Erwin Rosen
Allen Gewalten zum Trotz
Erwin Rosen

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Die Geschichten von Innsbruck

Der Herr Schriftgelehrte. – Von Erst- und Zweitdrucken. – Bessere Zeiten fangen an. – Der schwarze Kasten. – Der Gelderfolg. – Die geduldige deutsche Zeitung. – Meine monatlichen siebenhundert Mark und die unangenehmen Postanweisungen. – Von unheiligen Gefühlen.

Also, der Herr is' ein Schriftgelehrter?« fragte die rundliche pensionierte Lokomotivführerin, im Nebenamt Bedienerin beim Erzherzog auf der Innsbrucker Burg. »Mei', mei', – ja, ja; der Erzherzog, der hat ganze Schränk' voll 'rumstehen mit Bücher! Also, schreiben tun S'? Mi' könnt man derschlagen, aber schreiben könnt' i' nix! Ja, ja – mei', mei' ...«

»Sie, san S' wirklich ein Schriftgelehrter?« fragte das kleine Lenerl.

»Heil!« brüllte der Seppl. »D'Leni hat g'sagt, Sie san ein Schriftgelehrter! Is das wahr? – Ja? – Nix für ungut – Heil!«


Und jetzt mußte ich Geschichten schreiben.

Es war mir bänglich zumute dabei; denn viele Geschichten hatten es zu sein, und viel Geld mußten sie einbringen, und gut sollten sie auch noch sein. Ich fing an. Es wollte nicht so recht gehen; zu lange war ich der Fremdenlegionär und Steinzeitmensch gewesen. Sie wurde mir sauer, die Arbeit. Die groben Legionärshände gewöhnten sich schwer an die feine Feder. Die flatterigen Gedanken, die immer abirrten in das nebelige Zukunftsland des Wünschens, Hoffens, Sehnens, mußten mit eiserner Strenge zusammengehalten werden. Das Gehirn war faul, träge, verschlafen, wenn es Menschengestalten erkennen, schildern, hinstellen sollte; es war überlebendig und von zitternder Empfindlichkeit, wenn angstvoll die Unsicherheit daherkroch, höhnisch grinsend:

»Das druckt doch keine Zeitung!«

»Das ist schlecht – schlecht – schlecht ...«

Zwingen mußte ich mich auf den Stuhl, an den Tisch, zum Papier. Ich quälte mich entsetzlich. Die Zeit rutschte nur so weg; Stunde um Stunde, Tag um Tag. Da wurde mir übel zumute. Ein Grauen packte mich. »Mann, du mußt!« schrie ich mir zu.

Ich schrieb schuftend wie ein Galeerensklave, der an das Ruder geschmiedet ist, stöhnend wie der Sträfling alter Zeiten, der Tretmühle treten mußte. Ich hieb sie hin, die Geschichten. Wütend fabrizierte ich Humor. Ein Geldschmierer war ich, ein Zeilenschreiber, ein Hausierer im Zeitungsland, ein Humoreskenfabrikant. Eine Schinderei war es und ein Geplage. Die Gespenster der Pflicht umringten mich. Den richtigen Stundenplan machte ich mir zurecht: »Von acht Uhr abends bis zwei Uhr morgens mußt du immer eine Geschichte schreiben. Das bedeutet jede Stunde eine Seite – und nach jeder fertigen Seite darfst du eine Zigarette rauchen und einen Schluck Tiroler trinken ...« Ich legte mir Zettel hin auf den Tisch. Auf die hatte ich geschrieben: Wer will, der kann! – Arbeiten und nicht verzweifeln! Ein Blödsinn war das; wenn Schaffen nicht Freude ist, dann sieht's kümmerlich aus im Schaffenden. Am Tag machte ich Abschriften und schrieb die Briefe an die Zeitungen; alles fein säuberlich mit eigener Hand.

Es überkommt mich ein Grauen, wenn ich an all die Schreiberei denke. Ich schrieb schnell und deutlich wie ein Diätar. Meine erste Aufgabe war, die Arbeit der Nacht zum mindesten einmal, möglichst aber zweimal, abzuschreiben. Dann wurden diese Abschriften sofort an Zeitungen gesandt, als »gleichzeitige Erstdrucke«. Für den, der die Geheimnisse, und diese Geheimnisse sind manchmal ganz vertrackt, des deutschen Urheber- und Verlagsrechts nicht kennt, sei erklärt, daß das deutsche Gesetz den schriftstellerischen Geistesarbeiter in erfreulicher Weise schützt. Was er einmal geschrieben hat, gehört ihm. Wer drucken will, was der Schriftsteller geschaffen hat, muß dafür bezahlen; ganz gleichgültig, ob es zum ersten Male gedruckt wird oder zum hundertsten Male. Der Begriff des gleichzeitigen Erstdruckes bedeutet, daß man zum Beispiel einer Zeitung in Süddeutschland zur gleichen Zeit eine Arbeit anbietet wie einer Zeitung in Norddeutschland, die ein ganz anderes Verbreitungsgebiet hat. Beide Zeitungen bekommen auf diese Weise einen Originalartikel, zahlen etwas weniger Honorar, als wenn sie ihn allein bekämen, und der Schriftsteller steht sich günstiger dabei: Er hat dieselbe Arbeit zweimal verkauft. Auf den Erstdruck folgt dann der Zweitdruck. Mit diesem Wort bezeichnet man auch alle weiteren auf den zweiten Druck folgenden Abdrucke. Wenn die Arbeit in der großen Zeitung erschienen ist, bleibt sie immer noch wertvoll für kleinere Zeitungen oder sogar große Zeitungen mit völlig verschiedenem Absatzgebiet. Dieser Zweitdruckvertrieb hat große Möglichkeiten, denn es gibt unendlich viele deutschsprachige Zeitungen.

Das war die geschäftliche Seite der Arbeit.

Ich war wie der Teufel hinter dem Geschäft her.

Ich sah die Möglichkeiten und nutzte jede Möglichkeit aus. Ich sah das Geschäft! Das bedeutete Geld. Geld bedeutete Zukunft. Der Mann der Feder muß nicht nur schaffen, sondern er muß auch das Geschaffene verwerten können. Viele Jahre später noch war ich erstaunt, wie schlecht deutsche Schriftsteller über die Verkaufsmöglichkeiten ihrer Arbeiten unterrichtet waren. Muß denn der Schriftsteller frierend und hungernd im Dachstübchen sitzen? Soll er immer arm sein? Muß er nur schenken? Soll nicht auch er sich mühen, das Geschaffene in Geldwert umzusetzen?

Am Tage war ich Geschäftsmann.

Es war eine Heidenarbeit. Immer neue Abschriften mußten gemacht werden, unzählige Briefe geschrieben, Buch geführt. Genaue Kenntnis der einzelnen Zeitungen und ihrer Eigenart war erforderlich.

So wollte ich das Geld verdienen.

Schlau wollte ich sein. Die Geschichten mußten den Bedürfnissen der Zeitung auf das genaueste angepaßt sein; in der Art, in ihrer Länge vor allem. Lustig mußten die Geschichten sein; denn lustige Geschichten waren selten, und die deutsche Zeitung brauchte sie. Jeder Feuilletonredakteur freute sich, wenn er in dem Wust von Novelletten und Skizzen mit Liebesgetratsche und Seelengestöhne etwas Lustiges fand. Lustigkeit mußte ich herausschuften, auf »Deubel-komm-'raus!« Wütend schrieb ich sie, die lustigen Geschichten.


Da kam eine sonderbare Nacht. Die Sterne standen günstig. Der alte Briefträger hatte gute Briefe gebracht auf dem abendlichen Bestellgang. Die Münchener Neuesten Nachrichten nahmen zwei Arbeiten auf einmal an. Die Breslauer Morgenzeitung verlangte mehr Geschichten. Hermann Löns schrieb – er war am Hannoverschen Tageblatt damals – er wolle mehr von der Art haben. Ich las jeden Brief ein Dutzendmal. Hatte ich – hatte ich doch etwas Gutes geschrieben? Ich schickte den Seppl nach einem Krug Wein.

Das Krüglein aus grünem Glas stand auf dem Tisch. Der rote Schirm der kleinen Lampe warf weichen Lichtkreis über die weißen Bogen. Das Fenster stand offen. In verschwommenen Umrissen ragten die Dächer. Aus dunkelblauen Schatten schimmerten fern Stein und Schnee. Auf einem Dach schrie ein Kater. Und da kamen winzige Gestalten aus der Nacht heraus, wie im alten, seligen Ulm. Sie rasten um das Tintenfaß, hopsend und lachend und kichernd –

»Mich kennst du doch! Ich bin ja der Spitzbube!«

»Nein, nimm mich! Ich bin der Neger Slim!«

»Zuerst komme ich an die Reihe! Ich bin Susanna Marianne! Weißt du noch – die Susanne?«

»Mich mußt du malen! Ich bin der Zeitungsteufel!«

Ich hatte auf einmal wieder Freude an den Menschen in den Geschichten. – Bessere Zeiten fingen jetzt an. Wenn ich des Abends die Lampe zurechtrückte und das Krüglein hinstellte, war ich kein gerissener Geschichtenfabrikant, und ich dachte nicht an Geld, und ich hatte keine Not und Sorge um mich. Ich kämpfte froh mit dem Gedanken, der eigenwillig abirren wollte in Nebengassen, mit dem Wort, das, kaum erfaßt, neckisch entschlüpfte, mit dem Klang, der falsch ertönte. Ich fing an zu begreifen, ein wie feines Instrument die Sprache war; wie der Rhythmus erklang, die Dissonanz erschrillte. Ich wollte meinen Gestalten in die Seelen hineinsehen. Sie sollten mir offenbaren, warum sie lachten und weshalb sie weinten. Es war ein Werden und Wachsen dabei. Aber sie waren simpel, die Geschichten von Innsbruck. So sahen sie aus:

*

Der schwarze Kasten. Eine Sierra-Geschichte.

In Murphys Flat trat ein Fremder.

Der Schankwirt machte große Augen und ein unbehagliches Gefühl kroch ihm den Rücken hinauf. Denn Mr. Murphy verkaufte Kaffee, der mit Kaffeebohnen in keinerlei verwandtschaftlichem Verhältnis stand, verschänkte Whisky, dem verdünnte Schwefelsäure Kraft und Aroma gab, und betrachtete es als angenehme Nebenbeschäftigung, einem Minenarbeiter gestohlenes Silber zu honetten Preisen abzunehmen. Vor Zeiten nun war es geschehen, daß die Mär von diesen Begebenheiten zu den Ohren eines Mannes drang, der unten im Tale wohnte und die nächstliegende Macht des Gesetzes verkörperte. Der war eines schönen Tages gekommen, und Murphy hatte sich gütlich mit ihm einigen müssen. Das hatte blankes Geld gekostet. Seitdem betrachtete Mr. Murphy fremde Gesichter mit Mißtrauen.

Murphys Flat lag eingekeilt in einer schmalen Höhlenschlucht der Sierra; eingenistet auf blankem Geröllboden zwischen steilen Felsenwänden. Vor einigen Jahrtausenden hatten vulkanische Gigantenfäuste den Berg gepackt und ihn auseinandergerissen in zwei Hälften. Eine langgedehnte schmale Schlucht war aus dem jungfräulichen Gestein entstanden. Da war Porphyr, da waren stahlharte Quarze eingebettet, die wie Riesenedelsteine funkelten, und da war massiger Granit. Wenn die Sonne aufging, leuchteten die Felsenwände der Schlucht wie sprühendes Eisen, wie sprühendes Rotgold, sie gleißten gelb, wenn es am Mittag war, und sie strahlten in hartem Graublau, wenn die Abenddämmerung heraufzog. Ein Geologe hatte sich einmal in die Nähe von Murphys Flat verirrt, war tagelang umhergeklettert in den Felsen und hatte des Abends den Männern von Murphys Flat begeistert erklärt, sie seien sehr glücklich, denn sie hausten im schönsten Winkel der ganzen Sierra Nevada. Drüben, am südlichen Ende der Schlucht, tausend Schritte weit weg, lag der Eaglepaß, der in die kalifornische Ebene hinunterführte. Fünfhundert Meter tiefer war die Bahnlinie. Von der Paßhöhe zur Bahnlinie vermittelte eine altmodische Schwebebahn den Lastenverkehr; denn im anderen Schluchtwinkel lag die Eagle Silbermine, die jahraus jahrein etliche dreißig Männer beschäftigte. Murphys Flat wieder waren die drei Hütten, die den Männern in der Mine die feineren Genüsse des Lebens vermittelten, das heißt, den obenerwähnten Whisky, gräßliche Zigarren und manch andere nutzlose und teure Sachen.

Mr. Murphy sah sich den Fremden genau an. Hm, ein zartes Gesicht, das sonderbar weich und unschuldig aussah – er konnte nicht sehr weit über seine ersten zwanzig Jahre hinaus sein – hm, Kniehosen, Sweater, blau und gelb gemusterte Gamaschenstrümpfe, nagelneue gelbe Stiefel, ein elegantes grünes, sackartiges Ding, das er an zwei Riemen über der Schulter trug (Murphy hatte noch nie in seinem Leben einen Rucksack gesehen) – hm, der große, schwarze Kasten ...

Nein, er sah nicht gefährlich aus.

Aber was war in dem Kasten?

Sollte gar ... wollte der Fremde etwa dem ehrsamen Mr. Murphy ins Handwerk pfuschen und seinen gottgesandten regulären Opfern etwas verkaufen? Die Augen des Schankwirts wurden hart. Nein, das Verkaufen hier oben besorgte er selber. Da ließ er es lieber zu bedeutenden Unannehmlichkeiten kommen.

Der Fremde nahm den Rucksack ab, stellte den schwarzen Kasten neben sich auf die Bank, setzte sich hin, und sagte höflich:

»Guten Abend!«

»Guten Abend,« brummte Mr. Murphy.

Noch weitere zwei Stimmen erwiderten die Begrüßung, das waren Billy und Mack, ein Gesteinhauer der eine, der wegen Unbotmäßigkeit wieder einmal eine Woche »abgelegt« worden war, und Mr. Murphys Faktotum der andere, verschlagene Gesellen alle beide, simpel schlau wie alle Männer von Murphys Flat. Sie hockten beieinander und tauschten hörbar Bemerkungen über den Fremden aus, über den schwarzen Kasten, über die Strümpfe, über das allzuzarte Gesicht. Der Fremde kümmerte sich um nichts. Er saß still da, verzehrte gebratenen Speck und hartes Brot und trank dazu sehr langsam eine Flasche Bier, das hier oben nicht unbilligerweise ebenso grundschlecht wie sündhaft teuer war. Der Wirt, Billy und Mack qualmten wie Schornsteine, rissen die Mäuler auf wie aus aller Fassung gebrachte Ochsen. Bis sie es nimmer aushalten konnten. Murphy war der erste.

»Wo könnten Sie her sein, Herr?«

»Und was ist in dem Kasten?« erkundigte sich Billy.

»Was wollen Sie hier oben?« zappelte Mack.

Der Fremde sah auf, und ein gutmütiges Lächeln huschte über sein junges Gesicht.

»Wo ich überall her sein könnte, weiß ich nicht,« antwortete er geduldig. »Ich bin aus San Franzisko. In dem Kasten da sind Sachen, die ich gebrauche. Ich will hier oben nur ein bißchen spazierengehen, weil ein Freund mir gesagt hat, daß die Schlucht sehr schön ist.«

»Da brauchen Sie aber einen Führer!« sagte der Wirt mit einem verklärten Lächeln. Seine Meinung war jetzt gebildet. Er hatte bereits beschlossen, diesem unschuldigen Hühnchen fünffache Preise abzurupfen. »Tatsache ist, Sie brauchen zwei Führer!«

»Jawohl, zwei Führer!« stimmten Billy und Mack sofort ein, denn sie merkten etwas. Wenn in dem Hinterland Kaliforniens einer sagt, er sei aus San Franzisko, so freut sich Mann, Weib und Kind, denn das bedeutet, daß ein Unschuldiger erschienen ist, der dreifache Preise bezahlt, und dem man Sachen aufhängen kann, die der dümmste Eingeborene niemals haben wollte: ungefähr so, als wenn bei uns im Holsteinischen oder im Hannoverschen einer kommt und auf die übliche Frage antwortet, er sei aus Hamburg.

»Zwei Führer!« wiederholte der Wirt eindringlich und hocherfreut.

»Er ist total verrückt!« flüsterte Billy. Sein sommersprossiges Gesicht mit der schnuppernden dicken Nase glänzte vor Wonne.

»Was würden zwei Führer kosten?« fragte der Fremde unschuldig.

»Zehn Dollars für den Mann und für den Tag,« sagte der Wirt hastig. »Billy und Mack dort können sich für morgen frei machen. Vielleicht auch für übermorgen, wenn Sie noch 'ne Kleinigkeit für den Vorarbeiter in der Mine zugeben. Jawohl – Billy und Mack kennen jeden Fußbreit Wegs hier – jawohl ... Zehn Dollars also für den Mann und –«

»Ist das nicht sehr teuer?«

»Billig!« behauptete Mr. Murphy. »Für so 'n grasgrünes dummes Luder, wie du bist!« setzte er in Gedanken hinzu.

»Abgemacht!« sagte der Fremde sanft.

»So 'n Trottel – so 'n dreifach verrückter dummheit-gesegneter Stadttrottel!« murmelte Billy strahlend. »Weißt du was, Mack wir steigen mit ihm auf dem Minenweg in die Wände, un' dann führen wir ihn übers Geröll, – un' dann wird er so höllisch müde, daß wir ihn tragen müssen – un' dann nehmen wir noch zwanzig Dollars extra!«

Der Fremde horchte und lächelte.

»Nehmen Sie den schwarzen Kasten auch mit?« fragte Mack.

»Jawohl!« erklärte der Fremde. »Er enthält Gegenstände, die ich beim Spazierengehen notwendig brauche.«

»To–tal verrückt!« sagte Billy MacPherson innig.

Der Fremde lächelte wiederum.

Mit dem Morgengrauen brachen sie auf. Billy und Mack trugen zähe Schaftstiefel und dicke wollene Jacken und bauchige Flaschen als Proviant, die Wasser enthielten, gebranntes Wasser. Denn sie waren in ihrer Herzensfreude die halbe Nacht hindurch mit dem Schankwirt aufgesessen und hatten in unzähligen Schwefelsäurewhiskys das Wohl des Opferlamms getrunken. Schon während der ersten halben Marschstunde mußten sie sich mehrmals mit gebranntem Wasser stärken, aber die Übernächtigkeit hielt sie nicht davon ab, ihren Plan zähe zu verfolgen. In scharfem Tempo ging es die Schlucht hinab, den schmalen Pfad hinauf, an der Mine vorbei und in endloses Geröll hinein, das Wetter und Wasser in die Felsenwand gewaschen hatte. Es war mühsames Klettern, steil aufwärts. Billy und Mack schnauften gewaltig.

»Wird's Ihnen nicht zu mühsam, Herr?« fragte Billy.

»O nein!« lächelte der Fremde.

Er trug seinen Rucksack, hatte den schwarzen Kasten unter dem Arm, und war bepackt mit allerlei Kochtöpfen und Sächelchen aus Aluminium, die auf den Rucksack aufgeschnallt waren. In seinen leichten Stiefeln schritt er so flott vorwärts, als wünsche er sich nichts Besseres, als auf spitzigem Geröll möglichst steil aufwärts spazieren zu gehen. Von Zeit zu Zeit machte er seine Führer auf die Schönheiten der Umgebung aufmerksam.

»Verdammt noch mal!« stöhnte Billy.

»Er ist noch verrückter, als wir dachten,« murmelte Mack, dem der Schweiß in Strömen übers Gesicht lief. »Wollen Sie nich 'n bißchen ausruhen?« fragte er laut.

»O nein!«

»Na, wir werden dir's schon besorgen!« brummte Billy ingrimmig und zog resigniert die Hosen hoch. »Das kostet zehn Dollars mehr!«

Und die beiden Spitzbuben besorgten es dem Fremden auf das Gründlichste, wie sie glaubten. Sie führten ihn in die Kreuz und die Quere, steil in die Höhe, über die niederträchtigsten Stellen losen, spitzen, fußmarternden Gerölles, und sie wurden sehr schweigsam dabei, weil sie alle Kräfte auf intensives Schwitzen verwenden mußten, und ihre Seelen fühlten sich unglücklich trotz häufigen Trostes durch gebranntes Wasser. Der Fremde aber kletterte rüstig und sprach über die Schönheit der Felsen.

»Großer Gott!« stöhnte Billy.

»So 'n Hanswurst!« jammerte Mack.

Mit einemmal blieb der Fremde stehen. Ein gewaltiger Felsenzacken ragte empor zur Linken, eine rötlich schimmernde Wand aus Porphyr mit tiefen Einschnitten und Bändern und grotesken Vorsprüngen. Das blanke Gestein glitzerte und leuchtete im Sonnenschein.

»Eine wunderschöne Wand!« sagte der Fremde.

»Süß!« brummte Billy.

»Fein!« wimmerte Mack.

Der Fremde betrachtete seine Führer mit einem vergnügten Schmunzeln. Sie schwitzten wie die biblischen Männer im Feuerofen geschwitzt haben mußten; ihre Knie schlotterten, ihre Gesichter waren knallrot vor Anstrengung, ihre Hände zitterten, als sie stöhnend nach ihren Flaschen griffen.

»Es ist so famos einsam hier!« bemerkte er.

»Er is nich´ verrückt – nee, er is wahnsinnig ...« murmelte Billy.

»Unheimlich einsam!«

»Verdammt einsam!« sagte Mack mürrisch.

»Habt ihr einen Revolver mitgenommen?«

»Nee –« schrie Billy ärgerlich. »– Zu was denn? Hier oben gibt's nich' mal 'ne Katze – gar nix – radikal nix – und da soll meiner Mutter Sohn 'n Schießeisen mit rumschleppen?«

»´s wär 'n Blödsinn!« knurrte Mack.

»Das vereinfacht die Sache wesentlich!« erklärte der Fremde seelenruhig. In seiner rechten Hand glitzerte blaustählern ein Browning – »Hände in die Höhe, Jungens!«

»Jetzt will ich aber verdammt sein!« brüllte Billy.

»Oh du meine selige Tante!« winselte Mack.

»Was wollen Sie denn von uns?«

»Geld haben wir doch keins!«

»Ihr sollt nur ein bißchen klettern!« lächelte der Fremde. »Wenn es euch recht ist –« er spielte mit dem Browning – »beginnen wir. Jawohl ich weiß; ihr seid arme unschuldige Jungens und ihr wolltet mich nur gegen billiges Entgelt ein wenig spazierenführen und ich bin roh und gemein, während ihr die Klügeren seid und deswegen naturgemäß nachgeben müßt. Wie dumm doch manchmal Sprichworte sind, nicht wahr? Also, fangen wir an. Vorwärts!«

Billy und Mack standen da, schlotternd in Heidenangst.

»Nein – nicht so! Auf Händen und Füßen – auf allen Vieren müßt ihr kriechen, das macht sich nämlich besser. So ist's gut. Jetzt links –«

»Er ist furchtbar wahnsinnig!« jammerte Billy.

»Um Gotteswillen, was is in dem Kasten?« schrie Mack. »Heiliger Murphy – was hat er an dem verfluchten Ding zu drehen?«

»In dem Kasten steckt der Teufel!« erklärte der Fremde gelassen und drehte vorsichtig und gleichmäßig an der Kurbel. »Er wird euch gleich holen, wenn ihr nicht pariert. So – weiter links – so – jetzt auf das Band da und in die Wand hinein – –«

»Da fall' ich mich aber vielleicht tot!« brüllte Billy.

»Das macht nichts. Tust du es nämlich nicht, so schieße ich dich bestimmt tot. So – mit dem rechten Arm nach einem Halt greifen, die Füße langsam nachziehen, jetzt auf dem Bauch rutschen, jetzt einen Augenblick liegen bleiben und ein verzweifeltes Gesicht machen – noch verzweifelter, bitte – so – aufpassen, Kinder, die Stelle hier ist wirklich gefährlich – so ... so – rechts hinauf, den Zacken dort packen, hinaufziehen. Knie an die Wand, langsam, langsam – und jetzt weiter links – liegen bleiben – mit den Händen am Felsen kratzen, nee, ordentlich kratzen, tüchtig kratzen – und jetzt die Hände vors Gesicht schlagen – und links auf den Vorsprung hinaus ...«

»Ich kann nicht mehr – ich bin beinah' dod!« brüllte Mack.

»Das ist eben das Schöne!« behauptete der Fremde. »Weiter! Wir springen nunmehr auf die breite Platte hinüber – (wenn wir aufpassen, brechen wir uns die Hälse vielleicht doch nicht) – hopp – und sinken kraftlos zusammen – so, ausgezeichnet! Wir sind sehr schwach und erheben uns mühsam – mühsam, bitte – starren um uns – taumeln auf die Felsenplatte dort zu ... «

»Ogottogottogott – – –« wimmerte Billy.

»– und brechen in die Knie. Nun greifen wir in den kleinen Geröllhaufen dort – kratzen, zugreifen, scharren – aber die Steine sausen in die Tiefe – und nun – – –«

Und der Fremde kurbelte emsig, und Billy und Mack kletterten wie Wahnsinnige, eine bittere Stunde lang, bis sie oben auf der breiten Platte saßen, die den gewaltigen Felsenzacken abschloß. Links führte ein schmales Geröllfeld in die Tiefe.

»Auf Wiedersehen, Jungens!« sagte der Fremde sehr vergnügt. »Ich gehe rechts! Ich weiß hier Bescheid. Aber ihr geht, bitte, voraus – links hinunter – denn sonst könntet ihr vielleicht auf die Idee kommen, mir ein Felsenstück oder zwei nachzuschmeißen, und ich bin nicht für Ideen. Vorwärts!«

»Sie sin' – Sie sind allright – Sie sind eine Nummer!« sagte Mack ganz langsam und gedehnt. »Tatsache! Sie sind Nummer eins extra mit 'nem Stern! Und ich will nich' behaupten, daß wir 's nich' verdient hätten. Aber weil 's schon 'n Witz ist, so sagen Sie uns wenigstens aus christlicher Liebe – was das alles ist!?? Mit dem Klettern? Und mit dem verdammten schwarzen Kasten? Un' mit dem Drehen?«

»Hm. Wieviel wolltet ihr für eure Führung haben?«

»Drei Dollars.«

»Ich dachte zehn!«

»Nee, ganz gewiß nich'! Is ein Irrtum. Drei, nur drei!«

»So? Schön, hier sind aber doch zehn – nein, nicht näher kommen – da, ich werf' sie rüber. War't ihr schon einmal in einem Kino?«

»Ja – in Silvercity – natürlich!«

»Na, dann wird es euch interessieren, daß wir soeben eine Kinoaufnahme gemacht haben. Sie gehört zu einem Film: »Die Goldsucher in Todesnot. – –«

Die beiden Männer starrten ihn an.

»– Und sie ist sehr gut gelungen. Ich hätte euch gern mehr bezahlt für die schwierige Arbeit, aber Strafe muß sein. Das steht schon in der Bibel. Das nächstemal seid ihr vielleicht etwas weniger unverschämt gegen einen harmlosen Fremden – – –«

Mack saß da, Mund und Augen aufgerissen. Plötzlich brach er in ein schallendes Gelächter aus.

»Warum lachst du denn auch noch, du Hanswurst?« schrie Billy.

»Ich – ogott – ich – ich lach' über – über den harmlosen Fremden!«

Und immer noch lachend zog er sich die Hosen hoch, setzte sich dorthin, wo solides Leder die breiteste Seite der Hose verstärkte, gab sich einen Stoß und fuhr sausend ab zu Tal.

Billy folgte ihm.

»Auf Wiedersehen!« rief der Fremde freundlich nach.


Schöne Zeiten waren es. So nach Mitternacht, wenn die letzte Zeile geschrieben war, stand ich auf, freute mich, daß alles, siehe da, so gut war, denn frisch geschriebene Arbeit gefällt einem immer, und rauchte zwei Belohnungszigaretten. So!

Jetzt hieß es aber arbeiten!

Die Arbeit mußte schnell abgeschrieben werden für die Zeitung. Jetzt einen Begleitbrief geschrieben. Nun auf leisen Sohlen die Treppe hinab durch das schlafende Haus und hinaus in die köstlich leeren Straßen mit den wundersamen Nachtschatten- an der Mariensäule vorbei, durch die alte Gasse zum Bahnhof. Drei Uhr morgens war es dann. Da kam der Zug, der nach dem Norden fuhr. Die Briefe wurden eingesteckt in den Schalter des Postwagens. Dann ging es noch auf eine halbe Stunde in das einzige Kaffeehaus, das die ganze Nacht hindurch geöffnet war, zum »Schwarzen« und zu den Zeitungen. Und dann ging es heim durch die leeren Gassen und oft sah man den Sonnenaufgang die Berge rosenrot schmücken. Halli und hallo...

Und sie hatten Erfolg, die Geschichten von Innsbruck.

Mein Absatzgebiet reichte von Memel, dem »Memeler Dampfboot«. bis nach Triest, zur Triester Zeitung. Bald waren dutzendweis meine Geschichten auf ständiger Wanderschaft. Ich entdeckte neue Absatzgebiete, machte neue Verbindungen ausfindig.

Die deutsche Zeitung ist rührend gut zum deutschen Schriftsteller. Sie kann freilich nicht Märchenhonorare bezahlen wie die englische oder amerikanische Zeitung ihren Männern mit den großen Namen der Augenblicksgunst, aber sie bezahlt auch den ringenden Neuling ohne bekannten Namen anständig, was der englischen oder amerikanischen Zeitung nicht im Traum einfallen würde. Sie ist treu. Sie hilft gern. Sie prüft alles, was ihr geschickt wird. Sie ist geduldig wie Hiob, und sie ist geplagt wie Hiob.

Die Arbeiten des Schriftstellers sind zu lang oder zu kurz? Die Zeitung erklärt ihm das.

Er will sofort telegraphisch Geld haben? Die Zeitung telegraphiert.

Er will Vorschuß haben? Die Zeitung bezahlt.

Er wird grob, wenn seine Arbeit wochenlang liegen bleibt? Die Zeitung setzt ihm geduldig auseinander, weshalb das so sein muß –

Sie ist rührend, die deutsche Zeitung. Keine Zeitung irgend eines anderen Landes prüft so jede Einsendung, ist so bemüht, der Begabung den Weg in die Öffentlichkeit zu bahnen, ist sich so bewußt, daß es ihre Aufgabe ist, den Schriftsteller zu fördern. Ein amerikanischer Zeitungsverleger, dem zugemutet würde, einem armen Teufel das Honorar drahtlich zu überweisen, würde in Krämpfe fallen vor Entrüstung. Das gibt es nur bei uns.

Heidi, ich verdiente Geld. Vor vielen Jahren rechnete ich mir einmal aus, daß eine einzige Geschichte mir im Laufe der Zeiten mit Erstdruck und Zweitdrucken so viel Geld eingebracht hat, daß jedes einzelne Wort der Geschichte sich rühmen durfte, eine ganze Reichsmark verdient zu haben! Das war enorm! Freilich gehörte zu dem immerwährenden Verschicken und dem ständigen Aufspüren von neuen Absatzgelegenheiten eine wahrhaft fabrikmäßige Arbeitsleistung und eine Schafsgeduld obendrein. Jahre hindurch stand ich, was die Zahl der erzielten Abdrucke betraf, an vierter Stelle unter den deutschen Schriftstellern, die die deutschen Feuilletongeschichten schrieben. An erster Stelle stand Roda Roda.

Gut ging es mir.

Jeden Monat mußte ich siebenhundert Mark einnehmen. Das hatte ich mir vorgenommen. Was an diesen siebenhundert Mark so etwa am fünfundzwanzigsten oder sechsundzwanzigsten des Monats noch fehlte, telegraphierte ich von verschiedenen Zeitungen herbei.

Jeden Monat mußte ich sechshundert Mark alte Schulden bezahlen. Das war die Kehrseite der Medaille. Für die ehemals so gefälligen Herren in Hamburg war es die goldene Vorderseite. Und ich kann heilig versichern, daß ich voll der unheiligsten Gefühle war, wenn ich auf diese Postanweisungen den Namen schrieb.

Seid gegrüßt, ihr alten Geschichten von Innsbruck, die ihr in alle Winde zerstreut seid; und habt Dank! Jeden Monat habt ihr ein Loch zugestopft: jeden Monat eine alte Geldsünde gesühnt. Ein wenig half ich ja selber mit: Es war wahrlich nicht ganz leicht für Bruder Leichtsinn, die Goldstücke immer wegzuschicken, und in der Tasche nur ein bißchen Silber zu behalten. Aber das ging ganz gut. Wozu zum Kuckuck brauchte man auch viel Geld, wenn man des Nachts Geschichten schrieb und des Tags auch schrieb oder in den Bergen herumkletterte –


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