch, das wiederum ein Erinnerungsbuch ist, geschrieben wurde, habe ich mich acht Jahre lang gegen mich selber gewehrt. Ich wollte es schon früher einmal schreiben, schon im zweiten Jahr. Ich konnte es nicht. Erst spät kam das Müssen: als mein Vaterland zerbrochen und zerschlagen war. Da war auch ich zerrüttet und zerstört. Doch es schien mir wie ein Symbol, daß ich, der belanglose deutsche Einzelmensch, immer wieder zerbrochen gewesen war und zerschlagen, und doch immer wieder mich aufrichtete.
Keine Gewalt kann den Menschen, der will, am Wiederaufrichten verhindern.
Keine Katastrophe kann ein Volk, das will, auf die Dauer vernichten.
»Das hast du wahrlich im Kleinen erlebt!«
»Schreib's!«
»Oh, Ihre Bücher gehen aber gut!«
»Was Sie für Auflagen haben!«
»Sie verdienen doch furchtbar viel Geld, nicht wahr?«
Freund, hätte ich diese Arbeit, diese Mühe, dieses Hergeben letzter Kräfte klüglich in einen Käseladen oder in eine Schuhwichsefabrik hineingesteckt, so wäre ich heute reich. Aber Reichsein macht satt. Sattsein macht träge. Ein Satter kämpft nicht. Um nichts in der Welt möchte ich die Kämpfe missen und die Freuden, die mein Leben und meine Feder mir beschert haben und noch bescheren sollen.
Schreibersmann bleibt Schreibersmann!