Peter Rosegger
Jakob der Letzte
Peter Rosegger

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das Fest der Auswanderer

Während solcherlei oben in der Einsamkeit des Sandlerhofes vorgegangen war, ging unten im Steppenwirtshaus die helle Lustbarkeit an.

Die Jungen tanzten, die Alten tranken, und der Waldmeister ließ sich namens des Kampelherrn glänzend sehen. Er bewirtete alles. Die Auswanderer wollten noch einmal die Altenmooser Lieder singen, die Alm- und Bauern- und Holzknechtlieder, die Wald- und Liebeslieder, bei denen sie aufgewachsen waren. Der Waldmeister nannte derlei ein »altweltisches Gedudel«, was sich etliche kaum gefallen lassen hätten, wenn nicht gar so fleißig die Gläser gefüllt worden wären. Der Knatschel wußte ein Lied, dem hörte anfangs alles zu, und später fielen sie – auch der Waldmeister – mit ein und sangen in würdig getragener Weise:

»Das Bauernleb'n tut mich nit freuen,
Mag keiner mehr sein auf der Welt,
Weil man muß zahlen viel Steuern,
Und jeder Schritt ist gleich g'fehlt;
Und will man sich gar lustig machen,
Gleich heißt es: Er hat zu viel Sachen!
Na, das Ding geht mir nit ein,
Mag halt kein Bauer mehr sein!«

Dieses Lied ward nachgerade zum Festgesang für den Tag. Nachher trällerte ihnen der Waldmeister sehr wunderliche Sachen vor, wie sie Ähnliches in ihrem Leben nicht gehört hatten. Die Weisen waren zwar so glitschig, als wären sie in Schweinsfett gebeizt worden, wollten den Bauern aber nicht recht ins Ohr; doch waren die Worte zwiefältig, und bei einem dieser Liedeln rief einer, der Wagnerzenz, wie rasend: »Still seid's, Ihr Saggra, sonst muß ich ein Weibsbild haben!«

Operettenliedchen waren es, die der Waldmeister anstatt des »altweltischen Gedudels« einführen wollte. Der Dunnerer und der Stindel im Stein und der Nock stellten sich aber mitten in der Stube zusammen und sangen mit frischen Stimmen die alten Gesänge und die Jodler dazu, daß der Waldmeister mit seinem neumodischen Singelsurium aufhören mußte.

Seine Zutunlichkeit wollte sich heute aber nicht dämpfen lassen. Den Burschen zeigte er seine silberne Taschenuhr und riet jedem, sich eine solche anzuschaffen. Dann bot er ihnen Zigarren und spottete über das Rauchen aus den Pfeifentiegeln. Den Weibsleuten ließ er Zucker in den Wein tun und Kaffee kochen; jetzt müssen sie sich an den Kaffee gewöhnen und das Bauernsuppengeschlader gehöre in den Trog. Einer Schönen, der Nocksandel, legte er sogar ein rotseidenes Halstuch um die Schulter, was sie auch willig darüber legen ließ. Einer anderen sagte er, zum Tanzen wären die Ochsenlederschuhe nichts, da müßten solche aus Kalbfell mit Tuchfutter sein. Draußen in den Tälern trüge jeder Dienstbote derlei und andere schöne Sachen am Leibe. Der Mensch müsse ja doch eine Freude haben, man lebe nur einmal auf der Welt. »Ja, ja«, schloß er, »es ist so, und Kleider machen Leute!«

»Und Bettler machen Läuse!« vervollständigte der Wirt das Sprichwort.

»Vor schönem Gewand zieht man den Hut ab!« sprach der Waldmeister, um zu zeigen, daß er Weisheit innehabe.

»Man empfängt den Mann nach dem Gewand und entläßt ihn nach dem Verstand«, gab der Wirt zurück.

Dann ging der Waldmeister auf den Tanzboden und warf dem zitherspielenden Natz einen Silbergulden hin. Dem Alten blieben die Finger auf den Tasten stehen und seine Miene fragte: Für was denn das?

»Einen Neuschottischen sollst du aufspielen!« rief der Waldmeister und sah sich nach einer Tänzerin um. »Einen Neuschottischen?« fragte der alte Pechölbrenner zurück. »Einen söllichen kann ich nit.«

»So klimpere uns eine Mazurka! Oder eine fesche Polka!«

»Kann ich nit«, antwortete der Alte schier betrübt und schob mit dem Zeigefinger das Silberstück sachte von sich.

»So wirst du doch wenigstens einen Tschardasch schlagen können, alter Racker!«

»Tschardasch? Was ist denn das?« fragte der Natz demütig.

»Der Zigeunertanz!« belehrte ihn ein Nebenstehender. »Der paßt heutigentags, wo alles zum Umzigeunern anhebt.«

Der Natz schüttelte den Kopf: »Zigeunertanz, den kann ich halt auch nit, lieber Herr. Ich kann halt gerade nur den Steirischen.«

»Musikant, du bist dein Geld wert!« spottete der Waldmeister.

»Ich nehm' kein's. Bedank' mich, ich nehm' kein's«, sagte der Alte rasch und schob das Silberstück noch weiter zurück.

»So zithere uns deinen Steirischen vor in des Teufelsnamen! »rief der Waldmeister und stellte sich mit einer drallen Bäuerin zum Tanze auf.

Der Pechölnatz spielte bedachtsam, ja fast feierlich seinen Steirischen. Er klopfte mit den Fußspitzen den Takt dazu und wiegte mit dem Graukopf. Die ganze Stube war voll von Tänzern, sie strampften mit den Füßen, klatschten mit den Händen, schnalzten mit der Zunge, jauchzten und drehten ihre Weibsbilder, daß die Röcke flogen, und all das in behaglich mäßigem Takte der Zither.

Plötzlich brach der Natz mitten im Reigen das Spiel ab. Des Wirtes dreijähriges Töchterl war er ansichtig geworden, das an der Tür stehend, den Finger im Munde mit weit aufgespannten Augen dem Treiben zuschaute.

»So geh' her!« schmunzelte ihr der Natz zu, »geh' her da zu mir, Dirndel!«

Die Kleine ließ sich nicht lange locken, sie kannte den Mann recht wohl, der ihr erst vor kurzem die Kinderpuppe namens Mitzerl geschenkt hatte, sie lief zwischen den Tänzern zu ihm hin, und er hob sie auf seine Knie.

»Was will das bedeuten?« fragte der Waldmeister erbost über das so willkürlich abgebrochene Spiel. »Wir wollen tanzen!«

»Nur Zeit lassen, schön Zeit lassen«, antwortete der Natz gutmütig, »wir werden es schon machen. Zwei richten mehr aus, wie eins. Gelt, Dirndel?«

Er spielte wieder; auch die Kleine tastete gleichzeitig mit ihren runden Fingerchen auf den Saiten herum, daß es eine recht ungefüge Harmonie gab.

Der Waldmeister tat ärgerlich einen Fluch und verließ den Tanzboden.

»Da hat das Kind wieder einmal den Teufel verjagt«, lachte der Steppenwirt und trug auf der Blechtasse des Waldmeisters Wein hinaus an den Lindentisch, wo sich selbiger niedergelassen hatte. Dort am Tische saß auch der Sepp in der Grub, der Zwieselbaumer, der Waldstuber und der alte Sandler.

Der Sandler kauerte schier armselig da, selbst beim Sitzen noch die Hände auf den Stock stützend, den er zwischen den Beinen auf den Boden stemmte. Eine Hand war mit Lappen umwickelt, denn die Gicht will warm haben, sonst hebt sie an zu zwicken. Das Haupt hielt er scharf nach vorwärts gespannt, denn er war etwas »großhörig«, wie zu Altenmoos die Schwerhörigkeit so stattlich benannt wird. An seinen Beisitzern war nicht die Schuld, wenn er manchmal etwas uneben verstand, sie schrien in ihn hinein, »wie in ein taubes Roß«. Sie waren just daran, ihren lieben Nachbar zu seinem Glücke zu drängen; er sagte wenig dazu, schüttelte aber bisweilen ein bißchen den Kopf. Ja, das Glück wäre schon recht, aber wer weiß, ob's nicht ein falsches ist. Und ein falsches Glück ist ein echtes Unglück.

Der Sepp wendete sein Haupt nach dem Wege hin, denn dort ging jetzt der Reuthofer heran. Der Jakob kehrte erst von Sandeben zurück, wo er in der Kirche gewesen war, und tat nichts desgleichen, als ob er beim Steppenwirt einkehren wollte. Er war seit einiger Zeit ernster und verschlossener als sonst. Das Unglück mit dem Knaben... Es möchte ihm eine Aufheiterung bei Wein und Kameraden nicht schaden. Der Sepp winkte ihm über die Planke, er solle doch nicht gar so stolz vorbeigehen. Ob er denn nicht durstig geworden sei von Sandeben her?

»Seit zwei Stunden gehe ich neben dem Wasser«, entgegnete der Jakob.

Der Sepp und der Waldstuber gingen hinaus. »Jakob«, sagten sie, »das darfst uns nicht antun, daß du uns abspenstig wärest an diesem Tag. Wir haben gut Nachbarschaft miteinander gehalten, wir wollen als gute Kameraden auseinandergehen. Einen Krug Wein mußt du heute wohl mit uns trinken, das geht nicht anders. Wer weiß, wann wir wieder einmal zusammenkommen. So jung nimmer wie heut'. Auf dich haben wir alleweil was gehalten, Jakob. Schade, daß du nicht mit uns gehst in die schöne Welt hinaus. Aber ins Wirtshaus geh' mit uns. Geh', komm!«

Sie nahmen ihn am Arm, er ging willenlos mit ihnen. Feindselig wollte er nicht sein, er ging mit ihnen.

Am Lindentisch, wo auch der Waldmeister jetzt bei den Bauern saß, ließen sie sich nieder. Der Waldmeister hatte eben den alten Sandler in der Arbeit und redete ihm halb ernsthaft, halb hänselnd zu von wegen Verkauf des Sandlerhofes. Zum Glück verstand der Gebirgsbauer das Deutsch nicht recht, das der Pole in der Absicht, die Bauernmundart nachzuahmen, hier vorbrachte. »Dös Bauern müsset wohl dö Sache halt überlegen. I bitt' Ihnen, da gibt's nix nit zum Überlegen nit, alsdann! Halt lieber am Hungertuch nagen, wie altes Gerümpel verkafen. Nit? Wann's halt dös Bauern amal g'scheit werd's! Dö alten Kaloppen! San halt eh' nix wert. Fort damit!« – An die Umsitzenden wandte er sich, daß sie es bestätigten.

Tat jetzt der Jakob den Mund auf und sagte: »Wenn unsereiner so allein des Weges geht, da fällt einem allerhand ein. Ist mir voreh' das Kruziloch eingefallen, ihr kennt es ja?«

»Oben auf der Höh', vom Freisingtal herüber«, bemerkte der Waldstuber. »Die Höhlen soll neuzeit stark verfallen sein, kann keiner mehr durch.«

»Ist vor Wochen ein Herr aus Wien dagewest«, erzählte der Steppenwirt, »muß so ein Löchersucher sein gewest, hat alten Höhlen nachgefragt. Ja, sag' ich, das Kruziloch, wenn's dem Herrn nicht zu finster ist. Geht hinauf und wie er wieder zurückkommt, ist er voller Freud', und er hätt' was gefunden. Zum wenigsten, denk' ich, ein Trum Gold. Ist aber nichts, als so ein grauer Stein gewest, das weiß ich. Er sagt, er hätt' eine Steinsammlung. Die haben wir Altenmooser auch, sag' ich. Nur nit in der Blasen!«

»Vor Zeiten soll von der Krebsau herüber der Fußsteig durch das Kruziloch gegangen sein«, sagte der Sepp. »Zehn Minuten lang hat man durch die Höhle gebraucht und hat eine Stunde Weg abgekürzt.«

»Ist mir eingefallen unterwegs«, fuhr der Jakob fort, »daß – wie die Pest in der Sandeben ist gewesen, die Leut' eine Bittprozession ins Kruziloch haben gemacht. Mitten drin soll ja ein Tropfstein stehen, wie ein Muttergottesbild anzuschauen. Davor ist eine Mess' gelesen worden. Die Pest hat nachher aufgehört. So hab' ich mir gedacht, jetzt kunnten wir auch wieder eine Prozession ins Kruziloch machen.«

»Habt's ihr auch die Pest?« fragte der Waldmeister spöttisch.

»Leider Gottes, ja«, antwortete der Jakob ernsthaft. »Arg grassiert sie, es vergeht kein Tag mehr, ohne daß sie einen hinwegrafft. Wenn es so fortgeht, ist Altenmoos bald eine menschenleere Wildnis. Heut' ist in diesem Wirtshaus ein Totenfest.«

»Daß sich der Reuthofer vor Ansteckung nicht fürchtet!« bemerkte der Waldmeister.

»Mir wird die Auswanderungspest nicht gefährlich«, sagte der Jakob. »Dem Nachbar Sandler hingegen möchte ich schier raten, daß er sich davonmachen soll.«

»Für einen solchen Rat wollte ich mich bedanken«, darauf wieder der Waldmeister. »Wenn ich das Glück habe, mir etwas zu verbessern und so ein guter Nachbar möchte mich davon abhalten! Ist's ein Wunder? Jeder denkt auf sich selber, und weil der eine seinen Besitz nicht anbringt, so will er halt auch dem anderen daran hinderlich sein. Ich glaube es wohl, daß ihm die Weile lang werden wird – als Einsiedler in Altenmoos.«

Der Jakob hatte die Faust auf den Tisch gelegt, klopfte mit den Fingerrippen etlichemal auf das Brett; zwei-, dreimal hob sich die Faust, legte sich aber wieder zurück, und der Jakob schwieg.

Der Waldstuber und der Zwieselbaumer hatten sich dem alten Sandler zugewendet und stellten ihm vor, wie es nun werden müsse in Altenmoos und mit dem Sandlerhause. – Die Nachbarn haben verkauft. Die Bauern in dieser Gegend sind aber auf gegenseitiges Zusammenhalten angewiesen. Die Leute weniger. Auch kaum Dienstboten mehr. Alles weiß sich draußen besseren Erwerb, und der Mensch will von der Welt was haben. Die Wege werden verwildern, der einzelne kann sie nicht imstand halten. Auf den brachliegenden Feldern wird Wald wachsen, im Walde Wild, das frißt den Einödbauer auf. Da ist kein Bestehen. Der Hof schützt auch nicht mehr vor dem Soldatenleben. Das neue Gesetz! Wenn der Sandler einen Haufen Kinder hätte, die den Heimgang ins Elternhaus haben wollten. Ja. Aber das ist nicht. Der einzige Sebast. Und der lebe hundertmal besser draußen mit Bargeld. Und was würde es dem Alten wohltun, nicht allemal, wenn er eine Kirchenglocke hören will, den weiten Weg machen zu müssen! Beim Treidler in Sandeben ist ein Stübel zu haben, vor dem Fenster die Kirche, untenauf der Weinkeller. Für einen mühseligen Menschen ist das was wert. Das Glück meldet sich selten zu Altenmoos, aber wenn es sich meldet, da sollt' man's nicht mit dem Fuße von sich stoßen.

Während die Bauern als Auswanderer so sprachen, hielt der Waldmeister die dreitausend Gulden bereit auf dem Tisch. Der alte Sandler zitterte eine Weile mit dem Haupt, mit der Hand, dann schlug er ein. Sein Haus war verkauft.

»Also wieder eine Leiche!« rief der Waldmeister und schlug dem Reuthofer höhnend die Hand auf die Achsel.

»Laß mich in Fried', Aasgeier!« gab der empörte Bauer zurück.

»Und jetzt, Jakob!« rief der Sepp in der Grub lachend, »jetzt schlag' auch du los. Schlag' los, es geht auf eins!«

»Und der Aasgeier«, setzte der Waldmeister bei, »legt dir bare viertausend Gulden auf die Hand.«

»Wofür?« fragte der Jakob.

»Für den Reuthof.«

»Für den Reuthof?« sagte der Jakob, »der ist nie mehr als an zweitausend Gulden wert gewesen. Oder wäre das Geld für mein und meiner Familie Heimatshaus? Das ist mit Geld nicht zu bezahlen. – Heute«, so fuhr er fort, ernst, aber ganz ruhig, »heute habe ich nachgeschlagen draußen im Pfarrbuch. Das Pfarrbuch ist vor dreihundertundsechzig Jahren angelegt worden, und dazumal ist schon von den Steinreutern die Rede gewesen, die auf dem Reuthof in Altenmoos gehaust haben. Noch ältere von diesem Stamm werden auf dem Grund die Steine ausgereutet haben, und davon wird – so meint auch der Pfarrer – der Name Steinreuter herrühren. Von den neun Steinreutern, die im Pfarrbuche stehen, ist, so viel ich weiß, keiner reich gewesen und keiner arm. Einmal ist der Reuthof niedergebrannt, die Steinreuter haben auf Gott vertraut und ihn wieder aufgebaut. Oft hat uns der Hagel die Feldfrucht vernichtet und das wilde Wasser die Wiesen mit Steinen überschüttet, die Steinreuter haben gearbeitet und Mut gehabt. Sie sind dem Unglück nicht ausgewichen und nicht entgegengegangen; sie sind ihm gestanden, wie der Tannenbaum dem Sturm, möcht' ich sagen. Die Kinder sind beim Haus verblieben oder haben an andere Höfe geheiratet, ich habe von keinem gehört, das nicht rechtschaffen gewesen wäre. Nur von meinem Großvater ein Bruder, der ist Soldat geworden, ist nachher geflüchtet, hat oben im Felsloch gehaust, ist wieder eingefangen und zu tot geschlagen worden. Sonst haben fast alle ein langes Leben gehabt. Freiwillig fortgehen, in die Fremde gehen, gar ein Herr werden, das ist im Reuthof, so lang' er steht, nicht gedacht worden.«

»So magst jetzt du dran denken«, sagte der Zwieselbaumer.

»Wir sind ein Bauernstamm«, fuhr der Jakob fort, und seine Stimme hob sich und zitterte ein wenig. »Wir hören vielleicht einmal etwas läuten von Reichtum und Herrlichkeit draußen in der weiten Welt. Wir gönnen es jedem, der dran glücklich wird. Wir brauchen es nicht. Wir haben nie davon geredet, aber jetzt – jetzt müssen wir davon reden, weil sie die Heimat und die Fremde zueinander wägen. Ich tu's nicht. Wie soll ich die Erdscholle und die Wolke miteinander wägen? – Es gehen Häuserschächer um, und ihr verkauft den Boden, auf dem ihr steht. Nachbarn! Wenn sich die Welt zerstört, so fängt es an. Die Menschen werden zuerst treulos gegen die Heimat, treulos gegen die Vorfahren, treulos gegen das Vaterland. Sie werden treulos gegen die guten alten Sitten, gegen den Nächsten, gegen das Weib und gegen das Kind. Sonst ist das Kind in der Heimat geboren worden, hat in der Heimat seine Jugendzeit verlebt, ihr setzt es in die Fremde, auf Sand.«

»Natürlich«, bemerkte nun der Waldmeister, »wer von dem großen deutschen Vaterland noch nichts gehört hat, der ist freilich fremd, sobald er aus seiner Wiege steigt.«

»Großes deutsches Vaterland!« sagte Jakob, »ein gutes Schlagwort für die Bauernabtrenner, und schon gar, wenn sie aus Polen kommen. Ich aber sage: Wo keine Liebe zur festständigen Heimat ist, da ist auch keine zum Vaterland. Ein Blatt, das vom Baume gerissen ist, flattert noch eine Weile raschelnd im Herbstwind hin und her, ehe es sinkt und verwest. Jetzt ist so ein Wind gekommen, Nachbarn! Ihr raschelt, aber ihr werdet nimmer grün. Ihr seid feige, lauft dem Bauernstand davon, weil er hart und ernsthaft ist. Ihr seid hoffärtig, und weil euch der Wind trägt, so glaubt ihr, ihr wäret Vögel und könntet fliegen.«

»Lieber Vögel als Maulwürfe!« schrie einer drein.

»Der Maulwurf ist ein nützliches Tier«, sagte der Jakob, »wenn er aber Flügel haben und eine Lerche sein wolle! Pfui Teufel!«

»Schön kann er predigen«, lachte der Waldmeister.

»Wenn ein Abschiedsfest ist, meine Herren, so muß auch eine Abschiedsrede sein«, sprach der Jakob, nun halb launig, »sie ist gehalten. Ihr seid draußen, ich mache die Tür zu. Helf' euch Gott!«

Eine Handbewegung machte er noch, als ob er die ganze Festgesellschaft mitsamt dem Steppenwirtshaus von sich schieben wollte, dann ging er davon. Wie tief erregt er war, im Herzensgrunde aufgewühlt!

Die Leute, so am Tische saßen oder durch die leidenschaftlichen Worte des Jakob herbeigezogen umherstanden, schauten sich mit verblüfften Gesichtern an. Was da gesagt worden, war eigentlich doch merkwürdig, und wer es gesagt – das war's noch mehr. So hatte den stillen freundlichen Jakob keiner gekannt!

Der alte Sandler, der vorhin mit geneigtem Haupte dem Jakob zugehört hatte, ergriff jetzt den Arm des Oberförsters und sagte: »Bedenken muß ich's doch erst, Waldmeister, und meinen Buben fragen.«

»Was willst bedenken?«

»Des Hausverkaufens wegen. Bedenken.«

»Aber Sandler!« riefen jetzt mehrere zugleich, »der Kauf ist ja abgeschlossen.«

»Die Herren sind Zeugen!« sprach der Waldmeister auf die Bauern deutend, »und das Geld hast im Sack.«

Der Alte sagte nichts mehr, sondern saß, noch tiefer zusammengekauert, reglos unter der Linde.

Im Hause klang die Zither, johlten die Tanzenden, die Trinkenden, schrillte das Anstoßen der Gläser. Wohl auch dem Sandler zu Ehren galt jetzt das Freudenfest – aber er saß wie leblos dort, und auf seiner Stirne standen kalte Tropfen.

»'s ist ihm halt aufgesetzt gewesen!« würde der Wegerer gesagt haben. Der Wirt kam mit frischem Wein und sprach: »Den schickt dir der liebe Herrgott, weil du brav bist gewest!«

Der alte Sandler trank nicht, er hinkte davon.


 << zurück weiter >>