Egon Roland
Der Fall Landru
Egon Roland

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Der fünfzehnte Tag.

(23. November.) In der Mitte des Gerichtssaales sieht man nichts als den Kochherd, mit Stricken eingeschnürt, die man bei den Vorführungen durchschneiden muß.

Der Vorsitzende kommt sogleich zur Sache. Wie sind die Verbrechen ausgeführt worden?

Präsident: »Die Anklage gesteht offen ein, daß sie keine bestimmten Verdachtsgründe hat und auf Mutmaßungen angewiesen ist.«

Landru: »Und weshalb denn?«

Schußwaffen? Man hat welche bei Landru gesehen. Er gibt an, daß er Schießübungen vorgenommen hat. Fernande Segret wurde vom Feldwächter Lecoq gesehen, wie sie Waffen reinigt. Landru stellt nicht in Abrede, daß er einen Karabiner und einen Revolver in Gambais hatte, aber er hätte dieselben schnell nach Paris zurückgebracht.

Gift? Erhängen? Man hat auf Gift geschlossen, weil man in seinem Besitz ein Werk über die »großen Giftmischerinnen« gefunden hat.

Landru: »Man tötet nicht mit einem Buche.«

Dagegen hat man im Untergeschoß Phiolen gefunden, welche chemische Substanzen enthalten haben. Was das Erwürgen der Hunde betrifft, so habe Landru dies für die »sanfteste Todesart« erklärt.

»Oh!« widerspricht Landru.

Sei dem wie immer, wenn die Anklage auch glaubt, wiederholen zu müssen, daß ihr jede Grundlage fehlt, ob Landru erschossen, vergiftet oder erhängt haben sollte, in allen Fällen hat er seine Opfer verbrannt.

Präsident: »Das sind keine Hypothesen. Wir werden die Zeugen hören, welche durch den starken Rauch belästigt wurden.«

Landru: »Was bedeutet überhaupt starker Rauch und der in der Nacht bemerkte Lichtschimmer? Was auch die Zeugen sagen mögen, ich bleibe dabei, daß es unmöglich war, etwas zu sehen. Dagegen spricht schon die allgemeine Lage.«

Präsident: »Welchen Grund hätten sie wohl, vor Gericht falsch auszusagen?«

Landru: »Weil im Lande viel geklatscht wird.«

Ein anderer Zeuge will den Lärm eines Automobil gehört haben, welches beim Teich von Bruyére hielt, in den ein Paket geworfen wurde.

Landru: »Den Zeugen möchte ich wohl hören.«

Präsident: »Dazu werden Sie Gelegenheit finden.«

Landru: »Es ist wirklich auffallend, daß man keine der Verschwundenen wiedergefunden hat, nicht einmal die Hälfte einer derselben.«

Und die Knochenreste, die man in Gambais gefunden hat? Es sind, wie die Anklage sagt, verbrannte Menschenknochen.

Auf eine skeptische Bemerkung Landrus sagt der Vorsitzende, es sei nicht üblich, daß der Angeklagte den Experimenten beiwohnt.

Präsident: »Die Untersuchung hat ergeben, daß in der Asche sich ein beunruhigendes Quantum Kalk gefunden hat. Natürlich haben die Sachverständigen nicht feststellen können, daß es sich um weibliche Gebeine handelt. Aber man hat in diesen Überresten auch Schnallen, Strumpfbänder, Haarnadeln, Druckknöpfe etc. gefunden.«

Landru: »Das alles hat sich in einer Schachtel mit Abfällen gefunden, die man ins Feuer gesteckt hat.«

Frage: »Sie hatten die Gewohnheit, Abfälle zu verbrennen? Auch Strumpfbänder? Auch Schnallen?«

Landru: »Oh, ich habe nicht lange gewählt.«

Hierauf teilt der Verteidiger mit, daß sein Klient nach der Untersuchung eine Eingabe gemacht habe, in welcher er dagegen Einspruch erhebt, daß man ihn vor dem Verhör niemals davon in Kenntnis gesetzt hat, daß Knochen, Blutspuren, schneidende Instrumente etc. gefunden wurden, sowie daß man ihn von allen ohne seine Gegenwart vorgenommenen Versuchen nie verständigt hat.

Der erste Zeuge wird vorgeführt. Landru hebt die Arme protestierend zum Himmel empor, wie er die Zeugenaussage der Frau Corbin aus Vernouillet anhört. Sie klagt über die übelriechenden Dämpfe, welche in dicken Schwaden aus dem Rauchfang des Mieters der Villa Lodge aufstiegen. Es lag übrigens gegen denselben Spionageverdacht vor.

Frage: »Haben Sie Unrat verbrannt?«

Landru: »Ich weiß nicht . . ., der Zeuge sagt ›während des Sommers‹. Das ist unbestimmt. Bevor ich übersiedelt bin, habe ich Unrat verbrannt.«

M. Mercier ist Feldwächter in Vernouillet. Er ist benachrichtigt worden, daß vom Dache Landrus Rauch aufsteige. Aus persönlicher Wahrnehmung weiß er nichts.

M. Navières du Treuil: »Sie haben dort eine Untersuchung vorgenommen? Wer hat Sie empfangen?«

M. Mercier: »Eine Dame.«

M. Navières du Treuil: »Eine Dame? Ich danke Ihnen.«

Das heißt also, daß der Rauch zu einer Zeit aufstieg, wo jedenfalls die Landrus Villa bewohnende Dame am Leben war. – Landru richtet sich auf.

Zeugenaussagen von Dienstboten und Bauern. Dieselben sagen aus, daß Landru die Besitzung »des Bois« kaufen wollte, welche einen Landherd besitzt.

Landru: »Einen Landherd. Einen solchen gab es ja auch in Vernouillet und den hat man demoliert, um dort etwas besonderes zu finden. Dabei hat man nichts gefunden, als Spinngewebe.«

Zur Zeugenaussage der Mlle. Guillerot, welche »über die Mauer des Gartens« geblickt hat, meint Landru, daß er einen alten Koffer und Putztücher von Maschinen verbrannt hatte. »Natürlich duftet das nicht nach Rosen!«

Die Aussagen werden von Moro-Giafferi unterbrochen, der sich auf ein Sachverständigengutachten stützt, welches sagt: »Der Geruch bei der Verbrennung von Fleisch ist kein ausgesprochener.« Auch stützt er sich auf verschiedene Zufälligkeiten. So hat man im November 1917 gleichfalls einen penetranten Geruch gespürt, ohne daß jemand verschwunden wäre.

An die Zeugen von Vernouillet schließen sich die von Gambais. Hat Mme. Lecocq auf eine Entfernung von 1200 Meter »den charakteristischen Geruch menschlichen Fleisches unterscheiden können?« Das ist zweifelhaft, meint der Verteidiger, und fügt hinzu, daß dieser Geruch – und sollte das Drama auch weniger düster werden – kein andrer war, als der von »gebackenen Kottelettes«.

Der Fleischhauer von Gambais sagt von Landru aus, daß dieser das »Original« genannt wurde.

Nach ihm sagt Mme. Mauguin aus. Sie erklärt, daß sie auf dem Teiche von Bruyères ein Paket von sonderbarer Form habe schwimmen sehen. Erst hatte sie es für einen Ertrunkenen gehalten.

Landru: »Hat die Zeugin gewußt, daß derjenige, welcher einen Ertrunkenen zur Anzeige bringt, eine Prämie erhält?«

Moro-Giafferi: »Sie haben einen Ertrunkenen gesehen und haben nicht die Anzeige erstattet?«

Zeugin: »Ich hatte an einige junge Leute gedacht, die sich vor einigen Jahren ertränkt hatten. In diesem Jahre wurde in der Gegend niemand vermißt.«

Diese Tatsachen haben sich im Jahre 1918 abgespielt.

Nach kurzer Unterbrechung wird die Sitzung wieder aufgenommen.

In welchem Jahre haben diverse Zeugen auf dem Teiche einen Gegenstand schwimmen sehen, welcher verfaultes Fleisch zu sein schien, was auch am Geruche wahrnehmbar war? War es 1917 oder 1918? Das soll aus den Aussagen bei der Untersuchung hervorgehen.

Der Kommissär der berittenen Polizei von Gambais, Dautel, kann endlich das Ergebnis der am Tage nach der Verhaftung erfolgten Einvernahme Landrus mitteilen. Die Nachforschungen haben am 13. April begonnen.

Der Zeuge gibt vorerst eine sehr genaue Schilderung der Örtlichkeit. Dann beschreibt er, wie er in der Stadt und der Umgebung gesucht hat und kommt auf die zweite Untersuchung am Tage des großen Lokalaugenscheines zu sprechen. Es handelt sich um die Auffindung von Knochenresten »und anderen weiblichen Gegenständen« in der Asche.

Im Teiche von Bruyères, auf dem 3 Meter hoch Schlamm steht, so wie im Teiche von Neuf hat Herr Dautel Nachforschungen anstellen lassen, war jedoch im voraus von der Ergebnislosigkeit derselben überzeugt. Am 13. April erkennt Herr Dautel noch den mit C. L. gezeichneten Koffer, der Celine Lacoste, Schwester des ersten Opfers Frau Buisson, gehört. – Beim zweiten Lokalaugenschein fand der Zeuge Knochenreste in der Asche. Er übergab dieselben dem Dr. Paul, welcher an der Untersuchung teilnahm.

Frage: »Sie haben die Knochen in die Hand genommen?«

Zeuge: »Ja, um sie dann nach vollendeter Untersuchung den Vertretern der Gerechtigkeit zu geben.«

Moro-Giafferi: »Haben Sie nach dem 13. April die Siegel anlegen lassen, M. Dautel?«

Zeuge: »Nein.«

Moro-Giafferi: »Beim zweiten Lokalaugenschein findet man sie vor. Wann sind sie angelegt worden? – Ich werde darauf zurückkommen. Das ist der wichtigste Punkt in der ganzen Sache.«

M. Dautel: »Aber was! Was bedeuten diese Siegel schon?«

Moro-Giafferi: »Verzeihen Sie, wenn ich meinem Befremden Ausdruck gebe, wenn ich einen Polizeikommissär fragen höre, was Gerichtssiegel für einen Wert haben. Aber tatsächlich hat man die Siegel erst angelegt, nachdem ungefähr 150 Personen ungehinderten Zutritt, zwischen dem 13. bis 25. April, zur Villa hatten.

Schließlich verlangt der Verteidiger die Vorladung der vier Arbeiter, die an den Nachforschungen teilgenommen haben.

Die Verhandlung wird vertagt.


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