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In Altenmoos begann sich sachte manches zu ändern. Früher hatten die Bauern im Sommer ihre Herden – für die auf den eigenen Grundstücken zu wenig Futter wuchs – gegen mäßiges Entgelt auf die Hochweiden der angrenzenden Großgrundbesitzer getrieben, besonders auf die Rabensteiner Almen. Es war altes Herkommen, das sowohl den Hochweidbesitzern, als auch deren Pächtern, den Bauern, zugute kam. Seit einiger Zeit war das abgestellt worden, der Waldkulturen wegen, wie es hieß. Der Oberförster, Oberjäger und Waldmeister Ladislaus war aber zu leidenschaftlich, um lange ein Hehl daraus zu machen, daß den Bauern die Viehweiden nicht der Waldkulturen, sondern der Wildhegung wegen versagt wurden. Man rechnete so: Bekommen die Bauern von uns die Almweiden nicht, so können sie nicht Viehzucht betreiben, wirtschaften ab, müssen uns gut oder übel ihre Güteln verkaufen, und Herr im Lande ist der Hase und der Hirsch, die wieder unserem Vergnügen dienen. Zur Hälfte betreibt man's, zur Hälfte geht's selber. Der Bauer war von jeher ein Feind des Wildes, der Bauer muß ausgerottet werden.
Mit solchen Gedanken und Plänen ging der Ladislaus um. Ging um in der Gegend in Sachen seines »gnädigen Herrn«, des Kampelherrn, und daß er sehe, was schon reif war zum Abfallen und was noch gesengt und gerüttelt werden mußte.
In denselben Tagen war's, daß er und der Bauer Dreisam zu Altenmoos aneinander gerieten.
Der Waldmeister war mit der Herrschaft Rabenberg käuflich an den Kampelherrn übergangen, er hörte seither nur mehr auf den Titel: Herr Oberförster.
Der Dreisam arbeitete an seinem Waldrain, wo er dran war, mit der Haue den zähen Rasen umzukehren, dem man mit dem Pfluge hier nicht beikonnte und der doch auch als Kornacker urbar gemacht werden sollte. Der Dreisam hatte eine große Glatze, dafür aber einen sehr langen flachsfalben Bart, der schier bis an den Gürtel hinabhing. Damit dieser Bart beim Rasenumgraben nicht hindern konnte, so steckte er ihn am Halse hinter den braunen Brustfleck hinab.
Da kam der Waldmeister gegangen.
»Ihr Altenmooser Bauern seid Trotteln!« mit diesem schönen Wort grüßte er den arbeitenden Mann.
»Auch so viel, Herr Waldmeister!« dankte der Dreisam. »Gescheiter wäre es freilich, alleweil im Feiertag umzugehen mit der Büchsen und sich das Futter von anderen Leuten bringen zu lassen, als selber sein Brot mit harter Müh' aus dem Boden zu graben.«
»Korn bauen, das ist dumm«, belehrte der Waldmeister, »seit durchs Land draußen die Eisenbahn geht, könnt ihr Bergbauern im Getreidebau mit den Ungarn und Kroaten nicht mehr konkurrieren.«
»Die Kroaten wollen wir auch nicht kurieren«, verdrehte der Dreisam, wir wollen unseren Magen kurieren.«
»Viehzucht!« rief der Waldmann, »Viehzucht müßt Ihr betreiben.«
»Ja, und Ihr versagt uns dafür die Hochweiden!«
»Den Pflug in Scherben schlagen. Das Korn kaufen. Brauchst keine Dienstboten. Das Gras wächst von selber auf dem Boden.«
»Schau«, meinte der Bauer so halb für sich und stützte sich breit auf seinen Haustiel, »das wissen meine Ochsen besser wie der Herr Waldmeister. Die Ochsen wollen kein Gras fressen von einer Trift, die jahraus, jahrein nicht umgebrochen wird mit dem Pflug, und nicht manchmal Hafer oder Korn darauf angebaut. Die Ochsen sagen, so ein Ödgartgras wäre sauer und voller Moos. Nun, dem Herrn schmeckt's vielleicht besser.«
»Mein lieber Bauer«, entgegnete der Waldmeister nun in sehr höflicher, aber sehr überlegener Weise, »wenn Ihr über Landwirtschaft mit mir reden wollt, da müßt Ihr ein wenig weiter in der Welt herumgekommen sein, als von Altenmoos bis Sandeben. Ein wenig weiter, mein lieber Bauer!«
»Glaub's schon«, sagte der Dreisam, »daß der Herr recht weit gelaufen ist.«
»Gott sei Dank, ja. Ich bin an einem einzigen Tag weiter gekommen, als so ein Waldbauer sein Leben lang springt!« Dachte bei sich der Dreisam: Mit dem ernsthaft zu streiten, ist mir zu dumm. Er schaukelte sich auf seinem Haustiel und warf plötzlich das Wort hin: »Weiter, als der Herr Waldmeister an einem Tag laufen kann, weiter ist mein Bart schon gewachsen.« Er riß den langen Bart aus dem Brustfleck hervor.
Wie das gemeint sei?
»Nicht schlecht. Wetten wir eins miteinander, Herr, mein Bart ist länger gewachsen, als er an einem Tag laufen kann!«
»Ist ein Unsinn!« sagte der Waldmeister.
»Gilt's?« rief der Bauer. »Abgemacht. Am Sonntag beim Steppenwirt unten messen wir. Mit Zeugenschaft, Herr Waldmeister! Zehn Maß Unterländer, wenn's dem Herrn nicht zu viel ist?«
»Zwanzig Maß!« schrie der Waldmeister, »abgezapft muß er einmal werden, Euer Übermut.«
»Vielleicht zapfen wir auf dreißig Maß«, meinte der Dreisam.
»Gut, auf dreißig! Sehrrr gut!« schnarrte der Oberförster. »Am nächsten Sonntag beim Steppenwirt. Und jetzt adieu, Bauer. Es tut mir eigentlich leid.«
»Was tut ihm?« fragt der Dreisam.
»Leid tut es mir, daß ich das Geld wieder davontrage, welches ich für Euch im Sack hab'. Vielleicht mag's der Nachbar Reuthofer.«
»Ja, ist schon recht«, sagte der Bauer und grub emsig weiter.
Der Oberförster ging davon. Fast unmutig packte er einen Fichtenbaum, schüttelte ihn, daß dürre Zapfen herabfielen und knirschte: »So muß man es schütteln, dieses Altenmoos. Was reif ist, fällt, was heut' nicht fällt, fällt morgen. Fest anpacken.« – Er ging gegen den Reuthof.
Der Jakob war eben dabei, seinen Angerzaun, der das Gehöfte umfriedete, auszubessern. Er trieb frische Stecken je zu zweien in den Boden, legte lange Querstangen dazwischen und befestigte sie mit Weidenbändern. Er rüttelte nun an einem solchen Steckenpaar und sagte: »Halten mußt!« Da stand der Waldmeister vor ihm.
Dieser reichte ihm sogleich biedermännisch die Hand, in die der Jakob die seine ohne viel Gegendruck legte.
Zaun machen, das könne der Reuthofer, lobte der Oberförster, indem auch er einmal und mit Kennermiene an den Stecken rüttelte. Und er denke, der Reuthofer würde auch in anderen Stücken klüger sein, als manch' anderer Altenmoos-Bauer.
»Ja«, sagte der Jakob, »ich will's probieren und gleich die Gelegenheit beim Schopf packen.«
»Recht hast«, entgegnete der Waldmeister rasch und griff nach seiner Geldtasche.
»Ah na«, sagte der Jakob abwehrend, »zahlen werd' schier ich müssen. Um die Viehweide auf der Breitalm, wenn ich wieder bitten dürfte.«
»Mit dem besten Willen nicht, Reuthofer«, beschied der Waldmeister. »Es ist unglaublich, was die Viecher den jungen Baumpflanzungen schaden.«
»Ich treibe ja keine Ziegen und keine Schafe hinauf«, sagte der Jakob, »und die Rinder rühren kein Bäumel an, wenn sie Gras haben. Ehrlich sein, Herr Waldmeister. Er hat's ja selber schon gesagt, daß wir der Hirschen wegen abgewiesen werden.«
»Nun, wenn du's weißt, wozu noch anfragen?« lachte der Oberförster. »Es ist so, die Ochsen sprengen uns den ganzen Wildstand. Können nichts mehr verstatten. Sei klüger, Steinreuter, wie dein Nachbar, der Dreisam, der Narr hat mich mit dem Gelde wieder davongehen lassen. Mußt wissen, ich habe Geld bei mir!«
Er solle es nicht verlieren, meinte der Jakob.
Ob er es nicht da lassen dürfte? fragte der Waldmeister.
»Bedank' mich schön«, sagte der Jakob, »wir brauchen kein's.«
Der Waldmeister stutzte. Er begriff nicht, wie auf der weiten Welt ein Mensch leben könne, der kein Geld braucht. Ja nicht einmal welches haben wolle! Das müsse doch schon eine ganz verkommene Kreatur sein.
Für den Kampelherrn gehe er um, erklärte der Förster. Vorhin sei er auch beim Klachel-Bauer gewesen. Der sei ein kluges Köpfel, der Klachel, und verstehe seinen Vorteil. Dem habe er das Haus abgekauft.
»Der Reuthof ist nicht feil. Behüt' Gott!« Mit diesen Worten des Jakob war der Mann abgefertigt, der nun kopfschüttelnd wieder seines Weges ging. Ging diesmal aber nicht weit, ging nur ins Haus hinein, wo Maria, die Bäuerin, am Herde stand und das Mittagsmahl kochte. Zum Vorwand nahm er, daß er am Herd eine Zigarre anbrennen wolle, sagte hierauf der Bäuerin einige Artigkeiten über ihr junges gesundes Aussehen. Es wäre erstaunlich, schon so große Kinder und noch so glatt beisammen! Na, draußen auf der Ebene erst, wenn sie von harter Arbeit frei wäre und sich nichts abgehen lassen müsse, da würde sie erst sehen! – Sie, die Frau, würde diesmal hoffentlich vernünftiger sein als der Mann, der sich eben einmal in den steinigen Boden hinein verbissen habe. Der Jakob würde sich noch alle Zähne ausreißen, und es sei schade drum.
»Bei so was red' ich nichts drein«, sagte die Maria, »er wird schon selber wissen, was ihm taugt oder nicht.«
Es seien andere Zeiten, fuhr der Waldmeister unbeirrt fort, Vieh und Hafer werde von Tag zu Tag billiger, Holz habe gar keinen Preis, besonders nicht im entlegenen Altenmoos, die Dienstboten seien kostspieliger und ungebärdiger als je. Früher habe Haus und Grund den Besitzer von dem Soldatenleben befreit, das sei nicht mehr. Früher habe ein Bauerngut beisammenbleiben müssen und hätten die Kinder des Hauses ihr Lebtag daran ein Heim gehabt; heute dürfe jedes Bauerngut zerrissen werden, wie man einen Papierwisch zerreißt, der nichts mehr gilt. Dazu die hohen Steuern, und wer sie rechtzeitig nicht zahlen könne, dem lasse der Staat das Haus verganten ohne Barmherzigkeit. Früher sei der Bauernstand ein Ehrenstand gewesen, heute mache sich über den Bauern jedermann lustig, weil er ja wahrhaftig ein Tor wär', wenn er es nicht einsehe, daß für ihn die Zeit aus ist.
Wenn der Reuthofer – fuhr der Waldmeister in seinen Auseinandersetzungen fort – sein Gütl verkaufe, so könne er das Geld in die Sparkasse oder auf Wertpapiere anlegen und davon alle Jahre seine Fexung machen ohne Müh' und Sorge. Wolle er sich nebenbei 'was erwerben oder wollen es die Kinder, so stünden Eisenwerke und hundert Fabriken in der Welt, wo der Mensch glänzenden Verdienst finde. Der Kampelherr meine es nur gut mit den Leuten und gebe ihnen Gelegenheit, das Glück zu ergreifen. Er wolle einen größeren Fleck beisammen haben und zahle die Häuser besser als gut. Das möge sie – die brave Frau – ihrem Manne begreiflich machen. Komme der Kauf zustande, so lege er, der Oberförster, ihr extra zehn nagelneue Dukaten auf die Hand.
»Sagen will ich ihm's schon«, entgegnete die Maria, »aber bestechen laß ich mich nicht.«
Damit war der Oberförster auch hier fertig. Überlaut ein munteres Liedel pfeifend, insgeheim über den »dummen Bauernstolz« knirschend, so ging er von hinnen.
Als er hinter dem Gehöfte am Moosbarren vorüberschritt, hörte er sich rufen. Aus der Fensterluke schaute ein schöner, aber verwilderter Knabenkopf.
»Lieber Herr Waldmeister!« rief der, »lasse mich aus. Sie haben mich dahier eingesperrt!«
Der Oberförster blieb stehen. »Was?« fragte er, »eingesperrt? Was hast du nur angestellt?«
»Fort will ich. Bleiben will ich nicht mehr in diesem Altenmoos. Die Welt will ich sehen. Deswegen haben sie mich eingesperrt. Geh', laß mich aus!«
»Da hört sich doch alles auf!« murmelte der Waldmeister. »Die Jugend versteht ihre Zeit. Mit Gewalt aber wird sie gefangen gehalten in Gebirgswinkeln. Mit Gewalt! Alsdann bleibt sie freilich hocken und rostet ein. Und das nennen sie Heimatsliebe! Hundsfötter sind's! – Bist du dem Reuthofer sein Sohn, Kleiner? Gut ist's. Ich will den Kerl so lange würgen, bis er dich ausläßt.«
»Mein Vater ist kein Kerl, und dem wirst du nichts tun!« rief der Knabe, »auslassen sollst mich.«
»Habe ich den Schlüssel?«
»Geh' nur um die Ecke herum, dort ist die Tür. Die ist auswendig mit einer Kette angehängt. Die Kette mußt du abhakeln, sonst hast du nichts zu tun.«
Der Waldmeister kam dem Auftrage nach, wie ein Knecht dem Befehl des Herrn. Als er das Kettlein losgehakelt hatte, wurde die Tür von innen aufgerissen, der Knabe fuhr heraus, rannte dem Oberförster den Kopf an die Beine und lief gegen den Wald hin.
Der Herr Oberförster-Oberjäger-Waldmeister war durch den plötzlichen, so unvorhergesehenen Anprall zu Boden gestürzt. Als er sich fluchend erhob, um den wilden Knaben zu züchtigen, war dieser freilich schon verschwunden in den Strüppen des Abhanges.
Übrigens ward dem Manne für die Unbill, die er an diesem Tage von den Altenmooser Leuten erfuhr, eine Genugtuung, noch bevor die Sonne überging. Er war ärgerlich seinen Wäldern zugeeilt und seinen Rehböcken, Hirschen und Auerhähnen. Die lieben Tiere, die sich so brav hegen, jagen und totschießen lassen! »Und diese kreuzverwindierten Bauern wollen hocken bleiben in den Waldbergen und möchten leben. Wollte man so einem einmal seinen Laufpaß auf den Buckel brennen, was das für ein Geschrei wäre! Wollte nur ich einmal ein Gesetz machen! Ausgepeitscht müßt' es werden, das ganze Bauerngesindel, aus der Gegend, wenn's nicht freiwillig ginge! Bauernwirtschaften! Das könnt' mir einfallen! Wie soll da der Wildstand aufkommen! Kostet ohnehin genug. Anstatt Hirschen – Ochsen, anstatt Jäger – Wildschützen! Das wäre sauber! Glauben denn diese Poppel, der Herrgott hat die Welt für die Bauern erschaffen? Das wollen wir ihnen anders beweisen, Gott sei Dank!«
Solche Gedanken der Entrüstung wurden unterbrochen durch ein Geschrei, das aus dem Waldstuberhäusel drang, an dem der Waldmeister eben vorübergehen wollte.
Die Waldstuberleute bestanden in acht Personen, welche auf dem kaum zwanzig Joch großen Gütel leben mußten. Da war der Waldstuber und sein Weib, so viel als der Altknecht und die Altmagd, da waren die zwei ältesten Kinder, die schon Jungknecht und Jungmagd abgeben mußten. Das dritte, ein achtjähriges Mädchen, hegte und pflegte die drei jüngsten Kinder, welche im Waldstuberhäusel so recht die Herrschaft spielten, die alles umsonst hatten und tun konnten, was sie wollten.
Die Waldstuberleute hatten kein gutes Jahr gehabt. Ihre Äcker, die hoch auf dem Berge am Waldrande lagen, waren dem frühen und späten Schnee und dem Hirschenhunger ausgesetzt. Die Kartoffeln, die von solchen Plagen über der Erde geschützt waren, verfielen unter derselben der faulenden Krankheit, der Kohl wurde auf dem Stengel von den Würmern gefressen. Da die Kinder keine Schuhe hatten, so liefen sie barfuß umher draußen im nassen oder bereiften Grase, sie wurden krank, und der Arzt kostete mehr, als die Schuhe gekostet hätten. Die Sache aber war die: der Schuster konnte nicht borgen, der Arzt gab die Medizinen ohne Geld, schickte aber nach Verlauf des Jahres einen drohenden, Zahlung heischenden Brief.
So war viele Bekümmernis im Waldstuberhäusel, aber nun konnte es besser werden. Die junge Feldfrucht stand sehr hoffnungsvoll, die Kinder waren wieder frisch und munter, und ein Holzkohlengeschäft hatte einen größeren Geldbetrag abgeworfen, den zu holen der Waldstuber eben in Sandeben gewesen war. Froh gestimmt kam er heim, brachte den Kindern Wecken mit und dem Weibe ein Glas Wein mit Zucker und zeigte ihr schmunzelnd auch die mit Fünfguldenscheinen gespickte Brieftasche, welche Scheine nun alle Sorgen dämpfen sollten. Es waren nicht weniger als vierzig Gulden darin. Vor Vergnügen knickte der Waldstuber seine Knie ein und duckte sich zusammen, so daß der ohnehin kleine Mann noch kleiner wurde.
Zur selben Stunde trat ein halb »herrisch gewandeter« Mann in die Stube. Als der Waldstuber ihn sah, fühlte er urplötzlich eine Herzbeklemmung, denn für den Bauer ist es nie ein gutes Zeichen, wenn ein »Herr« in sein Haus tritt.
Der Fremde grüßte kühl, zog den grauen Hut vom Kopf und trocknete sich mit dem Taschentuch die Stirne, weil ihm heiß geworden war den Berg herauf. Es war im ganzen Wesen des Mannes etwas wie ein Vorwurf gegen die Waldstuberleute, dererwegen er an diesem Tage so sehr in Schweiß geraten war. Es währte gar nicht lange, so zog er einen Papierpack aus dem Sacke und löste von ihm mit kundigen Fingern einen grauen, länglich gefalzten Bogen.
»Michael Waldstuber, nicht wahr?« fragte der Fremde leichthin, man wußte aber nicht, fragte er den Genannten oder den Papierbogen. »Für den Waldstuber habe ich etwas.«
»So«, antwortete der Waldstuber, »wär' mir schon recht, wenn ich was tät' kriegen.«
Die Kinder, die auf dem Fletz umherkrochen, machten lange Krägen auf den Tisch hin. Die Bäuerin ging in die Küche hinaus, sie ahnte schon, was da kommen würde.
»Da, leset!« der Fremde überreichte den Bogen.
»Oh, zum Lesen was«, sagte der Waldstuber, »ich kann nicht lesen.«
»So! na, das ist ja wieder einmal recht erfreulich.«
»Mein Vater hat immer gesagt, der Bauer kriegt nicht viel Schönes zum Lesen, er soll's lieber gar nicht lernen.«
»Steuerrückstände!« brummte der fremde Herr, denn es war der Steuerbote aus Krebsau.
»Hab' mir's gedacht«, murmelte der Bauer, »hab' mir's eh' gleich gedacht. – Wie viel denn?«
»Fünfundzwanzig Gulden dreiundneunzig Kreuzer.«
»Oh, wieso denn?« fuhr der Bauer erschrocken auf.
»Und fünfzehn Gulden einundfünfzig Kreuzer Zuschläge.«
»Ei, doch nicht, doch nicht!« rief der Bauer entsetzt.
»Macht zusammen einundvierzig Gulden vierundvierzig Kreuzer, welcher Betrag binnen drei Tagen bei sonstiger Pfändung im Steueramt zu bezahlen ist.«
Der Waldstuber schwieg, ging aber mit über den Rücken gelegten Armen rasch die enge Stube auf und ab, einmal das eine, einmal das andere Kind mit den Füßen von sich stoßend.
»Himmelgottverflucht!« stieß er plötzlich hervor und begann ein schauderhaftes Schelten und Wettern gegen die Bauernabtrenner und besonders gegen den Steuerboten, der manches scharfe Wort schon gewohnt, verblüfft stillschwieg und zuhörte.
»Kann ich dafür?« sagte er endlich. »Glaubt ihr, es ist mir ein Vergnügen, zu den Nestern im Gebirg herumzuklettern und Grobheiten einzustecken? Ich habe Kinder daheim, wie ihr, aber schaut sie einmal an, ob sie so gesund und vollwangig sind, wie die Euren. Wir vom Amt sind dieselben armen Teufel, wie Ihr, oder ärmer! ärmer! Die Boshaften von uns haben wenigstens den Trost, daß sie andere ums Geld bringen können.«
»Höllvermaledeite Zustände das!« schrie der Waldstuber, und sein Haar sträubte sich auf, und seine Wangen waren erdfahl, »ich hab' das Geld nicht. Ich muß Mehl kaufen, daß wir was zu essen haben, den Kindern Gewand kaufen, den Arzt bezahlen, das Steueramt soll warten. – Ich laß bitten!« setzte er kleinlaut bei.
Der Bote schüttelte die Achseln. »Nichts zu machen«, sagte er, »der Kloiber-Franz in Sandeben hat auch so geredet, just so, ist gestern vergantet worden.«
Der Bauer schlug zum Boten gewendet die Hände zusammen und rief: »Seid Ihr denn nicht auch Menschen?«
»Wieso?« fragte der Steuerbote. »Wir sind Staatsbeamte.«
»Und der Staat?«
»– ist kein Mensch.
»Der Teufel hol's!« schrie der Bauer.
In diesem Augenblicke trat der Waldmeister Ladislaus ein, um zu sehen, worüber denn hier so scharf gestritten würde. Als er die Sache begriff, und er begriff sie bald, sagte er lächelnd zum Waldstuber: »Du mußt heute andächtig zu deinem Schutzengel gebetet haben.«
»Warum das wieder?« fuhr der Bauer, der sich gehöhnt glaubte, drein.
»Weil er dir einen Retter schickt zu rechter Zeit«, sagte der Waldmeister, und hielt ihm seine Brieftasche hin: »Da drinnen sind deine fünfhundert Gulden.«
Der Bauer trat erschrocken einen Schritt zurück und starrte auf die Ledertasche, die der Waldmeister vor ihn hinhielt.
»Nimm's nur«, sagte er freundlich, »nimm's, es gehört dein. Der Kampelherr schickt dir's für dein Haus und Grund.«
»In Gottesnamen!« sagte der Waldstuber und nahm das Geld.
Da war er fremd im Hause seiner Väter.