Peter Rosegger
Jakob der Letzte
Peter Rosegger

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Ein Narr müßt' Einer sein!

Im Herbste war's, am Frauentag, genannt Maria Geburt.

Der Jakob saß zur Feiertagsruh' an seinem Tische und blätterte wieder einmal in der Bibel. Das Blättern ging mühsam vonstatten, die Finger waren steif und ungelenk und das Papier ist keine Axt und kein Spaten. Ja, wäre es eine Axt gewesen oder ein Spaten, dem Manne hätte es besser bekommen. Die herbe Arbeit hatte ihm immer das Herz erfrischt, die Schrift machte ihn nur noch nachdenklicher, als er schon war. Und nachdenken soll ein Mensch nicht, der so betrübt ist, wie der Jakob es war.

Ein Luftzug vom offenen Fenster herein hatte auch ein wenig geblättert und schließlich das Kapitel von dem verlorenen Sohn aufgeschlagen. – Was geht den Jakob der verlorene Sohn an! Er schlug Hiob den Dulder auf – er verblätterte ihn wieder. Er suchte die Gesänge des Jeremias, aber noch bevor er sie gefunden hatte, schob sich die zwergige Dirn' zur Türe herein und berichtete kichernd, daß ein Bettelmann draußen sei.

Man solle ihm ein Stück Brot geben.

Das habe er schon bekommen, aber er sitze auf dem Antrittstein und wolle nicht fortgehen, so berichtete die Dirn unter heftigem Lachen.

Wieder blätterte in der Bibel die Luft, Jakobs Auge fiel auf die Worte des Propheten Jesaias: »Weg ist Freude und Jubel von den Fluren. In den Hainen tönet kein Jauchzen. Du magst am Morgen deine Saat säen, am Tage, da du die Ernte in Besitz nehmen willst, wird sie Schutt sein. – Was war noch an meinem Weinberg zu tun, das ich nicht getan hätte? – Der Herr wird ihn zur Wüste machen.«

Es war ihm bange. Er stand auf, um hinauszugehen in seine Stallung, daß es Werktag werde um ihn. Da sah er vor der Haustür auf dem Antrittstein noch den Bettelmann; der saß müde da und stützte den Kopf auf die Hand. Der Jakob trat zu ihm, blickte ihm ins Gesicht und erschrak. – Das ist doch nicht möglich! Es kann nicht sein. Es ist nur so eine Ähnlichkeit, alte Leute sehen sich alle gleich. Und ist's doch wieder! In welchem Zustand! Zerrissen und verkommen. – Der struppige Bart des Bettelmannes ist eisgrau und bewuchert das ganze Gesicht. Die kleinen Augen zucken wirr und die Zunge kommt aus dem Munde hervor und sucht im Bart herum nach Brosamen, die etwa vom verzehrten Brotstück dort zurückgeblieben sind. Dabei ist der wetterfahle Hut schief nach einer Seite hin gestülpt, so daß das Kerlchen bei seiner Armseligkeit noch fast keck aussieht.

»Mit Verlaub«, sagte der Jakob, als er eine Weile beobachtend vor dem Bettler dagestanden war, »ich muß mich doch vielleicht irren.«

»Wirst dich nicht irren«, antwortete der Bettelmann und trommelte mit der mausfahlen Stiefelspitze auf dem Stein. »Wirst dich nicht irren. Rösser kaufen geh' ich um, wenn du ihrer hast.«

»Also richtig der Guldeisner!« rief der Jakob. »Gut ausschaust! Heißt das, alt, wolter alt werden wir halt schon miteinand'.«

»Alt und letz, und arm und dumm«, knurrte der andere in seinen wulstig beflickten Mantel hinein.

»Wirst nicht eine Weil' so sitzen bleiben, Nachbar, in der frostigen Herbstluft da!« sagte der Jakob, »geh' ein wenig in die Stuben hinein.«

»Wenn du ein Wirtshaus hättest. Über Nacht bleiben möcht' ich da.«

»Wirst Platz haben«, sagte der Jakob und dachte bei sich: Armer Mensch! Mußt betteln und willst es nicht merken lassen.

Er hatte vieles vorausgesehen, aber das hatte er nicht erwartet. Das Mitleid kam. Er will es ihm nicht fühlen lassen, dem Guldeisner, was dieser einst in seinem Hochmut gesündigt.

»Mich freut es recht, Nachbar, daß ich dich heimen kann und daß du mein Dach nicht verschmähst«, sprach der Jakob. »So, Franz, mach' dich nur bequem da in der Stuben. Brauchst nicht so still umzutun, der Peterl auf der Ofenbank, der schläft fest. Ein Krügel Holzapfelmost, wenn du magst. Dies Jahr ist er wieder einmal geronnen. Leg' ab deinen Wettermantel, leg' ab. Ist das beste Zeug, so ein alter Loden, wenn man in den Regen kommt. Ich häng' auch allemal mein altes Zeug um, wenn ich ins Gebirg' geh'. Aber daß du jetzt Rösser suchst zu Altenmoos!«

»Such' ja keine«, antwortete der Guldeisner und pfusterte die Worte nur so stoßweise hervor, »Rösser! Ein Narr müßt' einer sein! Den Guldeisnerhof möcht' ich wieder kaufen. Heißt das, wenn er noch stehen tät' und wenn ich Geld hätt'. Der Kampelherr, hab' ich gehört, will ihn wieder loshaben. Will ganz Altenmoos wieder loshaben. Hat einen Kracher gemacht, beim Kampelherrn. Mir kann's gleich sein. Aber erraten hast es, Reuthofer!«

Er trank den Krug Most auf einen Zug aus.

»Wie du's nur gar so fein hast erraten mögen!« fuhr er gesprächig fort. »Oft hab' ich an dich gedacht. Aber den anderen geht's auch schlecht. Recht verzwickelt schlecht.« Und nun hub er an zu erzählen von den Ausgewanderten, von solchen, die irgendwo eine Hütte hatten und darin Not litten und von solchen, die nichts hatten, und von solchen, die verschollen waren. Dann wieder lobte er die Wirtschaft des Reuthofers und rief immer wieder aus: »Daß du es aber gar so gut hast erraten mögen!«

Der Jakob konnte sich nicht genug wundern über das vertrauensselige Geplauder des einst so schroffen, wortkargen Mannes. Es hatte in der Tat den Anschein, als fühlte der Guldeisner sich jetzt als Mensch, der nichts mehr zu verlieren hat, weit behaglicher und gemütlicher, denn früher als reicher Großbauer und Herrenschlösselbesitzer.

»Dummer Bauer!« sagte der Guldeisner plötzlich und schaute den Jakob mit Verachtung an.

»So!« entgegnete dieser.

»Kommst vom Tisch bis zum Ofen und weißt nichts. In die Fremde muß man! Die Welt muß man sehen! Einen Unterschied muß man kennen lernen! – Du lebst und stirbst auf einem Fleck und meinst, was für ein Schelmenstückel du geleistet hast! Bist vierspännig gefahren? Hast Champagner getrunken? Bist betteln gegangen? Nichts hast erfahren. Ein Narr müßt' einer sein! Der Apfel hat zwei Seiten, mein lieber Reuthofer! Auf der einen ist er rot, auf der anderen gelb. Du bist hausgesessen geblieben und guckst doch sauer drein. Wenn's was gilt, Nachbar, schlafen will ich besser wie du!«

»Magst recht haben«, entgegnete der Jakob und dachte bei sich: Hochmütig muß der immer sein, das einemal ist er's auf seinen Reichtum, das anderemal auf seine Bettelhaftigkeit.

Im Wandwinkel hockte die zwergige Dirn' und kicherte und kicherte. Das verdroß den Guldeisner. »Dumme Drulle, altenmooserische!« knurrte er sie an, da brach sie in ein schallendes Gelächter aus.

Als der Guldeisner und die zwergige Dirn' so nebeneinander auf der Bank saßen, er brummend und knurrend, sie kichernd und lachend, da fiel es dem Jakob ein, was die Leute sagten und daß diese zwei ungleichen Wesen näher miteinander verwandt wären, als das sonst zwischen fremden Leuten gebräuchlich und sittsam ist. Der ganz gescheite Guldeisner und die dumme Dirn'! Da sitzen sie nebeneinander und sie weiß nichts von ihm, als daß er brummt, und er weiß nichts von ihr, als daß sie lacht.

Lassen wir Gras darüber wachsen, dachte der Jakob, wer weiß, ob er eine Freude daran hätte, der Junggesell', in seinen alten Tagen eine solche Stütze zu finden. Besser, freilich, besser ist er immer noch daran, als der alte Ehemann, der kinderlos dasteht...

Die Abendsuppe ließ sich der Guldeisner wohl schmecken. »Mehr Milch müßt' dabei sein, wenn deine Köchin keine Dudl wär'!« sagte er schließlich. »Wenn ich Wasser saufen will, so leg' ich mich in den Bach und nicht in die Schüssel.«

Der Jakob freute sich dieses kritischen Ausspruches, welcher zeigte, daß der Guldeisner satt war.

»Wo aus geht morgen dein Weg, Nachbar?« fragte er.

Der Guldeisner blickte den Jakob wie befremdet an. »Morgen?« fragte er dann, »morgen bleib' ich daheim.«

Da merkte es der Reuthofer, daß in der Vorstellung des Guldeisner der Reuthof zu dessen neuer Heimat erkoren war.

»Es wäre schon recht, wenn ich dir ein Daheim geben kunnt«, versetzte der Jakob zu einer höflichen Ablehnung. »Schau' dir's halt einmal an, das traurige Altenmoos.«

Der Guldeisner brütete vor sich hin und murmelte: »A1tenmoos! Auf diesem Fleck ist's mir auch einmal gut 'gangen.« Dann fuhr er auf: »Nachschauen muß ich. Die vertrackten Kerle schlagen mir Jungwald nieder. Sag' einmal, Winkelbauer, sind da oben im Knatschelhaus, oder im Oberstöckelhaus Leut' drinnen?«

»Liegt seit fünfzehn Jahren kein Zimmerbaum mehr auf dem anderen!«

»Sind im Sandlerhof Leut' drinnen, oder im Waldstuberhäusel?«

»Wo die gestanden, da wachsen Brennesseln.«

»Dodl alter«, fuhr der Guldeisner den Jakob an, »wo soll einer denn nachher betteln, wenn die verdammten Nester dahin sind! Na hörst, Bauer, dieses Altenmoos ist sauber heruntergekommen!«

Eine scharfe Entgegnung lag dem Jakob auf der Zunge, er sprach sie nicht aus, er hatte Mitleid mit des Alten wirrgewordenem Kopf. Er lud ihn ein zum Schlafengehen.

Als der Guldeisner sein Leibel auszog, um es über den Strohschaub zu breiten, den ihm der Jakob in die Stube zur Schlafstätte getragen hatte, kletzelte er ein Papier aus der Tasche. »Da hab' ich – wenn's wahr ist – einen Brief«, murmelte er. »Hätt' eh' bald vergessen, daß ich ihn abgib'. Dem Jakob Steinreuter gehört er« und las stockend die Adresse: »Bauer in Altenmoos bei Sandeben, letzte Post Krebsau in Steiermark. Kaisertum Österreich. – Muß weit her sein, weil er so viel umfragt in der Welt nach dem Jakob Steinreuter. Da hast ihn.«

»Wie kommst du zu so einem Brief?« fragte der Jakob, das große versiegelte und verbogene Schreiben ihm aus der Hand nehmend.

»Traurig stünd's mit eurer Post, wenn unsereiner nicht wär'. Hundstraurig. Der Bot' in Sandeben – wohin ich ginge? schreit er mir nach. Heim, sag' ich, ins Altenmoos. Ob ich mir einen Botengroschen wollt' verdienen und einen Brief mitnehmen für den Reuthofer? Lumpig! sage ich, daß ihr sogar die Kavaliere belästigen müßt mit eurer Briefpost. Her den Bettel! – Sapperment, ist das einmal ein Federbett!«

Damit sank er in das Stroh. »Ah, jetzt werd' ich bald König sein«, lallte er noch, dann schnarchte er auch schon.


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