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Am Abende desselben Tages waren die Wirtshäuser zu Krebsau und Sandeben voller Leute. Sie konnten nicht genug reden von dem Ereignisse des Tages, von den Ansprachen, von den Pferden, von dem lieben Herrn und wie freundlich er gegrüßt habe.
»Just auf mich hat er hergegrüßt!« wollte jeder wissen, »just mich hat er angeschaut und ich hab' schon gemeint, er will mich ansprechen.«
Im Wirtshaus zu Sandeben am kalten Ofen saß ein Kohlenbrenner aus den Rabensteiner Waldungen. Er war vom Meiler weg, der eben ausgestört worden, die halbe Nacht gegangen, um in Krebsau den Kaiser zu sehen. Als er nun zurückkehrte, drückte er seinen verwitterten Hut ins Gesicht und murmelte: »Eine Schand' ist's!«
Ein Nebensitzender fragte ihn, was er meine.
Der Kohlenbrenner hieb die Faust auf den Tisch und schrie: »Ein Schafskopf will ich sein, wenn ich noch einmal einen Kohlenkrampen in die Hand nehm'. Rauben geh' ich! Der Arbeitsmensch ist nichts mehr, muß kuschen, der Arbeiterrock wird verschandiert. Das Müßiggängergesindel hat sich vorgedrängt, der Gendarm hat's hübsch in die Reih' gestellt, natürlich, die haben seidene Fetzen am Leib. Wie ich mich auch ein bissel durchwinden will, daß ich meinen Kaiser kunnt sehen und noch woltern acht geb', daß ich keinem auf die Zehen trete, packt er mich an der Achsel, der Gendarm, wie einen Taschendieb packt er mich an: hinteri mit dir! Ein Kerl im rußigen Flickenkittel! sagt er, das wär' eine saubere Zier in der Front'. Und stößt mich zurück. Die Leut' haben all auf mich geschaut, haben gelacht und ich hab' gemeint, in die Erd' müßt' ich sinken vor Schand'. Leckt's mich allmiteinand'! hab' ich gedacht und bin davon. In den Felberbüschen hab' ich meinen Rock ausgezogen und ihn angeschaut über und über, ob er nicht doch wo einen Schmutzfladen oder einen losgetrennten Lappen hat. Flicken, Flicken, sonst sehe ich nichts Unrechtes. Oder seht ihr was? Der Arbeiterrock ist's und nichts weiter. Weil ich keinen andern hab' im Wald. Verschmäht und verlästert! Da hab' ich mir gedacht: So schaut's jetzt aus auf der Welt? Das ehrlich Werksgewand zu Schand' und Spott! – Keinen Handgriff arbeite ich mehr. Stehlen und rauben gehe ich. Mehr als Schand und Spott steckt auch im Arrestkittel nit. Kreuzverdammte Bande!«
Der Schulmeister von Sandeben war eingetreten, der suchte den knirschenden Mann zu beruhigen. »Hätte es nur der Kaiser gewahrt!« sagte er, »unser Herr, selbst ein Mann gewissenhafter und unausgesetzter Arbeit, würde den Gendarmen sauber gestutzt haben. War ich doch selber dabei, wie vor vier Jahren der Kaiser in Auenstein ist gewesen, da haben sich die Bauern und Bergarbeiter in ihrem Werktagsanzug und mit ihren Werkzeugen aufgestellt in Reih' und Glied, da hat der Kaiser mit jedem gesprochen, ihm die Hand gedrückt und gesagt, ein schönerer Schmuck wäre noch nicht an seinem Weg gestanden. Ist wohl ein lieber Herr!«
»Ich weiß es ja«, rief der Kohlenbrenner, »und just deswegen hätte ich ihn sehen mögen.«
Doch hatten den Mann die Vorstellungen des Schulmeisters besänftigt und er machte sich auf den Heimweg – zur Arbeit im Walde.
»Gehst du über Altenmoos?« fragte ihn der Schulmeister.
»Freilich wohl über Altenmoos. Über den Scherwald erlaubt's der Jäger nit mehr. Er hat dort junges Wildgehege.«
»Willst du so gut sein und beim Reuthofer eine Post ausrichten?«
»Beim Jakob?« fragte der Kohlenbrenner, »ist schon recht, ich geh' eh' vorbei gleim (nahe) an seinem Haus.«
»Sei so gut, sag' ihm's, sein Weib liegt bei mir.«
Der Kohlenbrenner lachte, aber der Schullehrer sprach. »Es ist kein Spaß, sie liegt in meinem Hause und ist krank. Er soll herauskommen und ob er sie heimfahren will. Ich meine aber«, setzte er leise bei, »unter uns gesagt – es wird sich nicht auszahlen, daß er sie nach Altenmoos führt; sie wird doch über kurz wieder herausgetragen. Der Schlag, sagt der Arzt. Sie war auch draußen. Auf einem Kälberwagen ist sie zurückgebracht worden. Sie liegt recht dahin. Bring' ihm's kleinweise bei, daß er nicht zu sehr erschrickt.«
»Gute Nacht«, sagte der Kohlenbrenner und stieg anwärts. Unterwegs dachte er bei sich: Wäre ich lieber beim Meiler geblieben. Draußen das Giften und jetzt eine solche Botschaft tragen!
Als er nach Stunden, es war schon dunkel, am Reuthofe die knarrende Torschranke aufmachte, rief an der Haustür der Jakob: »Bist es, Maria? Lang' bist aus, aber mit guter Nachricht kommst, gelt?«
»Dein Weib ist es nicht, Jakob«, sagte der Kohlenbrenner, »'s ist ihr doch der Weg zu weit geworden für einen Tag. Sie ist beim Schulmeister in Sandeben und rastet sich aus. Wird sich gewiß gefreuen, wenn du sie morgen abholen gehst.«
Der Jakob schritt ganz nahe an den Boten und fragte: »Ist sie vielleicht gar krank?«
»Keine Unmöglichkeit, bei der Anstrengung. Und eine Hitz' hat's gehabt zum Schlagtreffen.«
Der Jakob fragte nicht weiter.
»Willst einen Löffel Suppe mit uns essen?« lud er endlich den Boten ein.
»Hab' keine verdient«, dankte der Kohlenbrenner und ging nächtig seines Weges.
Der Reuthofer sagte es dem Friedel: »Heut' wird was geschehen sein, Friedel. Spannen wir zwei Ochsen ein und fahren um die Mutter.«
»Ich weiß nicht, mir ist heute den ganzen Tag schon so hart gewesen«, gestand jetzt der Friedel.
Sie spannten den zweiräderigen Karren an und fuhren in der Nacht auf schlechten Umwegen nach Sandeben. Unterwegs redeten sie nichts, der Friedel trieb die Ochsen an, der Jakob ging hinter dem knarrenden Karren drein und nahm sich vor, das Beste zu hoffen und auf das Schlimmste gefaßt zu sein. Lange nach Mitternacht klopften sie am Schulhause zu Sandeben.
»Sie schläft noch immer«, berichtete die Lehrersfrau, »ihr solltet sie ruhen lassen«.
Bei ihrem Eintritt erwachte sie und sagte die zwei Worte: »Jakob. Heim.«
Der Jakob sah nun wohl, wie es stand. Was kümmerte es ihn jetzt, daß die Bittschrift noch bei ihr gefunden wurde! Sie legten die Kranke auf das Stroh des Karrens und fuhren davon. Wie war der Weg holperig! Der Jakob stellte sich mit den Achseln an die rückwärtigen Karrenjöcher und trug sie so über die rauhesten Stellen. Das Frührot ging auf, in den Wipfeln wurden die Vögel munter. Wie war dem Jakob weh ums Herz! – Erst als sie bei Morgensonnenschein in den Reuthof einfuhren, atmete er ein wenig auf. – Jetzt ist sie daheim. Wird's wie Gottes Willen, jetzt ist sie daheim!
Maria lag im Schlafe dahin, lallte aber mehrmals: »Jetzt kommt er! Nein, ich bitt', ich will nicht zurück. Der Kaiser! Mein Friedel!«
In der Stube waren die Fenster verhangen, weil der Jakob meinte, der Kranken müsse das grelle Licht wehtun. Er flößte ihr Milch ein, er kühlte ihre heiße Stirn mit Essig, er legte Meerrettichblätter auf ihre glühenden Hände und Füße, in denen das schwache, aber rasche Zucken des Pulses war.
Am zweiten Tage kam sie zu sich, erkannte alle, erinnerte sich an den Kaisertag und was geschehen war, blieb aber gleichgültig, als ob sie das nichts mehr anginge.
Mit ihrem Manne, der nicht von ihrem Bette wich, sprach sie noch, manchmal wie im Halbschlummer lallend, als könne sie sich vor der Müdigkeit nicht erwehren. Schlafen aber konnte sie doch nicht.
»Es ist so«, sagte sie, »gut lieg' ich.« – Dann fuhr sie mit halbgeschlossenen Augen zeitweilig stockend fort: »Wenn man so nachdenkt – es geht halt doch alles anders aus – auf der Welt – als man sich's denkt. – Einen Schluck Wasser, meinst? – Wohl, Wasser mag ich alleweil. So. Dank' dir Gott. – Setz' dich doch nieder, Jackerl. – Närrisch, jetzt hab' ich gemeint, der Jackerl steht dort bei der Tür. – Ist ja schon lang gestorben, der Jackerl – schon lang – ist er gestorben. – Ein bissel werd' ich halt doch Fieber haben, weil mir so Sachen unterkommen. – Möchtest so gut sein, Jakob, das Kopfkissen ein wenig flacher – ein ganz klein wenig. So, ach! so so! – Jetzt ist's gut – so viel gut. – Wenn der Mensch nur daheim ist, sag' ich alleweil – krank oder gesund – nur daheim. Deine Hand gib mir her, Jakob. – Der Friedel. – Die Angerl. – Weit sind sie wohl eh' nit weg, gelt, weit wohl eh' nit? – Ein bissel schlafen.« – Hauchend wiederholte sie noch einmal: »Am besten ist's halt doch daheim?«
Er gewahrte es kaum. Ohne einen weiteren Laut, ganz sachte schlich sie sich aus dieser Welt. – Als es dem Jakob plötzlich beikam, es gehe etwas Besonderes vor, es wäre eine Veränderung an ihr, und als er eilends die Kinder rief – war es vorbei.
Der Friedel und die Angerl brachen mit schreienden Klagen nieder auf ihre Knie und überschütteten die Leiche mit Liebkosungen und zärtlichen Zurufen, wie im Leben niemals. Der Jakob blieb aufrecht wie ein Stamm. Später erst ging er hinaus in die Kapelle, und gleichsam, als wollte er es an der geheiligten Stelle seinen Vorfahren sagen, was über ihn gekommen, weinte er sich dort stille aus.
Am nächsten Tage ging er nach Sandeben, um für sein Weib die Glocken läuten und das Grab bereiten zu lassen. In ruhigem Ernste wiegten die Klänge hin in die Wälder. Das waren die Glocken, welche auch die Vorfahren zum Altare und zu Grabe geläutet hatten. Die Leute bei der Arbeit und auf den Gassen zogen ihren Hut vom Haupt und beteten ein Vaterunser für das hingeschiedene Mitglied der Gemeinde.
Als der Jakob nach den traurigen Bestellungen über den Kirchplatz ging, hielt ihn der Amtsbote an und sagte, wie froh er sei, daß ihm der Weg nach Altenmoos erspart werde und der Reuthofer die Sachen selber mitnehmen könne. Ein blauer und ein weißer Papierbogen war es, der eine vom Steueramt, der andere vom Militärkommando. So oft der Staat sich beim Landmann meldet, will er etwas haben. Gleichwohl dachte sich heute der Jakob, kann es diesmal anders sein und es ist etwan gar die Befreiung da, für den Friedel.
Was auf dem Papier vom Steueramt steht, das weiß man. In der Schrift vom Militärkommando stand, daß der Friedrich Steinreuter binnen achtundvierzig Stunden sich bei seinem Regimente einzustellen habe, widrigenfalls er als Deserteur behandelt werden würde.
Bei einrückenden Rekruten ist es der Brauch, daß sie jauchzen. Der Friedel war dieser Sitte enthoben.
Er sollte das Haus verlassen zugleich mit seiner Mutter, die im Sarge lag. Bevor die Altenmoosermänner den Sarg hoben, sangen sie das übliche Totenlied, in welchem die Hingeschiedene also spricht:
»Leb' wohl, du Eh'mann, vertrauter, Ich muß in das kühle Grab, Ich bitte dich wohl um Verzeihen, Wenn ich dich beleidigt hab'. O trauert nicht, Freunde und Nachbarn, Auch euch wird der Tod abfodern, Jetzt wird mich die Erden bald decken, |
Nach diesem Gesange, der von den Umstehenden mit tiefen halblauten Stimmen abgesungen wurde, hoben sie den Sarg. Der Zug bewegte sich aus dem Hause und mit ihm ging der Friedel.
Ein alter Mann, der auch mit war und sich bei den Leuten auskannte, der flüsterte während des lauten Gebetes seinem Nebenmann zu: »Wir haben heute zwei Leichen bei uns.«
»Wieso?«
»Die eine wird getragen, die andere geht zu Fuß.«
Mit der anderen meinte er den blassen Burschen, der sich zwar bemühte, stramm aufrecht zu bleiben und der Sonne schuld zu geben, wenn er unterwegs den Hut vor die Augen hielt, dem aber doch anzumerken war, was in ihm vorging.
Der alte Mann fuhr in seinem Geflüster fort: »Heute geht's noch, heute hat er zwei Wölfe in sich, da frißt der eine an dem anderen. In vier Wochen, wenn auf dem Grab das erste Gras wächst, wird das Leid um die Mutter aufhören zu nagen. Aber das Heimweh! Das Heimweh! Es wird so sein. Es wird gewiß so sein. Er ist des Jakobs Sohn.«
Als sie an den Steppenhof kamen, setzten sie auf der Brücke den Sarg nieder, wie es Sitte war, wenn sie einen Toten davontrugen, und stimmten auch hier ein altes Lied an, in welchem der Tote Abschied nimmt von der Heimat:
»Mein Altenmoos, behüt' dich Gott!
Nun muß ich dich verlassen;
Sei mir bedankt für Speis und Trank
Auf meiner Pilgerstraßen.
Und sei bedankt für Dach und Fach,
Nun muß ich Urlaub nehmen,
Lebwohl, bis du am Jüngsten Tag
Zu Aschen wirst verbrennen.«
Auch Friedels Herz klang mit: »Mein Altenmoos, behüt' dich Gott!«
Als sie auf dem Kirchhofe den Sarg mit Stricken in die Tiefe senkten, duckte sich hinter einem Bretterkreuze Furchenbauers Iderl und wußte sich vor Schluchzen nicht zu fassen. Sie weinte um den Toten, der auf den Füßen stand. Als Friedel nach dem Begräbnisse an ihr vorüberstrich, tastete er ein wenig gegen ihre Hand und sagte mit heiserer Stimme: »Geh', begleit' mich.«
»Das darf nicht sein«, antwortete das Mädchen, »du mußt jetzt mit deinem Vater und deiner Schwester gehen. Bleib' gesund, Friedel, und halt' dich fest. Wir werden noch lange beisammen sein all zwei. Da – da – verlier's nit. Behüt' dich Gott!«
Einen Silbertaler hatte sie ihm in die Hand gedrückt.
Als die Leute aus Altenmoos im Dorfwirtshause gegessen, getrunken und allsamt ein lautes Gebet verrichtet hatten für die arme Seele derjenigen, die man zur Erde bestattet, verabschiedete sich der Friedel von seinen Bekannten. Dann nahm er sein blaues Handbündel und ging. Sein Vater, seine Schwester Angerl und ihr Mann, der Florian, begleiteten ihn hinaus bis zu den zwei Ahornen, wo sich das Wiesental einengt und die Straße zwischen Waldbergen und neben der stillwogenden Freising davongeht. Sie wußten unterwegs nichts mehr zu reden, es war alles schon besprochen und wiederholt besprochen worden, und einiges wiederholten sie nun noch einmal. Als der Vater Jakob an einem Holzstock zurückblieb, um seine locker gewordenen Schuhriemen zu binden, eilte die Angerl mit dem Bruder voraus und hub neuerdings zu weinen an.
»Noch ein Anliegen habe ich halt«, schluchzte sie dem Friedel zu.
»Schwester!« sagte der Friedel weichmütig.
»Dem Vater getrau' ich mir's gar nicht zu sagen«, sprach sie. »Er wird jetzt wohl bald ganz allein sein zu Altenmoos. Wir werden auch fort müssen. Es wird nicht lange mehr möglich sein, daß wir uns halten. Du glaubst es gar nicht, wie uns der Waldmeister aufsässig geworden ist. Wo er uns was antun kann, da tut er's. Jetzt versagt er uns auch die Waldstreu. Über den Hag her ist ein Zaun gestanden, daß unser Vieh nicht in die Baumschul' des Kampelherrn hat kommen können. Den Zaun hat der Waldmeister wegreißen lassen und gestern hat er uns zwei Kühe, die in den Hag gegangen sind, fortgetrieben. Oben hat er von der Schlucht das Wasser herausgeleitet, wegen der Wiese, sagt er, aber jetzt rinnt es über unseren Weg herab und hat schon Löcher ausgerissen, daß man eine Heufuhr kunnt hineinwerfen. Du weißt es, Florian«, fuhr die junge Bäuerin nun zu ihrem Manne gewendet fort, »wo du dich wehrst, da ist er mit dem Abstiften da. Wir stecken mitten im Kapelherrn: er kann uns ersticken, wann er will, wir haben schon heut' keinen Atem. Zu Altenmoos ist kein Bleiben mehr.«
»Angerl«, unterbrach sie der Florian, »wir wollen dem Friedel nicht auch noch mit unserer Sach' hart machen. – 's wird schon wieder besser werden und bis du heimkommst, Schwager, findest du uns vielleicht heraußen auf der Sandeben oder wo. Komm halt bald zurück, wir wünschen dir nur den lieben Gesund.«
Jetzt war auch der Vater nachgekommen und sie hatten die zwei Ahorne erreicht. Dort blieben sie ein wenig stehen, dann begleitete der Friedel seine Leute wieder eine Strecke zurück. Hernach verabschiedete er sich von Schwester und Schwager. Der Vater sagte, er habe Zeit und er gehe noch einmal mit dem Friedel bis zu den Ahornen. Dort angekommen, standen sie eine Weile und der Bursche war beschäftigt, mit seiner Schuhspitze ein Steinchen aus dem Radgeleise zu schnellen. »Ja also«, sagte er plötzlich, »einmal muß es sein. Nur was ich noch sagen wollt', Vater. Ihr seid nicht mehr so bei Kraft, lasset Euch leichter geschehen daheim. Nicht gar zu arg abmühen. Für wen denn auch?«
»Friedel!« fuhr jetzt der Jakob fast hastig auf, als ob des Sohnes Wort in seiner Seele eine Schleuse geöffnet hätte, »was denn? Ich muß ja dein Vaterhaus hüten! Du versprich mir eins, mein lieber Sohn: bleib' uns getreu! – Das Geld hast eingesteckt? So, in Gottesnamen!«
»Vater. Behüt' Gott!«
So sind sie auseinandergegangen. Keiner hat mehr zurückgeschaut auf den anderen. –
Aber als der Friedel so dahinschritt, der weiten fremden Welt zu, da ward ihm das Herz schwerer und schwerer und er vermochte nicht mehr, es weiter zu tragen. Einen Seitenweg schlug er ein, der nicht gegen die Kreisstadt führte, und als es Abend ward und die Sterne am hohen Himmel leuchteten, schlich er in Sandeben gegen den Furchenbauernhof. Die Iderl erschrak fast zu Tode, als er an ihrem Fenster klopfte. »Ich muß noch ein Wort reden mit dir«, sagte der Bursche.
»Iderl, wie kannst du mir so was antun! Willst mir schon ein Angedenken mitgeben, so...«
»Jetzt weiß ich aber heilig nicht, was du da redest«, sprach das Dirndel.
»Ein Blattel aus deinem Gebetbuch, ein Ringel oder so was, ich hätt's in Ehren gehalten von dir. Aber ein Geld!... Da hast es wieder, sei so gut, nimm's zurück.«
Jetzt hätte sie bald einen Lacher getan. »Schon Soldat sein und noch so kindisch!« kicherte sie. »Ja meinst du denn, ich hab' dir einen Taler Trinkgeld schenken wollen? Für was denn? Geld schenk' ich kein's her. Hättest du dir das Stückel erst einmal angeschaut. Ein Frauenbildeltaler! Ist die Mutter Gottes drauf, ist hoch geweiht und stammt von den heiligen drei Königen! Ich hab' den Weihtaler von meiner Großmutter selig; wie sie gestorben ist, hat sie mir ihn gegeben und wer ihn an seinem Leib trägt, dem kann kein Unglück geschehen.«
»Und den willst du hergeben?« fragte der Friedel.
»Ich will ihn nur dir geben. Du mußt weit fort, du kannst in allerhand Gefahren kommen.«
»Iderl«, sagte er, »du mußt ihn selber behalten, du kannst auch in Gefahren kommen.«
»Oh, Lapperl!« sagte sie, »was werd' denn ich daheim viel in Gefahren kommen! Bei uns ist nichts. Du kannst in den Krieg müssen, verhoff' wohl, daß es nicht dazu kommt, aber ich meine nur, und da möcht' doch was geschehen. Nimm ihn, Friedel!«
Er wollte jetzt etwas sagen und wußte nicht recht, wie er's anstellen sollte, daß es schicksam herauskommt. Er hat seine besonderen Besorgnisse, die ihm das Fortgehen schwer machen. Nun streichelte er ihre Hand und sagte stotternd: »Wenn du mich lieb hast, Iderl... wenn du mich lieb hast, so behalt' ihn. Schau, wenn du auch daheim bist, wenn auch! Dir kann doch was geschehen, ich – ich bin weit weg von dir...«
Sie verstand ihn nicht, sondern wehrte sich, als er ihr den Weihetaler zurückgeben wollte. So rechteten sie eine Weile um den Talisman, daß ihn eines dem anderen zuschanze. Plötzlich warf er seinen Arm um ihren Nacken, preßte ganz rasend wild seine Wange an die ihre, stieß das Wort »Behüt' dich Gott!« heraus und lief davon. Das Mädchen fühlte in demselben Augenblick an dem Busen etwas Kaltes hinabrieseln, und da war's der Taler, den er ihr meuchlings hineingesteckt hatte.
Und so ist der Friedel, des Jakobs Sohn, ohne Schutz und Schirm fortgezogen in die weite, wildstürmische Welt.
Der Jakob hatte auf dem Heimweg in sein Altenmoos den Stock fest eingesetzt. – »Das ist heute ein Tag!« sagte er zu sich selbst, denn wenn der Mensch keinen Genossen mehr hat auf der Welt, so muß er mit sich allein reden. »Da hätt' ich gemeint, von solchen Unglücken wäre eins allein nicht zu ertragen, und jetzt sind mir auf einmal zwei aufgeladen und ich fall' nicht zu Boden. Der Mensch kann was aushalten, wenn es sein muß. Jetzt geh' ich heim.«
Und daheim, wie war es? Der alte Luschelpeterl, ein paar Mägde und ein Hirtenjunge machten seinen Hausstand. Lauter fremde Leute, aber sie ließen sich mit Fleiß angelegen sein, dem Hausvater das große Kreuz nach Kräften tragen zu helfen. Als er heimkam, stand sein Lieblingsessen, Eierkuchen mit Specksalat, auf dem Tisch. Die Stube war in bester Ordnung. Der alte Peterl hatte sich den ganzen Tag vorgenommen, dem Jakob, wenn er heimkomme, recht aus Herzensgrund die Hand zu drücken. Es war ihm mehrmals ums Weinen gewesen, aber – dachte er sich – sparst es auf, bis der Bauer heimkommt, vielleicht freut es ihn, wenn er sieht, daß du seinetweg weinst. – Als nun in der Abenddämmerung der Jakob schwer an den Stock gestützt daher wankte, da brach dem alten Knaben das Schluchzen so plötzlich und heftig hervor, daß er aufgröhlte, wie ein verwundetes Tier und dann eilends in den Winkel kroch, weil er sich schämte.
»Peter«, sagte der Jakob und ging ihm nach, »was ist dir widerfahren?«
»Die Bäuerin!« wimmerte der alte Knecht, »der Friedel!« Er preßte den Arm an die Wand und weinte in seinen Ellbogen hinein.
»Peter«, sagte der Jakob und seine Stimme war heiser zum Versterben, »du hast solche Sachen ja dein Lebtag schon viel gesehen.«
»Das wohl, Bauer, das wohl«, antwortete der Alte und rieb sich mit dem Arm derb das Feuchte vom Gesicht, »hab' wohl gewiß meiner Tag schon an dreihundert Gestorbene hinausgeleitet. Auch schon viel Soldaten fortgehen gesehen. Aber so was mag halt der Mensch frei gar nit gewohnt werden. Und jetzt die Bäurin, den Haussohn... Geh' in die Stuben, Bauer, geh' was essen. Hungerig und müd' wirst sein. Gewiß auch noch.«
Freilich, freilich hat sie ihm wohlgetan, diese Teilnahme der Seinen, die doch nicht die Seinen waren. War's nicht die Heimat, die mit ihm empfand? Schaute nicht jeder Baum und Strauch und Stein, jeder Pfosten an seinem Hause traurig auf ihn her? – Der Jakob ging hin in die Kapelle, wo die Leichbretter an die Wand genagelt waren. Dort kniete er nieder in den Kreis der Seelen aller, die aus dem Reuthofe hinausgestorben waren, und dort sagte er die Worte: »An neun Vorfahren sind angemerkt dahier. Sind alle gewesen und ist keiner mehr. Eine lange Kette von Leiden und Sterben bis zu mir herauf. Was soll ich's anders haben wollen. – In Gottesnamen, morgen will ich wieder an die Arbeit.«