Peter Rosegger
Jakob der Letzte
Peter Rosegger

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Die Liebe ist da!

So stand zur stillen heiligen Hoffnung des Jakob eine neue Jugend auf in Altenmoos. Und in den Reuthof zog fast gewaltsam die Liebe ein.

Eines Sommersonntages war der Jakob wieder einmal nach Sandeben gegangen. In Altenmoos waren die Handwerker abgekommen, so mußte man Kleider, Geräte und Werkzeuge in Sandeben machen lassen. Jetzt sollte auch in Altenmoos Bargeld sein und um solcherlei hatte sich der Reuthofer zu bekümmern an Sonn- und Feiertagen, da er sonst in seiner alten Bibel sich zu erbauen pflegte und frohe Sonntagsruhe gehalten hatte.

Diesmal waren auch sein Weib und der Friedel mit nach Sandeben gegangen, das Weib, weil das Fest der heiligen Dreifaltigkeit war, der Sohn, weil er draußen in Sandeben etwas Liebes wußte. Er bewahrte seine Liebe zur Iderl als Geheimnis und hatte keine Ahnung, daß sie aus seinen munteren Augen leuchtete, aus seinem hellen Jauchzen hinausklang in die schöne Gotteswelt. Der Jakob und die Maria blickten sich manchmal verständnisvoll an. Furchenbauers Ida! Sie hätten nichts dagegen, wenn's einmal so weit kommen und der Friedel ein junges Weib heimführen wird in den Reuthof. Wenn der Friedel gleichwohl nicht Jakob heißt, so soll er baß seinen ersten Buben so heißen, denn die Jakobe dürfen nicht abkommen in diesem Hause.

Da sich an diesem Tage auch die paar Dienstboten zerstreut hatten, teils ebenfalls in der Kirche, teils bei der Herde auf der Weide waren, so fand sich die Angerl allein daheim, um das Haus zu hüten. Sie verriegelte die Tür, kniete an den Tisch hin und hielt still und fromm ihre Sonntagsandacht. Sie sprach den »goldenen Rosenkranz«. Weil sie ganz allein war, so faltete sie recht herzinnig die Hände, schaute mit ihren treuen unschuldigen Augen zu den Bildnissen des Hausaltares auf und betete: »Jesus mein' Lieb', Maria mein' Hoffnung, Josef mein' Ehr', Joachim mein' Fürbitt, Anna mein' Helferin! Steht uns bei in der Not, jetzt und auch in dem Tod, Jesus, Maria, Josef, Joachim und Anna!«

Zu den offenen Fenstern leuchteten die gegenüberliegenden sonnigen Waldlehnen in die Stube, eine Hummel läutete zu einem Fenster herein, zum anderen hinaus. Es war ein heiliger Frieden ringsum und das Mädchen betete.

Plötzlich schlug draußen der Kettenhund an.

»Geld oder Blut!« rief es und am Fenster erschien der Braunkopf eines jungen Burschen.

»Ja freilich«, lachte die Angerl auf und verhüllte keusch ihre Andacht, »der mich erschrecken wollt', der müßt' ein anderes Ausgeschau haben wie du.«

Der junge Florian Hüttenmauser sah in der Tat nicht so aus, als ob die feinen Dirndeln vor ihm davonlaufen müßten.

»Den Kettenhund kunnt'st just loslassen«, sagte nun der junge Bursche. »Fünf Junge im Kobel! So eine Familie haben und an der Kette hängen! Was wolltest du dazu sagen?«

»Laß ihn nur los«, sagte sie.

»Ich bedank' mich«, antwortete er. »Wir zwei stehen nicht ganz gut miteinander, der Waldl und ich. Aber das magst mir glauben, so lang' das Vieh nicht ledig ist, gibt's keine Ruh' in der Nacht. Es bellt nur an der Kette.«

»Ja freilich, dich wird sein Bellen irren drüben beim Hüttenmauser!«

»Drüben nicht, aber hüben«, sagte der Florian, »und jetzt sei so gut, Angerl, und mach' die Tür auf.«

»Nein, mein Bürschel«, sprach sie, »die Tür mach' ich nicht auf.«

»So steige ich beim Fenster hinein.«

Das Mädel nahm die breite Holzaxt von der Wand, hielt sie gegen das Fenster und sagte mit drohender Gebärde. »Sobald du den Kopf hereinsteckst, purzelt er unter den Tisch hinab!«

»Ist schon recht«, antwortete er, »ich will mich just einmal von dir köpfen lassen.«

Er schwang sich, steckte den Kopf herein, stemmte den Arm nach – ein Ruck und der junge hübsche Kerl stand in der Stube. Dort war sein Erstes, daß er die Axt nahm und mit dem Daumen ihre Schärfe prüfte. »Hat eine gute Schneid'« sprach er, »aber weißt, Dirndel, ich hab' eine noch bessere.«

»Jetzt, daß du nicht umsonst hereingestiegen bist«, sagte die Angerl und kniete mit der Rosenkranzschnur wieder an den Tisch, »jetzt mußt du mir beten helfen.«

»Beten? Das kann auch jedes allein.«

»Zwei richten mehr aus als eins.«

»Das wohl. Aber nicht beim Beten.« So antwortete der Bursche und legte seinen Arm um ihren Nacken.

»Uh, wohin willst denn mit mir fahren, da du mir ein so schweres Halsjoch anlegst?« fragte sie.

Da riß er sie an sich und küßte sie mit heißer Freude auf den Mund.

Sie stieß ihn ab und entwand sich. Glühend rot im Gesicht ging sie hinaus in die Küche. Sie hätte wohl ein wenig scherzen mögen mit ihm, aber daran, was ihr jetzt passiert, hatte sie nicht denken können. Als er ihr nachging, fand er sie gegen die Wand gekehrt und weinend.

»Angerl!« sagte er mit weicher Stimme und legte seine Hand zärtlich an ihren Arm; sie schlug mit dem Arm aus. Er stand da, schaute ratlos drein und wußte nicht, was er beginnen sollte. Sie weinte.

»Bist du bös' auf mich, Angerl?« fragte er endlich.

Sie gab keine Antwort. Auf dem Flötz lag ein Holzspan, diesen schob der Florian mit der Schuhspitze langsam gegen die Wand hin; er mußte dort aber nicht richtig liegen, denn jetzt bückte sich der Knab', hob den Span auf und wendete ihn in der Hand mehrmals hin und her. Dann ging er gegen die Holzasen und legte ihn hinauf. Als er damit fertig war, kraute er sich hinter den Ohren, hernach machte er einige Schritte gegen die Tür und sagte wie für sich: »So, jetzt werd' ich halt gehen.« Bevor er aber ging, kehrte er nochmals zum Dirndel um und fragte schier verzagt: »Angerl, bist du bös' auf mich?«

Sie schüttelte kaum bemerkbar das Haupt, verhüllte aber immer noch ihr Angesicht und schluchzte.

Ihm war das leichte Kopfschütteln genug gewesen. Wie auf Flügeln, so gering eilte er zur Tür, entriegelte sie und ging hinaus. Sie wird's schon noch gewohnt werden, dachte er, jetzt gefällt sie mir noch einmal so gut!

Als dieser junge Mensch durch den Reißgraben hinabging, sah er unter einer Tanne den Waldmeister Ladislaus sitzen, der, das Gewehr zwischen den Beinen haltend, eben seine Feldflasche in den Mund stülpte. Der Bursche wich ihm aus. Er hätte ihn höflich grüßen müssen, und das wollte er nicht. Die paar Bauern zu Altenmoos waren ja schier auf die Gnade des Waldmeisters angewiesen und der Hüttenmauser ganz besonders. Der Waldmeister konnte beliebig die Arbeit im Wald vergeben, so auch Brennholz und Stallstreu; der Hüttenmauser hatte kaum hundert Bäume mehr stehen auf seinem Grund. Um so mehr standen deren ringsum. Überall, heißt es, wäre dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen; nur an den Feldrainen des Hüttenmausers nicht, dort wuchsen die Bäume des Steppenwaldes so hoch in den Himmel hinein, daß die Ackerstreifen schier keine Sonne mehr hatten. Der alte Hüttenmauser kroch vor dem Waldmeister, dieser ließ die Rainbäume weghacken. Auch zur Erhaltung des Weges tat er etwas, hingegen sagte er häufig: »Ja, meine lieben Hüttenmauserleute, mit mir müßt ihr artig umspringen, ich kann euch ersticken, wann ich will, kann euch verdursten lassen, wann ich will; euer Hausbrunnen kommt vom Steppenwald. Meine lieben Leute, ihr gehört mir mit Haut und Haar!« – Das Forsthaus stand drüben in einem Wiesental des Nockwaldes, der Weg dahin führte an dem Hüttenmauserhof vorbei und der Herr Waldmeister sprach gern zu. Er hatte, obzwar schon ein wenig krumm an den Knien und am Rückgrat, so seine besonderen Passionen, und den alten Hüttenmauser benutzte er manchmal zum Handlanger, ohne daß es dieser merkte. Der junge Hüttenmauser, der Florian, konnte aber insgeheim den Waldmeister nicht leiden, und um so weniger, als er dem alten Sünder untertan sein mußte. Da hatte der Waldmeister erst vor kurzem eine lange Seidenschnur gezeigt und gesagt: »Florian, willst du einmal meinen Rosenkranz sehen?« Da der Bursche nicht verstand, so setzte der Waldmeister bei: »So einen wirst du auch noch abbeten, wie du ein Kernjunge bist auf und ab! Siehst du, Knoten habe ich dran, es sind ihrer bald hundert, wenn du sie zählen willst. Jeder bedeutet ein sauberes Weibsbild, mit dem ich gute Kameradschaft gehalten. Verstehst?«

Je älter der Kerl wurde, je ärger prahlte er mit seiner schmierigen Knotenschnur herum, er trug sie immer in einem ledernen Beutel mit sich, und hatte auch noch die Dreistigkeit, zu sagen: »Das ist mein Raitzettel, soviel Tagwerke ist mir der Herrgott schon schuldig worden beim Welterschaffen. Ich bin ein alter Jäger!«

Der Florian hatte ganz recht, so einem weicht man aus, wenn man ihm nicht eine Tracht Haselstrauchenes verehren kann. Hätte der gute Junge erst gewußt, wohin der Waldmeister heute zielte!

Der Waldmeister stieg hinan zum Reuthof und trat ins Haus, das noch offen stand. Das Mädchen erschrak vor ihm, tat aber schalkhaft und dachte: foppen tust ihn, aber so nahe wie dem Florian kommst ihm nicht.

Ob ihr nicht die Weile lang würde, so mutterseelenallein zu Hause? War seine freundliche Frage. Ob er ihr nicht die Zeit solle vertreiben helfen?

»Wäre schon recht«, meinte sie, »Zeitvertreib hat man allemal gern.«

Ob sie nicht einen Schluck Weichselgeist möge? Er zog ein irdenes Plützerchen aus der Weidtasche.

»Ist mir gleich recht, bin eh schon durstig.« Damit nahm sie den Plutzer und wie sie damit zum Mund fahren wollte und er ihr noch zusprach, tapfer anzuzapfen, entglitt ihr das schlüpfrige Ding aus der Hand, daß auf dem Flötz Scherben und Weichselgeist sternartig auseinanderpfützten.

Die Angerl erhob ein Geschrei über ihre Ungeschicklichkeit, der Waldmeister verbiß seinen Ärger; er lachte äußerlich – sie innerlich.

Jetzt meldete sich der Kettenhund. Der alte Luschelpeterl trippelte hastig über den Anger heran. Die Zeit und die Gicht hatten ihn schon so sehr nach vorwärts gebeugt, daß es zu sehen war, als suche er immer etwas auf dem Erdboden.

»Ei, wohl, wohl, hasen eh. Meine Liegerstatt such' ich mir!« bemerkte er manchmal.

Als der Hund sah, es war der gute Alte, schwieg er sofort, erhob aber einen schallenden Lärm, als der Waldmeister aus dem Hause trat. Ohnehin mißmutig, ärgerte ihn das Gebell. Und verscheucht es nicht das Wild aus den nahen Waldungen? Er nahte dem Hunde so weit, daß dieser nach seinem Bein schnappen konnte. »Oho, beißen!« rief er, »wart' Bürschel, du sollst bald Feierabend haben!« Nahm das Gewehr von der Achsel und schoß den Kettenhund nieder.

Die Angerl wußte sich vor Herzweh nicht zu lassen, als sie den blutenden Leichnam an der Kette liegen sah und die fünf Jungen winselnd und die Wunde beleckend ihn umkreisten.

Als am späten Nachmittag Vater und Mutter nach Hause kamen, brachten sie die taube Rebekka mit. Das war die alte Einlegerin (Pfründnerin), ein boshaftes, unsauberes Weibel, das – weil es nichts hörte – den ganzen Tag keifen mußte. Sie trug viel Elend und Entbehrung, weil sie nirgends wohl gelitten war. Auf einem Schutthaufen neben dem Wege hatten sie die Rebekka gefunden, schier bewußtlos vor Erschöpfung. Als sie das arme Weib mit Wasser gelabt hatten und es wieder zu sich kam, hub es weidlich an zu schelten über die scheinheiligen Leute, die draußen in Sandeben Wein trinken und einer armen sterbenden Person nichts als Wasser in den Mund gießen.

Die Reuthoferleute machten sich nichts daraus, sondern schleppten das erbarmungswürdige Geschöpf mit sich, atzten es zu Hause mit einer warmen Suppe und brachten es zu Bette.

»Mit so einer Person«, meinte die Maria, »der sie das Leben vergiftet haben und die es sich selber immer wieder vergiften muß, weil sie wie ein Arsenikesser ohne Gift nicht mehr leben kann, muß man doppelt gut sein. Da ist mir allemal, als sehe ich den lieben Gott vor mir stehen und die Hände falten: Leuteln, mit dieser Pilgerin habt mir Geduld, sie ist mir halt ein wenig mißraten und kann selber nichts dafür. Ich will sie ja bald zu mir nehmen, nur eine kleine Weil' achtet mir noch auf die Rebekka, sie ist eure Schwester, sie ist halt auch mein Kind.«


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